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HEINRICH RICKERT
Das Eine,
die Einheit und die Eins

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"Als  rein  logisch dürfen wir nun zunächst den Begriff des Gegenstandes überhaupt bezeichnen oder wie schon angedeutet, jenes  leere,  inhaltlich völlig unbestimmte Etwas, das notwendig gedacht wird, wenn überhaupt gedacht werden soll. Im Begriff dieses Etwas haben wir dann sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht einen rein logischen Begriff, denn, daß es  etwas gibt,  ist eine rein logische Voraussetzung ebenso, wie daß das logische Denken überhaupt einen Gegenstand hat oder gegenständliches Denken ist."

I. Einleitung und Problemstellung

"Aber do si ein sein in dem wesen
da ensein si niht geleich, wann geleich-
heit stet in unterscheid."

blindfishMeister Eckhart"

 
Die Frage, wie Logik und Mathematik sich zu einander verhalten, ist alt und viel erörtert. Bisweilen werden die Grenzen dieser beiden Disziplinen verwischt. Man kann die Behauptung hören, daß die Mathematik ein Zweig der Logik sei, oder gar daß beide ihrem Wesen nach zusammenfallen. Der allgemeinste Grund dafür liegt nahe. Die Mathematik hat es mit Gegenständen zu tun, die nicht in dem Sinne wirklich sind wie physische oder psychische Objekte. Eine Zahl oder eine mathematische Line ist nicht real wie dieses Blatt Papier oder die Empfindung, die ich bei seinem Anblick habe. Unwirklich aber muß auch das genannt werden, womit sich die Logik beschäftigt und bei der großen Unsicherheit, die fast allgemein dort herrscht, wo vom Unwirklichen die Rede ist, besonders bei Mangel an Unterscheidngen innerhalb dieses von so Wenigen erst entdeckten und vollends noch so wenig erforschten Gebietes, kann es daher nicht Wunder nehmen, wenn man die verschiedenen Wissenschaften, die es nur mit "idealen" Gegenständen zu tun haben, nicht streng genaug auseinander hält. Auch mögen Logik und Mathematik, so wie sie bisweilen betrieben werden, sich faktisch zum Teil decken. Nimmt man z. B. die bekannten Veranschaulichungen der Umfangsverhältnisse von Begriffen durch Kreise für die logische Sache selbst, dann sind Logik und Mathematik nicht mehr zu unterscheiden.

Doch auf solche Verwechslungen, die sich leicht beseitigen ließen, ist die Vermischung der beiden Wissenschaften nicht beschränkt. Daher ist es notwendig, auf die Grenzen zwischen ihnen ausdrücklich zu reflektieren und zwar besonders im Interesse der Logik. Die Einzeldisziplinen gehen ihren Gang auch dann, wenn über die logische Struktur ihrer Erkenntnisse falsche Ansichten bestehen. Die Logik aber wird in ihren Grundlagen geschädigt, wenn Unklarheit darüber herrscht, was ihr eigentliches Objekt ist und infolgedessen einzelwissenschaftliche Bestandteile in ihr eine unberechtigte Rolle spielen. Glücklicherweise sieht es so aus, als bahne sich allmählich wieder eine Verständigung über die spezifisch logischen Aufgaben an. Den verwirrenden Psychologismus werden wir immer mehr los und wenn auch noch nicht alle frei sind, die der psychologischen Ketten spotten, so ist doch in dieser Hinsicht ein Ringen nach Selbständigkeit bei den Besten vorhanden. Ein Biologismus, der unter dem Namen des Pragmatismus gerade neuerdings viel Geräusch macht, darf als harmloser gelten, zumal bei einigen seiner Vertreter doch zu deutlich zutage tritt, daß sie - sehr unfrei nach KANT - nur deshalb das Wissen aufheben, um zum Aberglauben Platz zu bekommen. Diese antilogische Strömung ist "modern" wohl nur im Sinne der Mode und wird zwar, wie andere Modetorheiten, ihre Zeit haben, reicht aber an logische Probleme überhaupt nicht heran und sollte daher, um eine bekannte Wendung LOTZEs zu gebrauchen, in der Wissenschaft nicht einmal durch zu sorgfältige Bekämpfung fortgeplanzt werden. Dagegen sehr erst zu nehmen und im angegebenen Sinne gefährlich für die Selbständigkeit der Logik ist eine Richtung, die man als logischen Mathematizismus bezeichnen kann und von der sich auch verdiente Logiker nicht ganz fernhalten. Hier ist zwar deutlich erkannt, daß, weil die Logik es gar nicht mit realen Gegenständen zu tun hat, logische Probleme nicht psychologische oder biologische Probleme sein können. Aber das Logische ist dafür durch Verwechslung mit dem Mathematischen von neuem in seiner Eigenart bedroht. Auf diese Verwechslung hat auch eine Zeitschrift für Philosophie der Kultur ihre Aufmerksamkeit zu richten, damit deutlich wird, in welcher verschiedenen Weise die beiden theoretischen Kulturgüter, die Logik und die Mathematik, den allem wissenschaftlichen Kulturleben zugrunde liegenden "Logos" zum Ausdruck bringen.

Einen kleinen Beitrag zur Lösung dieses Problems wollen die folgenden Blätter geben. Doch soll das Verhältnis der beiden Wissenschaften zueinander nicht umfassend behandelt, sondern nur die  Zahl  als ein Gebilde erwiesen werden, das sich nicht als rein logisch verstehen läßt, und ferner ist auch diese Aufgabe noch in einer bestimmten Richtung eingeschränkt. Die Hauptsache ist die negative Seite des Problems, das alogische Wesen der Zahl, und außerdem handelt es sich nicht um alle Arten von Zahlen. Es werden vielmehr nur die ganzen, endlichen Zahlen untersucht, gebrochene, unendliche ebenso wie negative, irrationale Zahlen und auch die Null sollen ganz beiseite bleiben. Die Scheidung der Kardinalzahlen von den Ordinalzahlen wird höchstens gestreift und nach andern, eventuell als Zahlen zu bezeichnenden Gegenständen fragen wir überhaupt nicht, sondern nur nach Zahlen, die in Sätzen wie  1=1  oder  1 + 1 = 2  vorkommen, Gebilden also, mit denen man  rechnen  kann und die insbesondere einander gleichzusetzen und zu addieren sind. Selbstverständlich vermag eine solche Untersuchung es nicht zu einer Entscheidung über das Wesen der Zahl überhaupt zu bringen, aber doch vielleicht zu Einsichten, die eine umfassende Theorie zu berücksichtigen hat und die daher eine richtige Auffassung der Zahl und der Mathematik wenigstens anbahnen. Diesen Vorbehalt darf man im folgenden nicht aus den Augen verlieren und ebensowenig vergessen, daß hier eine möglichst allgemein verständliche Darstellung angestrebt wird, die allen gelehrten Apparat und alle rein fachwissenschaftlichen Auseinandersetzungen meidet.

Ja, in noch einer anderen Hinsicht endlich ist die Problemstellung spezialisiert. Wer sich einmal mit Logik beschäftigt hat, weiß, daß manche in ihr unentbehrliche Ausdrücke an einer störenden Vieldeutigkeit leiden. Auch die Untersuchung des Zahlbegriffs stößt auf diese Schwierigkeit und wir werden ihr am besten dadurch begegnen, daß wir von ihr ausgehen. Jede ganze Zahl ist entweder eine Einzahl oder eine Mehrzahl und da jede Mehrzahl den Begriff der Einzahl voraussetzt, ist der Begriff der Einzahl oder der  Eins  für den Begriff der ganzen Zahlen überhaupt entscheidend. Die Silbe "ein" aber braucht nicht eine Zahl zu bezeichnen. Wir sagen: da steht "ein" Baum, ohne damit ausdrücklich zu behaupten, daß es  nur  ein Baum ist und nicht etwa zwei. Wir sprechen vom "einen" Buchstaben im Gegensatz zum anderen und auch dabei kommt es uns nicht auf die Einzahl des Buchstabens an. Ja, es ist durchaus nicht selbstverständlich, daß, wenn wir von einer "Einheit" reden im Gegensatz zur Mannigfaltigkeit, damit immer eine numerische Einheit gemeint sein muß, und sogar wenn die "Einzigkeit" eines Gegenstandes, z. B. des Weltganzen, hervorgehoben wird, kann man sehr wohl zweifeln, ob dieser Begriff dem der Einzahl gleichgesetzt werden darf. Unter diesen Umständen empfiehlt es sich, zu fragen: was macht den Begriff der Einzahl oder der Eins aus, wenn wir ihn betrachten mit Rücksicht auf jene anderen Begriffe, die man ebenfalls mit Hilfe der Silbe "ein" zu bezeichnen gewohnt ist? Können insbesondere solche Begriffe wie z. B. das Eine und die Einheit vielleicht als rein logisch gelten und wenn ja, läßt sich eventuell zeigen, daß und warum sie noch nicht Begriffe von Zahlen sind? Auf diesem Weg kann klar werden, ob aus den rein logischen Einheitsbegriffen schon die Einzahl zu gewinnen ist und das muß auf das logische Wesen der Zahl überhaupt Licht werfen. Daher wird sich die Untersuchung hauptsächlich auf die Begriffe des Einen, der Einheit und der Eins oder der Einzahl richten, um von hier aus zu zeigen, daß die Zahl kein rein logisches Gebilde ist.

Bevor wir zur Sache übergehen, schicken wir nur noch eine allgemeine Bemerkung voraus. Es stehen bekanntlich zwei Theorien über die Zahl einander gegenüber, von denen man vielfach glaubt, daß es sich dabei um eine Alternative handle. Die Einen bringen die Zahl in einen notwendigen Zusammenhang mit der Realität und zwar mit jener empirischen Realität, die wir Alle als eine Welt auf einander wirkender Dinge in Raum und Zeit kennen. Danach bedeuten die Zahlworte nichts anderes als abstrakte Begriffe, die man an Gruppen realer Dinge oder Vorgänge gebildet hat und erweisen sich allein dadurch als verschieden vom Begriff eines Menschen oder eines Hauses, daß sie noch abstrakter und allgemeiner sind. Man kann diese Ansicht die empiristische Theorie der Zahl nennen. Sie hat bekanntlich zu den abenteuerlichsten Konsequenzen geführt, wenn z. B. JOHN STUART MILL meinte, man wisse nicht mit Sicherheit, ob auf einem anderen Planeten  2 + 2  nicht vielleicht  5  ist. Von einer rein logischen Ableitung der Zahl kann dabei natürlich keine Rede sein.

Diese "Pfefferkuchen- oder Kieselsteinarithmetik" gilt heute in weiten Kreise für endgültig widerlegt. Man sieht ein, daß es sich für die Logik zunächst nicht darum handelt, auf welchem Weg man allmählich zum Begriff der Zahl gekommen ist und daß es nicht darauf ankommt, ob wir wirkliche Gegenstände brauchen, um an ihnen das Zählen und Rechnen zu lernen. Danach allein darf vielmehr gefragt werden, ob der Begriff der Zahl seinem Gehalt nach nur mit Hilfe des Begriffes von wirklichen Gegenständen gebildet werden kann und dies ist man heute ebenfalls geneigt, zu verneinen. Die Zahlen, meint man, sind ein Reich für sich; sie gehorchen ihren eigenen Gesetzen und es ist nicht einmal notwendig, daß diese Gesetze auch auf wirkliche Gegenstände passen. Die "Idealität" der Zahlen bedingt auch die Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit oder die "Apriorität" der arithmetischen Erkenntnis. Die Annahme, daß  2 + 2  auf der Erde  4,  auf dem Jupiter dagegen vielleicht  5  sei, ist deshalb völlig absurd, weil veränderte reale Bedingungen auf verschiedenen Planeten mit der Wahrheit von Sätzen über ideale Gegenstände nicht das Geringste zu tun haben können. Was die Mathematik lehrt, gilt zeitlos und unabhängig von jeder örtlichen Besonderheit der Welt. Die empiristische Theorie erweist sich demnach als unhaltbar, und - so schließt man weiter - die Zahlen sind daher nur als rein logische Gebilde aufzufassen. Eine "rationalistische" Theorie kann allein ihrem Wesen gerecht werden.

Im Anschluß an diese verschiedenen Ansichten sei die Grundtendenz der folgenden Ausführungen von vornherein bezeichnet. Solange es sich nur um die Frage dreht, ob Zahlen wirkliche oder unwirkliche Gegenstände sind, liegt hier in der Tat eine Alternative vor und wir denken, wenn wir die Zahl nicht für rein logisch halten, gar nicht daran, die gewöhnliche empiristische Theorie zu verteidigen, d. h. wir bestreiten die "Idealität" der Zahlen und die "Apriorität" der Arithmetik nicht. Der Gedanke, es habe sich der Satz  2 + 2 = 4  vielleicht erst durch natürliche Züchtung im Kampf ums Dasein aus  2 + 2 = 5  entwickelt und sei vielleicht dazu bestimmt, auf demselben Weg sich zu  2 + 2 = 3  fortzubilden, erscheint uns mit FREGE schlechthin absurd, wie jede darwinistische oder pragmatistische "Logik". Die Wahrheit untersteht nicht der Herrschaft der Entwicklung oder der Veränderung. Nur wenn sie zeitlos gilt, hat es überhaupt einen Sinn, von Gegenständen, die sich entwickeln oder verändern, zu reden. Falls aber gesagt wird, daß weil die Zahl ihrem Wesen nach unabhängig von der Wirklichkeit besteht, sie deshalb ein  rein  logisches Gebilde sein müsse, so halten wir diesen Schluß für falsch. Es gibt vielmehr ein Drittes und gerade eine Einsicht in sein Wesen soll durch Abgrenzung der Zahl sowohl gegen die reale Welt als auch gegen die rein logische Sphäre wenigstens vorbereitet werden. Auf diese Weise hoffen wir, die angebliche Alternative von Empirismus und Rationalismus zu überwinden und einen Beitrag zum "transzendentalen Empirismus" zu geben, wie man die hier vertretene Ansicht genannt hat. Doch wichtiger als alle solche Schlagworte der Schulen ist die Sache, zu der wir jetzt übergehen.


II. Der rein logische Gegenstand

Die erste Aufgabe muß sein, einen eindeutigen und für unsere Problemstellung brauchbaren Begriff des rein Logischen zu gewinnen. Versteht man unter Logik die Lehre vom Denken und unter Denken eine Tätigkeit des Subjekts, so wird man rein logisch nennen, was lediglich auf Rechnung des denkenden Subjekts zu setzen ist, also frei sein muß von allen Bestandteilen, die von außen an das Subjekt, als seinem Denken fremd, herantreten. Wie weit man mit einer solchen "subjektiven" Bestimmung des Logischen als des "Denkerzeugten" und des Alogischen als des "Denkfremden" kommt, sei zunächst dahingestellt. Nur das ist wohl von vornherein klar, daß das denkende Subjekt, von dem es abhängen soll, was rein logisch ist, nicht  nur  das individuelle psychische oder überhaupt wirkliche Subjekt sein kann, sondern daß außerdem ein überindividuelles Moment von vornherein mit dem Logischen verbunden sein muß und daß dieses Moment ferner nicht allein im Denkakt, sondern auch in dem,  was  durch ihn gedacht wird, oder, um eine heute übliche Terminologie zu vewenden, im "Gegenstand" des Denkens zu suchen ist, worunter wir selbstverständlich nicht schon ein "Ding" oder irgendeinem anderen  besonderen  Gegenstand, sondern nur das gedachte Etwas überhaupt im Unterschied vom Akt des Denkens zu verstehen haben. Freilich gibt es dieses "objektive" Etwas für  uns  immer nur insofern, als wir es denken. Aber erstens ist darum noch nicht alles, was gedacht wird, also insofern nicht mehr denkfremd genannt werden kann, schon ein rein logischer Gegenstand und ferner hindert die Beziehung auf das Subjekt uns nicht, den Gegenstand vom Akt, durch den er gedacht wird, begrifflich loszulösen und zu fragen, was an ihm, wie er für sich genommen besteht, das rein Logische ist. Ja, vielleicht wird erst, wenn wir dieses "objektiv" Logische oder den logischen Gegenstand gefunden haben, von ihm aus auch das Denken des Subjekts als "logisches" Denken sich bestimmen lassen und damit Ausdrücken wie denkerzeugt und denkfremd ein eindeutiger Sinn abzugewinnen sein. Denn so gewiß der Akt des Denkens das Frühere für  uns  ist, so gewiß bedarf es auch eines von uns unabhängigen, in sich ruhenden Logos, damit wir einzelnen Subjekt überhaupt "objektiv" logisch denken können. Jedenfalls stellen wir hier, wo wir in keiner Weise nach der Entstehung des Zahlbegriffs durch das Denken, sondern nur danach fragen, ob die Zahl selbst ein rein logischer Gegenstand ist, nicht den Denkakt, sondern den gedachten Gegenstand voran. Doch wollen wir die Unterscheidung der "subjektiven" und der "objektiven" Betrachtung, wie man sie kurz nennen kann, nicht streng durchführen, sondern in üblicher Weise wie vom Gegenstand so auch vom Denken des Gegenstandes reden.

Als "rein" logisch dürfen wir nun zunächst den Begriff des Gegenstandes überhaupt bezeichnen oder wie schon angedeutet, jenes "leere", inhaltlich völlig unbestimmte Etwas, das notwendig gedacht wird, wenn überhaupt gedacht werden soll. Im Begriff dieses Etwas haben wir dann sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht einen rein logischen Begriff, denn, daß es "etwas gibt", ist eine rein logische Voraussetzung ebenso, wie daß das logische Denken überhaupt einen Gegenstand hat oder gegenständliches Denken ist. Trotzdem kann man meinen, im bloßen Etwas noch nicht das Letzte oder Unauflösliche und insofern doch auch noch nicht das Letzte oder Unauflöslische und insofern doch auch noch nicht das rein Logische zu haben. An jedem Gegenstand nämlich sind Form und Inhalt zu unterscheiden. Etwas wird gedacht, heißt unter dieser Voraussetzung: es wird ein Inhalt nur dadurch als Gegenstand gedacht, daß es  ein  Inhalt ist, der gedacht wird, oder objektiv ausgedrückt: ein Inhalt hat als Gegenstand notwendig die Form des "Einen". Muß aber, wenn man auf diesen Unterschied reflektiert, nicht die Form des Gegenstandes oder die bloße Gegenständlichkeit für sich allein als das rein Logische betrachtet und der Inhalt, der diese Form hat, ihr gegenüber als etwas von außen Kommendes, Alogisches angesehen?

Diese Frage ist gewiß berechtigt. Jeder Gegenstand, also auch das Etwas überhaupt, läßt sich in Form und Inhalt zerlegen und wenn wir nur die Form als rein logisch oder mit subjektiver Wendung als denkerzeugt bezeichnen wollen, so enthält allerdings der Gegenstand überhaupt und damit jedes Denken eines Gegenstandes schon Alogisches. Zugleich aber wird dadurch der Begriff des rein logischen  Gegenstandes,  den wir für unsere Zwecke brauchen, doch nicht in Frage gestellt, denn gerade weil  jeder  Gegenstand aus Form und Inhalt besteht, wäre das rein Logische als bloße Form noch kein Gegenstand, sondern nur ein Moment  am  Gegenstand und von einem rein logischen "Gegenstand" könnten wir dann überhaupt nicht reden. Da Zahlen jedenfalls Gegenstände des Denkens sind, so wäre damit über ihren alogischen Charakter von vornherein entschieden und unsere ganze Frage hätte keinen Sinn mehr. Das rein Logische als begrifflich isolierte "reine Form" im Unterschied vom Inhalt überhaupt kommt daher hier nicht weiter in Betracht. Wir brauchen außerdem noch den Begriff des rein logischen Gegenstandes, der den Inhalt mit umfaßt.

Auch von ihm als einem rein logischen Gebilde zu reden, ist aber umso unbedenklicher, als er ebenfalls formal genannt werden muß. An ihm wird ja nämlich nicht etwa schon ein bestimmter Inhalt von dieser oder jener besonderen Beschaffenheit oder "Qualität" in Betracht gezogen, sondern nur der "Inhalt überhaupt", der nicht fehlen kann, wenn es einen Gegenstand überhaupt geben soll. Dieser Inhalt überhaupt "erfüllt" die Form noch nicht so, daß aus ihr dieser oder jener Gegenstand wird. Der Inhalt überhaupt bedeutet deshalb auch noch nicht ein Alogisches, das zu den formalen Bestandteilen des Gegenstandes überhaupt als etwas Neues hinzutritt, sondern nur den logischen "Ort" für das Alogische, und dieser gehört notwendig mit zur Gegenständlichkeit oder zur Form des Gegenstandes überhaupt. Also, gerade weil es richtig ist, daß  jeder  Gegenstand aus Form und Inhalt besteht, muß der Begriff des "Inhaltes überhaupt" mit in den Begriff des rein logischen Gegenstandes aufgenommen und mit zu seiner Form gerechnet werden. Jedenfalls ist sonst die Frage, ob die Zahl ein rein logischer Gegenstand ist oder nicht, gar nicht zu stellen.

In sprachlich paradox klingender, sachlich aber zutreffender Weise kann man demnach sagen: wir verlassen die rein logische und formale Sphäre erst dann, wenn wir vom "Inhalt überhaupt" zu einem inhaltlich bestimmten Inhalt übergehen oder am Gegenstand nicht nur den formalen Faktor der Inhaltlichkeit, sondern auch den Inhalt der Form Inhaltlichkeit oder den "Inhalt des Inhalts" mit in Betracht ziehen. Diesen könnten wir nur durch Ausdrücke wie blau, groß, Lust und dergleichen bezeichnen, d. h. erst in den Bedeutungen solcher Worte haben wir neben den formalen Bestandteilen, die Inhalten zu Gegenständen überhaupt machen, in Wahrheit ein alogisches Element, den "reinen", von keiner Form berührten Inhalt selbst, für den es, wenn er isoliert betrachtet werden soll, keine adäquate Bezeichnung mehr geben kann, denn alles, wovon wir reden, ist Gegenstand und besteht aus Form  und  Inhalt. In jeder Bezeichnung steckt also bereits Form. Der "reine Inhalt" ist das Namenlose.

Gerade deswegen aber wird sich der schon berührte Einwand von neuem geltend machen. Nennen wir nämlich die Form des Gegenstandes überhaupt oder die Gegenständlichkeit eine Verbindung von Form und Inhalt, so haben wir sie damit bereits in ihre Elemente zerlegt, also Form gedacht und Inhalt gedacht. Können wir aber diese Elemente gesondert denken, so müssen auch sie Gegenstände, und zwar, wie es scheint, logisch noch mehr elementare Gegenstände sein, als es die Verbindung von Form und Inhalt überhaupt ist. Erst in den Elementen des zuerst genannten Gegenstandes überhaupt scheinen wir also das logisch Letzte zu besitzen und weil nicht nur die Form im Gegensatz zum Inhalt überhaupt, sondern auch der "Inhalt überhaupt" im angegebenen Sinn ebenfalls Form ist, so sieht es so aus, als kämen wir damit doch wieder zur reinen Form als dem rein logischen Gegenstand zurück. Wie ist hierüber zu urteilen?

Daß wir auch in der Form für sich und im Inhalt für sich Gegenstände haben, kann man in einem gewissen Sinne zugeben, aber daß es sich dabei um etwas logisch noch mehr Elementares handelt, erweist sich, sobald wir genauer zusehen, als eine Täuschung. Versuchen wir zunächst, die auch vom Inhalt überhaupt losgelöste "reine" Form als Gegenstand zu denken, so zeigt sich, daß wir in ihr sogar schon einen spezielleren Gegenstand haben, als das nur aus Form und Inhalt überhaupt bestehende Etwas. Auch die Form für sich besteht, sobald sie als Gegenstand betrachtet wird, wie alle Gegenstände, notwendig aus Form und Inhalt. Aber die Form ist in diesem Fall nicht die Form überhaupt, sondern die als "Form der Form" bestimmte Form im Unterschied von der Form überhaupt, die hier der Form der Form gegenüber nun als Inhalt auftritt. Und vollends kommen wir zu seinem speziellen logischen Gebilde, wenn wir versuchen,  die  formale Seite des rein logischen Gegenstandes, die wir Inhalt überhaupt nennen, für sich als Gegenstand zu denken. Wir haben dann ebenfalls zunächst als Inhalt dieses Gegenstandes wie vorher eine Form, die in der Form einer Form steht, und außerdem noch diesen formalen Inhalt als die besondere Form, die wir Inhalt überhaupt bestehenden Etwas als dem "letzten" rein logischen Gegenstand angelangt sind, der sich nicht weiter in noch einfachere Gegenstände zerlegen läßt. Freilich ist, wie wir noch genauer sehen werden, das rein Logische nicht absolut "einfach". Wohl aber bleibt der denkbar einfachste rein logische  Gegenstand  ein Inhalt, von dem sich nur sagen läßt, daß es "ein" Inhalt überhaupt ist, also Inhalt überhaupt in der Form des  Einen.  Das noch Einfachere oder das absolut Einfache ist kein Gegenstand, sondern nur ein Moment  am  Gegenstand, das sich gesondert denken läßt. Daher muß der einfachste Gegenstand schon Verbindung einer einfachen Form und eines einfachen Inhalts sein. Das ist der notwendig inadäquate, aber doch zugleich der am wenigsten inadäquate sprachliche Ausdruck, den wir für das rein Logische finden können. Inadäquat muß jeder Ausdruck sein, weil wir alles, was wir mit einem Wort bezeichnen, damit schon zum Gegenstand machen, auch wenn es nur ein Moment  am  Gegenstand ist.

Schon jetzt sind wir auf einen Begriff gestoßen, der durch die Silbe "ein" bezeichnet wird und dessen Verhältnis zur Eins uns daher interessiert. Ist das Eine schon die Einzahl? Wegen der sprachlichen Bezeichnung allein haben wir keinen Grund, das anzunehmen. Daher beugen wir einer eventuellen Verwechslung auch durch die Terminologie vor. Statt "das Eine" sagt man auch "Ein und dasselbe". Das bedeutet, daß jeder Gegenstand, um "ein" Gegenstand zu sein, "derselbe" Gegenstand sein muß und deshalb sprechen wir, wo ein Irrtum entstehen könnte, statt vom Einen lieber vom Identischen oder nennen die Form des Einen, die der Inhalt überhaupt haben muß, um zum Gegenstand überhaupt zu werden,  Identität,  wobei wir unerörtert lassen, ob dieser Name nur der absolut allgemeinen Form des Gegenstandes überhaupt zukommt. Dem Minimum an Form, das wir in der Identität haben, entspricht dann das bereits erwähnte Minimum an Inhalt, der Inhalt überhaupt, oder wie wir auch sagen können, das Was (im Unterschied vom Etwas), die Qualität in der weitesten Bedeutung des Wortes. Als die identische Qualität wäre danach im Interesse der Eindeutigkeit der Inhalt in der Form des Einen oder der denkbar umfassendste rein logische Gegenstand zu bezeichnen.

Das führt uns jedoch zugleich zu einem neuen Schritt oder zu einer noch genaueren Bestimmung des rein Logischen und zwar kann die schon berührte Notwendigkeit, das Was stets als Etwas oder als Verbindung von Form der Identität und Inhalt überhaupt zu denken, auf diese Bestimmung hinweisen. Darin nämlich, daß die Begriffe Form und Inhalt einander fordern, daß es keinen Gegenstand gibt, der nur Inhalt oder nur Form des Einen ist, kommt ein allgemeines, ebenfalls rein logisches Prinzip zum Ausdruck, welches wir hier umso weniger unbeachtet lassen dürfen, als bei der Frage nach dem Alogischen in der Zahl Alles darauf ankommt, daß wir unter dem rein Logischen nicht zu wenig denken. Das eigentümliche aufeinander Angewiesensein der Begriffe will besagen, daß wir das Eine immer als das denken, was sich vom Andern unterscheidet. So fordert die Identität die Verschiedenheit oder  Andersheit,  wie die Form den Inhalt fordert, oder, objektiv ausgedrückt, das Eine besteht als das Eine nur im Verhältnis zum Andern, und daraus ergibt sich, inwiefern der Begriff des rein logischen Gegenstandes vorher noch nicht vollständig war. So lange wir sagten, er bestehe aus dem identischen Was, konnte das, was wir damit meinen, ärmer erscheinen, als es ist. Man mußte glauben, das Eine, Identische ruhe gewissermaßen in sich selbst. Alles, was zu ihm hinzutritt, wäre dann schon alogisch und zwar nicht nur in dem Sinne, wie man den "Inhalt überhaupt" der "reinen" Form gegenüber alogisch nennen kann, sondern auch in dem Sinne, daß es außerhalb der Sphäre des rein logischen, aus Form und Inhalt überhaupt bestehenden Gegenstandes liegt. das aber ist nicht zutreffend. Zum Begriff des rein Logischen gehört außer dem Einen, Identischen noch das Andere oder es darf nicht das Eine für sich, das es als Gegenstand gar nicht gibt, sondern nur das Eine und das Andere als das Minimum der rein logischen Gegenständlichkeit bezeichnet werden. Mit der Tautologie kommen wir nicht einmal in der reinen Logik aus. Die Heterologie ist ebenso notwendig. So sehen wir von neuem, daß das logisch Letzte nicht absolut einfach ist und wir erkennen zugleich die Notwendigkeit dieser "Mannigfaltigkeit". Ist aber die Spaltung in Form und Inhalt nur ein besonderer Fall dieses allgemeinen heterologischen Prinzips, so verstehen wir jetzt auch noch besser, warum wir nicht die Form für sich oder den Inhalt für sich als Gegenstand denken können, sondern immer nur Form und Inhalt, das Eine und das Andere.

Damit ganz unzweideutig wird, was wir meinen, ist noch Eines hinzuzufügen. Wir können auch sagen, daß das Eine nur insofern das Eine ist, als es "nicht" das Andere ist. Aber wir dürfen darum nicht glauben, daß die Andersheit nur die Negation der Identität, die bloße Nicht-Identität oder Aufhebung der Identität sei und daß insofern also gar nichts "Neues" zum Einen durch das Andere hinzugefühgt werde. Wir müssen vielmehr Negativität und Andersheit auf das Schärfste auseinander halten. Denn es ist zwar gewiß das Eine  nicht  das Andere und die Andersheit oder Verschiedenheit ist  nicht  Identität, aber es wäre ein Irrtum, zu glauben, es genüge das "nicht" als bloße Negation, als Nein, um das Andere aus dem Einen hervorzuzaubern. Die Negation macht aus dem Etwas nur das Nicht-Etwas oder das Nichts, sie läßt den Gegenstand überhaupt sozusagen verschwinden und ebenso kann durch  Nicht-Identität  niemals Andersheit oder Verschiedenheit entstehen. Das geht schon daraus hervor, daß die Negation selbst, als Gegenstand gedacht, bereits den Unterschied von der Position, also ein Anderes voraussetzt, oder daß das Nichts in seinem Verhältnis zum Etwas nur ein Spezialfall des Anderen in seinem Verhältnis zum Einen ist. Wir müssen in der "objektiven" Sphäre des rein logischen Gegenstandes den Begriff der Negation überhaupt ganz beiseite zu lassen und vollends liegt es uns fern, neben das Identitätsprinzip hier das Prinzip des Widerspruchs zu stellen. Diese Begriffe liegen in einer anderen logischen Region. Vor allem: das Andere ist genauso "positiv" wie das Eine, oder wenn man einen solchen Ausdruck hier lieber vermeiden will: das Andere steht unableitbar neben dem Einen und bildet ein Element innerhalb des rein Logischen, das zwar notwendig zum Einen gehört, aber nicht aus ihm durch Etwas abgeleitet werden kann, worin die Andersheit nicht bereits enthalten ist. Die Negation kann das Andere vielleicht finden, aber nie erzeugen.

In der Sprache der subjektiven Logik heißt das, daß die Thesis das Eine, Identische nur mit Rücksicht auf die Thesis des Andern hervorbringt. Diese andere Thesis sollte jedoch nicht als Antithesis, sondern, um ihr Wesen möglichst deutlich hervortreten zu lassen, als  Heterothesis  bezeichnet werden. Die Seite des Logischen, die dadurch zum Bewußtsein gebracht wird, läßt sich dann in subjektiver Ausdrucksweise auch als das heterothetische Prinzip des Denkens bezeichnen und zu jeder Art von antithetischer "Dialektik" und Selbstbewegung der Begriffe in Gegensatz bringen. Vielleicht freilich ist die Heterothesis gerade das, was HEGEL mit Antithesis und mehr als bloß "formaler" Negation eigentlich gemeint hat und jedenfalls hat er mehr damit gemeint, als unsere Modeweisheit sich träumen läßt. Abe wie es sich auch damit verhalten möge, wir dürfen nicht mit dem Einen für sich allein die Logik beginnen wollen. Es muß vielmehr schon der rein logische "Anfang" oder auch der "Ursprung" das Eine und das Andere sein, da es keinen Gegenstand gibt, wenn es nicht das Eine und das Andere gibt und das Subjekt logisch zu denken gar nicht anfangen kann, wenn es nicht schon bei seinem ersten Schritt "mit einem Schlag" das Eine und das Andere denkt. Wir dürfen daher auch nicht etwa meinen, wir hätten "erst" das Eine und "dann" das Andere. Wir hatten von vornherein das Eine und das Andere, und nur unser in der Zeit sich vollziehendes Sprechen zwingt uns, erst das Eine und dann das Andere zu  nennen.  Auch eine logische "Priorität" des Einen vor dem Andern besteht nicht. Sie gehören nicht nur notwendig zusammen, sondern sich auch logisch "äquivalent". Subjektiv ausgedrückt heißt das: das heterothetische Prinzip bringt das Denken erst in "Bewegung". Ein Denken, das noch "reiner" wäre und zuerst oder gar immer nur thetisch in der Form der Identität sich bewegte, gibt es lediglich in der Phantasie einiger Logiker.

Doch auch hiermit ist der Begriff des rein Logischen noch immer nicht vollständig entwickelt und gerade der Gedanke an Thesis und Heterothesis führt uns von neuem weiter. Zu ihnen gehört in der Sprache der subjektiven Logik notwendig die  Synthesis.  In ihr erst haben wir in Wahrheit den vollen "Anfang" des Denkens. Thesis und Heterothesis sind nur durch Analysis der ursprünglichen Synthesis begrifflich isolierte Momente des Logischen. So wie sie untereinander keine logische Folge haben, so gehen sie auch der Synthesis nicht logisch voran. Oder, objektiv ausgedrückt, wobei zugleich durch die übliche Terminologie ein für unseren Zusammenhang wichtiges Wort auftritt: haben wir das Eine und das Andere, so ist das zugleich die  Einheit  des Einen und des Andern oder die Einheit des Mannigfaltigen und nur durch Zerlegung dieser Einheit ist das Eine und das Andere zu gewinnen. Jedenfalls, auch diese Einheit muß zum Begriff des rein logischen Gegenstandes gerechnet werden und liegt, wenn wir sie auch jetzt erst nennen, doch von vornherein in ihm beschlossen, da ohne sie das Eine und das Andere ohne jede Beziehung zu einander, also nicht das Eine  und  das Andere wären und ferner ist diese "Einheit" offenbar von dem "Einen" als dem Identischen prinzipiell verschieden. Solange wir nur auf das Eine als ein Moment am Gegenstand reflektieren, liegt der Gedanke, daß darin eine Mannigfaltigkeit zur Einheit zusammengefaßt ist, ganz fern. Könnten wir das Eine für sich denken, so wäre es das absolut Einfache. Das Eine und das Andere aber ist Einheit nur als Einheit des Mannigfaltigen.

Wir müssen also vom rein logischen Gegenstand sagen, daß er einerseits aus dem Einen und dem Andern, andererseits aber nicht nur aus dem Einen und dem Andern, sondern auch aus der Einheit dieses Mannigfachen besteht, von dem das Eine sich als das Einfache, nicht für sich bestehende Moment am Gegenstand unterscheidet. Erst in diesem sprachlich auseinandergelegten Komplex von nacheinander genannten Momenten, die für sich betrachtet keinen Bestand haben, besitzen wir dann den einheitlichen Gegenstand überhaupt,  den  rein logischen Gegenstand oder das logische Urphänomen. Es kann keinen Gegenstand geben und es kann kein Gegenstand gedacht werden, in dem eines dieser verschiedenen und doch eine Einheit bildenden Momente fehlt. Auch wenn wir wieder vom Unterschied von Form und Inhalt als dem Spezialfall des Einen und des Andern ausgehen, der für den Begriff des Gegenstandes unentbehrlich ist oder daran denken, daß jeder Gegenstand aus Form und Inhalt besteht, so ist darin die Form nur das Eine, der Inhalt das Andere und der "rein" logische Gegenstand ist, als die Einheit von Form und Inhalt, nur die Einheit der Mannigfaltigkeit des Einen und des Andern. Damit ist die endgültige Bestimmung des rein logischen Etwas, die wir für unsere Zwecke brauchen, gewonnen.


III. Die Gleichung und die Addition

Die Frage besteht nun darin, ob allein mit Hilfe dieser Elemente auch Gegenstände, wie Eins, Zwei, Drei zu gewinnen sind, d. h. Zahlen, mit denen sich rechnen läßt. Man wird geneigt sein, dies zu bejahen, wenn man annimmt, daß das Eine schon die Eins im Sinne der Einzahl ist. Freilich mit ihr allein kommt man nicht aus, ja das Wort hat keinen Sinn, wenn es nicht von Mehrzahl unterschieden wird: die beiden Begriffe fordern einander wie Identität und Andersheit. Aber wir haben ja das Andere im Unterschied vom Einen ebenfalls als rein logisch erkannt und dies gibt, wie man glauben kann, die Möglichkeit, ohne Zuhilfenahme eines alogischen Elements auch zur Mehrzahl zu kommen. Ist nämlich das Eine die Einzahl, so muß das Andere die andere Einzahl sein, ja, die eine Eins fordert die andere Eins und man braucht dann nur noch den ebenfalls rein logischen Begriff der Einheit des Mannigfaltigen hinzuzunehmen, um die Einheit der einen Eins und der anderen Eins zu erhalten. Diese Einheit des Mannigfaltigen ist dann die Mehrzahl, und zwar zunächst die Zwei. Hat man sie aber einmal gewonnen, so ist es nicht mehr schwer, von ihr auch zur Drei und den übrigen Zahlen, ebenfalls ohne Zuhilfenahme eines alogischen Elements, vorzudringen, da ja der Schritt von der Zwei zur Drei kein anderer als der von der Eins zur Zwei sein kann. Der Zwei steht als der einen Zahl wieder eine andere Zahl gegenüber, und wenn diese die Eins ist, so muß die Einheit der Zwei und der Eins ebenso die Drei geben, wie die Einheit der einen und der andern Eins die Zwei gegeben hat. Auf demselben Wege läßt sich dann schließlich jede beliebige ganze Zahl ableiten, ohne daß dabei, subjektiv ausgedrückt, etwas Anderes als die Thesis, das heterothetische Prinzip und die synthetische Einheit des Mannigfaltigen benutzt wird. Einzahl und Mehrzahl sind "mit einem Schlag" gegeben in der Einheit des Einen und des Andern. Das logische Problem der ganzen Zahl scheint, falls der vorher entwickelte Begriff des rein Logischen richtig ist, sowohl objektiv als auch subjektiv im rein logischen Sinn gelöst zu sein.

Zur Bestätigung braucht man nur noch hinzuzufügen, daß sich auf diesem Weg auch sehr gut verstehen läßt, wie man mit Zahlen als rein logischen Gebilden rechnen, z. B. sie einander gleichsetzen oder zu einander addieren kann. Der Satz  1 = 1  ist notwendig wahr, denn wenn das Eine die Eins und das Andere die andere Eins ist, wie sollten Gegenstände, von denen jeder Eins ist, einander nicht gleichen? Ebenso ist  1 +1 = 2  wahr, denn  1 + 1  bedeutet lediglich die zu vollziehende Einheit des Einen und des Andern als der beiden Einzahlen und muß daher der Zwei, in der diese Einheit sich vollzogen hat, gleichgesetzt werden. Den Satz  2 + 1 = 3  braucht man dann nicht mehr ausdrücklich abzuleiten. Ist  2 = 1 + 1  und  3  die vollzogene Einheit von  1 + 1 + 1,  denn man muß  2 + 1 = 1 + 1+ 1 = 3  sein. So versteht man auch die Addition ganzer Zahlen und die Gleichsetzung einer Mehrzahl mit mehreren Einzahlen als einen rein logischen Vorgang, d. h. als eine Operation, die sich nur auf rein logische Gegenstände erstreckt.

Dies kann zur Klarlegung des Prinzips genügen. Sollen die Zahlen als rein logisch verstanden werden, so wird das, falls man nicht das Denken des Subjekts mit heranzieht, nur auf diesem Wege möglich sein. Vom subjektiven Verfahren sehen wir zunächst ab. Um die angegebene Ableitung zu kritisieren, versuchen wir nun zu zeigen, daß in dieser Theorie, die scheinbar so durchsichtig und überzeugend ist, in Wahrheit ähnlich bezeichnete Begriffe mit einander verwechselt sind, deren Auseinanderhaltung von entscheidender Bedeutung für jede logische Theorie der ganzen Zahlen ist. Im Grunde handelt es sich dabei, soweit nur die negative Seite der Sache, d. h. die Ablehnung einer rein logischen Auffassung, in Betracht kommt, um selbstverständliche Unterscheidungen. Aber sie werden gerade wegen ihrer Selbstverständlichkeit leicht übersehen und müssen daher mit einer gewissen Umständlichkeit Punkt für Punkt erörtert werden, so eng auch die in Frage kommenden elementaren Begriff miteinander zusammenhängen mögen.

Zunächst ist zu zeigen, daß das logische Eine nicht die mathematische Eins ist, und daß daher auch das Andere nicht mit der andern Eins zusammfällt. Wir reflektieren, damit dies deutlich wird, wieder darauf, daß nur  der  Gegenstand die Zahl Eins sein kann, von dem sich sagen läßt, daß er einer andern Eins  gleich  sei. Mag man auch in der Arithmetik keine Veranlassung haben, die Gleichung  1 = 1  ausdrücklich auszusprechen, so wäre doch ohne ihre Geltung keine Gleichung ganzer Zahlen wahr, und nur wenn wir von der Gleichheit von Zahlen oder irgendeiner arithmetischen  Wahrheit  ausgehen, kommen wir zur Entscheidung unserer Frage. Die Bedeutung des einzelnen Wortes, die noch nicht wahr ist, läßt sich immer nur willkürlich, also logisch garnicht festsetzen. Das erst, was die Worte als Bestandteil eines wahren Satzes meinen, oder genauer, worin ihre Bedeutungen bestehen, wenn sie Glieder eines wahren Sinnes sind, kann man als logisch notwendig bestimmen. Deshalb gehen wir von der Gleichung  1 = 1  als der denkbar einfachsten Gleichsetzung von Zahlen aus und fragen, was muß darin das Wort Eins bedeuten, wenn dieser Satz einen wahren Sinn haben soll? Dann wird sich zeigen, daß sich eine Gleichung mit dem logischen Begriff des Einen und des Andern allein nicht als wahr behaupten läßt oder daß rein logische Gegenstände überhaupt nicht im Verhältnis der Gleichheit zueinander stehen.

Der Irrtum, es sei anders, kann nur auf dem Glauben beruhen, man dürfe in der rein logischen Sphäre das Eine mit dem Andern vertauschen, da ja immer das, was man zuerst nennt, das Eine sei, also auch das Andere das Eine genannt werden könne. Vertauschen aber heißt doch, das Eine an die  Stelle  des Andern setzen. Es muß also, wenn das geschehen soll, außer dem Einen und dem Andern, noch Stellen geben, an denen sie sich befinden. Davon aber darf hier keine Rede sein. Der rein logische Gegenstand ist überhaupt nicht etwas, an dem bald das Eine, bald das Andere gewissermaßen haftet, so daß er noch Gegenstand bliebe, wenn man von ihm das Eine oder das Andere wegdenkt. Ja, es gibt in der rein logischen Sphäre noch nicht den einen Gegenstand und den andern Gegenstand, falls man dies so auffaßt, als sei der eine Gegenstand etwas, das aus "ein" und "Gegenstand", der andere Gegenstand etwas, das aus "ander" und "Gegenstand" besteht, so daß sie nicht  nur  das Eine und das Andere wären, sondern außerdem noch irgendetwas gemeinsam hätten. Unter dieser Voraussetzung bestände ja das Eine, für sich genommen ein bloßes Moment am Gegenstand, schon aus dem Einen und dem Andern, und man bedürfte für das Eine logisch keines Andern mehr, das es zum Gegenstand ergänzt, und ebenso wäre das Andere schon aus dem Einen und dem Andern zusammengesetzt, was offenbar Unsinn ist. Diese Spaltung in das Eine und das Andere könnte sogar beliebig weit fortgesetzt werden, so daß man nie an ein Ende käme, sondern immer von neuem vor einem zu spaltenden Einen und einem zu spaltenden Andern stände. Eine solche sogar in mehrfacher Hinsicht "unendliche" Reihe aber ist, wie wir das noch genauer sehen werden, in der rein logischen Sphäre vollends ohne jeden Sinn. Man wiederholt, wenn man sie zu bilden glaubt, immer nur Worte. Der Sache nach gibt es beim rein logischen Gegenstand allein das Eine und das Andere und damit ist seine Mannigfaltigkeit erschöpft. Die notwendig zusammengehörigen Momente am Gegenstand sind nicht mehr mannigfaltig, sondern einfach. Beim Versuch einer Vertauschung des Einen und des Andern würde also das Eine restlos in seiner Totalität aufgehoben und etwas total Anderes dafür gesetzt werden.

Was heißt es unter dieser Voraussetzung, daß man das Eine an die  Stelle  des Andern bringt? Darunter kann man sich nichts denken. Das Eine  hat  keine Stelle, an der es ist und die bestehen bleibt, wenn man es fortnimmt, sonder es  ist,  falls man das Wort hier überhaupt gebrauchen will, diese Stelle, und es kann daher nichts Anderes an "seine" Stelle gesetzt werden. Ebenso hat das Andere keine Stelle, an der es ist, und an die das Eine treten könnte, sondern die andere Stelle fällt vollkommen mit dem Andern selbst zusammen, und es bleibt daher nichts mehr, wenn das Andere fort ist. Daß das Andere anders ist als das Eine, das ist die einzige Relation, die zwischen ihnen besteht, das Einzige, was man überhaupt von ihnen aussagen kann und so lange wir nichts haben als dies, fehlt jede Möglichkeit einer Vertauschung und damit auch einer Gleichung. Grade wenn man von der einen und der andern "Stelle" reden will, kann man doch nicht meinen, es ließe sich die eine Stelle mit der andern vertauschen und ihr gleichsetzen. Das Eine ist vom Andern nicht allein verschieden, sondern zugleich auch  nur  verschieden. Zur Verschiedenheit muß erst noch etwas Gemeinsames hinzutreten, das ein Fundament für die Gleichheit abgibt. Nur Verschiedenes kann nie gleich sein. Daher läßt sich auf das Eine und das Andere allein auch nicht der Sinn des Satzes  1 = 1  aufbauen, und dasgilt von jeder Gleichung. Selbst wenn man glaubt, das Eine sei die Eins, so fehlt die andere ihm gleiche Eins und deshalb darf das Eine nicht Einzahl heißen. Die Eins, die nicht einer andern Eins gleichgesetzt werden kann, ist keine Zahl.

Das Alles würde man vielleicht noch selbstverständlicher finden, wenn die Sprache des täglichen Lebens nicht geneigt wäre, die Gleichheit mit der Identität zu verwechseln. Freilich ist die Gleichheit ebenso wie die Identität eine logische Form. Aber das entscheidet hier nicht. Es kommt darauf an, ob die Form der Gleichheit, wie die Identität, zum "rein" logischen Gegenstand gehört, und diese Frage muß verneint werden. Damit dies klar wird, sind Gleichheit und Identität sorgfältig zu trennen. Im Grunde ist das einfach. Jedes Etwas ist mit sich  selbst  identisch und nur mit sich selbst. Das gilt von jedem Begriff, also auch vom Begriff der Eins. Streng genommen ist, wenn es sich nur um die Identität des rein logischen Einen handelt, sogar der Ausdruck "identisch mit" anfechtbar, weil das "mit" auf etwas Anderes hinzuweisen scheint, und das hat nur dort, wo in sonst verschiedenen und nicht mehr rein logischen Gegenständen neben anderen Bestandteilen auch einer vorkommt, der in beiden derselbe ist, einen Sinn. Dann kann man sagen: Dieser Gegenstand ist mit jenem  teilweise  identisch. Für das identische Eine gibt es kein "mit", da das Eine einfach ist. Doch wenn das "mit" nur "mit sich selbst" heißt, kann man allenfalls so sagen. Mit einem  Andern  jedoch kann Etwas in seiner Totalität nie identisch sein, sondern immer nur  gleich,  oder selbstverständlich auch ihm ungleich. Identität schließt somit Andersheit aus, während Gleichheit sie fordert. Das trennt die beiden Begriffe radikal.

Umgekehrt hat es deshalb keinen Sinn, anzunehmen, daß Etwas sich  selbst  gleiche, und zu meinen, dies sei der Sinn des Satzes   1 = 1.  Wer das sagt, meint immer identisch und redet ungenau. Die eine Eins kann nur der andern gleich, aber nie mit ihr identisch sein. Wer etwa behauptet, es gäbe nur eine mit sich identische Eins, verwechselt den Begriff der Eins mit der Eins selber. Der Begriff ist stets mit sich identisch. Unter diesen Begriff fallen aber mehrere Exemplare, und diese sind einander gleich, also noch etwas anderes als identisch.

So sollte man unter allen Umständen und für jedes Gebiet Identität und Gleichheit trennen. Es kann keine Sphäre geben, in der ihr Unterschied aufhört, von Bedeutung zu sein. Bei realen Gegenständen wird man das auch nicht bestreiten. Gleiche Dinge der Wirklichkeit sind immer nur teilweise identisch. Aber mit Unrecht schränkt man dies auf Realitäten ein. Auch mehrere irreale Gegenstände, wie Zahlen oder gerade Linien, können in ihrer Totalität nie miteinander identisch, sondern immer nur einander gleich sein. Sonst wären es nicht  mehrere  Gegenstände, sondern nur "ein und derselbe" Gegenstand. Gewiß fallen gleiche Gegenstände in der Hinsicht, in der sie gleich sind, unter "denselben" Begriff, aber das gilt von realen ebenso wie von idealen Gegenständen und darum sind sie selbst doch nicht "dasselbe". Sie bleiben auch als Exemplare desselben Begriffs voneinander verschieden und sie müssen es, gerade um einander gleich sein zu können, "denn Gleichheit steht im Unterschied".

Was hier verwirrt und besonders den Sinn eines Satzes wie  1 = 1  verkennen läßt, ist wohl auch die Form, die bisweilen noch heute der sogenannte Satz der Identität findet. Man schreibt ihn wie eine mathematische Gleichung:  A = A  und will damit doch die Identität des  A  mit sich selbst bezeichnen. Ein unglücklicheres Symbol wie dieses mathematische ließe sich für das, was man meint, nur schwer finden. Die zu vermeidende Verwechslung wird durch diese Schreibweise sogar in zweifacher Hinsicht herausgefordert. Hier tritt nicht nur das Gleichheitszeichen auf, wo es gar nicht hingehört, sondern es stehen außerdem auch zwei Zeichen für  A  auf dem Papier, und das erweckt den Schein, als seien auch zwei Gegenstände vorhanden, die beide  A  heißen. Deren Verhältnis zueinander kann dann gerade  nicht  das der Identität, sondern nur das der Gleichheit sein, da es verschiedene Gegenstände sind, die sich in der Formel durch die Stellen auf dem Papier auch sehr deutlich voneinander unterscheiden. Der Satz der Identität kennt nicht ein  A  und noch ein anderes  A,  sondern darf, wie sich von selbst versteht, nur Tautologie sein. Wer ihn deshalb gering schätzt, scheint nicht zu wissen, daß idem und tauton sogar in doppelter Hinsicht "dasselbe" bedeuten. An dieser identischen Bedeutung verschiedener Worte, die sich für alle Nominalisten und "Sprachkritiker" bedauerlicherweise gar nicht von selbst versteht, könnten die Verächter der Tautologie viel lernen, vor allem, wie unsinnig es ist, den logischen Sinn mit dem sprachlichen Ausdruck zu identifizieren und deshalb die Logik zur Philosophie der Sprache zu machen. Aber die Formel  A = A,  die das Prinzip der Identität oder der Tautologie zum Ausdruck bringen soll, ist leider gar nicht so tautologisch, sondern heterologisch, wie jede Gleichung und enthält außerdem noch einen alogischen Faktor. Hält man daran stets fest, so wird man auch den Satz  1 = 1  nicht für tautologisch und überhaupt nicht für rein logisch halten. Auch die Eins ist wie jeder Gegenstand nur mit sich selbst identisch. Das ist eine rein logische Wahrheit. Daß aber die eine Eins der andern, also von ihr verschiedenen, trotzdem gleich ist, sagt etwas ganz anderes, das nicht nur weit über den Satz der Identität, sondern auch über die Andersheit hinausführt und daher in keiner Weise als rein logisch gelten kann.

Das läßt sich mit einer später noch einmal zu verwendenden Terminologie auch so ausdrücken. Jede Unterscheidung bedarf eines Mittels zwischen dem Verschiedenen, eines  Mediums,  an dessen verschiedenen Stellen sich das Verschiedene befindet. Das, was es gestattet, das Eine vom Andern zu unterscheiden, können wir daher auch das rein logische Medium und dementsprechend das Eine und das Andere, wie wir das schon angedeutet haben, seine rein logischen "Stellen" nennen. Dabei ist freilich sowohl der Begriff des Mediums als auch der Stelle cum grano salis [mit einer Brise Salz - wp] zu verstehen, denn die Stellen fallen vollständig mit dem Einen und dem Andern zusammen und das Medium ist nichts anderes als das Verhältnis, in dem das Eine zum Andern steht. Trotzdem wählen wir mit Rücksicht auf spätere Darlegungen diese Terminologie. Warum die logische Form der Gleichheit sich im rein logischen Medium nicht auf Gegenstände anwenden läßt, wird dann sofort klar. Man braucht nur wieder darain zu denken, daß Gleichheit stets von Identität verschieden, außerdem aber auch eine ganz eigentümliche Verbindung von Identität und Verschiedenheit ist. Es muß sich mit anderen Worten auf beiden Seiten einer Gleichung in den verschiedenen, einander gleich gesetzten Gegenständen doch wenigstens teilweise um dasselbe, ja, wenn eine absolute Gleichung vorliegen soll, in einem gewissen Sinne sogar um genau denselben Gegenstand handeln. Das klingt zunächst ganz paradox und im rein logischen Medium, wo es nur entweder Identisches oder Verschiedenes gibt, das also keine "Stellen" außer dem Einen und dem Andern hat, ist diese Identität verschiedener Gegenstände in der Tat auch ganz ausgeschlossen. Die vollkommene Gleichung erscheint hier als der vollkommene Widerspruch. Aber gerade daraus folgt, daß erst in einem Medium von anderer, nicht mehr rein logischer Art, in dem es noch andere Stellen als das Eine und das Andere gibt, jene Identitt des Verschiedenen möglich wird, die bei einander vollkommen gleichen Gegenständen, wie die Zahlen  1  und  1  es sind, nicht entbehrt werden kann.

Worin die Eigenart dieses alogischen Mediums besteht und worauf die vollkommene Gleichheit trotz der Verschiedenheit beruth, fragen wir noch nicht. Wir bleiben zunächst bei der Einsicht, daß der Sinn des Satzes  1 = 1  sich mit dem Einen und dem Andern im rein logischen Medium nicht aufbauen läßt. Im Grunde ist damit schon die Entscheidung unserer Hauptfrage nach der negativen Seite hin gegeben. Aber es sind doch ausdrücklich noch andere Verwechslungen in der angeblich rein logischen Ableitung der Zahl aufzuzeigen. Die Eins muß, um Zahl zu sein, nicht nur einer anderen Eins gleichgesetzt, sondern mit ihr auch so verbunden werden können, daß beide zusammen der Zwei gleichen. Diese Verbindung nennt man  Addition.  Auch den Satz  1 + 1 = 2  wollen wir, zumal mit Rücksicht auf das plus, ins Auge fassen. Das Verhältnis zwischen dem Einen und dem Andern wird nämlich durch das Wort "und" zum Ausdruck gebracht und dieses Wort glaubt man nun auch für plus oder das Additionszeichen gebrauchen zu dürfen, da man gewohnt ist, zu sagen, daß "Eins und Eins" der Zwei gleich sei. Tatsächlich aber ist das bloße "und", welches das Eine mit dem Andern verbindet, ein rein logischer Begriff, der mit dem mathematischen  +,  welches mehrere Einzahlen so verbindet, daß sie einer Mehrzahl gleich sind, auf keinen Fall identifiziert werden darf. Dies haben wir ebenfalls ausdrücklich klarzulegen, d. h. zu zeigen, daß die Addition ebensowenig wie die Gleichung als rein logisch zu verstehen ist.

Was bedeutet da Wort "und" rein logisch genommen? Wenn wir das Eine  und  das Andere haben, ist offenbar das Eine vom Andern getrennt. Aber das heißt, wie wir wissen, nicht: wir haben jedes nur für sich, denn das Eine fordert ja das Andere. Wir haben also, wie wir schon sahen, eine Einheit, und zwar ist diese Einheit des Mannigfaltigen von der Art, daß das Eine mit dem Andern sowohl verbunden als auch zugleich von ihm getrennt ist. Dieses eigentümliche Verhältnis der Trennung  in  der Verbindung ist das rein logische Verhältnis überhaupt, für welches das Wort "und" einer der besten Ausdrücke sein dürfte, die wir finden können. Die Worte: "Das Eine und das Andere" gehören dann alle notwendig zusammen. Man kann freilich auch schreiben: das Eine, das Andere, aber dann hat das dazwischen stehende Komma entweder die Bedeutung des "und", oder es fehlt, wenn es nur als Trennungszeichen verstanden wird, ein wesentliches Moment. Das gerade ist das Eigentümliche dieser Verbindung, daß darin weder die Trennung noch die Verbindung überwiegt und daß besonders die rein logische Verbindung nicht einer Einheit von der Art gleichgesetzt werden darf, in der die Trennung irgendwie angetastet ist und in der ein Hinweis auf eine Verschmelzung zu einem Gegenstand liegt, in dem das Eine und das Andere untergegangen ist.

Deswegen können wir das "und" auch zwischen alle Gegenstände setzen, auch zwischen solche, die Gegensätze sind. So sprechen wir von Forum und Inhalt, Wahrheit und Falschheit, Subjekt und Objekt, Position und Negation, Ursache und Wirkung, Gott und Welt, um sie dadurch sowohl zu trennen als auch zu verbinden und gerade die Selbständigkeit der aufeinander bezogenen Gegenstände, die Andersheit des anderen Gegenstandes gegenüber dem einen ist vorausgesetzt oder es muß zumindest problematisch bleiben, ob solche Gegenstandspaare wie die genannten sich jemals zu einer anderen Einheit als der des Einen und des Andern verbinden lassen. Ja, das "und" betont bisweilen sogar ausdrücklich die Andersheit, besonders wenn es zwischen gleichen Worten steht. Sagen wir z. B.: Mensch und Mensch, so kommt es uns auf das Verhältnis des einen zum andern Menschen und nicht etwa auf das Verhältnis des Menschen zu sich selbst oder auf irgendeine Einheit an, in der nicht mehr der eine Mensch vom andern geschieden wird. Noch schärfer wird vielleich die Andersheit in einem Satz wie: "Es gibt Menschen und Menschen" hervorgehoben, und auch wenn wir sagen: gleich und gleich, so meinen wir Eines und ein Anderes.

Freilich ist die Sprache hier, wie überall, nicht völlig konsequenz. So kann z. B. in der Wendung "ein und dasselbe" das Wort "ein" dasselbe wie das Wort "dasselbe" bedeuten, und das "und" steht also dann nicht zwischen dem Einen und dem Andern. Aber das sind Ausnahmefälle, auf die es hier nicht ankommt und jedenfalls haben wir Grund, die meist durch "und" bezeichnete Relation als eine ganz besondere, rein logische auszuzeichnen und dafür zu sorgen, daß nicht fremdartige Bedeutungselemente sich in sie einschleichen, die sie zu sehr spezialisieren würden. Im Anschluß an die vorher gebrauchte Terminologie können wir das "und" auch die Form des rein rein logischen Mediums nennen, in dem es  nur  das Eine und das Andere zugleich das Eine  und  das Andere gibt. Dann ist klar, daß jede nähere Bestimmung des Verhältnisses von Gegenständen zueinander nicht aus dem "und", als der rein logischen Einheit, sondern nur aus der inhaltlichen, alogischen Besonderheit der dadurch verbundenen Gegenstände kommen kann.

Hiernach wird es nicht mehr schwer sein, die Bedeutung des "plus" gegen das "und" abzugrenzen. Nur ist vorher noch ausdrücklich darauf zu achten, daß dieses Zeichen, auch abgesehen von seiner möglichen Verwechslung mit dem "und", noch vieldeutig ist. Wir schreiben  + 1  und brauchen dabei bekanntlich noch gar nicht an die Bedeutung zu denken, die dasselbe Zeichen im Satz   1 + 1 = 2  hat. Das  +  ist dann nur das Zeichen für die "positive" Zahl im Unterschied von der negativen, aber noch nicht das Zeichen für jene eigentümliche Verbindung zwischen den Einzahlen, die es gestattet, sie der Zwei gleichzusetzen, und die wir Addition nennen. Der Satz  1 + 1 = 2  muß daher, wenn man überhaupt darauf reflektiert, daß es sich dabei um positive Zahlen handelt, (+1) + (+1) = (+2) geschrieben werden. Dann sieht man sofort, daß die Bedeutung des frei stehenden  +  nicht dieselbe ist wie die Bedeutung des  +,  das in Klammern steht, und das kann für unseren Zweck, das Additionszeichen vom Zeichen für die Positivität der Zahl zu scheiden, genügen. Nach dem Wesen der positiven Zahl im Unterschied von der negativen fragen wir im Übrigen hier nicht.

Über das Verhältnis des Additionszeichens zum "und" bedarf es nur noch weniger Worte. Gemeinsam ist beiden, daß sie zwischen Eins und Eins stehen, so daß also auch das plus die Einzahlen sowohl trennt als auch verbindet. Aber mag auch die Art der Trennung durch plus nicht von der durch "und" verschieden sein, so ist doch die Art der Verbindung, sobald sie der Zwei gleichgesetzt werden kann, eine völlig andere. Wir haben hier nicht ein Verhältnis, in dem weder die Trennung noch die Verbindung überwiegt, sondern der Ausdruck weist vielmehr auf eine Verbindung hin, in der die Trennung aufgehoben und die eine Eins mit der andern Eins zu etwas Neuem verschmolzen ist, das bei der Trennung noch nicht da war, trotzdem aber den getrennten Zahlen gleicht. Das zeigt, daß in der Verbindung durch plus jedenfalls  die  Selbständigkeit der einen und der anderen Eins angetastet wird, die besteht, so lange die Zahlen nur wie das Eine und das Andere durch "und" verbunden sind, und das kann genügen, um zu zeigen, daß "und" und "plus" nicht zusammenfallen. Dasselbe ergibt sich daraus, daß sich das Additionszeichen nicht wie das "und" zwischen  alle  Gegenstände setzen läßt. "Das Eine plus das Andere" hat, wenn ich dabei wirklich nur an das Eine und nur an das Andere denke, überhaupt keinen Sinn. Das  +  stellt somit zwischen Gegenständen eine Beziehung her, die nur zwischen besonders bestimmten, d. h. nicht mehr rein logischen Gegenständen möglich ist, und das kann seinen Grund nur darin haben, daß es selbst eine speziellere Bedeutung als das "und" besitzt, also selbst mehr als rein logisch ist.

Von hier aus kann man dann auch verstehen, was es heißt, daß, um an KANTs Beispiel zu erinnern, das Urteil  7 + 5 = 12  nicht "analytisch" sondern "synthetisch" ist. Nicht nur von der subjektiven Ausdrucksweise müssen wir freilich dabei absehen, sondern auch die Termini Subjekt und Prädikat können wir für die Urteilsglieder ohne besondere Erklärung nicht gebrauchen, da sie ja zunächst nur die grammatikalischen Bestandteile des Satzes, nicht die Glieder des logischen Sinnes treffen, und daher mit ihnen, so wie sie gewöhnlich verwendet werden, bei der Behandlung logischer Probleme nicht viel anzufangen ist. Sie dürfen hier nur so gebraucht werden, daß sie mit dem Unterschied und der Verbindung von Form und Inhalt in eine notwendige Beziehung kommen. Sonst fehlt ihnen die wesentliche logische Bedeutung. Unter Prädikat ist dann zunächst nur die Form zu verstehen, die der Urteilsakt einem Inhalt beilegt. Das Subjekt ist dementsprechend nur der Inhalt, der geformt wird. In dieser ursprünglichen Verbindung oder "Synthese" von Subjekt und Prädikat als der Verbindung von Inhalt und Form haben wir dann in der Tat das einfachste Urteil. Dabei ist aber zu bemerken, daß sich ein solches Urteil sprachlich niemals adäquat formulieren läßt. Jedes mit einem Wort bezeichnete Subjekt hat schon ein Prädikat. Ein prädikatloses Subjekt in einem Satz gibt es genausowenig, wie einen formfreien Inhalt. Oder: wie jeder Gegenstand aus Form und Inhalt besteht, so ist jedes Subjekt in einem Satz bereits eine Verbindung oder Synthese von Subjekt und Prädikat. Deshalb kommen Sätze, die nur den Sinn eines einfachen Urteils enthalten, nicht vor. Es wird im Satz das Prädikat notwendig von einem Subjekt ausgesagt, das schon ein Prädikat hat, und deshalb schon eine Verbindung von Inhalt und Form ist. Der einfachste aus Subjekt und Prädikat bestehende  Satz  hat notwendig den Sinn von mindestens zwei Aussagen.

Daraus verstehen wir den logischen Sinn des einfachsten "analytischen" Urteils, das als Satz auftreten kann. "A ist A" heißt dann: das Subjekt ist der schon als  A  synthetisch prädizierte Inhalt, und von ihm wird nun noch einmal dasselbe  A  prädiziert. Oder: "Etwas ist Etwas" bedeutet: dem Subjekt als dem Inhalt in der Form der Identität wird noch einmal dieselbe Form der Identität beigelegt. Hier fehlt also, nachdem die ursprüngliche Synthese vor dem Satz schon vollzogen war, jeder Gedankenfortschritt durch den Satz, oder hier entspricht dem Satz kein Urteil, das etwas Neues sagt. Dieses Urteil ist also in dem Sinne "analytisch", daß es identisch ist, d. h. etwas als mit sich selbst identisch bezeichnet.

Bei komplizierten Urteilen muß das Verhältnis des Begriffspaares Subjekt und Prädikat zum Begriffspaar Inhalt und Form erst durch Zergliederung festgestellt werden, was hier zu weit führen würde. Ungefähr können wir trotzdem auch den komplizierten Sinn des Satzes "alle Körper sind ausgedehnt" in folgender Weise als "analytisch" bestimmen. Das, was als Körper bezeichnet ist oder das Prädikat Körper hat, ist damit synthetisch bereits als ausgedehnt prädiziert, denn Körper heißt zumindest soviel wie das Ausgedehnte. Der Satz: "alle Körper sind ausgedehnt" wiederholt also wiederum noch einmal analytisch, die Synthese zerlegend, dasselbe Prädikat, das das Subjekt oder der Inhalt durch die Bezeichnung Körper schon erhalten hatte, d. h. er sagt auch nichts Neues, oder er ist insofern ebenfalls identisch wie der Satz:  A ist A.  Freilich zeigt er daneben doch auch einen Unterschied. "Ausgedehnt" kann von "Körper" verschieden sein, obwohl Körper das "ausgedehnt" in sich schließt, denn Körper ist zugleich mehr als bloß ausgedehnt. Daher liegt hier bei Subjekt und Prädikat nur teilweise Identität vor, und der Sinn des identischen Satzes bedarf außer der Form der Identität noch der Andersheit für die im Satz als verschieden hervorgehobenen Gegenstände. Immerhin kann auch ein Urteil wie: "ein Quadrat ist ein Viereck" identisch genannt werden, da der Gegenstand Viereck bereits in Quadrat enthalten ist, und daher durch den Satz nur dasselbe noch einmal prädiziert wird, was durch die Bezeichnung Quadrat schon vom Subjekt prädiziert war.

Im Gegensatz zu solchen analytischen Urteilen können wir nun endlich verstehen, daß die Gleichung  7 + 5 = 12  mit Identität und auch mit Andersheit nicht auskommt und insofern synthetisch ist. Ja, sie enthält nicht nur das schon aus  1 = 1"  bekannte alogische Moment, sondern ist notwendig auch noch in anderer Weise mehr als rein logisch. Wird  7 + 5  als Subjekt gesetzt, so heißt das, daß´von einem namenlosen Subjekt oder Inhalt schon prädiziert ist, er sei  7 + 5,  was selbstverständlich eine Mehrheit von Prädizierungen oder Synthesen einschließt, die hier nicht aufzuzählen sind. Diesem so prädizierten Gegenstand als dem Subjekt wird nun erstens ein anderer Gegenstand überhaupt gleichgesetzt, wie in  1 = 1,  also zu ihm ein neues Prädikat synthetisch hinzugefügt, und außerdem fällt dieser andere Gegenstand, die Zahl  12,  nicht einmal unter denselben Begriff wie  7 + 5,  so daß wenigstens in dieser Hinsicht nur eine Verschiedenheit der Namen bestände, sonst aber Identität des verschieden Genannten. Da trotzdem  5 + 7  der  12  gleich sein soll, bedarf das Urteil, um wahr zu sein, also noch eines neuen alogischen Faktors, oder es ist in doppelter Weise "synthetisch": erstens als Gleichung überhaupt und zweitens als Gleichung von nicht unter denselben Begriff fallenden Gegenständen. Jede rein logische oder "analytische" und ebenso jede nominalistische Auffassung muß deshalb hier scheitern.

Der Name kann sogar, um auch das zu bemerken, für den einen und den andern Gegenstand, die so einander gleichgesetzt werden, derselbe sein und darf dann nicht über die Verschiedenheit der einander gleichen Gegenstände täuschen. Verbinden wir z. B.  5  und  20  durch  +  und setzen diesen Gegenstand  25  gleich, so klingt das sprachlich allerdings so, als hätten wir in Fünf und Zwanzig und Fünfundzwanzig Zahlen, die nur so voneinander verschieden sind wie  1  und  1  oder  12  und  12.  Tatsächlich aber ist der Gegenstand  25  als Zahleinheit gegenüber 5 und 20 ebenso etwas Neues, "Synthetisches", wie  12  gegenüber  5 + 7  oder  2  gegenüber  1 + 1.  Denn wenn  25  auch eine Mehrzahl ist, so ist es darum doch nicht eine Mehrheit von Zahlen wie  5 + 20,  sondern nur  eine  Mehrzahl. Daß der Wortlaut von Fünfundzwanzig das nicht hervortreten läßt, ist ganz zufällig, und man darf dies daher nicht, wie man es getan hat, als Einwand gegen den mehr als rein logischen oder synthetischen Charakter einer Gleichung von Zahlen benutzen. Auf jeden Fall setzt "plus" zwar ebenso wie "und" as Eine und das Andere voraus, aber Identität und Verschiedenheit für sich allein machen noch keine Addition und keine Gleichsetzung von mehreren Einzahlen mit einer Mehrzahl möglich. Dadurch tritt von neuem der alogische Charakter der Zahlen zutage, wenn man darunter nur addierbare Gegenstände verstehen will. Ganze Zahlen aber, mit denen man rechnen kann, müssen immer addierbar sein. Nicht durch "plus" zu verbindende "Zahlen" kommen hier nicht in Betracht.

Es verdient bemerkt zu werden, daß, freilich ganz unklar, in der Logistik der dargelegte Sachverhalt ebenfalls zum Ausdruck gekommen ist. Man hat gesagt,  a + a  sei eigentlich nicht  2 a  sondern nur  a.  In dieser paradoxen Formel haben wir gewissermaßen die Kehrseite unserer Unterscheidung. Nur ist der Ausdruck hier wegen des Zeichens  +  wieder ebenso unglücklich wie die Formel  A = A  für den Satz der Identität es wegen des Gleichheitszeichens war, und deshalb ist auch der Kernpunkt im Grund doch verborgen geblieben. Was hinter der Paradoxie steckt, ist aber in der Tat dies, daß, solange man nur  a  hat, man noch nicht addieren oder nur Zwei kommen kann. Wir wissen, daß sich vom  a  für sich sogar noch nicht einmal ein anderes  a  erreichen läßt, wenn es überhaupt möglich wäre, das Eine ohne das Andere zu denken. Wir gehen also noch üebr den von der Logistik gemeinten Sinn der unglücklichen Formel  a + a = a  hinaus. Richtig bleibt nur, daß  a + a = 2 a  ist, dagegen nicht nur  a  sondern auch  a und a  in der Tat nicht  2a  gleichgesetzt werden darf. Freilich kann man auch nicht sagen:  a  und  a  sind gleich  a,  denn  a  ist nur das Eine, und das andere  a  ist nur das Andere, und das Eine und das Andere sind nicht dem Einen gleich. Es fehlt hier überhaupt noch die Möglichkeit irgendeiner Gleichung.

Selbstverständlich hängt die Notwendigkeit, "und" von "plus" zu scheiden, mit den Gründen zusammen, die es verbieten, das Eine mit dem Andern durch ein Gleichheitszeichen zu verbinden. Plus kann nur zwischen Gegenständen stehen, die nicht nur überhaupt, wie alle Gegenstände, sondern schon in einer besonderen Weise miteinander vergleichbar sind, und zwar so, daß sie entweder einander gleichen oder, trotz der Ungleichheit, doch beide etwas enthalten, das nicht verschieden, sondern im Einen wie im Andern dasselbe ist. Wenn ich nicht nur die gleichen Zahlen  1  und  1,  sondern auch die ungleichen Zahlen  1  und  2  addieren kann, so liegt das daran, daß  2 = 1 + 1  ist, und ebenso sind alle Mehrzahlen deshalb addierbar, weil alle sich einer Mehrheit von durch  +  verbundenen, einander gleichen Einzahlen gleich setzen lassen. Gegenstände dagegen, von denen der eine nur dadurch ein Gegenstand ist, daß er sich vom andern unterscheidet, also nichts mit ihm Gemeinsames hat, sind der Addition ebenso wie der Gleichsetzung entzogen. Daß Wirklichkeiten, soweit sie verschieden sind, nicht addiert werden können, weiß jeder. Katze und Maus ist nicht Katze plus Maus, sondern wenn ich diese Wirklichkeiten addieren und zwei Wirklichkeiten gleichsetzen will, so muß ich von dem, wodurch sie Katze und Maus, also verschieden sind, absehen und auf das chten, was ihnen gemeinsam ist, d. h. ich muß, wenn ich durchaus addieren will, vom einen und dem andern Tier und nicht mehr von Katze und Maus reden. Man sollte sich darüber klar werden, daß das für alle, also auch für unwirkliche Gegenstände gilt, und daß auch aus diesem Grund das Eine und das Andere nicht das Eine plus das Andere sein kann. Addieren kann man ebenso wie gleichsetzen nur Gegenstände, die einerseits zwar verschieden, aber zugleich noch etwas anderes als verschieden sein müssen, und dieses zunächst nicht weiter zu bestimmende Andere ist dann auch bei Zahlen ein alogisches Moment. So hat uns die Unterscheidung des und vom plus, ebenso wie die der Identität von der Gleichheit, zur Ablehnung des rein logischen Wesens der Zahl geführt.

Wer aber verstanden hat, daß "plus" nicht "und" ist, kann auch nicht bestreiten, daß die rein logische Mannigfaltigkeit des Einen und des Andern etwas Anderes sein muß, als die Mannigfaltigkeit, die in der vollzogenen Einheit einer Mehrzahl steckt, und daß also auch in dieser Hinsicht das rein Logische zur Bildung der Zahl nicht genügt. Die logische Einheit der Mannigfaltigkeit ist lediglich die Verbindung des Einen und des Andern durch das "und". Das ergibt sich aus den früheren Ausführungen von selbst. Nur ein Umstand ist dabei noch besonders hervorzuheben, den wir schon einmal gestreift haben. Wir dürfen nicht glauben, daß die rein logische Mannigfaltigkeit für sich genommen, schon das ist, was man eine "Reihe" nennt, so daß es möglich wäre, von eienr rein  logischen Reihe  zu sprechen.

Dieser Begriff scheint freilichen Manchem völlig unbedenklich, und unsere Behauptung wird daher auf Widerspruch stoßen. Man setzt beliebig viele Striche oder Punkte nebeneinander auf das Papier und glaubt, darin das Symbol für einen rein logischen Gegenstand zu haben. Offenbar meint man, wenn das Eine und das Andere hinzufügen lassen, da ja der Schritt vom Einen zum Andern genau derselbe wie vom Andern zum noch Andern sei, so daß ohne irgendeinen alogischen Bestandteil sogar eine beliebig weit fortzusetzende oder "unendliche" Reihe entsteht. Das Alles aber ist Irrtum, der wohl meist darauf beruth, daß aus den Reihen von Strichen oder Punkten auf dem Papier, die, wie niemand leugnen kann, schon viel mehr enthalten, als rein logisch ist, sich alogische Bestandteile unmerklich in unsere Begriffe hineinschleichen. Vielleicht sollte man deshalb solche Striche und Punkte, ja alle mathematischen Symbole in der Logik lieber vermeiden, und jedenfalls müssen wir sorgfältig auf die mit ihnen gesetzten alogischen Faktoren achten, wenn hier nicht alles verwirrt werden soll. Dann werden wir bald verstehen, daß es eine rein logische Reihe in Wahrheit nur auf dem - Papier gibt.

Das Grundprinzip ist auch hier einfach. In der rein logischen Mannigfaltigkeit herrscht die Alternative. Der Unterschied wird hier notwendig zum Gegensatz, dessen Glieder sich ausschließen, weshalb auch der Schein entstehen kann, daß Andersheit nur Nicht-Identität sei. Das Eine und das Andere ist in diesem Fall zugleich das Eine  oder  das Andere. "Noch" ein Anderes gibt es daher hier nicht, d. h. es ist immer wieder dasselbe Andere, und wer die Worte: noch ein Anderes ausspricht, fügt nur mit Worten aber nicht der Sache nach Etwas zum Einen und Andern hinzu. Gerade also weil der Schritt vom Einen zum Andern "derselbe" ist wie der zum noch Andern, gibt es hier keine Reihe. Das Eine und das Andere ist schon das "Ganze" der rein logischen Mannigfaltigkeit. Darüber kommen wir mit dem Wiederholen des Wortes "noch", das wir selbstverständlich beliebig oft aussprechen oder niederschreiben können, nicht hinaus. Das Andere ist bereits das "Letzte". Mit dem Wort "noch ein Anderes" ist nichts "gesagt". Es kann nur das Eine und das Andere geben, solange wir im rein Logischen bleiben. Jedes Hinzusetzen von noch einem Anderen, das aus dem Einen und dem Anderen in Wahrheit etwas Anderes als das Eine und das Andere, also den Anfang eienr Reihe macht, bedeutet schon ein Überschreiten der rein logischen Sphäre. In ihr ist für eine Reihe kein "Platz". Sie ist nicht so "geduldig" wie das Papier, auf das man beliebig viele Striche setzen, oder die Zeit, in der man beliebig oft "noch" sagen kann. Nur wenn man das Eine und das Andere schon für die eine und die andere Eins hält, also das Logische schon mit dem Mathematischen verwechselt hat, dann kann man eine Reihe bilden, und dann läßt sich natürlich ohne Hilfe eines Neuen immer noch eine andere Eins hinzufügen, so daß man sogar eine beliebig weit fortzusetzende Reihe und schließlich jede beliebige Zahl erhält. Das Eine und das Andere aber kann ja nicht einmal in dem Sinne als eine Reihe gelten, daß das Eine das logisch frühere als das Andere ist, so daß also auf diese Weise eine logische "Reihenfolge" entsteht. Das Andere ist vielmehr logisch genau ebenso ursprünglich wie das Eine, und nur die Form unserer Darstellung durch die Sprache zwingt uns, zuerst das Eine und dann das Andere zu nennen. Von einer rein logischen Reihe dürfen wir also in keiner Hinsicht sprechen.

Freilich, dieses Ergebnis klingt wieder sprachlich sehr paradox. Bei der Alternative heißt es doch: tertium non datur [ein Drittes gibt es nicht - wp], und das bedeutet: mehr als Zwei gibt es nicht. Daraus scheint notwendig zu folgen, daß in der Alternative schon die Zwei, also eine Zahl enthalten ist. Aber das scheint nur so. Gewiß sind wir gewohnt, das Andere eo ipso das Zweite zu nennen, und wenn wir einmal verschiedene, einander gleiche oder auch eine Mehrzahl von ungleichen Gegenständen haben, dann kann der andere Gegenstand immer auch der zweite heißen, da, wer die Zahlen schon hat, Alles zu zählen vermag und statt Alternative auch "nur Zwei" sagen kann. Wir tun das gern, denn die Bedeutungen der Zahlworte mit ihrer festen Ordnung machen den Sinn unserer Sätze klar und leicht verständlich. Solange wir aber außer dem Eien allein das Andere haben, gibt es trotzdem noch keine Zwei, wie bei mathematischen und natürlich auch bei realen Gegenständen. Und zwar ist das gerade deswegen ausgeschlossen, weil bei der reinen Alternative keine Drei vorkommt. Hat man nämlich einmal die Eins und die Zwei, dann läßt sich die Drei ohne irgendein neues Moment aus ihnen gewinnen. Bestände also die Alternative aus der Zwei, dann wäre der Satz: tertium non datur, falsch. Wo Zwei ist, gibt es im Unwirklichen immer auch Drei als Möglichkeit. Deshalb muß das, was die Drei ausschließt, auch die Zwei und die Zahl überhaupt ausschließen, gleichviel ob wir, die wir im Besitz der Zahlen sind, das Eine und das Andere als zwei Glieder zu bezeichnen, uns gewöhnt haben. In der Sprache des täglichen Lebens wäre es gewiß eine sinnlose Pedanterie, zu sagen, daß eine Alternative nicht aus zwei Gliedern besteht. In der Logik dagegen haben wir streng darauf zu achten, daß die Einheit der rein logischen Mannigfaltigkeit auch als Alternative nichts enthält als das Eine und das Andere und daher noch nicht einmal den Ansatz zu einer Reihe abgeben kann.

Dem Manne der Einzeldisziplinen muß das "rein" logische Gebiet, falls seine Darstellung zutreffend ist, sehr öde und armselig vorkommen. Er wird das Gefühl haben, als trete er hier nicht auf die schöne grüne Weide der Wissenschaft, sondern werde auf dürrer Heide von einem "bösen Geist" im Kreis herumgeführt: er kommt ja immer nur vom Einen zum Andern und von Andern wieder zum Einen zurück. Wissenschaft aber ist Fortschritt. Diese Ansicht über die rein logische Sphäre ist vom Standpunkt der Einzelwissenschaften aus auch völlig zutreffend. Erkenntnis, wie diese sie anstreben, gibt es hier in der Tat nicht. Zugleich aber sagt das gar nichts gegen den Wert des rein Logischen und seiner wissenschaftlichen Darstellung. Nicht darauf kommt es an, dieses Gebiet möglichst reich auszugestalten, sondern lediglich darauf, die Faktoren rein herauszuarbeiten, die bei jedem gegenständlichen Denken überhaupt unentbehrlich sind. Wegen ihrer "Leerheit" darf man sie nicht verachten. Sie gehören eben zu  jedem  wissenschaftlichen Denken, ja zu jedem logischen Denken überhaupt notwendig hinzu und sind deshalb die unentbehrliche Grundlage auch des Reichtums der Einzelwissenschaften. Vor allem aber gilt: nur dann, wenn wir diese logischen Faktoren in ihrer Reinheit kennen, dürfen wir hoffen, das Wesen der einzelwissenschaftlichen Gegenstände in ihrer Eigenart zu verstehen. Daß auch die Gegenstände der Mathematik nicht rein logisch sein können, muß jetzt von Neuem klar sein, denn niemals bewegt sich diese Wissenschaft nur im Zirkel der Alternative, sondern, mit so Wenigem sie sich auch begnügen mag, erst die  Reihe  ist das Element, in dem sie "leben" und fortschreiten kann. Sie braucht daher notwendig ein Alogisches. Das festzustellen, war der Hauptzweck dieser Ausführungen, der nun erfüllt ist.

Blicken wir noch einmal zurück, so lassen sich die drei verschiedenen Begriffe, auf die es uns vor allem ankam, scharf auseinanderhalten und ihnen zugleich ihre drei Korrelate, die sie notwendig fordern, gegenüberstellen. Wir sagen ausdrücklich "drei" Begriffe, denn wir, die wir im Besitz der Zahlen sind, können diese, von uns  nach einander entwickelten Begriffe selbstverständlich auch zählen. Aber man wird daraus nicht schließen, daß  in  ihnen darum schon die Zahl enthalten sein muß. Wir zählen die Begriffe, die wir auseinander halten wollen, der Übersichtlichkeit wegen und stellen nun zusammenfassend noch einmal dies fest. Zuerst nannten wir das Eine und das Andere und hatten dabei im  Einen  nur das  Identische.  Diese Eine forderte - as war der zweite Schritt - das  Andere  als mit ihm verbunden, und so kamen wir zur Einheit des Einen und des Andern oder zur  Einheit  des  Mannigfaltigen  überhaupt. Mit diesen beiden Begriffspaaren blieben wir in der rein logischen Sphäre. Sie waren "zwei" nur in unserer Aufzählung, nicht der Sache nach. Zu ihnen trat endlich drittens die  Einzahl  im Gegensatz zur  Mehrzahl  hinzu. Damit verließen wir das rein logische Gebiet und kamen zu etwas auch logisch "Späterem". Wir konnten zeigen, daß aus den beiden ersten Begriffspaaren sich das dritte schon deswegen nie ableiten läßt, oder genauer, nicht in ihm enthalten ist, weil Zahlen, mit denen man rechnen kann, gleiche und addierbare  Gegenstände  sein müssen. Diese enthalten etwas Neues gegenüber Gegenständen, die nur mit sich selbst identisch oder nur voneinander verschieden sind, und sie tragen deshalb, obwohl die Gleichheit eine logische Form ist, als Gegenstände etwas Alogisches in sich, das die Anwendung der Gleichheit ermöglicht.  Nur  identische und  nur  verschiedene Gegenstände können nie einander gleich sein und vollends nicht addiert werden.
LITERATUR - Heinrich Rickert, Das Eine, die Einheit und die Eins - Bemerkungen zur Logik des Zahlbegriffs, Logos, Bd. 2, Tübingen 1911