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MAX SCHNEIDER
Die erkenntnistheoretischen Grundlagen
in Rickerts Lehre von der Transzendenz

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"Die Psychologie braucht Fühlung mit der Logik. - Psychologisch können wir sogar deuten, welchen logischen Sinn es hat, jedes einzelne Gegebene erst unter der Form eines Existentialurteils gegeben sein zu lassen; denn es gehört zu jeder Wahrnehmung ein Anerkennungsakt, worin - wie in der Jurisprudenz - durch ein Urteil ein Rechtssatz als in diesem Fall geltend anerkannt wird."

"So vieles trifft auf unsere Sinne, was aber nicht bewußt wird, weil es vom Subjekt nicht ausdrücklich als vorhanden festgestellt, nicht beachtet wird. Dieses Anerkennen könnte man ein primitives Urteilen nennen - freilich könnte ebensogut - im Gegensatz dazu - gesagt werden, daß alles Urteilen auf primitive Anerkennungen des Seienden zurückgeführt werden kann."


Die formal-logische Tendenz
1. Der formale Charakter des Sollens.

Der Grundzug, den RICKERT ganz absichtlich seiner Transzendentalphilosophie verliehen hat, ist deren formaler Charakter. Mit Ängstlichkeit wird das Sollen von allen materialen Bestimmtheiten freigehalten. Es ist nicht etwa eine überempirische transzendente Realität (Gs 228). Die Sphäre des Seins, als Forschungsbereich der Einzelwissenschaften (Gs 235), ist grundsätzlich von der des Sinnes, eben des Sollens, fernzuhalten. Wer da meint, das Sollen müsse doch auch sein, es müsse existieren, übersieht, daß mit dem Wort "Sein" nur das als seiend Beurteilte oder zu Beurteilende bezeichnet werden kann. (Gs 151; Gr 590, 639; vgl. auch Ath 157; Zw 185: die Auseinandersetzungen mit LIPPS; Zw 186) Das Sollen ist ja begrifflich früher als das Sein (Gs 165, 167, 175, 234, 240; Log II 78: "Das Logische ist das, was wegen seines formalen Charakters nur gilt und nicht ist, dessen Geltung vielmehr allem Seienden logisch vorangeht, da wir nichts als seiend prädizieren könnten, wenn die Form "Sein" nicht gültig wäre.") Insofern das Sollen logische Voraussetzung der Wahrheit rein tatsächlicher Urteile ist (Gs 114, 180, 227), ist es die logische Beurteilung der Wirklichkeit (Gs 151). Alles Gegebene, alles Seiende in seiner Form der Gegebenheit wird ja erst durch die rein formalen Kategorien möglich (Gs 175, 182). Sinnlos ist es, die Kategorien als seiend anzusehen. Sie können auch weder als immanente noch als transzendente Realitäten gedacht werden (Gs 202). Sie sind eben nur Schemata und zwar sind sie Urteilsformen. Das Urteil wiederum ist, seiner Struktur nach betrachtet, Bejahung und Verneinung. Beurteilt wird vom Subjekt aus. Dieses erkenntnistheoretische Subjekt aber ist nur ein Begriff. Es erkennt, wenn es in den Urteilen, die es fällt, die mit der Norm des Sollens verbundene Urteilsnotwendigkeit anerkennt (Gs 114, 201). Erkenntnis ist also nur möglich in Urteilen; Urteile sind andererseits die einfachsten Erkenntnisformen. Demnach muß eine Wissenschaft, die sich mit den formalen Voraussetzungen der Erkenntnis beschäftigt, mit diesem Satz anfangen.


2. Der formale Charakter des Sollens ist eine Folge
von Rickerts transzendental-logischer Fragestellung.

Damit sind wir vom formalen Charakter des Transzendenten aus stufenweise heruntergestiegen bis zum Anfang einer Gedankenreihe, über deren Berechtigung wir uns nunmehr klar zu werden versuchen wollen.

Erkenntnistheorie ist also nach RICKERT die Wissenschaft von den Erkenntnisformen (vgl. Zw 169: "Erkenntnistheorie ist die Wissenschaft vom Denken, insofern es wahr ist. Damit beschäftigt sich auch die Logik, und wir wollen hier keinen Unterschied zwischen Logik und Erkenntnistheorie machen.") Sie kann nichts anderes sein; denn die transzendentale Frage nach der Möglichkeit der Erkenntnis kann nur beantwortet werden, wenn, wie KANT es versuchte, die apriorischen Erkenntnisfaktoren aufgezeigt werden. Und die müssen natürlich formaler Natur sein. Weiterhin charakteristisch für RICKERTs transzendentale Fragestellung sind nun folgende Sätze:
    "Sie (die Wissenschaftslehre) betrachtet das Urteil nicht mit Rücksicht auf das, was es ist, als vielmehr mit Rücksicht auf das, was es leistet und woraus es bestehen muß, um diese Leistung vollbringen zu können." (Gs 88)

    "Das urteilende Bewußtsein überhaupt und die im Anschluß daran entwickelten Begriffe sind nichts anderes als Begriffe, die wir denken müssen, um den richtigen Begriff des Erkennens zu bilden." (Gs 156)

    "Für die Urteile: dies ist blau und jenes ist rot, suche ich nach der logischen Voraussetzung." (Gs 168)

    "Die erkenntnistheoretische Analyse geht vom vollzogenen Urteil oder fertigen Urteil aus. Sie schließt dann aus seinem Sinn zurück auf die Bedingungen seiner Möglichkeit, auf seine logischen Voraussetzungen." (Gs 169; vgl. auch Windelband, Präludien, dritte Auflage, 47 und 286)

    "Wir müssen überall mit dem fertigen Urteil beginnen, um auf die Bedingungen seiner Möglichkeit zu schließen." (Gs 188)

    "Dann kommt es uns allein darauf an, daß die Denkakte ein Anerkennen oder Verwerfen bedeuten müssen." - "Wieder haben wir nicht das Sein des Urteils festgestellt, sondern seinen Sinn konstruiert." (Zw 192)

    "Die Philosophie hat vielmehr von der Tatsache auszugehen, daß faktisch gewisse Wertungen mit dem Anspruch auftreten, daß die Werte, zu denen man dabei Stellung nimmt, Geltung besitzen, und sie stellt sich nun die Aufgabe zu verstehen, was diese Wertgeltung bedeuten kann, -" (Gr 613).
Eine "logische Forderung" bedeutet also soviel wie ein "Unentbehrlichsein" zur Erklärung (vgl. auch Def 7).


3. Der Grund dafür liegt in Rickerts Auffassung
vom Verhältnis von Erkenntnistheorie und Logik.

Schon aus den angeführten Sätzen geht hervor, daß RICKERTs Problemstellung nicht mehr rein transzendental, sondern logisch-transzendental ist. (Der Sinn dieses Wortes ist hier und auch im Folgenden natürlich ein anderer als in RICKERTs Aufsatz: "Zwei Wege". RICKERT verwendet ja nicht ausschließlich sein "transzendental-logisches Verfahren.) Es gilt nämlich RICKERT - wie wir noch sehen werden - für ausgemacht, daß die transzendentale Forschungsmethode nur auf logische Formen stoßen kann. Den Grund dafür erblicken wir in RICKERTs Auffassung über das Verhältnis von Erkenntnistheorie und Logik. Wie nahe sich in RICKERTs System Logik und Erkenntnistheorie stehen, zeigen noch folgende Sätze:
    "Jedes Problem der allgemeinen Welt- und Lebensanschauung verwandelt sich ... für uns zunächst in ein Problem der Logik, der Erkenntnistheorie." (Gr 11) "Sie (die transzendental-logische" Fragestellung) führt in eine reine Logik hinein." (Zw 201)
Wie für RICKERT die Grenzen zwischen Erkenntnistheorie und Logik allmählich gänzlich verschwimmen, ist aus Folgendem zu ersehen:
    "So entsteht der Gedanke einer Wissenschaft, welche diese Wertformen des Sinnes systematisch darzustellen hat, und die sich ausschließlich in einem Reich der logischen Werte bewegt, also rein transzendental-logisch verfährt, ohne jede Rücksicht auf das wirkliche Erkennen".

    "Die Erkenntnistheorie als die Wissenschaft von den theoretischen Werten ..."

    "Die Wissenschaft von den theoretischen Werten handelt also von dem, was begrifflich allen Wissenschaften ... vorausgeht." (Zw 207f)

    "Es ist natürlich unwesentlich, ob wir Logik, Wahrheitslehre oder Erkenntnistheorie sagen." (Zw 169f)

4. Ein transzendental-logisches Verfahren
verwechselt eine "logische Erkenntnistheorie"
mit einer "Logik der Erkenntnis".

Wenn wir unsere Betrachtung über diese Voraussetzungen zu RICKERTs Lehre von der Transzendenz mit derselben Problemstellung einleiten und nach der Möglichkeit einer solchen Erkenntnistheorie fragen, so erkennen wir von vornherein den Satz an, den HUSSERL so ausspricht: "Die alte ontologische Lehre, daß die Erkenntnis der Möglichkeiten der der Wirklichkeiten vorausgehen muß, ist meines Erachtens, sofern sie recht verstanden und in rechter Weise nutzbar gemacht wird, eine große Wahrheit." (Jahrbuch I 159). Das transzendentale Verfahren, das sich in logischen Rückschlüssen müht, an der Erkenntnis nur das zu sehen, was Form ist, d. h. alles dasjenige, was der Erkennende an das zu Erkennende herangebracht hat, halten auch wir für das eigentlich erkenntnistheoretische (vgl. Gs 200). Gesucht wird ein durch Wesensgesetze bestimmter Erkenntnisweg, wofür es gleichgültig ist, ob er in jeder empirischen Erkenntnis begangen wird. Ob freilich die transzendentale Methode gleichzusetzen ist mit einer "logischen", halten wir für noch nicht entschieden. Selbstverständlich muß jeder, der den Wurzeln der Erkenntnis nachgräbt, logisch verfahren. Was wir bezweifeln, ist nur: daß die wesensgesetzlichen Bedingungen der Erkenntnis auch rein logische Gebilde sein müssen, d. h. ob die formale Methode auch nur logische Formen als Erkenntnisfaktoren finden muß. Uns scheint, daß der formale Charakter jeder transzendentalen Untersuchung leicht zu einer Verwechslung führen kann zwischen "logischen Voraussetzungen" (vgl. Gs 157) und "Voraussetzungen der Logik". Wir glauben also an einen Unterschied zwischen einer "logischen Erkenntnistheorie" und einer "Logik der Erkenntnis". (vgl. hierzu SCHELER, Die transzendentale und die psychologische Methode, 1900)

Alles Logische ist nach RICKERT etwas Theoretisches (Gr 22), Formales (Gr 20), Methodologisches (Gr 9). Eine Umkehrung dieses Satzes führt aber sofort auf die vorstehende Begriffsvermischung. Denn alles Theoretische, Formale oder Methodologische ist durchaus nicht auch Logisches. Eine solche Verwechslung muß umso folgenreicher werden, wenn das Logische von einem gewissen Standpunkt aus betrachtet wird, wie etwa, wenn die Logik als Normwissenschaft bestimmt wird. Es muß zumindest im Auge behalten werden, daß in diesem Fall eine Gesetzeswissenschaft vom "Geltungsstandpunkt" aus gesehen wird, was eine Kombination zweier Betrachtungsweisen bedeutet.


5. Möglichkeit einer
logischen Erkenntnistheorie.

Aber selbst den Versuch, die Erkenntnis rein vom Standpunkt der Logik aus anzusehen, den Begriff der Erkenntnis also mit allen Vorstufen bedingender Begriffe und Urteile zu unterbauen, halten wir nicht nur für einen wertvollen Beitrag zur Erkenntnis der Erkenntnis, sondern auch für eine mögliche selbständige Forschungsrichtung. Wie LEIBNIZ einmal sagt, ist es doch sehr wohl angängig, ja sogar von Vorteil, ein und dieselbe Stadt von mehreren Seiten aus zu sehen. So gut HUME einen psychologischen, BERKELEY einen metaphysischen Standpunkt in der Erkenntnistheorie einnahm: warum soll eine Betrachtungsweise von der Logik aus unmöglich sein? (vgl. hierzu VOLKELTs ablehnende Haltung in "Erfahrung und Denken", 47) Nur muß ein solcher Standpunkt als rein logisch bezeichnet werden, wie es RICKERT in seiner Dissertation tut; wo von einem "logischen Ziel" (Def 22) und einem "logischen Ideal der Erkenntnis" (Def 46) gesprochen wird.

Bedenken tragen wir erst dann, wenn eine solche "logische" Erkenntnistheorie den Anspruch erhebt, den einzig richtigen Weg zu gehen; wenn sie vorgibt, daß sie alle Fragen, die an einen Erkenntnistheoretiker gestellt werden können, zu beantworten vermag. Das wäre zumindest gerade so, als wenn jemand spräche: "Es gibt nichts, als was durch Worte bezeichnet gedacht wird. Folglich hat alles Sein nur einen Sinn durch die Sprache." Wir halten daher unsere Aufgabe für gelöst, wenn wir an einem einzigen Erkenntnisprozeß aufzeigen können, daß die formalen Bedingungen der menschlichen Erkenntnis nicht nur rein logischer Natur sind, - eben an RICKERTs Erkenntnis des Transzendenten.


6. Der Weg der Erkenntnistheorie

Vielleicht werden wir den Erkenntnistheoretikern, die jenen Anspruch erheben, am ehesten gerecht, wenn wir uns zunächst darauf besinnen, was von einer Erkenntnistheorie verlangt werden kann.

Entsprungen einem kartesianischen Zweifel, soll sie ein Wahrheitskriterium liefern und begründen, das jedem Erkennenden als Maßstab dienen kann. Auf jeden Sachverhalt, von dem der Wissenschaft Treibende glaubt sagen zu können: "es ist so", muß es angewandt werden können. Mit seiner Hilfe können also die Grenzen der unbezweifelbaren Erkenntnis festgestellt werden. Besagt etwa das Kriterium daß jede wahre Erkenntnis ein apriorisches und ein aposteriorisches Element enthalten muß, so liegen z. B. manchen Sätze der spekulativen Metaphysik jenseits dieser Grenze, da ihnen einer dieser Faktoren fehlt.

Um diese Forderung zu erfüllen, sucht die Erkenntnistheorie die Bedingungend der Erkenntnis auf. Voraussetzung für die Erkenntnistheorie ist also, daß sie weiß, wo eine unbezweifelbare Erkenntnis vorliegt. Es ist die Voraussetzung, die DESCARTES in der Tatsache des Zweifelns, KANT in der Mathematik und mathematischer Naturwissenschaft macht. (Vgl. VOLKELT, der sie in der Selbstgewißheit des Bewußtseins findet.) Von diesem fixen Punkt aus geht nun der Erkenntnistheoretiker Schritt für Schritt rückwärts, nach den Quellen suchend, die der "Erkenntnis" ihre undefinierbare Qualität geben. Der eine findet sie in einer nicht weiter zurückführbaren Evidenz, ein anderer in der Synthese von Sinnlichkeit und Form, ein Dritter in der Angeborenheit gewisser Ideen. Damit ist dann das Kriterium entdeckt.

Wenn die angegebenen Kriterien so verschieden sind, so ist das einesteils in den verschiedenen als unumstößlich angenommenen Wahrheiten begründet; andernteils in der verschiedenen Auffassung von der Wichtigkeit metaphysischer, logischer oder psychologischer Komponenten. Prinzipiell waren aber die Wege, welche zu den Anfängen der als wahr vorausgesetzten Erkenntnis führten, gleich.


7. Der Weg des
Erkenntnistheoretikers

Eine eigenartige Modifikation dieser Methode liegt nun vor, wenn logisch-transzendental verfahren wird. Der Weg des Erkenntnistheoretikers fängt anders an. Die logischen Urformen der Erkenntnis, die er sucht, können nicht aus einer tatsächlichen Einzelerkenntnis abgeleitet werden, sondern wieder nur aus einer Form. Wenn das Wesen der Erkenntnis für die Erkenntnistheoretiker erstgenannter Art nachträglich bestimmt werden konnte, setzt es der Erkenntnislogiker voraus. Er muß ausgehen vom Begriff der Erkenntnis. Sein Unbezweifelbares ist also ein Begriff. Dies scheint uns der Grund dafür zu sein, daß RICKERTs erkenntnistheoretisches Hauptwerk: "Der Gegenstand der Erkenntnis" mit einem fertigen Begriff der Erkenntnis beginnt. (Vgl. dazu den entsprechenden Hinweis SCHLUNKEs, daß RICKERTs letzte Voraussetzung der Erkenntnis nicht das Subjekt, sondern der Begriff des Subjekts ist. Diss. 1911, Seite 61f)


8. Bedenken gegen eine
"logische Erkenntnistheorie".

Drei Gründe hindern uns aber, dieses rein logische Vorgehen vor dem zuerst angebenen zu bevorzugen.

a) Sie ist nicht weniger voraussetzungsvoll.
Zunächst halten wir die transzendental-logische Methode nicht für weniger voraussetzungsvoll als die andere. (vgl. Zw 170) Wenngleich es logisch richtig sein mag, daß der Begriff der Erkenntnis jeder Erkenntnis selbst vorhergeht, so ist noch immer bezweifelbar, ob er auch das erkenntnistheoretisch Primäre ist.

b) Es gibt keinen eindeutigen Erkenntnisbegriff.
Zweitens glauben wir nicht, daß auf diesem Weg ein richtiges Wahrheitskriterium gefunden werden und zum Gegenstand einer weiteren transzendentalen Begründung gemacht werden kann; denn es lassen sich wohl unbezweifelbare Einzelerkenntnisse angeben, einen allgemeingültigen Begriff aber von dem, was Erkenntnis genannt wird, kennen wir nicht. In der Regel wird der Begriff der Erkenntnis soweit gefaßt, daß er nicht nur Unbezweifelbares bezeichnet. Infolgedessen muß ein rein analytisches Verfahren, wie das transzendental-logische eines ist, von vornherein Zweifel erregen.

aa) Vieldeutigkeit der Begriffe Erkennen und Erkenntnis.
Sicher hat die Abstraktheit des Wortes "Erkenntnis" dazu beigetragen, seine Bedeutung so unbestimmt werden zu lassen. Daher heißt es bald soviel wie Erkennen (Gs 1), bedeutet also nicht mehr Ziel, sondern Mittel des Erkennenden, um erst zu diesem Ziel zu kommen. "Erkennen" wiederum wird definiert als wahres Denken (Zw 169); an anderer Stelle als "scheiden" (Zw 224). Log. I 30 heißt es: "Erkenntnis, insofern sie die Wahrheit erfaßt, ist durchaus ein Sinnbegriff, das Produkt einer Deutung vom logischen Wert aus." Hier hat das Wort Erkenntnis den Sinn von "Erkenntnisakt", dort den der dadurch erreichten Wahrheit (Gs 93) oder des unwirklichen Gutes, das dem "dritten Reich" angehört. Einmal ist es synonym mit "Subjekt", ein andermal mit dem Begriff der Erkenntnis oder des Erkennens; ein drittes Mal bezeichnet es das Ergebnis einer Einzelwissenschaft, und schließlich wird damit die Summe alles Erkannten gemeint oder eine Einsicht, die nur die Erkenntnistheorie schaffen kann; oder gar jede philosophische Erkenntnis. Da RICKERT z. B. die Begriffe "Erkenntnis" und "Erkennen" nicht scharf auseinanderhält, so wollen wir künftig unter "Erkenntnis" das einmalige Eingesehen-Haben verstehen, das Sich-klar-gewordensein über einen Sachverhalt. Psychologisch müssen wir die Erkenntnis als eine Kenntnis charakterisieren, verbunden mit dem Gefühl der Evidenz; von einem mehr phänomenologischen Standpunkt aus kann sie beschrieben werden als ein Schauen im Sinne von etwas "Haben" (das durchaus nicht gleichbedeutend ist mit Vorstellen), das Eingeleuchtet-haben: ganz das, was die Sprache meinte, als sie die Ausdrücke für den Tatbestand der Erkenntnis dem Gebiet des Gesichtssinnes entnahm. Die Vorsilbe "Er" ... aber deutet an, daß der gewonnenen Einsicht eine Arbeit vorherging: Denkarbeit. Im Gegensatz zum abgeschlossenen Zustand der Erkenntnis steht das "Erkennen", welchen Ausdruck wir gebrauchen wollen, wo wir die Tätigkeit oder den noch anhaltenden Zustand des Sehens bezeichnen wollen, den Akt des Einsehens, des Erfassens. (vgl. Ath 153: Intellekt als Schauen.) Hieraus wird klar, daß eine Theorie der Erkenntnis noch nicht dasselbe zu sein braucht wie eine Theorie des Erkennens. (vgl. Gs 88)

bb) Unzulänglichkeit von Rickerts Erkenntnisbegriff.
Daß dem, welcher einen logisch-formalen Ausbau der Erkenntnistheorie für ideal hält, eine Theorie der Erkenntnis als die einzig richtige erscheinen wird, ist nun nicht schwer einzusehen; denn die abstraktere Abgeschlossenheit der Erkenntnis enthält mehr logische, zumindest begriffliche Momente als das Geschehen des Erkennens, dessen Wesensart einer psychologischen Erfassung näher liegen muß; deshalb aber genau so erkenntnistheoretisch betrachtet werden kann. Vom Begriff der Erkenntnis aus sucht nun der Erkenntnislogiker die logischen Komponenten der Erkenntnis auf und rekonstruiert ihren logischen Zusammenhang. Er findet auch letzte Formelemente, die ihn nötigenfalls in die Lage versetzen können, den zum Ausgang gewählten Erkenntnisbegriff zu revidieren, wie es sich RICKERT (Gs 84) vornimmt.

In so einem Erkenntnisbegriff müssen sich aber die Folgen des einseitig logischen Verfahrens zeigen, wenn aus jenem ein praktisch verwertbares Erkenntniskriterium gebildet werden soll. Dann muß sich erweisen, daß die logische Struktur zwar eine wertvolle Seite des Erkennens ist - aber auch nur eine Seite. Wir nehmen einmal als völlig richtig hin, daß der logische Sinn des Erkennens ein Anerkennen ist. Formulieren wir aber beispielsweise den erkenntnistheoretischen Imperativ, den RICKERT zur Geltung bringen will, so müßte er heißen: "Urteile (richte dein Erkennen) immer so (ein), daß du darin das Gesollte anerkennst." ("Das Urteil soll gefällt weren, weil es gefällt werden soll." Gs 118; vgl. auch RICKERTs Gedanken über die Bedeutung des Historischen für die Religionsphilosophie bei FICHTE. Ath 165. Ferner Log III 240) Wir bezweifeln nun, daß mit dieser logischen Formel den Wissenschaften ein Maßstab gegeben werden kann. Uns zumindest ist danach noch nicht klar, wie damit ein metaphysisches Urteil als solches erkannt werden kann. Ein solcher Imperativ hat als Erkenntniskriterium nicht mehr Erkenntniswert als die Sätze der Identität und des Widerspruchs. Es ist mit ihnen nichts anzufangen; sie sind keine praktisch verwertbaren Erkenntniskriterien.

cc) Erkenntniswert der Logik.
Wir wollen unsere Ansicht über den Erkenntniswert der Logik (und die Logik steht hier einer Erkenntnisaufgabe gegenüber: nämlich der Erkenntnis der Erkenntnis) an Beispielen erläutern: Als BISMARCK daran ging, geistige Bewegungen durch Gesetze zu bannen, war er logisch nicht im Unrecht. Die einzige Tatsache des Kulturkampfes aber hätte ihn noch vor der Schaffung des Sozialistengesetzes seinen Irrtum erkennen lassen können. Logische (d. h. gesollte) Richtigkeit bürgt nicht immer für die Erkenntnis der Wahrheit. Wir haben einen Gegenstand noch nicht begriffen, wenn wir wissen, welchen logischen Beziehungen in der erwünschten Erkenntnis bestehen müssen. Es genügt uns nicht die Bestimmung, daß für eine gewisse Erkenntnis ein Kausalzusammenhang entscheidend ist; sondern wir sind erst befriedigt, wenn wir wissen, welcher ursächliche Zusammenhang besteht. Wenn jemand fragt, warum die nachstehende Reaktion: NaCl + KOH = KCl + NaOH gerade in diesem Sinn verläuft, so kann ihm der Logiker wohl sagen:
    "Ja, es muß eine Beziehung zwischen den angegebenen Elementen bestehen, dergestalt, daß sich in diesem Fall Na mit OH usw. verbindet, auch eine Beziehung zwischen Na und K; diese Beziehung ist - entsprechend der generalisieren verfahrenden Begriffsbildung der Naturwissenschaft - aus einem Gesetz ableitbar, somit kausaler Natur."
Das alles erweitert aber die Kenntnis des Fragers aber nicht um das Geringste, gibt ihm zumindest nichts von dem, was er wissen will. Denn die Auseinandersetzung des Logikers läßt sich so zusammenfassen: Es gibt einen zureichenden Grund für die besprochene Tatsache. Diese Aussage liegt aber schon in der Frage. Er hat also auf analytischem Weg eine stillschweigende Voraussetzung nur ausdrücklich zu Bewußtsein gebracht. Der Fragende ist aber sofort befriedigt, wenn ihm etwa gesagt werden kann: "Unter den beiden einwertigen Metallen ist dasjenige, das positivere, welches das größere Atomgewicht besitzt." (vgl. Gr 21: "In der Logik ... kommt es nur auf die logische Struktur an; nicht auf das Material."

Schließlich läßt sich ein Bedürfnis, wie dasjenige nach einer Welt von transzendenten Dingen (Gs 77), das sich doch auch als Sollen anzeigt, nicht durch eine Änderung des Erkenntnisbegriffs beseitigen (Gs 85); sonst könnte einmal der Fall eintreten, daß sich die Einzelwissenschaften, denen doch die Erkenntnistheorie etwas sagen will (Gs 83), verständnislos von dieser abwenden, da diese ihren Wunsch und ihre Begriffe nicht verstand. Wir meinen damit, daß Erkenntnistheorie nicht um der Erkenntnistheorie willen getrieben werden soll. Und etwas anderes heißt es nicht, wenn RICKERT sagt: "Man gebe auch der Erkenntnistheorie das Recht ..., Wahrheit allein um der Wahrheit willen zu suchen." (Gs 10)

c) Zweifel an der Fähigkeit einer formal-logischen Erkenntnistheorie, einen "Gegenstand" aufzeigen zu können.
Was uns drittens abhält, uns der formalen erkenntnistheoretischen Richtung rückhaltlos anzuschließen, ist der Zweifel an deren Fähigkeit, den Gegenstand der Erkenntnis selbst aufzuzeigen. Dieses Bedenken ist also nur eine Anwendung des bereits über die Logik Gesagten auf die Erkenntnistheorie. Daß sich das Erkennen auf einen Gegenstand richten muß, läßt sich nach RICKERT aus seinem Begriff ablesen (Gs 1; Gr 602). Der Begriff des Erkennens ist eben ein Relationsbegriff. Wie aber von ihm aus der Gegenstand bestimmbar sein soll, vermögen wir nicht einzusehen. Hier soll eben die Erkenntnistheorie eine entscheidende synthetische Erkenntnis liefern. Sie soll nicht mehr als eine Form aufzeigen - aber die Form eines bestimmten Gegenstandes. Dieser Gegenstand muß jedoch erst bezeichnet werden; und das übersteigt die Fähigkeiten der Logik. Wie kann eine rein formale, logisch begriffliche Untersuchung dazu führen, daß der Gegenstand der Erkenntnis gerade ein Sollen ist? Und wenn uns RICKERT hierauf entgegenhielt,
    "daß der Akt der Bejahung oder Verneinung im Gegensatz zu den Vorstellungen steht und zugleich der Bestandteil des Urteils ist, durch den wir eigentlich erkennen, durch den wir also auch allein den Gegenstand der Erkenntnis in unseren Besitz bringen können",
so erklären wir uns damit einverstanden; fügen aber hinzu, daß auch eine Verbindung einer Vorstellung mit einer neuen bejaht oder verneint werden kann, d. h.: wir müßten im obigen Satz das "allein" streichen, weil die Erkenntnis dann durch ein neues Moment mit zustande kommt.

Wie der RICKERTsche Gegenstand der Erkenntnis als Wert bestimmt werden konnte (Gs 124), erörtern wir später. Wir behaupten hier nur, daß dieses Ergebnis nicht auf rein "logischem" Weg gewonnen wurde, sondern einer Inkonsequenz RICKERTs sein Dasein verdankt.

Aber schon die bloße Möglichkeit einer Gegenstandsbestimmung mit rein formalen Mitteln verneinen wir. Der Gegenstand einer logischen Erkenntnistheorie muß in einem Erkenntnisbegriff oder einer daraus abgeleiteten Form bestehen. Über den Erkenntnisbegriff kommt sie, wenn sie konsequent ist, nicht hinaus. ("Wir haben den umfassendsten Begriff für den Gegenstand des Erkennens gewonnen." Zw 184) Sie will ja auch nicht mehr, als den Begriff der Erkenntnis bestimmen (Gs 10, 63, 83, 88, 166. "Auch die Zurückführung der einzelnen Erfahrung auf die Anerkennung des transzendenten Sollens hat nur den Zweck, den allgemeinsten formalen Begriff des Erkennens festzustellen." (Gs 183)) Die formal-logische Erkenntnistheorie übersieht aber, daß ein Begriff noch nicht das Wesen einer Sache, geschweige denn die Sache selbst zu geben braucht.

Von einem Erkenntnisbegriff geht die logische Erkenntnistheorie aus - zu einem Erkenntnisbegriff kommt sie wieder. Die Tatsache dieser Kreisbewegung läßt sich auch so ausdrücken: Auf die Frage, was die Unbezweifelbarkeit einer Erkenntnis ausmacht, antwortet der Logiker: "Das Sollen", d. h. die Urteilsnotwendigkeit - und da weiß der Frager wiederum nicht mehr als der Fragende in unserem obigen Beispiel. Das kann aber auch gar nicht anders sein. Man darf, wenn man dasselbe nicht noch einmal nur in anderer Form hören will, sondern tatsächlich etwas Neues erfahren möchte, wie es die Voraussetzungen zu einer unanfechtbaren Erkenntnis sind, nicht eine Wissenschaft befragen, die mit gegebenen Inhalten nichts anderes anzufangen weiß, als deren Form festzustellen.

Hier entdecken wir auch den Kreuzungspunkt von Logik und Erkenntnistheorie. Die Erkenntnistheorie strebt nach einer einzelnen Erkenntnis, deren Form heißen muß: Irgendeine wissenschaftliche Erkenntnis ist wahr, wenn sie - wir wählen ein Beispiel - der Wirklichkeit nicht widerspricht. Die Logik aber kann ja nur eine Form finden und nicht mehr. Eine Norm (wir vermeiden absichtlich den Ausdruck "Begriff", weil mit diesem Wort zu vielerlei bezeichnet wird, besonders seitdem es einen gegenstandstheoretischen Sinn bekommen hat) kann aber nicht das einzige vollgültige Kriterium abgeben für die Erkenntnis, die - wie wir noch zeigen werden - nicht allein Form ist. Um ganz klar zu sein, greifen wir einer späteren Erörterung vor: Wenn die Erkenntnis das Produkt von Erkennendem und Erkanntem (= Gegenstand der Erkenntnis) ist, dann muß die Logik ihre Unfähigkeit, das erforderliche Kriterium zu liefern, offen eingestehen; denn sie kann wohl sagen, daß es einen Gegenstand der Erkenntnis geben muß, kann aber diesen Gegenstand selbst nicht bestimmen, damit auch nicht das Wesen der Erkenntnis. Daher war es ein unvermeidlicher Kunstgriff KANTs, von vornherein einen Gegenstand der Erkenntnis vorauszusetzen.

Zur Bestätigung des Gesagten wollen wir kurz noch zeigen, wie RICKERT die Schwäche seiner Lieblingswissenschaft zu beschönigen versucht: RICKERT geht auf den Einwand ein, daß doch nicht jede Bejahung eine Erkenntnis ist und sucht nun die Notwendigkeit zu begründen (Zw 186f). Er scheidet zu diesem Zweck die Art des Sollens, welche immer als Forderung eines oder mehrerer Individuen auftritt, von derjenigen, für deren Bedeutung als Forderung es gleichgültig ist, ob irgendein Individuum sie stellt. Welches ist also der Grund dafür, daß manche Urteile notwendig sind? Antwort: die Unbedingtheit des Sollens. Mit anderen Worten: Für die Notwendigkeit ist uns ein anderer Ausdruck gesagt worden. - Daß wir damit nicht um einen Schritt weitergekommen sind, daß diese Logik tatsächlich unfähig ist, ein Wahrheitskriterium zu liefern, wird uns RICKERT vielleicht zugeben, wenn wir noch auf folgende Erläuterung hinweisen: "Was aber ist unter dieser unbedingten Geltung und Notwendigkeit des Sollens zu verstehen?" (Zw 186) "Sie (die Forderungen) fordern die Anerkennung unbedingt." (Zw 187)

Konsequenzen daraus.
Dem entspricht es nun, wenn RICKERT den Gegenstand der Erkenntnis selbst zurückverlegt unter die Bedingungen der Erkenntnis. RICKERT lehrt damit die Transzendenz des Transzendentalen (vgl. Gs 141). So hütet er sich vor einer Überschreitung des vorausgesetzten Erkenntnisbegriffs - damit entgeht ihm aber die Möglichkeit, ein Erkenntnismoment in der Erfahrung zu sehen. Wir RICKERT die daraus entstehende Schwierigkeit durch die Rationalisierung des Gegebenen zu überwinden sucht, wird uns später beschäftigen. Jedenfalls muß er von nun an hinnehmen, daß die Erkenntniskriterien ausschließlich apriorischer Natur sind. Und um nicht in Widerspruch zu geraten, etwa mit den Naturwissenschaften, gab es hierfür tatsächlich keinen besseren Ausweg als diesen, den Gegenstand der Erkenntnis aller Erfahrungswelt zu entziehen. Die Einzelwissenschaften wurden nun den erkenntnistheoretischen Untersuchungen entrückt, indem sie auf ein Subjekt verwiesen wurden, das nach methodologischen Formen Gegebenes verarbeitet. - Für seine Erkenntnistheorie aber mußte RICKERT wohl oder übel ein Subjekt erst konstruieren, das in konstitutiven Formen das Gegebene erzeugt.

Das Ergebnis von RICKERTs logischer Erkenntnistheorie ist nun dieses: Der alte Erkenntnisbegriff, von dem er ausging, hieß so: "Zum Begriff des Erkennens gehört außer einem Subjekt, das erkennt, ein Gegenstand, der erkannt wird." (Gs 1) Rücken wir diesen jetzt beiseite wie ein Gerüst von einem Bau, so zeigt sich der neue Erkenntnisbegriff als Unterbau des alten: Letzte formale Bedingung der Erkenntnis ist das Sollen; dieses ist der eigentliche Gegenstand der Erkenntnis.

Daraus folgt: das erkenntnistheoretische Subjekt erkennt, wenn es in der logischen Struktur der Bedingungen einer Erkenntnis den Erkenntnisbegriff verifiziert sieht; d. h. wenn es das Sollen anerkennt. (Gs 108 u. a.) Das empirische Subjekt erkennt, wenn es sein Urteilen (=Denken) in Übereinstimmung mit der Wirklichkeit findet. (Gs 166) Wenn räumlich-zeitliche Begriffe auf logische Bildungen anwendbar wären, so könnte man sagen: der Erkennende nach unserem (= empirisch-realistischen) Sinn blickt immer vorwärts, der Erkennende nach dem Sinn des formalistischen Erkenntnistheoretikers immer rückwärts.

Sobald letzterer anfängt, seinen Erkenntnisgegenstand näher zu bestimmen, ihm etwa eine völlige Transzendenz oder die Qualität des Sollens beizulegen, muß er selbst irgendwo seinem erkenntnistheoretischen Prinzip untreu geworden sein - oder seinen Erkenntnisbegriff soweit gefaßt haben, daß wir uns weigern müßten, ihn von vornherein anzuerkennen. "Die Logik kann ja nur Regeln vorschreiben", wonach ein Gegenstand erkannt werden kann. Zwischen wahren und falschen Definitionen kann sie aber doch gar nicht unterscheiden (Def 65). Wir aber, die wir von unbezweifelbaren Einzelerkenntnissen ausgingen, uns ein Kriterium der Wahrheit suchten und uns den Horizont nicht durch begriffliche Festlegungen beschränken ließen, können tatsächlich Synthesen vollziehen, die Neues geben, noch nicht "aufgegeben" waren. Ins Kantische übersetzt, hieße das: Die Kategorien werden noch nicht darum zum Gegenstand der Erkenntnis, weil sie Bedingungen der wahren Erkenntnis sind und natürlich auch "implizit" anerkannt werden müssen. Einmal ist es keine geradlinige Fortsetzung des transzendental-rückschreitenden Verfahrens, wenn die Zusammenfassung logisch notwendiger Erkenntnisbedingungen (= Kategorien) auf ihre formal-logischen Bedingungen untersucht wird (vgl. auch Scheler, Die transzendentale und psychologische Methode, 37). Zum andern bedeutet es die vorhin bezeichnete Abbiegung vom geraden Weg der Erkenntnistheorie nach der anderen Seite, wenn jede Erkenntnis zu einer Erkenntnis der Erkenntnis gemacht wird. Das jeder Erkenntnis Zukommende aber oder, um transzendental zu sprechen: die Erkenntnisbedingungen, sind nur Gegenstand einer Erkenntnis der Erkenntnis und sind für jede beliebige andere Erkenntnis nur begriffliche Voraussetzungen. Die Einzelerkenntnisse hingegen haben einen anderen Gegenstand, für dessen Erkenntnis die transzendental logischen Voraussetzungen jeder richtigen Erkenntnis noch nicht einmal ein Wahrheitskriterium zu sein brauchen.

Während der Gesichtskreis des Erkenntnislogikers notwendigerweise von der Mannigfaltigkeit des Gegebenen einbezirkt wird, die er gleichwohl erzeugt zu haben glaubt (Gs 182), meinen wir, an einigen Stellen durch die immanente Gegebenheit hindurchsehen zu können und den Erkenntnisgegenstand erst aufzufinden. Bezeichnend dafür sind folgende Sätze:
    "Wir haben eine unmittelbare Erkenntnis der Wirklichkeit, sobald wir nur den Blick auf uns selbst richten. Nach innen geht der geheimnisvolle Weg, der das Weltgeheimnis entschleiert. Wir dürfen nicht objektivierend um die Dinge bloß herumgehen, sondern wir müssen mitten in sie hinein, und die Pforte, die wir zu diesem Zweck zu durchschreiten haben, liegt allein im Ich." (Log I 4f)
Die Bewegungsrichtung von RICKERTs erkenntnistheoretischem Subjekt gleicht derjenigen eines Fisches, der gerade bis an die Wasseroberfläche (= das Gegebene) schwimmt, und von da aus wieder abbiegt, hinab auf den Grund. Wir aber gehören zu denen, die nur an der Luft atmen können und bekennen uns zu einem erkenntnistheoretischen Realismus.

In diesen Tatsachen sehen wir auch den Grund dafür, daß RICKERT die doch so transzendentale Frage unterläßt, ob eine Transzendenz von der Form eines Transsubjektiven, "Bewußtseinsunabhängigen", überhaupt möglich ist. Denn ob es überhaupt eine solche Transzendenz gibt, und ob sie erkennbar ist, kann die Logik nicht interessieren. Wer aber nicht von vornherein die Erkenntnistheorie auf logische Untersuchungen einschränkt, der kommt auch nicht so schnell über die erfahrenen Seinsunterschiede hinweg; denn wir geben RICKERT völlig Recht, wenn er (Log III 242 sagt:
    "Es besteht kein Grund, von vornherein anzunehmen, daß wesentliche logische Unterschiede auch mit wesentlichen psychologischen Daseinsverschiedenheiten zusammenfallen, oder daß umgekehrt, Differenzen im psychischen Sein auch logisch different sind."
Daß es Transzendentes gibt, leitet RICKERT einfach aus dem Begriff der Erkenntnis ab (Gs 124 und 125). "Wir setzen zunächst jedenfalls nur ein vom Denken unabhängiges, transzendentes "Etwas" überhaupt voraus, das wir im Übrigen ganz unbestimmt lassen." (Zw 171) - Daß es Transzendentes gibt, ist aber nicht so selbstverständlich, so daß es einfach vorausgesetzt, d. h. aus einem Begriff abgeleitet werden könnte, - dürfte es zumindest für RICKERT nicht sein, der doch das Gegebene für erzeugbar hält. Es könnte doch behauptet werden: das Denken täuscht sich, sobald es einen transzendenten Gegenstand vor sich zu haben meint. Es hat diesen Gegenstand erst erzeugt und tut nun, als ob diese Fiktion ein von ihm unabhängiges Objekt ist. Die Möglichkeit einer so extremenen Annahme von der Abhängigkeit des Bewußtseinsinhaltes vom Bewußtsein lehrt, daß der Gegenstand der Erkenntnis nicht gleichgesetzt werden darf mit einem Transzendenten, wie es RICKERT tut (Zw 171). Durch die Wendung, das Erkennen habe sich nach seinem Gegenstand zu richten, umgeht RICKERT diese Klippe, die damit natürlich noch nicht beseitigt ist; dieweil nicht das zu existieren aufhört, was man nicht sieht, oder gar: nicht sehen will. Wir stoßen hier das erstemal auf eine Konsequenz von RICKERTs eigenartigem Begriff der Transzendenz; einem Begriff, der nach der Seite des transsubjektiven Realen hin durch positivistische Motive eingeengt, der aber aus begrifflichen Gründen nach der Seite des transsubjektiven Logischen hin erweitert wurde.

Es ist auch nicht so, daß der Erkennende nur ein Bedürfnis hätte nach einer transzendenten Welt; sondern wir werden zu zeigen versuchen, daß die Gegebenheit der transzendenten Welt das Erkennen erst anregt. "Daher kann die Erkenntnistheorie" sehr wohl "fragen, ob es überhaupt einen Gegenstand gibt und ob das Denken ihn zu erfassen vermag" (Zw 171). (Auch Zw 213 frägt RICKERT nur, "ob der Begriff eines transzendenten Wertes, der von jeder Beziehung auf einen Akt der Anerkennung oder auf ein Urteil, das zu ihm Stellung nimmt, frei ist, gebildet werden kann.")

Konsequent würde unserer Meinung nach ein solches System erst, wenn es die Geltung der empirischen Wissenschaft voraussetzt und nun einen logischen Unterbau dazu schafft (vgl. Gs 8; Schlunke 9). Diese Anerkennung der quaestio facti wäre aber ein Verzicht auf die Lösung der höchsten (und eigentlichen) erkenntnistheoretischen Aufgabe. Wir meinen vielmehr, daß die Erkenntnistheorie durch die Auffindung und Rechtfertigung eines brauchbaren Wahrheitskriteriums Schiedsrichter werden kann über Wissenschaft und Nichtwissenschaft. Wenn RICKERT mit logischen Mitteln dennoch die Existenz eines bestimmten transzendenten Gegenstandes beweist, so bedeutet das zunächst einen selbständigen Versuch, die Gültigkeit der Einzelwissenschaft zu verifizieren - wir werden aber im Voraus sagen können, daß das gefundene Sollen nur ein Teil der uns möglichen Erkenntnis vom Transzendenten sein kann. RICKERT hat den Begriff der Erkenntnistheorie nach der formalen Seite hin verengt und damit den Begriff des Erkennens rationalisiert. In unserer Beschreibung des Erkennens deuteten wir aber schon an, daß auch noch in der Erkenntnisarbeit irrationale Momente eine Rolle spielen; nicht etwa nur in der Anerkennung der Irrationalität des Gegebenen (Gs 243).


9. Unser Erkenntniskriterium

Hier unterbrechen wir vorläufig unsere kritische Darstellung über die Möglichkeit einer logischen Transzendenzlehre, um uns auf die realistischen Ansichten, deren wir uns bei der Auseinandersetzung mit RICKERTs Transzendenzlehre bewußt wurden, zu besinnen und diese kurz anzudeuten. Vielleicht, daß bei dem Versuch, unseren eigenen Standpunkt für die Grundlegung einer realistischen Transzendenzlehre zu skizzieren, auch neue Schlaglichter auf RICKERTs Werk fallen.

Soviel sagten wir schon: Die Erkenntnis ist ein Erlebnis. Wir finden es vor in den mannigfachsten qualitativen und quantitativen Abtönungen: als Natur-, Gottes-, Lebenserkenntnis (qualitativ); als selbstverständliche, klare Einsicht, Wahrscheinlichkeit, Vermutung und noch in vielen anderen Gewißheitsgraden. Erkenntnisse im höchsten Gewißheitsgrad zu besitzen, ist Ziel des Erkennenden. Will er sich der Gründe bewußt werden, welche diese ideale Erkenntnisform bedingen, so muß er das Erkenntniserlebnis transzendental durchforschen. Nun gibt es einen abgekürzten Weg, um den Mann der Empirie in das Land des Transzendentalen zu führen. Es hat sich - vor aller Erkenntnistheorie - eine Erkenntnispraxis herausgebildet, welche meist unbewußt, doch mit Erfolg, ein Erkenntniskriterium anwendet, um zu erfahren, ob eine Erkenntnis von der oben beschriebenen Art ist. Es heißt: Übereinstimmung mit der Wirklichkeit. (vgl. auch HERBERT SPENCER, System der synthetischen Philosophie, Bd. 1, Grundlegung der Philosophie, 136f, übersetzt von VETTER). Wir brauchen die in dieser Formel enthaltenen Begriffe nur umzudeuten, um Erkenntnistheoretiker zu sein. Was heißt "Übereinstimmung?" Was: "Wirklichkeit"? Jene Formel wird sich, um das Ergebnis vorweg zu nehmen, mit "Denken" und "Erfahrung" übersetzen lassen. Weil es erst später erwiesen werden soll, fragen wir jetzt erst einmal nach der Anwendbarkeit dieses Erkenntniskriteriums.


10. Seine Anwendbarkeit.

Man wird uns sofort dreierlei entgegenhalten: daß dieses Kriterium in praxi gar nicht immer angewandt wird; und schließlich, daß es nicht immer angewandt werden kann. Wir antworten zunächst auf die beiden ersten Einwände.


11. Widerlegung von Einwänden

a) Das Kriterium wird nicht angewandt.
Übereinstimmung mit der Wirklichkeit bedeutet soviel: als daß eine Übereinstimmung mit der Wirklichkeit nachgewiesen werden könnte. Es fällt keinem Menschen ein, die Lösung der Aufgabe 7 + 5 nachzählend zu überprüfen. Die Zahl 12 führt also ein ganz ideales Dasein. Ob sie aber nicht bloß eine Abstraktion ist von einem erfahrungsmäßig gewonnenen Sachverhalt, ob sie nicht bloß ein denköknomisches Mittel ist, ist noch nicht erwiesen.

Wenn RICKERT gegen die Erklärung, die Wissenschaftlichkeit einer Erkenntnis beruth auf ihrer Übereinstimmung mit der Wirklichkeit, einwendet: Es könne nicht auf die Reproduktion der Wirklichkeit ankommen (Zw 175f; Gr 33f, 117, 211, 213, 591; KuNa 28f), so gebe ich ihm völlig recht. Denn ein vollständiges Abbilden der Wirklichkeit ist unmöglich. Auf ein Abbilden der Wirklichkeit kommt es aber durchaus nicht immer an. (vgl. Volkaest 493) Wir halten es für ein sehr großes Verdienst RICKERTs, die Naturwissenschaft vor der Realisierung ihrer Begriffe gewarnt zu haben; d. h. ihr die Unmöglichkeit einer Übereinstimmung von Begriff und Wirklichkeit vorgehalten zu haben. - Erstens heißt es aber, gegen einen fingierten positivistischen Gegner kämpfen, wenn man nicht müde wird, zu wiederholen, daß die Wissenschaft kein Abbilden der Wirklichkeit ist (Gesch 61; Gr 586). Es ist übertrieben, der Naturwissenschaft einen Begriffsrealismus anzudichten und zu meinen, sie halte den Atom-Begriff für das Abbild einer Realität, einer Wirklichkeit (Gr 81, 584f) ("Eine wirkliche Welt, die vom Inhalt unserer Begriffe so, wie sie ist, reproduziert wird, gibt es eben nicht, oder wir wissen zumindest nichts von ihr." Gr 591) Abgesehen davon, daß RICKERT sogar vom Atom-Begriff spricht, weiß die Chemie recht wohl, zwischen einer Realität der Elemente und der Theorie von den Atomen zu unterscheiden. Die Atomtheorie ist für sie nichts mehr als eine fruchtbare Arbeitshypothese. Zudem ist es fraglich, ob die fortgeschrittenste Naturwissenschaft nur noch mit Begriffen zu tun haben wird. Hinter RICKERTs Darlegung über das Verhältnis von Naturwissenschaft und Wirklichkeit steht die Voraussetzung, daß die Naturwissenschaft ihr Ziel in einer Begriffswelt habe (Gr 584), womit übersehen wird, daß die Begriffe für die Naturwissenschaft nur Mittel sind (vgl. auch Gesch 74; Theorie 278, 297). (Nur aufgrund der kantischen Definition von Natur - Gr 168, 224, 619; KuNa 16, 148 - verbunden mit der eben erwähnten Meinung, das letzte Ziel der Naturwissenschaft sei eine Begriffswelt - Gr 61f, 69, 76, 197; Theorie 301, 312 - kann RICKERT eine "Übereinstimmung unseres Denkens mit der absoluten Wirklichkeit" für unmöglich erklären (Gr 583).

Zum andern: Kann denn nur auf dem Weg der völligen Reproduktion eine Übereinstimmung mit der Wirklichkeit herbeigeführt werden? Dies vielmehr scheint mir wesentlich zu sein, daß eine echte Wissenschaft nicht in Widerspruch gerät mit der Wirklichkeit. Und das erfährt sie dadurch, daß sie das Ergebnis einer Gedankenkombination in der Wirklichkeit aufsucht, etwa durch das Experiment, und nur eine widerspruchslose Erklärung eines gegebenen Phänomens verlangt. Beispiel dafür ist die Chemie. Als PRIESTLEY durch Wägung gefunden hatte, daß eine Oxydation kein Entweichen des Phlogiston, sondern ein Hinzukommen von Sauerstoff ist, da war ihm klar, daß auch alle übrigen Oxydationsvorgänge so verlaufen. Alle konnte er natürlich nicht ausprobieren. Die Tausende von Analysen, die seitdem mit Ausdauer durchgeführt wurden, wie sie dem Chemiker eigen ist, sind wahrscheinlich auch noch nicht die Untersuchung aller Oxydationsprozesse - aber sie haben der Hypothese nicht widersprochen, sondern sie immer nur bestätigt. Das nennen wir eine Übereinstimmung mit der Wirklichkeit. Es handelt sich dabei also gar nicht um ein völliges Nachbilden. - Und warum gebe ich dieser Erkenntnis des empirischen Subjekts den Vorzug? Weil ich darin schlechthin Unbezweifelbares durch Formen der Notwendigkeit verbunden sehe. Ein Erkenntnisprozeß, der mit der Wirklichkeit in Übereinstimmung bleibt, kann geprüft werden mit einem Erkenntniskriterium, dessen Anwendbarkeit axiomatische Einsichtigkeit verbürgt. Ich werde mich später noch eingehend dazu äußern.

Wenn also jemand das chemische Gesetz der multiplen Proportion bezweifelt, so müßte ihm der Wertphilosoph antworten: "Du bist im Irrtum; denn ich habe die Überzeugung, daß dieses allgemeine Gesetz unbedingt gilt (Gr 567); ich habe ein Recht auf den Glauben an unbedingte allgemeine Sätze. Es liegt im Sinn des Gesetzesurteils, für alle Fälle zu gelten; das Evidenzgefühl zeigt mir die Unbedingtheit des Sollens für dieses Urteil an." Wir würden dem Zweifler dagegen antworten: "Sieh zu, ob dein zweifelndes Urteil mit der Wirklicheit übereinstimmt. Wird dein Zweifel bestätigt, haben auch wir Gewinn davon."

b) Es braucht nicht angewandt zu werden.
Hier wird man mich mit Recht darauf hinweisen, daß mein Kriterium gerade an diesem Punkt untauglich wird: es ist ja gar nicht nötig, die Übereinstimmung mit der Wirklichkeit immer herbeizuführen. Gerade dieses Beispiel beweist ja, wie sehr besonders die Naturwissenschaft an die Allgemeingültigkeit ( damit an empirisch Unerfahrenes) glaubt. Daraufhin bemerken wir, daß die Naturwissenschaft gar nicht so auf die Unbedingtheit ihrer Gesetze pocht, wie es RICKERT darstellt (Gr 63, 567). Vor alle gesetzlichen Feststellungen muß man sich doch ein "soviel wir wissen" gesetzt denken. Für RICKERTs Wertlehre ist folgendes Urteil in seiner Allgemeinheit allerdings von großer Wichtigkeit:
    "Ja, gerade das ist für uns wichtig, daß auch die Begriffe, die durch die Analyse eines einzelnen Falles gebildet sind, in der Naturwissenschaft von allem absehen, was sich nur an diesem einzelnen Fall findet, und daher ebenfalls generalisieren." (Gr 63, 212)
(In Gr 108 ist dieser Satz nur auf die Mechanik angewandt.) Indessen steht man beispielsweise in der Bakteriologie solchen Begriffsbildungen etwas skeptischer gegenüber - besonders seitdem man, z. B. in der Chemie, die Folgen einer solchen Generalisierung am BERTHELOTschen Prinzip und anderen zu raschen Begriffs- und Gesetzesableitungen erfahren hat. Nun ist aber gar nicht zu leugnen, daß die Mechanik z. B. aus einem einzigen, wenn auch oft wiederholten Experiment ein Gesetz ableitet. (vgl. auch KuNa 41, 44) Diesem Gesetz wird dann eine allgemeine Geltung zugesprochen. (Übrigens ein Beweis dafür, daß das Wort Gelten nicht nur in Bezug auf einen Wert einen Sinn hat.) Ist das nicht ein ganz und gar problematisches, unwissenschaftliches Verallgemeinern? Es bestand ja nur in einem einzigen Fall eine Übereinstimmung mit der Wirklichkeit! Doch sollte man sich nicht verblüffen lassen. Was heißt den "ein Experiment"? Das Denken spitzt, wie wir später noch erläutern wollen, ein bereits vorhandenes, wenn auch nur vermutungsweise vorhandenes Allgemeines auf einen einzigen Fall zu. In der Absicht, die Wirkungsweise der Natur an diesem einzigen Fall zu erproben, überrascht der Physiker die Natur. Bestätigt sie seine Vermutung, dann formuliert er daraus ein Naturgesetz, das ihm schon in groben Umrissen vorschwebte. Und zwar tut er es mit noch größerem Recht, als etwa ein Reicher, der deshalb glaubt, einen guten Verwalter zu haben, weil dieser gerade während einer Revision seine Geschäfte in Ordnung hatte; denn die Natur zeigt in all ihrer Mannigfaltigkeit eine gewisse Konstanz. Man sagt, von den Blättern eines Baumes gleiche keines dem andern: ihre anatomische Struktur aber ist dieselbe. Im Wechsel der Jahreszeiten liegt eine gewisse Beständigkeit. Im Ablauf von Naturereignissen, wie in der Aufeinanderfolge von Blitz und Donner, ist Regelmäßigkeit zu erkennen. Das erleichtert den Analogieschluß und gibt einer Stichprobe gesetzgebende Kraft.

Wenn wir SIGWARTs Unterscheidung von klassifizierender und konstruierender Begriffsbildung anwenden wollen, so haben wir es in den Naturgesetzen mit konstruierten Begriffen zu tun. Ermöglicht wird die Konstruktion durch den Umstand, daß die Erfahrung gezwungen wurde, auf eine ebenso bestimmte wie beliebige Frage eine Antwort zu geben. Daher kommt es ja auch, daß aus Erscheinungen, deren Entstehungsbedingungen nicht bekannt sind, noch kein Naturgesetz abgeleitet werden kann. Damit hängt ferner zusammen, daß die Biologie, die an ihren Objekten weniger Konstantes vorfindet als die Mechanik, auch mit der Aufstellung von Naturgesetzen vorsichtiger sein muß. Und für die Geschichte, welche vorsätzlich alles nur unter dem Gesichtspunkt des zeitlichen Verlaufs betrachtet, worin, wie auch RICKERT feststellt, die Wirklichkeit niemals wiederkehrt, ergibt sich, daß sie überhaupt niemals zu Naturgesetzen kommen kann. (vgl. hierzu die ebenso intuitive wie unbarmherzige, doch nicht unbeachtliche Kritik, welche FRITZ MAUTHNER an den "Grenzen" übt; Wörterbuch der Philosophie, Bd. 1, Seite 419) Die ganze "analysierende" Methode ist eben auf Historisches gar nicht anwendbar. Es liegt im Wesen des Vergangenen, daß es nicht wiederholt werden kann. (Log IV 296) Mit Experimenten ist an die Geschichte einmal nicht heranzukommen. Den Historiker kann nur interessieren, daß etwas (RICKERTs Individuum) einmal war. Er entdeckt immer, aber er erfindet nie. Er ist viel enger an die Wirklichkeit gebunden, die er einfach hinnehmen muß. Er hat stets mit dem ganzen Komplex von Ursachen zu tun, die er nicht willkürlich einschränken kann, wie wenn ein Naturwissenschaftler den Rezipienten evakuiert und darin einmal Versuche anstellt. Der Historiker weiß nur, was war; weil er nicht wissen kann, wie es geworden wäre, wenn eine Ursache nicht mitgewirkt hätte. Mathematisch gesprochen: der Historiker hat mit den ihm gegebenen Elementen höchstens Kombinationsmöglichkeiten; der Naturwissenschaftler aber kann die seinen variieren.

Trotz alledem muß zugegeben werden, daß in jener naturwissenschaftlichen Analogiebildung ein Kompromiß liegt zwischen Erfahrung und Denken zugunsten des letzteren. (vgl. auch RIEHL 93; VolkED 75 und 80 samt den zitierten Stellen aus KANTs "Kritik der reinen Vernunft" und den Prolegomena. "VolkQ" 29 über das Ergänzen des Erfahrenen durch Nichterfahrenes.) Da es der Erkenntnistheorie einmal gleichgültig sein soll, ob der menschliche Geist das Recht zu einer solchen Verallgemeinerung aus der tagtäglichen Erfahrung ableitet oder ob es sich hier um eine stereotype geistige Erkenntnisform handelt, so ist jedenfalls hier der Ort, als begriffliche Bedingung dieser Tatsache eine Verstandeskategorie einzuführen: etwa die der Analogie oder der Notwendigkeit. ("Notwendig sein für eine Erkenntnis" und "notwendige Erkenntnis" sind natürlich auseinanderzuhalten.) Hier sind wir vorläufig an die Grenze der Anwendbarkeit unseres Kriteriums gekommen. Das war der Grund, unser Kriterium so zu formulieren, daß es eine Übereinstimmung mit der Wirklichkeit bedeutet: "die Erkenntnis muß mit der Wirklichkeit in Übereinstimmung gebracht werden können." Das bloße der Wirklichkeit nicht widersprechen' genügt nicht, weil eine metaphysische Theorie in der Wirklichkeit vielleicht gar nicht begründet ist, also auch nicht an ihr gemessen werden könnte.

Ich habe mir jedoch noch nicht völlig klar werden können, ob es wirklich nötig ist, an dieser Stelle eine Kategorie einzuführen. Soviel ist uns aber gewiß, daß verpflichtende Normen etwas grundsätzlich Anderes sind als solche Verallgemeinerungen, wie sie in Naturgesetzen vorliegen. Es heißt: psychologische Tatsachen mißachten, wenn man logische Notwendigkeit und Allgemeingültigkeit etwa mit der ethischen zusammenbringt; - was dies für eine Transzendenzlehre bedeutet, wollen wir später zeigen.

c) Es kann nicht angewandt werden.
Um uns aber gleich noch an eine andere Grenze der Anwendbarkeit unseres Kriteriums zu führen, wird man uns sofort fragen: Ja, ist denn die Wirklichkeit überhaupt erkennbar? Und damit kommen wir zum dritten Einwand. Gerade, weil wir von der Allgemeingültigkeit der Erkenntnis gesprochen haben, könnte man schwere Bedenken gegen die Möglichkeit einer Wirklichkeitserkenntnis äußern und sich dabei auf KANT berufen; wonach z. B. Notwendigkeit, Kausalität, Substanz und Dasein Kategorien denknotwendiger Art sind; mit anderen Worten: es könnte geltend gemacht werden, daß wir in der Wirklichkeit mit einem Gegenstand rechneten, der vom Denken erst erzeugt wird. Die Notwendigkeit der Kategorie Substanz könnte hiernach als Grund gegen die von uns anerkannte Realität der Außenwelt angeführt werden. Wenn wir darauf antworten wollen, müssen wir uns der Problem-Dreiheit bewußt werden, die in jener Frage steckt. Wirklichkeitserkenntnis ist das Produkt dreier Faktoren:
    1. Aus dem, was uns die einzelnen Sinne von der Wirklichkeit berichten. (Von der Glocke, daß sie klingt, sich kalt anfühlt, vom Kopfschmerz, vom Gefühl der Niedergeschlagenheit.)

    2. Aus dem, was alle Sinne zugleich wahrnehmen: daß die Objekte außerhalb ihrer da sind;' die äußeren Sinne (auch die im Leib vorhandenen Empfindungsorgane) nehmen - als im Raum angebracht - ihre Objekte als physisch seiend wahr, die inneren ihre als unräumlich, psychisch (im Sinne von immanent) seiend. (NB. Der Begriff des Physischen als des real Wirklichen hat ansich nichts zu tun mit einer naturwissenschaftlichen Begriffsbildung / vgl. auch Fest 78; Gr 142)

    3. Aus denknotwendigen Formen, welche den Objekten vom Subjekt gegeben werden (Kategorien: Einheit, Kausalität).
Alle drei werden verarbeitet vom denkenden Subjekt. Sobald das Denken aber nur mit den unter 3 genannten Mitteln arbeitet, kommt es zu Formobjektivationen, die oft irrtümlicherweise für wirklich, oft sogar für real wirklich gehalten worden sind, womit sich aber nur der einseitige Subjektivismus schadlos halten muß. (vgl. Log I 5, 20) Logik, Phänomenologie, Gegenstandstheorie vollziehen solche idealen Objektivationen von Formen und von inneren Wahrnehmungen bewußt zu Erkenntniszwecken. Im Übrigen geben wir gar nicht etwa vor, diese drei Punkte vollständig behandeln zu können. Wir beschränken uns bei der Behandlung der Denkformen auf diejenigen, welche für die Transzendenzlehre von Bedeutung sind. Dabei wird es uns darauf ankommen, streng zu scheiden zwischen Denkform und Gegenstandsbestimmtheit, also zwischen dem, was in obiger Aufstellung unter 1 und 2 und dem, was unter 3 gehört. Dies trifft von allem die Kategorien des Seins (des Daseins, des Gegebenseins, der Substanz), deren Notwendigkeitscharakter von RICKERT als Wertgeltung transzendiert wird. Bei RICKERT findet sich wohl auch in seiner Kategorienlehre die Unterscheidung von Formen des Seins und Gegebenseins; ob sich aber RICKERTs ganze übrige Polemik gegen das Sein nicht eigentlich gegen die reale Substanz (= reale Wirklichkeit, ungleich: seiende Wirklichkeit) richtet, wird uns noch zu beschäftigen haben. Wir selbst werden uns mit der realen Substanz bei der Besprechung von RICKERTs positivistisch-konszientalistischer Tendenz abfinden. Da wir auf den unter 2 genannten Faktor ebenfalls später zurückkommen, beschäftigen wir uns jetzt nur noch kurz mit dem ersten.

Hier müssen wir also dem Einwand begegnen, daß eine Erkenntnis der Wirklichkeit nicht möglich ist, weil unsere vermeintlichen Wirklichkeitserkenntnisse nicht allgemeingültig sind. Dieser skeptische Einwurf ist ja ein Grundbestandteil der antiken Erkenntnislehre und wurde in der nach-mittelalterlichen Philosophie seit GALILEI immer wieder geltend gemacht: als Subjektivität der Sinnesqualitäten.

Kein Zweifel - daß hier die Erkenntnistheorie vor einer psychologischen Tatsache steht. Nur haben wir Folgendes darauf zu antworten: Zunächst einmal kommt es der Wissenschaft nicht immer auf Sinnesqualitäten an (vgl. Fest 80; VolkED 408). Wir sind sogar überzeugt, daß ein großer Teil z. B. aller Naturwissenschaft bestehen könnte ohne Bestimmung der Sinnesqualitäten. Was tut es der Physiologie, ob ein Gefäßbündel grün oder gelb aussieht? es könnte auch farblos sein. - Oder wird die Anatomie dadurch beeinträchtigt, daß die Haut - wie moderne Maler behaupten - ein blaues Od hat? Ist etwa die Wahrnehmung, daß in einem Fall überhaupt eine Reaktion eintritt - eine ungeheuer wichtige chemische Erkenntnis - von Sinnesqualitäten abhängig? Und die Mathematik, die ja noch heute von vielen für die einzig wahre Wissenschaft gehalten wird, ist gleichfalls unabhängig davon, eben weil sie eine quantifizierende Wissenschaft ist. Es kommt hier ja nur auf Verhältnisse an. Es schadet nichts, wenn einem andern die Strecke für 1,20 m erscheint, die ich für 1 m lang halte; wenn es sich um die Länge dieser Tafel handelt, sieht jener auch diese Tafel 2,40 m lang, die für mich nur 2 m lang ist. Wir werden beide sagen, sie hat zwei Längeneinheiten. - Und wo die Wissenschaft von Sinneswahrnehmungen abhängig ist, da tut ihr deren Subjektivität keinen Abbruch. Wer dasselbe als blau empfindet, was wir als rot wahrnehmen, der nennt eben alles zu aller Zeit rot, was uns, hätten wir seine Augen, als rot erscheinen würde. Es ist ihm ja von früh auf so gesagt worden. Wir würden, unbeschadet dieses natürlichen Unterschiedes, beide von Colchium autumnale sagen, daß es rötlich blüht.

Ein weiterer Teil aller Wissenschaft könnte betrieben werden, selbst unter der Voraussetzung, daß die schlimmste Art von Verwirrung der Sinnesqualitäten unter mehreren Menschen bestünde. Es könnte sein, daß das Ohr eines Akustikers dort das Kontra-C hört, wo ein anderer Forscher ein viergestrichenes B vernimmt, daß in seinem Ohr also nur die geringe Zahl von Schwingungen bestünde - die wichtige Feststellung, daß alle Gehörswahrnehmungen durch Schallwellen erzeugt werden, wäre dann immer noch möglich.

Wir setzen dabei die Konstanz der einmaligen Anlage voraus. Wenn jemand von Geburt an zwei spezifische Farben nicht unterscheiden kann, also farbenblind ist, dann befindet er sich allerdings in einem abnormen Zustand; ebenso aber derjenige, dessen Konstitution im Leben wechselt. Daß aber Wissenschaft noch betrieben werden kann, selbst wenn die zwei wichtigsten Sinne, mit ihnen natürlich die Sprache, ihren Dienst versagen, sollten die Erörterungen über das Problem der Dreisinnigkeit (HELEN KELLER) lehren.

Schließlich könnte man den dritten Einwand erneuern und uns entgegenhalten, daß unser Kriterium nicht auf alle Wissenschaften angewandt werden kann, z. B. nicht auf gewisse Teile der Rechtswissenschaft. Daraufhin verweise ich auf eine spätere Erörterung über die verschiedenen Arten von Erkenntnis und meine allerdings, daß eine streng wissenschaftliche Erkenntnis nur eine solche sein kann, welche an der Wirklichkeit meßbar ist (die Geschichte z. B. an Urkunden, die Sprachwissenschaft an Handschriften usw.). Nur sie können darauf Anspruch erheben, Wahrheit zu finden. Auf alle anderen Wissenschaften ist dieser Begriff gar nicht anwendbar, sondern nur der der Richtigkeit oder Falschheit. Und ist es nicht auffällig, daß die Sprache "Wahrheit und Recht" nebeneinander stellt?


12. Rickerts Transzendenzlehre ruht auf
dem Gegensatz von richtig und falsch.

Und gerade von hier aus eröffnet sich eine neue Perspektive auf RICKERTs Lehre von der Transzendenz und damit auf seine ganze Erkenntnistheorie. Sie ruht tatsächlich nicht auf dem Gegensatz von wahr und unwahr, sondern auf dem von richtig und falsch. Den Grundstein zu RICKERTs ganzem Erkenntnisbau, der als Fortsetzung von RICKERTs Urteilslehre erstanden ist (Vorwort zur ersten Auflage), bildet der Satz: "Was den Akt des Erkennens betrifft, so besteht im allgemeinen Übereinstimmung darüber, daß wir nur mit Urteilen erkennen, denn von Urteilen allein sagt man, daß sie wahr oder falsch sind. (Zw 181; Log III 231; Gr 350, 590; Theorie 306; ähnlich Gs) Daraus leitet RICKERT ab: "Erkennen ist, mit Rücksicht auf die Wahrheit, nicht Vorstellen, sondern Bejahen und Verneinen." (Zw 182) Und da "der Inhalt der Erkenntnis für eine Wissenschaft von der Wahrheit noch kein Problem enthält", so kann "die Erkenntnisform nur in Verindung mit der Bejahung dem Denkakt Wahrheit verleihen und ihn so zum Erkennen machen." (Zw 182)

Wir müssen daran zweifeln; denn ein Urteil kann in seiner Form der Bejahung und Verneinung nicht wahr oder unwahr sein, sondern nur richtig oder falsch. Wahr oder unwahr kann nur der Inhalt eines Urteils sein, je nachdem, ob er mit der bezeichneten Wirklichkeit übereinstimmt. Die Wahrheit ist enthalten in der Form "es ist so", die Richtigkeit aber in dieser: "es muß" oder, wie RICKERT sagt, "es soll so sein". (vgl. Zw 214f) Daß der Satz der Identität eine logische Voraussetzung der Tatsachenurteile ist, bezweifle ich nicht. Eine logische Voraussetzung braucht aber nicht die einzige erkenntnistheoretische Erklärung zu sein. Daß der Satz der Identität für unser Wahrheitskriterium, insonderheit für die Lehre von der Transzendenz, sehr bedeutsam ist, werden wir bei der Besprechung des psychischen Aktes unmittelbarer Erfassung sehen. Es verdient aber doch Beachtung, wie RICKERT mit den Sätzen der Identität und des Widerspruchs arbeiten muß, um ein wirklichkeitsverachtendes Wahrheitskriterium zu schaffen. Beide Sätze sind jedoch nur Denkgesetze, die nur im Erkenntnisbereich des Denkens gelten können. Die Denkgesetze sind eben auch nur richtig - nicht wahr. Wir stoßen hier wieder auf eine Konsequenz von RICKERTs logischer Tendenz. In der Verwechslung von Richtigkeit und Wahrheit rächt sich eben die Logisierung der Werte.

Daß RICKERT den Wahrheitsbegriff im obigen Zusammenhang schon voraussetzt, dürfen wir ihm nicht vorwerfen, da diese petitio principii [Es wird vorausgesetzt, was erst zu beweisen ist. - wp] von RICKERT bewußt, als von einer "transzendental-psychologischen" Methode unumgänglich, vollzogen worden ist (Zw 192, 226). Interessant ist aber nun zu beobachten, durch welche vorbereitenden Schachzüge RICKERT nach den oben zitierten Sätzen die entscheidende Konstellation herbeiführt, wonach er doch das Spiel gewinnen muß. Sind aber diese Züge auch alle berechtigt? - Den ersten Schritt haben wir im Vorstehenden nicht für erlaubt erachten können. Daß es für die Erkenntnis auch darauf ankommt, was bejaht und verneint wird, haben wir auch schon hinzugesetzt (Zw 186). Und nun weiter: "Erkennen ist ... Bejahen und Verneinen" (Zw 182). "Die Bejahung" "steht" "zur Form in engster Beziehung" (Zw 183); wenngleich der Formbegriff umfassender ist als der der Bejahung. Jedenfalls enthält der Inhalt kein erkenntnistheoretisches, d. h. kein Formproblem (Zw 183). Demnach ist das Erkennen ein Bejahen der Form (Zw 184). - Aus der Tatsache also, daß Bejahen und Verneinen zur Form des Erkennens gehören, wird gefolgert, daß Erkennen ein Bejahen der Form ist.

Wenn wir diesen Schluß richtig vollziehen wollten, also ohne Erkenntnistheorie und Erkennen zu verwechseln, müßten wir sagen: eine Erkenntnistheorie, die es nur mit den Formen des Erkennens zu tun hat, hat sich mit Bejahen und Verneinen, den Formen des Erkennens, zu beschäftigen. - Parturiunt montes! [Der Berg kreißt (und gebiert eine Maus)! - wp]

Hier sehen wir die Logik am Ende ihrer Möglichkeiten. Jetzt soll aber erst der entscheidende Schritt kommen: Der Gegenstand der Bejahung und Verneinung soll bestimmt werden. Wenn wir jetzt einmal annehmen, daß das Erkennen ein Bejahen der Form ist, so kann die Logik noch soviel mit Recht behaupten: der Gegenstand muß dasjenige sein, was bejaht wird (Zw 184). Was aber wird bejaht? (Zw 186) Diese Antwort muß die Logik unter allen Umständen schuldig bleiben. Wenn nicht, dann muß ihr jemand geheime Hilfe geleistet haben. Und RICKERT findet eine Antwort: "Der Gegenstand muß an das erkennende Subjekt als eine Forderung herantreten, d. h. als etwas, das Zustimmung verlangt". "Das, was erkannt wird, d. h. im Urteil bejaht oder anerkannt wird, muß in der Sphäre des Sollens liegen." (Zw 184) Und warum? Weil "die Bejahung ein dem Wollen verwandter Akt der Stellungnahme ist." (Zw 184) (Selbst wenn RICKERT, wie er als Beispiel in Log III 241 anführt, "das Wesen des Urteils im Bejahen der Zusammengehörigkeit von Form und Inhalt" fände, so wäre mit dieser kriteriumslosen Formel der Wissenschaft nichts geholfen, es wäre ihr nur eine Selbstverständlichkeit gesagt worden. Vgl. auch Gr 590f: "Eine direkte Wertung von Seiten des Subjekts, eine Anerkennung des Zusammengehörens von Form und Inhalt ...")

Falls wir nun noch an anderer Stelle auf psychologische Einflüsse in Bezug auf RICKERTs Lehre von der Transzendenz stoßen sollten, so möchten wir sie, ebenso wie die damit verbundene Auseinandersetzung über RICKERTs Lehre vom Primat der praktischen Vernunft, mit der eben gewonnenen Einsicht in Zusammenhang gebracht wissen.

Damit haben wir aber erst den einen der beiden RICKERTschen Wege zur Erkenntnistheorie gedacht. RICKERT hat nicht etwa übersehen, daß der Begriff des Wahren nicht wahllos angewandt werden darf. Das geht aus seiner Beschreibung des zweiten Weges hervor. Er beginnt "Wahr kann nur das sein, was verstanden wird, und dieses etwas ist etwas prinzipiell anderes als das Verstehen." (Zw 194) Freilich bekommt dieses Etwas bei RICKERT - entsprechend der logischen (anti-psychologischen und konszientalistischen) Tendenz seiner Erkenntnistheorie - einen ganz besonderen Sinn: den der "Bedeutung" (Zw 195). "Diese Bedeutung ist es allein, die eigentlich wahr sein kann und um derentwillen dann der Satz wahr ist, an dem sie haftet." (Zw 195) Nun läuft RICKERTs "transzendental-logische" Erörterung über die "Wahrheit" (in Zw) auf eine Unterscheidung von psychischem Sein und zeitloser Geltung hinaus. Und für die letztere spart er das Prädikat "wahr" auf. Das Wesentliche der Wahrheit wird aber meiner Meinung nach nicht durch eine Unterscheidung von "Gedanke" und "Denkakt" gefunden. Der Sinn des "Wahren" enthält vielmehr eine Beziehung zur Wirklichkeit. (Wer hier etwa einwirft, wir treiben einen fruchtlosen Wortstreit um die Begriffe richtig und wahr, den müßten wir nachdrücklich darauf hinweisen, daß es sich hier tatsächlich um zwei verschiedene Kriterien handelt; denn im RICKERTschen Wahrheitskriterium sehen wir nur ein Richtigkeitskriterium.) Wir setzen jenen Gedankengang bei der Besprechung der anti-psychologischen Tendenz in RICKERTs Lehre von der Transzendenz fort.


13. Diese Verwechslung ist eine Konsequenz
der formal-logischen Tendenz.

Daß die ungenügende Scheidung der Begriffe "wahr" und "richtig" bei RICKERT nur eine Folge seiner logischen Tendenz ist, springt in die Augen. Die Überschätzung der Logik hat ihn dazu geführt, die Formelemente der Logik auch zu Elementen der Erkenntnistheorie zu machen. Es mag heute niemand mehr daran zweifeln, daß die logisch einfachste Erkenntnisform das Urteil ist: ob das Urteil als Form damit zum unentbehrlichen oder gar einzigen Urbestandteil der Erkenntnis selbst geworden ist, ist doch immer noch nicht entschieden. Zumindest dürfte in diesem Fall - wie wir später noch betonen werden - das Urteil nicht als bloße Form, sondern mit seinem ganzen Gehalt als erkenntnisschaffendes Element eingesetzt werden. Ja, wir können nicht begreifen, wie das logische Element dessen, was wir als Erkenntnis beschrieben haben, ein Urteil sein soll. Selbst wenn wir alle Grade der Wahrscheinlichkeitserkenntnis und der phantasiemäßigen Gestaltung - der wir übrigens eine hohe Bedeutung für die Erkenntnisleistung beimessen - außer acht lassen, selbst dann vermögen wir in einem solchen Akt des Einsehens nicht immer den Sinn eines Urteils zu entdecken. Wir betonen nachdrücklich, daß wir dem Urteil nicht deshalb den Wert als erkenntnistheoretischer Grundform des Erkennens absprechen, weil es Erkenntnisse gibt, die tatsächlich nicht als Urteile ausgesprochen, auch psychologisch nicht in Urteile gefaßt, nicht innerlich reflektiert und gesetzt sein müssen - das wäre "unlogisch" gedacht - sondern deshalb, weil wir in der logischen Struktur des Erkennens und der Erkenntnis nicht immer die Urteilsform sehen können. (Zum Beispiel nicht in einem "nacherlebenden Verstehen einmaliger und individueller Vorgänge." Gr 478. Vgl. auch Log IV 308) Sehr vorsichtig drückt sich RICKERT aus, wenn er das Urteil auch zur psychologischen Bedingung des Gegebenen machen will:
    "Ich komme doch, solange ich bei der bloßen Vorstellung bleibe, damit nie in das Gebiet der Erkenntnis, auch nicht zur Konstatierung einer Tatsache oder zu der Wahrheit, daß etwas ist." (Zw 181)
Ich gebe das ohne Weiteres zu. Zugestanden aber, daß alles Denken in Urteilen wurzelt, ist doch das Urteil noch nicht das Erkenntniselement, weil nicht alles Erkennen ein Denken ist, zumindest nicht im Sinne RICKERTs (vgl. Gs 185 "Denken, d. h. Urteil"); und weil wir noch zeigen werden, daß es auch nicht bloß "Denken" ist im gewöhnlichen Sinn des Wortes; also nicht nur ein Begriffebilden, Urteilen und Schließen, das mit den Mitteln der formalen Logik ohne weiteres nachkonstruierbar ist. - Ebensowenig vermag ich einzusehen, daß sich die Daseinspsychologie des Urteilens an der Logik zu orientieren hat (Log III 242, 244), da ich überzeugt bin, daß sich alle logischen Abstraktionen, auch die logischen Sinngebilde, von der Psychologie aus nur als nachträgliche Über- oder Unterbauungen psychologischer Tatsachen erweisen, die nun den Anschein erwecken, als seien sie die eigentlichen Konstituenten der erfahrenen Tatsache. Wir sagen im Gegensatz zu RICKERT: die Psychologie braucht die Logik nicht. Was ihr erreichbar ist, nimmt sie; natürlich auf ihre Weise, ohne dabei den Anspruch zu erheben, alle Gegenstände der Logik erfassen zu können (vgl. dazu Gr 157). Der Logiker richtet seinen Blick immer auf die innere starre Skelettierung des Psychologischen und maskiert das Psychische für seine Zwecke (vgl. auch Gr 521: "Der unwirkliche Sinn wird ebenso unmittelbar "erlebt" wie die empirische Realität ..." Ferner Log III, 245: Die Psychologie braucht Fühlung mit der Logik.) - Psychologisch können wir sogar deuten, welchen logischen Sinn es hat, jedes einzelne Gegebene erst unter der Form eines Existentialurteils gegeben sein zu lassen; denn es gehört zu jeder Wahrnehmung ein Anerkennungsakt, worin - wie in der Jurisprudenz - durch ein Urteil ein Rechtssatz als in diesem Fall geltend anerkannt wird. So vieles trifft auf unsere Sinne, was aber nicht bewußt wird, weil es vom Subjekt nicht ausdrücklich als vorhanden festgestellt, nicht beachtet wird. Dieses Anerkennen könnte man ein primitives Urteilen nennen - freilich könnte ebensogut - im Gegensatz dazu - gesagt werden, daß alles Urteilen auf primitive Anerkennungen des Seienden zurückgeführt werden kann. Jene Deutung ist aber einmal nicht für alle psychischen Erkenntniserlebnisse möglich, z. B. nicht für eine Vermutung. Zudem leugnen wir die Priorität des Logischen vor dem Psychologischen und sehen nicht den Zusammenhang speziell dieser formalen Auffassung des Gegebenen mit dem, was wir Erkenntnis nennen. Es scheint, daß bei RICKERT die logische Priorität zur Priorität des Logischen wird.


14. Das erkenntnistheoretische
Subjekt als Form.

Und so erklärt es sich, wenn bei ihm die Hauptgegenstände einer Transzendenzlehre zu bloßen logischen Formen werden. Damit scheint uns aber der Erkenntnistheorie nicht gedient zu sein. Wie sollen z. B. Begriffe (Gs 179) - willkürlich konstruierte formale Begriffe - fähig sein, die Wirklichkeit formgebend zu erzeugen? zu urteilen und eine Transzendenz anzuerkennen? Der Gedanke an HEGELs Selbstentwicklung der Begriffe drängt sich zu sehr auf, am stärksten wohl bei der Betrachtung von RICKERTs erkenntnistheoretischem Subjekt; denn dieses ist, wie es RICKERT selbst bezeichnet, eine Form. Daher sei jetzt dem erkenntnistheoretischen Subjekt, das für RICKERTs Lehre von der Transzendenz ein so hohe Bedeutung hat, unsere Aufmerksamkeit zugewandt.

Die Grundform der Erkenntnis hat RICKERT im Urteil gefunden. Den transzendenten Gegenstand der Erkenntnis hat er im Sollen festgestellt (vgl. auch Gs 199, 201, 244). Die Lage ist nunmehr ganz ähnlich wie dort, wo die Form der Wirklichkeit der Norm des Sollens gegenübersteht: es fehlt das verbindende Mittelglied. Es muß etwas geben, wovon aus das Transzendente gesehen wird, das allerdings nicht Objekt ist (Gs 26; Gr 132). Die Urteilsnorm muß durch ein Medium auf die Urteilsform bezogen werden. "Ohne ein erkennendes Subjekt gibt es Erkenntnis ebensowenig wie ohne einen Gegenstand." (Gs 83) Diesen Dienst leistet RICKERTs Subjekt, das natürlich auch nur etwas Formales sein darf und bei RICKERT zum Begriff wird. (Gs 29, 68; Gr 137) Ob es nötig war, das Subjekt gerade zu einem Begriff sich verflüchtigen zu lassen, bleibt hier unerörtert: es ist eine rein logische Frage. Wir weisen aber darauf hin, daß, wenn das Subjekt definiert wird als erkenntnistheoretisches Bewußtsein und dieses "nichts anderes bedeutet als das allen immanenten Objekten Gemeinsame oder ihre Form" (Gs 148; Gr 134, 137), es gerade auch aufhört, das zu bezeichnen, was das Eigentümliche am erkennenden Subjekt, an dem, was an das zu Erkennende herantritt, ausmacht. Gleichwohl sagt RICKERT von ihm, daß es bejaht und verneint (Gs 147, 192) und damit das Sollen anerkennt, also sich betätigt. Da wir nun nicht daran zweifeln, daß es möglich ist, auch von allem Immanenten (was RICKERT immanentes Subjekt nennt) die Form zu lösen, so vermuten wir, daß, wenn das Subjekt ein bloßer Begriff sein soll, dieser Begriff nicht richtig gebildet worden ist; mit anderen Worten: daß in dem Verfahren, wodurch der Begriff des "Bewußtseins überhaupt" gewonnen wird, RICKERTs logische Tendenz zu einer logistischen geworden ist. Verfolgen wir daraufhin, wie RICKERT zu seinem Subjektbegriff kommt (Gr 122f).


15. Die Bildung des
erkenntnistheoretischen Subjekts.

RICKERT geht davon aus, wie der immanente Subjekt - Objekt - Gegensatz als aus dem psychophysischen hervorgegangen gedacht werden kann. [...]
    "Es kann nicht nur die Seele oder das psychophysische Subjekt in seiner Gesamtheit als das percipiens im Gegensatz zu den Körpern oder den Objekten als dem perceptum aufgefaßt werden, sondern es läßt sich auch im psychologischen Subjekt selbst ein percipiens und ein perceptum, ein Subjekt und ein Objekt unterscheiden. Könnten wir nämlich nur unseren Körper und nicht auch unser Seelenleben zu einem perceptum, zu einem Objekt machen oder es objektivieren, so würde es auch keine empirische Wissenschaft von ihm geben. Auf der Möglichkeit einer Scheidung des Seelischen selbst in percipiens und perceptum beruth die Möglichkeit einer empirischen Psychologie." (Gr 136)
Soweit stimme ich mit RICKERT überein. Er fährt fort: "Das heißt aber nicht, daß dabei percipiens und perceptum dasselbe sind, denn das wäre logisch unsinnig." (Gr 136) Auch diese Behauptung erkennen wir natürlich an; bemerken aber vorsichtshalber, daß doch nicht feststeh, daß zum Wesen des Subjekts das Sich-immer-gleich-bleiben gehört. Es könnte doch so sein, daß in dem einen Erkenntnisakt dasjenige perceptum war, was im nächsten mit in das percipiens eingeschlossen wird. Das wäre ein wesentliches Merkmal, welches auch im Begriff des Subjekts nicht fehlen dürfte. Weil RICKERT diesen Zusatz aber nicht macht, kann er fortfahren: "Selbstwahrnehmung oder Selbstbeobachtung im strengen Sinn des Wortes sind ansich widerspruchsvolle Begriffe." Das ist ein starker Angriff auf die Psychologie. Wir werden ihn dort zurückweisen, wo wir auf das Verhältnis RICKERTs zu dieser Wissenschaft zu sprechen kommen. Es wird sich allerdings an dieser Stelle zeigen, daß etwas psychologisch Richtiges und für das Wesen des Erkennens sehr Bedeutsames in den Händen der formalen Logik zu etwas "Unsinnigem" (Gr 136) werden kann. - Ohne weiteres geben wir wieder zu:
    "Das Beobachtende muß stets etwas anderes sein als das Beobachtete, das percipiens stets etwas anderes als das perceptum sein. Jede Behauptung, die das nicht anerkennt, widerspricht dem Satz der Identität. Subjekt bleibt daher bei dem, was man Selbstwahrnehmung oder Selbstbeobachtung nennt, immer nur ein Teil des Seelenlebens, während ein anderer Teil das Objekt bildet, das wahrgenommen oder beobachtet wird, ebenso wie in der vorher betrachteten psychophysischen Reihe ein Teil des Leibes Objekt werden kann; während ein anderer noch zum Subjekt gehört. Um nun von hier aus zum Begriff des erkenntnistheoretischen Subjekts zu kommen, brauchen wir nur noch einen Schritt weiter zu gehen."
Das folgende hypothetische Urteil ist für uns wieder wichtig, da ihm die Meinung zugrunde liegt, als ob es eine feste abgeschlossene Welt der Immanenz gäbe, die sich ein für allemal teilen läßt, deren Teilungsgrund dem Psychologen aber niemals klar werden kann.
    "Sollen wir unser ganzes Seelenleben kennenlernen, so muß es möglich sein, jeden Teil des psychologischen Subjekts auch als Objekt, als perceptum zu betrachten, oder genauer: was nie zum Objekt in diesem Sinn zu machen ist, kann, weil es sich der empirischen Wissenschaft entzieht, auch nicht zu dem Subjekt gerechnet werden, das das Material der empirischen Psychologie bildet und gerade dies ist der Punkt, auf den alles ankommt." (Gr 136)
Da wir auf diese Entwicklung des Subjektbegriffs bei der Besprechung von RICKERTs Stellung zum Bewußtsein zurückkommen, bemerken wir nur, daß gerade der Punkt, auf den RICKERT alles ankommt, für uns nicht absolut zu gelten braucht. Es kann sich doch - in diesem Fall dem Psychologen - die Existenz von etwas anzeigen, von dem der Psychologe erkennt, daß er es nie erkennen kann - vielleicht gerade, weil es im Licht der empirischen Psychologie nichts mehr sein würde. Aber daß etwas vorhanden ist, was den Namen Subjekt verdient, das könnte er feststellen; auch ohne dieses verborgene Etwas dem Objekt auszuliefern.

Das, was un in diesem Zusammenhang interessiert, bringt RICKERT in Folgendem:
    "Einen Übergang zu dem von uns gesuchten dritten Subjektbegriff gewinnen wir nämlich dadurch, daß wir den Prozeß der Objektivierung des Seelenlebens immer weiter fortgesetzt denken, so daß, während das Objekt im Seelenleben sich immer mehr vergrößert, das Psychische im Subjekt immer kleiner wird, genau so wie in der vorher betrachteten Reihe das Physische allmählich aus dem Subjekt verschwand." (Gr 137)
[...] Wie aber kommt RICKERT dazu, sich den Objektivierungsprozeß einfach fortgesetzt zu denken? (Gr 137; Schlunke 65, 99, 102) Weshalb soll zwischen der Entstehung des psychologischen Subjekts und der Gewinnung des erkenntnistheoretischen Subjekts, das doch ein Begriff sein soll, eine Analogie bestehen? Abgesehen von dieser willkürlichen Feststellung sehen wir nicht die Logik dieser Methode ein. Es ist nicht der Weg einer logischen Begriffsbildung. Und RICKERT hat es doch auf ein Subjekt abgesehen, das weder eine transzendente noch eine immanente Realität ist (Gs 29, 49), das bloß Begriff ist. Man kann wohl aus einer Anzahl von Subjektbegriffen (Gr 135) zu einem Begriff dieser Begriffe kommen, nicht aber zu einem Gegenstand, der nur Begriff ist; der "nichts anderes als das allen immanenten Objekten Gemeinsame" ist (Gs 148). Daß hier ein logischer Fehler liegen muß, ließe sich voraussagen, wenn man bedenkt, daß hier aus psychologischen Subjekten etwas Unpsychologisches gewonnen werden soll. RICKERT wendet also keine logische Abstraktion an, sondern eine Verschiebung von Begriffen, die an das Differentiationsverfahren erinnert, das der Mathematiker anwendet, wenn er zur Grenze übergehen will. Insofern bezeichnet RICKERT sein Subjekt auch ganz treffend als einen Grenzbegriff (Gr 137; Gs 143). Offenbar hat sich hier die Schwierigkeit geltend gemacht, aus Subjekt - Objekt - Relationen einen Beziehungsbegriff abzuleiten, der mit jenen Subjekt - Objekt - Verhältnissen nichts mehr gemeinsam hat als den Namen. Ob dieses formale Subjektgebilde all die Momente enthält, die es enthalten müßte, um der Transzendenz den großen Dienst urteilender Anerkennung zu erweisen, brauchen wir hier nicht zu erörtern. Tatsächlich erweckt eine Erkenntnistheorie mit einem Begriff als Subjekt den Anschein, als ob sie auf ein totes Gleis gefahren ist. RICKERT würde aber darauf antworten, daß es ihm vorläufig nur auf eine begriffliche Ablösung der Form angekommen ist (Gr 137), die nicht alles zu enthalten braucht, was wir von unserem "unlogischen" Standpunkt aus für das Eigentümliche des Subjekts halten und ferner: er habe doch nur ein unrealisierbares Ideal konstruieren wollen. Als Rechtfertigung kann RICKERT sogar die bewußt verfolgte logisch-formale Tendenz geltend machen:
    "Eine Untersuchung, die allein nach dem Begriff des Erkennens frägt, brauch auch etwas nur begrifflich Mögliches zu berücksichtigen." (Gr 63)
Zur Wertung von RICKERTs erkenntnistheoretischem Subjekt trägt es jedenfalls bei, daß von ihm einmal der Begriff eines völlig formlosen "reinen Inhalts" (das ist der Begriff von AVENARIUS' reiner Erfahrung) ebenfalls ein wissenschaftlicher Grenzbegriff bezeichnet wird. (Log I, 21)

So sehr wir dem Solipsismus jede Niederlage gönnen, so müssen wir doch beachten, daß die RICKERTsche Überwindung jener konsequenten unpsychologischen Richtung nur mit Hilfe der Logik, nämlich infolge der Vertauschung eines vorfindbaren Phänomens durch einen reinen Begriff, möglich war. Und das bleibt für den Erkenntnistheoretiker bedenklich.


16. Die Bildung der Kategorien.

Daß es eine ganz typische Art ist, in der sich die Grundtendenz am Wendepunkt der RICKERTschen Erkenntnistheorie geltend macht, wollen wir noch an der Stelle aufzeigen, wo RICKERT die Form dessen, was uns schon als transzendent erscheint, zu einem Erzeugnis von Formen zu machen sucht (Gs 174) - in seiner logischen Rechtfertigung für die Objektivität der Wirklichkeit. Da es RICKERT nur darauf ankommt, die logischen Voraussetzungen der Wirklichkeit zu ergründen, so interessiert ihn diese nur in ihrer Form. Ausgehend von der elementarsten Erkenntnisform, hat sie für ihn die Form des vollzogenen Urteils (Gs 171), das ist die Form oder die Kategorie (Gs 172) des Seins (Gs 180), die "transzendentale" Form. Diese aber wird bedingt on einer Urnorm, dem Sollen. Als starrer Form fehlt der Norm, der Form des Sollens, noch jede Beziehung zur Vollzogenheit des Urteils. Es fehlt ihr das, was ihr RICKERT in abstrahierender Konstruktion genommen hat: die Funktion. Daher mach sich hier wieder der Mangel eines Mittelgliedes geltend, dem RICKERT durch die Einschiebung der "Kategorie" abhilft (vgl. Gs 172). Das Aktuelle ersetzt RICKERT durch Formzusammenhänge (vgl. auch Gs 189, 191). Erst das in diese Formen gefaßte Gegebene kann geordnete Wirklichkeit sein (Gs 194).

Ich kann mich nicht des Eindrucks erwehren, daß diese Einfügung der Kategorie als Akt (Gs 172), wodurch die Urteilsform entsteht (Gs 197, 199, 206), - der Form der Bejahnung einer Norm (Gs 171) - die willkürliche Beseitiung eines Mangels ist, welcher nur die Folge einer einseitig formalen Methode sein kann. Wo ein psychologisches Verfahren ein bestätigendes Erfahrungs-(Bewußtseins-)moment zu entdecken suchen würde, da erfindet die logische Methode einfach eine Denknorm. [...] (vgl. Gs 173, 176-181)

Wir sehen aber nicht das Prinzip, wonach ermittelt werden kann, ob alle Formen aufgefunden worden sind. Vielmehr scheint es mir, als ob noch eine ganze Reihe formaler Zwischenglieder eingeschaltet werden könnte. So gut ein tausendeckiges Polygon noch kein Kreis ist, sondern ein solcher nur daraus entstanden gedacht werden kann, so meinen wir auch, daß jede Phase eines Prozesses, in diesem Fall des Erkenntnisprozesses, seine eigene Form hat; daß auch im Fortschritt von einer Formstufe zur anderen eine bestimmte Form erkannt werden kann, daß aber die Summe aller Formen immer noch nicht den Prozeß ausmacht. Daher halten wir auch die Bezeichnung der Wirklichkeitsform als Urteilsprodukt (Gs 170) und "Erzeugnis" nur für bildhafte Ausdrücke. Es fehlt eben den Formen die lebendige, fließende Kontinuität.


17. Eine weitere Konsequenz des formal-
logischen Verfahrens ist ein Regressus.

Schließlich könnte hieran die Frage geknüpft werden, ob nicht die Kategorie selbst wieder eine Form haben könnte. Wenn also jemand glaubt, das Letzte, die Urbedingungen der Erkenntnis in Formen gefunden zu haben, so dürfte er schwerlich zu einem Ende kommen, da das Aufsuchen allerletzter Formen zu einem regressus in infinitum führt (vgl. auch Gs 155).

In diesen Regressus fällt RICKERT tatsächlich mit folgenden Sätzen:
    "Die allgemeinste Form fällt ... mit dem Begriff des positiven Sinnes überhaupt zusammen und ist der allgemeinste theoretische Wert ... Die weitere Untersuchung ist dann darauf zu richten, welche Formen ... im besonderen der Sinn haben muß, um positiver Sinn und nicht Unsinn zu sein, und diese Formen sind wiederum durchweg Werte, die den Begriff des positiven Sinnes überhaupt konstituieren, wie z. B. die Widerspruchslosigkeit, die Identität usw." (Zw 206f)
Ob überdies Widerspruchslosigkeit und Identität Werte sein können (vgl. auch Zw 214), lassen wir dahingestellt. Vgl. auch Log II 34, wo RICKERT an einem Gegenstand die Form der Form findet. - Was hindert uns dann, nach der Form "der Form der Form" zu fragen? (vgl. auch Log IV 313)


18. Rickerts logische Tendenz
in seiner Polemik.

Interessant ist schließlich, wie sich die logistische Tendenz in RICKERTs erkenntnistheoretischer Polemik geltend macht. Er hält nämlich seine Gegner für viel zu "logisch" (Gs 36). Den kritischen Phänomenalismus meint er dadurch überwunden zu haben, daß er für das Wort "Erscheinung" den Ausdruck "Bewußtseinsinhalt" gebraucht; daß es etwas Erscheinendes geben muß. Indessen steht hinter der von RICKERT bekämpften, und unserer Meinung nach ganz richtigen Argumentation der umgekehrte Gedankengang: Wenn etwas Bewußtseinsinhalt ist, so braucht es noch nicht ausschließlich Bewußtseinsinhalt zu sein. Weil uns aber das nicht unmögliche Ding-ansich nur als Bewußtseinsinhalt erscheinen kann, nennen wir den Bewußtseinsinhalt vorsichtshalber nur "Erscheinung".

Darzulegen, inwiefern die logisierende Tendenz für RICKERTs Auffassung von Naturwissenschaft, deren Sinn in der Produktion einer Begriffswelt bestehen soll, mitbestimmend war, müssen wir uns hier versagen (Gr 584). -

Von RICKERTs Begriff vom Sollen ausgehend, dessen formaler Charakter uns aufgefallen war, haben wir bisher zeigen wollen, daß RICKERTs ganze Lehre von der Transzendenz durch eine formalistische Tendenz mitbestimmt worden ist. Wir haben ihre Anfänge in einer Grundauffassung RICKERTs vom Wert der Logik gefunden und daraufhin an einigen Stellen von RICKERTs Erkenntnistheorie, die ja auf die Bestimmung des Transzendenten abzielt, die Konsequenzen jener Überzeugung aufgesucht. Mit vollem Bewußtsein hat RICKERT seiner Erforschung des Transzendenten dieses formale Gepräge gegeben. Es lag ihm, der einen so tiefen Blick in die Unterschiede der einzelnen Wissenschaften getan hat, am Herzen, eine Wissenschaft, die sich vermessen hatte, der Erkenntnistheorie alle Grundlagen geben zu können - die Psychologie - in ihre Grenzen zu verweisen (Vorwort zu Gs). Unter allen Umständen wollte er seine Wissenschaftslehre von ihrem Einfluß freihalten. Ist es ihm gelungen? Ist besonders das Transzendente RICKERTs aller psychologischen Züge bar? Diese Fragen will ich in einem Kapitel über RICKERTs "anti-psychologische" Tendenz beantworten.
LITERATUR - Max Schneider, Die erkenntnistheoretischen Grundlagen in Rickerts Lehre von der Transzendenz,[Inaugural-Dissertation] Dresden 1918