ra-2P. TillichG. SimmelL. Tolstoidownload199 KB    
 
LUDWIG FEUERBACH
(1804-1872)
Das Wesen der Religion
[4/5]


44. Die Anschauung des menschlichen Wesens als eines vom Menschen unterschiedenen, gegenständlichen Wesens oder kurzweg: die Vergegenständlichung des menschlichen Wesens hat zur  Voraussetzung die  Vermenschlichung  des vom Menschen unterschiedenen, gegenständlichen Wesens oder die  Anschauung  der Natur als eines menschlichen Wesens. (1) Wille und Verstand erscheinen daher dem Menschen nur deswegen als die Grundkräfte oder Ursachen der Natur, weil ihm die unabsichtlichen Wirkungen der Natur im Lichte seines Verstandes als  absichtliche,  als  Zweck,  die Natur also als ein selbst verständiges Wesen oder doch wenigstens als eine reine Verstandessache erscheint. Wie alles gesehen wird von der Sonne - der Sonnengott, "Helios hört und sieht alle" - weil der Mensch im Sonnenlicht alles sieht, so ist alles  an sich selbst  ein Gedachtes, weil der Mensch es denkt, ein  Verstandeswerk, weil für ihn ein  Verstandesobjekt.  Weil  er  die Sterne und ihre Abstände voneinander ausmißt, so  sind  sie ausgemessen; weil  er  zur  Erkenntnis  der Natur Mathematik anwendet, so ist sie auch zur  Hervorbringung  derselben angewandt worden; weil er das Ziel einer Bewegung, das Resultat einer Entwicklung, die Verrichtung eines Organs  voraussieht,  so ist sie auch  per se  ein  vorhergesehe;  weil er von der Lage oder Richtung eines Weltkörpers sich das  Gegenteil,  ja unzählig andere Richtungen  vorstellen kann,  aber bemerkt, daß, wenn diese Richtung wegfiele, auch zugleich eine Reihe fruchtbarer, wohltätiger Folgen wegfiele und daher diese Folgenreihe als den  Grund  denkt, warum gerade diese und keine andere Richtung ist, so ist sie auch  wirklich  und  ursprünglich  lediglich aus Rücksicht ihrer wohltätigen Folgen aus der  Menge anderer Richtungen,  die  gleichwohl nur im Kopf des Menschen existieren,  mit bewunderungswürdiger Weisheit  ausgewählt  worden. So ist dem Menschen und zwar unmittelbar, ohne Unterscheidung, das Prinzip des Erkennens das Prinzip des Seins, das  gedachte  Ding das  wirkliche  Ding, der Gedanke vom Gegenstand das Wesen des Gegenstandes, das  a posteriori  das  a priori.  Der Mensch denkt die Natur  anders  als sie ist, kein Wunder, daß er ihr auch ein  anderes  Wesen, als sie selbst ist, ein Wesen, das nur im Kopf existiert, ja nur das  Wesen seines eigenen Kopfes  ist, als Grund und Ursache ihrer Wirklichkeit voraussetzt. Der Mensch kehrt die natürliche Ordnung der Dinge um: er stellt die Welt im eigentlichsten Sinne  auf den Kopf,  er macht die  Spitze  der Pyramide zu ihrer  Basis  - das Erste im Kopf oder für den Kopf, den Grund, warum etwas ist, zum Ersten in der Wirklichkeit, zur Ursache, wodurch es ist. Der Grund einer Sache geht im Kopf der Sache selbst voran. Dies ist der Grund, warum dem Menschen das Vernunft- oder Verstandeswesen, das Denkwesen das - nicht nur logisch, sondern auch  physisch  - erste Wesen, das Grundwesen ist.

45. Das Geheimnis der Teleologie beruth auf dem  Widerspruch  zwischen der  Notwendigkeit der Natur  und der  Willkür des Menschen,  zwischen der Natur,  wie sie wirklich  ist und zwischen der Natur,  wie sie  sich der Mensch  vorstellt. Wenn die Erde wo anders, wenn sie z. B. da stände, wo der Merkur steht, so würde vor unmäßiger Hitze alles zugrunde gehen. Wie weise ist also die Erde gerade dahin plaziert, wohin sie vermöge ihrer Beschaffenheit paßt! Aber worin besteht diese Weisheit? Lediglich im Widerspruch, im Gegensatz zur  menschlichen Torheit,  welche willkürlich in Gedanken die Erde an einen anderen Ort stellt, als sie in der Wirklichkeit hat. Wenn  Du erst auseinander reißest,  was in der Natur  unzertrennlich  ist, wie der astronomische Standpunkt eines Weltkörpers und seine physikalische Beschaffenheit, so muß Dir natürlich  hintendrein  die Einheit in der Natur als  Zweckmäßigkeit,  die  Notwendigkeit als Plan,  der wirkliche, notwendige, mit seinem Wesen identische Ort eines Weltkörpers im Gegensatz zum unpassenden, den Du gedacht und gewählt hast, als der  vernünftige,  richtig  ausgedachte,  mit Weisheit ausgewählte Ort erscheinen. "Wenn der Schnee eine schwarze Farbe hätte oder die letztere in den Polarländern vorherrschte ... so wären die gesamten Polargegenden der Erde eine mit organischem Leben unverträgliche, finstere Einöde. ... So gibt die Anordnung der Farben der Körper . ... einen der schönsten Beweise für die zweckmäßige Einrichtung der Welt." Ja wohl, wenn der Mensch  nicht Schwarz aus Weiß machte,  wenn nicht die  menschliche Torheit mit der Natur nach Belieben schaltete, so waltete auch keine  göttliche Weisheit  über der Natur.

46. "Wer hat dem Vogel gesagt, daß er nur seinen Schwanz zu erheben, wann er niederfliegen oder ihn niederzudrücken braucht, wann er höher steigen will? Der muß völlig blind sein, welcher beim Flug der Vögel keine höhere Weisheit gewahrt,  die statt ihrer gedacht hat."  Allerdings muß er blind sein, aber nicht für die Natur, sondern für  den  Menschen, der  sein Wesen  zum  Urbild  der Natur, die  Verstandeskraft zur Urkraft  erhebt, der von der  Einsicht  in die Mechanik des Fliegens den Flug der Vögel abhängig, seine von der Natur abstrahierten Begriffe zu  Gesetzen  macht, welche die Vögel im Flug  anwenden,  wie der Reiter die Regeln der Reitkunst, der Schwimmer die Regeln der Schwimmkunst, nur mit dem Unterschied, daß den Vögeln die Anwendung der Fliegkunst eine angeborene, angeschaffene ist. Allein der Flug der Vögel beruth auf keiner Kunst. Kunst ist nur dort, wo auch das  Gegenteil  der Kunst ist, wo ein Organ eine Verrichtung ausübt, die nicht unmittelbar, nicht notwendig mit demselben verbunden ist, nicht sein Wesen erschöpft, nur eine  besondere  ist neben vielen anderen wirklichen oder möglichen Verrichtungen desselben Organs. Der Vogel kann aber  nicht anders  fliegen, als er fliegt und nicht auch nicht fliegen; er  muß  fliegen. Das Tier kann immer nur dieses Einzige, was es kann, sonst schlechterdings nichts und es kann eben deswegen diese  eine  so meisterhaft, so unübertrefflich, weil es alles andere nicht kann, weil in dieser  einen  Verrichtung sein ganzes Vermögen erschöpft, diese eine Verrichtung mit  seinem Wesen selbst identisch ist. Wenn Du daher die Handlungen und Verrichtungen der Tiere, namentlich der niederen, mit sogenannten Kunsttrieben begabten, nicht ohne Voraussetzung eines Verstandes, der statt ihrer gedacht hat, Dir erklären kannst, so kommt das nur daher, daß  Du  denkst, die Gegenstände ihrer Tätigkeit seien ihnen  so Gegenstand,  wie sie Gegenstand Deines Bewußtseins und Verstandes sind. Denkst Du einmal die Werke der Tiere als  Kunstwerke,  als  willkürliche  Werke, so mußt Du natürlich auch den Verstand als ihre Ursache denken, denn ein Kunstwerk setzt Auswahl, Absicht, Verstand voraus und folglich, da Dir zugleich die Erfahrung doch wieder zeigt, daß die Tiere selbst nicht denken, ein  anderes  Wesen  statt ihrer  denken lassen. (2) "Wisset ihr der Spinne Rat zu geben, wie sie die Fäden von einem Baum zum andern, von einer Spitze des Hauses zur andern, von einer Höhe diesseits des Wassers zu einer anderen jenseits des Wassers hinüberbringen und anheften soll?" Nimmermehr; aber glaubst Du denn, daß hier Rat vonnöten ist, daß sich die Spinne in derselben Lage befindet, in der Du Dich befändest, wenn Du diese Aufgabe aus dem  Kopf  lösen solltest, daß es für sie wir für Dich ein Diesseits und Jenseits gibt? Zwischen der Spinne und dem Gegenstand, woran sie die Fäden ihres Netzes befestigt, ist ein so notwendiger Zusammenhang, als zwischen Deinem Knochen und Muskel; denn der Gegenstand außer ihr ist für sie nichts anderes als der Anhaltspunkt ihres Lebenfadens, die Stütze ihres Fangwerkzeuges. Sie sieht nicht, was Du siehst; alle die Trennungen, Unterschiede, Abstände, die oder wenigstens  wie  sie Dein Verstandesauge macht, existieren gar nicht für sie. Was daher für Dich ein unauflösliches  theoretisches  Problem ist, das tut die Spinne  ohne Verstand  und folglich  ohne alle die Schwierigkeiten,  die nur für Deinen Verstand existieren. "Wer hat den Blattläusen gesagt, daß sie im Herbst ihre Nahrung am Zweig, an der Knospe reichlicher finden als am Blatt? Wer hat ihnen den Weg zur Knospe, zum Zweig bezeichnet? Für die Blattlaus, die auf dem Blatt geboren wurde, ist die Knospe nicht nur eine ferne, sondern auch völlig unbekannte Provinz. Ich bete den Schöpfer der Blattlaus und der Schildlaus an und schweige." Freilich muß Du schweigen, wenn Du die Blatt- und Schildläuse zu Predigern des Theismus machst, wenn Du ihnen  Deine Gedanken unterschiebst,  denn nur für die  anthropomorphisierte  Blattlaus ist die Knospe eine  ferne  und  unbekannte  Provinz, aber nicht für die Blattlaus an sich, welcher das Blatt  nicht als Blatt,  die Knospe  nicht  als Knospe, sondern nur als assimilierbarer, gleichsam chemisch verwandter Stoff Gegenstand ist. Es ist daher nur der  Widerschein des Auges  der Dir die Natur als  als das Werk eines Auges  erscheinen läßt, der Dich nötigt, die Fäden, die die Spinne aus ihrem  Hintern  hervorzieht, aus dem  Kopf  eines denkenden Wesens abzuleiten. Die Natur ist Dir nur ein Schauspiel, ein Augenfest; Du glaubst daher, was Dein Auge entzückt, bewege und regiere auch die Natur; so machst Du das  himmlische Licht,  in dem sie Dir erscheint, zu dem  himmlischen Wesen,  das sie erschaffen, den Strahl des Auges zum Hebel der Natur, den  Sehnerven  des Weltalls. Die Natur von einem weisen Schöpfer ableiten, heißt mit dem  Blick Kinder zeugen,  mit dem Wohlgeruch der Speisen den Hunger stillen, mit dem Wohlklang der Töne Felsen bewegen. Wenn der Grönländer den Haifisch aus menschlichem Urin entspringen läßt, weil er in der Nase des Menschen nach Urin riecht, so ist diese zoologische Genesis ebenso begründet, als die kosmologische Genesis des Theisten, wenn er die Natur deswegen aus dem Verstand entspringen läßt, weil sie auf den Verstand des Menschen den Eindruck der Verständigkeit und Absichtlichkeit macht. Wohl ist die Erscheinung der Natur für uns Vernunft, aber die Ursache dieser Erscheinung ist so wenig Vernunft, als die Ursache des Lichtes Licht ist.

47. Warum macht die Natur Mißgeburten? weil ihr das Resultat einer Bildung nicht im Voraus als Zweck Gegenstand ist. Warum z. B. sogenannte Katzenköpfe? weil sie bei der Bildung des Hirns nicht an den Schädel denkt, nicht weiß, daß ihr zur Bedeckung desselben Knochensubstanz fehlt. Warum überzählige Glieder? weil sie nicht zählt. Warum links, was in der Regel rechts oder rechts, was in der Regel links liegt? weil sie nicht weiß, was rechts oder links ist. Die Mißgeburten sind daher populäre, eben deswegen schon von den alten Atheisten und selbst solchen Theisten, welche die Natur von der Vormundschaft der Theologie emanzipierten, hervorgehobene Beweise, daß die Naturbildungen unvorhergesehene, unabsichtliche, unwillkürliche Produkte sind, denn alle Gründe, die man zur Erklärung der Mißbildungen anführt, selbst die der neuesten Naturforscher, daß sie nur Folgen von Krankheiten des Fötus sind, würden ja wegfallen, wenn mit der schöpferischen oder bildenden Macht der Natur zugleich Wille, Verstand, Voraussicht, Bewußtsein verbunden wäre. Aber obgleich die Natur nicht sieht, so ist sie deswegen doch nicht  blind,  obgleich sie nicht lebt (im Sinne des menschlichen, überhaupt subjektiven, empfindenden Lebens), doch nicht tot und obgleich sie nicht Absichten bildet, so sind ihre Bildungen doch keine  zufälligen;  denn wo der Mensch die Natur als tot und blind, ihre Bildungen als zufällige bestimmt, da macht er sein (und zwar  subjektives)  Wesen zum Maß der Natur, da bestimmt er sie nur  nach dem Gegensatz gegen sich,  da bezeichnet er sie als ein mangelhaftes Wesen, weil sie  nicht  hat, was er hat. Die Natur wirkt und bildet überall, nur in und mit  Zusammenhang - ein Zusammenhang, der für den Menschen  Vernunft  ist, denn überall, wo er Zusammenhang wahrnimmt, findet er Sinn, Denkstoff, "zureichenden Grund", System - nur aus und mit  Notwendigkeit.  Aber auch diese Notwendigkeit der Natur ist keine menschliche, d. h. keine logische, metaphysische oder mathematische, überhaupt keine abstrakte; denn die Naturwesen sind keine Gedankenwesen, keine logischen oder mathematischen Figuren, sondern wirkliche, sinnliche, individuelle Wesen; sie ist eine sinnliche, darum exzentrische, exzeptionell, irreguläre, infolge dieser Anomalien der Phantasie des Menschen selbst als Freiheit oder wenigstens als ein Produkt der Freiheit erscheinende Notwendigkeit. Die Natur ist überhaupt  nur durch sich selbst  zu fassen; sie ist das Wesen, dessen "Begriff von  keinem anderen  Wesen abhängt;" sie ist es allein, bei der der Unterschied zwischen dem, was ein Ding  an sich  und dem, was es  für uns  ist, gültig ist, sie allein, an die kein "menschlicher Maßstab" angelegt werden darf und kann, obgleich wir ihre Erscheinungen mit analogen menschlichen Erscheinungen vergleichen und bezeichnen, um sie uns verständlich zu machen, überhaupt menschliche Ausdrücke und Begriffe, wie Ordnung, Zweck, Gesetz, auf sie anwenden und in Gemäßheit der Natur unserer Sprache, die nur auf den subjektiven Schein der Dinge gegründet ist, aus sie anwenden zu müssen.

48. Die religiöse Bewunderung der göttlichen Weisheit in der Natur ist nur ein Moment der Begeisterung; sie bezieht sich nur auf die  Mittel,  aber erlischt in der Reflexion auf die Zwecke der Natur. Wie wunderbar ist das Netz der Spinne, wie wunderbar der Trichter des Ameisenlöwen im Sand! Aber worauf zielen diese weisen Anstalten ab? Auf die Ernährung - ein Zweck, den der Mensch an sich zu einem bloßen Mittel herabsetzt. "Andere", sagte SOKRATES - "diese Anderen sind aber die Tiere und tierischen Menschen - leben, um zu essen, ich aber esse, um zu leben." Wie prächtig ist die Blume, wie bewundernswürdig ihr Bau! Aber wozu dient dieser Bau, diese Pracht? Nur zur Verherrlichung und Beschützung der Geschlechtsorgane, welche der Mensch an sich aus Scham verbirgt oder gar aus Religionseifer verstümmelt.  "Der Schöpfer der Blatt- und Schildläuse,"  den der Naturforscher, der Theoretiker anbetet und bewundert, der nur das natürliche Leben zu seinem Zweck hat, ist daher nicht der Gott und Schöpfer  im Sinne der Religion.  Nein! nur der Schöpfer des  Menschen  erst und zwar des Menschen, wie er sich von der Natur unterscheidet, sich über die Natur erhebt, der Schöpfer, in welchem der Mensch das  Bewußtsein seiner selbst  besitzt, in welchem er seine Natur im Unterschied von der äußeren Natur begründenden Eigenschaften und  zwar so, wie er sie sich in der Religion vorstellt,  repräsentiert findet, ist der Gott und Schöpfer, wie er Gegenstand der Religion. "Das Wasser", sagt LUTHER, "so in der Taufe geschöpft und über das Kind gegossen wird, ist  auch Wasser, nicht des Schöpfers,  sondern  Gottes des Heilandes."  Das natürliche Wasser habe ich mit den Tieren und Pflanzen gemein, aber nicht das Taufwasser; jenes amalgiert mich mit, dieses unterscheidet mich von den übrigen Naturwesen. Gegenstand der Religion ist aber nicht das natürliche, sondern das Taufwasser; folglich ist auch nicht der Schöpfer oder Urheber des Natur-, sondern des Taufwassers Gegenstand der Religion. Der Schöpfer des natürlichen Wassers ist notwendig selbst ein natürliches, also kein religiöses, d. h. übernatürliches Wesen. Das Wasser ist ein den Sinnen gegenstänliches, sichtbares Wesen, dessen Eigenschaften und Wirkungen uns daher auf keine  übersinnliche Ursache führen; aber das Taufwasser ist nicht den "fleischlichen Augen" Gegenstand, es ist ein geistliches, unsichtbares, übersinnliches, d. h. nur für den Glauben vorhandenes, nur in der Vorstellung, in der Einbildungskraft existierende und wirksames Wesen - ein Wesen, das zu seiner Ursache also auch ein geistliches, nur im Glauben, in der Einbildung existierendes Wesen erfordert. Das natürliche Wasser reinigt mich nur von meinen leiblichen, aber das Taufwasser von meinen moralischen Flecken und Übeln; jenes löscht meinen Durst nur nach diesem zeitlichen, vergänglichen Leben, aber dieses befriedigt mein Verlangen nach dem ewigen Leben; jenes hat nur begrenzte, bestimmte, endliche Wirkungen, aber dieses unendliche, allmächtige Wirkungen, Wirkungen, die über die Natur des Wassers hinausgehen, Wirkungen also, welche das an keine Schranke der Natur gebundene Wesen des göttlichen Wesens, das an keine Schranke der Erfahrung und Vernunft gebundene, das unbeschränkte Wesen des menschlichen Glaubens- und Einbildungsvermögens vergegenwärtigen und vergegenständlichen. Aber ist denn nicht auch der Schöpfer des Taufwassers der des natürlichen Wassers? wie verhält sich also dieser zum Schöpfer der Natur? Gerade so, wie sich das Taufwasser zum Naturwasser verhält; jenes kann nicht sein, wenn dieses nicht ist; dieses ist seine Bedingung, sein Mittel. So ist der Schöpfer der Natur  nur  die Bedingung für den  Schöpfer des Menschen.  Wer das natürliche Wasser nicht in seiner Hand hat, wie kann der übernatürliche Wirkungen mit demselben verbinden? Wie kann der das ewige Leben geben, der nicht über das zeitliche Leben gebietet? wie der meinen zu Staub verfallenen Leib wiederherstellen, dem nicht die Elemente der Natur gehorchen? Aber wer ist Herr und Gebieter der Natur, außer der die Macht und Kraft hatte, sie bloß durch seinen Willen aus dem Nichts hervorzubringen? wer daher die Verknüpfung des übernatürlichen Wesens der Taufe mit dem natürlichen Wasser für einen unsinnnigen Widerspruch erklärt, der erkläre auch die Verknüpfung des übernatürlichen Wesens des Schöpfers mit der Natur für einen solchen; denn zwischen den Wirkungen des Tauf- und gemeinen Wassers ist ebenso viel oder so wenig Zusammenhang, als zwischen dem übernatürlichen Schöpfer und der so natürlichen Natur. Der Schöpfer entspringt aus derselben Quelle, aus welcher das übernatürliche, wunderbare Taufwasser hervorquillt. Im Taufwasser hast Du nur das Wesen des Schöpfers, das Wesen Gottes in einem  sinnlichen Beispiel  vor Augen. Wie kannst Du also das Wunder der Taufe und andere Wunder verwerfen, wenn Du das Wesen des Schöpfers, d. h. das  Wesen des Wunders  stehen läßt? mit anderen Worten: wie die kleinen Wunder verwerfen, wenn Du das  große  Wunder der Schöpfung annimmst? Doch freilich es geht in der Welt der Theologie gerade so zu, wie in der Welt der Politik: die kleinen Diebe hängt man, die großen läßt man laufen.

49. Die Vorsehung, die sich in der natürlichen Ordnung, Zweck- und Gesetzmäßigkeit ausspricht, ist nicht die Vorsehung der Religion. Diese beruth auf Freiheit, jene auf Notwendigkeit, diese ist unbeschränkt und unbedingt, jene beschränkt, abhängig von tausenderlei Bedingungen, diese ist eine spezielle, individuelle, jene erstreckt sich nur auf das Ganze, die Gattung, aber das Einzelne, das Individuum überläßt sie dem Zufall. "Viele" (Viele? Alle, welchen Gott mehr als der mathematische, fingierte Anfangspunkt der Natur war) sagt ein theistischer Naturforscher, "haben sich die Erhaltung der Welt, insbesondere die der Menschen, als  unmittelbar,  als  speziell  vorgestellt, als regiere Gott die Handlungen aller Geschöpfe, lenke sie nach seinem Wohlgefallen ... Wir können aber diese spezielle Regierung und Aussicht über die Handlungen der Menschen und übrigen Geschöpfe nach der Betrachtung der Naturgesetze unmöglich annehmen ... Wir erkennen das aus der geringen Sorgfalt der Natur für  die einzelnen  Glieder. (3) Tausende derselben werden beim Reichtum der Natur ohne Bedenken, ohne Reue aufgeopfert. ... Selbst bei den Menschen geht es auf dieselbe Art. Nicht die Hälfte des menschlichen Geschlechts erreicht das zweite Jahr ihres Alters, sondern sie sterben fast ohne gewußt zu haben, das sie jemals lebten. Wir erkennen eben dieses aus den Unglücksfällen und Verdrießlichkeiten aller Menschen, sowohl guten als böse, welches alles nicht wohl mit der speziellen Erhaltung oder Mitwirkung des Schöpfers bestehen kann." Allein eine Regierung, eine Vorsehung, die keine spezielle ist, entspricht nicht dem Zweck, dem Wesen, dem Begriff einer Vorsehung; denn die Vorsehung soll den Zufall aufheben, aber diesen läßt eben eine nur  allgemeine  Vorsehung bestehen und ist daher so viel, als  gar keine  Vorsehung. So ist es z. B. ein "Gesetz der göttlichen Ordnung" in der Natur, d. h. eine Folge natürlicher Ursachen, daß je nach der Zahl der Jahre auch der Tod der Menschen in bestimmten Zahlen erfolgt, daß z. B. im ersten Jahr ein Kind von 3 bis 4 Kindern, im fünften Jahr eins von 25, im siebenten eins von 50, im zehnten eins von 100 stirbt, aber gleichwohl ist es zufällig, nicht durch dieses Gesetz bestimmt, sondern von anderen zufälligen Gründen abhängig, daß gerades  dieses eine  Kind stirbt, diese drei oder vier anderen Kinder aber am Leben bleiben. SO ist der "Ehestand eine Ordnung Gottes", ein Gesetz der natürlichen Vorsehung zur Vermehrung des Menschengeschlechts, folglich für mich eine Pflicht. Aber ob ich  diese  heiraten soll, ob diese nicht vielleicht infolge eines zufälligen organischen Fehlers untauglich oder unfruchtbar ist, darüber sagt sie mir nichts. Aber eben deswegen, weil mich gerade in der Anwendung des Gesetzes auf den bestimmten einzelnen Fall, gerade im kritischen Moment der Entscheidung, im Drang der Not die natürliche Vorsehung, die in Wahrheit nichts anderes ist, als die Natur selbst, im Stich läßt, so appelliere ich von ihr an eine höhere Instanz, an die  übernatürliche Vorsehung der Götter,  deren Auge gerade da auf mich leuchtet, wo das Licht der Natur ausgeht, deren Regiment gerade da beginnt, wo das Regiment der natürlichen Vorsehung zuende ist. Die Götter wissen und sagen mir, sie bestimmen, was die Natur im Dunkel der Unbestimmtheit läßt, dem Zufall preisgibt. Das Gebiet des sowohl im gewöhnlichen, als philosophischen Sinne Zufälligen, "Positiven", Individuellen, Unvoraussichtlichen, Unberechenbaren ist das Gebiet der Götter, das Gebiet der religiösen Vorsehung. Und das Orakel und Gebet sind die religiösen Weisen, wie der Mensch das Zufällige, Dunkle, Ungewisse zu einem Gegenstand der Vorsehung, der Gewißheit oder doch der Zuversicht macht. (4)
LITERATUR Ludwig Feuerbach, Das Wesen der Religion, Leipzig 1849
    Anmerkungen
    1) Von  diesem  Standpunkt aus betrachtet, ist daher der Schöpfer der Natur nichts anderes, als das mittels der Abstraktion von der wirklichen Natur, von der Natur, wie sie Gegenstand der Sinne, unterschiedene und abgesonderte, mittels der Einbildungskraft in ein menschliches oder menschenähnliches Wesen verwandelte, popularisierte, anthropomorphisierte, personifizierte Wesen der Natur.
    2) So ist überhaupt in allen Schlüssen von der Natur auf einen Gott die Prämisse, die  Voraussetzung  eine  menschliche,  kein Wunder, daß dan das  Resultat  ein  menschliches  oder  menschenähnliches  Wesen ist. Ist die Welt eine Maschine, so muß natürlich ein Baumeister derselben sein. Sind die Naturwesen so gleichgültig gegeneinander, sie die menschlichen Individuen, die sich zu irgendeinem willkürlichen Staatszweck, z. B. zum Kriegsdienst nur durch eine höhere Gewalt verwenden und vereinigen lassen, so muß natürlich auch ein Regent, ein Gewalthaber, ein General  en chef  der Natur - ein "Kapitän der Wolken" - sein, wenn sie sich nicht in Anarchie auflösen soll. So macht der Mensch zuerst unbewußt die Natur zu einem  menschlichen  Werk, d. h. sein Wesen zum Grundwesen derselben, da er aber doch hernach oder zugleich den  Unterschied  wahrt zwischen den Werken der Natur und den Werken der menschlichen Kunst, so erscheint ihm dieses sein eigenes Wesen als ein  anderes,  aber  analoges,  ähnliches. Alle Beweise vom Dasein Gottes haben daher nur  logische  oder vielmehr anthropologische Bedeutung zumal auch die logischen Formen Formen des menschlichen Wesens sind.
    3) Die Natur "sorgt" übrigens ebenso wenig für die Gattung oder Art. Die Art erhält sich aus dem natürlichen Grund, weil die Art nichts anderes ist, als der Inbegriff der durch Begattung sich fortpflanzenden, vervielfältigenden Individuen. Den zufälligen zerstörenden Einflüssen, denen das einzelne Individuum ausgesetzt ist, entgehen daher die anderen. Die Vielheit erhält. Aber gleichwohl oder vielmehr aus denselben Gründen, aus welchen das einzelne Individuum zugrunde geht, sterben auch selbst Arten aus. So ist die Dronte verschwunden, so der irische Riesenhirsch, so verschwinden noch jetzt viele Tierarten infolge der Nachstellungen der Menschen und der sich immer weiter ausbreitenden Kultur aus Gegenden, wo sie einst oder vor Kurzem noch in großer Menge vorhanden waren, wie z. B. die Seehunde aus den südlichen Schottlandinseln und werden mit der Zeit gänzlich von der Erde verschwinden.
    4) Man vergleiche hierüber SOKRATES Äußerungen bei XENOPHON in Betreff der Orakel.


    dow Download mit allen Kommentaren [199 KB]