tb-1ra-2Alf RossH. GomperzM. Betzlervon KirchmannF. Münch    
 
EMIL LASK
Gibt es einen "Primat der praktischen
Vernunft" in der Logik?


"Wenn Wahrheit ein Wert ist, so kann die charakteristische theoretische Subjektbetätigung, das Erkennen, kein teilnahmsloses Verhalten, es muß vielmehr ein Stellungnehmen zum Wert, eine praktische Betätigung sein, in der etwas von sittlicher Achtung vor dem Wert niedergelegt ist. Es geht nicht mehr an, eine parteilose Sachlichkeit des rein Theoretischen im Gegensatz zur wertenden Teilnahme zu stellen. Auch der Erkennende, der im Urteil sich Entscheidende, der nach Wahrheit Strebende handelt aus Pflicht, nach seinem Gewissen. Hinter dem Wissen steht das Gewissen. Das ist die Lehre vom Primat der praktischen Vernunft."

Wir verstehen unter der Lehre vom Primat der praktischen Vernunft jede Ansicht, die dem Begriff des pflichtbewußten Willens eine zentrale Stellung auch in der theoretischen Philosophie einräumt, dem praktischen Wertmoment in der Urteilslehre eine beherrschende Rolle zuteilt. Nur eine kleine polemische Bemerkung gegen diese Theorie soll der heutige Vortrag bringen, lediglich in der Absicht, die große philosophische Grundanschauung, der sie ihr Dasein verdankt, von einem störenden ethisierenden Beiwerk zu befreien, mit dem deren ewiger Gehalt gegenwärtig noch umhüllt ist.

Hervorgegangen aber ist die Lehre vom Vorrang des Ethischen im Theoretischen aus jener grundlegenden philosophischen Erkenntnis, die ich für die befreiende klärende Tat auf dem Gebiet der theoretischen Philosophie halte, nämlich aus der Einsicht, daß Logik und Erkenntnistheorie eine Kritik der Vernunft, eine Lehre vom  Wert ein Grübeln über Sinn und Bedeutung ist.

Der ethisierenden Erkenntnistheorie liegt ein allgemeiner Moralismus in der Werttheorie überhaupt zugrunde. Zwar nicht jener äußerste und kühnste, der im sittlichen Persönlichkeitswert die Urform der Wertes erblickt. Der von uns gemeinte Moralismus läßt vielmehr das Gelten ansich als etwas auch der ethischen Sphäre gegenüber Selbständiges und Unabhängiges, jenseits ihrer Liegendes, Letztes, Unableitbares bestehen. Wohl aber erscheint bei ihm das Ethische wenn auch nicht als der letzte, so doch als der vorletzte Begriff. Er behauptet eine eindeutige  Korrespondenz  zwischen Wert und ethischem Verhalten. Man kann nach ihm den Wert geradezu als das  definieren,  worauf sich ein praktisches Verhalten richtet. Gegenstand praktischer Stellungnahme sein - das ist  die  Umschreibung des Wertbegriffs, seine unmittelbarste sich ihm am engsten anschmiegende Charakterisierung, der erste Schritt, den wir über die Verschlossenheit und Transzendenz des Ansichgültigen hinaus tun können. Anerkennung heischendes Gelten auf der einen und ihr korrespondierende Hingabe auf der anderen Seite - das ist die letzte Zweiheit, Gespaltenheit und Korrelativität im Wertbegriff. Das nicht Gleichgültige und Wesenlose kennzeichnet sich eben als das, was wir in unseren Willen aufnehmen sollen und dem in freiwilliger Unterordnung unser Leben zu weihen unsere eigene Würde als autonomer Wesen ausmacht.

Dieses auf das Theoretische angewandt ergibt sofort: Wenn Wahrheit ein Wert ist, so kann die charakteristische theoretische Subjektbetätigung, das Erkennen, kein teilnahmsloses Verhalten, es muß vielmehr ein Stellungnehmen zum Wert, eine praktische Betätigung sein, in der etwas von sittlicher Achtung vor dem Wert niedergelegt ist. Es geht nicht mehr an, eine parteilose Sachlichkeit des rein Theoretischen im Gegensatz zur wertenden Teilnahme zu stellen. Auch der Erkennende, der im Urteil sich Entscheidende, der nach Wahrheit Strebende handelt aus Pflicht, nach seinem Gewissen. Hinter dem Wissen steht das Gewissen.

Das ist die Lehre vom Primat der praktischen Vernunft.

Wir akzeptieren durchaus das bei ihr zugrunde liegende Gesamtbild vom Reich des Wertes, die Spaltung der Sinnhaftigkeit in eine objektie, der Subjektivität entgegenblickende und in eine der Subjektivität selbst innewohnende Sinnsphäre, diesen ganzen Gedanken von der Korrespondenz zwischen objektivem Gelten und subjektivischem Sinn. Ihr Fehler aber scheint uns darin zu bestehen, daß sie mit der Gegenüberstellung von Wert und  praktischen  Verhalten nicht die  ursprüngliche  Korrelation auf dem Gebiet des Wertes trifft und dadurch das echte subjektive Korrelat des transsubjektiven Wertes verdeckt und überspringt.

Der höchste Punkt in der gesamten Begriffswelt des Nichtseienden, des Wertes und des Sinnes, ist der Begriff des objektiven Geltens ansich. Das spezifisch theoretische Gelten ist die geltende Wahrheit. Dieses für uns hier nur leere Wort mit bestimmterer Bedeutung zu füllen, ist die Aufgabe der Logik. Obgleich diese somit ihrer Hauptabsicht nach - als Kategorienlehre im weitesten Sinn - in der objektiven Geltungssphäre verweilt und fast alle logisch relevante Gliederung dort ihren Sitz hat, so kümmert sie sich dennoch als Noetik, wie wir diesen Teil der Logik nennen können, immerhin auch um eine Sphäre subjektiven Sinnes, um den Sinn nicht der Wahrheit, sondern des "Erkennens", Urteilens usw. Aber nun kommt alles darauf an, wenn einmal der Schritt über das objektive Gelten hinaus getan wird, das Korrelat subjektiven Sinnes in seiner Reinheit und Schlichtheit zu fassen und keinen ungehörigen Überschuß an Sinn hineinzudeuten. Wir brauchen aber zum Verständnis des subjektiven Sinnes einzig und allein das Minimum der Erlebenstatsächlichkeit überhaupt in Gedanken zu berücksichtigen, um mit ihm als einzigem Ingrediens vom objekten Gelten her den subjektiven Sinn bedeutungsmäßig zu konstruieren. Er ist einfach der vom objektiven Gelten her abfärbende, auf der Gegenseite liegende, den transsubjektiven Wert widerspiegelnde Sinn. Geraten wir damit aber, da hier doch vom Erleben die Rede ist, ins Psychologische? Keineswegs! Nehmen wir einmal Beispiele "subjektiven Sinnes". Wenn wir etwas als Erkennen und ein anderes als künstlerisches Schauen charakterisieren, haben wir dann etwa auf zwei verschiedene psychische Zustände hingewiesen? In Wahrheit haben wir uns dabei über eine Verschiedenheit der Bedeutung und des Sinnes schlüssig gemacht. Wo hätten wir denn das Kriterium dafür her, wie könnten wir uns vermessen, das eine als Wissen, das andere als Schauen zu bezeichnen, hätten wir uns nicht im Stillen darüber entschieden, daß das eine Mal theoretischer, das andere Mal ästhetischer Wert vorlag? Was sich in "Erkennen" und "Schauen" dokomentiert, ist also eitel Sinn und Verstehbarkeit, darum lauter Unwirklichkeit und Nichtpsychisches, nur vom objektiv Gültigen her verständlich, von ihm aus gesehen und geschaffen, ein in sinnmäßiger Korrespondenz von dorther bestimmtes ideales Mustergebilde. Und  "subjektiven"  Sinn nennen wir das, was in "Hingabe" und spezieller in "Erkennen" usw. steckt, lediglich deshalb, weil es, so klärlich es Sinn und nicht bedeutungsbare psychische Tatsächlichkeit darstellt, doch, mit dem objektiven Gelten verglichen, eine charakteristisch abweichende, auf das zum Untergrund dienende Erleben hindeutende Eigentümlichkeit aufweist. Es ist eine mitten in seiner Sinnhaftigkeit sozusagen die Erinnerung an das Moment des Erlebens festhaltende, sie mit in sie hineinnehmende Art von Sinn. Sein Verständnis setzt voraus, daß man von der Tatsache des Erlebens weiß, in Gedanken den Umweg über das Erleben zurückgelegt hat, es ist ein gleichsam durch das Erleben hindurch getauchter Sinn. Weshalb sich ihm auch von vornherein  ansehen  läßt, daß er die sinnhafte Färbung für ein subjektives Verhalten abgibt. Also ganz vom objektiven Wert her, den wir ja als das der Anerkennung Würdige umschreiben können, erzeugen wir dieses Korrelat der dem objektiven Gelten hingegebenen, sich ihm anmessenden Subjektivität, diese subjektiverseits dem Wert gebührende "Anerkennung" oder "Hingabe". Darin liegt ein  Minimum an subjektivem Sinn,  nämlich nur dieses  Korrespondieren  eines Sinnes, dieses Liegen auf der Gegenseite, dieses Berührtsein des Sinngehaltes durch die Subjektivität, diese Note der Subjektivität überhaupt.

So gibt es demnach allerdings auf theoretischem Gebiet eine Sphäre subjektiven Sinnes. Wissen, Erkennen, Urteilen sind nicht gegen Wert und Sinn indifferente Gebilde, sondern sie empfangen vom objektiven Gelten her sinnhafte Färbung. So eigentümlich der spezifisch theoretische objektive Wert, so eigentümlich muß ihm entsprechend der spezifisch theoretische subjektive Sinn sein. Was für gefühls- und willensmäßige und sonstige Elemente man auch im Erkennen entdecken mag, für unsere Betrachtung hebt sich unberührt durch diese Mannigfaltigkeit exakt eine einheitliche Bedeutung von "Erkennen" heraus, dadurch, daß wir einfach einen dem objektiven Gelten und den einzelnen logischen Geltungsformen korrespondierenden Idealgehalt subjektiven Sinnes nach dem Vorbild des eben dargelegten  Minimums  - postulieren und konstruieren. Alles andere muß arin weggeläutert sein, gehört nicht zur Sache, nicht zur theoretischen Sachlichkeit, zum idealen Bedeutungsgehalt "Erkennen". Damit ist eine Sphäre subjektiven Sinnes fixiert, die trotz ihres "subjektiven" Charakters nicht über sich hinaus ins "Praktische" weist, von der vielmehr die Wertsphäre sittlichen Wollens noch ganz fernzuhalten ist. Wiederum sei hervorgehoben: das ist keine psychologische Grenzregulierung, sondern eine Absonderung von Wert gegen Wert, von Sinn gegen Sinn.

Wir stimmen somit der Ethisierung des  Erkenntnis-  und  Urteils begriffs nicht zu, wir vermissen einen nichtethischen Wertbegriff des Erkennens und wir scheiden von diesem scharf das wissenschaftliche  Leben,  in dem die praktische Vernunft freilich den Primat haben mag. Wir erheben damit zugleich den Vorwurf, daß er ethische Wert an eine ihm nicht zukommende systematische Stelle gerückt wird, wenn man ihn zum unmittelbaren Korrelat des objektiven Geltens macht.

Das Verführerische, das darin liegt, das Wesen des reinen Geltens von vornherein ins Ethische umzudeuten, wird erst ganz verständlich, wenn man an die geläufigsten Umschreibungen des Wertbegriffes denkt. Es ist kaum möglich, dem eigentümlichen Charakter des Wertes, der Unbedingtheit und Erhabenheit des Geltens einen anderen Ausdruck zu geben, als durch die bekannten Wendungen vom Fordern und Heischen, vom Gebieten und der Norm. Forderungen scheinen aber nur an den pflichtbewußten Willen ergehen zu können. Allein hier täuscht uns ein irreführender ethischer Klang der Worte. Besinnen wir uns nur einmal darauf, an welche Adresse sich die Norm richtet,  was  denn gefordert wird, so merken wir sofort: der Wert fordert Anerkennung, er ist Anerkennungswürdigkeit, was Hingabe  verdient,  dem sie  gebührt.  Wir verharren ganz streng in den Schranken des uns bisher bekannten Korrespondenzverhältnisses. Fordern ist nichts anderes als das durch einen Nebengedanken leise modifizierende Gelten. Zum Fordern oder zur Norm  wird  das Gelten, wenn wir es nicht rein und unabgelenkt für sich betrachten, sondern insgeheim unseren Blick gleichzeitig zu einer ihm hingebenden Subjektivität hinschweifen lassen. Fordern ist das einen solchen Hinweis ansich tragende Gelten, das Gelten, in das dieses Beziehungsmoment hineingelegt ist. Fordern kann sich allerdings nur an ein Verhalten richten, aber dieses geforderte Verhalten ist lediglich der ideale Träger des Mustergebildes "ideale Hingabe". Die Konklusion "folgt" aus den Prämissen; mit dieser reinen Geltungsbeziehung ist gleichbedeutend: die Prämissen "fordern" die Konklusion. Wie mit dem "Fordern" verhält es sich mit einem anderen Hauptbegriff der Wertlehre dem "Sollen". Sollen ist nicht wie Fordern eine Umschreibung für das reine Gelten, sondern korrespondiert diesem, auf der subjektiven Seite liegend, als Wert des gebührenden oder gesollten Verhaltens. Daß der Wert fordert, dem entspricht, daß danach verfahren werden  soll.  Das ist weiter nichts als das sachliche Gebotensein, die Qualität des Gebührens oder Wertentsprechens, der Wert drüben auf der Gegenseite des subjektiven Sinnes. Auch die normative Wendung des Geltens führt uns ins Ethische hinein.

Ganz überzeugend wird unsere Absicht, daß es eine Etappe subjektiven Sinnes gibt, aus der die ethische Sphäre gänzlich auszuschalten ist, erst, wenn wir jetzt noch kurz andeuten, was hinzutreten muß, um uns bis zum ethischen Wertgebiet gelangen zu lassen. Der Sachverhalt, aus dem der ethische Willenswert ablösbar ist, zeigt eine viel verwickeltere Struktur. Es genügt für ihn nicht ein objektives Fordern auf der einen und ein vom objektiven Gelten her gebotenes Verhalten auf der anderen Seite. Wir bedürfen vielmehr dazu  zweierlei  Verhaltens. Wir brauchen ein Wollen und ein gebotenes oder gesolltes Verhalten, auf das als auf sein Objekt das Wollen sich richtet. Denn sittlich wollen oder wollen, was man "soll", heißt doch: ein gesollts oder gebotenes Tun - und zwar  um  seiner Gesolltheit  willen  oder aus Pflicht - wollen. Der sittliche Wert der Autonomie kommt einem ganz bestimmten Wollen zu, er hat keineswegs seinen Sitz an der lediglich vom objektiven Gelten her gefärbten Subjektivität. Denn was dem sittlichen Wollen als fordernder ethischer Wert entgegentritt, ist ja keineswegs das Fordern im Sinne des objektiven Geltens, sondern stets irgendein wertvolles Tun. Dieses ethisch geforderte  Tun  schwebt als ethisches Objekt oder als Pflichtobjekt (Pflichtinhalt), somit als das ethisch Fordernde, dem ethischen Subjekt, nämlich dem ethisch geforderten  Willens verhalten, vor. Das ethische Objekt nun ist niemals das objektive Gelten, sondern in den Fällen, wo es überhaupt vom Gelten her charakterisierbar ist, höchstens ein mit dem Wert des  Wert entsprechens mit dem auf der subjektiven Seite stehenden Wert ausgestattet Gebilde. Also genau die Wertstation, die wir vorher auf der subjektiven Seite hatten, kommt hier auf der  Objekt seite zu stehen und wir selbst finden uns mit dem ethischen Willenswert noch um eine Station weiter zurückgeschoben. Erkennen z. B. ist Träger des subjektiven Sinnes, der da lautet: "Verhalten zum objektiven Wahrheitsgelten", Schauplatz des theoretisch Gebotenen, des Richtigkeitswertes. Dagegen sich  dem  Erkennen hinzugeben, es als  Objekt  vor sich zu haben, das ist Sache des die Erkenntnis um der Erkenntnis willen suchenden, an der Realisierung der Wissenschaft arbeitenden Lebens, der sich mit so einer wertvollen Tätigkeit erfüllenden Persönlichkeit. Erkennen  ist  ein - vom objektiven Wahrheitsgelten - gebotenes Verhalten, sittlich Wollen  hat  ein gebotenes Tun zum  Objekt.  Das ethisch Fordernde ist, vom objektiven Gelten her gesehen, gar nicht ein Forderndes, sondern ein Gefordertes. Jetzt erklärt sich auch ganz leicht die Zweideutigkeit all jener Ausdrücke wie: Fordern, Norm, Gebieten, Sollen. Sie können entweder als lediglich im Bannkreis des objektiven Geltens liegend und dann als reine Wertbegriffe ohne ethischen Nebenton verstanden oder von vornherein in der Objektstellung zum sittlichen Verhalten und damit in ethischer Bedeutung gedacht werden. "Willen", "Persönlichkeit" und "Leben" kommen für uns wiederum nur als Repräsentanten, als Träger einer von der ursprünglichen Korrelatssphäre des subjektiven Sinnes verschiedenen Wertregion in Betracht. Wir können sie vielleicht gegenüber der bloßen Subjektssphäre als personale Sphäre bezeichnen.

Da Objekt des sittlichen Wollens stets ein wertvolles Verhalten ist, so muß man geradezu sagen: dem bloßen objektiven Gelten, dem  ihm  entsteigenden "Fordern"  kann  gar nicht ein  praktisches  Verhalten unmittelbar gegenüberstehen, sondern höchstens durch Vermittlung jener Zwischenstation der subjektiven Wertsphäre. Das ist die sicherste Gewähr für die Berechtigung unserer Polemik, daß die Lehre vom praktischen Urteilsverhalten, wie sich jetzt herausstellt, den Fehler begeht, in ihrem Erkenntnisbegriff die unmittelbare Subjektssphäre und die als etwas Neues hinzutretende personale Sphäre in Eins zu verschmelzen. In Wahrheit sind Erkennen als subjektives Korrelat des objektiven Wahrheitsgeltens und ethische Hingabe an die Wissenschaft voneinander zu scheiden und im Letzteren ist das Erstere als Bestandteil eingeschlossen. Die subjektive Sphäre "Erkennen" ist von der ethisch-personalen ganz unabhängig. Es  steckt  in ihr das Ethische nicht, es hat nicht den Primat. Erkennen und sittliches Stellungnehmen sind  zweierlei  Typen eines Verhaltens und das Erkennen steth lediglich in der  zufälligen  Beziehung zu dem außerhalb seiner liegenden sittlichen Wollen,  mögliches  Pflichtobjekt zu sein. Ebensowenig wie die Logik überhaupt steht die Lehre vom subjektiven Sinn "Erkennen" irgendwie unter der Herrschaft der Ethik.


DISKUSSION

- Dr. ARNOLD RUGE, Heidelberg: Der Vortragende setzt Wert und Norm einander gegenüber, um aus dieser Unterscheidung die Nicht-Zusammengehörigkeit von praktisch-sittlichem Moment und theoretischem Moment in dem auf Wahrheit Anspruch erhebenden Urteil darzutun, um zu zeigen, daß im theoretischen Urteil nur von einem Hingegebensein an den Wert (Wahrheitswert), nicht aber von einem nach Normen gerichteten (sittlichen) Verhalten geredet werden könne. Diese Folgerung wird aus der vom Vortragenden gegebenen Definition der beiden Begriffe "Wert" und "Norm" gezogen, wo die  Verschiedenartigkeit  von "Norm" und "Wert" behauptet, ihre graduelle, durch das Plus von Wirklichkeit bedingte Abstufung eben durch diese Behauptung negiert wird. Mir erscheint dieser Schluß einen Zirkel zu beschließen, mir scheint aber auch in der Trennung von Norm und Wert eine Aufhebung beider dokumentiert zu sein. Liegt in der Anerkennung, in einem Sichhingeben an den theoretischen Wert nicht die Anerkennung dieses Wertes als etwas, das von der Norm der Wahrheit seine Geltung hat, nicht zugleich die Setzung der Norm als etwas Wertvolles? Wer setzt Werte? - doch wohl das nach Normen urteilenwollende Wesen. Wer anerkennt Normen? - doch wohl das in den Normen wertvolle Aufgaben erkennende, die wertvolle Wirklichkeit verurteilende und beurteilende Wesen, mag es den individuellen Wunsch haben diese Wirklichkeit zu ändern oder nicht. Definiert man das sittliche Verhalten im Urteil (als einer Handlung) als das Streben nach Gesetzmäßigkeit oder Wahrheit, als das Fortwollen vom Wertlosen zum Wertvollen, sei es auch nur durch die Anerkennung des Wertvollen, so dürfte das sittliche Verhalten der transzendentale Grund jedes theoretischen Urteils sein. Die Norm verhält sich zum Wert (als Prinzip des Urteilens oder Beurteilens) wie sich der Wert zum  noch- nicht Wertvollen verhält; der Wert ist noch keine Norm und die Norm mehr als Wert. Wo etwas gilt und anerkannt wird, da ist praktische Vernunft mit im Spiel, da ist Primat der praktischen Vernunft; auch in der formalsten Logik gelten Werte oder sollen Werte gelten, folglich gilt auch hier der Primat der praktischen Vernunft.

- Prof. Dr. DÖRING findet die Auffassung, daß die Logik in der Gegenwart ein einheitliches Ziel gewonnen habe, etwas zu optimistisch. Ihr gegenwärtiger Zustand sei eher ein anarchischer zu nennen. Insbesondere möchte der Redner der Identifikation der Logik mit der Erkenntnislehre widersprechen. Er glaubt nicht hoffen zu dürfen, seiner gänzlich abweichenden Ansicht vom Zweck der logischen Funktion hier Eingang verschaffen zu können, möchte aber wenigstens das Vorhandensein derselben konstatieren. Ihm ist die logische Funktion in durchaus abweichender Richtung von der Erkenntnisfunktion die Tendenz zur sachlichen, d. h. auf der Merkmalsverwandtschaft beruhende Zusammenfassung der Vorstellung, wie sie innerhalb des Anschaulichen schon beim höheren Tier vorkommt (das höhere Tier hat Artvorstellungen im strengen Sinn), wie sie aber erst im lexikalischen Teil der  Sprache  zu einer höheren Funktion gelangt. Diese findet instinktiv unbewußt statt und gelangt nicht zu einem einheitlichen Abschluß. Aufgabe der Logik ist, diese Tendenz bewußt aufzunehmen und in einem einheitlichen  Begriffskosmos  zum Abschluß zu bringen. So ist ihre Aufgabe eine praktische im weiteren Sinn, sofern mit der intensiveren Gestaltung der logischen Funktion das eigentlich Moralische beginnt und also auch das Ethische, als das Praktische im engeren Sinne, auf ihr als Vorbedingung beruht.
LITERATUR - Emil Lask, Gibt es einen "Primat der praktischen Vernunft" in der Logik?, Bericht über den III. Internationalen Kongress für Philosophie, hg. von Theodor Elsenhans, Heidelberg 1909