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(1849-1919) Ein "juristischer Kulturkampf"! (1)
Nun sind der Jahre 20 verstrichen, und jetzt regen sich die Praktiker und wollen von der Theorie nichts mehr wissen und schelten uns Theoretiker, daß wir aus lauter Scholastik die Welt irre führen und sie in die falschen Bahnen einer verkehrten Jurisprudenz lenken wollen. Warum haben sich die Praktiker nicht vor 20 Jahren erhoben? Warum haben sie mir nicht damals Recht gegeben? Dann wäre die Sache schon längst besser geworden und die schlimmen Verfehlungen der Praxis wären vermieden geblieben. Zuerst schilt man mich dann vergißt man, daß ich gegen die Verkehrtheiten zuerst meine Stimme erhoben habe. Ich stimme mit dem Verfasser des Buches völlig darin überein, daß der Windscheidianismus ein Übel für die Jurisprudenz war, wenigstens so, wie er in seinem Lehrbuch zur Ausprägung gelangt ist. Ich selbst habe damals ausgesprochen, daß man das Recht niemals in seiner Ruhe, sondern immer in seiner Bewegung, als Element des Werdens, verstehen muß und daß insbesondere nie ein einzelnes Element ohne die übrigen in Betracht gezogen werden darf. Ich selbst habe gekämpft für die freie Auslegung der Gesetze und den Grundsatz ausgesprochen, daß die Auslegung nie dieselbe bleiben darf, sondern sich nach den Anforderungen der Zeit richten muß. Ich habe in meinem "Shakespeare" dargelegt, wie es ein hervorragendes Phänomen der Geschichte ist, daß, wo überall sich Rechtsinstitute überlebt haben, die Jurisprudenz sich selbst hilft, wenn auch mit gewagten Kunstmitteln. Ich habe dies getan gegenüber JHERING, und ich bin derjenige, der gegen den Kultus JHERINGs am meisten aufgetreten ist: denn Banalität ist nicht dasselbe wie Genialität, und nichts ist weltfremder gewesen als JHERINGs Kampf ums Recht: denn wer der Leben nur einigermaßen kennt, der weiß, wie der Kampf ums Recht das ganze Dasein verbittert und zum Querulantentum führt. Will man daher das Professorentum und die Leistung des Professorentums auf dem Gebiet des praktischen Rechts würdigen, so darf man nicht so tun, als wenn nur WINDSCHEID und JHERING und etwa noch OERTMANN vorhanden wären. Was hat nicht der unvergeßliche DERNBURG geleistet, um eine Rechtsprechung nach den Regeln der Billigkeit und der vernünftigen Abwägung der Verhältnisse herbeizuführen? was hat er nicht getan, schon in den Zeiten des preußischen Landrechts, und auch dann noch, als das bürgerliche Gesetzbuch bereits seine Schatten über uns gebreitet hat? Und wenn der Verfasser selbst soweit geht zu erklären, daß, wer die Geschichte der Berliner Juristenfakultät studiert, von Schauer erfaßt wird ob all der leeren Nichtigkeiten, so will ich, der doch auch zur Berliner Fakultät gehört, jeden Praktiker, der sich etwa mit Patentrecht oder ähnlichen Materien, mit dem Zeichenrecht, mit dem unlauteren Wettbewerb befaßt hat, fragen und will die zahllosen Patentanwälte und Richter in Patentsachen als Zeugen anrufen, ob dasjenige, was in dieser Beziehung von mir geleistet wurde, etwa zu den Nichtigkeiten gehört, ob man nicht gerade hierin die richtige Anleitung für die Praxis gefunden hat! Als man seiner Zeit mir zu Ehren eine patent- und zeichenrechtliche Festschrift verfaßt hat, waren es gerade Praktiker, die Jahre lang auf diesem Gebiet gearbeitet haben, welche sich dazu vereinigten; und wenn das Reichtsgericht noch neuerdings in der Entscheidung im 78. Band unrichtig argumentiert, - wenn es im Fall der Unzulänglichkeit des Patents die erteilten Lizenzen für nichtig erklärt und die Lizenzgebühr zurückzahlen läßt, dagegen im Fall der Nichtigkeit des Patentes das Gegenteil annimmt, und wenn es dann noch einen verfehlten Unterschied zwischen einem nichtigen Patent und einem nichtigen Gebrauchsmuster konstruiert, - so ist dies gerade einer derjenigen Fälle, wo man mir nicht gefolgt ist und wo ich schließlich Recht bekommen muß. Was aber das BGB, z. B. § 465, betrifft, so habe ich gegenüber den Wortauslegern stets Fortschritt gepredigt. Und gerade ich habe im Zivilprozeß den Vorschlag gemacht, daß die Gesetzgebung sich in englischer Weise auf wenige grundsätzliche Bestimmungen beschränkt, und daß die vielen Einzelheiten des Prozeßfortgangs mit all dem äußerlichen, aber notwendigen Kleinkram der Form in Instruktionen verwiesen werden sollen, welche von Zeit zu Zeit durch sachkundige Juristen überarbeitet werden, wobei sich dann von selber die formellen Kontroversen erledigen. Hätte man dies befolgt, man hätte mit einem Schlag all jene trostlosen Fragen abgeschnitten über die Art der Zustellung, über die Person des Zustellungsempfängers, über die Behandlung der Versäumung eines Parteieides, über die Berechnung der Fristen, ob die eine oder andere Frist verlängert werden darf usw. Alle diese Dinge, welche die dickleibigen Zivilprozeß-Kommentare zu Dreiviertel ausfüllen und schon sehr viel Unheil angerichtet haben, weil eine kleine formelle Unebenheit den Verlust der wichtigsten Prozesse herbeigeführt hat, fallen dann weg. Warum ist Gesetzgebung und Praxis mir nicht gefolgt? Warum haben die Praktiker mich nicht unterstützt? Ich will nicht nur von DERNBURG und von mir sprechen; ich darf sagen: Wer ist seiner Zeit gegen den ersten Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuchs von WINDSCHEID lebhafter aufgetreten als GIERKE, und zwar nicht etwa mit gelehrten theoretischen Gründen, sondern gerade aus der Beurteilung des praktischen Lebens heraus? Uns was hat nicht GNEIST für das Verwaltungsrecht und für die Verwaltungsgerichtsbarkeit getan? Und gehen wir auf das Strafrecht über, so frage ich: sind nicht von Mitgliedern der Berliner Universität Anregungen suggestiver Art ausgegangen, um die modernen strafrechtlichen Institute in Deutschland einzubürgern, und habe nicht ich gegen die Formaljurisprudenz der Strafsenate am allermeisten geeifert und gerade, was die Lehre der Erpressung betrifft, hervorgehoben, daß, wenn man diesen Begriff formalistisch faßt, der ganze Verkehr an Energie und Sicherheit einbüßt und ein jeder schließlich zur Memme werden muß, weil er, wenn er energisch auftritt, eine Erpressungsklage zu gewärtigen hat? Habe nicht ich den § 193 des Strafgesetzbuches als das Palladium [Schutzsymbol - wp] der Presse aufgestellt? Das ist die Unfruchtbarkeit und Weltfremdheit der Berliner Fakultät! Natürlich hat auch der Verfasser in vielen Punkten Recht, soweit er sich gegen die heutige Praxis kehrt; namentlich die reichsgerichtliche Judikatur leidet noch sehr viel unter dem Windscheidianismus, aber nicht nur unter diesem, sondern vor allem unter den Folgen des preußischen Landrechts und des Friderizianismus in der Jurisprudenz! Der ganze Zug der Zeit FRIEDRICHs II. ging ja dahin, den Richter gleichsam zum Unteroffizier zu machen, der nach seiner Instruktion handeln muß; und wenn er freier dachte, so war dies eine Insubordination und eine Überhebung gegenüber seinen Vorgesetzten, nämlich dem ihm übergeordneten Gesetz: ihm schuldete er das sacrificio dell' intelletto [Opfer des Verstandes - wp]; weh, wenn er sich darüber erheben wollte - dann riskierte er, wegen Rechtsbeugung in das Zuchthaus zu kommen! Das war der Geist, in dem die ganze friderizianische Gesetzgebung abgefaßt war, und dem entsprach auch die Art und Weise, wie FRIEDRICH II. die Richter behandelte. Wie ganz anders war der Richtergeist in den französischen Parlamenten entwickelt, und der größten einer, NAPOLEON, wußte wohl, was er tat, wenn er zwar in manchen Beziehungen durch Sondergerichte die Justiz beeinflußte, im Großen und Ganzen aber der freien Entwicklung des Richtertums keine Schranken in den Weg legte. Und nun gar das Richterkönigtum in England! Aber auch bei uns sind die Zeiten andere geworden. Der Einfluß früherer Jahrhunderte schwindet; jetzt weiß man, daß das Gesetz nicht das Recht ist, sondern daß das Recht durch das Zusammenwirken von Gesetz, Wissenschaft und Richterspruch gebildet wird. Was aber die Theorie und ihre Berechtigung betrifft, so sind die Übertreibungen des Verfassers handgreiflich. Theorie ist nicht gleich Scholastik. Die Scholastik besteht darin, daß man mit einem bestimmten Apparat von Begriffen arbeitet und diese Begriffe wie Götzen behandelt, die, wie aus der Urschöpfung hervorgehend, als die Mütter aller Wesen unantastbar unser Denken regieren müßten. Nein, die Begriffe der Rechtswissenschaft sind nicht wie die platonischen Ideen; sie sind vielmehr Menschenschöpfung und wandeln sich mit der Erkenntnis, und jede neue Beobachtung muß die Begriffe erneuern und neue Begriffswerte einführen. Wenn etwa PUCHTA seiner Zeit das Pfandrecht an der eigenen Sache als eine Monstrosität erklärte, so zeigt dies die ganze falsche Methode, die ihn und so viele seiner Nachfolger beherrschte: es war eben der Irrtum, daß man das Pfandrecht als Recht an einer fremden Sache definierte, woraus man weitere Schlüsse gezogen hat; das Pfandrecht als Wertrecht aber kann auch an einer eigenen Sache bestehen, und nichts liegt im Begriff des Wertrechts, was diesem widerspricht. So schaffen wir uns mit diesem neuen Begriff eine neue Bahn! Wenn wir auf diese Weise immer aus der Erfahrung heraus die Begriffe bilden, dann werden wir auf dem richtigen Weg sein, ebenso wie die Naturwissenschaft, und es ist vollkommen verkehrt, deshalb, weil die Technik etwas von der Wissenschaft verschiedenes ist, die Wissenschaft und ihre Bedeutung leugnen zu wollen. Solange wir ein Menschenantlitz tragen, werden wir nicht ablassen, neben der Technik auch die Wissenschaft zu pflegen, und werden wir versuchen, die Erscheinungen des Lebens, mögen es Erscheinungen des Naturlebens oder des Geisteslebens sein, möge es sich um Sitte oder um Recht handeln, auf Prinzipien zurückzuführen. Ebenso ist es eine riesige Übertreibung, die Geschichte des Rechts gering zu schätzen. Will man denn alle Geschichtswissenschaft, namentlich auch die Kulturgeschichte zum Plunder werfen? Ob nicht im akademischen Leben zu viel Geschichte getrieben wird, ist eine andere Frage, und ebenso ist es eine Frage, ob die Art, wie die Geschichte gelehrt wird, immer die richtige ist. Vom akademischen Unterricht will ich nicht sprechen; das ist bei anderer Gelegenheit zu tun. Aber all dies hindert nicht, daß wir als denkende Menschen auch Geschichte zu treiben haben. Dabei muß hervorgehoben werden, daß die Lehre der deutschen Rechtsgeschichte viel bildender ist als die des römischen Rechts, denn sie ist reicher und führt viel mehr in die Zeiten zurück, in welchen die gestaltenden Kräfte des Rechts ihre Ursprünglichkeit zeigen. Die Theorie und Konstruktion hat ihr Recht, und die Geschichte hat ihr Recht, und die Technik hat ihr Recht, alles zur richtigen Zeit und im richtigen Zusammenhang. Ebenso ist es eine riesige Übertreibung, zu verkennen, daß die Technik auch der Wissenschaft unendlich viel zu verdanken hat. Ohne die chemische Wissenschaft wäre die Technik der synthetischen Chemie nicht entstanden, weder unsere Farbenchemie noch die Technik der Darstellung der Vanille, des Indigos und des Eiweißes, worüber EMIL FISCHER, gewiß ein Sachkundiger, Auskunft geben kann, oder irgendein Mitglied in den chemischen Abteilungen des Patentamtes. Und ebenso hätte ohn HUGO GROTIUS das Völkerrecht niemals diesen Aufschwung genommen, und die Haager Friedenskonferenz wäre schwerlich zustande gekommen. Und das internationale Privatrecht wäre in den Kinderschuhen stecken geblieben, wenn nicht SAVIGNY den wundervollen 8. Band seines Systems geschrieben hätte. Ebenso wurde es der Praxis nur durch die Patentwissenschaft möglich, die vielen heiklen und verwickelten Probleme des Erfinderrechts zu lösen; und die allerwichtigsten Prozesse spielen sich ja durchaus nicht auf dem Boden des Bürgerlichen Gesetzbuchs, sondern auf dem Boden der Immaterialrechte ab! Um zu zeigen, wie ich schon vor Jahren Dinge behauptet habe, die man heutzutage unter dem Titel von Freirecht und soziologischer Jurisprudenz erstrebt, möchte ich nur auf folgende Stellen aus meinen früheren Schriften hinweisen. In den "Jahrbüchern für Dogmatik", Bd. 17, Seite 146 schrieb ich im Jahr 1880 vom Rechtsbewußtsein:
Im Übrigen bedarf die Maßlosigkeit des Verfassers keiner Widerlegung, sie richtet sich selbst. Der Kulturkampf eines größeren als des Verfassers machte Fiasko, weil er auf einer riesigen Einseitigkeit beruhte, die allerdings verzeihlich war, weil BISMARCK den Katholizismus nicht gekannt hat. Glaubt der Verfasser mit seinem Kulturkampf erfolgreicher zu sein? Wer die Leuchte des Fortschritts trägt, ist so umsichtig, daß er Reformen erstrebt, aber keinen Kulturkampf beginnt. ![]() ![]() |