K. LamprechtG. RadbruchW. SternW. Perpeet | ||||
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus
Vorbemerkung Nur im Okzident gibt es "Wissenschaft" in diesem Entwicklungsstadium, welches wir heute als "gültig" anerkennen. Empirische Kenntnisse, Nachdenken über Welt- und Lebensprobleme, philosophische und auch - obwohl die Vollentwicklung einer systematischen Theologie dem hellenistisch beeinflußten Christentum eignet (Ansätze nur im Islam und bei einigen indischen Sekten) - theologische Lebensweisheit tiefster Art, Wissen und Beobachtung von außerordentlicher Sublimierung hat es auch anderswo, vor allem: in Indien, China, Babylon, Ägypten, gegeben. Aber: der babylonischen und jeder anderen Astronomie fehlte - was ja die Entwicklung namentlich der babylonischen Sternkunde nur umso erstaunlicher macht - die mathematische Fundamentierung, die erst die Hellenen ihr gaben. Der indischen Geometrie fehlte der rationale "Beweis": wiederum ein Produkt hellenischen Geistes, der auch die Mechanik und Physik zuerst geschaffen hat. Den nach der Seite der Beobachtung überaus entwickelten indischen Naturwissenschaften fehlte das rationale Experiment: nach antiken Ansätzen wesentlich ein Produkt der Renaissance, und das moderne Laboratorium, daher der namentlich in Indien empirisch-technisch hochentwickelten Medizin die biologische und insbesondere bio-chemische Grundlage. Eine rationale Chemie fehlt allen Kulturgebieten außer dem Okzident. Der hochentwickelten chinesischen Geschichtsschreibung fehlt das thukydideische Pragma. MACCHIAVIELLI hat Vorläufer in Indien. Aber aller asiatischen Staatslehre fehlt eine der aristotelischen gleichartige Systematik und die rationalen Begriffe überhaupt. Für eine rationale Rechtslehre fehlen anderwärts trotz aller Ansätze in Indien (Mimamsa-Schule), trotz umfassender Kodifikationen besonders in Vorderasien und trotz aller indischen und sonstigen Rechtsbücher, die streng juristischen Schemata und Denkformen des römischen und des daran geschulten okzidentalen Rechts. Ein Gebilde ferner wie das kanonische Recht kennt nur der Okzident. Ähnlich in der Kunst. Das musikalische Gehör war bei anderen Völkern anscheinend eher feiner entwickelt als heute bei uns; jedenfalls nicht minder fein. Polyphonie [Mehrstimmigkeit - wp]verschiedener Art war weithin über die Erde verbreitet, Zusammenwirken einer Mehrheit von Instrumenten und auch das Diskantieren [Gegenstimme über einer Hauptstimme - wp] findet sich anderswo. Alle unsere rationalen Tonintervalle waren auch anderswo berechnet und bekannt. Aber rationale harmonische Musik: -sowohl Kontropunktik wie Akkordharmonik, - Bildung des Tonmaterials auf der Basis der Dreiklänge mit der harmonischen Terz, unsere, nicht distanzmäßig, sondern in rationaler Form seit der Renaissance harmonisch gedeutete Chromatik und Enharmonik, unser Orchester mit seinem Streichquartett als Kern und der Organisation des Ensembles der Bläser, der Generalbaß, unsere Notenschrift (die erst das Komponieren und Üben moderner Tonwerke, also ihre ganze Dauerexistenz überhaupt, ermöglicht), unsere Sonaten, Symphonien, Opern, - obwohl es Programm-Musik, Tonmalerei, Tonalteration und Chromatik als Ausdrucksmittel in den verschiedenen Musiken gab, - und als Mittel zu dem alle unsere Grundinstrumente: Orgel, Klavier, Violine: dies alles gab es nur im Okzident. Spitzbogen hat es als Dekorationsmittel auch anderswo, in der Antike und in Asien, gegeben; angeblich war auch das Spitzbogen-Kreuzgewölbe im Orient nicht unbekannt. Aber die rationale Verwendung des gotischen Gewölbes als Mittel der Schubverteilung und der Überwölbung beliebig geformter Räume und, vor allem, als konstruktives Prinzip großer Monumentalbauten und als Grundlage eines die Skulptur und Malerei einbeziehenden Stils, wie sie das Mittelalter schuf, fehlen anderweitig. Ebenso aber fehlt, obwohl die technischen Grundlagen dem Orient entnommen waren, jene Lösung des Kuppelproblems und jene Art von "klassischer" Rationalisierung der gesamten Kunst - in der Malerei durch eine rationale Verwendung der Linear- und Luftperspektive - welche die Renaissance bei uns schuf. Produkte der Druckerkunst gab es in China. Aber eine gedruckte: eine nur für den Druck berechnete, nur durch ihn lebensmögliche Literatur: "Presse" und "Zeitschriften" vor allem, sind nur im Okzident entstanden. Hochschulen aller möglichen Art, auch solche, die unseren Universitäten oder doch unseren Akademien äußerlich ähnlich sahen, gab es auch anderswo (China, Islam). Aber rationalen und systematischen Fachbetrieb der Wissenschaft: das eingeschulte Fachmenschentum, gab es in irgendeinem an seine heutige kulturbeherrschende Bedeutung heranreichenden Sinn nur im Okzident. Vor allem: den Fach beamten, den Eckpfeiler des modernen Staates und der modernen Wirtschaft des Okzidents. Für ihn finden sich nur Ansätze, die nirgends in irgendeinem Sinn so konstitutiv für die soziale Ordnung wurden wie im Okzident. Natürlich ist der "Beamte", auch der arbeitsteilig spezialisierte Beamte, eine uralte Erscheinung der verschiedensten Kulturen. Aber die absolut unentrinnbare Gebanntheit unserer ganzen Existenz, der politischen, technischen und wirtschaftlichen Grundbedingungen unseres Daseins, in das Gehäuse einer fachgeschulten Beamten organisation, den technischen, kaufmännischen, vor allem aber den juristisch geschulten staatlichen Beamten als Träger der wichtigsten Alltagsfunktionen des sozialen Lebens, hat kein Land und keine Zeit in dem Sinn gekannt, wie der moderne Okzident. Eine ständische Organisation der politischen und sozialen Verbände ist weit verbreitet gewesen. Aber schon den Stände staat: "rex et regnum" kannte im okzidentalen Sinn nur der Okzident. Und vollends Parlamente von periodisch gewählten "Volksvertretern", den Demagogen und die Herrschaft von Parteiführern als parlamentarisch verantwortliche "Minister" hat - obwohl es natürlich "Parteien" im Sinn von Organisationen zur Eroberung und Beeinflussung der politischen Macht in aller Welt gegeben hat - nur der Okzident hervorgebracht. Der "Staat" überhaupt im Sinn einer politischen Anstalt, mit rational gesatzter "Verfassung", rational gesatztem "Recht" und einer an rationalen, gesatzten Regeln: "Gesetzen", orientierten Verwaltung durch Fach beamte, kennt, in dieser für ihn wesentlichen Kombination der entscheidenden Merkmale, ungeachtet aller anderweitigen Ansätze dazu, nur der Okzident. Und so steht es nun auch mit der schicksalsvollsten Macht unseres modernen Lebens: dem Kapitalismus. "Erwerbstrieb", "Streben nach Gewinn", nach Geldgewinn, nach möglichst hohem Geldgewinn hat ansich mit Kapitalismus gar nichts zu schaffen. Dieses Streben fand und findet sich bei Kellnern, Ärzten, Kutschern, Künstlern, Kokotten, bestechlichen Beamten, Soldaten, Räubern, Kreuzfahrern, Spielhöllenbesuchern, Bettlern: - man kann sagen: bei "all sorts and conditions of men", zu allen Epochen aller Länder der Erde,, wo die objektive Möglichkeit dafür irgendwie gegeben war und ist. Es gehört in die kulturgeschichtliche Kinderstube, daß man diese naive Begriffsbestimmung ein für allemal aufgibt. Schrankenloseste Erwerbsgier ist nicht im mindesten gleich Kapitalismus, noch weniger gleich dessen "Geist". Kapitalismus kann geradezu identisch sein mit Bändigung, zumindest mit rationaler Temperierung, dieses irrationalen Triebes. Allerdings ist Kapitalismus identisch mit dem Streben nach Gewinn, im kontinuierlichen, rationalen kapitalistischen Betrieb: nach immer erneutem Gewinn: nach "Rentabilität". Denn er muß es sein. Innerhalb einer kapitalistischen Ordnung der gesamten Wirtschaft würde ein kapitalistischer Einzelbetrieb, der sich nicht an der Chance der Erzielung von Rentabilität orientierte, zum Untergang verurteilt sein. - Definieren wir zunächst einmal etwas genauer als es oft geschieht. Ein "kapitalistischer" Wirtschaftsakt soll uns zunächst ein solcher heißen, der auf eine Erwartung von Gewinn durch die Ausnutzung von Tausch-Chancen ruht: auf (formell) friedlichen Erwerbschancen also. Der (formell und aktuell) gewaltsame Erwerb folgt seinen besonderen Gesetzen und es ist nicht zweckmäßig (sowenig man es jemandem verbieten kann) ihn mit dem (letztlich) an Tauschgewinn-Chancen orientierten Handeln unter die gleiche Kategorie zu stellen. (1) Wo ein kapitalistischer Erwerb rational erstrebt wird, da ist das entsprechende Handeln orientiert an einer Kapital rechnung. Das heißt: es ist eingeordnet in eine planmäßige Verwendung von sachlichen oder persönlichen Nutzleistungen als Erwerbsmittel derart: daß der bilanz mäßig errechnete Schlußertrag der Einzelunternehmung an geldwertem Güterbesitz (oder der periodisch bilanzmäßig errechnete Schätzungswert des geldwerten Güterbesitzes eines kontinuierlichen Unternehmungsbetriebs) beim Rechnungsabschluß das "Kapital": d. h. den bilanz mäßigen Schätzungswert der für den Erwerb durch Tausch verwendeten sachlichen Erwerbsmittel übersteigen (bei der Dauerunternehmung also: immer wieder übersteigen) soll. Einerlei ob es sich um einen Komplex von in natura einem reisenden Kaufmann in Kommenda gegebenen Waren handelt, deren Schlußertrag wiederum in erhandelten anderen Waren in natura bestehen kann; oder: um ein Fabrikanwesen, dessen Bestandteile Gebäude, Maschinen, Vorräte an Geld, Rohstoffen, Halb- und Fertigprodukten, Forderungen darstellen, denen Verbindlichkeiten gegenüberstehen: - stets ist das Entscheidende: daß eine Kapital rechnung in Geld aufgemacht wird, sie es nun in modern buchmäßiger oder in noch so primitiver und oberflächlicher Art. Sowohl bei Beginn des Unternehmens: Anfangsbilanz, wie vor jeder einzelnen Handlung: Kalkulation, wie bei der Kontrolle und Überprüfung der Zweckmäßigkeit: Nachkalkulation, wie beim Abschluß zwecks Feststellung: was als "Gewinn" entstanden ist: Abschlußbilanz. Die Anfangsbilanz einer Kommenda [Kommanditgesellschaft - wp] ist z. B. die Feststellung des zwischen den Parteien gelten sollenden Geldwerts der hingegeben Güter, - soweit sie nicht schon Geldform haben -, ihre Abschlußbilanz die der Verteilung von Gewinn oder Verlust am Schluß zugrunde gelegte Abschätzung; Kalkulation liegt - im Rationalitätsfall - jeder einzelnen Handlung des Kommendanehmers zugrunde. Daß eine wirklich genaue Rechnung und Schätzung ganz unterbleibt: rein schätzungsmäßig oder einfach traditionell und konventionell verfahren wird, kommt in jeder Form von kapitalistischer Unternehmung bis heute vor, wo immer die Umstände nicht zu genauer Rechnung drängen. Aber das sind Punke, die nur den Grad der Rationalität des kapitalistischen Erwerbs betreffen. Es kommt für den Begriff nur darauf an: daß die tatsächliche Orientierung an einer Vergleichung des Geldschätzungserfolges mit dem Geldschätzungseinsatz, in wie primitiver Form auch immer, das wirtschaftliche Handeln entscheidend bestimmt. In diesem Sinne nun hat es "Kapitalismus" und "kapitalistische" Unternehmungen, auch mit leidlicher Rationalisierung der Kapitalrechnung, in allen Kulturländern der Erde gegeben, soweit die ökonomischen Dokumente zurückreichen. In China, Indien, Babylon, Ägypten, der mittelländischen Antike, dem Mittelalter so gut wie in der Neuzeit. Nicht nur ganz isolierte Einzelunternehmungen, sondern auch Wirtschaften, welche gänzlich auf immer neue kapitalistische Einzelunternehmungen eingestellt waren und auch kontinuierliche "Betriebe", - obwohl gerade der Handel lange Zeit nicht den Charakter unserer Dauerbetriebe, sondern wesentlich den einer Serie von Einzelunternehmungen an sich trug und erst allmählich innerer ("branchenmäßig" orientierter) Zusammenhang in das Verhalten gerade der Groß händler hineinkam. Jedenfalls: die kapitalistische Unternehmung und auch der kapitalistische Unternehmer, nicht nur als Gelegenheits-, sondern auch als Dauerunternehmer, sind uralt und waren höchst universell verbreitet. Nun hat aber der Okzident ein Maß von Bedeutung und was dafür den Grund abgibt: Arten, Formen und Richtungen von Kapitalismus hervorgebracht, die anderswo niemals bestanden haben. Es hat in aller Welt Händler: Groß- und Detailhändler, Platz- und Fernhändler, es hat Darlehensgeschäfte aller Art, es hat Banken mit höchst verschiedenen, aber doch denjenigen wenigstens etwa unseres 16. Jahrhunderts im Wesen ähnlichen Funktionen gegeben; Seedarlehen, Kommenden und kommanditartige Geschäfte und Assoziationen, sind auch betriebsmäßig, weit verbreitet gewesen. Wo immer Geld finanzen der öffentlichen Körperschaften bestanden haben, da erschien der Geldgeber: in Babylon, Hellas, Indien, China, Rom: für die Finanzierung vor allem der Kriege und des Seeraubes, für Lieferungen und Bauten aller Art, bei überseeischer Politik als Kolonialunternehmer, als Plantagenerwerber und -betreiber mit Sklaven oder direkt oder indirekt gepreßten Arbeitern, für Domänen-, Amts- und vor allem: für Steuerpacht, für die Finanzierung von Parteichefs zum Zweck von Wahlen und von Kondottieren [Heerführeren - wp] um Zweck von Bürgerkriegen und schließlich: als "Spekulant" in geldwerten Chancen aller Art. Diese Art von Unternehmerfiguren: die kapitalistischen Abenteurer, hat es in aller Welt gegeben. Ihre Chancen waren - mit Ausnahme des Handels und der Kredit- und Bankgeschäfte - dem Schwerpunkt nach entweder rein irrational-spekulativen Charakters oder aber sie waren am Erwerb durch Gewaltsamkeit, vor allem dem Beute-Erwerb: aktuell-kriegerischer oder chronisch-fiskalischer Beute (Untertanen-Ausplünderung), orientiert. Der Gründer-, Großspekulanten-, Kolonial- und der moderne Finanzierungskapitalismus schon im Frieden, vor allem aber aller spezifisch kriegs orientierte Kapitalismus tragen auch in der okzidentalen Gegenwart noch oft dieses Gepräge und einzelne - nur: einzelne - Teile des internationalen Großhandels stehen ihm, heute wie eh und je, nahe. Aber der Okzident kennt in der Neuzeit daneben eine ganz andere und nirgends sonst auf der Erde entwickelte Art des Kapitalismus: die rational-kapitalistische Organisation von (formell) freier Arbeit. Nur Vorstufen dafür finden sich anderswo. Selbst die Organisation unfreier Arbeit hat ja nur in den Plantagen und, in sehr begrenztem Maß, in den Ergasterien [Werkstätten der Handwerker - wp] der Antike eine gewisse Rationalitätsstufe erreicht, eine eher noch geringere in den Fronhöfen und Gutsfabriken oder grundherrlichen Hausindustrien mit Leibeigenen- oder Hörigenarbeit in der beginnenden Neuzeit. Für freie Arbeit finden sich selbst eigentliche "Hausindustrien" außerhalb des Okzidents nur vereinzelt sicher bezeugt und die natürlich überall sich findende Tagelöhnerverwendung hat mir sehr wenigen und sehr besonders, jedenfalls aber: sehr abweichend von modernen Betriebsorganisationen gearteten Ausnahmen (besonders: Staatsmonopolbetrieben) nicht zu Manufakturen und nicht einmal zu einer rationalen Lehrorganisation des Handwerks vom Gepräge des okzidentalen Mittelalters geführt. Die an den Chancen des Gütermarktes, nicht an gewaltpolitischen oder an irrationalen Spekulationschancen, orientierte, rationale Betriebsorganisation ist aber nicht die einzige Sondererscheinung des okzidentalen Kapitalismus. Die moderne rationale Organisation des kapitalistischen Betriebes wäre nicht möglich gewesen ohne zwei weitere wichtige Entwicklungselemente: die Trennung von Haushalt und Betrieb, welche das heutige Wirtschaftsleben schlechthin beherrscht und, damit eng zusammenhängend, die rationale Buchführung. Eine örtliche Trennung der Werk- oder Verkaufsstätten von der Behausung findet sich auch sonst (im orientalischen Bazar und in den Ergasterien anderer Kulturgebiete). Und auch die Schaffung von kapitalistischen Assoziationen mit gesonderter Betriebsrechnung findet sich in Ostasien wie im Orient und in der Antike. Aber: gegenüber der modernen Verstelbständigung der Erwerbsbetriebe sind das doch nur Ansätze. Vor allem aus dem Grund, weil die inneren Mittel dieser Selbständigkeit: sowohl unsere rationale Betriebs buchführung wie unsere rechtliche Sonderung von Betriebsvermögen und persönlichem Vermögen ganz fehlen oder nur in Anfängen entwickelt sind (2). Die Entwicklung hat überall sonst dazu geneigt, Erwerbsbetriebe als Teile eines fürstlichen oder grundherrlichen Groß haushalts (des "Oikos") entstehen zu lassen: eine, wie schon RODBERTUS erkannt hatte, bei mancher scheinbaren Verwandtschaft doch höchst abweichende, geradezu entgegengesetzte, Entwicklung. Ihre heutige Bedeutung aber haben alle diese Besonderheiten des abendländischen Kapitalismus letztlich erst durch den Zusammenhang mit der kapitalistischen Arbeitsorganisation erhalten. Auch das, was man die "Kommerzialisierung" zu nennen pflegt: die Wertpapierentwicklung und die Rationalisierung der Spekulation: die Börse, steht damit im Zusammenhang. Denn ohne kapitalistisch-rationale Arbeitsorganisation wäre dies alles, auch die Entwicklung zur "Kommerzialisierung", soweit überhaupt möglich, nicht entfernt von der gleichen Tragweite. Vor allem für die soziale Struktur und alle mir ihr zusammenhängenden spezifisch modern-okzidentalen Probleme. Eine exakte Kalkulation: - die Grundlage alles andern, - ist eben nur auf dem Boden freier Arbeit möglich. Und wie - und weil - keine rationale Arbeitsorganisation, so - und deshalb - hat die Welt außerhalb des modernen Okzidents auch keinen rationalen Sozialismus gekannt. Gewiß: ebenso wie Stadtwirtschaft, städtische Nahrungspolitik, Merkantilismus und Wohlfahrtspolitik der Fürsten, Rationierungen, regulierte Wirtschaft, Protektionismus und Laissez-faire-Theorien (in China), so hat die Welt auch kommunistische und sozialistische Wirtschaften sehr verschiedener Gepräge gekannt: familiär, religiös oder militaristisch bedingten Kommunismus, staatssozialistische (in Ägypten), monopolkartellistische und auch Konsumentenorganisationen verschiedenster Art. Aber ebenso wie - trotzdem es doch überall einmal städtische Marktprivilegien, Zünfte, Gilden und allerhand rechtliche Scheidungen zwischen Stadt und Land in der verschiedensten Form gab, - doch der Begriff des "Bürgers" überall außer im Okzident und der Begriff der "Bourgeoisie" überall außer im modernen Okzident fehlte, so fehlte auch das "Proletariat" als Klasse und mußte fehlen, weil eben die rationale Organisation freier Arbeit als Betrieb fehlte. "Klassenkämpfe" zwischen Gläubiger- und Schuldnerschichten, Grundbesitzern und Besitzlosen oder Fronknechten oder Pächter, Handelsinteressenten und Konsumenten oder Grundbesitzern, hat es in verschiedener Konstellation überall längst gegeben. Aber schon die okzidental-mittelalterlichen Kämpfe zwischen Verlegern und Verlegten finden sich anderswo nur in Ansätzen. Vollends fehlt der moderne Gegensatz: Großindustrieller Unternehmer und freier Lohnarbeiter. Und daher konnte es auch eine Problematik von der Art, wie sie der moderne Sozialismus kennt, nicht geben. In einer Universalgeschichte der Kultur ist also für uns, rein wirtschaftlich, das zentrale Problem letztlich nicht die überall nur in der Form welchselnde Entfaltung einer kapitalistischen Betätigung als solcher: des Abenteurertypus oder des händlerischen oder des an Krieg, Politik, Verwaltung und ihren Gewinnchancen orientierten Kapitalismus. Sondern vielmehr die Entstehung des bürgerlichen Betriebs kapitalismus mit seiner rationalen Organisation der freien Arbeit. Oder, kulturgeschichtlich gewendet: die Entstehung des abendländischen Bürgertums und seiner Eigenart, die freilich mit der Entstehung einer kapitalistischen Arbeitsorganisation zwar in einem nahen Zusammenhang steht, aber natürlich doch nicht einfach identisch ist. Denn "Bürger" im ständischen Sinn gab es schon vor der Entwicklung des spezifisch abendländischen Kapitalismus. Aber freilich: nur im Abendland. Der spezifisch moderne okzidentale Kapitalismus nun ist zunächst offenkundig in starkem Maß durch Entwicklungen von technischen Möglichkeiten mitbestimmt. Seine Rationalität ist heute wesenhaft bedingt durch eine Berechenbarkeit der technisch entscheidenden Faktoren: der Unterlagen exakter Kalkulation. Das heißt aber in Wahrheit: durch die Eigenart der abendländischen Wissenschaft, insbesondere der mathematisch und experimentell exakt und rational fundamentierten Naturwissenschaften. Die Entwicklung dieser Wissenschaften und der auf ihnen beruhenden Technik erhielt und erhält nun andererseits ihrerseits entscheidende Impulse von den kapitalistischen Chancen, die sich an ihre wirtschaftliche Verwertbarkeit als Prämien knüpfen. Zwar ist nicht die Entstehung der abendländischen Wissenschaft durch solche Chancen bestimmt worden. Gerechnet, mit Stellenzahlen gerechnet, Algebra betrieben haben auch die Inder, die Erfinder des Positionszahlensystems, welches erst in den Dienst des sich entwickelnden Kapitalismus im Abendland trat, in Indien aber keine moderne Kalkulation und Bilanzierung schuf. Auch die Entstehung der Mathematik und Mechanik war nicht durch kapitalistische Interessen bedingt. Wohl aber wurde die technische Verwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse: dieses für die Lebensordnung unserer Massen Entscheidende, durch ökonomische Prämien bedingt, welche im Okzident gerade darauf gesetzt waren. Diese Prämien aber flossen aus der Eigenart der Sozial ordnung des Okzidents. Es wird also gefragt werden müssen: aus welchen Bestandteilen dieser Eigenart, da zweifellos nicht alle gleich wichtig gewesen sein werden. Zu den unzweifelhaft wichtigen gehört die rationale Struktur des Rechts und der Verwaltung. Denn der moderne rationale Betriebskapitalismus bedarf, neben den berechenbaren technischen Arbeitsmittel, auch des berechenbaren Rechts und der Verwaltung nach formalen Regeln, ohne welche zwar Abenteurer- und spekulativer Händlerkapitalismus und alle möglichen Arten von politisch bedingtem Kapitalismus, aber kein rationaler privatwirtschaftlicher Betrieb mit stehendem Kapital und sicherer Kalkulation möglich ist. Ein solches Recht und eine solche Verwaltung nun stellte die Wirtschaftsführung in dieser rechtstechnischen und formalistischen Vollendung nur der Okzident zur Verfügung. Woher hat er jenes Recht? wird man also fragen müssen. Es haben, neben anderen Umständen, auch kapitalistische Interessen ihrerseits unzweifelhaft der Herrschaft des an rationalem Recht fachgeschulten Juristenstandes in Rechtspflege und Verwaltung die Wege geebnet, wie jede Untersuchung zeigt. Aber keineswegs nur oder vornehmlich sie. Und nicht sie haben jenes Recht aus sich geschaffen. Sondern noch ganz andere Mächte waren bei dieser Entwicklung tätigk. Und warum taten die kapitalistischen Interessen das gleiche nicht in China oder Indien? Warum lenkten dort überhaupt weder die wissenschaftliche noch die künstlerische noch die staatliche noch die wirtschaftliche Entwicklung in diejenigen Bahnen der Rationalisierung ein, welche dem Okzident eigen sind? Denn es handelt sich ja in all den angeführten Fällen von Eigenart offenbar um einen spezifisch gearteten "Rationalismus" der okzidentalen Kultur. Nun kann unter diesem Wort höchst verschiedenes verstanden werden, - wie die späteren Darlegungen wiederholt verdeutlichen werden. Es gibt z. B. "Rationalisierungen" der mystischen Kontemplation, also: von einem Verhalten, welches, von anderen Lebensgebieten her gesehen spezifisch "irrational" ist, ganz ebenso gut wie Rationalisierungen der Wirtschaft, der Technik, des wissenschaftlichen Arbeitens, der Erziehung, des Krieges, der Rechtspflege und Verwaltung. Man kann ferner jedes dieser Gebiete unter höchst verschiedenen letzten Gesichtspunkten und Zielrichtungen "rationalisieren", und was von dem einen aus "rational" ist, kann, von einem anderen aus betrachtet, "irrational" sein. Rationalisierungen hat es daher auf den verschiedenen Lebensgebieten in höchst verschiedener Art in allen Kulturkreisen gegeben. Charakteristisch für deren kulturgeschichtlichen Unterschied ist erst: welche Sphären und in welcher Richtung sie rationalisiert wurden. Es kommt also zunächst wieder darauf an: die besondere Eigenart des okzidentalen und, innerhalb desselben, des modernen okzidentalen, Rationalismus zu erkennen und in ihrer Entstehung zu erklären. Jeder solche Erklärungsversuch muß, der fundamentalen Bedeutung der Wirtschaft entsprechend, vor allem die ökonomischen Bedingungen berücksichtigen. Aber es darf auch der umgekehrte Kausalzusammenhang darüber nicht unbeachtet bleiben. Denn wie von rationaler Technik und rationalem Recht, so ist der ökonomische Rationalismus in seiner Entstehung auch von der Fähigkeit und Disposition der Menschen zu bestimmten Arten praktisch-rationaler Lebensführung überhaupt abhängig. Wo diese durch Hemmungen seelischer Art obstruiert [behindert - wp] war, da stieß auch die Entwicklung einer wirtschaftlich rationalen Lebensführung auf schwere innere Widerstände. Zu den wichtigsten formenden Elementen der Lebensführung nun gehörten in der Vergangenheit überall die magischen und religiösen Mächte und die am Glauben an sie verankerten ethischen Pflichtvorstellungen. Von diesen ist in den nachstehend gesammelten und ergänzten Aufsätzen die Rede. Es sind dabei zwei ältere Aufsätz an die Spitze gestellt, welche versuchen, in einem wichtigen Einzelpunkt der meist am schwierigsten zu fassenden Seite des Problems näher zu kommen: der Bedingtheit der Entstehung einer "Wirtschaftsgesinnung": des "Ethos" einer Wirtschaftsform, durch bestimmte religiöse Glaubensinhalte, und zwar am Beispiel der Zusammenhänge des modernen Wirtschaftsethos mit der rationalen Ethik des asketischen Protestantismus. Hier wird also nur der einen Seite der Kausalbeziehung nachgegangen. Die späteren Aufsätze über die "Wirtschaftsethik der Weltreligionen" versuchen, in einem Überblick über die Beziehungen der wichtigsten Kulturreligionen zur Wirtschaft und sozialen Schichtung ihrer Umwelt beiden Kausalbeziehungen soweit nachzugehen, wie notwendig ist, um die Vergleichs punkte mit der weiterhin zu analysierenden okzidentalen Entwicklung zu finden. Denn nur so läßt sich ja die einigermaßen eindeutige kausale Zurechnung derjenigen Elemente der okzidentalen religiösen Wirtschaftsethik, welche ihr im Gegensatz zu andern eigentümlich sind, überhaupt in Angriff nehmen. Diese Aufsätze wollen also nicht etwa als - sei es auch noch so gedrängte - umfassende Kulturanalysen gelten. Sondern sie betonen in jedem Kulturgebiet ganz geflissentlich das, was im Gegensatz stand und steht zur okzidentalen Kulturentwicklung. Sie sind also durchaus orientiert an dem, was unter diesem Gesichtspunkt bei der Gelegenheit einer Darstellung der okzidentalen Entwicklung wichtig erscheint. Ein anderes Verfahren schien bei diesem gegebenen Zweck wohl nicht möglich. Aber es muß zur Vermeidung von Mißverständnissen hier auf diese Begrenztheit des Zwecks ausdrücklich hingewiesen werden. Und noch in einer anderen Hinsicht muß wenigstens der Unorientierte vor einer Überschätzung der Bedeutung dieser Darstellungen gewarnt werden. Der Sinologe, Indologe, Semitist, Ägyptologe wird in ihnen natürlich nichts ihm sachlich Neues finden. Wünschenswert wäre nur: daß er nichts zur Sache Wesentliches findet, was er als sachlich falsch beurteilen muß. Wie weit es gelungen ist, diesem Ideal zumindest so nahezukommen, wie ein Nichtfachmann dazu überhaupt imstande ist, kann der Verfasser nicht wissen. Es ist ja ganz klar, daß jemand der auf die Benützung von Übersetzungen und im übrigen darauf angewiesen ist, über die Art der Benutzung und Bewertung der monumentalen, dokumentarischen oder literarischen Quellen sich in der häufig sehr kontroversen Fachliteratur zu orientieren, die er seinerseits in ihrem Wert nicht selbständig beurteilen kann, allen Grund hat, über den Wert seiner Leistung sehr bescheiden zu denken. Um so mehr, als das Maß der vorliegenden Übersetzungen wirklicher "Quellen" (d. h. von Inschriften und Urkunden) teilweise (besonders in China) noch sehr klein ist im Verhältnis zu dem, was vorhanden und wichtig ist. Aus all dem folgt der vollkommen provisorische Charakter dieser Aufsätze, insbesondere der auf Asien sich beziehenden Teile (3). Nur den Fachleuten steht ein endgültiges Urteil zu. Und nur weil, begreiflicherweise, fachliche Darstellungen mit diesem besonderen Ziel und unter diesen besonderen Gesichtspunkten bisher nicht vorlagen, sind sie überhaupt geschrieben worden. Sie sind in einem ungleich stärkerem Maß und Sinn dazu bestimmt, bald "überholt" zu werden, als dies letztlich von aller wissenschaftlicher Arbeit gilt. Es läßt sich nun einmal, bei derartigen Arbeiten, ein solches vergleichendes Übergreifen auf andere Fachgebiete, so bedenklich es ist, nicht vermeiden; aber man hat dann eben die Konsequenz einer sehr starken Resignationi in Bezug auf das Maß des Gelingens zu ziehen. Mode oder Literatensehnsucht glaubte heute gern den Fachmann entbehren oder zum Subalternarbeiter [untergeordneter Rang - wp] für den "Schauenden" degradieren zu können. Fast alle Wissenschaften verdanken Dilettanten irgendetwas, oft sehr wertvolle Gesichtspunkte. Aber der Dilettantismus als Prinzip der Wissenschaft wäre das Ende. Wer "Schau" wünscht, gehe ins Lichtspiel: - es wird ihm heute massenhaft auch in literarischer Form auf eben diesem Problemfeld gegeben (4). Nichts liegt den überaus nüchternen Darlegungen dieser der Absicht nach streng empirischen Studien ferner als diese Gesinnung. Und - möchte ich hinzusetzen - wer "Predigt" wünscht, gehe ins Konventikel [Sektentreffen - wp]. Welches Wert verhältnis zwischen den hier vergleichend behandelten Kulturen besteht, wird hier mit keinem Wort erörtert. Daß der Gang von Menschheitsschicksalen dem, der einen Ausschnitt daraus überblickt, erschütternd an die Brust brandet, ist wahr. Aber er wird gut tun, seine kleinen persönlichen Kommentare für sich zu behalten, wie man es vor dem Anblick des Meeres und des Hochgebirges auch tut, - es sei denn, daß er sich zu einer künstlerischen Formung oder zu einer prophetischen Forderung berufen und begabt weiß. In den meisten anderen Fällen verhüllt das viele Reden von "Intuition" nichts anderes als eine Distanzlosigkeit zum Objekt, die ebenso zu beurteilen ist wie die gleiche Haltung zum Menschen. Der Begründung bedarf es, daß für die hier verfolgten Ziele die ethnographische Forschung nicht entfernt so herangezogen ist, wie es bei deren heutigem Stand für eine wirklich eindringende Darstellung insbesondere der asiatischen Religiosität natürlich unumgänglich wäre. Es geschah dies nicht nur deshalb, weil menschliche Arbeitskraft ihre Grenzen hat, sondern vornehmlich schien es deshalb erlaubt, weil es hier gerade auf die Zusammenhänge der religiös bestimmten Ethik jener Schichten ankommen mußte, welche "Kulturträger" des betreffenden Gebietes waren. Um die Einflüsse, welche deren Lebensführung geübt hat, handelt es sich ja. Es ist nun völlig richtig, daß auch diese in ihrer Eigenart nur wirklich zutreffend zu erfassen sind, wenn man den ethnographische-volkskundlichen Tatbestand damit konfrontiert. Es sei also nachdrücklich zugestanden und betont: daß hier eine Lücke besteht, welche der Ethnograph mit gutem Recht beanstanden muß. Einiges zu ihrer Ausfüllung hoffe ich bei einer systematischen Bearbeitung der Religionssoziologie tun zu können. Den Rahmen dieser Darstellung mit ihren begrenzten Zwecken hätte ein solches Unternehmen aber überschritten. Sie mußte sich mit dem Versuch begnügen, die Vergleichs punkte zu unseren okzidentalen Kultur religionen tunlichst aufzudecken. Schließlich sei auch der anthropologischen Seite der Probleme gedacht. Wenn wir immer wieder - auch auf (scheinbar) unabhängig voneinander sich entwickelnden Gebieten der Lebensführung - im Okzident, und nur dort, bestimmte Arten von Rationalisierungen sich entwickeln finden, so liegt die Annahme: daß hier Erb qualitäten die entscheidende Unterlage boten, natürlich nahe. Der Verfasser bekennt: daß er persönlich und subjektiv die Bedeutung des biologischen Erbgutes hoch einzuschätzen geneigt ist. Nur sehe ich, trotz der bedeutenden Leistungen der anthropologischen Arbeit, zur Zeit noch keinerlei Weg, seinen Anteil an der hier untersuchten Entwicklung nach Maß und - vor allem - nach Art und Einsatzpunkten irgendwie exakt zu erfassen oder auch nur vermutungsweise anzudeuten. Es wird gerade eine der Aufgaben soziologischer und historischer Arbeit sein müssen, zunächst möglichst all jene Einflüsse und Kausalketten aufzudecken, welche durch Reaktionen auf Schicksale und Umwelt befriedigend erklärbar sind. Dann erst, und wenn außerdem die vergleichende Rassen-Neurologie und -Psychologie über ihre heute vorliegenden, im einzelnen vielversprechenden, Anfänge weiter hinausgekommen sind, wird man vielleicht befriedigende Resultate auch für jenes Problem erhoffen dürfen (5). Vorerst scheint mir jene Voraussetzung zu fehlen und wäre der Verweis auf ein "Erbgut" ein voreiliger Verzicht auf das heute vielleicht mögliche Maß der Erkenntnis und eine Verschiebung des Problems auf (derzeit noch) unbekannte Faktoren.
1) Hier wie in einigen anderen Punkten scheide ich mich auch von unserem verehrten Meister LUJO BRENTANO (in dessen später zu zitierenden Werk). Und zwar zunächst terminologisch. Weiterhin aber auch sachlich. Es scheint mir nicht zweckmäßig, so heterogene Dinge, wie den Beute-Erwerb und den Erwerb durch Leitung einer Fabrik unter dieselbe Kategorie zu bringen, noch weniger: als "Geist" des Kapitalismus - im Gegensatz zu anderen Erwerbsformen - jedes Streben nach Erwerb von Geld zu bezeichnen, weil mit dem zweiten meines Erachtens jede Präzision der Begriffe, mit dem ersten vor allem die Möglichkeit: das Spezifische des okzidentalen Kapitalismus gegenüber anderen Formen herauszuarbeiten, verloren wird. Auch in GEORG SIMMELs "Philosophie des Geldes" ist "Geldwirtschaft und Kapitalismus" vielzusehr gleichgesetzt, zum Schaden auch der sachlichen Darlegungen. In WERNER SOMBARTs Schriften, vor allem auch der neuesten Auflage seines schönen Hauptwerks über den Kapitalismus, tritt - wenigstens von meinem Problem aus gesehen - das Spezifische des Okzidents: die rationale Arbeitsorganisation, sehr stark zugunsten von Entwicklungsfaktoren zurück, welche überall in der Welt wirksam waren. 2) Natürlich darf der Gegensatz nicht absolut gefaßt werden. Aus dem politisch orientierten (vor allem: dem Steuerpacht-)Kapitalismus sind schon in der mittelländischen und orientalischen Antike, aber wohl auch in China und Indien, rationale Dauer betriebe erwachsen, deren Buchführung - uns nur in kümmerlichen Bruchstücken bekannt - "rationalen" Charakter gehabt haben dürfte. Auf das Engste berührt sich ferner der politisch orientierte "Abenteuer"-Kapitalismus mit dem rationalen Betriebskapitalismus in der Entstehungsgeschichte der zumeist aus politischen, kriegerisch motivierten, Geschäften entstandenen modernen Banken, auch noch der Bank von England. Der Gegensatz der Individualität PATERSONs z. B. - eines typischen "promoter" - zu jenen Mitgliedern des Direktoriums, welche den Ausschlag für dessen dauernde Haltung gaben und sehr bald als "The Puritan usurers of Grocer's Hall" charakterisiert wurden, ist dafür bezeichnend, ebenso die Entgleisung der Bankpolitik dieser "solidesten" Bank noch gelegentlich der South-Sea-Gründung. Also: der Gegensatz ist, natürlich, ganz flüssig. Aber er ist da. Rationale Arbeits organisationen haben die großen promoters und financiers ebensowenig geschaffen wie - wiederum: im allgemeinen und mit Einzelausnahmen - die typischen Träger des Finanz- und politischen Kapitalismus: die Juden. Sondern das taten (als Typus!) ganz andere Leute. 3) Auch die Reste meiner hebräischen Kenntnisse sind ganz unzulänglich. 4) Ich brauche nicht zu sagen, daß darunter nicht etwa Versuche wie die von KARL JASPERS (in seinem Buch über die "Psychologie der Weltanschauungen", 1919 oder andererseits KLAGES (in der "Charakterologie") und ähnliche Studien fallen, die sich von dem hier Versuchten durch die Art des Ausgangspunktes unterscheiden. Zu einer Auseinandersetzung wäre hier nicht der Raum. 5) Die gleiche Ansicht sprach mir vor Jahren ein sehr hervorragender Psychiater aus. |