p-4tb-2Stephan WitasekBullaty - Das Bewußtseinsproblem     
 
RICHARD von SCHUBERT-SOLDERN
Der Gegenstand der Psychologie
und das Bewußtsein

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"Ohne räumliche und zeitliche Beziehungen, ohne Beziehungen der Unterschiedenheit und Gleichheit ist überhaupt weder eine Wahrnehmungswelt, noch Vorstellungs-, Gefühls- oder Begehrungswelt denkbar und gegeben."

"Streicht man alle Beziehungen der Lage, Aufeinanderfolge, Ähnlichkeit, Unterschiedenheit etc., so bleibt nicht noch eine Welt der Wahrnehmung an sich übrig, sondern überhaupt gar nichts Wahrnehmbares mehr."

"Ein Unterschied von innerer und äußerer Wahrnehmung als der Art oder dem Inhalt nach getrennter Wahrnehmungen ist nicht aufrecht zu erhalten. Es gibt nur  eine  Wahrnehmung dem Inhalt nach, denn obwohl Gefühl und Wollen mehr an der Reproduktion [der Wahrnehmung], als am Wahrnehmungsinhalt [selbst] hängen, so kann es doch von diesem nicht vollständig getrennt gegeben sein."

"Irgendein Inhalt, der nicht körperliche Lust oder Schmerz selbst ist, hat seine Gefühlsbetonung niemals an sich allein; Rot oder der Ton  A  oder die Tastempfindung β etc. sind an und für sich weder angenehm, noch unangenehm, sie kommen aber niemals für sich allein vor, sondern immer in Beziehung zu anderen Daten und diese Beziehungen bringen die Gefühlsbetonung mit sich."

1.  Der Gegenstand der Psychologie.  Man pflegt als Gegenstand der Psychologie die "innere Wahrnehmung" oder auch die "Zustände" eines Subjektes zu bezeichnen und betont damit den Gegensatz zu einer "äußeren Wahrnehmung", zu einem äußeren Objekt, seinen Verhältnissen oder Wirkungen. Indem man in dieser Art den Gegenstand der Psychologie bestimmt, übersieht man vollständig, wie viele und wesentliche Voraussetzungen in dieser Bestimmung schon liegen. Es ist weder ein "Subjekt der inneren Wahrnehmung", noch ein "Objekt der äußeren Wahrnehmung" unmittelbar, sondern nur, was man deren Zustände, respektive Wirkungen nennt und schon darin, daß man das Gegebene als Zustand oder Wirkung von nicht gegebenen Wesen auffaßt, liegt eine erst zu begründende Voraussetzung. Diese Begründung aber fehlt fast immer oder wird in oberflächlichster Weise vollzogen. Ja der ganze Unterschied von äußerer und innerer Wahrnehmung ist meistens ohne Angabe von Gründen als an sich evidenter vorausgesetzt, ohne auch nur eine strenge Scheidung des Gebietes beider Wahrnehmungen zu versuchen. Diese Voraussetzungen müssen daher zunächst begründet oder zurückgewiesen werden, will man nicht eine Psychologie aufbauen, die aller Fundamente entbehrt. Es sind das aber offenbar Probleme, die in die Erkenntnistheorie, eventuell Metaphysik, gehören. Ehe man aber an die Lösung irgendeines Problems gehen kann, muß doch offenbar der ganze Tatbestand festgestellt werden und dieses kann geschehen, ohne jene Voraussetzungen zu berücksichtigen, wenn auch freilich schwer zu vermeiden sein wir, daß nicht irgendwelche Voraussetzungen den Tatbestand selbst färben und in einem anderen Licht erscheinen lassen. Nichtsdestoweniger muß der Versuch gewagt werden, weil ohne eine solche Feststellung des Tatbestandes überhaupt jeder wissenschaftliche Schritt vorwärts unmöglich ist. Freilich darf aber dieses Beginnen nicht als ein Versuch aufgefaßt werden, vom Nichts auszugehen, d. h. gar keine Voraussetzungen zu machen; aber es soll nichts vorausgesetzt werden, was nicht unmittelbar gegeben ist. Dabei verkenne ich nicht, daß gerade hierin die Schwierigkeit liegt und gerade hierüber, was unmittelbar gegeben sei, der Streit entbrennen wird. Aber einerseits kann es keine wissenschaftliche Psychologie geben, ehe jener Streit geschlichtet ist, andererseits gibt es doch auch wieder viele Daten, die allgemein als unmittelbar gegeben zugestanden werden und daher den Ausgangspunkt aller Erörterung bilden können.

Es gibt aber noch eine andere Art von Psychologie, welche jenen Unterschied äußerer und innerer Wahrnehmung leugnet oder ihn wenigstens nicht zum Ausgangspunkt der Untersuchung nimmt und dabei behauptet, rein vom Tatsächlichen auszugehen und dennoch nicht nur nicht keine, sondern noch viel mehr Voraussetzungen macht, dals die erste Art der Psychologie. Es ist das jene Art derselben, deren Ausgangspunkt hauptsächlich oder ausschließlich die Physiologie bilden soll. Es wird dabei in der naivsten Weise übersehen, daß die Physiologie selbst zu ihrem Aufbau, ihren Beobachtungen, zur Feststellung ihrer Gesetze gerade jener psychologischen Vorgänge bedarf, die sie erklären soll, daß der Naturforscher, respektive Physiologe, wenn er alle psychologischen Vorgänge und Daten als nicht zur Sache gehörig beiseite lassen wollte, sich vergebens nach irgendwelchen Daten überhaupt umsehen müßte. Sie übersieht vollständig, daß sämtliche vergangene Daten der Beobachtungen für uns wenigstens (gegen das "Wenigstens" will ich vorläufig nicht ankämpfen) Reproduktionen sind und sämtliche aus ihnen induzierte Gesetze Assoziationen und daher  "mindestens"  zwei psychologische Vorgänge vorausgesetzt werden müssen, soll Physiologie überhaupt möglich sein, es daher, milde gesagt, unstatthaft ist, vom rein physiologischen Standpunkt aus Psychologie zu treiben, respektive Psychologisches erklären zu wollen. Da ich jedoch noch später darüber zu handeln habe, so mögen diese kurzen Bemerkungen hier genügen.

Zuerst muß der Unterschied zwischen inneren und äußeren Wahrnehmung festgestellt werden, denn darauf beruht die Berechtigung der Psychologie als selbständiger Wissenschaft. Es muß daher im vorhinein bemerkt werden, daß ein solcher Unterschied sowohl inhaltlich, als in irgendwelchen kausalen Beziehungen, als auch in der Erkenntnisart etwa stattfinden könnte; daß also, auch wenn in der einen oder anderen Beziehung kein Unterschied vorhanden sein sollte, doch die Psychologie als selbständige Wissenschaft anerkannt werden könnte, sobald ein Unterschied in irgendwelcher dieser drei Beziehungen festgestellt ist. Was nun die Erkenntnisart anbelangt, so muß hier, da es sich um die Feststellung des unmittelbar gegebenen Tatbestandes handelt, von allen etwa erschließbaren transzendenten Beziehungen der Erkenntnis abgesehen werden. Daher muß auch jede Hypothese über ein erst Bewußtwerden eines Inhaltes ausgeschlossen sein, denn gegeben ist doch offenbar das Bewußte, bewußter Inhalt allein und nicht ein Unbewußtes, das man in seinem Bewußtwerden belauschen oder beobachten könnte. Ich will dabei auch noch vollständig beiseite lassen, worin eigentlich Bewußtsein besteht oder worin es sich von seinem Inhalt unterscheiden soll. Dann aber scheint es mir doch unmittelbar sicher zu sein, daß das Bewußtsein oder Wissen oder Erkennen von Gefühlen, Wollungen, Vorstellungen sich in nichts unterscheiden kann von jenem der Daten der äußeren Welt. Aller Unterschied trifft hier den Inhalt und Beziehungen von Inhalten, nicht aber das Wissen oder Erkennen selbst. Worin sollte der Unterschied bestehen zwischen dem Bewußtsein oder Erkennen einer Freude und dem etwa eines roten Gegenstandes oder eines Geruches? Jeder Unterschied, den man angeben könnte, wird den Inhalt und seine Beziehungen betreffen, nicht aber das Bewußtsein, Wissen oder Erkennen als solches.

Besteht also ein Unterschied zwischen innerer und äußerer Wahrnehmung, so kann er nur im Inhalt und seinen Beziehungen liegen.

Man könnte nun glauben, das Unterscheidende zwischen beiden Wahrnehmungen liege darin, daß Gegenstand der inneren Beziehungen und geistigen Tätigkeit seien, sowie Gefühle und Wollungen, der äußeren aber die Sinnesqualitäten. Hier muß ich aber vor allem darauf hinweisen, daß "geistige Tätigkeit", wenn man von allen transzendenten, erst etwa zu erschließenden Beziehungen absieht, ein leeres Wort zu sein scheint. Was man als "geistige Tätigkeit" zu bezeichnen pflegt, ist entweder eine Beziehung von Inhalten oder ein sich an dieselbe anschließendes Gefühl; such man aber nach etwas die genannte Tätigkeit von diesen Daten Unterscheidendem, so muß ich gestehen, daß ich es in meinem Bewußtseinszusammenhang nicht finde und daß ich glaube, daß es überhaupt nicht zu finden sei, weil einen Unterschied anzugeben mir nicht möglich scheint. Jene Beziehungen oder Gefühle werden erst zu sogenannten geistigen Tätigkeiten durch ihr Bezogenwerden auf ein transzendentes Wesen als ihre Ursache, also durch eine neue Beziehung, die ursprünglich gar nicht in ihnen liegt und höchstens erschlossen werden könnte. Diese geistigen Tätigkeiten werden daher überhaupt von der Untersuchung ausgeschlossen werden müssen.

Was nun die Beziehungen, Gefühle, Wollungen anbelangt, so ist darauf zu hinzuweisen, daß dieselben gar nicht überhaupt getrennt von den übrigen Daten gegeben sind.

Ich will dieses zuerst an den Beziehungen nachweisen. Ohne räumliche und zeitliche Beziehungen, ohne Beziehungen der Unterschiedenheit und Gleichheit ist überhaupt weder eine Wahrnehmungswelt, noch Vorstellungs-, Gefühls- oder Begehrungswelt denkbar und gegeben. Um das nachzuweisen, glaube ich, genügen einige Andeutungen. So ist z. B. die Aufeinanderfolge von sinnlichen Daten bei der Bewegung ohne räumliche und zeitliche Beziehung und ohne Unterscheidung derselben ein leeres Wort ohne Sinn. Ebenso sinnlos wäre eine Farbe ohne Beziehung zu anderen Daten, ohne Unterscheidung von denselben. Es wäre eine Farbe, die von allen anderen nicht unterschieden wäre und sie doch behaupten, hieße in einem Atem das Widersprechendste behaupten. Streicht man alle Beziehungen der Lage, Aufeinanderfolge, Ähnlichkeit, Unterschiedenheit etc., so bleibt nicht noch eine Welt der Wahrnehmung an sich übrig, sondern überhaupt gar nichts Wahrnehmbares mehr. Was übrig bleibt, ist ein Wahrnehmungsstoff in abstracto: d. h. in jenen Beziehungen, die nur nicht beachtet werden. Man kann nicht die Beziehungen von ihren Inhalten trennen und daher sie auch nicht ohne Inhalte beobachten. Inhalt ohne Beziehung und Beziehung ohne Inhalt ist Nichts. - Daher kann darin nicht der Unterschied von äußerer und innerer Wahrnehmung liegen, daß die erstere das Beziehungslose, die letztere das in Beziehungen Gegebene wäre, dann in Beziehungen ist  Alles  gegeben. Dasselbe gilt aber, wenn auch in geringerem Maße, vom Gefühl. Die Wahrnehmungswelt ist zwar in gewissem Sinn von unseren Gefühlen unabhängig: die Sonne geht auf und nieder, der Bach rauscht seinen Weg weiter, was für Gefühle uns auch immer bewegen mögen. Aber die Gefühle sind nicht unabhängig von den Wahrnehmungen und Wahrnehmungen sind in Gefühlsbeziehungen gegeben. Eine Wahrnehmungswelt ohne das geringste Interesse an derselben wäre gleichbedeutend mit dem Aufhören der Wahrnehmung selbst. Und ein Gefühl ist nicht denkbar, das nicht an irgendwelchen Inhalten hängen würde und war es auch nur eine dunkle Gemeinempfindung eines Druckes, einer Beklemmung etc. Auch der Schmerz ist nicht denkbar ohne leiblichen Ort und so kein Gefühl ohne Beziehungen zu irgendwelchen eben gegebenen Wahrnehmungs- oder Vorstellungsinhalten. Wollte man daher die Gefühle an und für sich ohne Inhalte betrachten, so wäre man mit der Beobachtung bald fertig: Lust, Unlust, Intensität, das wäre Alles, was man beobachten könnte, jeder andere Unterschied ist ein Unterschied durch den Inhalt des Gefühls. Daher gibt es auch nicht eine von allen übrigen Daten gesonderte Wahrnehmung des Gefühls, wenn auch zugestanden werden muß, daß das Gefühl dem Wahrnehmungsinhalt gegenüber eine viel unabhängigere Stellung einnimmt, als jene Data, die man Beziehungen zu nennen pflegt.

Ähnlich verhält es sich mit den Begehrungen und Wollungen. Der Unterschied zwischen Begehren und Wollen kann hier außer Acht gelassen werden, da als allgemein zugestanden angenommen werden kann, daß beide denselben Grundcharakter haben. Hier ist es aber noch offenbarer, daß es kein Begehren oder Wollen ohne einen begehrten Inhalt gibt. Man sagt zwar oft: "mir fehlt, ich weiß nicht was", oder: "er weiß nicht, was er will", das hat aber nicht den Sinn, daß ein Begehren oder Wollen ohne Ziel und als Inhalt vorhanden ist: das Ziel ist immer eine Abwehr von Unlust oder ein Erstreben von Lust, nur die Mittel, durch welche dieses zu erreichen ist, mögen unbekannt sein und in diesem Sinne scheint man oft zu begehren, man weiß nicht was. Das folgt auch schon aus der abstrakten Überlegung, daß das Wollen kein Inhalt im eigentlichen Sinne ist, sondern eine Beziehung von Inhalten zu Inhalten und in letzter Linie immer zu einem Gefühl der Lust oder Unlust. Damit ist freilich das Wollen nicht aus etwas erklärt, das nicht selbst Wollen ist, denn jene Beziehung ist ursprünglich eigentümlich und nicht weiter zerlegbar. Aber es ist damit ebenfalls festgestellt, daß das Wollen und Begehren nicht für sich allein wahrgenommen oder beobachtet werden kann und daher nicht geeignet ist, einen Gegenstand der inneren Wahrnehmung für sich allein auszumachen, wenn es auch, wie das Gefühl, vorzugsweise durch Reproduktionen und weniger durch Wahrnehmungen bedingt ist.

Es bliebe also nur noch die Reproduktion im weitesten Sinne als Gegenstand der inneren Wahrnehmung übrig gegenüber der äußeren Wahrnehmungswelt. Aber hier muß sofort einleuchten, daß der Inhalt der Reproduktion seinen einfachen Elementen nach jener der Wahrnehmungen ist, daß hier ein Unterschied zwischen innerer und äußerer Wahrnehmung dem Inhalt nach am allerwenigsten angenommen werden kann. Dabei ist noch zu bedenken, daß die Reproduktionen, stets in Beziehungen zu Wahrnehmungen gegeben, in mittelbarer oder unmittelbarer Weise durch sie bedingt sind; und noch weiter, daß die Wahrnehmungswelt ohne Reproduktion auf ein Minimum zusammenschwinden müßte. Der Tisch in meinem Zimmer, das Zimmer selbst mit seinen Gegenständen, die Häuser auf der Straße etc. sind dieses alles nur, insofern sich an diese räumlichen Farbempfindungen Erwartungen anderer, unter bestimmten Bedingungen eintretender Empfindungen knüpfen und diese Erwartungen sind Vorstellungen, sind Reproduktionen, die auf der vergangenen Wahrnehmung beruhen; und was ist das anderes, als die Reproduktion, denn die vergangenen Wahrnehmungen als solche sind unwiederbringlich verloren, eine neue Wahrnehmung kann ja doch nur an einer Reproduktion auf ihre Gleichheit hin geprüft werden und niemals an der vergangenen Wahrnehmung als Wahrnehmung, denn diese ist für immer verschwunden.

Sie kann also auch der Reproduktionsinhalt nicht Gegenstand einer eigenen Wahrnehmung sein, der Inhalt der inneren und äußeren Wahrnehmung ist seinen einfachen Elementen nach derselbe und beide sind so innig miteinander verwoben, daß von einer selbständigen Trennung derselben niemals die Rede sein kann. Es bliebe also nur noch die kausale Beziehung als möglicher Unterschied zwischen äußerer und innerer Wahrnehmung. Doch mag die Untersuchung darüber wie immer ausfallen, ein Unterschied von innerer und äußerer Wahrnehmung als der Art oder dem Inhalt nach getrennter Wahrnehmungen ist nicht aufrecht zu erhalten. Es gibt nur  eine  Wahrnehmung dem Inhalt nach, denn obwohl Gefühl und Wollen mehr an der Reproduktion, als am Wahrnehmungsinhalt hängen, so kann es doch von diesem nicht vollständig getrennt gegeben sein. Der Art nach aber gibt es auch nur  eine  oder gar keine Wahrnehmung. Gesteht man nämlich einen Akt des Innewerdens eines Inhaltes zu, was sein Bedenkliches hat, so kann dieser Akt, wie schon ausgeführt worden ist, nie als Akt selbst verschieden sein, sondern nur seinem Inhalt nach. Nennt man aber den Akt, wodurch gewisse Inhalte (Wahrnehmungsinhalte) bewußt werden sollen, äußere Wahrnehmung und alles andere Bewußtwerden von Inhalten innere Wahrnehmung, so sind das zwei Namen für zwei Gebiete von Inhalten, nicht aber für zwei Arten von Wahrnehmungsakten. Und es fragt sich dann eben, worin die Berechtigung wurzelt, diese beiden Gebiete in dieser Art zu trennen. Und hier haben wir gesehen, daß diese Berechtigung nicht auf dem Inhalt beruhen kann, denn der Wahrnehmungs- und Vorstellungsinhalt ist derselbe und beide stehen in, wenn auch nicht gleich enger, Beziehung zu Gefühlen und Wollungen. Es kann daher der Grund der Abgrenzung beider Gebiete nur in ihren kausalen Beziehungen liegen.

Dies ist auch tatsächlich der Fall. Die Reproduktionsinhalte stehen in ganz anderen kausalen Beziehungen untereinander, als die Wahrnehmungsinhalte und unterscheiden sich dadurch allein fundamental voneinander. Dieses ist nun weiter zu untersuchen.

Es ist oft versucht worden, die Vorstellung (Reproduktion) ihrem Charakter nach von der Wahrnehmung zu unterscheiden. Dieser Unterschied konnte im Inhalt seinen einfachen Elementen nach nicht gefunden werden, dieser ist bei beiden gleich. Es könnte also höchstens die Kombination dieser einfachen Elemente in beiden Gebieten eine verschiedene sein. Zum Teil ist das auch der Fall bei Phantasieprodukten; aber um eben festzustellen, was ein Phantasiegebilde ist, muß der Unterschied von Wahrnehmung und Vorstellung schon bekannt sein; es muß feststehen, daß eben jene Kombination von einfachen Elementen nicht wahrnehmbar sei und um festzustellen, welche Kombinationen nicht wahrnehmbar sind, muß man doch den Begriff der Wahrnehmbarkeit selbst bestimmt haben.

Man hat daher versucht, den Unterschied in die Stärke oder Gefühlsbetonung der Wahrnehmungen gegenüber den Vorstellungen zu verlegen. Aber wenn auch zugestanden ist, daß in der Regel die Wahrnehmungen stärker sind und unter sonst gleichen Verhältnissen vielleicht betonter, so kann doch unter Umständen der Fall eintreten, daß eine Vorstellung stärker und betonter ist, als eine Wahrnehmung. Wo also ein Zweifel auftritt, ob ein Datum Vorstellung oder Wahrnehmung war, genügt dieses Kriterium nicht und muß durch ein anderes ersetzt werden. Zureichender scheint die Behauptung, daß die Vorstellungen in einen anderen Raum verlegt werden, als der unmittelbar wahrgenommene ist. Auch das ist richtig, aber nichts nütze: denn es handelt sich dann eben darum, ein Kriterium für den wahrgenommenen Raum gegenüber dem vorgestellten aufzufinden, was dasselbe ist, wie ein Kriterium für die Wahrnehmung zu finden. Ein anderes Kriterium wurde im Gefühl der Abhängigkeit gesucht, das sich bei Wahrnehmungen geltend macht, während die Vorstellungen mehr in der Macht des Menschen liegen. Soll aber dieses Gefühl der Unabhängigkeit der Wahrnehmung unmittelbar gegeben sein, so ist das eine leere Behauptung. In der wahrgenommenen Empfindung eines räumlich bestimmten Rot liegt kein Gefühl der Unabhängigkeit derselben. Dieses kann nur auf einer Erwartung eines weiteren Verhaltens dieses Rot beruhen und diese Erwartung setzt Erfahrungen über den kausalen Zusammenhang von Rot mit anderen Empfindungen und mit Vorstellungen voraus. Ohne solche Erfahrungen kann ein Gefühl der Unabhängigkeit eines Datums von mir gar nicht gegeben sein. Dieses Gefühl der Unabhängigkeit vom Ich ist aber auch höchst unbestimmt, weil der Faktor, von dem es unabhängig sein soll, nicht bestimmt ist: nämlich das Ich. Ist das Ich in der Tat so sonnenklar, wie etwa der Begriff der roten Farbe? Über diesen ist in der Wissenschaft nie ein Streit geführt worden, denn wer diese Empfindung besitzt, mit dem ist ein Streit unnötig und wer ihn nicht besitzt, mit dem unmöglich. Das Ich dagegen hat die verschiedensten Erklärungen und Bestimmungen gefunden und es geht nicht an, das Ich ohne weiteres als bekannt und bestimmt in philosophische Erörterungen einzuführen. Ist das Ich ein transzendentes Wesen, ein bestimmter, unmittelbar gegebener Inhalt oder ein Verhältnis von Inhalten? Man beantworte erst diese Fragen, ehe die Phrase von der Unabhängigkeit der Wahrnehmungsinhalte vom Ich einen bestimmten Sinn erlangen kann. Soll diese Unabhängigkeit aber nur bedeuten, daß ein betreffendes Datum durch mit Gefühlen und Begehrungen verknüpfte Vorstellungen allein aus dem Bewußtsein nicht verdrängt werden kann, dann ist dagegen zweierlei einzuwenden.
    1) Ist damit schon das vorausgesetzt, was gefunden werden soll: denn daß die Wahrnehmung nicht unabhängig ist von anderen Wahrnehmungsinhalten, muß doch wohl zugestanden werden, sie kann also nur eine gewisse Unabhängigkeit von Vorstellungen besitzen; aber darum handelt es sich eben, was eine Vorstellung oder Wahrnehmung ist.

    2) Ist bei Vorstellungen eine solche Unabhängigkeit von Wahrnehmungen und oft Vorstellungen ebenfalls vorhanden, wenn auch in geringerem Grade oder seltener: man ist dann eben "taub und blind" gegen die Außenwelt.
Es bleibt also nur übrig, den Unterschied zwischen Wahrnehmung und Vorstellung in kausalen Verhältnisse zu suchen. Aber auch hier scheint eine unübersteigliche Schwierigkeit vorhanden zu sein: Denn das kausale Verhältnis kann nur in Erwartungen räumlicher und zeitlicher Veränderungen von Daten bestehen und solche Veränderungen sind sowohl in der Wahrnehmungs- als in der Vorstellungswelt gegeben und da sich auch der Inhalt in beiden gleich bleibt, so scheint ein kausaler Unterschied unmöglich zu sein, denn der kausale Unterschied kann nur in der inhaltlichen Verschiedenheit dieser Veränderungen bestehen; wenn man vom Inhalt absieht, ist die kausale Beziehung überall gleich. Dennoch ist diese Schwierigkeit nicht so groß, als man glauben könnte. Es seien z. B. zwei Daten gegeben,  A  und  B,  welche beide dem Inhalt nach einen Tisch repräsentieren und wobei nur unentschieden bleiben soll, welches Datum Wahrnehmung und welches Vorstellung eines Tisches sei. Gegen  A  und  B  sollen nun zwei Stöße mit der Hand  a  und  b  ausgeführt werden, wobei ebenfalls unentschieden bleiben soll, welcher Stoße nur in der Vorstellung und welcher in der Wirklichkeit ausgeführt ist. Nun nehme man an, der Stoß  a  habe gar keinen Einfluß auf  B,  dieses bleibt unverrückt auf seinem alten Platz, dagegen erscheine  A  bewegt und umgekehrt der Stoß  b  bewege  B,  lasse aber  A  unberührt. Dann ist damit festgestellt, daß  a  nur auf  A, b  nur auf  B  zu wirken vermag und damit eine kausale Abgeschlossenheit des b' von  A  und des  a  von  B  erkannt. Es steht nun natürlich frei, entweder  a  und  A  oder  b  und  B,  die miteinander unmittelbar kausal verknüpft sind, Wahrnehmungen oder Vorstellungen zu nennen, darüber entscheidet die Sprache und nicht die Philosophie.

Wahrnehmung und Vorstellung können sich also nur allein dadurch wissenschaftlich genau unterscheiden, daß sie zwei Gebieten von Daten angehören, die unmittelbar aufeinander nicht einwirken können, wo also Veränderungen im einen Gebiet keine Veränderungen auf dem anderen Gebiet zur Folge haben. Nur eine Ausnahme findet dabei statt: der Leib als Wahrnehmung kann unmittelbar durch die Vorstellungswelt verändert werden und so selbst wieder die übrige Wahrnehmungswelt verändern. Man könnte nun dabei wieder eine Schwierigkeit zu finden meinen, die darin bestände, wie sich der Leib als Wahrnehmung vom Leib als Vorstellung unterscheide, wodurch eine vorgestellte Bewegung eines leiblichen Gliedes sich von einer solchen als Wahrnehmung unterscheide? Aber darauf ist die Antwort schon gegeben. Der Leib Wahrnehmung wirkt durch seine Bewegungen auf das Gebiet der Wahrnehmungen und wird sowohl durch diese, als auch die Vorstellungen direkt kausal bestimmt, während der Leib als Vorstellung nur durch die Vorstellungswelt und den Leib als Wahrnehmung kausal berührt werden kann. Seien also  A  und  B  die zwei kausal getrennten Gebiete von Daten,  a  und  b  die Data des Leibes, wobei unentschieden sein soll, welches Datum Wahrnehmung, welches Vorstellung sei, so wird sich folgendes kausales Verhältnis herausstellen. Veränderungen von  a  können unmittelbar Veränderungen von  A  zur Folge haben und auch Veränderungen von  B,  sowie auch  A  und  B  auf  a  unmittelbar einwirken können. Veränderungen von  b  können nur Veränderungen von  B  und  a  unmittelbar zur Folge haben, niemals aber Veränderungen von  A,  sondern diese nur mittels Veränderungen des  a.  Welches Gebiet und welches Leibesdatum man nun mit dem einen oder dem anderen Namen bezeichnen will, ist Sache des Sprachgebrauches. So grenzt also die Wahrnehmungs- von der Vorstellungswelt nicht der Inhalt, noch eine inhaltlich bestimmte kausale Beziehung ab, sondern nur die Möglichkeit unmittelbarer kausaler Einwirkung.

Damit soll aber nicht behauptet werden, daß dieses Kriterium für gewöhnlich das Einzige sei, im Gegenteil, es ist für gewöhnlich das am meisten in den Hintergrund tretende; aber es ist dasjenige, welches allein durchgehend und stets zutreffend, daher allein ein wissenschaftliches Kriterium ist. Im gewöhnmlichen Leben unterscheidet sich die Vorstellungswelt von der Wahrnehmungswelt in der Regel schon durch die geringere Intensität ihres Inhaltes, sowie durch iher unter sonst gleichen Umständen geringere Gefühlsbetonung, sowie endlich und hauptsächlich durch ihre größere Flüchtigkeit, d. h. durch ihre größere Veränderlichkeit. Veränderungen in der Wahrnehmungswelt gehen mit viel größerer Langsamkeit vor sich, der Wahrnehmungsinhalt ist fixierter beständiger, während die Vorstellungen in rascher Folge einander verdrängen und nur künstlich und mit Anstrengung (beim Nachdenken) oder in außergewöhnlichen Fällen (bei Geisteskrankheiten) fixiert erscheinen. Dennoch gibt es Wahrnehmungen, die in der Veränderung rascher sein können, als der Vorstellungsablauf, so sehr, daß ihre Veränderungen ein gar nicht mehr wahrnehmbares, sondern nur erschlossenes Dasein führen, wie der Farbenwechsel beim Farbenkreisel. Durchgehend ist daher auch dieser Unterschied nicht und als einziges Kriterium verbleibt die Möglichkeit unmittelbarer kausaler Einwirkung.

Ich habe behauptet: die Wahrnehmung sei unter sonst gleichen Umständen auch betonter, als die Vorstellung; diese Behauptung muß ich jetzt richtig stellen. Ist eine Wahrnehmung mit einem Gefühl verbunden, so wird dieses Gefühl stärker sein, als dasjenige, welches sich an eine Vorstellung derselben Art unter denselben Umständen knüpft - aber eben diese Umstände sind die Hauptsache. Irgendein Inhalt, der nicht körperliche Lust oder Schmerz selbst ist, hat seine Gefühlsbetonung niemals an sich allein; Rot oder der Ton  A  oder die Tastempfindung β etc. sind an und für sich weder angenehm, noch unangenehm, sie kommen aber niemals für sich allein vor, sondern immer in Beziehung zu anderen Daten und diese Beziehungen bringen die Gefühlsbetonung mit sich. Daher hat die Reproduktion einen gewaltigen Anteil am Gefühl, denn es kommt stets darauf an, welche Vorstellungen eine Wahrnehmung hervorruft, in dem entsprechenden Gefühlstimbre erscheint sie selbst. Deswegen sind Gefühle unberechenbar (außer im Allgemeinen), weil Reproduktionen unberechenbar sind. Ob und wann ein Datum irgendwelche Vorstellungen wecken wird, ist eine Bestimmung, die verschieden ausfallen muß, je nach Individuum und seiner Beschaffenheit.

So sind wir also dazu gelangt, den Unterschied zwischen innerer und äußerer Wahrnehmung, wenn man diese ungeeigneten Ausdrücke beibehalten will, zwischen Psychologie und Naturwissenschaft feststellen zu können. Im psychischen Zusammenhang ist zwar  alles  gegeben, aber es ist nicht nur psychischer Zusammenhang gegeben, sondern innerhalb desselben ein Standpunkt möglich, der von ihm abstrahiert, aber ebendeswegen ihn voraussetzt. Dieser Standpunkt ist der Standpunkt der Naturwissenschaft. Jede unmittelbar gegebene Wahrnehmung ist im Zusammenhang mit Reproduktionen, Gefühlen, Begehrungen gegeben und hängt durch diese allein mit den vergangenen Wahrnehmungen zusammen. Ohne Reproduktion gäbe es keinen Zusammenhang innerhalb der Wahrnehmungswelt, sondern nur zusammenhanglose Wahrnehmungskomplexe minimalen Umfanges dem Raum und der Zeit nach. Ohne Gefühl kein Begehren, ohne Begehren weder ein Handeln, noch ein Forschen im Denken. Wenn der Anatom oder Physiologe Studien macht am Gehirn oder irgendeinem Leibesteil, so bedarf er beständig seiner Reproduktionen, eines Gefühls- und Begehrungslebens. Er kann und muß davon abstrahieren, aber er kann es niemals eliminieren. Deshalb ist es vergebens, die Reproduktions-, Gefühls- und Begehrungswelt auf Wahrnehmungsinhalt zurückführen zu wollen, weil eben nur unter  Mithilfe  jener Faktoren, vor allem der Reproduktion, eine solche Rückführung möglich ist, also das vorausgesetzt werden muß, was erklärt werden soll, wie immer auch die Erklärung und Ergründung stattfinden mag. Jede Wahrnehmung ist selbst von einer Gefühls-, Begehrungs- und Reproduktionswelt beeinflußt, sowie sie wieder selbst auf dieselbe einwirkt. Betrachtet man nun alles Gegebene,  insofern  es in einem solchen Reproduktions-, Gefühls- und Begehrungszusammenhang vorhanden ist, so hat man es psychologisch betrachet.'

Aber innerhalb dieses psychischen Zusammenhanges gibt es noch einen anderen Standpunkt der Betrachtung. Es kann auch alles betrachtet werden, insofern es wahrnehmbar ist oder mit Wahrnehmbarem in Zusammenhang steht. Es muß zwar dabei immer davon abstrahiert werden, daß der ganze Prozeß einer solchen Feststellung des Wahrnehmbaren nur in einem psychischen Zusammenhang möglich ist und dieser Standpunkt ist daher ein abstrakterer, als der vorige, aber unter Voraussetzung dieser Abstraktion vollständig durchführbar. So kann also auch die Reproduktion, das Gefühl und das Wollen betrachtet werden, insofern es an wahrnehmbaren Daten (Gehirn, Nerven usw.) hängt und sich aus ihnen vorausbestimmen läßt. Aber diese ganze Betrachtung und Forschung ist nicht eine Forschung außerhalb alles psychischen Zusammenhanges, sondern innerhalb desselben, nur daß eben von diesem Zusammenhang abstrahiert wird. Berechtigt wird die gesonderte Betrachtung dadurch, daß das Wahrnehmbare, insofern es wahrnehmbar ist, einen vom Reproduktionszusammenhang verschiedenen kausalen Zusammenhang zeigt, der nur mittels des Leibens als Wahrnehmung mit jenem unmittelbar verknüpft ist. Trotzdem läßt sich aber jener Zusammenhang des Wahrnehmbaren nur durch Reproduktion feststellen; das Wahrnehmbare ist nur in einem psychischen Zusammenhang möglich, wenn auch (mit Ausnahme des Leibes) nicht unmittelbar kausal verknüpft. So ist in der Tat der Leib der Vermittlungsapparat zwischen Außen- und Innenwelt, nur durch ihn können sie aufeinander wirken und sind sonst von einander kausal unabhängig. Trotz alledem ist aber der Leib ebensosehr Bedingung der übrigen Welt, wie diese die Bedingung des Leibes selbst ist. Der Leib besteht aus denselben einfachen Elementen, Qualitäten und räumlich-zeitlichen Beziehungen desselben, wie die übrige Welt und ohne Farbe, Tastqualität, Raum- und Zeit wäre ebensowenig der Leib denkbar und möglich, wie die Welt als Wahrnehmung und Vorstellung. Die Bedingung ist daher eine gegenseitige und ebensowenig wie ein Leib ohne Welt, ist eine Welt ohne Leib denkbar. Psychologie und Naturwissenschaft haben also jede ein streng abgrenzbares Gebiet für sich, das sich nur in der Wissenschaft vom Leib berührt. Hier aber ist die Physiologie, so weit sie Reproduktionen, Gefühle und Begehrungen am Wahrnehmbaren feststellen will, ohne Psychologie nicht möglich: der Leib bietet nie Reproduktionen oder Gefühle, sondern Wahrnehmungen und diese erst können nach einem an uns selbst unmittelbar bekannten Zusammenhang von Worten und Bewegungen einerseits, Vorstellungen, Gefühlen und Begehrungen andererseits gedeutet werden. Eine solche Deutung ist aber ohne Erforschung des psychischen Zusammenhanges der Welt entweder ein Unding oder wenigstens eine oberflächliche und unwissenschaftliche Deutung nach zufällig zusammengerafften Daten. Daher bedarf die Physiologie, so weit sie Reproduktion, Gefühl und Willen in ihr Reich zieht, der psychologischen, rein psychologischen Forschung.
LITERATUR, Richard von Schubert-Soldern, Der Gegenstand der Psychologie und das Bewußtsein, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Leipzig 1884, Band 8