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Kausalgesetz und Erfahrung
Es soll der Zweck dieser Arbeit sein, diese Auffassung auf den in gewissem Sinn allgemeinsten Satz der theoretischen Naturwissenschaft, den Kausalsatz, zu übertragen. Die unmittelbare Anregung dazu gab ein Buch, das eigentlich eine ganz entgegengesetzte Tendenz verfolgt, das scharfsinnige und in vielen Dingen ungewöhnlich vorurteilslose Werk "Naturbegriffe und Natururteile" von HANS DRIESCH. Es kommt DRIESCH darauf an zu zeigen, daß der Satz von der Erhaltung der Energie einen apriorischen Kern hat, der in nichts anderem bestehen soll als dem scharf gefaßten Kausalgesetz. Um aber die Apriorität des Energiesatzes zu erweisen, führt DRIESCH eine Reihe sehr glücklicher Argumente an, die zeigen, daß die Erfahrung den fraglichen Satz nie widerlegen kann. Diese Argumentation erinnert in ganz überraschender Weise an die POINCARÈs für seine Auffassung des Energiesatzes als Konvention. Die Übereinstimmung ist umso auffallender, als beide Autoren offenbar vollkommen unbeeinflußt voneinander schreiben. Man braucht in der Tat nur vor der Konklusion umzubiegen und die beiden anscheinend so divergierenden Ansichten gehen ineinander über. Da nun die Argumentation DRIESCHs vielfach auf das Kausalgesetz selbst anwendbar ist, sah ich darin eine neue Stütze für meine bereits bei der Lektüre POINCARÉs als notwendige Konsequenz empfundene Auffassung des Kausalgesetzes. Die These, die wir zu erweisen haben, lautet: Das Kausalgesetz, das Fundament jeder theoretischen Naturwissenschaft, läßt sich durch Erfahrung weder bestätigen noch widerlegen, aber nicht aus dem Grund, weil es eine a priori denknotwendige Wahrheit wäre, sondern weil es eine rein konventionelle Festsetzung ist. Wir wollen die Form des Kausalgesetzes zugrunde legen, die am meisten frei von undefinierten und unzweideutigen Ausdrücken ist, vielmehr nur die unvermeidlichen enthält, die direkt auf sinnliche Gegebenheiten hinweisen. Das Gesetz lautet:
Es ist aber glücklicherweise nicht der exakte Kausalsatz selbst, der in der Naturwissenschaft Anwendung findet, sondern eine Fassung desselben, die nichts exaktes, sondern nur ungefähres aussagt. Er lautet dann so:
Doch wollen wir uns hier um die aus der Begrenztheit der empirischen Systeme entspringenden Schwierigkeiten nicht kümmern, sie werden uns bald relativ unwichtig erscheinen gegenüber den Argumenten, die den Kausalsatz, wenn er auch für begrenzte Systeme streng gültig wäre, was wir von jetzt an annehmen wollen, in ein merkwürdiges Licht rücken werden. Wir hätten also ein begrenztes System, für das der Satz gilt: Folgt einmal auf den Zustand A der Zustand B, so folgt jedesmal auf A der Zustand B. In diesem Satz kommt ein einziges Wort vor, das sich nicht durch den Hinweis auf sinnliche Gegebenheiten von selbst erklärt, das Wort "Zustand". Und die Analyse dieses einen Wortes wird genügen, um den scheinbar so festgefügten Sinn des Satzes aus den Angeln zu heben. Was heißt "Zustand eines Systems?" Die naheliegendste Erklärung wäre die: Zustand nennen wir die Gesamtheit der sinnlich wahrnehmbaren Eigenschaften eines Systems. Das wäre ein klarer Sinn. Nehmen wir aber das Wort "Zustand" in diesem Sinne, so wird, wie schon einfache Beispiele zeigen, der Kausalsatz unrichtig. Nehmen wir an, das System besteht aus zwei Eisenstäben, die nebeneinander auf dem Tisch liegen. Das sei der Zustand A. Sich selbst überlassen, werden sie ruhig liegen bleiben, d. h. auf A folgt wieder A. Wenn wir aber anstelle der einen Eisenstange eine ganz gleich aussehende magnetische legen, so wird der Ausgangszustand nach unserer Definition des Wortes Zustand derselbe sein, nämlich wieder A; die Stangen werden sich aber jetzt gegeneinander bewegen, d. h. auf A folgt jetzt nicht A, sondern B. Damit wir aber doch sagen können, daß der Kausalsatz nicht verletzt ist, müssen wir sagen: Die Ausgangszustände waren nur scheinbar dieselben. Wir müssen also unter Zustand nicht nur die Gesamtheit der sinnlich wahrnehmbaren, sondern noch andere Eigenschaften verstehen, z. B. in unserem Fall die Magnetisierung. Eine Eigenschaft, die zur Definition des Zustandes gehört, nennt man eine Zustandsgröße des Systems. Wie komme ich aber dazu, den Körpern außer den sinnlich wahrnehmbaren noch andere Eigenschaften zuzuschreiben? Solche Eigenschaften, wie z. B. elektrische Ladung, chemische Affinität usw. sind Ausdrücke, die anzeigen, wie sich der Körper, der sie besitzt, in gewissen Situationen, in die ich ihn bringe, verhält. Sie sind "Inbegriffe von Möglichkeiten als Wirklichkeit gesetzt" (DRIESCH). Das heißt aber nichts anderes als: Wenn sich ein Körper in einer Situation anders verhält als ein anderer, dessen Zustand im zuerst definierten Sinn der gleiche ist, schreiben wir ihm neue Zustandsgrößen zu den sinnlich wahrnehmbaren zu. Das heißt aber wieder nichts anderes als: Wenn das Kausalgesetz nach einer Definition des Zustandes nicht erfüllt ist, definieren wir den Zustand eben so, daß das Gesetz erfüllt ist. Wenn dem aber so ist, verwandelt sich das scheinbar eine Erkenntnis aussagende Gesetz in eine bloße Definition des Wortes "Zustand". Wir können das Kausalgesetz geradezu in folgender Form aussprechen:
Dadurch, daß das Wort Zustand, das in der zuerst zugrunde gelegten Form des Kausalsatzes vorkam, erst durch den Kausalsatz definiert wird, verliert das Gesetz den Charakter eines eigentlichen Urteils, es wird zu einer Definition. Von einer Definition kann man aber weder sagen, daß sie empirisch, noch daß sie apriorisch ist, sie ist lediglich ein Werk menschlicher Willkür, die Festsetzung einer Terminologie. "Der Kausalsatz ist nur eine terminologische Festsetzung", wäre also der Schluß, zu dem unsere bisherigen Überlegungen führen. Weil aber auf diesem Gesetz die gesamte theoretische Naturwissenschaft beruth, ist auch diese selbst nichts als eine passend gewählte Terminologie. Während die experimentelle Naturwissenschaft die sinnlich gegebenen Eigenschaften der Körper und deren Veränderung beschreibt, besteht die Aufgabe der theoretischen Naturwissenschaft darin, die Körper mit den fiktiven Eigenschaften auszustatten, die erst die Geltung des Kausalgesetzes sichern, die theoretische Naturwissenschaft ist nicht Forschung, sondern gewissermaßen Umdichtung der Natur, sie ist Phantasiearbeit. Daraus erhellt sich auch, woher die sogenannte reine (d. h. apriorische) Naturwissenschaft, deren Möglichkeit schon KANT zu seiner Vernunftkritik anregte, die Sicherheit von ihrer Richtigkeit schöpft. Die Sätze der reinen Naturwissenschaft, deren oberster der Kausalsatz ist, sind darum sicher wahr, weil sie nichts sind als verkleidete Definitionen. Die reine Naturwissenschaft sagt über die empirische Natur nichts aus, sondern gibt Anweisungen zur Umdichtung der Natur und alle Argumente, die DRIESCH neuerdings wieder in so scharfsinniger Weise für die Existenz einer reinen Naturwissenschaft angeführt hat, beweisen wohl, daß es Sätze gibt, die von der Erfahrung unabhängig sind, sagen aber gar nichts darüber aus, warum sie das sind. Diese Gründe aber erhellen sich aus der oben dargelegten Auffassung vollkommen. Und so erneuert die neueste Naturphilosophie in überraschender Weise den Grundgedanken des kritischen Idealismus, daß Erfahrung nur einen Rahmen ausfüllt, den der Mensch schon von Natur aus mitbringt; nur daß die alten Philosophen diesen Rahmen für ein notwendiges Gewächs der menschlichen Organisation hielten, während wir in ihm ein Erzeugnis menschlicher Willkür erblicken. Wie oft ist nicht die Frage aufgeworfen worden: Wieso kann es kommen, daß der menschliche Verstand die äußere Natur, die doch von ihm vollkommen unabhängig ist, restlos aufarbeiten kann? Sind nicht Natur und Menschengeist etwas inkommensurables? Von unserem Standpunkt aus ist die Antwort leicht: Die Natur, welche der menschliche Geist durch die theoretische Naturwissenschaft rationalisiert, ist gar nicht die Natur, die wir durch unsere Sinne erkennen. Das Kausalgesetz und mit ihm die ganze theoretische Naturwissenschaft haben zu ihrem Gegenstand nicht die empirische Natur, sondern die fiktive Natur, von der wir oben sprachen; diese aber ist nicht nur Objekt, sondern geradezu Werk (und zwar nicht etwa Werk in irgendeinem metaphysischen, sondern in einem ganz trivialen Sinn) des Menschen, also selbstverständlich restlos von ihm erfaßbar. Auf die Grundlagen der theoretischen Naturwissenschaft kann Erfahrung und Experiment niemals eine unzweideutige Antwort geben. Wenn ich will, kann ich die Körper zur Erfüllung des Kausalgesetzes mit lauter qualitativ verschiedenen Zustandsgrößen ausstatten, ich kann Wärme, Elektrizität, Magnetismus usw. als voneinander wesentlich verschiedene Eigenschaften der Körper auffassen, wie es die moderne Energetik und auch DRIESCH tut; wenn ich will, kann ich aber auch mit weniger qualitativ verschiedenen Eigenschaften auskommen, ich kann z. B. nur Bewegung von Massen einführen, muß aber dann, um die nötige Mannigfaltigkeit zu erzielen, zu unkontrollierbaren verborgenen Bewegungen meine Zuflucht nehmen und dieser Weg führt zum rein mechanischen Weltbild, wie es schon DEMOKRIT als Ideal vorschwebte und das meist in der Form des Atomismus auftritt. Seine konsequenteste Ausbildung hat dieses rein quantitative Weltbild, das mit einem Minimum an Qualitäten auszukommen strebt, in dem Buch "Philosophie der unbelebten Materie" von ADOLF STÖHR gefunden, wo selbst die dem mechanistischen Atomismus noch anhaftenden Spezifitäten zugunsten rein geometrisch-quantitativer Schemata zurückgedrängt werden, und das als radikalste Durchführung des Programms der Atomisten eine markante Stellung in der naturphilosophischen Literatur einnimmt. In ganz anderer Weise haben wieder H. A. LORENTZ und seine Schüler ein quantitatives Weltbild geschaffen, indem sie, von den mechanistischen Überlieferungen sich loslösend, als Zustandsgrößen elektrischer Ladung, elektrische und magnetische Feldstärke einführten. So entsteht das elektromagnetische Weltbild. Zwischen all diesen läßt sich durch Erfahrung nicht eindeutig entscheiden. Das eine ist einfacher, das andere komplizierter, aber keines wahr oder falsch. Wir sehen so, daß es keineswegs eine im engeren Sinne naturwissenschaftliche Frage ist, welches Weltbild ich mir mache, daß es vielmehr mehr oder weniger nur verschiedene Ausdrücke sind, die ich für die eine Sache, die empirische Natur, gebrauche. Aber noch mehr. Dasselbe gilt für eine Frage, die seit jeher als eine sogenannte Weltanschauungsfrage gegolten hat, deren Beantwortung man in erster Linie vom Naturforscher verlangt, an der Gefühlswerte in unendlicher Zahl zu hängen scheinen und die doch nichts ist als eine Frage der Terminologie. Es ist, um hier zum Schluß wieder an das anfangs erwähnte Buch von DRIESCH anzuknüpfen, die Frage, ob die Erscheinungen des tierischen und pflanzlichen Lebens durch physikalisch-chemische Gesetzmäßigkeit erklärt werden können, die Frage, die man gewöhnlich in die Schlagworte "Vitalismus oder Mechanismus?" zusammenfaßt. Wir verdanken DRIESCH die erste klare und vorurteilslose Formulierung des Problems, das wir im Anschluß an ihn und mit Rücksicht auf das bisher gesagte folgendermaßen aussprechen: Müssen wir, um auf dem Gebiet des Lebens das Kausalgesetzes erfüllen zu können, den Körper außer den Eigenschaften (Zustandsgrößen), die wir ihnen in der Physik und Chemie zuschreiben, noch andere qualitativ verschiedenen zuschreiben? DRIESCH sucht zu beweisen, daß wir das in der Tat müssen und führt als eine den lebendigen Körpern eigentümliche Zustandsgröße die Entelechie [Die Dinge haben ihr Ziel in sich - wp] ein. Dieser Unmöglichkeitsbeweis DRIESCHs allerdings, mit den Zustandsgrößen der Physik und Chemie auszukommen, erscheint mir nicht vollkommen überzeugend. DRIESCH zeigt wohl, daß wir für die Lebensvorgänge eine spezifische Zustandsgröße annehmen können, nicht aber, daß wir es müssen. Denn es ist niemals möglich, jeden Kniff, den man in der Fiktion von verborgenen Kombinationen der anorganischen Zustandsgrößen noch erfinden wird, voraussehen zu können. Zugunsten des Vitalismus möchte ich nur bemerken, daß ebensowenig wie ich jemanden, der die Wärme als spezifische Zustandsgröße ansehen will, zwingen kann, sie für eine Bewegung kleiner Massenteilchen zu halten, ich den Anhänger der Entelechie werde zwingen können, sie durch fiktive Zustandsgrößen zu ersetzen. Doch das ist uns alles für den Zweck dieser Arbeit weniger wichtig; worauf es uns ankommt, ist, daß sich aus den biotheoretischen Arbeiten von DRIESCH, wenn wir sie von dem von uns eingenommenen Standpunkt aus betrachten, klar erhellt, daß die Frage "Mechanismus oder Vitalismus" keine Tatsachenfrage ist, keine Frage, auf die ein experimentum crucis mit Ja oder Nein antworten kann, sondern eine Frage, deren Lösung von der Findigkeit der menschlichen Phantasie abhängt und niemals eine alle Menschen überzeugende sein kann. Die Frage lautet nicht: "Ist das so oder so?", sondern "Können wir das Bild in dieser oder in jener Technik malen oder in beiden?" Mit Weltanschauung im ethisch-religiösen Sinn hat das alles gar nichts zu tun. ![]() |