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Probleme einer Soziologie des Wissens [1/2]
Vorwort Eine solche Konvergenz ergibt sich im besonderen Maße da, wo es sich um die genaue Bestimmung der Bedeutung handelt, welche die praktisch-technische Einstellung des Menschen europäisher Neuzeit auf eine Beherrschung der Welt (im Gegensatz zu einer rein theoretischen liebend-kontemplativen Grundeinstellung) für die Ausbildung schon der eigenartigen Ausgangspunkte, der Ziele und der kategorialen Formen seines Welterkennens besaß und zum Teil noch besitzt. Unser Zeitalter - zum erstenmal in der bisherigen Geschichte der sogenannten Neuzeit - erteilt uns durch die gewaltig gewachsenen Vergleichsmöglichkeiten der Wissenskulturen und Erkenntnisformen der Völker und Zeitalter und nicht minder kraft der tiefgehenden Erschütterungen fast aller Grundlagen des neuzeitlichen Weltbildes die volle und souveräne Freiheit und die genügende Distanz, ein neues Wort über die Entwicklungsgesetze des menschlichen Wissens und seiner Formen zu wagen: ein Wort zugleich, das wesentlich andere Zukunftsperspektiven für die Weiterentwicklung unseres ganzen theoretischen Weltbildes in Philosophie und Wissenschaft eröffnet, als die Ganz- und Halbformen der positivistischen und kritizistischen philosophischen und entwicklungstheoretischen Lehren uns gegeben hatten und von ihren Voraussetzungen aus geben mußten. Eine eigentliche umfassende Entwicklungslehre des menschlichen Wissens hatte hierbei - und das ist sein großer Vorzug - bisher nur die Philosophie des positivistischen Gedankenkreises (von CONDORCET, COMTE, SPENCER bis MACH, DURKHEIM und LEVY-BRUHL) gegeben. Die deutsche Philosophie, insofern sie insbesondere an KANT orientiert war, blieb auf diesem BOden im Ganzen gesehen unfruchtbar (1). Trotz aller bisherigen kritischen Versuche, z. B. COMTEs "Dreistadiengesetz", hat keine Lehre auf die europäische Bildung suggestiver eingewirkt als die positivistische. Sie war - offen ausgesprochen oder verschwiegen - geradezu ein Grundartikel der Überzeugung des wissenschaftlich Gebildeten unseres Zeitalters. Eben diese Lehre wird durch dieses Buch nicht nur streng widerlegt, indem ihre vielfachen Irrtumsquellen aufgedeckt werden; sie wird zugleich auf positive Weise ersetzt durch ein neues, völlig anders gestaltetes Bild der Entwicklung, in welchem das, was COMTE als die Grundrichtung der Entwicklung menschlichen Wissens erschienen ist, nur als eine partikulare, in manchen Hinsichten sogar rückläufige Nebenrichtung des westeuropäischen Denkens auf einem kleinen Kurvenstück der welt-geschichtlichen Wissensbewegung erscheint. Die Ursachen dieser rückläufigen Nebenrichtung, insbesondere die Ursachen für das zeitweilige Zurücktreten der metaphysischen Erkenntnisversuche zugunsten der positiven Wissenschaften einerseits, der kirchlichen Restaurationen andererseits, werden genau aufgewiesen. Die "Soziologie des Wissens" ist in ihrem ersten Teile, der "Wesen und Ordnung der geschichtlichen Kausalfaktoren" behandelt, zugleich aber der erste positive Versuch, die Einseitigkeiten und prinzipiellen Irrtümer sowohl der naturalistischen Geschichtslehren, voran des Ökonomismus von KARL MARX, als der ideologischen und szientifischen Geschichtsauffassungen prinzipiell zu überwinden (HEGEL und COMTE). Das hier entwickelte Grundgesetz der zeitlich und nach Epochen der Kultur wechselnden Arten des Zusammenspiels der geistig-ideenhaften und der triebhaft-realen Determinations- und Wirkfaktoren des geschichtlich-gesellschaftlichen Lebens wird in der ihrem Abschluß entgegengehenden "Anthropologie" des Verfassers (insbesondere in dem Teil, der von der Psychologie des Alterns handelt) eine noch tiefere Fundierung erhalten, als sie in diesem Rahmen zu geben möglich war. Beide größere Abhandlungen aber haben im Zusammenhang der Veröffentlichungen des Verfassers und seiner geistigen Entwicklung - unabhängig von ihrem Eigenwert für die speziellen Gegenstände, die sie behandeln - den gewichtigen Sinn, ein Eingangstor zu eröffnen für streng methodisches metaphysisches Erkennen und Denken. Dieser Denkart eine freie Bahn zu brechen - gegen Mystik, Obskurantismus aller Art und Positivismus zugleich -, ist eines der Hauptziele dieses Buches. Erst in zweiter Line ist das Buch auch eine Einleitung in die Metaphysik des Verfassers, wie sie in tiefreichenden Erschütterungen insbesondere seiner religiösen Gedankenwelt in den letzten fünf Jahren in ihm langsam zur Reife und zur Klarheit gekommen ist. Sowohl der historisch-soziologische Versuch, die metaphysische Erkenntnisart und ihre Methodik als eine geschichtlich "überlebte" Stufe des menschlichen Geistes darzutun (COMTE, SPENCER, DILTHEY u. a.), als die erkenntnistheoretischen Versuche, unser Erkennen einzubannen in die sogenannten "Grenzen möglicher Erfahrung, Beobachtung und Messung", sind eben durch die beiden größeren Arbeiten dieses Buches vom Verfasser als streng widerlegt erachtet. Die hier nur nach der prinzipiellen Seite ausgeführte Logik, Erkenntnistheorie und - das Wichtigste - Erkenntnis technik der philosophischen Metaphysik selbst wird im ersten Band der Metaphysik des Verfassers, der sich ausschließlich mit Wesen und Möglichkeit einer metaphysischen Erkenntnis beschäftigt, eine weit eingehendere gründliche Durchführung im Einzelnen finden. Man wird die Metaphysik des Verfassers nur verstehen, wenn man dieses Buch gelesen hat. Auch die im Text dieses Bandes einmal als Teil des Buches selbst genannte Abhandlung, "Soziologie der dinglichen Vergottung des Stifters", welche einige Andeutungen in der "Soziologie des Wissens" breit zu fundieren bestimmt ist, hat die indirekte Nebenbedeutung, das Daseinsrecht der Metaphysik gegen die engbegrenzenden und zugleich erstarrenden Ansprüche der Offenbarungskirchen neu zu begründen. Ist doch die "dingliche Vergottung des Stifters" (oder seiner Lehre, z. B. Koran) überall, wo sich eine Kirchen- und Dogmenbildung in der Geschichte abspielte, der primäre Grundvorgang, sozusagen die prima causa des ganzen Prozesses, d. h. des Prozesses, der auch im Abendland das selbständige metaphysische Erkennen und Denken noch weit tiefgehender und machtvoller untergraben hat als selbst die Theorie und die einseitige, ja zeitweise fast ausschließliche Praxis einer nur positivistisch-pragmatischen Arbeits- und Leistungswissenschaft. Dieser Aufsatz konnte jedoch in diesen Band nicht mehr aufgenommen werden, da sein Umfang für das Werk zu groß wurde. Er wird daher an anderer Stelle veröffentlicht werden. Wie also einerseits das hier vorliegende Buch eine "Einleitung" sein soll für die Metaphysik des Verfassers und eine Rechtfertigung ihres Unternehmens und insofern auf die Zukunft deutet, so deutet es andererseits auf ältere Arbeiten des Verfassers zurück, die demselben Problemkreis angehören. Um dem Leser die Möglichkeit zu geben, sich über Alles zu unterrichten, was der Verfasser über die Probleme dieses Bandes früher gesagt hat, sei auf das Folgende verwiesen:
2. Die Abhandlungen "Das Dreistadiengesetz des Auguste Comte" und "Soziologie, Weltanschauungssetzung und Weltanschauungslehre" (enthalten in Band I der "Schriften zur Soziologie und Weltanschauungslehre", Leipzig 1923) sind Vorarbeiten zur Soziologie des Wissens, die einige Punkte genauer behandeln, als es im Rahmen des vorliegenden Bandes möglich war. 3. Wie die "Arbeit" in diesem Band untersucht wird nach dem Maß ihrer Gestaltungskraft für die Welt erkenntnis, so hat der dritte Band der "Schriften zur Soziologie und Weltanschauung" die "Arbeit" in ihrer Stellung im Reich der Werte genauer ins Auge gefaßt (vgl. ferner hierzu die Abhandlung "Das Ressentiment im Aufbau der Moralen" im ersten Band des Buches "Vom Umsturz der Werte" und die Schrift "Die Ursachen des Deutschenhasses"). Nur zusammen genommen mit diesem Buch geben diese Aufsätze das Ganze der "Philosophie der Arbeit" des Verfassers. Der dritte Aufsatz "Universität und Volkshochschule" ist zuerst in dem Sammelwerk "Soziologie und Volksbildungswesen" (im Auftrag des Kölner Forschungsinstituts für Sozialwissenschaften, hg. von LEOPOLD von WIESE) gedruckt worden. Er wurde in diesen Band aufgenommen (verbessert), da die Forderungen, die er in Bezug auf die Gestaltung unseres deutschen Bildungswesens enthält, erst auf dem Hintergrund der hier vorgelegten Theorie und Soziologie der Wissensformen ihr volles Gewicht und ihre tiefere Begründung erhalten. ![]() I. Wesen und Begriff der Kultursoziologie Die nachfolgenden Ausführungen verfolgen ein begrenztes Ziel. Sie wollen die Einheit einer Soziologie des Wissens als eines Teils der Kultursoziologie herausstellen und vor allem die Probleme dieser Wissenschaft systematisch entwickeln. Sie beanspruchen keines dieser Probleme endgültig zu lösen; wohl aber wollen sie die Richtungen und Wege eingehend diskutieren, auf welchen dem Verfasser ihre Lösungen zu liegen scheinen. Sie wollen in einer Rhapsodie, in einer ungeordneten Menge vorhandener, teils durch die Wissenschaft schon voll ergriffener, teils nur halberfaßter oder nur geahnter Probleme, wie sie die fundamentale Tatsache der sozialen Natur allen Wissens, aller Wissensbewahrung und -überlieferung, aller methodischen Erweiterung und Förderung des Wissens stellt, eine systematische Einheit zu bewirken suchen. Die Beziehungen einer Soziologie des Wissens zur Ursprungs- und Geltungslehre des Wissens (Erkenntnistheorie und Logik), zur entwicklungsgenetischen und -psychologischen Betrachtung des Wissens von Tier zu Mensch, vom Kind zum Erwachsenen, vom Primitiven zum Zivilisierten, von Stadium zu Stadium innerhalb reifer Kulturen, das heißt zur Entwicklungspsychologie, zur positiven Geschichte des Wissens jeder Art, zur Metaphysik des Wissens, zu den übrigen Teilen der Kultursoziologie (Religions-, Kunst-, Rechtssoziologie) und zur Realsoziologie (Soziologie der Bluts-, Macht- und Wirtschaftsgruppen und ihrer wechselnden "Einrichtungen") müssen dabei notwendig berührt werden. Und zweitens, daß sie die ganze Fülle des (vorwiegend) menschlichen, objektiven und subjektiven, Lebensinhaltes, heiße er wie auch immer, analysiert und deskriptiv wie kausal ausschließlich nach seiner tatsächlichen, also nicht "normativen" oder ideal seinsollenden Determiniertheit durch die zeitlich sukzessiven und gleichzeitigen Verbindungs- und Beziehungensformen erforscht, die zwischen Menschen sowohl im Erleben, Wollen, Handeln, Verstehen, Aktion und Reaktion, als auch in objektiv realer und kausaler Art bestehen, das heißt also in einer solchen Art, die in keiner Weise in das "Bewußtsein von Etwas" der beteiligten Menschen zu fallen braucht. (2) Die obersten Einteilungen der Soziologie, die wir hier ohne nähere Begründung nur anführen, richten sich uns nach den Gesichtspunkten:
Zur Festlegung des Oberbegriffes "Soziologie" überhaupt dienen uns hierbei nur zwei Merkmale: Erstens, daß es diese Wissenschaft nicht mit individuellen Tatsachen und Ereignissen, sondern mit Regeln, Typen (Durchschnitts- und logischen Idealtypen) und womöglich Gesetzen zu tun. 2. Gleichzeitige oder sukzessive Verknüpfung und Beziehung der Menschen und Gruppen, das heißt: soziologische Statik und Dynamik (Comte). Von aller Geschichtsphilosophie scheidet die soziologische Dynamik ihr Ausschluß objektiv gemeinter Zweck-, Wert- und Normbetrachtung, also ihr streng kausaler und (künstlich) wertungsfreier Standort, was die Heranziehung von Wertschätzungen, Idealen usw. als psychischer und historischer Kausalfaktoren natürlich nicht ausschließt. 3. Untersuchung des vorwiegen geistig bedingten und auf geistige, das heißt "ideale" Ziele gerichteten Seins und Handelns, Wertens und Verhaltens des Menschen, und eine Untersuchung des vorwiegen durch Triebe (Fortpflanzungstriebe, Nahrungstriebe, Machttriebe) und zugleich auf die reale Veränderung von Wirlichkeiten intentional gerichteten Handelns, Wertens und Verhaltens nach ihrer sozialen Determiniertheit. Dieses "vorwiegend" - denn jeder wirkliche Akt eines Menschen ist geistig und triebhaft zugleich - und schärfer gesagt, die je entweder auf Ideales oder auf Reales endgültig gerichtete Zielintention ist es, nach der wir zwischen einer Kultur- und Realsoziologie unterscheiden. Diese letzte Einteilung der Soziologie in Kultur- und Realsoziologie, Soziologie des Über- und Unter baus des gesamten menschlichen Lebensinhaltes, ist freilich eine Scheidung, die zwar zwei extreme Pole setzt, in deren Bereich es jedoch eine Fülle vermittelnder Übergänge gibt: zum Beispiel die Technik, deren Gestaltung ebenso von ökonomischen, als staatlich-rechtlichen wie von wissenschaftlichen Faktoren abhängig ist; oder im Gegensatz zu "reiner" zweckhaft und utilitarischer, respektive durch die Wertungen und Ideale der je Mächtigen, etwa einer religiösen Herrschaftskaste, bedingte Kunst. Aber eben nach diesen beiden Polen hin eine soziologisch bedingte Erscheinung typologisch zu kennzeichnen, und nach Regeln zu bestimmen, was etwa an ihr durch die autonome Selbstentfaltung des Geistes, zum Beispiel die logisch-rationale Entwicklung des Rechts, durch die immanente Sinnlogik der Religionsgeschichte usw., bedingt ist, und was andererseits durch die Determination der stets durch eine "Triebstruktur" bedingten soziologischen Realfaktoren der jeweiligen "Institutionen und ihrer Eigenkausalität - das gerade ist die Hauptaufgabe der Soziologie. Ohne die genannte Unterscheidung von Kultur- und Realsoziologie aber kann sie diese Aufgabe nicht lösen. Diese Scheidung ist nun ferner zwar eine ontologisch und nicht nur "methodisch" gegründete, aber eine für das Endziel der Soziologie insofern vorläufige Scheidung, als erst in der Erkundung der Arten und Ordnungsfolgen des Zusammenwirkens der idealen und realen, der geistig und triebhaft bedingten Bestimmungsfaktoren des stets sozial wesentlich mitbedingten Lebensinhaltes des Menschen ihre letzte und eigentliche Aufgabe besteht. Ja, in der Erkenntnis eines obersten Gesetzes der Folge ordnung - nicht der Zeitfolge im Sinne einer faktischen Sukzession der Erscheinungen der Menschheitsgeschichte, die das falsche, ja logisch widersinnige Ideal COMTEs gewesen ist; widersinnig, da die Geschichte des Menschen nur einmal abläuft - der Wirksamkeit der idealen und realen "soziologisch" bedingten, das heißt durch Beziehungen zwischen Menschen, Beziehungsarten und Gruppierungen bedingten Faktoren der Determination jedes Gesamtlebensinhaltes der Menschengruppen sehe ich ein oberstes Ziel aller überdeskriptiven und klassifizierenden, das heißt aller kausalen Soziologie. Es handelt sich also nicht nur um Phasenregeln, die auf Wirtschafts-Machtverhältnisse, Fortpflanzungsverhältnisse und -formen (um die oberste Einteilung der Realfaktoren zu nennen) verschiedener Gruppen und Kulturen in ihrem zeithaften Werden zutreffen, respektive auf Religion, Metaphysik, Wissenschaft, Kunst, Recht in ihrem Werden in der Zeit als "Idealfaktoren" zutreffen, sondern, so wichtig auch diese deskriptive Aufgabe als vorläufige sein mag, es handelt sich um etwas ganz anderes: Nämlich um ein Gesetz der Ordnung der Wirksamkeit der Ideal- und Realfaktoren, aus dem sich zu jedem Zeitpunkt des historisch-zeitlich sukzessiven Ablaufs sozialmenschlicher Lebensprozesse das ungeteilte Ganze des Lebensinhaltes der Gruppen aufbaut; nicht um ein Gesetz der fertigen Gewordenheiten in der Zeitfolge, sondern um eine Gesetz des möglichen dynamischen Werdens irgendwelcher Gewordenheiten in der Ordnung des zeithaften Wirkens. Ein solches "Gesetz" - wie ich es seit Jahren anstrebe und auch prinzipiell gefunden zu haben glaube, ohne freilich den vollen Beweis (5) dafür bieten zu können - hätte eine Reihe Eigenschaften, die man genau angeben kann: 1. Dieses Gesetz bestimmt erstens die prinzipielle Art des Zusammenwirkens, in der Ideal- und Realfaktoren, objektiver Geist und reale Lebensverhältnisse wie ihr subjektives menschliches Korrelat, das heißt die jeweilige "Geistesstruktur" und die "Triebstruktur", auf den möglichen Fortgang des sozial-historischen Seins und Geschehens, auf Erhaltung und Veränderung einwirken. Hier ist unsere These folgende: Der Geist im subjektiven und objektiven Sinn, ferner als individualer und kollektiver Geist, bestimmt als Kulturinhalte, die da werden können, nur und ausschließlich ihre Soseins beschaffenheit. Der Geist als solcher hat jedoch ansich ursprünglich und von Haus aus keine Spur "Kraft" oder "Wirksamkeit", diese seine Inhalte auch ins Dasein zu setzen. Er ist wohl ein "Determinationsfaktor", aber kein "Realisationsfaktor" des möglichen Kulturwerdens. Negative Realisationsfaktoren oder reale Auslesesfaktoren aus dem objektiven Spielraum des je durch die geistige verstehbare Motivation Möglichen sind vielmehr stets die realen, triebhaft bedingten Lebensverhältnisse, das heißt die besondere Kombination der Realfaktoren, der Machtverhältnisse, der ökonomischen Produktionsfaktoren und der qualitativen und quantitativen Bevölkerungsverhältnisse, dazu die geographischen und geopolitischen Faktoren, die jeweils vorliegen. Je "reiner" der Geist, desto machtloser im Sinne eines dynamischen Wirkens ist er in Gesellschaft und Geschichte (6). Das ist das große gemeinsame Wahrheitselement jeder skeptischen, pessimistischen, naturalistischen Geschichtsauffassung, der ökonomischen wie der rassenmäßigen, der machtpolitischen wie der geopolitisch-geographischen: Erst da, wo sie "Ideen" irgendwelcher Art mit Interessen, Trieben, Kollektivtrieben oder, wie wir letztere nennen, "Tendenzen" vereinen, gewinnen sie indirekt Macht und Wirksamsmöglichkeit; zum Beispiel religiöse, wissenschaftliche Ideen. Positiver Realisationsfaktor eines rein kulturellen Sinngehaltes aber ist stets die freie Tat und der freie Wille der "kleinen Zahl" von Personen, an erster Stelle der Führer, Vorbilder, Pioniere, die kraft der bekannten Gesetze der Ansteckung, der willkürlichen und unwillkürlichen Nachahmung (Kopierung), durch eine "große Zahl", eine Mehrheit, nachgeahmt werden. Also "verbreitet" sich Kultur (7). Anders ist das Bestimmungsverhältnis von jeweils bestehenden und bestimmten Ideal- + Realfaktoren und ihren subjektiven Korrelaten in den Menschen (Geist- und Triebstruktur) gegenüber neu werdenden Realfaktoren, zum Beispiel politischen Machtverhältnissen internationaler Art, ökonomischen Produktionsverhältnissen, Rassenmischungen und Rassenspannungen. Der Spielraum ihres objektiven und realen "Möglichwerdens" ist nach Dasein und Sosein überhaupt nicht durch die Idealfaktoren bestimmt, sondern nur durch die jeweils vorher gegebenen Realfaktoren und ihre Beschaffenheit. Ihnen gegenüber kommt also (genau umgekehrt wie vorher) allem, was wir "Geist" nennen, nur eine negative "lenkende", das heißt hemmende oder enthemmende kausale Bedeutung zu, und zwar eine prinzipiell nur negative Realisationsbedeutung - also überhaupt keinerlei soseinsbestimmende Determinationsbedeutung. Der menschliche Geist - der singulär persönliche wie kollektive - und Wille vermag hier nur eines: hemmen und enthemmen (loslassen) dasjenige, was aufgrund der streng autonomen, realen, sinn blinden Entwicklungskausalität ins Dasein treten will. Setzt der Geist sich Ziele des Soseins und der Umgestaltung der Realfaktoren, die nicht mindestens im Spielraum des eigenkausalen Zusammenhangs der Realfaktoren gelegen sind, so beißt er auf Granit, und seine "Utopie" zerflattert ins Nichts. Die sogenannte Planwirtschaft, oder eine "weltpolitische Verfassung", oder eine planvolle gesetzliche Eugenetik und Rassenauslese sind zum Beispiel derartige Utopien. Andererseits ist es stets ein grundirriges Unterfangen, den positiven Sinngehalt und Wertgehalt einer bestehenden Religion, einer Kunst, einer Philosophie und Wissenschaft, einer Rechtsbildung aus den realen Lebensverhältnissen, seien es blutsmäßige, ökonomische, machtpolitische oder geopolitische, eindeutig ableiten zu wollen. Nur dasjenige, was aus diesem Spielraum der inneren und sinngesetzlichen (8) Soseinsdetermination von Religions-Rechts-Geistesgeschichte nicht geworden ist - obwohl es rein geistesgeschichtlich ebenso potentiell werdens möglich war wie das faktisch Gewordene -, "erklärt" der Stand der Realverhältnisse, die jeweilige Kombination der Realfaktoren. RAFFAEL braucht einen Pinsel; seine Ideen und künstlerischen Visionen schaffen ihn nicht. Er braucht politisch und sozial mächtige Auftraggeber, die ihre Ideale zu verherrlichen ihm auftragen; sonst vermag er sein Genie nicht auszuwirken. LUTHER braucht die Interessen der Fürsten, Städte, der partikular gerichteten Territorialherren, brauchte das aufstrebende Bürgertum; ohne diese Faktoren wäre es nichts geworden mit der Verbreitung der Lehren vom bibellesenden "spiritus sanctus internus" [inneren heiligen Geist - wp] und der "sola-fides" [allein durch Glauben - wp]-Lehre. Wie wir also einerseits alle naturalistischen, soziologischen Auffassungen für das Werden des Sinngehaltes der Geisteskultur a limine [von vornherein - wp] zurückweisen, so müssen wir andererseits auf dem Boden der reinen Kultursoziologie jede Lehre abweisen (wie sie etwa HEGEL entspräche), daß der kulturhistorische Ablauf ein rein geistiger und sinnlogisch bestimmter Prozeß ist. Ohne die negativ-selektierende Kraft der Realverhältnisse und ohne die freie Willenskausalität der "führenden" Personen - freilich ist diese Freiheit nur auf ein "Ob" und "Ob nicht" des Tuns beziehbar, nie auf die sinnlogische Frage "Was" - folgt aus den rein geistigen Determinationsfaktoren auch auf dem Boden einer reinen und reinsten Geisteskultur gar nichts. Erst recht nichts natürlich auf dem Boden der Wirklichkeiten, mit denen es die Realsoziologie zu tun hat. Diese Wirklichkeiten gehen nach Dasein, Sosein und Wert (also auch nach dem sogenannten "Fortschritt" und "Rückschritt") ihren streng notwendigen und vom Wertgedanken und Seinsgedanken des subjektiv menschlichen Geistes aus gesehen (9) "blinden" Gang, ihren Schicksalsgang. Und nur eines bleibt ein souveränes, unabänderliches Vorrecht des Menschen: durch seinen Geist das Kommende zwar nicht berechnen, aber nach einer stets hypothetisch und wahrscheinlich bleibenden Erwartungs bildung "mit ihm rechnen" zu können; ferner durch seinen Willen das Daseinwerden eines sonst Kommenden vorläufig zu hemmen, zu verhüten, anderes aber in der Zeitfolge und ihrem Metrum (nicht aber in der Zeitordnung, die vorbestimmt und unabänderlich ist) zu beschleunigen oder zu verzögern - so etwa, wie es der Katalysator für den Prozeß der chemischen Verbindung tut. Im Geistig-Kulturellen also gibt es potentiell "Freiheit" und Autonomie des Geschehens nach Sosein, Sinn und Wert, aber stets in dem realen Ausdruck suspendierbar durch die Eigenkausalität des "Unterbaues"; "liberté modifiable" [veränderbare Freiheit - wp] möchte man es nennen. Im Feld der Realfaktoren gibt es umgekehr nur nur jene "fatalité modifiable" [veränderbares Schicksal - wp] von der COMTE treffend und richtig gesprochen hat. Dort wirken die Realverhältnisse suspendierend auf das, was aus den geistigen Potenzen wirklich wird. Hier wirkt der Geist suspendierend im Sinne der Zeitverschiebung für das, was dem Schicksalsganz der geschichtlichen Tendenzen entspricht. 2. Eine zweite Eigenschaft des gesuchten Gesetzes der Kausalfaktoren ist, daß es drei dynamische und statische Arten und Beziehungen umfaßt und einheitlich verknüpft:
b) die Beziehungen der einzelnen Realfaktorenarten untereinander - wiederum in diesen drei Hinsichten; c) die Beziehungen der drei Hauptgruppen von Realfaktoren zu den einzelnen Idealfaktorenarten - natürlich im Spielraum der eben bestimmten und bezeichneten allgemeinen Gesetzmäßigkeit von Ideal- und Realfaktoren überhaupt. In einem scharfen Gegensatz zu dieser Entwicklung der Geistesstrukturen auseinander nach Entwicklungsschrittgesetzen stellen wir die Erscheinung der Kumulation der Werke, die immer nur jeweils einer Geistesstruktur und jeweils einer zeitlich und örtlich abgegrenzten Kultureinheit entsprechen. Da wir eine wahre und echte Genese aller subjektiv funktionellen Aprioristruktur des menschlichen Geistes - und nicht wie KANT deren Konstanz - annehmen, so müssen wir die Lehren, und zwar alle Lehren, die in der Geschichte des Menschen nur eine Kumulation der Leistungen und Werke sehen, nicht aber Entwicklung und Umbildung der geistigen Fähigkeiten des Menschen und an erster Stelle des apriorisch subjektiven Apparates des Denkens, Wertens jeder Art, auf das Bestimmteste ablehnen. Gewiß hat sich nach unserer Ansicht, da wir zumindest jede kulturell bedeutsame Erblichkeit erworbener psychischer sogenannter Eigenschaften (mit WEISMANN, der jungen exakten Erblichkeitslehre, jetzt auch BUMKE, siehe "Kultur und Entartung") unbedingt ablehnen, der psychophysische menschliche Organismus in historischer Zeit nicht wesentlich verändert, es sei denn aus dem schon vorausgesetzten Einfluß der Kultur selbst. Die SPENCERs ganze Soziologie durchwirkende Lehre, es könnten die Geistesstrukturen von der sogenannten "Gattung" erworben und dann auf das Individuum erblich übertragen sein, weisen wir daher ab. Aber der Schluß, den WEISMANN zieht, alle Geschichte der Kultur sei darum nur Kumulation, gilt für uns keineswegs. WEISMANN wie SPENCER setzen ja voraus, es sei nicht nur - was auch wir bejahen - jenes Vitalpsychische, das wir essentiell mit den höheren Menschenaffen teilen, sondern auch der "Geist", die "Vernunft" des Menschen eindeutig durch sein psychophysisches System bedingt. Das aber verneinen wir (17), behaupten vielmehr, daß der Geist des Menschen für Soziologie, Psychologie, Biologie, Geschichte einfach eine hinzunehmende Voraussetzung ist und ein Problem höchstens noch metaphysischer und religiöser Ordnung, nicht aber der Ordnung der positiven empirischen Wissenschaft. Ist das aber der Fall, so ist der Geist selbst und sind auch seine Kräfte, und ist nicht nur die Summe der Leistungen, die aus ihm bei einem bestimmten Stand seiner Entfaltung kraft wechselnder Bluts- und Milieubedingungen hervorgehen, einer wahren und wirklichen Selbstentfaltung unterworfen, die jeweils Fortschritt und Wachstum, aber auch Rückschritt und Abnahme bedeuten kann; auf alle Fälle einer Veränderung seiner Konstitution selbst. Veränderungen der Denk- und Anschauungs formen, wie bei Übergang der "mentalité primitive", wie sie LEVY-BRUHL jüngst beschrieb, zum zivilisierten Zustand des nunmehr dem Widerspruchssatz und Identitätsprinzip folgenden Menschendenkens; Veränderungen der Ethosformen als Formen des Wertvorziehens selbst, nicht bloß der Güter schätzungen, die aufgrund von ein und demselben Wertvorzugsgesetz oder Ethos entstehen; Veränderungen des Stilfühlens und Kunstwollens selbst (wie man sie seit RIEGL in der Kunstgeschichte annimmt), Veränderungen wie die von der frühabendländischen organologischen Weltansicht, die bis ins 13. Jahrhundert reicht, zur mechanischen Weltansicht; Veränderungen wie jene von einer vorwiegenden Gruppierung der Menschen nach Geschlechterverbänden ohne staatliche Autorität zum Weltalter der "politischen Gesellschaft" und des Staates, oder von vorwiegend "lebensgemeinschaftlicher" zu einer vorwiegend "gesellschaftlichen Gruppierungsform", oder von vorwiegend magischer Technik zu vorwiegend positiver Technik, sind Veränderungen einer völlig anderen Größenordnung (nicht Größe) als solche etwa durch eine kumulierte Anwendung eines bereits ausgebildeten Verstandes, wie er etwa der abendländischen Denkart entspricht, oder als solche der "praktischen Moralität" und der bloßen Anpassung einer Ethosform an wechselnde historische Umstände (zum Beispiel des christlichen Ethos an wechselnde historische Umstände (z. B. des christlichen Ethos an spätantike, mittelalterliche, moderne Wirtschafts- und Gesellschaftszustände (18), oder Veränderungen nur innerhalb der Spannweite vorwiegend organologischer und vorwiegend mechanischer Weltansicht. Für die Soziologie der Wissensdynamik ist nichts wichtiger als dieser Unterschied, ob die Denk-, Wertschätzungs- und Anschauungsformen der Welt selber einer Vreänderung unterliegen, oder nur ihre Anwendung auf die quantitativ und induktiv erweiterten Erfahrungsmaterialien. Eine bestimmte genaue Kriterienlehre dieses Unterschiedes und seiner Stufen ist noch auszubilden. Eine allgemeine Erscheinung aller geistigen Entwicklung ist ferner der schon von HERBERT SPENCER klar gesehene Vorgang der Differenzierung und Integrierung der Kulturgebiete und der geistigen Akte und Werterlebnisse, die ihnen zugrunde liegen. Er spiegelt sich am gröbsten und schärfsten im allmählichen Auseinandertreten der Führer- und Pioniertypen der Gruppen und geistigen Berufe; zum Beispiel Magier, Arzt, Priester, Techniker, Philosoph (Weiser), Gelehrter, Forscher usw. Aber bei der Anwendung dieses Satzes von Differenzierung und Integrierung ist es von fundamentaler Wichtigkeit, daß die Stufenordnung dieser Differenzierung genau festgestellt wird. Große Irrtümer schreiben sich gerade daher, daß diese Stufen falsch angesetzt werden. So muß man z. B. anerkennen, daß religiöses, metaphysisches und positives Wissen, oder wie wir auch sagen können, Heils-, bzw. Erlösungswissen, Bildungswissen und Leistungs-, bzw. Naturbeherrschungswissen, sich gleich ursprünglich aus der Vorstufe des natur- und geschichts mythischen Denkens und Schauens - dem "*Völkerwachtraum" - abdifferenzieren und dann erst eine weitgehend eigengesetzliche Entwicklung nehmen. Dadurch, daß z. B. COMTE schon das Mythische für das Religiöse hält, daß er ferner verkennt, daß in der Neuzeit des Abendlandes keineswegs die Religion gegenüber der Metaphysik an Bedeutung abnimmt, sondern sich nur viel schärfer als im Mittelalter von ihr differenziert, nicht minder auch die positive Wissenschaft und Metaphysik sich viel schärfer voneinander scheiden - schon dadurch, daß jene jetzt erst als unendlicher Prozeß, diese als personal gebundenes und geschlossenes "System" auftritt -, kam es zu der grundfalschen Lehre des sogenannten "Dreistadiengesetzes", d. h. zu der Lehre, daß sich das metaphysische Essenzdenken aus dem religiösen, das positive Denken aus dem metaphysischen "entwickelt". COMTE nahm also als zeitliche Entwicklungsstufen, was de facto nur ein Differenzierungsprozeß des Geistes ist (19). Oder: Aus der magischen Technik der Naturkräfte differenziert sich gleich ursprünglich die positive Beherrschungstechnik einerseits, die religiöse kultische Ausdruckstechnik und die rituelle Darstellungstechnik heiliger Vorgänge andererseits ab. Wird das verkannt, so ergeben sich schwere Irrtümer. Ähnlich haben Kunst und Gewerbetechnik (Werkzeugtechnik) zweifellos einen gemeinsamen Ausgangspunkt in Gebilden, die Seelenvorgänge ausdrücken und dabei zugleich so erfolgen, daß sie nützlichen Zwecken dauernd dienen können (20). Wird aber der Zusammenhang etwa so verkannt, daß man, sei es die Kunst aus der Arbeit und Technik ableitet (wie es etwa SEMPER in seinem Werk über Stilentwicklung und zum Teil BÜCHER in "Arbeit und Rhythmus" zuletzt getan haben), oder umgekehrt diese aus jener (wie es die Romantiker taten; jetzt viel zu vorschnell auch FROBENIUS), so ergeben sich tiefe Irrtümer. Lehren wie jene F. A. LANGEs, daß die Metaphysik eine "Dichtung in Begriffen" ist, oder OSTWALDs These, die Kunst sei eine "ahnende Vorform der Wissenschaft"; oder der "gnostische" Irrtum, Religion sei wesensmäßig eine herabgesunkene Massen- und Volks metaphysik in "Bildern" (SPINOZA, HEGEL, EDUARD von HARTMANN, SCHOPENHAUER usw.); oder der umgekehrte BONALDs und JOSEPH des MAISTREs, daß die Metaphysik stets eine nur nachträglich rationalisierte, auf die Offenbarung durch Personen oder Uroffenbarung rückgängige Volksreligion, bwz. die Metaphysik eine widerrechtlich rationalisierte, nachträglich in ein Sytem gepreßte Prophetie religigiöser oder dichterischer Art sei (MAX WEBERs und KARL JASPERs "prophetische Philosophie"); ferner überhaupt alle Lehren, die eine oder zwei der vorgenannten drei Wissensarten aufgrund ganz partikularer Entwicklungsrichtungen einer engbegrenzten Kultur, zum Beispiel der spätwesteuropäischen, ohne weiteres für "aussterbend" halten, wie COMTE die Arten des Heilswissens und des metaphysischen Wissens, WILHELM DILTHEY nur die Art des "metaphysischen" Wissens (21), sind schwere Irrtümer ein und desselben Typus. Es sind Irrtümer, die sich aus falschen Ansätzen der Differenzierungs- und Integrierungsprozesse und besonders des Grades der Ursprünglichkeit der betreffenden Geistesgebilde, ergeben ferner daraus, daß man gewisse sekundäre Verwebungs- und Vermischungserscheinungen der obersten geistigen Kulturgebilde für logisch-idealtypische nimmt. So kann sich zum Beispiel die Mystik - eine generelle, streng definierbare Kategorie geistigen Verhaltens, nämliche ekstatischen unmittelbaren Identifikationswissens in Anschauung und Gefühl - sowohl mit einer bestimmten Religion und deren Dogma (indische, christliche, sufistische, jüdische, taoistische Mystik) wie mit philosophischer Metaphysik (z. B. PLOTIN, SPINOZA, SCHOPENHAUER, SCHELLING, BERGSON), sowohl mit einem spiritualistischen wie auch naturalistischen Inhalt der Weltanschauung verbinden (kühle Intellektuellenmystik, z. B. die PLOTINs, vitale Rauschmystik, z. B. Kulte des Dionysos), sowohl mit vorwiegend theoretischem Verhalten (Kontemplationsmystik) wie mit praktischen Verhalten (praktisch asketische Mystik und Glaube, daß die Unio im Vollzug des Willensaktes einer bestimmten obersten Normierung erfolgt, zum Beispiel THOMAS KEMPIS). Immer bleibt jedoch "die" Mystik eine selbständige Kategorie der Arten des Wissens oder der Teilnahme an einem vorausgesetzten, nie aus ihren Wissensquellen selbst hervorgegangenen absolut Seienden und Werthaften, und zwar eine Teilnahme, die stets und immer (genetisch) eine völlig unschöpferische Sekundär- und Späterscheinung - ein Zurück! - ist. Verkennt man das, so wird man etwa wie viele kirchliche Schriftsteller die christlich orthodoxe Mystik zu "der" Mystik machen wollen und ihre ganze überkonfessionelle, ja überreligiöse Natur verkennen; oder wird sie zu einer selbständigen Quelle "religiöser" Erkenntnis machen wollen (22) oder zu einer Quelle "metaphysischer" Erkenntnis, wie zum Beispiel SCHOPENHAUERs und BERGSONs "Intuitivismus". Die Mischformen setzen eben durchaus den Bestand der reinen Typen voraus. ![]()
1) Nur ERNST CASSIRER versucht neuerdings in seiner bedeutenden "Philosophie der symbolischen Formen" etwas ähnliches. Leider nahm ich von dem hier besonders in Frage kommenden zweiten Band seines Werkes zu spät Kenntnis um ihn hier noch verwerten zu können. Der Kundige wird jedoch bemerken, wie in vielen und wesentlichen Punkten sich Resultate CASSIRERs (trotz der grundverschiedenen sachphilosophischen Voraussetzungen) mit den meinigen decken. 2) Wir verwerfen also damit die MAX WEBERsche Einschränkung der Soziologie auf verstehbare subjektive und objektive "Sinngehalte" (= objektiver Geist). Hat jemand etwa eine Überzeugung des Göttlichen, oder über den Gang seiner Volksgeschichte, oder über den Bau des Sternenhimmels, "weil" er zu den privilegierten Ständen gehört oder zu den unterdrückten Schichten, weil er preußischer Beamter oder ein chinesischer Kuli ist, weil er blutsmäßig diese und nicht jene Rassenmischung darstellt, so braucht weder er selbst noch irgendein Mensch diesen Tatbestand zu "wissen", oder auch nur zu "ahnen". Ja, in letzter Linie gilt für uns durchaus der Satz von KARL MARX, daß es das Sein der Menschen ist (freilich nicht nur ihr ökonomisches, "materielles" Sein, wie MARX gleich mitsetzt), nach dem sich auch ihr mögliches "Bewußtsein", "Wissen", ihre Verstehens- und Erlebnisgrenzen richten. 3) Einen Hauptteil unserer reinen Soziologie, die Lehre von den Wesens formen menschlicher Verbände, gibt der letzte Abschnitt meines "Formalismus in der Ethik" (Seite 440-607). 4) Ich werde in meiner "Philosophischen Anthropologie" beide Theorien ausführlich entwickeln. Daß eine Entwicklungslehre der menschlichen Triebe und eine Triebenergetik das Fundament aller Realsoziologie ist, hat in neuester Zeit MacDOUGALL am klarsten erkannt. 5) Eine weit eingehendere Begründung des Gesetzes wird der Schlußband IV unserer Reihe "Schriften zur Soziologie und Weltanschauungslehre", betitelt "Die Probleme der Geschichtsphilosophie" erbringen. 6) Die Senkung des Wertniveaus jeder geistigen Sache, z. B. einer bestimmten Religion, einer Kunstform, bei steigender Verbreitung und Machtgewinn in den Massen ist daher ein unaufhebbares Gesetz aller menschlichen Sinn- und Wertrealisierung. 7) Das Gesetz der wenigen Pioniere und der vielen Nachahmenden hat GABRIEL TARDE in seinem Buch "Les lois de l'imitation" zuerst klargestellt. 8) Ich brauche nicht zu sagen, daß mit den Gegensätzen "wahr-falsch", "gut-böse", "schön-häßlich", "heilig-profan" und mit analogen Wertgegensätzen die Sinngesetzlichkeit nicht das mindeste zu tun hat. 9) Vom metaphysischen "Sinn" dieser Schicksale sehe ich hier ausdrücklich ab. 10) Eine beachtenswerte Einteilung der Arten des "objektiven Geistes" gab jüngst KARL FREYER in seinm Buch "Zur Theorie des objektiven Geistes", 1923. 11) Neben den Wesensgesetzen der Aktfundierungen statischer Art gibt es ferner die bisher fast gar nicht in ihrer logischen Bedeutung erkannten Entwicklungs schritt& gesetze, die es weder mit sogenannten Phasenregeln einer Mehrheit tatsächlicher Entwicklungsreihen zu tun haben (die durch einen Vergleich dieser Reihen gewonnen werden), noch mit bloßen sogenannten "Richtungs"linien einer unwiederholbaren tatsächlichen Entwicklung (z. B.: Entwicklung der einen irdischen Menschheit oder des Preußenstaates), bei denen von Gesetzen zu sprechen sinnlos ist. Eine "Richtung" kann zwar durch einen zeitlichen Phasenvergleich einer Gruppe erschlossen werden (Hauptrichtung, Nebenrichtung, Sackgasse, Ausweg usw.), ist aber nie ein "Gesetz". Das Entwicklungs schritt gesetze dagegen ist ein Wesens gesetz des Übergangs von Stufe zu Stufe der Entwicklung, so, daß die faktischen besonderen Ausgangspunkte und Endpunkte der Entwicklung dabei beliebig variabel bleiben. Es beherrscht alle möglichen tatsächlichen Entwicklungen. 12) Das heißt die Geschichte der Bildung, des Wachstums, der Abnahme, Strukturveränderung des Geistes selber, nicht seiner Leistungen und Werke. 13) Diese hier zurückgewiesene Einheitslehre der "vernünftigen Menschennatur" ist eine Voraussetzung des durchaus selbst nur europäischen "Humanismus" (so auch ERNST TROELTSCH in seinem "Historismus"), der sie von der Kirchenlehre übernahm, nun den Sündenfall und die Erbschuld dabei streichend. 14) Über die "Funktionalisierung" gegenständlicher Wesenserkenntnis habe ich eingehender im 2. Halbband des Buches "Vom Ewigen im Menschen", zweite Auflage, Seite 167f gehandelt. 15) Vgl. ERNST TROELTSCH: "Der Historismus und seine Überwindung"; siehe ferner seine von FRIEDRICH von HÜGEL herausgegebenen Vorträge in England, Seite 76f. 16) Strenge Beweise für diese obigen Sätze und die Rechtfertigung der Bezeichnung der "Idee" des Menschen im Unterschied vom empirischen Begriff "Menschtier" werde ich in meiner "Anthropologie" erbringen. 17) Ich muß auch hier auf meine seit Jahren vorgetragene, demnächst erscheinende Anthropologie verweisen. Andeutungen zu diesem Problem gab bereits mein Aufsatz "Die Idee des Menschen" im ersten Band "Vom Umsturz der Werte". 18) Vgl. hierzu in meiner "Ethik" besonders das Kapitel über die Relativitätsstufen der Werte und des Wertens, Seite 272f. 19) Vgl. dazu meinen Aufsatz über COMTEs Dreistadiengesetz in "Zur Soziologie und Weltanschauungslehre", Bd. I, "Moralia". 20) Dieser Satz gilt in großer Allgemeinheit für alle primitiven Erfindungen und Werzeuge, z. B. alle primitiven Formen der Feuerbereitung (Feuerbohrer usw.). Sie sind stets kultische Ausdrucksformen innerer Erlebnisse und Werkzeuge zugleich. Die Idee der menschlichen Zeugung, die Auffassungen der Erde als zu befruchtende Mutter ist fast überall ein leitendes Vorbild dieser Erfindungen. 21) Siehe DILTHEY, Einleitung in die Geisteswissenschaften"; ferner "Die geistige Welt", I. und II. In seinem trefflichen Vorbericht zeigt GEORG MISCH eingehend, daß DILTHEY von seinem in seiner stark positivistisch gefärbten Frühperiode eingenommenen Standpunkt, Metaphysik sei Begriffsdichtung, immer mehr abgekommen ist (a. a. O., Seite 37 und 61). Aber auch in der Schrift "Das Wesen der Philosophie" heißt es noch: Denn nachdem die allgemeingültige Wissenschaft der Metaphysik für immer zerstört ist, ... (a. a. O., Seite 370). 22) Zum Beispiel neuerdings HEINRICH SCHOLZ in seiner "Religionsphilosophie", zweite Auflage, Berlin 1923. |