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Über den buddhistischen Nihilismus
Verehrter Herr Präsident: Verehrte Versammlung: Es ist nun das eigentümliche Schicksal der Religion des BUDDHA gewesen, daß sie unter allen sogenannten falschen oder heidnischen Religionen fast allein wegen ihres hohen, reinen, menschenbildenden Charakters von jedermann gepriesen worden ist. Man traut kaum seinen Augen, wenn man katholische und protestantische Missionäre in ihren Lobpreisungen des BUDDHA wetteifern sieht; und es muß selbst die Aufmerksamkeit des gegen alles Religiöse Gleichgültigen auf einen Blick fesseln, wenn er aus statistischen Berichten ersieht, wie keine Religion, die christliche nicht ausgenommen, einen so mächtigen Einfluß auf die Verminderung der Verbrechen geübt hat, wie die alte, einfache Lehre des Büßers von Kapilavastu. Man kann ja in dieser Beziehung keine bessere Autorität anführen als einen noch lebenden Bischof der römisch-katholischen Kirche. In seinem interessanten Buch über das Leben des BUDDHA spricht nun der Verfasser, der Bischof von Ramatha, der apostolische Vika von Ava und Pegu mit einer solchen Offenheit von den Vorzügen der buddhistischen Religion, daß man oft nicht weiß, ob man seinen Mut oder seine Gelehrsamkeit mehr bewundern sollte. So sagt er an einer Stelle:
Nun scheint es aber auf der anderen Seite, als ob man sich nur deshalb erlaubt, so freigiebig im Lob des BUDDHA und des Buddhismus zu sein, weil man schließlich doch immer den Stab über eine Religion brechen konnte, die, trotz aller Vorzüge, nichts als lauter Atheismus und Nihilismus ist. So lesen wir dann auch bei unserem Bischof:
Was nun den Atheismus betrifft, so läßt sich in keiner Weise leugnen, daß, wenn wir die alten Götter des Veda, INDRA und AGNI und YAMA, - Götter nennen, BUDDHA ein Atheist war. Er glaubt nicht an die Göttlichkeit dieser Gottheiten. Es ist merkwürdig, daß er ihre bloße Existenz durchaus nicht leugnet, so wenig wie AUGUSTINUS und andere Kirchenväter die Existenz der olympischen Götter zu verflüchtigen oder gänzlich hinweg zu erklären suchten. Der Stifter des Buddhismus behandelt die alten Götter als übermenschliche Wesen, und verspricht den Frommen, daß sie nach dem Tod in den Götterwelten wiedergeboren werden und mit den Göttern göttliche Seligkeit genießen sollen. In gleicher Weise droht er den Bösen, daß sie nach dem Tod in den unterirdischen Wohnungen und Höllen ihrer Strafe büßen werden, wo die Asuras, Sarpas, Nâgas und andere böse Geister hausen, deren Existenz im Volksglauben und in der Volkssprache zu fest begründet war, als daß selbst ein neuer Religionsstifter sie ganz hinweg zu disputieren wagte. Aber obgleich BUDDHA diesen mediatisierten Göttern und Teufeln Paläste, Gärten und einen Hofstaat anwies, die ihren früheren wenig nachstanden, so nahm er ihnen doch vollständig ihre Souveränitätsrechte. Obgleich nach seinem Ausspruch die Götterwelten Millionen von Jahren bestehen, so sind sie doch mit den Göttern und mit den Geistern, die sich im Kreislauf der Geburten zur Götterwelt erhoben haben, am Ende eines jeden Kalpa [Weltperiode - wp] dem Untergang verfallen. Ja, noch weiter geht die Reorganisation der Geisterwelt. Schon vor BUDDHA hatten ja die Brahmanen den niederen Standpunkt des mythologischen Götterbewußtseins überwunden, und hatten die Idee des Brahman, als der absoluten göttlichen oder übergöttlichen Macht, an seine Stelle gesetzt. Was tut nun BUDDHA? Auch diesem Brahman weist er eine Stelle in seinem Universum an. Über der Götterwelt mit ihren 6 Paradiesen türmt er 16 Brahma-Welten auf, und in diese Brahma-Welten gelangen die Wesen nicht mehr durch Tugend und Frömmigkeit, sondern durch innere Betrachtung, durch Wissen und Erleuchtung. Die Bewohner dieser Welten sind bereits rein geistige Wesen, ohne Körper, ohne Schwere, ohne Begierde, weit erhaben über Menschen und Götter. Ja, zu einer noch schwindelerregenderen Höhe erhebt sich der buddhistische Baumeister, und auf die Brahma-Welten türmt er noch vier höhere Welten, welche er die Welten der Formlosen nennt. Alle diese Welten stehen den Menschen offen, und im Kreislauf der Zeit steigen die Wesen auf und ab, je nach den Werken, die sie vollbracht haben, je nach der Wahrheit, die sie erkannt haben. Aber in allen diesen Welten herrscht noch das Gesetz des Wechsels; in keiner gibt es Freiheit von Geburt, Alter und Tod. Die Welt der Götter wird vergehen wie die der Menschen; die Welt des Brahman wird vergehen wie die der Götter, ja selbst die Welt der Formlosen wird nicht ewig währen: der BUDDHA aber, der Erleuchtete und wahrhaft Freie, steht höher und wird vom Zusammensturz des Weltalls nicht berührt oder gestört: si fractus illabatur orbis, impavidum ferient ruinae [Wenn der Erdkreis zusammenbrechend einstürzt, werden die Trümmer auf einen Unerschrockenen niederfallen. - Horaz]. Nun kommt aber ein Zug von Ironie, den man bei BUDDHA kaum erwartet hätte. Götter und Teufel hatte er untergebracht, allen mythologischen und philosophischen Errungenschaften der Vergangenheit war er, so viel wie möglich, gerecht geworden. Selbst märchenhafte Wesen, wie Nâgas, Gandharvas und Garudas, waren dem Auflösungsprozeß entgangen, der sie erst später unter den Händen der vergleichenden Mythologie erreichen sollte. Nur gegen eine Idee, die Idee eines persönlichen Schöpfers, verfährt BUDDHA ohne Schonung. Sie wird nicht nur geleugnet, sondern es wird sogar ihre Entstehung, wie die eines alten Mythos, sorgsam und bis ins Einzelnste erklärt. Dies geschieht folgendermaßen im Brahma-gâlasutra: - Erinnern Sie sich, daß am Ende jedes Kalpa eine Weltzerstörung eintritt, welche nicht nur Erde und Hölle, sondern alle Götterwelten und sogar die drei untersten der Brahma-Welten vernichtet. Wie lange ein Kalpa dauert, kann man nur in der Sprache des Buddhismus beschreiben. Man nehme einen Felsen von vier deutschen Kubik-Meilen und berühre denselben einmal in hundert Jahren mit einem feinen Tuch, so wird der ganze Felsen eher zerrieben sein, als ein Kalpa sein Ende erreicht hat. Am Ende dieses Kalpa also, heißt es, nachdem alle die unteren Stockwerke des Universums zerstört waren und sich dann langsam wieder eine neue Welt bildete, waren die in den höheren Brahma-Welten weilenden Geister unversehrt geblieben. Einer von diesen Geistern nun, ein Wesen ohne Körper, ohne Schwere, allgegenwärtig und selig in sich selbst, stieg, als seine Zeit gekommen war, von der höheren Brahma-Welt in die neugeformte niedere Brahma-Welt hinab. Hier weilte er zuerst allein; aber nach einiger Zeit entstand in ihm der Wunsch: "Möchte ich doch nicht länger allein sein." In demselben Augenblick, als dieser Wunsch in ihm aufstieg, stieg zufällig ein zweites Wesen aus der höheren in die niedere Brahma-Welt hinab. Da entstand im ersten Wesen der Gedanke:
Ich glaube, man kann in dieser Erklärung einen Ton der Animosität nicht verkennen, der sonst dem Charakter BUDDHAs so fremd ist, und es entsteht ganz natürlich die Frage, ob dies dann wirklich die Lehre des Stifters des Buddhismus gewesen ist. Und hiermit treten wir sogleich an unser Hauptproblem: Ist es möglich, einen Unterschied zwischen dem Buddhismus und den persönlichen Lehren Buddhas zu machen? Wir haben den buddhistischen Kanon, und was sich in diesem Kanon findet, das haben wir eine Recht, als orthodox-buddhistische Lehre zu betrachten. Wie es nun aber in der christlichen Theologie nicht an Versuchen gefehlt hat, die Lehre des Stifters unserer Religion von der der Evangelisten zu unterscheiden, über den Kanon des Neuen Testaments hinauszugehen und die logia des Meisters zur alleingültigen Richtschnur unseres Glaubens zu machen, so stellt sich dasselbe Bedürfnis schon sehr früh unter den Anhängern BUDDHAs ein. Schon auf dem großen Konzil, welches den Kanon der buddhistischen Religion feststellte, hatte der König ASOKA, der KONSTANTIN Indiens, die versammelten Priester daran zu erinnern, daß nur das, was Buddha selbst gesagt hat, gut gesagt ist. (1) Schon damals gab es Werke, welche dem BUDDHA beigelegt, von Anderen aber als apokryph [nicht anerkannt, unecht - wp] oder sogar als heterodox [andersgläubig - wp] bezeichnet wurden. An einer Berechtigung also zwischen dem Buddhinsmus und der Lehre BUDDHAs zu unterscheiden, fehlt es durchaus nicht; die einzige Frage ist, ist eine solche Scheidung für uns noch ausführbar? Ich glaube nun, im Großen und Ganzen müssen alle ehrlichen Forscher diese Frage mit Nein beantworten, und auch BURNOUF hat nie versucht, einen Blick über die Schranken des buddhistischen Kanons hinaus zu tun. Was in den kanonischen Büchern, in den sogenannten "Drei Körben" steht, ist ihm die Lehre BUDDHAs, so wie ja auch für uns, was in den vier Evangelien steht, als die Lehre CHRISTI gelten muß. Die Frage sollte aber doch einmal wieder von Neuem aufgeworfen werden, ob es, wenigstens in Bezug auf gewisse Lehren oder Tatsachen, der Kritik nicht möglich ist, einen Schritt weiter zu tun, wenn sie auch dabei selbstverständlich nie zu Resultaten von apodiktischer Gewißheit gelangen kann. Wenn wir nämlich, was oft geschieht, in den verschiedenen Teilen des Kanons nicht nur verschiedene, sondern sogar sich widersprechende Ansichten finden, so kann natürlich nur eine von ihnen dem BUDDHA persönlich angehören, und ich glaube, wir haben dann ein Recht zu wählen, und dürfen wohl die Ansicht als die ursprüngliche, als die dem BUDDHA eigentümliche annehmen, welche am wenigsten mit dem späteren System des orthodoxen Buddhismus harmoniert. Was nun das Leugnen eines Schöpfers, oder den Atheismus im gewöhnlichen Sinn des Wortes betrifft, so glaube ich nicht, daß sich irgendeine Stelle aus den uns bekannten Büchern des Kanons zitieren läßt, welche damit im Widerspruch stände, oder welche irgendwie den Glauben an einen persönlichen Gott oder einen Schöpfer voraussetzt. Das Einzige, was man etwa anführen könnte, sind die Worte, welche BUDDHA gesprochen haben soll im Augenblick als er seine Erleuchtung erhielt, als er zum BUDDHA wurde. Diese lauten:
Während wir aber keinen Grund haben, den BUDDHA persönlich von der Anklage des Atheismus freizusprechen, so verhält es sich ganz anders mit der gegen ihn erhobenen Anklage des Nihilismus. Der buddhistische Nihilismus ist von jeher viel unbegreiflicher erschienen, als bloßer Atheismus. Eine Art von Religion ist noch immer denkbar, wenn nur irgendwo ein Halt ist, wenn etwas Ewiges und Selbstbeständiges, wenn auch nicht außer und über dem Menschen, so doch wenigstens im Menschen anerkannt wird. Wenn aber, wie der Buddismus lehrt, die Seele, nachdem sie alle Phasen der Existenz, alle Welten der Götter und der höheren Geister durchflogen hat, schließlich als höchstes Ziel und als letzte Belohung, zum Nirvâna gelangt, d. h. völlig ausgelöscht wird, dann ist ja Religion nicht mehr, was sie sein soll - eine Brücke vom Endlichen zum Unendlichen, sondern eine Fallbrücke, die den Menschen in den Abgrund schleudert, wenn er eben die feste Burg des Ewigen erreicht zu haben glaubte. Nach der metaphysischen Lehre des Buddhismus kann die Seele selbst nicht in einem höheren Wesen aufgehen, oder in der absoluten Substanz absorbiert werden, wie dies die Brahmanen und andere Mystiker in alter und neuer Zeit gelehrt haben. Es gab ja für den Buddhismus kein Göttliches, kein Ewiges, kein Absolutes, und auch die Seele, sei es als Ich, oder als bloßes Selbst - als Atman, wie es die Brahmanen nannten - wurde in der orthodoxen Metaphysik des Buddhismus als vergänglich, als nichtig, als ein bloßes Trugbild dargestellt. Niemand, welcher die im buddhistischen Kanon enthaltenen metaphysischen Spekulationen über das Nirvâna aufmerksam ließt, kann zu einer anderen Überzeugung kommen, als zu der, welche BURNOUF ausgesprochen hat, daß das Nirvâna - das höchste Ziel, das summum bonum des Buddhismus das absolute Nichts ist. Nun bemerkt aber schon BURNOUF, daß diese Lehre in ihrer krassen Form nur im dritten Teil des Kanons, im sogenannten Abhidharma, erscheint, nicht aber im ersten und zweiten Teil, in den Sûtras, den Predigten, und dem Vinaya, der Ethik, welche zusammen den Namen Dharma oder Gesetz tragen. Zweitens hebt er hervor, daß nach einigen alten Autoritäten dieser ganze Teil des Kanons als "nicht von BUDDHA verkündet" (2) bezeichnet wird. Dies sind bereits zwei bedeutende Beschränkungen. Ich füge nun noch eine dritte hinzu, und behaupte, daß im 1. und 2. Teil des Kanons Aussprüche des BUDDHA vorkommen, welche mit diesem metaphysischen Nihilismus im grellsten Widerspruch stehen. Was zunächst die Seele, oder das Selbst betrifft, dessen Existenz der orthodoxen Metaphysik zufolge rein phänomenal ist, so heißt es in einem dem BUDDHA beigelegten Spruch:
Nirvâna heißt nun allerdings Erlöschen, so verschiedene willkürliche Deutungen (3) es auch später gefunden hat, und scheint also schon etymologisch ein wirkliches Verwehen und Vergehen zu bedeuten. Aber Nirvâna kommt auch in brahmanischen Schriften vor als synonym mit Moksha, Virvritti und anderen Wörtern, welche alle das höchste Stadium geistiger Freiheit und Seligkeit bezeichnen, - nicht aber Vernichtung. Nirvâne kann das Erlöschen von vielen Dingen, von Selbstsucht, Begierde und Sünde bezeichnen, ohne bis zum Erlöschen des subjektiven Bewußtseins zu gehen. Bedenken wir nun weiter, daß BUDDHA selbst, nachdem er schon Nirvâna erblickt, noch auf Erden weilt bis sein Körper dem Tod verfällt, bedenken wir, daß in den Legenden BUDDHA, auch nach seinem Tod, den Gläubigen erscheint, so scheint mir dies alles mit der metaphysischen Lehre vom Nirvâna als gänzlicher Vernichtung nicht gut vereinbar. Wenn BUDDHA-Andacht den Pfad zur Unsterblichkeit, Leichtsinn den Pfad zum Tod nennt, was soll das bedeuten? BUDDHAGHOSHA, ein Gelehrter des 5. Jahrhunderts, erklärt hier Unsterblichkeit entschieden durch Nirvâna, und daß dies auch der Gedanke BUDDHAs war, sieht man deutlich aus einer unmittelbar darauf folgenden Stelle:
Ich könnte noch viele solche Stellen anführen, ich fürchte nur, Sie zu ermüden. Nirvâna kommt sogar im rein moralischen Sinn von Ruhe und Leidenschaftslosigkeit vor.
An anderen Stellen ist Nirvâna als Folge richtiger Erkenntnis hingestellt. So lesen wir:
Ja, er sagt: "Wenn Ihr begriffen habt die Vergänglichkeit von allem was gemacht ist, so habt Ihr das begriffen, was nicht gemacht wurde." Es gibt also auch für ihn ein Etwas, das nicht gemacht ist, ein Ewiges, Unvergängliches. Betrachtet man solche Aussprüche, denen sich noch viele ähnliche beifügen lassen, so erkennt man in ihnen eine Anschauung von Nirvâna, die mit dem Nihilismus des dritten Teils des buddhistischen Kanons in keiner Weise zu vereinigen ist. Es handelt sich bei solchen Dingen nicht um ein Mehr oder Weniger, sondern um ein Entweder-Oder. Sind aber diese Aussprüche stehen geblieben, trotzdem daß sie mit der orthodoxen Metaphysik im direkten Widerspruch standen, so kann dies, glaube ich, nur dadurch erklärt werden, daß sie zu fest in der Tradition begründet waren, welche auf BUDDHA und seine ersten Jünger zurückging. Was Bischof BIGANDET und andere als die populäre Auffassung des Nirvâna, im Gegensatz zu der der buddhistischen Schriftgelehrten darstellen, war, glaube ich, die Auffassung BUDDHAs und seiner Jünger. Es bezeichnete
Selbst die neuere Philosophie schreckt vor dem Ausdruck nicht zurück, daß es ein Nichts gibt. Bei den deutschen Mystikern, wie ECKHART und TAULER, finden wir Stellen, wo vom Abgrund des Nichts in ganz buddhistischer Weise gesprochen wird. Wenn BUDDHA gesagt hat, daß, "was kein Auge gesehen, kein Ohr gehört hat und was in keines Menschen Herz gekommen ist" im Nirvâna für die bereitet ist, welche bis zu höchsten Stufe geistiger Vollendung fortgeschritten sind, so waren solche Ausdrücke ganz genügend, um den Philosophen von Profesion als Beweis zu dienen, daß dieses Nirvâna, welches weder ein Objekt der sinnlichen Wahrnehmung, noch ein Gegenstand der Kategorien des Verstandes werden kann, eben nichts ist als das Nichts. Dürften wir mit HEGEL ein Nichts und ein Nicht unterscheiden, so könnten wir sagen, daß durch einen falschen dialektischen Prozeß das Nirvâna aus einem relativen Nichts zu einem absoluten Nicht geworden ist. Dies war das Werk der Schriftgelehrten, der orthodoxen Philosophen. Mit solchen Lehren aber ist noch nie eine Religion begründet worden, und ein Mann, der die Menschen so kannte wie BUDDHA, der mußte wissen, daß er mit solchen Waffen die geistige Tyrannei der Brahmanen nicht stürzen konnte. Entweder müssen wir annehmen, daß BUDDHA zwei diametral entgegengesetzte Lehren über Nirvâna, etwa eine exoterische und eine esoterische, seinen Schülern vortrug, oder wir müssen die Ansicht von Nirvâna als die des Stifters dieser wunderbaren Religion gelten lassen, welche dem einfachen, klaren, besonnenen Charakter BUDDHAs am besten entspricht. Und hiermit habe ich, so weit dies in der Kürze möglich gewesen ist, alles gesagt, was sich zur Ehrenrettung BUDDHAs sagen läßt. Ich möchte aber doch nicht, daß Sie den Eindruck davon tragen, als ob der Buddhismus nichts als leere, leblose Spekulationen enthält. Erlauben Sie mir daher, Ihnen zum Schluß eine kurze buddhistische Parabel vorzulesen, die Ihnen den Buddhismus in einer menschlicheren Form zeigen wird. Sie ist einem Werk (5) entnommen, welches bald erscheinen wird, und welches die Übersetzung der Parabeln enthält, deren sich die Buddhisten bedienten, um ihren Lehren beim Volk Eingang zu verschaffen. Ich werden nur die technischen Ausdrücke und einiges weniger Wichtige weglassen, und Ihnen die Erzählung, so wie sie mir in der englischen Übersetzung hier vorliegt, deutsch vorzutragen versuchen.
Da ging die Mutter zu BUDDHA und sagte: "Herr und Meister, hast Du eine Arznei, die meinem Sohn helfen kann?" BUDDHA sagte: "Ja, ich kenne eine Arznei." Sie sagte: "Was für eine Arznei ist es?" Er sagte: Es ist ein Senfkorn. Geh und bring es mir! aber, rief er ihr nach: das Senfkorn muß aus einem Haus kommen, wo weder ein Sohn, noch ein Vater, noch ein Sklave gestorben ist." "Gut", sagte die junge Frau, und ging fort, indem sie den Leichnam ihres Sohnes auf den Hüften trug. Sie ging von Haus zu Haus und bat um ein Senfkorn, und wenn es die Leute ihr gegeben haben, so sagte sie: "Ist auch in meines Freundes Haus niemand gestorben, kein Sohn, kein Vater, kein Sklave?" Sie antworteten: "Was sagt Ihr da, liebe Frau. Der Lebendigen sind wenig, aber der Toten sind viel." Dann ging sie weiter, aber in jedem Haus war ein Vater, ein Sohn, oder ein Sklave gestorben. Als sie nun immer müder wurde, da seufzte sie und sagte: "Oh, dies ist eine schwere Arbeit. In jedem Haus sind Kinder oder Eltern gestorben, ich bin nicht die Einzige, die ein solches Leid trägt." Da kamm die Furcht über sie, und indem sie die Liebe für ihr Kind erdrückte, warf sie den toten Leichnam in den Wald. Dann ging sie zu BUDDHA und fiel vor ihm nieder. "Hast Du das Senfkorn gefunden?" sagte er. "Nein", sagte sie, "die Leute im Dorf sagten mir: "Der Lebendigen sind wenige, der Toten sind viele." Da sagte BUDDHA: "Du glaubtest, daß Du allein einen Sohn verloren hast, jetzt kennst Du das Gesetz: auf Erden gibt es nichts, was nicht vergeht." Bei diesen Worten tat die Mutter den ersten Schritt in der Erkenntnis. Sie widmete sich dann dem heiligen Stand, und eines Abends, als sie im Dunkeln die Lichter im Kloster brennen und nach und nach erlöschen sah, so sagte sie zu sich: "Das Leben der Menschen ist wie diese Lichter, die dort leuchten und verlöschen." Da erschien ihr BUDDHA und sagte: "Das Leben der Menschen ist wie diese Lichter, die dort leuchten und verlöschen; nur die, welche zum Nirvâna gelangen, finden Ruhe und Frieden." Als die arme Mutter dies hörte, ging sie in zur Ruhe und beschaulicher Erkenntnis. ![]() ![]()
1) Siehe meine Essays, Bd. 1, Einleitung, Seite XXI (deutsche Übersetzung). 2) Siehe meine Essays, Bd. 1, Anmerkungen, Seite 341 3) Siehe BASTIAN, Die Völker des östlichen Asien, Bd. III, Seite 354. Der dort zitierte Abt war mit der alten grammatischen Terminologie gut vertraut und unterscheidet also die kausale Bedeutung des Verbums va (hetumat) von der intransitiven. Auch unterscheidet er den Akt des Verlöschens, bhavasâdhana, von einem Ort des Verlöschesn, adhikarana-sâdhana. Man sehe auch BIGANDET, Life of Gaudama, Seite 320 4) Siehe BIGANDET, Life of Gaudama, Seite 320; BASTIAN, Die Völker des östlichen Asien, Bd. III, Seite 353. 5) Buddhaghoshas Parables, translated from Burmes by Captain T. ROGERS, R. E. With a preface containing BUDDHAs Dhammapada, translated from Pâli by F. Max Müller, London, 1869. |