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HERBERT SPENCER
Das Nicht-Erkennbare

"Die Naturwissenschaften sind dem ausgesetzt, zu vergessen, daß Erkenntnis, wie ausgedehnt sie auch immer werden mag, niemals das Forschen befriedigen kann. Positives Wissen füllt das ganze Gebiet möglichen Denkens nicht aus und kann es niemals ausfüllen. Am äußersten Ziel der Entdeckungen entsteht die Frage und muß immer wieder erstehen: - Was liegt noch dahinter? Wie es unmöglich ist, eine Grenze des Raumes zu denken, so daß die Idee eines jenseits dieser Grenze liegenden Raumes ausgeschlossen würde, so können wir uns keine Erklärung vorstellen, welche tief genug ginge, um die Frage auszuschließen: - Was ist die Erklärung dieser Erklärung?"

"Der Stoff ist in seinem letzten Wesen so absolut unbegreiflich wie Raum und Zeit. Was für eine Annahme wir auch ausklügeln, sie läßt uns nichts als eine Wahl zwischen einanander entgegengesetzten Absurditäten."

"Absolute Bewegung kann nicht vorgestellt, noch viel weniger erkannt werden. Abgesehen von jenen Zeichen im Raum, welche wir gewohnheitsgemäß mit ihr in Verbindung bringen, ist Bewegung undenkbar. Denn Bewegung ist Wechsel des Orts; im Raum ohne Zeichen ist ein Wechsel des Ortes aber nicht vorstellbar, weil ein Ort selbst unvorstellbar ist. Ort kann nur vorgestellt werden durch eine Beziehung auf andere Örter; und bei einer Abwesenheit von Gegenständen, welche durch den Raum zerstreut sind, könnte ein Ort nur vorgestellt werden durch die Beziehung auf die Grenzen des Raumes: daraus folgt, daß im unbegrenzten Raum kein Ort vorgestellt werden kann."

I. Kapitel
Religion und Wissenschaft

§ 1. Wir vergessen nur gar zu oft, daß nicht allein "ein Geist des Guten im Übel ist", sondern auch sehr allgemeine ein Geist von Wahrheit in irrtümlichen Dingen. Während Viele die abstrakte Wahrscheinlichkeit zugeben, daß ein Irrtum gewöhnlich einen Kern von Wahrheit enthält, halten sich nur Wenige diese abstrakte Wahrscheinlichkeit gegenwärtig, wenn sie über die Meinungen Anderer einer Urteil abgeben. Eine Meinung, von welcher bewiesen wird, daß sie mit den Tatsachen in gröblichstem Widerstreit steht, wird mit Indignation oder Verachtung beiseite geworfen, und in der Hitze des Kampfes fällt es kaum Einme ein zu untersuchen, was denn in der Meinung enthalten war, das sie den Menschen annehmbar erscheinen ließ. Und doch muß so etwas vorhanden gewesen sein. Und es ist Grund zur Vermutung vorhanden, daß dieses Etwas in ihrer Übereinstimmung mit gewissen Erfahrungen gelegen hat: vielleicht eine äußerst beschränkte oder unbestimmte Übereinstimmung, aber doch immerhin eine Übereinstimmung. Selbst die albernste Geschichte kann in nahezu jedem einzelnen Fall auf ein tatsächliches Vorkommnis zurückgeführt werden; und hätte ein solches tatsächliches Vorkommnis nicht bestanden, würde die widersinnige, falsche Darstellung desselben nie haben entstehen können. Obgleich das uns durch das lichtbrechende Medium des Gerüchts übermittelte entstellte und vergrößerte Abbild der Wirklichkeit vollständig ungleich ist, so würde es doch bei Abwesenheit der Wirklichkeit kein entstelltes und vergrößertes Bild gegeben haben. Dasselbe ist mit menschlichen Meinungen im Allgemeinen der Fall. So von Grund aus falsch sie auch erscheinen mögen, so ist doch der nächstliegende Schluß, daß sie ursprünglich irgendeinen kleinen Beitrag von Wahrheit enthalten haben und vielleicht noch immer enthalten.

Bestimmte Gesichtspunkte über diesen Gegenstand würden für uns sehr nützlich sein. Es ist von Bedeutung, daß wir uns irgendetwas wie eine allgemeine Theorie geläufiger Meinungen bilden, so daß wir ihren Wert weder überschätzen, noch unterschätzen. In Bezug auf das Erlangen richtiger Urteile über strittige Fragen hängt sehr viel von der geistigen Haltung ab, welche beim Anhören des Streits oder beim Teilnehmen am Streit bewahrt wurde; und zur Bewahrung einer richtigen Haltung ist es notwendig, daß wir erkennen, wie richtig, und doch auch wie unrichtig im Durchschnitt menschliche Meinungen sind. Auf der einen Seite müssen wir uns frei davon halten, uns zugunsten angenommener Ansichten beeinflussen zu lassen, was durch derartige dogmatische Aussprüche versucht wird, wie: "Was alle Welt sagt, muß wahr sein", oder "des Volkes Stimme ist Gottes Stimme". Auf der anderen Seite darf sie durch eine Studium der Vergangenheit sich offenbarende Tatsache, daß Majoritäten gewöhnlich Unrecht gehabt haben, uns nicht für die komplementäre Tatsache blind machen, daß Majoritäten gewöhnlich nicht  gänzlich  Unrecht haben. Und da das Vermeiden dieser Extreme eine notwendige Voraussetzung eines allgemein gültigen Denkens ist, tun wir gut daran, uns dadurch ein Schutzmittel gegen dieselben zu verschaffen, daß wir eine Abschätzung der Meinungen im Abstrakten vornehmen. Zu diesem Zweck müssen wir die Art von Beziehung betrachten, welche gewöhnlich zwischen Meinungen und Tatsachen besteht. Wir wollen dies mit einer jener Glaubensansichten tun, welche unter verschiedenen Formen bei allen Nationen zu allen Zeiten bestanden haben.

§ 2. Frühe Überlieferungen stellen Herrscher als Götter oder Halbgötter dar. Von ihren Untertanen wurden die Könige der Urzeit als übermenschlich ihrem Ursprung nach und als übermenschlich in ihrer Kraft angesehen. Sie besaßen göttliche Titel; man verbeugte sich vor ihnen wie vor den Altären der Gottheiten, und in manchen Fällen wurden sie tatsächlich angebetet. Naturgemäß bestand in Verbindung mit den stillschweigend erschlossenen Ansichten auch der Glaube an die unbegrenzte Gewalt des Herrschers über seine Untertanen, selbst so weit gehend, daß er diesen nach Willkür das Leben nehmen könne: wie noch kürzlich auf den Fidschi-Inseln ein zum Opfer Bestimmter sich ungefesselt stellte, um nach den Worten des Häuptlings getötet zu werden, und erklärte: "was der König nur immer sagt, muß getan werden".

Zu anderen Zeiten und bei anderen Rassen finden wir diese Glaubensmeinungen ein wenig modifiziert. Anstatt daß der Monarch für einen Gott oder Halbgott angesehen wird, wird er als ein Mann aufgefaßt, welcher göttliche Autorität besitzt, vielleicht mit etwas mehr oder weniger göttlicher Natur. Er behält indessen die Titel bei, welche seine himmlische Abstammung oder Verwandtschaft ausdrücken, und wird noch immer in Formen und Worten gegrüßt, so demütig wie die an die Gottheit gerichteten. Ebenso wird an manchen Orten das Leben und Eigentum seines Volkes, wenn auch nicht so vollständig seiner Willkür überlassen, doch der Theorie nach als ihm gehörig angesehen.

Im weiteren Fortschreiten der Zivilisation, wie während der Zeiten des Mittelalters in Europa, wurden die gemeingültigen Ansichten in Bezug auf das Verhältnis zwischen Herrschern und Beherrschten noch weiter geändert. Anstelle der Theorie des göttlichen Ursprungs trat die des göttlichen Rechts. Nicht länger Gott oder Halbgott, nicht einmal von Gott abstammend, wird der König nun einfach als Gottes Stellvertreter betrachtet. Die vor ihm gemachten Verbeugungen sind in ihrer Unterwürfigkeit nicht mehr so extrem, und seine heiligen Titel verlieren viel von ihrer Bedeutung. Überdies hört auch seine Autorität auf, unbeschränkt zu sein. Die Untertanen sprechen ihm das Recht ab, nach Willkür über ihr Leben und ihr Eigentum zu verfügen und gewähren ihm Gefolgschaft nur in der Form von Gehorsam gegen seine Befehle.

Mit den Fortschritten der politischen Meinung ist eine noch weitere Einschränkung der monarchischen Gewalt eingetreten. Vom Glauben an das übernatürliche Wesen des Herrschers, seit langem schon von uns selbst zurückgewiesen, ist nicht weiter übrig geblieben, als die populäre Neigung, dem Monarchen außergewöhnliche Güte, Weisheit und Schönheit zuzuschreiben. Loyalität, welche ursprünglich die unbedingte Unterwerfung unter den Willen des Königs bedeutete, bezeichnet gegenwärtig eine bloß nominelle Anerkennung der Unterordnung und die Erfüllung gewisser Formen der Verehrung. Durch die Beseitung bestimmter Rechte und ein an deren Stelle Bringen anderer haben wir nicht bloß gewissen Menschen die göttlichen Rechte zum Herrschen abgesprochen, sondern es auch verneint, daß sie irgendwelche anderen Rechte besitzen als diejenigen, welche ihren Ursprung in der Zustimmung des Volkes haben. Obgleich unsere Redeweisen und unsere staatlichen Dokumente noch immer die Unterwerfung der Staatsbürger unter den Herrscher ausdrücken, so enthalten doch unsere wirklichen Meinungen und täglichen Verhandlungen das Gegenteil. Wir haben den Monarchen gänzlich der gesetzgeberischen Gewalt entkleidet und würden sofort gegen seine oder ihre Diktatur selbst in Sachen von untergeordneter Bedeutung rebellieren.

Das Resultat des Verwerfens primitiver politischer Meinungen ist ferner nicht bloß die Übertragung der Macht eines Autokraten auf eine repräsentative Körperschaft gewesen. Die Ansichten in Bezug auf Regierung im Allgemeinen, von welcher Form es auch sei, sind gegenwärtig von den früher verbreiteten weit verschieden. Mochten sie volktstümliche oder despotische Herrschaften sein, es wurde von ihnen angenommen, daß sie unbeschränkte Autorität über ihre Untertanen besäßen. Die Individuen existierten zum Vorteil des Staates, nicht der Staat zur Wohlfahrt der Individuen. In unseren Zeiten ist indessen nicht allein der Volkswille in vielen Fällen anstelle des Willens des Königs gesetz worden, sondern die Ausübung dieses nationalen Willens ist beschränkt worden, sondern die Ausübung dieses nationalen Willens ist beschränkt worden. Obgleich beispielsweise in England sich keine bestimmte Theorie in Bezug auf die Schranken der Regierungsgewalt ausgebildet hat, so werden doch in der Praxis verschiedene Schranken stillschweigend allseitig anerkannt. Es besteht kein organisches Gesetz, welches erklärte, daß ein gesetzgebender Körper nicht frei über das Leben der Staatsbürger verfügen kann, wie es die Könige in alten Zeiten konnten; wenn es aber für unsere gesetzgebenden Faktoren möglich wäre, so etwas zu versuchen, so würde vielmehr ihr eigener Untergang die Folge sein als der Tod von Bürgern. Wie vollständig die persönliche Freiheit der Untertanen gegen Übergriffe der Staatsgewalt bei uns sicher gestellt ist, würde sich sehr bald zeigen, wenn durch einen Parlamentsakt vorgeschlagen würde, vom Volk oder irgendeiner Klasse Besitz zu ergreifen und es zu öffentlichen Zwecken zu verwenden, wie die Dienste des Volkes von ägyptischen Königen verwandt wurden. In unseren Zeiten sind nicht bloß die Ansprüche der Staatsbürger an Leben, Freiheit und  Eigentum  dem Staat gegenüber zur Geltung gekommen, sondern in gleicher Weise auch noch verschiedene Ansprüche von geringerer Bedeutung. Vor Jahrhunderten schon gerieten Gesetze, welche die Kleidung und Lebensweise regulierten, in Nichtgebrauch und ein jeder Versuch, sie wieder ins Leben zurückzurufen, würden Beweis liefern, daß derartige Gegenstände jetzt jenseits des Wirkungskreise eines gesetzlichen Einflusses liegen. Seit einigen Jahrhunderten haben wir das Recht in der Praxis durchgeführt und es gegenwärtig in der Theorie festgestellt, welches Jedermann hat, seine eigenen religiösen Glaubensmeinungen zu haben, anstatt einen staatlich autorisierten Glauben anzunehmen. Innerhalb der letzten wenigen Generationen ist die vollkommene Freiheit der Rede erlangt worden trotz aller gesetzgeberischen Versuche, sie zu unterdrücken oder zu beschränken. Und in noch neueren Zeiten haben wir, mit wenigen ausnahmsweisen Einschränkungen, die Freiheit erlangt, Handel zu treiben mit wem es uns nur immer gefällt. Hiernach sind unsere politischen Anschauungen von den alten weit verschieden, nicht bloß in Bezug auf den eigentlichen Bewahrer der über eine Nation auszuübenden Gewalt, sondern auch in Bezug auf die Ausdehnung dieser Gewalt.

Der Wechsel ist hiermit noch nicht einmal zu Ende gekommen. Außer den eben geschilderten bei uns selbst durchschnittlich geltenden Meinungen besteht noch eine weniger weit verbreitete Meinung, welche in derselben Richtung noch weiter geht. Es sind Leute zu finden, welche behaupten, daß der Einflußkreis der Regierung selbst noch mehr eingeengt werden sollte als er in England ist. Sie sind der Ansicht, daß die Freiheit des Individuums, nur durch die gleiche Freiheit anderer Individuen begrenzt, geheiligt ist. Sie behaupten, daß die einzige Funktion des Staates der Schutz der Personen gegeneinander und gegen einen auswärtigen Feind sei, und sie sind der Meinung, daß der schließliche politische Zustand ein solcher sein müsse, bei dem die persönliche Freiheit die möglichst größte und die Regierungsgewalt die kleinstmögliche sei.

Wir finden demnach zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten eine große Verschiedenheit der Meinungen in Bezug auf den Ursprung, die Autorität und die Funktionen der Regierung. Was soll man nun über die Richtigkeit oder Unrichtigkeit dieser Meinungen sagen? Sollen wir sagen, daß irgendeine vollständig richtig ist, und daß alle übrigen gänzlich falsch sind; oder müssen wir sagen, daß eine jede von ihnen Wahrheit enthält, mehr oder weniger von Irrtümern verhüllt? Die letztere Alternative ist diejenige, welche uns eine Analyse aufnötigen wird. Eine jede von diesen Theorien hat als ihr Lebenselement die Anerkennung einer nicht zu bezweifelnden Tatsache. Direkt oder nach stillschweigender Voraussetzung besteht eine jede auf einer gewissen Unterordnung individueller Handlungen unter soziale Vorschriften. Es bestehen Verschiedenheiten in Bezug auf die Gewalt, welcher diese Unterordnung schuldig ist, es bestehen Verschiedenheiten der Ansicht betreffs des Motivs zu dieser Unterordnung; es bestehen Verschiedenheiten hinsichtlich ihres Umfangs; alle stimmen aber darin überein, daß  irgendeine  Subordination bestehen muß. Die Allerunterwürfigsten und die Allerwiderstrebedsten sind in gleicher Weise der Meinung, daß es Grenzen gibt, welche individuelle Handlungen nicht überschreiten dürfen, - Grenzen, von denen die einen meinen, sie hätten ihren Ursprung im Willen eines Herrschers und welche die andern für ableitbar aus den gleichen Ansprüchen von Mitbürgern halten.

Ohne Zweifel kann man sagen, daß wir zu einer sehr bedeutungslosen Folgerung gelangen. Die Frage ist indessen nicht der Wert oder die Neuheit der in diesem besonderen Fall erreichten Wahrheit. Meine Absicht war, die allgemeinere Wahrheit darzulegen, daß zwischen den allerverschiedensten Meinungen gewöhnlich etwas Gemeinsames in der Mitte liegt, - etwas von einer jeden als ausgemacht Angesehenes; und daß dieses Etwas, wenn es nicht als eine nicht zu bezweifelnde Wahrheit dargelegt werden kann, doch als für im höchsten Grad wahrscheinlich angesehen werden kann. Ein Postulat, welches gleich dem oben angeführten nicht bewußterweise behauptet, sondern unbewußterweise erschlossen, und welches unbewußterweise nicht von irgendeinem Menschen oder einer Gruppe von Menschen gefolgert wird, sondern von zahlreichen Gruppen von Menschen, die in allen ihren übrigen Ansichten in zahllosen Weisen und Graden voneinander abweichen, - ein solches Postulat besitzt eine Bürgschaft, welche jede sonst gewöhnlich hervorzubringende bei weitem übertrifft.

Kommen wir nicht hiermit zu einer Verallgemeinerung, welche uns beständig leiten kann, wenn wir nach dem Kern von Wahrheit in irrtümlichen Dingen suchen? Während das im Obigen gegebene Beispiel uns die Tatsache lehrt, daß in Meinungen, welche absolut unrichtig zu sein scheinen, doch etwas Richtiges zu finden ist, gibt es uns auch den Weg an, das richtige Etwas zu finden. Dieser Weg ist, alle Meinungen ein und derselben Gattung miteinander zu vergleichen; als mehr oder weniger einanander verdächtig machend jene speziellen und konkreten Elemente beiseite zu lassen, in denen derartige Meinungen voneinander abweichen; zu beachten, was nach Beseitigung derselben übrig bleibt; und für den übrig bleibenden Hauptteil den Ausdruck zu finden, welcher bei allen seinen verschiedenartigen Verhüllungen Gültigkeit behält.

§ 3. Eine konsequente Befolgung der angedeuteten Methode wird uns bei der Behandlung des chronischen Widerstreits der Meinungen von großer Hilfe sein. Wenden wir sie nicht bloß auf Ideen an, mit denen wir selbst nichts zu tun haben, sondern auch auf unsere eigenen Ideen und diejenigen unserer Widersacher, so werden wir in den Stand gesetzt, uns richtigere Urteile zu bilden. Wir werden auf die Vermutung geführt, daß unsere Überzeugungen nicht vollständig richtigt sind, und daß die entgegenstehenden Überzeugungen nicht gänzlich falsch sind. Auf der einen Seite werden wir nicht, in Gemeinschaft mit der großen Masse der Gedankenlosen, unser Glaubensbekenntnis vom bloßen Zufall unserer Geburt in einem besonderen Zeitalter und an einer besonderen Stelle der Erdoberfläche bestimmt werden lassen, während wir auf der anderen Seite bewahrt bleiben werden vor jenem Irrtum der gänzlichen und verächtlichen Negierung, welchem die Meisten verfallen, die die Haltung einer unabhängigen Kritik annehmen.

Von allen Konflikten der Meinungen ist der älteste, der am weitesten verbreitete, der tiefstgehende und der bedeutungsvollste der zwischen Religion und (Natur-) Wissenschaft. Er begann, als die Erkenntnis der allergemeinsten Gleichförmigkeiten in den Dingen der Umgebung dem alles durchdringenden Aberglauben eine Grenze zog. Er zeigt sich überall durch den ganzen Bereich menschlichen Wissens; er beeinflußt in gleicher Weise die Erklärungen, welche die Menschen von den einfachsten mechanischen Zufälligkeiten und den allerverwickeltsten Ereignissen in der Geschichte der Völker geben. Er hat seine Wurzeln tief unten in den bei verschiedenen Ordnungen von Geistern verschiedenen Weisen zu denken. Und die widerstreitenden Begriffe von Natur und Leben, welche diese verschiedenen Denkweisen einzeln hervorbringen, beeinflussen die Gefühlsstimmung und das tägliche Verhalten zum Guten oder Bösen.

Ein Kampf der Meinungen wie dieser, welcher Jahrhunderte lang unter den Bannern von Religion und Naturwissenschaft geführt worden ist, hat eine Animosität erzeugt, welche der gerechten Schätzung einer jeden Partei durch die andere verderblich ist. Glücklicherweise zeigte sich im Laufe der Zeit eine zunehmende Anerkennung der Gefühlsstimmung, welcher so weit zu folgen, wie es nur unser Wesen gestattet, wir gut tun würden. Im Verhältnis, in dem wir die Wahrheit mehr und das Lügen weniger lieben, werden wir bemüht, kennen zu lernen, was es ist, was unsere Gegner dazu bringt, so zu denken, wie sie es tun. Wir werden anfangen, zu mutmaßen, daß die von ihnen dargebotene Hartnäckigkeit der Meinung das Resultat der Wahrnehmung von etwas sein muß, was wir nicht wahrgenommen haben. Und wir werden danach streben, den Teil von Wahrheit, den wir gefunden haben, durch den zu ergänzen, den sie gefunden haben. Dadurch, daß wir eine vernünftige Schätzung menschlicher Autorität anstellen, werden wir in gleicher Weise die Extreme einer ungehörigen Unterwürfigkeit wie einer ungehörigen Auflehnung vermeiden, - werden nicht die Urteile einiger Menschen als durchaus gut und die anderer als gänzlich schlecht betrachten, sondern werden uns im Gegensatz hierzu der mehr zu verteidigenden Stellung zuneigen, daß keine vollkommen richtig und keine vollkommen falsch sind.

Bewahren wir, soweit es möglich ist, diese unparteiische Haltung und betrachten wir dann nun die beiden Seiten dieses großen Streites. Uns gegen die Beeinflussung durch Erziehung verwahrend und die Zuflüsterungen sektiererischer Gefühle ausschließend, wollen wir untersuchen, was die zugunsten einer jeden Partei sprechenden a-prioristischen Wahrscheinlichkeiten sind.

§ 4. Der oben erläuterte allgemeine Grundsatz muß uns auf die Voraussetzung führen, daß die verschiedenartigen Formen religiöser Glaubensansichten, welche existiert haben und welche noch existieren, sämtlich ihren Grund in irgendeiner endgültigen Tatsache haben. Nach Analogie zu schließen ist die stillschweigende Folgerung, nicht daß irgendeine von ihnen durchaus richtig ist, sondern daß in einer jeden etwas Wahres enthalten ist, mehr oder weniger durch andere irrige Dinge verhüllt. Es mag sein, daß der in irrigen Glaubensformen enthaltene Geist der Wahrheit den meisten, wenn nicht allen seinen verschiedenen Äußerungsweisen äußerst ungleich ist; und in der Tat, wenn, wie wir anzunehmen guten Grund haben, derselbe abstrakter ist als irgendeine von diesen, so ist die Ungleichheit eine notwendige Folge. Es muß aber nach irgendeiner wesentlichen Wahrheit gesucht werden. Anzunehmen, daß diese vielgestaltigen Auffassungen, eine wie alle,  absolut  grundlos seien, setzt jene durchschnittliche menschliche Intelligenz, von welcher unsere sämtlichen individuellen Intelligenzen ererbt worden sind, gar zu tief herab.

Der Vermutung, daß eine Anzahl verschiedener Glaubensformen der nämlichen Klasse irgendeine gemeinsame Begründung durch Tatsachen hat, muß in diesem Fall noch eine weitere Vermutung hinzugefügt werden, welche der Allgegenwart der Glaubensformen entnommen ist. Religiöse Ideen der einen oder anderen Art sind beinahe ganz universell. Wenn eingeräumt wird, daß bei allen Menschen, welche eine gewisse Stufe intellektueller Entwicklung durchschritten haben, unbestimmte Vorstellungen in Bezug auf den Ursprung und die verborgene Natur der umgebenden Dinge zu finden sind, so tritt auch die Folgerung auf, daß derartige Vorstellungen die notwendigen Produkte fortschreitender Intelligenz sind. Ihre endlose Verschiedenartigkeit dient nur dazu, diese Folgerung zu bekräftigen: - sie läßt eine mehr oder weniger unabhängige Entstehung erkennen, - sie zeigt, wie an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten gleiche Bedingungen zu ähnlichen Gedankenzügen geführt haben, die in analogen Resultaten ausgingen. Eine vorurteilsfreie Prüfung des Beweismaterials führt zu einer völligen Verneinung der Annahme, daß Glaubensformen priesterliche Erfindungen sind. Selbst als eine bloße Frage der etwaigen Wahrscheinlichkeit kann vernünftigerweise nicht geschlossen werden, daß sich in einer jeden, wilden und zivilisierten Gesellschaft gewisse Männer verbunden hätten, die übrigen in so analogen Weisen zu betrügen. Überdies ist die Hypothese eines künstlichen Ursprungs nicht imstande, die Tatsachen zu erklären. Sie erklärt nicht, warum bei allem Wechsel der Formen gewisse Elemente des religiösen Glaubens konstant bleiben. Sie zeigt nicht, woher es kommt, daß, während von Jahrhundert zu Jahrhundert gegnerische Kritiken fortgefahren haben, gewisse besondere theologische Dogmen zu zerstören, sie die diesen Dogmen zugrunde liegende fundamentale Auffassung nicht zerstört haben. So vereinigen sich die Universalität religiöser Ideen, ihre unabhängige Entwicklung bei verschiedenen primitiven Rassen und ihre große Lebenskrft zu dem Nachweis, daß ihre Wurzel sehr tief sitzen muß. Mit anderen Worten, wir sind genötigt, zuzugeben, daß, wenn sie nicht einen übernatürlichen Ausgangspunkt haben, wie es die Majorität behauptet, sie aus menschlichen Erfahrungen hervorgegangen sein müssen, welche sich langsam angehäuft und organisiert haben.

Wenn behauptet werden sollte, daß religiöse Ideen die Erzeugnisse eines religiösen Gefühls sind, welches zu seiner Befriedigung Bilder der Einbildungskraft hervorruft, die es später in die äußere Welt verlegt und allmählich für Wirklichkeiten hält, so wird das Problem nicht gelöst, sondern nur weiter zurückgeschoben. Woher stammt dieses Gefühl? Daß es ein wesentlicher Bestandteil der Natur des Menschen ist, ist in der Hypothese enthalten und kann allerdings von denen nicht geleugnet werden, welche andere Hypothesen vorziehen. Und wenn das religiöse Gefühl, - beständig von der Mehrzahl der Menschen dargeboten und gelegentlich selbst bei denen erregt, denen es scheinbar fehlt, - unter die menschlichen Gemütserregungen gerechnet werden muß, so können wir es vernünftigerweise nicht ignorieren. Es liegt hier ein Attribut der Menschennatur vor, welches durch die ganze Vergangenheit, soweit nur die Geschichte zurückreicht, eine hervorragende Rolle gespielt hat, welche gegenwärtig die Seele zahlreicher Einrichtungen bildet, welches den Antrieb zu beständigen Kontroversen und die veranlassende Ursache zahlloser täglicher Handlungen darstellt. Als eine Frage der Philosophie wird offenbar die Forderung an uns gestellt, zu sagen, was dieses Attribut bedeutet; und wir können die Aufgabe nicht zurückweisen, ohne zu bekennen, daß unsere Philosophie inkompetent ist.

Zwei Annahmen stehen uns offen; die eine ist, daß das Gefühl, welches religiösen Ideen entspricht, mit allen anderen menschlichen Fähigkeiten das Resultat eines speziellen Schöpfungsaktes ist; die andere ist, daß es in Gemeinschaft mit den übrigen durch einen Entwicklungsprozeß entstanden ist. Wenn wir die erste dieser beiden Alternativen annehmen, welche ganz allgemein von unseren Vorfahren und von der ungeheuren Mehrzahl unserer Zeitgenossen angenommen worden ist, so ist die Sache sofort abgemacht: der Mensch ist direkt von einem Schöpfer mit dem religiösen Gefühl begabt worden, und es entspricht ausgesprochenermaßen diesem Schöpfer. Wenn wir die zweite Alternative annehmen, dann treten uns die Fragen entgegen: - Welches sind die Umstände, welche die Entstehung des religiösen Gefühls zur Folge hatten? - und was ist seine Aufgabe? Wenn wir, wie wir es nach dieser Voraussetzung tun müssen, alle Fähigkeiten als Resultate der angehäuften, durch den Verkehr des Organismus mit seiner Umgebung verursachten Modifikationen betrachten, so sind wir anzunehmen veranlaßt, daß in der Umgebung gewisse Erscheinungen oder Bedingungen existieren, welche das Wachstum des religiösen Gefühls bestimmt haben, und sind weiter anzunehmen veranlaßt, daß es ebenso normal wie irgendeine andere Fähigkeit ist. Und wir haben hier noch dazu zu halten, daß, wie nach der Hypothese einer Entwicklung niederer Formen in höhere das Ziel, nach welchem die progressiven Veränderungen ausgerichtet sind, die Anpassung an die Erfordernisse des Lebens ist, wir auch zu dem Schluß genötigt sind, daß dieses Gefühl in irgendeiner Weise zur menschlichen Wohlfahrt führt. Beide Alternativen enthalten daher die nämliche schließliche Folgerung. Wir müssen schließen, daß das religiöse Gefühl entweder direkt erschaffen oder durch die langsame Wirksamkeit natürlicher Ursachen entwickelt worden ist; und welche von diesen beiden Folgerungen wir auch annehmen, eine jede fordert von uns, das religiöse Gefühl mit Achtung zu behandeln.

Eine weitere Betrachtung darf nicht übersehen werden, - eine Betrachtung, auf welche besonders die Pfleger der Naturwissenschaften hingewiesen werden müssen. Wie diese mit sicher ermittelten Wahrheiten zu tun haben und daran gewöhnt sind, noch unbekannte Dinge als später noch zu entdeckende Dinge zu betrachten, so sind sie dem ausgesetzt, zu vergessen, daß Erkenntnis, wie ausgedehnt sie auch immer werden mag, niemals das Forschen befriedigen kann. Positives Wissen füllt das ganze Gebiet möglichen Denkens nicht aus und kann es niemals ausfüllen. Am äußersten Ziel der Entdeckungen ensteht die Frage und muß immer wieder erstehen: - Was liegt noch dahinter? Wie es unmöglich ist, eine Grenze des Raumes zu denken, so daß die Idee eines jenseits dieser Grenze liegenden Raumes ausgeschlossen würde, so können wir uns keine Erklärung vorstellen, welche tief genug ginge, um die Frage auszuschließen: - Was ist die Erklärung dieser Erklärung?

Betrachten wir die Naturwissenschaft als einen allmählich an Umfang zunehmenden Kreis, so können wir sagen, daß jede Zunahme ihrer Oberfläche sie nur in immer weitere Berührung mit dem umgebenden Nichtwissen bringt. Es müssen daher immer zwei antithetische Arten geistiger Tätigkeit übrig bleiben. In alle Zukunft hinein wie gegenwärtig wird sich der menschliche Geist nicht bloße mit den ermittelten Erscheinungen und ihren Beziehungen, sondern auch mit jenem nicht ermittelten Etwas beschäftigen, auf was die Erscheinungen und ihre Beziehungen schließen lassen. Wenn daher auch Kenntnis das Bewußtsein nicht monopolisieren kann, - wenn es auch immer möglich bleiben muß, daß der Geist bei dem verweilt, was das Erkennen übersteigt, so wird es nie eintreten, daß nicht für so etwas wie ein Wesen der Religion Raum vorhanden wäre; denn Religion in ihren sämtlichen Formen unterscheidet sich von allem anderen dadurch, daß ihr Hauptgegenstand das Gebiet des Intellekts übersteigt.

So unhaltbar daher die existierenden Glaubensformen sein mögen, so plump auch die mit ihnen verknüpften Absurditäten, so unverständig die zu ihrer Verteidigung vorgebrachten Argumente sein mögen, so dürfen wir doch die Wahrheit nicht ignorieren, welche aller Wahrscheinlichkeit nach in ihnen verhüllt vorhanden ist. Die allgemeine Wahrscheinlichkeit, daß weitverbreitete Meinungen nicht absolut grundlos sind, wird in diesem Fall durch eine weitere Wahrscheinlichkeit bekräftigt, welche eine Folge der Allgegenwart der Glaubensformen ist. In der Existenz eines religiösen Gefühls, was auch immer sein Ursprung sein mag, haben wir ein zweites Zeugnis von großer Bedeutsamkeit. Und wie es im Nichtwissen, welches für immer der Gegensatz der Wissenschaft bleiben muß, ein Gebiet gibt zur Betätigung dieses Gefühls, so finden wir darin eine dritte allgemeine Tatsache von gleicher Folgerungskraft. Wir können daher sicher sein, daß die Religionen, auch wenn nicht eine von ihnen tatsächlich wahr ist, doch alle Erläuterungen einer Wahrheit sind.

§ 5. Wie es dem Religiösen abgeschmackt erscheinen wird, die Religion zu verteidigen und irgendwie zu rechtfertigen, so wird es dem wissenschaftlichen Gelehrten abgeschmackt erscheinen, die Wissenschaft verteidigen zu wollen. Das letztere zu tun, ist aber sicher ganz ebenso notwendig wie das erstere. Wie es Manche gibt, welche aus Verachtung ihrer Torheiten und aus Widerwillen gegen ihre Verdrehungen ein inneres Widerstreben gegen Religion erlangt haben, welches sie die in ihr enthaltene fundamentale Wahrheit übersehen läßt, so gibt es Andere, welche von den destruktiven Kritiken der Männer der Wissenschaft über die von ihnen wesentlich gehaltenen religiösen Sätze bis zu einem Grad verletzt sind, daß sie ein starkes Vorurteil gegen die Naturwissenschaften im Allgemeinen erlangt haben. Sie sind durch keinerlei Vernunftgründe auf ihren Widerwillen vorbereitet. Sie errinnern sich einfach nur der heftigen Erschütterungen, welchen die Naturwissenschaft viele ihrer wert gehaltenen Überzeugungen ausgesetzt hat, und hegen den Verdacht, daß dieselbe schließlich alles austilgen wird, was sie für heilig halten; und daraus erzeugt sich in ihnen eine unausgsprochene Furcht.

Was ist Wissenschaft? Um das Abgeschmackte des Vorurteils gegen dieselbe einzusehen, brauchen wir nur zu bemerken, daß Wissenschaft einfach eine höhere Entwicklung des gewöhnlichen Wissens ist, und daß, wenn Wissenschaft verworfen wird, alles Wissen mit ihr zusammen verworfen werden muß. Der im äußersten Grad Bigotte wird in der Beobachtung keinerlei Unrecht finden, daß die Sonne im Sommer zeitiger auf- und später untergeht als im Winter; er wird vielmehr eine derartige Beobachtung als eine nützliche Hilfe zur Erfüllung der Pflichten des täglichen Lebens ansehen. Nun, die Astronomie ist eine organisierte Masse ähnlicher Beobachtungen, welche mit größerer Genauigkeit angestellt, über eine größere Anzahl von Gegenständen ausgedehnt und so untersucht sind, daß die sie die wirklichen Anordnungen der Himmelskörper erkennen lassen und unsere falschen Vorstellungen von ihnen beseitigen. Daß Eisen im Wasser rosten, Holz brennen und lange aufgehobenes Fleisch faulig werden wird, das wird der ängstlichste Sektierer ohne Beunruhigung als Dinge lehren, deren Kenntnis nützlich ist. Es sind dies aber chemische Wahrheiten: die Chemie ist eine systematisierte Ansammlung derartiger Tatsachen, die mit Präzision ermittelt und in einer Weise klassifiziert und verallgemeinert sind, daß wir in den Stand gesetzt werden, mit Bestimmtheit in Bezug auf eine jede einfache oder zusammengesetzte Substanz zu sagen, welche Veränderung unter bestimmten gegebenen Bedingungen eintreten wird. Und dasselbe gilt für sämtliche Wissenschaften. Sie haben eine jede ihren Keim in den Erfahrungen des täglichen Lebens; wie sie wachsen, ziehen sie unmerkbar weiter abliegende, zahlreichere und kompliziertere Erfahrungen in ihren Bereich; und unter denselben ermitteln sie Gesetze der Abhängigkeit gleich denen, welche unser Wissen von den alltäglichsten Gegenständen ausmachen. Nirgends ist es möglich, eine Trennlinie zu ziehen und zu sagen: - hier fängt die Wissenschaft an. Und wie es die Aufgabe gewöhnlicher Beobachtung ist, als Richtschnur der Handlungsweise zu dienen, so ist die Leitung der Handlungsweise auch die Aufgabe der verborgensten und abstraktesten Resultate der Wissenschaft. Durch die zahllosen industriellen Prozesse und die verschiedenartigen Lokomotionsweisen, die sie uns verschafft hat, reguliert die Physik unser soziales Leben vollständiger, als eine Bekanntschaft mit den Eigenschaften umgebender Körper das Leben des Wilden reguliert. Alle Wissenschaft ist Voraussehen; und alles Voraussehen hilft uns schließlich in größerem oder geringerem Grad dabei, das Gute zu verrichten und das Üble zu vermeiden. Dem Ursprung und der Aufgabe nach eins müssen demgemäß die einfachsten Formen der Erkenntnis und die allerkompliziertesten in gleicher Weise behandelt werden. Aus Konsequenz sind wir veranlaßt, entweder die umfassendsten Kenntnisse anzunehmen, die unsere Fähigkeiten erreichen können, oder mit ihnen jene engumgrenzten, im Besitz aller befindlichen Kenntnisse zu verwerfen.

Die Frage zu stellen, welche unsere Untersuchung noch unmittelbarer betrifft, - ob Wissenschaft ihrem Inhalt nach wahr ist? - kommt der Frage sehr nahe, ob die Sonne Licht gibt. Und aus dem Grund, daß sie sich dessen bewußt ist, wie unleugbar wahr die meisten Sätze der Wissenschaft sind, betrachtet die theologische Partei die Wissenschaft mit so großer heimlicher Unruhe. Sie weiß, daß während der fünftausend Jahre ihres Wachstums einige ihrer großen Hauptabteilungen - Mathematik, Physik, Astronomie, - der rigorosen Kritik aufeinanderfolgender Generationen unterworfen, aber nichtsdestoweniger immer fester begründet worden sind. Sie weiß, daß, verschieden von vielen ihrer eigenen Lehren, welche früher einmal allgemein angenommen, aber Jahrhundert auf Jahrhundert immer wieder bezweifelt worden sind, die Lehrsätze der Wissenschaft, welche anfangs auf wenige verstreut lebende Forscher beschränkt waren, langsam zu allgemeiner Annahme gelangt sind und gegenwärtig zum großen Teil als außer Zweifel stehend angenommen werden. Sie weiß, daß die Männer der Wissenschaft in der ganzen Welt die Resultate der Andern einer eingehenden Prüfung unterwerfen, und daß Irrtum, sobald wie er entdeckt ist, schonungslos aufgedeckt und zurückgewiesen wird. Und endlich weiß sie, daß noch zwingendere Beweise durch die täglichen Bestätigungen wissenschaftlichen Voraussehens und durch die unaufhörlichen Triumphe jener Gewerbe dargeboten werden, welche von der Wissenschaft geleitet werden.

Das mit befremdender Abgeneigtheit zu betrachten, was Beglaubigungszeugnisse von so hohem Wert besitzt, ist eine Torheit. Obgleich wohl die Verteidiger der Religion in dem Ton, welchen Gelehrte ihnen gegenüber anschlagen, eine gewisse Entschuldigung für diese Abgeneigtheit finden mögen, so ist doch die Entschuldigung ungenügend. Sowohl auf Seiten der Wissenschaft wie auf ihrer eigenen müssen sie zugeben, daß Unzulänglichkeiten der Verteidigung nicht wesentlich gegen das sprechen kann, was verteidigt wird. Die Wissenschaft muß nach ihr selbst beurteilt werden; und so beurteilt wird es nur dem allerverkehrtestenn Intellekt nicht gelingen zu erkennen, daß sie aller Hochachtung wert ist. Mag es noch irgendeine andere Offenbarung geben oder nicht geben, wir haben eine wirkliche Offenbarung in der Naturwissenschaft, - eine beständige Erschließung der feststehenden Ordnung des Weltalls. Es ist die Pflicht eines Jeden, diese Erschließung zur Bestätigung zu prüfen, soweit an ihm liegt, und, ist sie bestätigt, sie mit aller Demut anzuerkennen.

§ 6. Es muß daher auf beiden Seiten dieser großen Streitfrage ein gewisses Recht vorhanden sein. Die Religion, überall als ein durch die Kette menschlicher Geschichte laufender Einschlag gegenwärtig, drückt eine gewisse ewige Tatsache aus, während die Wissenschaft eine organisierte Massen von Wahrheiten ist, welche beständig wächst und immer von Irrtümern gereinigt wird. Und wenn  beide  Grundlagen in der Realität der Dinge haben, so muß zwischen ihnen eine fundamentale Harmonie bestehen. Es ist unmöglich, daß es zwei Klassen von Wahrheiten geben könnte, welche in einem absoluten und beständigen Widerstreit zueinander stehen. Nur unter der Annahme einer gewissen manichäischen Hypothese, zu welcher sich unter uns niemand offen bekennen dürfte, ist eine derartige Voraussetzung überhaupt nur vorstellbar. Daß Religion göttlich, Naturwissenschaft teuflisch sei, ist ein Satz, welcher, obgleih er in so mancher priesterlichen Auseinandersetzung stillschweigend vorausgesetzt wird, selbst der allerheftigste Fanatiker bestimmt zu behaupten nicht über sich bringen kann. Und wer auch immer dies nicht behauptet, der muß zugeben, daß unter ihrem scheinbaren Antagonismus eine völlige Übereinstimmung verborgen liegt.

Eine jede Seite hat daher die Ansprüche der anderen, als Wahrheiten repräsentierend, welche nicht beiseite gelassen werden dürfen, anzuerkennen. Es ziemt sich für eine jede, danach zu streben, die andere zu verstehen, mit der Überzeugung, daß die andere etwas besitzt, was des Verständnisses wert ist, sowie mit der Überzeugung, daß bei gegenseitiger Anerkennung dieses Etwas die Grundlage der Aussöhnung bilden wird.

Wie dieses Etwas zu finden ist, das stellt daher das Problem dar, welches wir beharrlich zu lösen versuchen sollen, - nicht sie in der Form eines Notbehelfs zu versöhnen, sondern einen wirklichen und dauernden Frieden herzustellen. Das, was wir ausfindig zu machen haben, ist jene letzte Wahrheit, zu welcher sich beide Seiten mit absoluter Aufrichtigkeit, ohne die entferntese geistige Reservation bekennen werden. Es soll keine Konzession gemacht werden, - kein Aufgaben auf beiden Seiten von etwas, was nach und nach doch wieder behauptet werden wird; der gemeinsame Boden, auf welchem sich beide treffen, wird für sich selbst fest stehen. Wir haben eine fundamentale Wahrheit aufzufinden, welche die Religion bei Abwesenheit der Wissenschaft mit aller möglichen Emphase behaupten wird und welche die Wissenschaft bei Abwesenheit der Religion mit aller möglichen Emphase behaupten wird. Wir müssen uns nach einer Auffassung umsehen, welche die Folgerungen beider kombiniert, - sie müssen sehen, wie Wissenschaft und Religion die entgegengesetzten Seiten ein und derselben Tatsache ausdrücken: die eine ist ihre naheliegende oder sichtbare Seite, die andere ihre entferntere oder unsichtbare Seite.

Bereits auf den vorausgehenden Seiten ist die Methode, eine derartige Aussöhnung zu suchen, in undeutlichen Umrissen angedeutet worden. Ehe wir indessen weiter gehen, wird es gut sein, die Frage nach der Methode bestimmter zu behandeln. Um jene Wahrheit zu finden, in welcher Religion und Wissenschaft miteinander verschmelzen, müssen wir erkennen, in welcher Richtung wir nach ihr zu suchen haben und was für eine Art von Wahrheit sie wahrscheinlich ist.

§ 7. Nur in irgendeinem, in hohem Grad abstrakten Satz können Religion und Wissenschaft einen gemeinsamen Boden finden. Weder derartige Dogmen, wie die der Trinitarier und Unitarier, noch irgendeine solche Idee, wie der Begütiung, obgleich sie allen Religionen gemeinsam sein mögen, können als die gewünschte Basis der Übereinstimmung dienen; denn die Wissenschaft kann Glaubensansichten gleich diesen nicht anerkennen: sie liegen außerhalb ihres Bereichs. Auch ist nicht allein, wie wir gefolgert haben, die wesentliche in der Religion enthaltene Wahrheit jenes allerabstrakteste, ihre sämtlichen Formen durchdringende Element, sondern dieses allerabstrakteste Element ist, wie wir hier sehen, das einzige, in welchem Religion voraussichtlich mit der Wissenschaft übereinstimmen wird.

Wenn wir in ähnlicher Weise am anderen Ende anfangen und untersuchen, welche wissenschaftliche Wahrheit die Wissenschaft mit der Religion vereinigen kann, so ist zu bemerken: die Religion kann keine Kenntnis nehmen von speziellen wissenschaftlichen Lehrsätzen, ebensowenig wie die Wissenschaft keine Kenntnis nehmen kann von speziellen religiösen Lehrsätzen. Die Wahrheit, welche die Wissenschaft ausspricht und welche die Religion aufnimmt, kann keine von der Mathematik dargebotene sein; auch kann sie keine physikalische Wahrheit sein, ebensowenig eine Wahrheit der Chemie. Keine Verallgemeinerung der Erscheinungen von Raum, von Zeit, von Stoff oder von Kraft kann ein religiöser Begriff werden. Ein solcher Begriff, wenn er irgendwo in der Wissenschaft existiert, muß allgemeiner sein als irgendeiner von diesen, - es muß einer sein, der ihnen allen zugrunde liegt.

Wenn wir daher annehmen, daß, daß diese zwei großen Realitäten Bestandteile ein und desselben Universums entsprechen, auch eine fundamentale Harmonie zwischen ihnen bestehen muß, so finden wir auch Grund zu dem Schluß, daß die abstrakteste in der Religion enthaltene Wahrheit und die abstrakteste in der Wissenschaft enthaltene Wahrheit die sein muß, in welcher die beiden miteinander verschmelzen. Die weitest umfassende, innerhalb unseres geistigen Bereichs zu findende Tatsache muß die eine sein, welche wir suchen. Diese positiven und negativen Pole des menschlichen Denkens miteinander verbindend, muß sie die letzte Tatsache in unserer Intelligenz sein.

§ 8. Ehe ich weiter gehe, möchte ich um ein wenig Geduld bitten. Die nächsten drei Kapitel, von verschiedenen Punkten ausgehend und nach derselben Schlußfolgerung hinzielend, werden nicht anziehend sein. Die sich mit Philosophie Beschäftigenden werden in ihnen vieles finden, womit sie längst vertraut sind; und für die meisten von denen, welche mit der modernen Metapyhysik nicht vertraut sind, dürften sich die Beweisführungen als schwer zu folgen herausstellen.

Unsere Beweisführung kann indessen diese Kapitel nicht entbehren, und die Größe der in Rede stehenden Frage rechtfertigt selbst eine noch schwerere Inanspruchnahme der Aufmerksamkeit des Lesers. Obgleich uns die Ansicht, zu der wir gelangen, in einer direkten Weise nur wenig berührt, muß sie uns doch indirekt in allen unseren Beziehungen berühren, - muß unsere Auffassungen vom Universum, vom Leben, von der menschlichen Natur bestimmen, - muß unsere Ideen von Recht und Unrecht beeinflussen und daher unsere Handlungsweise modifizieren. Jenen Standpunkt zu erreichen, von welchem aus der scheinbare Widerspruch von Religion und Wissenschaft verschwindet und die beiden in Eins verschmelzen, muß sicherlich eine Anstrenung wert sein.

Hier enden unsere Präliminarien [einleitende Bemerkungen - wp], und wir wollen uns nun zu der über alles bedeutungsvollen Untersuchung wenden.


II. Kapitel
Letzte religiöse Ideen

§ 9. Wenn wir am Meeresstrand bemerken, wie die Rumpfe entfernter Schiffe unter dem Horizont verborgen und wie von noch weiter entfernten Schiffen nur die obersten Segel sichtbar sind, so können wir mit ziemlicher Deutlichkeit die unbedeutende Krümmung jenes Teils der Meeresoberfläche erkennen, welcher vor uns liegt. Wenn wir aber versuchen, mit unserer Einbildungskraft diese gekrümmte Oberfläche, wie sie in Wirklichkeit besteht, weiter zu verfolgen, wie sie sich langsam herumbiegt, bis alle ihre Meridiane sich in einem, achttausend Meilen unter unseren Füßen liegenden Punkte treffen, werden wir vollständig verwirrt. In seiner wirklichen Form und Größe können wir nicht einmal jenes kleine Segment unseres Erdballs erfassen, welchs hundert Meilen auf jeder Seite von uns liegt, und noch viel weniger den Erdball als ein Ganzes. Das Stück Felsen, auf welchem wir stehen, kann geistig mit annähernder Vollständigkeit vorgestellt werden: wir sind imstande, an seinen Gipfel, seine Seiten und seine untere Fläche zu gleicher Zeit zu denken, oder so nahezu gleichzeitig, daß sie im Bewußtsein zusammen gegenwärtig zu sein scheinen; wir können in dieser Weise das bilden, was wir eine Vorstellung des Felsens nennen. Aber dasselbe mit der Erdkugel zu tun, ist unmöglich. Selbst die Antipoden uns an jener entfernten Stelle im Raum, welche sie faktisch einnimmt, vorzustellen, geht über unser Vermögen; noch viel mehr muß es über unsere Kraft gehen, uns zu gleicher Zeit alle übrigen entfernten Punkte auf der Oberfläche der Erde an ihren wirklichen Orten vorzustellen. Und doch sprechen wir so, als ob wir eine Idee von der Erde hätten, - als ob wir an sie in derselben Weise denken könnten, wie wir an kleinere Gegenstände denken.

Was für eine Vorstellung machen wir uns denn nun von ihr? wird der Leser fragen. Daß ihr Name einen gewissen Bewußtseinszustand nichit eine im eigentlichen Sinne sogenannte Vorstellung ist, was ist er dann? Die Antwort scheint folgende zu sein: - Wir haben durch indirekte Methoden gelernt, daß die Erde eine Kugel ist; wir haben Modelle konstuiert, welche annähernd ihre Gestalt und die Verteilung ihrer Teile darstellen. Wenn von der Erde gesprochen wird, denken wir gewöhnlich entweder an eine in unbestimmter Ausdehnung unter unseren Füßen liegende Masse oder aber, die wirkliche Erde außer Betracht lassen, wir denken an einen Körper, einer irdischen Kugel ähnlich. Wenn wir aber versuchen, uns die Erde vorzustellen wie sie wirklich ist, so verbinden wir diese beiden Ideen so gut wir können miteinander, - eine derartige Wahrnehmung, wie sie uns unser Auge von der Oberfläche der Erde gibt, verbinden wir mit der Vorstellung einer Kugel. In dieser Weise bilden wir von der Erde nicht eine eigentlich sogenante Vorstellung, sondern nur eine symbolische Vorstellung. (1)

Ein verhältnismäßig großer Teil unserer Vorstellungen, mit Einschluß all derer von großer Allgemeinheit, gehören zu dieser Klasse. Bedeutende Größen, lang dauernde Zeiträume, große Zahlen, nichts hiervon wird wirklich vorgestellt; und dasselbe gilt für alle jene Klassen von Gegenständen, von welchen wir eine gemeinschaftliche Tatsache aussagen. Wenn irgendein individueller Mensch erwähnt wird, so bildet man sich eine ziemlich vollständige Idee von ihm. Wenn von der Familie, zu der er gehört, gesprochen wird, so repräsentiert sich wahrscheinlich nur ein Teil derselben im Geiste; unter der Notwendigkeit, auf das zu achten, was in Bezug auf die Familie gesagt wird, vergegenwärtigen wir uns in unserer Einbildung nur ihre bedeutungsvollsten oder bekanntesten Glieder und übergehen die übrigen mit einem schattenhaften Bewußtsein, von dem wir wissen, daß es, wenn erforderlich, vervollständigt werden könnte. Sollte etwas von der Klasse, - sagen wir Landleute -, zu welcher diese Familie gehört, bemerkt zu werden, so zählen wir uns weder in Gedanken alle die in dieser Klasse enthaltenen Individuen auf, noch glauben wir, daß wir es, wenn es erforderlich wäre, tun könnten; wir sind vielmehr zufrieden mit dem Herausgreifen einiger weniger Beispiele und mit dem Bewußtsein, daß diese unendlich vervielfältigt werden könnten. Angenommen, das Subjekt, von dem etwas ausgesagt wird, sei ein Engländer, so wird der entsprechende Bewußtseinszustand eine noch ungenügendere Repräsentation. Und noch weiter entfernt ist die Ähnlichkeit des Gedankens mit dem Gegenstand selbst, wenn von Europäern oder von menschlichen Wesen die Rede wäre. Und kommen wir auf Urteile in Bezug auf Säugetiere oder in Bezug auf die Wirbeltiere oder in Bezug auf Tiere im Allgemeinen, oder in Bezug auf sämtliche organische Wesen, so wird die Nichtübereinstimmung unserer Vorstellungen mit den Wirklichkeiten extrem. Durch diese ganze Reihe von Beispielen sehen wir, daß in dem Maße, wie die Zahl der in Gedanken zusammengefaßten Gegenstände zunimmt, die aus einigen wenigen typischen Vertretern in Verbindung mit dem Begriff der Vervielfältigung gebildete Vorstellung immer mehr und mehr zu einem bloßen Symbol wird: nicht allein, weil sie allmählich aufhört, die Größe der Gruppe darzustellen, sondern auch weil in dem Maße, wie die Gruppe heterogener wird, die typischen Vertreter, an welche gedacht wurde, den Dingen, welche die Gruppe enthält, im Durchschnitt weniger ähnlich sind.

Diese Bildung symbolischer Vorstellungen, welche unvermeidlich eintritt, wenn wir von kleinen und konkreten Gegenständen zu großen und diskreten übergehen, ist meistens ein nützlicher und in der Tat notwendiger Vorgang. Wenn wir, anstatt von Dingen, deren Attribute mit erträglicher Leichtigkeit in einen einzigen Bewußtseinszustand zusammengefaßt werden können, von Dingen zu handeln haben, deren Attribute zu ungeheuer weit oder zu zahlreich sind, um so vereint werden zu können, so müssen wir entweder einen Teil der Attribute in Gedanken fallen lassen oder sonst überhaupt gar nicht an sie denken, - entweder eine mehr oder weniger symbolische Vorstellung oder gar keine Vorstellung von ihnen bilden. Wir dürfen nichts von Gegenständen aussagen, welche zu groß oder zu vielfältig sind, um geistig repräsentiert werden zu können oder wir müssen unsere Aussagen mit Hilfe äußerst unzulänglicher Repräsentationen von ihnen machen.

Während wir aber hierdurch in den Stand gesetzt werden, allgemeine Urteile zu bilden und damit zu allgemeinen Folgerungen zu gelangen, werden wir beständig Gefahren ausgesetzt und sehr oft auf Irrtümer geführt. Wir nehmen fälschlich unsere symbolischen Vorstellungen für wirkliche und werden dadurch zu zahllosen falschen Folgerungen verführt. Nicht allein, daß wir in dem Verhältnis, in dem die Vorstellung, die wir uns von einem Ding oder einer Klasse von Dingen machen, die Wirklichkeit falsch darstellt, dem ausgesetzt sind, mit jeder Behauptung, welche, welche wir in Bezug auf die Wirklichkeit machen, Unrecht zu haben: wir werden auch zu der vermeintlichen Annahme geführt, daß wir viele Dinge richtig aufgefaßt haben, welche wir nur in dieser eingebildeten Weise erfaßt haben, und verwechseln dann mit diesen manche Dinge, welche in gar keiner Weise begriffen werden können. Es dürfte notwendig sein, hier zu bemerken, wie beinahe unvermeidlich wir in diesen Irrtum verfallen.

Von Gegenstand, welche vollständig vorstellbar sind, zu denjenigen, von denen wir uns nicht einmal eine annähernde Vorstellung machen können, besteht ein unmerkbarer Übergang. Zwischen einem Kieselstein und der ganzen erde ließe sich eine Reihe von Größen einführen, von denen jede einzelne von den benachbarten so unbedeutend verschieden wäre, daß es unmöglich sein würde, zu sagen, auf welchem Punkt der Reihe unsere Vorstellungen von ihnen nicht entsprechend wären. In ähnlicher Weise besteht ein allmählicher Fortschritt von solchen Gruppen einiger weniger Individuen, an welche wir noch mit erträglicher Vollständigkeit als Gruppen denken können, bis zu jenen immer größeren und größten Gruppen, von denen wir uns nichts einbilden können, was richtigen Ideen ähnlich wäre. So schreiten wir durch unendlich kleine Schritte von wirklichen zu symbolischen Vorstellungen. Zunächst ist ferner zu beachten, daß wir veranlaßt werden, unsers symbolischen Vorstellungen so zu behandeln, als ob sie wirkliche wären, nicht allein, weil wir nicht imstande sind, die beiden scharf auseinanderzuhalten, sondern auch, weil uns in den meisten Fällen die ersten zu unseren Zwecken nahezu oder völlig so gut dienen wie die letzten, - sie sind die abgekürzten Zeichen, welche wir an die Stelle jener ausführlicher entwickelten Zeichen setzen, die unsere Äquivalente für die wirklichen Gegenstände sind. Wir wissen, daß jene unvollkommenen Darstellungen gewöhnlicher Dinge, die wir uns im Denken von ihnen machen, im Falle es notwendig ist, in angemessene entwickeln können. Jene Vorstellungen bedeutenderer Größen und ausgedehnterer Klassen, welche wir nicht angemessen bilden können, können, wie sich ergibt, durch einen indirekten Vorgang der Messung oder Zählung bestätigt werden. Und selbst im Falle eines so vollständig unvorstellbaren Gegenstandes wie des Sonnensystems können wir durch die Erfüllung der auf unsere symbolische Vorstellung von ihm gegründeten Voraussagen die Überzeugung gewinnen, daß dieselbe eine wirkliche Existenz repräsentiert und in einem besonderen Sinne gewisse ihrer in seiner Bildung enthaltenen Verhältnisse richtig ausdrückt. Dadurch, daß wir durch lange Erfahrung gelernt haben, daß unsere symbolischen Vorstellungen, wenn erforderlich, verifiziert werden können, werden wir darauf geführt, sie ohne Verifikation anzunehmen. Wir öffnen damit das Tor Vorstellungen, welche behaupten, bekannte Dinge darzustellen, welche aber in Wirklichkeit Dinge vertreten, welche in keinerlei Weise erkannt werden können.

Die sich daraus ergebende Schlußfolgerung ist klar. Wenn unsere symbolischen Vorstellungen der Art sind, daß keinerlei kumulative oder indirekte Denkprozesse uns in den Stand setzen, festzustellen, daß es entsprechende Wirklichkeiten gibt, und wenn auch keine Erfüllung von Voraussagungen zu ihrer Rechtfertigung angeführt werden kann, dann sind sie durchaus fehlerhaft und trügend und in keinerlei Weise von reinen Fiktionen unterscheidbar.

§ 10. Und nun kommen wir dazu, die Tragweite dieser allgemeinen Wahrheit in Bezug auf unseren unmittelbar vorliegenden Gegenstand - die Letzten Religiösen Ideen - zu betrachten.

Im Leben des primitiven Menschen ereignen sich manchmal Dinge, welche außerhalb des gewöhnlichen Laufes liegen, - Unglücksfälle, Stürme, Erdbeben, Echos, Finsternisse.. Aus den Träumen entwickelt sich die Idee eines wandernden Doppelgängers; hieraus entsteht dann der Glaube, daß das Zweite Ich, beim Tod sich dauernd loslösend, ein Geist wird. Danach werden die Geister die Ursachen, denen befremdende Vorkommnisse zugeschrieben werden. Sehr bald wird angenommen, daß größere Geister ausgedehnte Wirkungskreise haben. Wenn sich die Intelligenz der Menschen entwickelt, gehen die Vorstellungen dieser kleineren unsichtbaren Kräfte in die Vorstellung einer universellen unsichtbaren Kraft auf; und das Resultat sind Hypothesen in Betreff des Ursprungs, nicht allein spezieller Zufälligkeiten, sondern der Dinge im Allgemeinen.

Eine kritische Prüfung wird indessen den Nachweis liefern, nicht allein, daß keine der gang und gäben Hypothesen haltbar ist, sondern daß überhaupt keine haltbare Hypothese aufgestellt werden kann.

§ 11. In Bezug auf den Ursprung des Universums können drei dem Wortlaut nach verständliche Annahmen gemacht werden. Wir können sagen, daß es selbst-existierend, oder daß es selbsterschaffen sei, oder daß es von einer außer ihm liegenden Kraft erschaffen worden sei. Welche von diesen Annahmen die glaubwürdigste ist, ist nicht notwendig, hier zu untersuchen. Die tiefer liegende Frage, in welche jene schließlich aufgeht, ist, ob eine on ihnen im wahrsten Sinne des Wortes begriffen werden kann. Wir wollen sie eine nach der anderen prüfen.

Wenn wir von einem Menschen als sich selbst erhaltend, von einem Apparat als selbsttätig, oder von einem Baum als sich selbst entwickelnd sprechen, so repräsentieren unsere Ausdrücke, so ungenau sie auch immer sein mögen, doch Dinge, welche im Denken mit ziemlicher Vollständigkeit dargestellt werden können. Unsere Vorstellung von einem selbst-entwickelnden Baum ist zweifellos symbolisch. Obgleich wir aber im Bewußtsein nicht wirklich die vollständige Reihe der komplizierten Veränderungen repräsentieren können, welche der Baum durchläuft, so können wir uns die leitenden Züge der Reihe vorstellen; und die allgemeine Erfahrung lehrt uns, daß eine lange fortgesetzte Beobachtung uns in den Stand setzen würde, die Reihe uns noch vollständiger zu repräsentieren. Mit anderen Worten, wir wissen, daß unsere symbolische Vorstellung von Selbst-Entwicklung zu dem erweitert werden kann, was einer wirklichen Vorstellung gleichkommt, und daß sie, so roh dies auch sein mag, doch einen wirklichen Vorgang ausdrückt. Wenn wir aber von Selbstexistenz sprechen und uns mit Hilfe der obigen Analogien eine unbestimmte symbolische Vorstellung von ihr machen, so täuschen wir uns selbst in der Annahme, daß diese symbolische Vorstellung von derselben Klasse sei wie die andern. Wenn wir das Wort "Selbst" mit dem Wort "Existenz" verbinden, so läßt uns die Macht der Assoziation glauben, wir hätten es mit einem Gedanken zu tun gleich dem, den das zusammengesetzte Wort "selbsttätig" enthält. Ein Versuch, diese symbolische Vorstellung zu erweitern, wird uns aber enttäuschen.

An erster Stelle ist es klar, daß wir spezielle unter Selbstexistenz eine von jeder andern unabhängige Existenz verstehen, - eine, die nicht von einer andern hervorgebracht ist: die Aussage einer Selbstexistenz ist eine indirekte Verneinung einer Schöpfung. Schließen wir damit die Idee einer vorausgehenden Ursache aus, so schließen wir auch notwendigerweise die Idee eines Anfangs aus: denn anzunehmen, daß es eine Zeit gegeben hat, wo die Existenz noch nicht begonnen hätte, hieße annehmen, daß ihr Anfang furch irgendetwas bestimmt oder verursacht worden sei; und das ist ein Widerspruch. Selbst-Existenz bedeutet daher notwendigerweise eine Existenz ohne Anfang; und eine Vorstellung von Selbst-Existenz zu bilden, heißt eine Vorstellung von Existenz ohne Anfang bilden. Dies können wir durch keinerlei geistige Anstrengung tun. Existenz durch eine unendliche Vergangenheit vorstellen, setzt die Vorstellung einer unendlichen Vergangenheit voraus; und diese ist eine Unmöglichkeit. Wir wollen noch hinzufügen, daß selbst wenn Selbst-Existenz zu begreifen wäre, sie doch keine Erklärung des Universums sein würde, daß er vor einer Stunde, oder vor einem Tag oder vor einem Jahr existiert hat; und wenn seine gegenwärtige Existenz nicht dadurch begreiflicher gemacht wird, daß man erfährt, er habe schon während eines früheren endlichen Zeitabschnitts existiert, so würde keine Kenntnis von seiner Existenz während vieler solcher endlicher Zeiträume, selbst wenn wir sie bis zu einem unendlichen Zeitraum ausdehnen könnten, seine Existenz begreiflicher machen. Es ist daher die atheistische Theorie nicht allein absolut undenkbar, sondern sie würde auch, selbst wenn sie denkbar wäre, keine Lösung enthalten. Die Behauptung, daß das Weltall selbst-existierend ist, führt uns tatsächlich auch nicht einen Schritt über die Erkenntnis seiner gegenwärtigen Existenz hinaus; sie bietet uns daher nur eine Wiederholung der Darlegung des Mysteriums.

Die Hypothese der Selbst-Erschaffung, welche praktisch darauf hinausläuft, was Pantheismus genannt wird, läßt sich in ähnlicher Weise im Denken nicht repräsentieren. Gewisse Erscheinungen, wie die Verdichtung unsichtbaren Dampfes zu einer Wolke, unterstützen uns in der Bildung einer symbolischen Vorstellung von einem sich-selbst-entwickelnden Universum; es fehlt auch nicht an Andeutungen am Himmel und auf der Erde, welche uns dabei helfen, dieser Vorstellung eine größere Bestimmtheit zu geben. Wenn aber auch die Aufeinanderfolge der Phasen, welche das sichtbare Weltall bis zur Erlangung seiner gegenwärtigen Form durchlaufen hat, vielleicht als in einem gewissen Sinne selbst-bestimmt aufgefaßt werden könnte, so bleibt doch die Unmöglichkeit, unsere symbolische Vorstellung einer Selbst-Erschaffung zu einer realen Vorstellung zu erweitern, so bleibt doch die Unmöglichkeit, unsere symbolische Vorstellung einer Selbst-Erschaffung zu einer realen Vorstellung zu erweitern, so vollständig wie nur immer bestehen. Selbst-Erschaffung zu begreifen, wäre faktisch, es begreifen,, wie eine potentielle Existenz durch irgendeine inhärent Notwendigkeit in eine wirkliche Existenz übergeht: und das können wir nicht. Wir können keine Idee bilden von einer potentiellen Existenz des Universums zum Unterschied von seiner faktischen Existenz. Wenn sie überhaupt in Gedanken repräsentiert wird, so muß potentielle Existenz als  Etwas  dargestellt werden, was ist, als eine wirkliche Existenz: anzunehmen, daß sie als Nichts repräsentiert werden kann, enthält zwei Absurditäten: - daß "Nichts" mehr als eine bloße Negation ist und in Gedanken positiv dargestellt werden kann, und daß ein "Nichts" von allen anderen "Nichtsen" durch sein Vermögen, sich zu Etwas zu entwickeln, unterschieden ist. Und das ist noch nicht alles. Es gibt keinen Bewußtseinszustand in uns, der den Worten entspräche: - eine inhärente Notwendigkeit, durch welche potentielle Existenz wirkliche Existenz würde. Um sie in einen Gedanken zu übertragen, müßte eine Existenz vorgestellt werden, welche nach einem während einer unbestimmten Periode andauernden Beharren in einer Form ohne irgendeine äußeren Anstoß in eine andere Form überginge; und dies enthält die Idee einer Veränderung ohne eine Ursache, - ein Ding, von dem keine Idee möglich ist. Es vertreten daher die Ausdrücke dieser Hypothese keine realen Gedanken, sondern stellen nur die unbestimmtesten Symbole dar, welche keinerlei Erklärung zulassen. Wenn übrigens selbst "potentielle Existenz" vorstellbar wäre als ein von wirklicher Existenz verschiedenes Ding, und könnte der Übergang der einen in die andere als selbst-bestimmt geistig realisiert werden, so kämen wir damit nicht einen Schritt weiter: das Problem würde nur einen Schritt weiter zurückgestellt werden. Denn woher kommt die potentielle Existenz? Diese würde genausoviel einer Erklärung bedürfen wie die wirkliche Existenz; es träten uns da genau dieselben Schwierigkeiten entgegen. Die Selbst-Existenz eines potentiellen Weltalls ist nicht vorstellbarer als die Selbst-Existenz des wirklichen Weltalls. Die Selbst-Erschaffung eines potentiellen Universums würde immer wieder dieselben, oben geschilderten Schwierigkeiten darbieten, - würde hinter diesem potentiellen Universum eine noch entfernter liegende Potentialität folgen lassen, und so fort in einer unendlichen Reihe, an deren Ende wir nicht weiter gekommen wären als am Anfang. Würde dagegen eine äußere Kraft als ihr Ursprung angenommen, so würde der Begriff eines potentiellen Universums ganz zwecklos eingeführt worden sein.

Es bleibt noch die allgemein angenommene oder theistische Hypothese übrig: - die Erschaffung durch ein äußeres Agens. Gleichmäßig in den rohesten Glaubensformen wie in der seit langer Zeit bei uns geläufigen Kosmogonie wird angenommen, daß der Himmel und die Erde gemacht wurden so ziemlich in der Art und Weise, wie ein Arbeiter ein Stück Hausgerät anfertigt. Und das ist die Annahme nicht allein der Theologen, sondern der meisten Philosophen. In gleicher Weise in den Schriften des 'PLATO wie in denen nicht weniger lebender Gelehrter finden wir die Annahme, daß eine gewisse Analogie besteht zwischen dem Vorgang der Schöpfung und dem Prozeß des Fabrizierens. Nun ist diese Vorstellung nicht allein eine solche, von welcher weder durch irgendeinen kumulativen Denkprozeß, noch durch die Erfüllung gewisser auf sie gegründeter Voraussagen nachgewiesen werden kann, daß sie irgendetwas Tatsächlichem entspricht; sie kann auch nicht geistig realisiert werden, selbst wenn alle ihre Annahmen zugegeben werden. Wenn schon das Verfahren eines menschlichen Handwerkers in unbestimmter Weise eine Methode symbolisieren könnte, nach welcher das Weltall gebildet worden wäre, so hilft uns doch die Vorstellung dieser Methode in keiner Weise, das letzte Problem zu lösen: nämlich den Ursprung der Materialien, aus denen das Universum besteht. Der Handwerker macht nicht das Eisen, Holz oder Gestein, welche er benutzt, sondern er formt und kombiniert sie bloß. Wenn wir annehmen, Sonnen und Planeten und Satelliten und alles, was sie enthalten, seien in ähnlicher Weise von einem "Großen Baumeister" gebildet worden, so nehmen wir einfach an, daß gewisse vorher schon existierende Elemente in solcher Art in ihre gegenwärtige Ordnung gebracht wurden. Wo kommen aber die schon vorher existierenden Elemente her? Das Hervorbringen von Stoff aus Nichts ist das eigentliche Geheimnis, welches uns weder dieses noch irgendein anderes Gleichnis zu verstehen instand setzt; und ein Gleichnis, welches uns nicht befähigt, dies zu begreifen, kann wohl ganz beiseite gelassen werden.

Noch offenbarer wird die Unzulänglichkeit dieser Theorie der Dinge, wenn wir uns von den materiellen Dingen zu dem wenden, was dieselben enthält, - wenn wir anstatt den Stoff den Raum in Betracht ziehen. Existierte nichts als ein unermeßlicher leerer Raum, so würde eine Erklärung genau so notwendig sein wie jetzt. Es würde immer die Frage aufgeworfen werden: wie kam es so? Wenn die Theorie der Erschaffung durch eine äußere Kraft eine angemessene wäre, wo würde sie eine Antwort darbieten; und ihre Antwort würde sein: Raum wurde in derselben Weise gemacht, wie der Stoff gemacht wurde. Aber die Unmöglichkeit dies vorzustellen, ist so offenbar, daß es niemand zu behaupten wagt. Denn wenn der Raum erschaffen wäre, so müßte er vorher nicht existiert haben. Die Nichtexistenz des Raums läßt sich indessen durch keinerlei geistige Anstrengung vorstellen. Und wenn die Nichtexistenz des Raumes absolut unvorstellbar ist, so ist auch notwendigerweise seine Erschaffung absolut unbegreifbar. Wenn endlich selbst angenommen würde, daß die Entstehung des Universums wirklich in Gedanken repräsentiert werden könnte als Folge des Wirkens einer äußeren Kraft, so würde das Geheimnis nocht immer so groß sein wie je zuvor: denn es würde wieder die Frage entstehen - woher kam denn die äußere Kraft? Um dies zu erklären, sind nur die nämlichen drei Hypothesen möglich: - Selbst-Existenz, Selbst-Erschaffung und Erschaffung durch eine äußere Kraft. Von diesen ist die letzte unnütz: sie führt uns zu einer unendlichen Reihe solcher Agentien und selbst dann läßt sie uns auf dem gleichen Fleck. Durch die zweite werden wir in die nämliche Lage gebracht; denn Selbst-Erschaffung setzt, wie bereits gezeigt wurde, eine unendliche Reihe potentieller Existenzen voraus. Wir werden daher genötigt, auf die erste zurückzukommen, welche die gewöhnlich angenommene ist und von der man gewöhnlich meint, sie sei befriedigend. Diejenigen, welche ein selbst-existierendes Universum nicht begreifen können und daher einen Schöpfer als den Urgrund des Universums annehmen, halten es für ausgemacht, daß sie einen selbst-existierenden Schöpfer begreifen können. Das Geheimnis, welches sie in dieser großen, sie auf allen Seiten umgebenden Tatsache erkennen, übertragen sie auf eine vermeintliche Quelle dieser großen Tatsache und meinen dann, sie haben das Mysterium gelöst. Sie täuschen sich aber selbst. Wie beim Beginn der Beweisführung bewiesen wurde, ist Selbst-Existenz unbegreifbar; und dies ist richtig, was auch immer die Natur des Gegenstandes sein mag, von dem sie ausgesagt wird. Wer nur immer zugibt, daß die atheistisch These unhaltbar ist, weil sie die unmögliche Idee iner Selbst-Existenz enthält, muß gezwungenermaßen zugeben, daß die theistische Hypothese unhaltbar ist, wenn sie dieselbe unmögliche Idee enthält.

Es stellen sich also hiernach diese drei verschiedenen Annahmen, obschon sie dem Wortlaut nach verständlich sind und jede einzelne ihren respektiven Anhängern völlig rational zu sein scheinen, bei kritischer Prüfung als buchstäblich undenkbar heraus. Es ist nicht eine Frage der Wahrscheinlichkeit oder der Glaubhaftigkeit, sondern der Vorstellbarkeit. Der Versuch beweist, daß die Elemente dieser Hypothesen nicht einmal im Bewußtsein zusammengefaßt werden können; und wir können sie nur so annehmen, wie wir derartige Pseudo-Ideen annehmen, wie eine viereckige Flüssigkeit und eine moralische Substanz, nur wenn wir uns des Versuchs enthalten, sie in wirkliche Gedanken zu übertragen. Oder, zu unserer ursprünglichen Art der Darstellung zurückkehrend, wir können sagen, daß sie, jede einzeln, symbolische Vorstellungen der unrechtmmäßigen und trügerischen Art einschließen. So weit voneinander verschieden sie auch scheinen mögen, so enthalten doch die atheistische, die pantheistishe und die theistische Hypothese das nämliche letzte Element. Es ist unmöglich zu vermeiden, irgendwo die Annahme einer Selbst-Existenz zu machen; mag aber die Annahme nackt hingestellt oder unter komplizierten Verkleidungen gemacht werden, sie ist gleichmäßig fehlerhaft, gleichmäßig undenkbar. mag es ein Bruchstück Substanz oder eine irgendwie eingebildete potentielle Form von Stoff oder eine noch weiter abliegende und noch weniger auszudenkende Art des Seins betreffen, unsere Vorstellung von seiner Selbst-Existenz kann nur dadurch gebildet werden, daß mit ihr der Begriff der unbegrenzten Dauer durch vergangene Zeiträume verbunden wird. Und da unbegrenzte Dauer unbegreifbar ist, sond auch alle jene formalen Ideen, in deren Bildung sie eingeht, nicht vorstellbar; und in der Tat, sie sind, wenn ein derartiger Ausdruck erlaubt ist, in dem Verhältnis immer unvorstellbarer, als die anderen Elemente der Ideen unbestimmt sind. Wie es nun aber unmöglich ist, sich das Universum als selbst-existierend zu denken, so vervielfachen wir in der Tat nur die Unmöglichkeiten des Denkens durch jeden Versuch, seine Existenz zu erklären.

§ 12. Wenn wir uns vom Ursprung des Weltalls zu seiner Wesenheit wenden, so erheben sich die gleichen unübersteigbaren Schwierigkeiten auf allen Seiten vor uns, - oder vielmehr die nämlichen Schwierigkeiten unter neuen Gesichtspunkten. Wir sehen uns der Notwendigkeit gegenüber, gewisse Voraussetzungen zu machen; und doch finden wir, daß diese Voraussetzungen im Denken nicht vorgestellt werden können.

Wenn wir untersuchen, was die Bedeutung der auf unsere Sinne hervorgebrachten Wirkungen ist, - wenn wir fragen, auf welche Weise in unserem Bewußtsein Eindrücke von Schall, von Farben, von Geschmack und von jenen verschiedenartigen Attributen, die wir Körpern zuschreiben, zustande kommen, so sind wir genötigt, sie als die Wirkung irgendeiner Ursache anzusehen. Wir können dies kurz abbrechen mit der Annahme, daß diese Ursache das ist, was wir Stoff nennen. Oder wir können, wie es Manche tun, zu dem Schluß gelangen, daß Stoff nur eine gewisse Art der Kundgebung von Geist ist, und daß daher dieser die wahre Ursache ist. Oder wir können, wenn wir Stoff und Geist nur als die nächstliegenden Agentien betrachten, die in unserem Bewußtsein hervorgerufene Veränderung der unmittelbaren göttlichen Kraft zuschreiben. Mag aber die Ursache, der wir jene zuschreiben, sein welche sie wolle, wir sind genötigt,  irgendeine  Ursache anzunehmen. Und wir sind nicht bloß genötigt, irgendeine Ursache, sondern auch eine erste Ursache anzunehmen. Der Stoff oder der Geist oder ein anderes Agens, welches diese Eindrücke auf uns hervorbringt, muß entweder deren erste Ursache sein oder nicht sein. Ist es die erste Ursache, dann sind wir zum Schluß gelangt. Wenn es nicht die erste Ursache ist, dann muß nach der stillschweigenden Folgerung noch eine Ursache hinter ihr liegen, welche damit die wirkliche Ursache der Wirkung wird. So kompliziert nun aber auch diese Annahmen sein mögen, wir müssen zu dem nämlichen Schluß gelangen. Wir können nicht fragen, wie die Veränderungen in unserem Bewußtsein verursacht werden, ohne uns unvermeidlich der Hypothese einer  ersten  Ursache hinzugeben.

Wenn wir nun aber fragen, was die Natur dieser  ersten  Ursache ist, so werden wir durch die unerbittliche Logik zu gewissen weiteren Folgerungen genötigt. Ist die  erste  Ursache endlich oder unendlich? Wenn sie sagen endlich, so verwickeln wir uns in ein Dilemma. Uns die  erste  Ursache als endlich zu denken, heißt, sie als begrenzt zu denken. Sie als begrenzt zu denken, setzt das Bewußtsein von etwas voraus, was jenseits ihrer Grenzen liegt: es ist unmöglich, sich ein Ding als in Grenzen eingeschlossen vorzustellen, ohne ein Gebiet anzunehmen, was seine Grenzen umgibt. Was sollen wir nun von diesem Gebiet sagen? Wenn die erste Ursache beschränkt ist, wenn folglich Etwas außerhalb dreselben liegt, kann dieses Etwas keine  erste  Ursache haben, - muß unverursacht sein, Wenn wir aber zugeben, daß irgendetwas unverursacht bestehen kann, dann haben wir keinen Grund, eine Ursache für irgendetwas anzunehmen. Wenn jenseits jenes begrenzten Gebietes, über welches sich die erste Ursache erstreckt, ein Gebiet liegt, welches wir als unbegrenzt zu betrachten genötigt sind, über welches sich jene nicht erstrekct, - wenn wir annehmen, daß ein unbegrenztes Ursachloses das begrenzte Verursachte umgibt: so verlassen wir stillschweigend die Hypothese des Kausalverhältnisses vollständig. Es ist hiernach unmöglich, die erste Ursache als begrenzt zu betrachten. Ist sie aber nicht begrenzt und endlich, so muß sie unbegrenzt und unendlich sein.

Eine weitere Folgerung in Bezug auf die erste Ursache ist gleich notwendig. Sie muß unabhängig sein. Wenn sie abhängig ist, kann sie nicht die erste Ursache sein; denn das muß die erste Ursache sein, von dem sie abhängt. Es genügt nicht zu sagen, daß sie zum Teil unabhängig ist; denn damit wird irgendeine Notwendigkeit gefolgert, welche ihre teilweise Abhängigkeit bestimmt; und diese Notwendigkeit, was dieselbe auch sein mag, müßte eine höhere Ursache, oder die wahre erste Ursache sein; und das ist ein Widerspruch. Die  erste  Ursache aber völlig unabhängig zu denken, ist so viel, wie sie als das zu denken, was in Abwesenheit jeder anderen Existenz vorhanden ist; ist aber das Vorhandensein irgendeiner anderen Existenz notwendig, so muß sie zum Teil von dieser anderen Existenz abhängig sind und kann daher nicht die  erste  Ursache sein. Es muß indessen die  erste  Ursache nicht allein eine Wesensform sein, welche keine notwendige Beziehung zu irgendeiner anderen Wesensform hat, sondern sie kann auch keine notwendige Beziehung in ihr selbst haben. Es kann Nichts in ihr liegen, was eine Veränderung bestimmt, und doch auch Nichts, was eine Veränderung verhindert. Denn wenn sie etwas derartiges enthielte, was solche Nötigungen oder Beschränkungen mit sich brächte, so müßte dies eine Ursache sein höher als die erste Ursache; und das ist absurd. Es muß daher die erste Ursache in jeder Beziehung vollkommen, vollständig, total sein: innerhalb ihrer selbst alle Gewalt umfassend und alles Gesetz überragend: oder, um das eingeführte Wort zu brauchen: sie muß  absolut  sein.

Es scheinen hiernach gewisse Schlußfolgerungen in Bezug auf das Wesen des Universums unvermeidlich zu sein. Bei unserem Aufsuchen von Ursachen entdecken wir keinen Haltepunkt, bsi wir bei einer  ersten  Ursache angekommen sind; und es bleibt uns keine andere Alternative, als diese erste Ursache als Unbegrenzt und Absolut zu betrachten. Diese Folgerungen werden uns durch Gründe aufgenötigt, denen allem Anschein nach nicht entgangen werden kann. Nichtsdestoweniger haben weder Gründe noch Folgerungen einen höheren als einen bloß nominellen Wert. Es könnte leicht nachgewiesen werden, daß die Materialien, aus denen die Gründe aufgebaut sind, in gleicher Weise wie die auf ihnen ruhenden Folgerungen nur symbolische Vorstellungen der unberechtigten Klasse sind. Anstatt indessen die oben angewandte Widerlegung zu wiederholen, wird es sich empfehlen, eine anderen Methode zu folgen: das Irrtümliche dieser Folgerungen durch eine Aufdeckung ihrer gegenseitigen Widersprüche nachzuweisen.

Ich kann hier nichts Besseres tun, als von der Darstellung Gebrauch zu machen, welche Mr. MANSEL bei der Ausführung der Lehre Sir WILLIAM HAMILTONs in seinen "Grenzen des religiösen Denkens" gegeben hat. Und ich tue dies mit Freude, nicht allein, weil seine Art der Darstellung kaum verbessert werden kann, sondern auch, weil seine Schlüsse, - er schreibt doch in Verteidigung der allgemein angenommenen Theologie, - der Mehrzahl der Leser um so annehmbarer sein werden.

§ 13. Nachdem er vorläufige Definitionen der ersten Ursache, des Unendlichen und des Absoluten gegeben hat, fährt Mr. MANSEL fort: -
    "Aber diese drei Vorstellungen, die Ursache, das Absolute, das Unendliche, sämtlich gleich unentbehrlich, enthalten sie nicht untereinander Widersprüche, wenn sie als Attribute eines und desselben Wesens in Verbindung gebracht werden? Eine Ursache kann als solche nicht absolut sein; das Absolute kann als solche nicht absolut sein. Die Ursache als solche existiert nur in Beziehung zu ihrer Wirkung: die Ursache ist eine Ursache der Wirkung; die Wirkung ist eine Wirkung der Ursache. Auf der anderen Seite setzt die Vorstellung des Absoluten eine mögliche Existenz außerhalb aller Beziehung voraus. Wir versuchen diesem offenbaren Widerspruch dadurch zu entgehen, daß wir die Idee der Aufeinanderfolge in der Zeit einführen. das Absolute existiert zuerst für sich selbst und wird später eine Ursache. Hier werden wir aber durch die dritte Vorstellung, die des Unendlichen, gestört. Wie kann das Unendliche zu dem werden, was es nicht von Anfang an war? Wenn Verursachung eine mögliche Art der Existenz ist, so ist das, was existiert, ohne zu verursachen, nicht unendlich; das, was eine Ursache wird, hat seine früheren Grenzen überschritten.

    Angenommen, das Absolute werde eine Ursache, so ist zu folgern, daß es in Tätigkeit tritt mittels eines freien Willens und Bewußtseins. Denn eine notwendige Ursache kann nicht als absolut und unendlich vorgestellt werden. Wird sie durch etwas außer ihr selbst Liegendes genötigt, so wird sie dadurch von einer überlegenen Kraft beschränkt; und wenn sie durch sich selbst genötigt wird, so besteht in ihrem eigenen Wesen eine notwendige Beziehung zu ihrer Wirkung. Der Akt der Verursachung muß daher ein willkürlicher sein; und ein Wollen ist nur in einem bewußten Wesen möglich. Bewußtsein ist aber selbst wiederum nur als eine Beziehung vorstellbar. Es muß ein bewußtes Subjekt und ein Objekt, dessen jenes bewußt ist, vorhanden sein. Das Subjekt ist ein Subjekt in Beziehung auf das Objekt, das Objekt ein Objekt in Beziehung auf das Subjekt; keines von beiden kann für sich existieren als das Absolute. Dieser Schwierigkeit könnte man für einen Augenblick aus dem Weg gehen, wenn man zwischen dem Absoluten, als auf ein anderes bezogen, und dem Absoluten, als auf sich selbst bezogen, unterschiede. Man dürfte sagen, das Absolute könnte möglicherweise bewußt sein, vorausgesetzt, daß es nur seiner selbst bewußt ist. Aber diese Alternative ist bei der letzten Analyse nicht weniger sich selbst aufhebend als die andere. Denn das Objekt des Bewußtseins, mag es eine Art der Existenz des Subjekts sein oder nicht, ist entweder im oder durch den Akt des Bewußtseins geschaffen oder hat eine von ihm unabhängige Existenz. Im ersteren fall hängt das Objekt vom Subjekt ab, und das Subjekt allein ist das wahre Absolute. Im letzteren Fall hängt das Subjekt vom Objekt ab, und das Objekt allein ist das wahre Absolute. Wenn wir nun eine dritte Hypothese aufzustellen versuchen und behaupten, daß  jedes  unabhängig vom anderen existiert, so haben wir überhaupt kein Absolutes, sondern nur ein paar relative Begriffe; den Koexistenz, ob im Bewußtsein oder nicht, ist selbst eine Beziehung.

    Die sich aus dieser Argumentation ergebende Folgerung liegt auf der Hand. Es ist nicht allein unmöglich, daß das Absolute, wie es vorgestellt wird, eine notwendige Beziehung zu irgendetwas anderem hat; es ist auch nicht imstande, infolge der Konstitution seines eigenen Wesens eine notwendige Beziehung innerhalb seines eigenen Wesens eine notwendige Beziehung innerhalb seiner selbst zu enthalten: beispielsweise als ein aus Teilen zusammengesetztes Ganze oder als eine aus Attributen bestehende Substanz oder als ein bewußtes Subjekt im Gegensatz zu einem Objekt. Denn wenn es im Absoluten irgendein Prinzip der Einheit gibt, verschieden von der bloßen Anhäufung von Teilen oder Attributen, so ist dieses Prinzip allein das wahre Absolute. Wenn es, auf der anderen Seite, kein solches Prinzip gibt, dann gibt es überhaupt gar kein Absolutes, sondern nur eine Mehrheit von Relationen. Die beinahe einstimmige Ansicht der Philosophie, welche aussagt, daß das Absolute sowohl eins als einfach ist, muß als die Stimme der Vernunft angenommen werden, soweit überhaupt Vernunft in der Sache eine Stimme hat. Aber diese absolute Einheit, als indifferent und keine Attribute enthaltend, kann weder von der Vielfältigkeit endlicher Wesen durch irgendeinen charakteristischen Zug unterschieden, noch mit ihnen in ihrer Vielfältigkeit identifiziert werden. Wir gelangen damit in ein unauflösliches Dilemma. Das Absolute weder als bewußt noch als unbewußt vorgestellt werden: es kann nicht als kompliziert, noch kann es als einfachen begriffen werden. Es kann nicht durch Unterschiede, noch kann es durch den Mangel an Verschiedenheit begriffen werden: es kann nicht mit dem Universum identifiziert, noch kann es von ihm unterschieden werden. Das Eine und das Viele, als Beginn der Existenz betrachtet, sind daher in gleicher Weise unbegreiflich.

    Wenn hiernach die fundamentalen Vorstellungen der rationalen Theologie sich selbst aufheben, so dürfen wir natürlich erwarten, daß sich der nämliche Antagonismus in ihren speziellen Anwendungen kundgibt. [...] Wie kann beispielsweise die unendliche Kraft imstande sein, alle Dinge zu tun, und doch die unendliche Güte nicht imstande sein, Böses zu tun? Wie kann die unendliche Gerechtigkeit die höchste Strafe für jede Sünde verlangen und die unendliche Weisheit alles wissen, was kommen wird, und es der unendlichen Freiheit doch frei stehen, zu tun oder zu unterlassen? Wie ist die Existenz des Bösen verträglich mit der eines unendlich vollkommenen Wesens; denn will es dasselbe, so ist es nicht unendlich gut, und will es dasselbe nicht, so wird sein Wille durchkreuzt und sein Tätigkeitskreis beschränkt. [...]

    Wir wollen indessen für einen Augenblick einmal annehmen, diese Schwierigkeiten seien überwunden und die Existenz des Absoluten sei durch das Zeugnis der Vernunft sichergestellt. Wir sind da noch immer nicht dahin gelangt, diese Idee mit der einer Ursache zu versöhnen: wir haben nichts getan, was zur Erklärung führen könnte, wie das Absolute das Relative, das Unendliche das Endliche entstehen lassen könnte. Wenn der Zustand kausaler Tätigkeit ein höherer Zustand ist als der der Ruhe, so ist das Absolute, mag es nun willkürlich oder unwillkürlich handeln, von einem Zustand vergleichsweiser Unvollkommenheit zu einer vergleichsweiser Vollkommenheit übergegangen: es war daher ursprünglich nicht vollkomen. Wenn der Zustand der Tätigkeit ein niedrigerer ist als der der Ruhe, dann hat das Absolute, als es eine Ursache wurde, von seiner ursprünglichen Vollkommenheit verloren. Es bleibt nur die Annahme übrig, daß die beiden Zustände einander gleich sind und der Akt der Schöpfung ein Akt vollständiger Indifferenz ist. Aber diese Annahme vernichtet entweder die Einheit des Absoluten oder sie vernichtet sich selbst. Wenn der Akt der Schöpfung wirklich und doch indifferent ist, so müssen wir die Möglichkeit der zwei Vorstellungen vom Absoluten zugeben, die eine als produktiv, die andere als nicht-produktiv. Wenn der Schöpfungsakt nicht Wirklichkeit hat, verschwindet die Annahme von selbst. [...]

    Wie kan ferner das Relative als zum Dasein kommend vorgestellt werden? Es ist eine vom Absoluten unterschiedene Realität, es muß vorgestellt werden als von der Nicht-Existenz zur Existenz übergehend. Ein Objekt aber als nicht-existierend vorzustellen, ist selbst ein Widerspruch; denn das, was vorgestellt wird, existiert als ein Objekt des Denkens in und mit jener Vorstellung. Wir können uns dessen enthalten, überhaupt an ein Objekt zu denken; sobald wir aber daran denken, können wir an dasselbe nur als existierend denken. Es ist möglich, zu einer Zeit überhaupt nicht an ein Objekt zu denken, und zu einer andern als dasselbe bereits vorhanden zu denken; aber an dasselbe in einem Akt des Werdens zu denken, im Übergang vom Nicht-Sein in das Sein, heißt etwas zu denken, was sich im Augenblick des Denkens selbst vernichtet. [...]

    Um diesen Teil meiner Beweisführung kurz zusammenzufassen: Die Vorstellung des Absoluten und Unendlichen, von welcher Seite wir es auch betrachten mögen, scheint von Widersprüchen umgeben zu sein. Es liegt ein Widerspruch in der Annahme, daß ein solches Subjekt existiert, mag es allein oder in Verbindung mit andern sein; und es liegt ein Widerspruch in der Vorstellung als eines Einheitlichen, und es liegt ein Widerspruch darin, es als eine Vielheit vorzustellen. Es liegt ein Widerspruch darin, es als persönlich vorzustellen, und es liegt ein Widerspruch darin, es als unpersönlich vorzustellen. Es kann nicht ohne Widerspruch als tätig repräsentiert werden, noch ohne gleichen Widerspruch als untätig. Es kann nicht als die Summe aller Existenzen vorgestellt werden, noch kann es nur als Teil jener Summe begriffen werden."
§ 14. Was ist nun die Tragweite dieser Resultate in Bezug auf die uns vorliegende Frage? Unsere Untersuchung der  letzten  religiösen Ideen ist ausgeführt worden in der Absicht, irgendeine in ihnen enthaltene fundamentale Wahrheit hervortreten zu lassen. Bis jetzt sind wir indessen nur bei negativen Resultaten angelangt. Lassen wir die Betrachtung der Glaubwürdigkeit beiseite und beschränken wir uns auf die der Begreifbarkeit, so haben wir gesehen, daß bei rigoroser Analyse Atheismus, Pantheismus und Theismus sich sämtlich als gänzlich undenkbar erweisen. Anstatt eine fundamentale in einem jeden existierende Wahrheit zu enthüllen, scheint unsere Untersuchung vielmehr gezeigt zu haben, daß keine fundamentale Wahrheit in einem von ihnen enthalten ist. Indessen würde es, wie wir sofort sehen werden, ein bedenklicher Irrtum sein, nur diese Schlußfolgerung davonzutragen.

Läßt man das in Begleitung davon auftretende Gesetzbuch der Handlungsweise außer Betracht, welches es supplementäres Erzeugnis ist, so läßt sich ein religiöser Glaube definieren als ein Theorie ursprünglicher Verursachung. Die niedrigsten Wilden forschen nicht nach dem Ursprung der Dinge: nur befremdende Erscheinungen und Handlungen regen die Frage nach dem dabei Tätigen an. Mag es nun aber die primitive Geistertheorie sein, welche hinter einer jeden ungewöhnlichen Erscheinung eine menschliche Persönlichkeit annimmt; mag es Polytheismus sein, bei welchem solche Persönlichkeiten zum Teil verallgemeinert werden; mag es Monotheismus sein, bei welchem sie gänzlich verallgemeinert werden; mag es Monotheismus sein, bei welchem sie gänzlich verallgemeinert werden, oder mag es Pantheismus sein, bei welchem die verallgemeinerte Persönlichkeit mit der Erscheinung eins wird: wir finden gleichmäßig eine Hypothese, von welcher angenommen wird, sie mache das Universum begreifbar. Ja selbst das, was als die Negation aller Religion betrachtet wird, selbst der positive Atheismus, - fällt unter diese Definition; denn indem er die Selbstexistenz von Raum, Stoff und Bewegung behauptet, drückt auch er eine Theorie aus, aus welcher seiner Meinung nach die Tatsachen abgeleitet werden können. Eine jede Theorie behauptet nun stillschweigend zwei Dinge: erstens, daß etwas zu erklären ist, und zweitens, daß dies und jenes die Erklärung ist. Soweit daher auch immer die Spekulationen voneinander verschieden sind in den Lösungen, welche sie von einem und demselben Problem geben, so stimmen sie stillschweigend darin miteinander überein, daß es ein zu lösendes Problem gibt. Hier liegt also ein Element vor, welches alle Glaubensformen miteinander gemein haben. Religionen, welche in ihren ausgesprochenen Dogmen einander diametral entgegengesetzt sind, sind vollkommen einig in der stillschweigenden Überzeugung, daß die Existenz der Welt mit allem, was sie enthält und mit allem, was sie umgibt, ein eine Erklärung heischendes Geheimnis ist.

Wir kommen damit in Sicht von dem, was wir suchen, Im letzten Kapitel wurden Gründe für die Folgerung angeführt, daß menschliche Glaubensansichten, und besonders die dauernden, unter welcher Verkleidung von Irrtum es auch immer sein mag, einen gewissen Geist der Wahrheit enthalten; und hier sind wir zu einer Wahrheit gelangt, welche selbst den rohesten Glaubensformen zugrunde liegt. Wir haben ferner gesehen, daß dieser Geist der Wahrheit höchst wahrscheinlich ein gewisser, widerstreitenden Meinungen der nämlichen Klasse gemeinschaftlicher Bestandteil ist; und hier haben wir einen in allen Religiösen enthaltenden Bestandteil. Es ist hervorgehoben worden, daß dieser Geist der Wahrheit beinahe mit Sicherheit abstrakter sein würde als irgendwelche ihn enthaltende Glaubensformen; und die Wahrheit, zu welcher wir eben gelangt sind, ist eine, welche an Abstraktheit die allerabstraktesten religiösen Lehren übertrifft. In jeder Beziehung entspricht daher unsere Schlußfolgerung den Anforderungen.

Daß dies das Lebenselement in allen Religionen ist, wird ferner durch die Tatsache bewiesen, daß es das Element ist, welches nicht allein jeden Wechsel überlebt, sondern welches immer bestimmter wird, je höher die Religion entwickelt wird. Ursprüngliche Glaubensformen, durchsetzt von Gedanken an persönliche Agentien, welche gewöhnlich unsichtbar sind, stellen diese Agentien unter vollkommen konkreten und gewöhnlichen Formen vor, - klassifizieren dieselben mit den sichtbaren Tätigkeitsäußerungen der Menschen und Tiere, und verbergen in dieser Weise eine unbestimmte Wahrnehmung eines Mysteriums unter Verkleidungen, die so unmysteriös wie möglich sind. Polytheistische Vorstellungen auf vorgeschritteneren Stufen repräsentieren die ander Spitze stehenden Persönlichkeiten in idealisierten Gestalten, welche in kluger Weise tätig sind und mit den Menschen durch Anzeichen oder durch inspirierte Personen verkehren; das heißt, die letzten Ursachen der Dinge werden als weniger vertraut und verständlich betrachtet. Das Aufblühen des Monotheismus, welcher vom Wegfall jener Glaubensansichten begleitet ist, welche die göttliche Natur der menschlichen mit allen ihren niedrigeren Neigungen assimilieren, zeigt einen weiteren Schritt in derselben Richtung; und wie unvollkommen auch immer dieser höhere Glaube anfangs ist, so sehen wir doch in Altären, geweiht "dem unbekannten und unerkennbaren Gott" und in der Anbetung eines Gottes, welcher durch keinerlei Suchen gefunden werden kann, daß hier eine deutlichere Anerkennung der Unergründlichkeit der Schöpfung vorliegt. Weitere Entwicklungsresultate der Theologie, welche mit solchen Behauptungen schließen wie, daß "ein Gott, welcher verstanden wird, überhaupt kein Gott wäre", und "zu denken, daß Gott das ist, was wir denken können, daß er sei, ist "Blasphemie", bieten diese Anerkennung nocht deutlicher dar. Sie durchdringt die ganze sorglich gepflegte Theologie des heutigen Tages. Während andere Elemente religiöser Glaubensbekenntnisse eines nach dem andern wegfällt, bleibt dies eine und wird immer offenbarer und erweist sich damit als das wesentliche Element.

Hier haben wir daher eine Wahrheit, in welcher Religionen im Allgemeinen miteinander übereinstimmen, ebenso wie mit einer Philosophie, welche den speziellen Dogmen jener gegenüber sich antagonistisch verhält. Wenn Religion und Wissenschaft miteinander zu versöhnen sind, so muß die Grundlage der Versöhnung diese tiefste, umfassendste und gewisseste aller Tatsachen sein, - daß die Kraft, welche das Universum offenbart, unerforschbar ist.


III. Kapitel
Letzte wissenschaftliche Ideen

§ 15. Was ist Raum, was Zeit? Zwei Hypothesen betreffs derselben sind in Umlauf: die eine, daß sie objektiv seien, die andere, daß sie subjektiv seien. Wir wollen sehen, was bei sorgfältiger Analyse aus diesen Hypothesen wird.

Zu sagen, daß Raum und Zeit objektiv existieren, heißt sagen, daß sie Entitäten sind. Die Behauptung, daß sie Nicht-Entitäten seien, hebt sich selbst auf: Nicht-Entitäten sind Nicht-Existenzen; und auszusagen, daß Nicht-Existenzen objektiv existieren, ist ein Widerspruch in sich. Überdies enthält die Behauptung, daß Raum und Zeit keine Dinge sind, und die Bezeichnung derselben als "Nichtse" die Absurdität, daß es zweierlei Arten von "Nichtsen" gibt. Ebensowenig können sie als Attribute irgendeiner Entität betrachtet werden. Es ist nicht allein unmöglich, irgendeine Art von Entität vorzustellen, von denen sie Attribute wären, wir können auch nicht denken, daß sie verschwinden, selbst wenn alles andere verschwände, wogegen doch Attribute notwendigerweise zusammen mit den Entitäten, zu denen sie gehören, verschwinden. Da nun hiernach Raum und Zeit weder Nicht-Entitäten noch Attribute von Entitäten sind, so sind wir genötigt sie als Entitäten zu betrachten. Während aber nach der Hypothese von ihrer Objektivität Raum und Zeit als Dinge klassifiziert werden müssen, finden wir, daß es unmöglich ist,, sie im Denken als Dinge zu repräsentieren. Um es überhaupt vorstellen zu könnnen, muß ein Ding als Attribute besitzend vorgestellt werden. Wir können Etwas von Nichts nur durch die Kraft unterscheiden, welche das Etwas besitzt, auf unser Bewußtsein zu wirken. Die Wirkungen, welche es mittelbar oder unmittelbar auf unser Bewußtsein hervorbringt, schreiben wir ihm zu und nennen sie seine Attribute; und das Fehlen dieser Attribute ist ein Fehlen der Formen, unter denen das Etwas vorgestellt wird. enthält somit das Fehlen einer Vorstellung. Was sind nun die Attribute des Raumes? Das einzige, von dem es möglich ist, es als zu ihm gehörig zu denken, ist das der Ausdehnung, und ihm dieses beizulegen, heißt Objekt und Attribut identifizieren. Denn Ausdehnung und Raum sind unverwechselbare Ausdrücke: unter Ausdehnung, wie wir solche den umgebenden Gegenständen zuschreiben, verstehen wir das Einnehmen von Raum; wenn daher gesagt wird, daß Raum ausgedehnt ist, so besagt das, daß Raum Raum einnimmt. Wie wir in ähnlicher Weise nicht imstande sind, der Zeit irgendein Attribut zuzuschreiben, braucht kaum hervorgehoben zu werden.

Auch sind Zeit und Raum nicht allein als Entitäten undenkbar wegen der Abwesenheit von Attributen. Es ist nocht eine andere, den meisten Menschen vertraute Eigentümlichkeit vorhanden, welche sie in gleicher Weise von dieser Kategorie ausschließt. Alle, faktisch als solche erkannte Entitäten sind begrenzt; und selbst wenn wir annehmen, daß wir entweder selbst irgendeine unbegrenzte Entität kennten oder daß wir imstande wären, eine solche vorzustellen, so würden wir sie durch diese Unterscheidung von der Klasse der begrenzten Entitäten sondern. Von Raum und Zeit können wir aber weder Begrenzung noch die Abwesenheit einer Begrenzung behaupten. Wir finden uns nicht imstande, uns irgendein geistiges Bild von einem unbegrenzten Raum zu machen; und doch sind wir unfähig, uns Grenzen vorzustellen, jenseits welcher es keinen Raum gibt. Ähnliches gilt für das andere Ende der Reihe: es ist unmöglich, eine Grenze der Teilbarkeit des Raumes zu denken, und doch ist es gleicherweise unmöglich, seine unendliche Teilbarkeit zu denken. Und ohne es einzeln auszuführen, ist es klar, daß wir uns in Bezug auf die Zeit in gleichen Unmöglichkeiten befinden. Wir können also Raum und Zeit nicht als Entitäten vorstellen und sind in gleicher Weise nicht imstand, sie entweder als Attribute von Entitäten oder als Nicht-Entitäten vorzustellen. Wir sind genötigt, an sie als existierend zu denken und können sie doch nicht den Bedingungen unterordnen, unter denen Existenzen im Denken vorgestellt werden.

Sollen wir nun unsere Zuflucht zur Lehre KANTs nehmen? - sollen wir sagen, daß Raum und Zeit Formen des Intellekts sind, - " a priori-Gesetze oder Zustände des bewußten Geistes"? Tun wir dies, so entgehen wir großen Schwierigkeiten dadurch, daß wir uns in noch größere stürzen. Der Satz, von welchem KANTs Philosophie ausgeht, wenngleich er wirklich verstanden werden kann, läßt sich durch keinerlei Anstrengung in Gedanken übertragen, - kann nicht in eine eigentlich so zu nennende Idee interpretiert werden, sondern nirmm nur die Stelle einer Pseudo-Idee ein. Zu behaupten, daß, an erster Stelle, Raum und Zeit subjektive Zustände sind, heißt, mit stillschweigender Schlußfolgerung, behaupten, daß sie keine objektiven Realitäten sind: wenn die unserem Geist gegenwärtigen Raum und Zeit zum  Ego  gehören, dann gehören sie notwendigerweise nicht zum  Non-Ego.  Es ist nun unmöglich, dies zu denken. Die Tatsache selbst schon, auf welche KANT seine Hypothese begründet, - daß nämlich unser Bewußtsein von Raum und Zeit nicht unterdrückt werden kann, - beweist dies; denn jenes Bewußtsein von Raum und Zeit, von welchem wir uns nicht frei machen können, ist das Bewußtsein von ihrer objektiven Existenz. Es ist zwecklos zu erwidern, daß eine derartige Unfähigkeit unvermeidlich die Folge sein würde, wenn sie subjektive Formen sind. Die Frage ist hier: - Was bezeugt das Bewußtsein direkt? Und das direkte Zeugnis des Bewußtseins lautet dahin, daß Raum und Zeit sich nicht innerhalb des Geistes, sondern außerhalb desselben finden, und zwar so absolut unabhängig davon, daß wir uns nicht vorstellen können, sie hörten auf zu existieren selbst unter der Annahme, daß der Geist aufhörte zu existieren.

Außer dem, daß die Theorie KANTs positiv undenkbar in dem ist, was sie stillschweigend negiert, ist sie gleicherweise undenkbar in dem, was sie offen behauptet. Es liegt nicht einfach daran, daß wir den Gedanken vom Raum nicht mit dem Gedanken unserer eigenen Persönlichkeit kombinieren und das eine als eine Eigenschaft des andern betrachten können, - obgleich unsere Unfähigkeit dies tun zu können, die Unvorstellbarkeit der Hypothese beweisen würde - es liegt vielmehr daran, daß die Hypothese in sich selbst den Beweis ihrer eigenen Unvorstellbarkeit enthält. Denn wenn Raum und Zeit Formen der Anschauung (Intuition) sind, so können sie niemals angeschaut werden, da es unmöglich ist, daß irgendetwas gleichzeitig  Form  der Anschauung und  Gegenstand  der Anschauung ist. Daß Raum und Zeit Objekte des Bewußtseins sind, erklärt KANT mit Emphase dadurch, daß er sagt, es sei unmöglich, das Bewußtsein derselben zu unterdrücken. Wenn sie nun  Gegenstände  des Bewußtseins sind, wie können sie da zu gleicher Zeit  Zustände  des Bewußtseins sein? Wenn Raum und Zeit die Zustände sind, unter denen wir denken, dann müssen, wenn wir an Raum und Zeit selbst denken, unsere Gedanken zustandslos sein; wenn es danach zustands-(oder form-)lose Gedanken gibt, was wird da aus der Theorie?

Das Resultat ist daher, daß Raum und Zeit vollständig unbegreiflich sind. Die unmittelbare Kenntnis, welche wir von ihnen zu haben scheinen, stellt sich bei einer Untersuchung als gänzliche Unwissenheit heraus. Während unser Glaube an ihre objektive Realität unüberwindlich ist, sind wir nicht imstande, irgendeine vernünftige Erklärung davon zu geben. Und die entgegengesetzte Annahme zu machen (möglich aufzustellen, aber unmöglich zu realisieren) ist einfach eine Vermehrung der Irrationalitäten.

§ 16. Wenn es nicht für die Beweisführung notwendig wäre, so wäre es nicht zu entschuldigen, die Aufmerksamkeit des Lesers mit der längst breitgetretenen und doch nicht zu Ende kommenden Kontroverse in Bezug auf die Teilbarkeit des Stoffes in Anspruch zu nehmen. Der Stoff ist entweder unendlich teilbar, oder er ist es nicht: ein dritte Möglichkeit kann nicht gegeben werden. Welche von den beiden Alternativen sollen wir annehmen? Wenn wir sagen, daß der Stoff unendlich teilbar ist, so bekennen wir uns zu einer Annahme, welche in Gedanken nicht zu realisieren ist. Wir können einen Körper in zwei Teile teilen und wieder in zwei Teile teilen und fortgesetzt den Akt wiederholen, bis wir seine Teile zu Größen gebracht haben, welche physisch nicht länger teilbar sind, können aber dann den Prozeß im Geist weiter fortsetzen. Wenn wir dies nun tun, stellen wir uns aber nicht wirklich die unendliche Teilbarkeit der Substanz vor, sondern bilden eine symbolische Vorstellung, welche sich nicht in eine wirkliche erweitern läßt uns welche keine andere Verifikation gestattet. In Wirklichkeit die unendliche Teilbarkeit des Stoffes vorstellen, heißt die Teilungen bis in die Unendlichkeit verfolgen; und um dies zu tun würde eine unendliche Zeit erforderlich sein. Wollte man andererseits behaupten, daß der Stoff nicht unendlich teilbar ist, so hieße das behaupten, daß er in Teile zerlegbar wäre, welche keine Macht weiter teilen könnte; und diese verbale Voraussetzung kann im Denken ebensowenig repräsentiert werden wie die andere. Denn ein  jedes  dieser letzten Teilchen müßte, wenn sie existierten, eine untere und eine obere Fläche, eine rechte und eine linke Seite haben, wie irgendein größeres Bruchstück. Es ist nun unmöglich, seine Seiten sich einander so nahe vorzustellen, daß sich nicht eine Durchschnittsebene zwischen ihnen denken läßt; und als wie groß man auch immer die Kohäsionskraft annehmen mag, es ist unmöglich, die Idee einer größeren Kraft auszuschließen, die imstande wäre, jene zu überwinden. Es ist daher für den menschlichen Verstand die eine Hypothese nicht annehmbarer als die andere; und doch scheint die Schlußfolgerung, daß die eine oder die andere mit den Tatsachen übereinstimmen muß, für den menschlichen Verstand unvermeidlich zu sein.

Wir wollen nun weiter fragen, ob der Stof irgendetwas von jener ausgedehnten Festigkeit besitzt, welche er unserem Bewußtsein darbietet. Der Teil des Raums, welchen ein Stück Metall einnimmt, scheint für unsere Augen und Finger vollkommen erfüllt zu sein: wir nehmen eine homogene, Widerstand leistende Masse wahr, ohne irgendeine Unterbrechung der Kontinuität. Sollen wir nun sagen, daß der Stoff wirklich so solide ist, wie er uns scheint? Sollen wir sagen, daß, mag er nun entweder aus einem unendlich teilbaren Element oder aus Einheiten bestehen, welche nicht weiter geteilt werden können, seine Teile sich überall in faktischer Berührung befinden? Dies zu behaupten, verwickelt uns in unüberwindbare Schwierigkeiten. Wäre der Stoff in dieser Weise absolut solide, so würde er, - was er nicht ist, - absolut unzusammendrückbar sein; denn Zusammendrückbarkeit, die größere gegenseitige Annäherung der konstituierenden Teile bedeutend, ist undenkbar, wenn es keinen noch nicht eingenommenen Raum zwischen den Teilen gibt.

Da die Voraussetzung, daß der Stoff absolut solide sei, unhaltbar ist, so bietet sich uns die Annahme NEWTONs dar, daß er aus soliden Atomen besteht, welche sich nicht in Berührung befinden, sondern durch anziehende und abstoßende, mit den Entfernungen variierende Kräfte aufeinander wirken. Diese Annahme verschiebt indessen nur die Schwierigkeit. Denn zugegeben, daß der Stoff, wie wir ihn wahrnehmen, aus dichten, Ausdehnung besitzenden Einheiten zusammengesetzt ist, welche sich gegenseitig anziehen und abstoßen, so entsteht doch immer wieder die Frage: - Was ist die Beschaffenheit dieser Einheiten? Wir müssen eine jede derselben als ein kleines Stück Stoff betrachten. Durch ein geistiges Mikroskop angesehen wird eine jede zu einer Masse, genauso wie die, die wir eben betrachtet haben. Und genau dieselben Untersuchungen können in Bezug auf die Teile angestellt werden, aus denen ein jedes Atom besteht; wobei auch genau dieselben Schwierigkeiten einer jeden Antwort im Weg stehen. Selbst wenn angenommen würde, daß das hypothetische Atom aus noch kleineren bestände, so würde die Schwierigkeit beim nächsten Schritt wiedererscheinen, und so beständig weiter fort.

Es bleibt nocht die Vorstellung BOSCOVICHs übrig. da er einsah, daß die Substanz nicht, wie LEIBNIZ vermutete, aus ausdehnungslosen Monaden zusammengesetzt sein kann (denn die Nebeneinanderstellung einer Unendlichkeit von Punkten ohne Ausdehnung könnte nicht die Ausdehnung hervorbringen, welche die Substanz besitzt), und da er die Einwände bemerkte, welche gegen die von NEWTON aufgestellte Ansicht erhoben wurden, stellte er eine dazwischen liegende Theorie auf. Diese besagt, daß die konstituierenden Teile des Stoffes Kraftmittelpunkte sind, - Punkte ohne Dimensionen -, welche einander in einer solchen Weise anziehen und abstoßen, daß sie in spezifischen Abständen voneinander gehalten werden. Und er folgert, mathematisch , daß die von derartigen Zentren besessenen Kräfte mit den Entfernungen so variieren könnten, daß die Zentren unter gegebenen Bedinungungen in einem stabilen Gleichgewicht mit bestimmten Zwischenräumen verharren würden, aber doch, unter anderen Bedingungen größere oder kleinere Abstände bewahren könnten. Diese Spekulation entgeht indessen allen oben angedeuteten Unbegreiflichkeiten nur dadurch, daß sie dieselben alle in die eine Unbegreiflichkeit aufgehen läßt, von welcher sie ausgeht. Die Idee des Widerstandes kann im Denken nicht von der Idee von Etwas, das Widerstand leistet getrennt werden. Anzunehmen, daß zentrale Kräfte in Punkten ihren Sitz haben, welche nur Stellungen haben mit nichts, was ihre Stellung bezeichnet, - Punkte, welche in keiner Beziehung von umgebenden Punkten, die keine Kraftzentren sind, unterscheidbar sind, - das geht über menschliches Können hinaus.

Obgleich aber die Vorstellung von Stoff als aus dichten, unteilbaren Einheiten bestehend symbolisch ist und trotz aller Mühe nicht realisiert werden kann, so könnte man annehmen, daß sie in den Tatsachen der Chemie eine indirekte Bestätigung findet. Es wird behauptet, daß diese die Annahme notwendig machen, die Substanz bestehe aus Teilchen mit spezifischen Gewichten und daher von spezifischen Größen. das Gesetz bestimmter Proportionen scheint unter jeder anderen Annahme außer der von der Existenz letzter Atome unmöglich zu sein; und obgleich die zusammentretenden Gewichtsverhältnisse der respektiven Elemente von den Chemikern ihre "Äquivalente" genannt werden, und zwar zu dem Zweck, eine fragliche Voraussetzung zu vermeiden, so sind wir doch nicht imstande an die Kombination solcher bestimmter Gewichtsverhältnisse zu denken ohne anzunehmen, daß sie zwischen bestimmten Molekülen stattfindet. Hiernach möchte es scheinen, als ei auf jeden Fall die Ansicht NEWTONs der von BOSCOVICH vorzuziehen. Ein Anhänger von BOSCOVICH könnte indessen erwidern, daß seines Meisters Theorie in der von NEWTON enthalten sei und in der tat gar nicht vermieden werden kann. Er könnte fragen: "Was hält die Teile dieser letzten Atome zusammen?" Sein Gegner muß antworten: "eine Kohäsionskraft." "Und was," könnte er zu fragen fortfahren, "hält die Teile irgendwelcher Bruchstücke, in welche durch eine genügende Kraft ein letztes Atom zerbrochen werden könnte, zusammen?" Die Antwort muß wiederum sein: - eine Kohäsionskraft. "Und was," mag er immer wieder fragen, "wenn das letzte Atom in Teile zerlegt worden wäre, die im Verhältnis zu ihm so klein sind, wie es selbst im Verhältnis zu einem greifbaren Stück Stoffes, - was muß jedem Teil die Fähigkeit geben, sich zu halten?" Auch hier gibt es keine andere Antwort, als - eine kohäsive Kraft. Führen wir den geistigen Prozeß weiter, wir finden keine Grenze, bis wir bei der symbolischen Vorstellung von Kraftzentren ohne Ausdehnung ankommen.

Der Stoff ist daher in seinem letzten Wesen so absolut unbegreiflich wie Raum und Zeit. Was für eine Annahme wir auch ausklügeln, sie läßt uns nichts als eine Wahl zwischen einanander entgegengesetzten Absurditäten. (2) § 17. Wird ein Körper mit der Hand gestoßen, so nimmt man wahr, daß er sich bewegt, und daßer sich in einer bestimmten Richtung bewegt: ein Zweifel an seiner Bewegung erscheint unmöglich. Und doch können wir nicht allein in diesen beiden Urteilen Unrecht haben, sondern haben es auch gewöhnlich. Hier ist beispielsweise ein Schiff, von dem wir annehmen wollen, daß es unter dem Äquator vor Anker liegt mit seinem Vorderteil nach Westen. Wenn der Kapitän vom Vorder- zum Hinterteil geht, in welcher Richtung bewegt er sich? Ostwärts ist offenbar die Antwort, eine Antwort, welche für den Augenblick ohne weitere Kritik angenommen werden mag. Jetzt wird aber der Anker gelichtet und das Schiff segelt nach Westen mit einer Schnelligkeit gleich der, mit welcher der Kapitän geht. In welcher Richtung geht er jetzt, wenn er vom Vorder- zum Hinterteil geht? Du kannst nicht sagen "nach Osten", denn das Schiff bringt ihn ebenso schnell nach Westen, als er nach Osten geht; und Du kansst aus dem umgekehrten Grund nicht sagen "nach Westen". In Bezug auf Gegenstände außerhalb des Schiffes ist er stationär, obgleich er für alle an Bord sich zu bewegen scheint. Können wir uns nun aber auf diese Schlußfolgerung verlassen? - Ist er wirklich stationär? Ziehen wir die Bewegung der Erde um ihre Axe in Betracht, so finden wir, daß er sich mit der Geschwindigkeit von 1000 Meilen in der Stunde nach Osten bewegt; es ist demnach weder jemandes Wahrnehmung, der ihn beobachtet, noch jemandes Folgerung, der die Bewegung des Schiffes in Rechnung zieht, auch nur annähernd richtig. Bei weiterer Betrachtung finden wir nun allerdings, daß diese verbesserte Folgerung nicht viel besser ist. Denn wir haben die Bewegung der Erde in ihrem Kreislauf um die Sonne nicht in Betracht gezogen. Da diese etwa 68 000 Meilen in der Stunde beträgt, so folgt, daß, angenommen die Zeit ist Mittag, er sich nicht mit der Geschwindigkeiit von 1000 Meilen nach Osten, sondern mit der Geschwindigkeit von 67 000 Meilen in der Stunde nach Osten bewegt. Und selbst jetzt haben wir noch nicht die wahre Geschwindigkeit, noch die wahre Richtung seiner Bewegung ermittelt. Mit dem Fortbewegen der Erde in ihrem Umlauf haben wir die Bewegung des ganzen Sonnensystems nach dem Sternbild des HERKULES hin zu verbinden. Wenn wir dies tun, so bemerken wir, daß er sich weder ostwärts noch westwärts bewegt, sondern in einer gegen die Ebene der Ekliptik geneigten Linie und mit einer Schnelligkeit bewegt, welche größer oder geringer (entsprechend der Zeit des Jahres) als die oben genannte ist. Und wäre die Konstitution unseres Sternensystems vollständig erkannt, so würden wir wahrscheinlich die Entdeckung machen, daß die Richtung und die Geschwindigkeit seiner faktischen Bewegung selbst von den zuletzt gemachten Angaben noch beträchtlich verschieden sind.

Es geht hieraus die Lehre hervor, daß das, dessen wir bewußt sind, nicht die wirkliche Bewegung irgendeines Gegenstandes ist, weder ihrer Geschwindigkeit noch ihrer Richtung nach, sondern nur seine Bewegung von einer gegebenen Lage aus, - etwa unserer eigenen oder irgendeiner anderen, gemessen. In diesem selben Prozeß des Schließens,daß die Bewegungen, welche wir wahrnehmen, nicht die wirklichen Bewegungen sind, nehmen wir aber doch stillschweigend an, daß es überhaupt wirkliche Bewegungen sind. Wir nehmen als ausgemacht an, daß es eine absolute Richtung und eine absolute Geschwindigkeit gibt, und finden, daß es unmöglich ist, uns von dieser Idee frei zu machen. Nichtsdestoweniger kann absolute Bewegung nicht vorgestellt, noch viel weniger erkannt werden. Abgesehen von jenen Zeichen im Raum, welche wir gewohnheitsgemäß mit ihr in Verbindung bringen, ist Bewegung undenkbar. Denn Bewegung ist Wechsel des Orts; im Raum ohne Zeichen ist ein Wechsel des Ortes aber nicht vorstellbar, weil ein Ort selbst unvorstellbar ist. Ort kann nur vorgestellt werden durch eine Beziehung auf andere Örter; und bei einer Abwesenheit von Gegenständen, welche durch den Raum zerstreut sind, könnte ein Ort nur vorgestellt werden durch die Beziehung auf die Grenzen des Raumes: daraus folgt, daß im unbegrenzten Raum kein Ort vorgestellt werden kann, - alle Örter müßten sich in gleichen Abständen von Grenzen befinden, welche nicht existieren. Während wir daher zu denken veranlaßt sind, daß es eine absolute Bewegung gibt, finden wir, daß absolute Bewegung im Denken nicht repräsentiert werden kann.

Eine weitere unüberwindliche Schwierigkeit bietet sich uns dar, wenn wir die Übertragung von Bewegung in Betracht ziehen. Die Gewohnheit macht uns blind gegen das Wunderbare dieser Erscheinung. Mit der Tatsache von Kindheit an vertraut, sehen wir in der Fähigkeit eines in Bewegung befindlichen Dinges, in einem sich im stationären Zustand befindenden Ding Bewegung hervorzubringen, nichts Merkwürdiges. Es ist indessen unmöglich, es zu verstehen. In welcher Beziehung ist ein Körper nach einem Anstoß von sich selbst vor dem Anstoß verschieden? Was ist das, was zu ihm hinzugefügt wird, was nicht merkbar irgendeine seiner Eigenschaften berührt und ihn doch instand setzt, durch den Raum zu dringen? Hier haben wir einen Gegenstand in Ruhe und hier ist derselbe Gegenstand in Bewegung. In dem einen Zustand hat er keine Neigung, seinen Ort zu wechseln, im andern aber ist er genötigt, in jedem Augenblick eine neue Lage einzunehmen. Was ist das, was für immer fortfahren wird, dieselbe Wirkung hervorzubringen, ohne erschöpft zu werden? und in welcher Weise haftet es im Gegenstand? Du sagst: die Bewegung ist mitgeteilt worden. Aber wie? - Was ist mitgeteilt worden? Der anstoßende Körper hat kein  Ding  auf den angestoßenen übertragen; und es ist gleicherweise außer Frage, daß er kein  Attribut  übertragen hat. Was hat er dann aber übertragen?

Noch einmal: es tritt uns hier das alte Rätsel in Bezug auf den Zusammenhang zwischen Bewegung und Ruhe entgegen. Ein mit einer gegebenen Geschwindigkeit sich bewegender Körper kann nicht in einen Zustand von Ruhe, oder von keiner Geschwindigkeit gebracht werden, ohne daß er alle dazwischen liegenden Geschwindigkeiten durchläuft. Es ist vollkommen möglich, an seine Bewegung als an eine sich unmerklich verlangsamenden zu denken bis sie infinitesimal wird; und Viele werden es für vergleichsweise möglich halten, von einer unendlich kleinen Bewegung zu keiner Bewegung überzugehen. Dies ist aber ein Irrtum. Man verfolge im Geist die abnehmende Geschwindigkeit so lange wie es gefällt: es bleibt doch immer noch  etwas  Geschwindigkeit; und die geringste Bewegung ist durch eine unüberschreitbare Kluft von keiner Bewegung getrennt. Wie Etwas, mag es auch noch so minutiös sein, unendlich groß ist im Vergleich mit Nichts, so ist selbst die kleinste vorstellbare Bewegung unendlich im Vergleich mit Ruhe.

Wir finden daher, daß Bewegung, weder wenn sei im Zusammenhang mit Raum, noch wenn sie in Verbindung mit Stoff betrachtet wird, noch wenn sie in Zusammenhang mit Ruhe betrachtet wird, in Wahrheit erkennbar ist. Alle Anstrengungen, ihre wesentliche Natur zu verstehen, führt uns nur auf unmögliche Alternativen im Denken.

§ 18. Beim Aufheben eines Stuhles betrachten wir die darauf verwandte Kraft als gleich der antagonstischen Kraft, welche das Gewicht des Stuhles genannt wird, und wir können uns diese beiden nicht als gleich denken, ohne sie auch als von gleicher Art zu denken; denn Gleichheit ist nur begreifbar zwischen Dingen, welche dieselbe Natur haben. Und doch ist es im Gegenteil unglaublich, daß die im Stuhl existierende Kraft der Kraft ähnlich ist, die unserem Geist vorschwebt. Es braucht kaum darauf hingewiesen zu werden, daß wir, da die Kraft als eine uns bekannte eine Affektion des Bewußtseins ist, uns die Kraft im Stuhl nicht unter derselben Form vorstellen können, ohne dem Stuhl Bewußtsein beizulegen. Es ist daher absurd, an Kraft als ansich unserer Empfindung von ihr gleich zu denken, und doch notwendig, so an sie zu denken, wenn wir sie überhaupt im Bewußtsein repräsentieren.

Wie können wir ferner den Zusammenhang zwischen Kraft und Stoff verstehen? Stoff ist uns bekannt allein durch seine Kundgebungen von Kraft: zieht man seinen mittelbar oder unmittelbar geleisteten Widerstand ab, so bleibt nichts übrig als leere Ausdehnung. Und doch ist auf der anderen Seite Widerstand losgelöst von Stoff ebenso undenkbar, - losgelöst von etwas Ausgedehntem. Es sind nicht allein der Ausdehnung entbehrende Kraftzentren unvorstellbar, wir können uns auch nicht vorstellen, daß entweder ausgedehnte oder ausdehnungslose Kraftzentren andere derartige Zentren anziehen und abstoßen ohne die Vermittlung irgendeiner Art von Substanz. Die Hypothese von NEWTON ist in gleicher Weise wie die von BOSCOVICH dem Vorwurf ausgesetz, daß sie annimmt, ein Ding wirke auf ein anderes durch den leeren Raum, - eine Annahme, welche im Denken nicht repräsentiert werden kann. Diesem Vorwurf wird allerdings dadurch begegnet, daß ein hypothetisches, zwischen den Atomen oder Zentren existierendes Fluidum eingeführt wird. Damit wird aber das Problem nicht gelöst.

Wie unmöglich es ist, der Schwierigkeit auszuweichen, zeigt sich am besten bei der Betrachtung astronomischer Kräfte. Die Sonne gibt uns die Empfindungen von Licht und Wärme, und wir haben ermittelt, daß zwischen der in der Sonne vorhandenen Ursache und der auf der Erde erfahrenen Wirkung ein Zeitverlauf von 8 Minuten eintritt: daraus ergibt sich unvermeidlich in uns die Vorstellung sowohl einer Kraft als auch einer Bewegung. Für die Annahme eines lichttragenden Äthers besteht daher die Entschuldigung, nicht allein daß die Ausübung von Kraft durch 92 Millionen Meilen eines absolut leeren Raumes unvorstellbar ist, sondern auch, daß es auch unmöglich ist, Bewegung vorzustellen bei Abwesenheit von etwas Bewegtem. Ähnlich verhält es sich in Bezug auf die Schwerkraft oder Gravitation. NEWTON selbst bezeichnet sich als außerstande, zu denken, daß die Anziehung eiens Körpers durch einen anderen in der Entfernung beim Nichtvorhandensein eines dazwischentretenden Mediums ausgeübt werden kann. Wir wollen uns nun aber einmal fragen, wie weit wir vorwärts gekommen sind, wenn ein dazwischentretendes Medium angenommen wird. Dieser Äther, dessen Undulationen nach der angenommenen Hypothese Wärme und Licht darstellen und welcher der Träger der Gravitation ist, - wie ist er gebildet? Wir müssen ihn in derselben Weise betrachten, wie ihn die Physiker gewöhnlich betrachten, als aus Atomen oder Molekülen zusammengesetzt, welche sich gegenseitig anziehen und abstoßen: sie mögen unendlich klein sein im Vergleich mit denen eines gewöhnlichen Stoffs, aber doch immer Atome oder Moleküle. Und wenn wir daran denken, daß dieser Äther imponderabel [unwägbar - wp] ist, so sind wir zu der Folgerung genötigt, daß das Verhältnis zwischen den Zwischenräumen dieser Atome und den Atomen selbst ungeheuer ist. Wir haben uns daher vorzustellen, daß diese unendlich kleinen Moleküle durch relativ ungeheure Abstände aufeinander wirken. In welcher Weise ist diese Vorstellung leichter als die andere? Wir haben uns immer wieder vorzustellen, daß ein Körpter da tätig ist, wo er sich nicht befindet, und in Abwesenheit von irgendetwas, wodurch seine Tätigkeit übertragen werden könte; und was liegt daran, ob dies in einem großen oder in einem kleinen Maßstab stattfindet? Wir sind daher zu der Folgerung genötigt, daß Stoff, mag er ponderabel oder imponderabel, mag er aggregiert sein oder aus seinen hypothetischen Einheiten bestehen, auf Stoff durch absolut leeren Raum wirkt; und doch ist diese Folgerung undenkbar.

Es muß noch eine andere Schwierigkeit der Vorstellung hinzugefügt werden, umgekehrt ihrer Natur nach, aber in gleiche Weise unüberwindlich. Wenn wir auf der einen Seite im Denken nicht einsehen können, wie Stoff durch leeren Raum auf Stoff wirkt, so ist andererseits unbegreifbar, daß die Gravitation eines Stoffteilchens nach einem anderen und nach allen andern hin ein und dieselbe sein sollte, möchte der dazwischenliegende Raum mit Substanz erfüllt sein oder nicht. Ich hebe ein Pfundgewicht vom Boden auf und fahre fort, es zu halten. In den Raum zwischen ihm und dem Boden wird nun eine Masse Stoff, von welcher Art und welchem Zustand auch immer, eingeführt, die Gravitation des Gewichts wird dadurch in keiner Weise affiziert. Jedes Teilstückchen aus der unendlichen Zahl der die Erde zusammensetzenden wirkt auf das Pfund in absolut derselben Weise, was auch dazwischen treten möge und wenn nichts dazwischen tritt. Durch 8000 Meilen von der Substanz der Erde wirkt jedes Molekül bei den Antipoden auf jedes Molekül des Gewichts, in vollständiger Gleichgültigkeit in Bezug auf das Erfülltsein oder die Leere des Raumes zwischen ihnen. Jeder Teil vom Stoff behandelt daher in seinem Verhalten zu entferntern Teilen alle dazwischen liegenden Teile, als wenn sie nicht existierten; und doch erkennt er ihre Existenz mit skrupulöser Exaktheit in seinem direkten Verhalten zu ihnen an.

Während es daher unmöglich ist, irgendeine Idee von Kraft ansich zu bilden, ist es in gleicher Weise unmöglich, ihre Art der Existenz zu verstehen.

§ 19. Wenden wir uns nun von der äußeren zur inneren Welt, so haben wir nicht sowohl die Einwirkungen in Betracht zu ziehen, denen wir unsere subjektiven Modifikationen zuschreiben, sondern die subjektiven Modifikationen selbst. Diese bilden eine Reihe. So schwierig wir es auch finden, sie deutlich zu individualisieren, so ist nichtsdestoweniger außer aller Frage, daß unsere Bewußtseinszustände aufeinanderfolgend auftretend.

Ist diese Kette von Bewußtseinszuständen unendlich oder endlich? Wir können nicht sagen unendlich; nicht allein, weil wir indirekt zu dem Schluß gelangt sind, daß es eine Periode gegeben bat, in welcher sie begonnen haben, sondern auch, weil jede Unendlichkeit unvorstellbar ist, - mit Einschluß einer unendlichen Reihe. Wenn wir  endlich  sagen, so ist dies erschlossen; denn wir haben keine direkte Kenntnis weder vom einen noch vom anderen Ende. Wir mögen in unserer Erinnerung so weit zurückgehen wie wir nur mögen, wir sind völlig außerstande, unsere ersten Bewußtseinszustände zu identifizieren. Und Ähnliches gilt für das andere Extrem. Wir können folgern, daß die Reihe in einer zukünftigen Zeit ein Ende finden wird, wir können das aber nicht direkt wissen; und wir können auch nicht wirklich das temporäre Ende erfassen, welches die Reihe im gegenwärtigen Augenblick erfahren hat. Denn der Bewußtseinszustand, den wir als unseren zuletztvorhandenen anerkennen, ist nicht wirklich unser letzter. Damit irgendeine geistige Erregung als eine aus der Reihe erkannt werden kann, muß sie erinnert werden, - in Gedanken  wieder -hergestellt, repräsentiert, nicht dargestellt, präsentiert. Der wirklich letzte Bewußtseinszustand ist der, welcher mit dem wirklichen Akt der Betrachtung eines eben vorübergegangenen Zustandes eintritt, - der, in welchem wir an den einen vor dem letzten denken. Es täuscht uns daher das nächstliegende Ende der Verändungen ebenso wie das entfernte Ende.

Es könnte aber gesagt werden: "obgleich wir nicht direkt  wissen  können, daß das Bewußtsein in seiner Dauer endlich ist, weil keines von seinen beiden Enden faktisch erreicht werden kann, so können wir es uns doch sehr wohl als solches  vorstellen."  Nein: selbst das ist nicht wahr. Wir können die Endzustände jenes Bewußtseins, welches wir allein wirklich kennen, - unseres eigenen, - ebensowenig vorstellen wie wir die Endzustände wahrnehmen können. Denn tatsächlich sind die beiden Akte hier eins. In beiden Fällen müssen solche Endzustände, wie oben gesagt wurde, nicht im Denken präsentiert, sondern repräsentiert werden, und sie müssen als im Akt ihres Eintritts repräsentiert werden. Das Ende unseres Bewußtseins als in uns selbst eintretend zu repräsentieren heißt uns im Aufhören des letzten Bewußtseinszustandes betrachtend zu denken; und das setzt eine vermeintliche Fortdauer des Bewußtseins über seinen letzten Zustand hinaus voraus, was widersinnig ist.

Während wir daher nicht imstande sind, weder anzunehmen noch zu begreifen, daß die Dauer des Bewußtseins unendlich ist, sind wir in gleicher Weise nicht imstande, es als endlich zu erkennen oder als endlich vorzustellen: wir können nur nach indirekten Beweisen folgern, daß es endlich ist.

§ 20. Wir haben aber keinen größeren Erfolg, wenn wir anstatt den Umfang unseres Bewußtseins seine Substanz betrachten. Die Frage: - Was ist das, was denkt? läßt keine bessere Lösung zu als die Frage, auf welche wir soeben nur unbegreifliche Antworten gefunden haben.

Die Existenz eines jeden Individuums als ihm selbst bekannt ist allezeit für eine der allerunbestreitbarsten Wahrheiten angesehen worden. Zu sagen: - "ich bin dessen so gewiß, wie ich gewiß bin, daß ich existiere", ist in der gewöhnlichen Sprache der emphatischste Ausdruck der Gewißheit. und diese Tatsache der persönlichen Existenz, durch das universelle Bewußtsein der Menschen bezeugt, ist zur Grundlage von mehr als einer Philosophie gemacht worden.

Dem Glauben an die Realität seiner selbst kann man in der Tat nicht entgehen, solange das normale Bewußtsein fortdauert. Was sollen wir von jenen aufeinander folgenden Eindrücken und Ideen sagen, welche das Bewußtsein konstituieren? Sind sie Affektionen eines  Geist  genannten Etwas, welches, als ihr Subjekt, das wirkliche  Ego  ist? Wenn wir das sagen, drücken wir damit aus, daß das Ego eine Entität ist. Sollen wir annehmen, daß diese Eindrücke und Ideen nicht die bloßen oberflächlichen, von irgendeiner denkenden Substanz hervorgebrachten Veränderungen sind, sondern selbst dne eigentlichen Körper dieser Substanz bilden, - sind sie einzelne die modifizierten Formen, welche dieser von Augenblick zu Augenblick annimmt? In gleicher Weise wie die vorhergehende nimmt diese Hypothese an, daß das bewußte Selbst als ein permanentes zusammenhängendes Wesen existiert; denn Modifikationen erfordern notwendigerweise etwas, das modifiziert wird. Sollen wir nun zur Stellung der Skeptiker unsere Zuflucht nehmen und folgern, daß unsere Eindrücke und Ideen selbst für uns die einzigen Existenzen sind und daß die Persönlichkeit, welche ihnen, wie man sagt, zugrunde liegt, eine Fiktion ist? Wir entgehen selbst damit nicht der Schwierigkeit, denn diese Behauptung, dem Wortlaut nach verständlich, aber in Wirklichkeit undenkbar, macht selbst die Ausnahme, welche sie zurückzuweisen vorgibt. Denn wie kann das Bewußtsein völlig in Eindrücke und Ideen aufgelöst werden, wenn ein Eindruck notwendigerweise etwas voraussetzt, was eingedrückt wird? Oder weiter, wie kann der Skeptiker, welcher sein Bewußtsein in Eindrücke und Ideen zerlegt hat, die Tatsache erklären, daß er dieselben als  seine  Eindrücke und Ideen betrachtet? Oder endlich noch weiter, wenn er, wie er muß, zugibt, daß er einen Eindruck von seiner persönlichen Existenz hat, welche Bürgschaft kann er für die Verwerfung dieses Eindrucks als eines nicht wirklichen vorweisen, während er seine sämtlichen anderen Eindrücke als wirkliche annimmt?

So unvermeidlich nun diese Ansicht ist, so ist es doch eine Ansicht, welche keine Rechtfertigung durch die Vernunft zuläßt: ja es ist faktisch eine Ansicht, welche die Vernunft, wenn sie zu einer bestimmten Antwort gedrängt wird, verwirft. Ein Schriftsteller der allerjüngsten Zeit, welcher diese Frage berührt hat, - Mr. MANSEL -, behauptet allerdings, daß wir im Bewußtsein unseres Selbst ein Stück wirklichen Wissens haben. Seine Stellung ist: "mögen die Gründer von Systemen sagen, was sie wollen, der unverfälschte Sinn der Menschheit verweigert es anzuerkennen, daß der Geist nur ein Bündel von Bewußtseinszuständen ist, wie Stoff (möglicherweise) ein Bündel fühlbarer Qualitäten ist." Diese Stellung erscheint aber für einen Kantianer nicht konsequent zu sein, welcher dem "unverfälschten Sinne der Menschheit" wenig Achtung entgegenbringt, wenn er die Objektivität des Raumes bezeugt. Überdies kann leicht nachgewiesen werden, daß eine eigentlich so zu nennende Erkenntnis des eigenen Selbst durch dieselben Denkgesetze negiert wird, welche er nachdrücklich betont. Der fundamentale Zustand alles Bewußtseins, auf welchem Mr. MANSEL in Gemeinschaft mit Sir WILLIAM HAMILTON und andern besteht, ist die Antithese von Subjekt und Objekt. Auf diesen "primitiven Dualismus des Bewußtseins", "von welchem die Erklärungen der Philosophie ausgehen müssen", gründet Mr. MANSEL seine Zurückweisung der deutschen Absolutisten. Was ist aber der sich daraus in Bezug auf das Bewußtsein des Ichs ergebende Schluß? Der geistige Akt, in welchem das Selbst erkannt wird, setzt, wie jeder andere geistige Akt, ein wahrnehmendes Subjekt und ein wahrgenommenes Objekt voraus. Wenn denn nun das wahrgenommene Selbst das Objekt ist, was ist das Subjekt, welches wahrnimmt? oder, wenn es das wirkliche Selbst ist, was denkt, welches andere Selbst kann es sein, welches gedacht wird? Offenbar stellt daher eine wirkliche Erkenntnis des Selbst einen Zustand dar, in welchem das Erkennende und das Erkannte eins sind, - in welchem Subjekt und Objekt identifiziert werden; und dies ist, wie Mr. MANSEL richtig meint, die Aufhebung von beiden.

Es ist demnach die Persönlichkeit, deren sich ein jeder bewußt ist, und deren Existenz für einen jeden eine Tatsache ist, welche alle andern an Gewißheit übertrifft, dennoch ein Ding, welches im strengen Sinn des Wortes durchaus nicht erkannt werden kann.

§ 21. Letzte wissenschaftliche Ideen sind denn sämtlich Repräsentationen von Wirklichkeiten, welche nicht verstanden werden können. Nach einem, gleichgültig wie großen Fortschritt in der Verknüpfung von Tatsachen und der Aufstellung von immer weiter und weiter umfassenden Verallgemeinerungen bleibt die fundamentale Wahrheit so weit unzugänglich wie je. Die Erklärung dessen, was erklärbar ist, macht nur die Unerklärlichkeit dessen, was zurückbleibt, deutlicher. Gleicherweise in der äußeren wie in der inneren Welt sieht sich der Mann der Wissenschaft in der Mitte beständiger Veränderungen, von denen er weder den Anfang noch das Ende entdecken kann. Wenn er sich gestattet, die Hypothese anzunehmen, daß das Universum ursprünglich in einer diffusen Form erxistierte, so findet er, daß es unmöglich ist, es vorzustellen, woher es kam, daß es so war; und wenn er gleichermaßen über die Zukunft Spekulationen anstellt, so kann er für die großartige Aufeinanderfolge von Erscheinungen, welche sich beständig vor ihm entfalten, keine Grenze angeben. Wenn er in gleicher Weise nach innen blickt, so nimmt er wahr, daß die beiden Enden des Fadens seines Bewußtseins unerreichbar sind. Keines von beiden in Gedanken repräsentiert werden. Wenn er sich ferner von der Aufeianderfolge der Erscheinungen, äußerer und innerer, zu ihrer eigentlichen Wesenheit wendet, so hat er auch hier die Spur verloren. Angenommen, er sei auf alle Fälle fähig, die Erscheinungen, Eigenschaften und Bewegungen der Dinge in Kundgebungen von Kraft in Raum und Zeit aufzulösen, so findet er doch dann wieder, daß Kraft, Raum und Zeit jenseits jenes Verständnisses liegen. Wenn ihn auch in ähnlicher Weise eine Analyse der geistigen Tätigkeiten schließlich auf Empfindungen herabführen mag, als auf die ursprünglichen Materialien, aus denen alles Denken gewoben wird, so ist er damit wenig weiter gekommen; denn er kann weder von den Empfindungen selbst noch dem, was sich der Empfindungen bewußt ist, Rechenschaft geben. Er überzeugt sich damit, daß objektive und subjektive Dinge in gleicher Weise ihrer Substanz und Entstehung nach unerforschlich sind. Nach allen Richtungen hin bringen ihn seine Untersuchungen zuletzt einem unlösbaren Rätsel gegenüber; und er erkennt immer deutlicher und deutlicher, daß es ein unlösbares Rätsel ist. Er erkennt gleichzeitig die Größe und die Kleinheit des menschlichen Intellekts, - seines Vermögens, alles, was in den Bereich seiner Erfahrung kommt, zu untersuchen, seiner Unfähigkeit, all das zu untersuchen, was seine Erfahrung übersteigt. Er  weiß  wirklich, mehr als irgendein anderer, daß in seiner letzten Wesenheit nichts erkannt werden kann.
LITERATUR: Herbert Spencer, System der synthetischen Philosophie, Band 1: Grundsätze einer synthetischen Auffassung der Dinge, Stuttgart 1901
    Anmerkungen
    1) Diejenigen meiner Leser, denen dieser Ausdruck schon früher vorgekommen ist, werden erkennen, daß er hier in einem völlig verschiedenen Sinn gebraucht wird.
    2) Lord KELVINs Hypothese von Vortex-Atomen vom wissenschaftlichen Standpunkt aus zu erörtern, liegt jenseits meiner Kenntnisse. Vom philosophischen Standpunkt aus kann ich indessen sagen, daß sie, da sie ein homogenes Medium fordert, welches im strengen Sinne kontinuierlich (nicht molekular) ist, welches inkompressibel ist, welches eine vollkommene Flüssigkeit ist in dem Sinne,, daß es keine Klebrigkeit besitzt, und welches Trägheit besitzt, von etwas ausgeht, was mir eine Unbegreiflichkeit zu sein scheint. Eine Flüssigkeit, welche Trägheit besitzt, Masse voraussetzend, und welche dennoch absolut reibungslos ist, so daß seine Teile sich untereinander bewegen ohne Verlust von Bewegung kann im Bewußtsein nicht wirklich repräsentiert werden. Selbst wenn es sich anders verhielte, betrachtet Prof. CLERK MAXWELL die Hypothese doch als unhaltbar (siehe den Artikel "Atom" in der Enzyklopädia Britannica).