p-4Ernst MeumannJoseph ChurchClara u. William Stern    
 
LEW SEMJONOWITSCH WYGOTSKI
Die kindliche Begriffsentwicklung
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Forschungsprobleme und -methoden
Ursprung des Denkens
Experimente zur Begriffsentwicklung
Gedanke und Wort
Die innere Sprache
"Ein Ding zu bezeichnen heißt für das Kind auf dieser Entwicklungsstufe, es beim Familiennamen zu nennen."

Bei der Lösung dieses Problems stützen wir uns auf eine experimentelle Methode, die man als "Methode der doppelten Darbietung" bezeichnen könnte. Ihr Wesen besteht darin, daß die Entwicklung und Tätigkeit der höheren psychologischen Funktionen mit Hilfe von zwei Reihen von Reizen untersucht werden. Eine Reihe von Reizen übt die Funktionen des Objekts aus, auf das die Tätigkeit der Versuchsperson gerichtet ist, und die andere die Funktion des Zeichens, mit dessen Hilfe diese Tätigkeit organisiert wird.

Die Durchführung dieser Methode von unserem Mitarbeiter L.S. SACHAROW soll hier nicht im einzelnen beschrieben werden. Wir können uns lediglich auf allgemeine prinzipielle Hinweise zu einzelnen Fragen beschränken. Da die vorliegende Untersuchung die Aufgabe hatte, die Rolle des Wortes und seine Bedeutung in der Begriffsbildung zu ergründen, ist das ganze Experiment in gewissem Sinn eine Umkehrung des Aufbaus der Versuche von ACH.

ACH beginnt den Versuch mit einer Lernphase, in der die Versuchsperson, der vom Versuchsleiter noch keine Aufgabe gestellt worden ist, aber sämtliche für die Lösung der späteren Aufgabe notwendigen Mittel in Form von Wörtern gegeben wurden, jeden Gegenstand aufhebt und betrachtet und dabei alle Bezeichnungen der vor ihr aufgestellten Objekte lernt.

Die Aufgabe wird also nicht am Anfang gestellt, sondern später eingeführt und so während des ganzen Experiments wiederholt. Die Mittel (Wörter) werden dagegen gleich zu Beginn in einer direkten assoziativen Verbindung mit den Reiz-Objekten gegeben. In der Methodik der doppelten Darbietung wird gerade in umgekehrter Weise verfahren. Die Aufgabe wird der Versuchsperson vom ersten Augenblick des Experiments an erläutert und bleibt im Verlauf jeder Etappe des Versuchs die gleiche.

Bei diesem Verfahren sind wir davon ausgegangen, daß die Anforderung der Aufgabe eine notwendige Voraussetzung für die Entstehung des ganzen Prozesses darstellt, aber die Mittel werden nach und nach bei jedem neuen Lösungsansatz der Versuchsperson gegeben, wenn die vorher gegebenen Wörter nicht ausreichen. Eine Lernphase fehlt gänzlich. Während wir also die Mittel zur Lösung der Aufgabe, die Wörter in eine veränderliche Größe verwandelten, machten wir die Aufgabe zu einer konstanten.

Damit erhielten wir die Möglichkeit zu untersuchen, wie die Versuchsperson die Zeichen als Mittel zur Lenkung ihrer intellektuellen Operationen verwendet, und wie der Prozeß der Begriffsbildung nach Art und Weise der Verwendung des Wortes, nach seinem funktionellen Gebrauch verläuft und sich entwickelt.

Wichtig erscheint uns dabei, daß bei einer solchen Anlage des Experiments die Begriffspyramide auf den Kopf gestellt wird. Der Lösungsverlauf im Experiment entspricht der realen Begriffsbildung, die sich nicht mechanisch summativ aufbaut wie eine Überlagerungsphotographie von GALTON, auf dem Wege des allmählichen Übergangs vom Konkreten zum Abstrakten, sondern für den die Bewegung von oben nach unten, vom Allgemeinen zum Besonderen, von der Spitze der Pyramide zu ihrer Basis ebenso charakteristisch ist wie der umgekehrte Prozeß des Aufsteigens zu den Höhen des abstrakten Denkens.

Endlich ist bei ACH von wesentlicher Bedeutung, daß der Begriff nicht in seiner statischen und isolierten Form untersucht wird, sondern in den lebendigen Denkprozessen, so daß die ganze Untersuchung in eine Reihe von Etappen zerfällt, in denen Begriffe mit dieser oder jener Funktion in den Denkprozessen enthalten sind. Am Beginn steht die Erarbeitung des Begriffs, dann die Übertragung des erarbeiteten Begriffs auf neue Objekte, darauf die Benutzung des Begriffs im freien Assoziieren und schließlich die Anwendung des Begriffs bei der Urteilsbildung und die Bestimmung neu erarbeiteter Begriffe.

Das gesamte Ergebnis verlief folgendermaßen: Vor der Versuchsperson wurden auf einem in einzelne Felder eingeteilten Brett in bunter Anordnung Reihen von Figuren verschiedener Farben und Formen, Höhen und Dimensionen aufgebaut. Die Figuren in Abb.1 schematisch dargestellt. Vor der Versuchsperson wird eine Figur aufgedeckt, auf deren Rückseite sie ein "sinnloses" Wort liest.

Abb.1 - Untersuchung der Begriffsbildung. Methodik von L.S. SACHAROW







Die Versuchsperson wird aufgefordert, auf das nächste Feld alle die Figuren zu stellen, auf denen vermutlich dasselbe Wort steht. Nach jedem Versuch, die Aufgabe zu lösen, kontrolliert der Versuchsleiter und deckt eine neue Figur auf, die entweder die gleiche Bezeichnung trägt wie eine der bereits vorher aufgedeckten, dabei aber in einigen Merkmalen von ihr verschieden, in anderen dagegen ähnlich ist. Oder die neue Figur trägt ein anderes Zeichen und ist dabei wiederum einer vorher aufgedeckten Figur in mancher Beziehung ähnlich, in anderen dagegen von ihr unterschieden.

So vergrößert sich nach jedem neuen Lösungsversuch die Zahl der aufgedeckten Figuren und gleichzeitig auch die Zahl der sie benennenden Zeichen. Der Versuchsleiter kann so verfolgen, wie sich in Abhängigkeit davon der Charakter der Lösung der Aufgabe ändert, die in allen Phasen des Versuchs die gleiche bleibt. Die Wörter stehen auf denjenigen Figuren, die sich auf ein und denselben durch das betreffende Wort bezeichneten gemeinsamen künstlichen Begriff beziehen.


II.

In unserem Laboratorium wurden Untersuchungen der Begriffsbildung von L.S. SACHAROW begonnen und von uns in Zusammenarbeit mit J.W. KOTOLOWA und J.I. PASCHKOWSKAJA fortgesetzt und zu Ende geführt. Durch diese Untersuchungen wurden ingesamt über 300 Personen erfaßt - Kinder, Jugendliche und Erwachsene, sowie Personen, die an pathologischen Störungen der intellektuellen und Sprachtätigkeit litten.

Vom genetischen Standpunkt kann aus unserer Untersuchung folgende allgemeine Gesetzmäßigkeit formuliert werden:
Die Entwicklung der Prozesse, die in der Folge zur Begriffsbildung führen, beginnt schon in der frühen Kindheit, aber erst im Übergangsalter reifen, formen und entwickeln sich die intellektuellen Funktionen, die in einer spezifischen Beziehung die psychologische Grundlage der Begriffsbildung abgeben.
Erst wenn das Kind in das Jugendalter eintritt, wird der entscheidende Übergang zum Begriffsdenken möglich. Vor diesem Zeitpunkt haben wir es mit Denkbildern zu tun, die äußerlich echten Begriffen ähnlich sehen und infolge dieser äußerlichen Ähnlichkeit bei oberflächlicher Betrachtung das Vorhandensein echter Begriffe bereits in einem sehr frühen Alten vortäuschen können. Diese intellektuellen Gebilde sind in funktioneller Hinsicht tatsächlich den bedeutend später auftretenden echten Begriffen äquivalent.

Das bedeutet, daß sie bei der Lösung ähnlicher Aufgaben eine den Begriffen ähnliche Funktion ausüben, aber das Experiment zeigt, daß diese Begriffsäquivalente ihrer psychologischen Natur, ihres Aufbaus und ihrer Wirkungsweise nach sich zu den Begriffen genau so verhalten wie der Keim zum reifen Organismus. Beide einander gleichzusetzen heißt, den Entwicklungsprozeß zwischen Anfangs- und Endstadium zu ignorieren.

Die Gleichsetzung der im Übergangsalter auftretenden intellektuellen Operationen mit dem Denken eines dreijährigen Kindes ist ebenso wenig begründet wie die Leugnung der Tatsache, daß das zweite Schulalter das Stadium der Pubertät ist, nur weil Elemente einer zukünftigen Sexualität bereits im Säuglingsalter zu Tage treten können. Wir wollen nun in allgemeinen Zügen die psychologische Natur der Begriffsbildung erklären und zeigen, warum erst der Jugendliche dazu gelangt, diesen Prozeß zu beherrschen.

Das Experiment hat gezeigt, daß der funktionale Gebrauch des Wortes oder eines anderen Zeichens als Mittel zur aktiven Lenkung der Aufmerksamkeit, zur Gliederung und Aussonderung der Merkmale, zu ihrer Abstrahierung und Synthese ein notwendiger Teil des Gesamtprozesses ist. Die Begriffsbildung oder die Tatsache, daß ein Wort eine Bedeutung annimmt, ist das Resultat einer komplexen aktiven Tätigkeit (das Operieren mit einem Wort oder Zeichen), an der alle intellektuellen Funktionen in einem spezifischen Zusammenhang beteiligt sind.

Die Untersuchung zeigt, daß die Begriffsbildung ein besonderes Denkverfahren darstellt, und daß der die Entwicklung dieses neuen Denkverfahrens bestimmende Faktor nicht die Assoziation ist, wie viele Autoren annehmen, nicht die Aufmerksamkeit (MÜLLER), nicht das Urteil und die Vorstellung (K. BÜHLER), nicht die determinierende Tendenz (ACH), - alle diese Momente sind an der Begriffsbildung beteiligt, aber keines von ihnen kann in angemessener Weise die Entstehung der neuen qualitativ eigenständigen und nicht auf andere elementare intellektuelle Operationen zurückführbare Denkform erklären.

Alle diese Prozesse machen im Übergangsalter eine bestimmte merkliche Veränderung durch, weil die elementaren intellektuellen Funktionen keine wirklichen Neuerwerbungen des Übergangsalters darstellen. In bezug auf die elementaren Funktionen besteht die Meinung zu Recht, daß im Intellekt des Jugendlichen im Vergleich zum Kind nichts prinzipiell Neues auftritt und daß wir vor einer kontinuierlichen Entwicklung der gleichen Funktionen stehen, die sich bereits früher herausgebildet haben und nun gereift sind.

Alle gewöhnlich aufgeführten elementaren psychologischen Prozesse sind an der Begriffsbildung beteiligt, aber in völlig anderer Form. Sie entwickeln sich nicht selbständig nach eigenen Gesetzmäßigkeiten, sondern mit Hilfe eines Zeichens oder eines Wortes als vermittelte Prozesse, die auf die Lösung einer bestimmten Aufgabe gerichtet und in eine neue Synthese gebracht sind, in der jeder Einzelprozeß erst seine wahre funktionelle Bedeutung erlangt.

Für das Problem der Begriffsentwicklung bedeutet dies, daß weder die Anhäufung von Assoziationen, noch die Entwicklung des Umfangs und der Stetigkeit der Aufmerksamkeit, noch die Anhäufung von Vorstellungsgruppen, noch die determinierende Tendenzen zur Begriffsbildung führen können. Ein Begriff ist unmöglich ohne Wörter, das begriffliche Denken ist unmöglich außerhalb des sprachlichen Denkens; ein neues wesentliches Moment dieses ganzen Prozesses ist der spezifische Gebrauch des Wortes, die funktionale Anwendung eines Zeichens als Mittel zur Begriffsbildung.

Wir haben bereits ausgesagt, daß die Aufgabenstellung und das Entstehen des Bedürfnisses nach der Bildung eines Begriffs zwar den Prozeß der Lösung zu gewährleisten vermögen, mit Hilfe der gestellten Aufgaben, mit Hilfe der dem Jugendlichen gesetzten Ziele wird dieser aber von seiner sozialen Umwelt angeregt und gezwungen, diesen entscheidenden Schritt in der Entwicklung seines Denkens zu tun.

Zum Unterschied von der Reifung der Instinkte und der angeborenen Triebe liegt die den Beginn des Prozesses bestimmende Triebkraft, die irgendeinen reifenden Mechanismus in Gang setzt und ihn zu weiterer Entwicklung drängt, nicht innerhalb, sondern außerhalb des Jugendlichen. Die dem reifenden Jugendlichen von der sozialen Umwelt gestellten kulturellen, beruflichen und gesellschaftlichen Aufgaben sind sehr wichtig und weisen immer wieder auf die wechselseitige Bedingtheit, die organische Verbundenheit und die innere Einheit von Inhalt und Form in der Entwicklung des Denkens hin.

Wenn die Umwelt nicht die entsprechenden Aufgaben schafft, keine neuen Forderungen stellt und nicht mit Hilfe neuer Ziele die Entwicklung des Intellekts anregt, gelangt das Denken des Jugendlichen nicht zu seinen höchsten Formen oder erreicht sie sehr verspätet.

Aber es wäre auch falsch, hierin die kausal-dynamische Entwicklung, die Aufdeckung des Entwicklungsmechanismus selbst zu sehen.

Wir stehen vor der Aufgabe, den inneren Zusammenhang beider Momente zu begreifen und die genetisch mit dem Übergangsalter verbundene Begriffsbildung als Funktion der sozial-kulturellen Entwicklung des Jugendlichen aufzudecken, die sowohl den Inhalt als auch die Verfahren seines Denkens umfaßt. Die neue signifikative Verwendung des Wortes, d.h. seine Verwendung als Mittel der Begriffsbildung, ist die naheliegende psychologische Ursache für die intellektuelle Veränderung an der Grenze zwischen Kindes- und Übergangsalter.

Wenn in dieser Phase keine neue, von den früheren verschiedene elementare Funktion auftritt, wäre es falsch, daraus zu folgern, daß die elementaren Funktionen keine Veränderungen durchmachen. Sie gehen eine neue Synthese ein, treten in ein neues Ganzes ein, dessen Gesetzmäßigkeiten auch das Schicksal jedes einzelnen Teils bestimmen. Die Begriffsbildung setzt die Beherrschung des Verlaufs der eigenen psychologischen Prozesse mit Hilfe des funktionalen Gebrauchs des Wortes oder des Zeichens voraus. Diese Beherrschung des eigenen Verhaltens unter Verwendung von Hilfsmitteln entwickelt sich in endgültiger Form erst beim Jugendlichen.

Das Experiment zeigt, daß die Begriffsbildung nicht mit dem Erwerb irgendeiner Fertigkeit identisch ist. Die Untersuchung der Begriffsbildung bei Erwachsenen, der Entwicklung der Begriffe im Kindesalter und das Studium ihres Zerfalls bei pathologischen Störungen der intellektuellen Tätigkeit lassen uns annehmen, daß die von THORNDIKE vertretene Identität der psychologischen Natur höherer intellektueller Prozesse mit elementaren, rein assoziativen Prozessen der Herstellung von Kopplungen oder von Fertigkeiten in krassem Widerspruch zu den Tatsachen über die Zusammensetzung, die Struktur und die Entwicklung der Begriffsbildung steht.

Die Untersuchungen zeigen übereinstimmend, daß die Begriffsbildung ebenso wie jede höhere Form intellektueller Tätigkeit einen neuen, qualitativ nicht auf irgendeine Quantität assoziativer Verbindungen reduzierbaren Tätigkeitstypus darstellt, der sich vor allem durch den Übergang von den unmittelbaren intellektuellen Prozessen zu den mit Hilfe von Zeichen vermittelten Operationen auszeichnet.

Unsere Untersuchung zeigt schematisch, daß die Entwicklung von Begriffen im wesentlichen in 3 Stufen vor sich geht, von denen jede wiederum in mehrere Einzeletappen oder -phasen zerfällt.

Die erste im Verhältnis des Kleinkindes am häufigsten auftretende Stufe der Begriffsbildung besteht in der Herstellung einer ungestalteten und ungeordneten Vielheit, die bei einer Aufgabe, die Erwachsene gewöhnlich durch die Bildung eines neuen Begriffs lösen. Diese herausgelöste Anhäufung von Gegenständen, die ohne ausreichende innere Begründung, ohne ausreichende, ohne ausreichende innere Verwandtschaft und Beziehung zwischen ihren Bestandteilen verbunden werden, setzt eine diffuse, ungerichtete Ausdehnung der Wortbedeutung oder des dafür gesetzten Zeichens auf eine Reihe von Elementen voraus, die beim Kind zwar äußerlich, aber innerlich untereinander unverbunden sind.

Die Bedeutung des Wortes besteht auf dieser Entwicklungsstufe in der völlig unbestimmten, "ungestalteten synkretischen (emotional-subjektiv verbundenen) Verkettung einzelner Gegenstände", die sich auf irgendeine Weise in der Vorstellung und Wahrnehmung eines Kindes miteinander zu einem einzigen zusammenhängenden Bild verbunden haben. Bei der Entstehung dieses Bildes spielt der Synkretismus der kindlichen Wahrnehmung oder Handlung eine entscheidende Rolle, weshalb dieses Bild auch äußerst labil ist.

Bekanntlich tritt beim Kinde in der Wahrnehmung, im Denken und in der Handlung die Tendenz auf, durch einen einzigen Eindruck der verschiedenartigsten und miteinander in keinem inneren Zusammenhang stehenden Elemente zu verbinden und dabei zu einem ungegliederten Bild verschmelzen zu lassen. CLAPARÈDE bezeichnete diese Tendenz als Synkretismus, BLONSKI als "zusammenhanglosen Zusammenhang" des kindlichen Denkens. Wir haben gleiche Erscheinungen an anderer Stelle als die Tendenz des Kindes beschrieben, den Mangel an objektivem Zusammenhang durch ein Übermaß an subjektivem zu ersetzen und die Zusammenhänge der Eindrücke und Gedanken für einen sachlichen Zusammenhang der Dinge zu halten.

Diese Überproduktion subjektiver Beziehungen ist als Faktor der Weiterentwicklung des kindlichen Denkens von großer Bedeutung, da sie die Grundlage für den weiteren Prozess der Auswahl von Beziehungen ist, die der Wirklichkeit entsprechen und durch die Praxis überprüft sind. Die Bedeutung irgendeines Wortes auf dieser Stufe der Begriffsbildung kann äußerlich aber an die Bedeutung des Wortes bei einem Erwachsenen erinnern.

Mit Hilfe von Wörtern, die eine Bedeutung besitzen, stellt das Kind die Kommunikation mit den Erwachsenen her; in den mit Hilfe von Wörtern gebildeten ungeordneten synkretischen (emotional-subjektiv verbundenen) Anhäufungen von Dingen spiegeln sich in beträchtlichem Maße auch die objektiven Beziehungen wider, wenn sie mit den Beziehungen der Eindrücke und Wahrnehmungen des Kindes zusammenfallen. Daher können die Bedeutungen der kindlichen Wörter zu einem gewissen Teil in vielen Fällen besonders dann, wenn sie sich auf konkrete Dinge der Umwelt des Kindes beziehen -, mit den Bedeutungen der gleichen Wörter im Sprachgebrauch der Erwachsenen zusammenfallen.

Die Bedeutung ein und desselben Wortes beim Kinde und beim Erwachsenen überschneidet sich häufig in ein und demselben konkreten Ding; und das ist für das gegenseitige Verstehen zwischen Erwachsenen und Kindern ausreichend. Aber die Wege, auf denen das Denken des Erwachsenen und des Kindes zu dem Schnittpunkt gelangt sind, sind verschieden, selbst dort, wo die Bedeutung des kindlichen Wortes sich teilweise mit der Bedeutung in der Sprache der Erwachsenen deckt, geht sie psychologisch aus verschiedenen Operationen hervor.

Diese Stufe zerfällt ihrerseits in drei Etappen: Die erste Etappe der Bildung des synkretischen Abbildes oder der einer Wortbedeutung entsprechenden Zusammenfassung von Dingen, fällt mit der Phase zusammen, "in der das Versuch-Irrtum-Prinzip" im kindlichen Denken dominiert. Das Kind faßt eine Gruppe neuer Dinge aufs Geratewohl mit Hilfe einzelner Probierversuche zusammen, die sich dann ablösen, wenn ein vorhergehender Versuch falsch war.

Diese Etappe wird durch eine zweite abgelöst, in der die räumliche Anordnung der Figuren (bezogen auf unser Experiment), d.h. also wiederum die rein synkretischen Gesetze der Wahrnehmung des Gesichtsfeldes und die Organisation der kindlichen Wahrnehmung eine entscheidende Rolle spielen. Das synkretische (emotional-subjektiv verbundene) Bild oder die Zusammenfassung von Gegenständen bildet sich auf der Grundlage von "räumlichen und zeitlichen Begegnungen" einzelner Elemente, eines unmittelbaren Kontakts oder einer komplizierten Beziehung, die im unmittelbaren Wahrnehmungsprozeß zwischen ihnen entsteht.

Wesentlich für diese Etappe bleibt, daß sich das Kind nicht durch die von ihm in den Dingen entdeckten objektiven Zusammenhänge leiten läßt, sondern von der subjektiven Optik. Die Gegenstände werden nicht auf Grund gemeinsamer, ihnen eigener und vom Kind herausgelöster Merkmale in eine Reihe gebracht und unter eine gemeinsame Bedeutung zusammengeführt, sondern auf Grund äußerer Verwandtschaft, die im Eindruck des Kindes zwischen ihnen hergestellt wird.

Die dritte Etappe dieser Stufe stellt den Übergang zur zweiten Stufe in der Begriffsbildung dar. Es ist die Etappe, in der das einem Begriff äquivalente synkretische Bild dadurch entsteht, daß "die Repräsentationen der verschiedenen, vorher in der Wahrnehmung des Kindes bereits verbundenen Gruppen zu einer einzigen Bedeutung geführt werden."

Jedes der einzelnen Elemente der neuen synkretischen Reihe oder Zusammenfassung vertritt irgendeine in der Wahrnehmung des Kindes vorher vereinigte Gruppe von Dingen, aber alle zusammen sind innerlich unverbunden und stellen eine ebenso zusammenhanglose Anhäufung dar wie die Begriffsäquivalente der zwei vorangegangenen Etappen.

Der Unterschied besteht darin, daß die Zusammenhänge, die das Kind der Bedeutung eines neuen Wortes zu Grunde legt, das Ergebnis einer zweistufigen Bearbeitung sind; zuerst bilden sich die synkretischen Gruppen, aus denen sich dann die einzelnen Präsentationen herauslösen und wieder synkretisch vereinigt werden. Hinter der Bedeutung eines kindlichen Wortes wird jetzt nicht mehr eine Ebene, sondern eine Perspektive, eine zweifache Gruppierung sichtbar. Doch dieser doppelte Bau geht immer noch nicht über die Zusammenfassung einer ungeordneten Vielheit oder bildhaft ausgedrückt, einer Anhäufung hinaus.

Das Kind, das diese dritte Etappe erreicht hat, bringt damit die ganze erste Stufe in der Entwicklung seiner Begriffe zum Abschluß, trennt sich von der Anhäufung als der Grundform der Wortbedeutung und tritt auf die zweite Stufe, die wir als Stufe der Komplexbildung bezeichnen möchten.

***
Die zweite Stufe der Begriffsentwicklung umfaßt viele in funktioneller, struktureller und genetischer Hinsicht verschiedenartige Typen ein und desselben Denkverfahrens. Dieses Denkverfahren führt ebenfalls zur Herstellung von Beziehungen zwischen verschiedenen konkreten Eindrücken, zur Vereinigung und Verallgemeinerung einzelner Gegenstände, zur Ordnung und Systematisierung der gesamten Erfahrungen des Kindes.

Aber das Verfahren, nach dem die verschiedenen konkreten Gegenstände gruppiert werden, der Charakter der dabei hergestellten Zusammenhänge, die Struktur der entstehenden Einheiten, die durch die Beziehung jedes einzelnen zu der Gruppe gehörigen Wesens oder Dings, zur Gruppe als Ganzer gekennzeichnet ist, all das unterscheidet sich grundlegend vom Denken in Begriffen, die sich erst in der Pubertät entwickeln.

Die Eigenart dieses Denkverfahrens könnte durch die Bezeichnung "Denken in Komplexen" ausgedrückt werden.

Die auf diese Weise erfolgten Verallgemeinerungen stellen ihrer Struktur nach "Komplexe einzelner konkreter Gegenstände" oder Dinge dar, die nicht mehr nur auf Grund subjektiver Beziehungen vereinigt worden sind, sondern aufgrund der tatsächlich zwischen diesen Gegenständen bestehenden, objektiven Beziehungen.

Während die erste Stufe in der Entwicklung des Denkens durch den Aufbau synkretischer Bilder gekennzeichnet ist, die beim Kinde Äquivalente unserer Begriffe sind, wird die zweite Stufe durch den Aufbau von Komplexen charakterisiert, die die gleiche funktionelle Bedeutung haben. Das ist ein neuer Schritt in der Denkentwicklung des Kindes. Der Übergang besteht darin, daß das Kind anstelle der dem synkretischen Bild zu Grund liegenden "zusammenhanglosen Zusammenhänge" beginnt, homogene Gegenstände in einer gemeinsamen Gruppe zu vereinigen und sie nun bereits nach den Gesetzen der von ihm in den Dingen entdeckten objektiven Beziehungen in Komplexen zusammenzufassen.

Auch das Denken des Erwachsenen ist voller Überreste des komplexen Denkens. Ein gutes Beispiel für den Aufbau eines Denkkomplexes ist in unserer Sprache der "Familienname". Jeder Familienname, z.B. der Name "Petrow", umfaßt einen solchen Komplex von Einzelwesen, der dem Komplexcharakter des kindlichen Denkens am nächsten kommt. Man könnte sagen, daß das auf dieser Stufe stehende Kind gewissermaßen in Familiennamen denkt, oder die Welt der Einzeldinge wird für das Kind dadurch verallgemeinert und organisiert, daß sie sich in einzelne, untereinander verbundene Familiennamen gliedert.
LITERATUR - Lew S. Wygotski, Denken und Sprechen, Berlin 1906