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Über die Schranken der menschlichen Erkenntnis
In dieser Untersuchung ist nicht die Frage von den individuellen und zufälligen Grenzen des menschlichen Verstandes, die ins Unendliche mannigfaltig und abwechselnd sein können und wirklich sein; mannigfaltig in den verschiedenen Stufen der Kultur der Vernunft vom stupiden Feuerländer bis zum aufgeklärtesten Europäer, abwechselnt von einem unmündigen Kind bis zum verständigsten Mann. Es frägt sich, welches sind die allgemeinen wesentlichen Schranken, die der menschliche Verstand, auf keiner Stufe seiner Vervollkommnung, durch keine Anstrengung seiner Kräfte, überschreiten kann. Man kann die Frage auch so ausdrücken, von welchen Gegenständen ist es der menschlichen Vernunft möglich, eine gewisse Erkenntnis zu erhalten? Man kann die Frage auch so ausdrücken, von welchen Gegenständen ist es der menschlichen Vernunft möglich, eine gewisse Erkenntnis zu erhalten? von welchen ist es ihr hingegen unmöglich? Wer die ersteren durch einen kennbaren allgemeinen Charakter bezeichnet, wodurch sie sich von den letzteren unterscheiden würde, und aus diesem Charakter die Erkennbarkeit der ersteren, so wie die Unmöglichkeit die letzteren zu erkennen herleitet, der würde die Schranken des menschlichen Verstandes durch die bestimmteste Grenzlinie angegeben haben. Diese Grenzlinie ist nun von jeher sehr verschieden gezogen worden; die skeptische Philosophie bedurfte gar keine, denn sie hielt keine Erkenntnis für gewiß; die dogmatische bezeichnete ihr Gebiet bald mit weiten, bald mit engen Schranken, ein grenzenloses Gebiet hat sie sich nicht angemaßt. Es ist ein unbegründeter Vorwurf, den man dieser Philosophie macht, daß sie ihre Herrschaft über alle Gegenstände ausdehnt, daß sie allen Zweifel ausschließt und sich alles mögliche mit Gewißheit zu wissen anmaßt. Sie ist der skeptischen Philosophie entgegengesetzt, die an allem zweifelt, und um sich von dieser zu unterscheiden, braucht sie nicht allen Zweifel zu verwerfen, alle Grenzen der gewissen Erkenntnis zu leugnen, sie kann diese Grenzen bald eng, bald weitumfassend bezeichnen. Sie ist ebenso ungerecht, der Philosophie einen allgemeinen Dogmatismus vorzuwerfen, die dem Gebiet ihrer gewissen Erkenntnis einen weiteren Umfang gibt, als diejenige mit dem verdächtigen Namen des Skeptizismus zu brandmarken, die ihre Schranken enger zusammenzieht. Durch alle diese Beschuldigungen und Gegenbeschuldigungen wird in der Sache selbst nichts ausgemacht; man sollte diese Art zu streiten den Sachwaltern mißlicher Rechtsstreite überlassen; der philosophische Schriftsteller sollte sich an die Untersuchung der Sache halten, die durch solche Mittel in nichts erleichtert wird. Also: wer kein Skeptiker ist, der ist ein Dogmatiker, und es fragt sich nur, wie weit er es ist. Das wird von den weiteren oder engeren Grenzen abhängen, worin er seine gewisse Erkenntnis einschließt. Eine kurze Übersicht der philosophischen Systeme im Hinblick auf diese Grenzbestimmung wird vielleicht nicht ohne Nutzen sein, um uns der richtigen Ausmessung des unbestrittenen Gebietes eines vernünftigen Dogmatismus näher zu bringen. Es muß, auf den ersten Anblick, nicht wenig befremden, wenn man bemerkt, daß der älteste Dogmatismus in seinem Gebiet gerade die Gegenstände befaßt, die die neueste Philosophie von dem ihren ausschließt, und diejenigen davon ausschließt, auf die die letztere das ihrige einschränkt. PLATO und ARISTOTELES schlossen die Gewißheit von aller Sinnenerkenntnis aus, und beschränkten sie bloß auf die Region der unsinnlichen oder Verstandesiden; die neueste Philosophie verbannt sie aus dieser Region und nimmt sie bloß in der Sinnenwelt auf. So blieben die Sachen mit mehr oder weniger Veränderungen bis zum Anfang des vorigen Jahrhunderts, da BACON die Logik mit den Regeln der Erfahrungskunst bereicherte. Bis dahin hatte man nur die Form der Vernunfterkenntnis bearbeitet und sich in Anbetracht der Gewißheit ihrer Materie an das gehalten, was PLATO und ARISTOTELES darüber philosophiert hatten; und dabei hatte es auch BACON belassen. Der erste, der an die Materie der Vernunfterkenntnis dachte, war DESCARTES. Er suchte zuerst ein Kennzeichen auf, woran sich die wahren Begriffe von den falschen unterscheiden lassen, und glaubte es in der Begreiflichkeit derselben gefunden zu haben. Damit war nun zwar die Innschrift am Tempel der Wahrheit entdeckt, allein sie war nicht lesbar; DESCARTES hatte gelehrt, daß das Begreifliche wahr ist, er hatte aber nicht gesagt, woran sich das Begreifliche erkennen läßt. Indessen ließt es sich wohl noch erraten, daß die Begreiflichkeit der zusammengesetzten Begriffe in der Kompossibilität [Zusammensetzbarkeit - wp] ihrer Merkmale besteht. Die zusammengesetzten Begriffe setzen aber einfache voraus, woraus sie zusammengesetzt sind. Was sind das für welche? und wie erhalten wir sie? Auf die erste Frage antwortete DESCARTES: der einfachste Begriff, worauf sich alles in den Körpern auflösen läßt, ist die Ausdehnung, in den Geistern der Gedanke. Das drückte er in seiner Sprache aus: das Wesen des Körpers ist Ausdehnung; des Geistes, Gedanke. Die erstere ware also die allgemeine Materie seiner zusammengesetzten Begriffe von Körpern und ihren Erscheinungen, und der letztere von Geistern, ihren Eigenschaften und Wirkungen; alle Veränderungen der Körper waren also Modalitäten der Ausdehnung, alle Veränderungen der Geister Modifikationen des Gedankens oder der Perzeptionen. Aus dieser Materie mußten nun alle Begriffe nach den Gesetzen des Begreiflichen zusammengesetzt sein; diese waren also die Gesetze der Form. Welches sind aber diese Gesetze der Form des Denkens? Das blieb noch immer im Dunkeln. Die Gesetze der Form der Erkenntnis waren in der aristotelischen Philosophie in den Regeln ihrer Syllogistik enthalten. Diese enthielt Regeln für die kategorischen und bedingten Vernunftschlüsse, bei den letzteren liegt der Satz des zureichenden Grundes, bei den ersteren der Satz des Widerspruchs zugrunde; denn das Gesetz der Schlüsse vom Allgemeinen auf das Besondere ist weiter nichts als ein besonderer Fall, der unter dem allgemeineren Gesetz des Widerspruchs enthalten ist. Wenn der Enthusiasmus, auch der philosophische Enthusiasmus, es über sich gewinnen könnte, seiner auch noch so gegründeten Liebe des Neuen nicht, ohne Prüfung, alles Alte aufzuopfern: so würde eine sorgfältige Zergliederung der Regeln der aristotelischen Syllogistik auf die ersten Gesetze der Form der Erkenntnis hinausgeführt haben. So aber ließ man diese Regeln, für deren Brauchbarkeit, bei Strafe für einen scholastischen Pedanten gehalten zu werden, kein Wort mehr reden durfte, ganz auf der Seite liegen, und erschöpfte allen seinen Fleiß auf die Bearbeitung des Stoffs der menschlichen Erkenntnis. Ein Hauptgebrechen, welches die naturforschenden Metaphysiker der kartesianischen Philosophie vorwarfen, war, daß sie die einfachen Begriffe der äußeren Sinne, oder, nach der Sprache der kartesianischen Schule, das Wesen der Körper nicht vollständig genug angegeben hätte. Während man sich über diesen Teil des kartesianischen Systems stritt, trat ein logischer, oder, wenn man lieber will, ein kritischer Metaphysiker auf, der der ganzen Untersuchung eine neue Wendung gab. Da man in den Schulen der Philosophie bis auf den des DESCARTES immer mehr die Form der Erkenntnis bearbeitet hatte, so war es ein wichtiger Schritt zu ihrer größeren Vollkommenheit, daß LOCKE in seinem berühmten Werke vom menschlichen Verstand sich vorzüglich mit der Aufklärung und Berichtigung ihrer Materie beschäftigte. Daß er darüber die Form ganz vergaß, daß er selbst ihre Gesetze zum Teil ganz für unnötig erklärte, das wollen wir ihm jetzt nicht zum Verbrechen machen, da es bei uns steht, diesen Mangel zu ergänzen, und das Brauchbare, was seine Vorgänger darüber enthalten, wieder hervorzuziehen. Der Weg, den er betrat, um den Inbegriff der Ideen aufzufinden, war allerdings der rechte, aber er verfolgte ihn nicht weit genug. Er bemerkte ganz richtig, daß man, um alle Arten der Ideen, die den gesamten Stoff der menschlichen Erkenntnis ausmachen, a priori zu bestimmen, sie nach den Erkenntnisvermögen der Seele klassifizieren muß. Indem er aber in dieser Klassifikation bloß bei den Sinnen stehen blieb, die ihm, in seinen Sensations- und Reflexionsideen, bloß Ideen der unmittelbaren äußeren und inneren Erfahrung gaben, indem er im Verstand und der Vernunft die unleugbaren Quellen wahrer Ideen übersah: so mußte seine Klassifikation notwendig unvollständig werden. Hier stehen wir bei der Epoche, womit die neuen Grenzbestimmungen der menschlichen Erkenntnis anheben. Die Schranken derselben mußten nun enger gezogen werden, da ihre Materie so sehr zusammengezogen wurde. Es währte auch nicht lange, so begann der Idealismus auf diesem bequemen Grund sein lustiges Gebäude aufzuführen. LOCKE schien die Folgen seiner Ideenlehre nicht gesehen zu haben, oder er hatte sich, um nicht dem gemeinen Verstand zu verfallen, so gut aus der Sache geholfen, als er konnte, und der gemeine Verstand hatte sich seine Behelfe gefallen lassen. Allein was er entweder nicht gesehen hatte, oder nicht hatte sehen wollen, das sahen andere. Wenn es keine anderen Ideen gibt, als die Sensations- und Reflexionsideen, so folgt notwendig, daß alles Wirkliche bloß Veränderung ist, daß es also nichts Selbständiges gibt. Denn alle äußeren Empfindungen sind bloße Vorstellungen von Veränderungen der Körper, alle Wahrnehmung des inneren Sinnes sind nichts anderes als Wahrnehmungen unseres Erkennens und Begehrens. Mit diesen Prämissen brauchte es bei weitem nicht all der spitzfindigen Metaphysik, auf welche BERKELEY das Lehrgebäude seines Idealismus aufführte, ja er konnte mit ihnen, wenn er konsequent sein wollte, so weit gehen, daß ihm in dem ganzen Reich des Denkbaren nichts Selbständiges übrig blieb. Mit weit weniger Subtilität, aber auch mit weniger Schonung des gemeinen Verstandes, wiewohl mit mehr Konsequenz tat HUME den salto mortale in das Reich des unbegrenzten Nichts und pflanzte das Panier des allgemeinen Idealismus auf. Er beschränkte das Reich des Wirklichen auf die bloßen Ideen ein; denn von diesen allein haben wir eine unmittelbare Erfahrung, sie sind es allein, was wir als Wirklich wahrnehmen. Wir haben zwar auch Vorstellungen von Etwas, das außerhalb von uns wirklich ist; allein diese Vorstellungen, die in der gemeinen Sprache Empfindungen heißen, unterscheiden sich bloß dadurch von den Einbildungen, daß sie stärker sind, nicht dadurch, daß ihr Gegenstand gegenwärtig und wirklich ist. Die Empfindungen nennt HUME Eindrücke, Impressionen, alles übrige Vorstellungen Ideen; beide haben dieselben Bilder gemein und diese sind bloß nach dem verschiedenen Grad ihrer Stärke bald Impressionen, bald Ideen. Die komplexeren Ideen können in einfache aufgelöst werden; beide folgen aufeinander nach den Gesetzen der Kontiguität oder des Nebeneinanderseins, der Ähnlichkeit und der Kausalität. Diese Kausalität ist aber nichts weiter als die Sukzession der Eindrücke und der Ideen, deren öftere Wiederholung uns durch die Gewohnheit den Glauben einer ursächlichen Verbindung unter ihnen aufdrängt. Notwendig mußte durch diese Einschränkung der gewissen Erkenntnis des Wirklichen auf die bloßen Impressionen alle Erkenntnis a priori, so wie alle Erkenntnis der Gegenstände sowohl der Sinne als auch des Verstandes, und mit diesen alle logische Wahrheit der Erkenntnis des Wirklichen ausgeschlossen werden; und so war die menschliche Erkenntnis in den engsten Kreis eingeschränkt, der sich denken läßt. Der Einfluß, den diese unnatürliche Grenzbestimmung auf Logik, Metaphysik und Religion hat, mußte notwendig viele für die interessantesten Angelegenheiten ihres Verstandes und Herzens besorgt machen und sie zur Unterstützung derselben auffordern. Was in dieser Absicht in England geschehen ist, liegt jetzt außerhalb unseres Plans, der bloß auf die neuere Geschichte der Grenzbestimmungen der menschlichen Erkenntnis in Deutschland eingeschränkt ist. Um aber diese deutlicher auseinander zu setzen, müssen wir wieder etwas zurückgehen. Schon ehe LOCKEs Werke über den menschlichen Verstand erschien, hatte LEIBNIZ, durch eine vollständige Aufzählung der Quellen unserer Begriffe, einer willkürlichen Verengung des Umfangs der menschlichen Erkenntnis vorgebaut. Um das Gebiet der menschlichen Erkenntnis, so wie es LEIBNIZ gegen LOCKE wie auch gegen den Idealismus, den materiellen und allgemeinen, zu behaupten suchte, zu übersehen, und die Rechtsgründe seiner Behauptung mit den Einreden dagegen vergleichen zu können, sei es mir erlaubt, die Theorie des LEIBNIZ von den Quellen und vom Umfang der menschlichen Erkenntnis zu einer leichteren Übersicht darzulegen. Ich werde nicht alle Eigenheiten des LEIBNIZschen Systems anführen dürfen, sondern nur diejenigen, die zu dieser Theorie gehören; und da WOLFF in allen Sätzen, die hierher gehören, mit ihm übereinstimmt, so wird es nicht nötig sein, ihn besonders zu nennen. Ich fasse sie in folgende Sätze:
2. Die Form der Erkenntnis kann also auch auf unbildliche Begriffe angewandt werden. 3. Außer den Erfahrungsbegriffen haben wir Verstandesbegriffe oder abstrakte. Die höchsten unter ihnen oder die ontologischen sind übersinnliche. Die abstrakten Begriffe können vom menschlichen Verstand nur mittels der Zeichen vorgestellt werden. Ihre Erkenntnis kann also nur symbolisch sein; sollen sie anschauend werden, so müssen sie in concreto vorgestellt werden. 4. Aus den abstrakten Begriffen lassen sich neue Begriffe durch eine willkürliche Verbindung zusammensetzen. Auch diese können nicht anders zum Teil anschauend werden, als wenn ihre Merkmale in concreto vorgestellt werden. 5. Das ist die gesamte Materie, aus der, nach den Gesetzen der Form, die auf dem Satz des Widerspruchs oder des zureichenden Grundes beruhen, das System der menschlichen Erkenntnis zusammengesetzt werden muß. 6. Danach gibt es wahre Begriffe des reinen Verstandes ebenso gut, als vermischte und sinnliche Begriffe. 7. Ebenso Sätze, die aus reinen Verstandesbegriffen, vermischten und sinnlichen Begriffen bestehen. 8. Diese Begriffe sind nicht leer, sondern sie sind nur nicht in abstracto anschauend. 9. Die äußeren Gegenstände dieser Begriffe sind wirklich in concreto oder in einem Einzelnen, und ihre Wirklichkeit kann a priori [von vornherein - wp] und a posteriori [im Nachhinein - wp] erkannt werden. 10. Auf diese Weise wird die objektive Wahrheit des höchsten Wesens erkannt. 11. Dieses beste Wesen gibt auch den Gegenständen der äußeren Sinne ihr Dasein. 12. Die Qualitäten der Gegenstäne der äußeren Sinne, also auch die Ausdehnung, werden durch die Sinne anschauend erkannt. In dieser Erkenntnis wird das Einfache nicht unterschieden; sie können aber durch den reinen Verstand deutlich erkannt werden, jedoch vom menschlichen Verstand nicht anschauend, sondern nur symbolisch. 13. Die Prinzipien zu den Erfahrungsbegriffen kommen nicht durch die Erfahrung in die Seele, sind ihr also angeboren. Die Metaphysik dieser Philosophie erklärte Herr KANT für unbrauchbar und verwies auf ein künftiges metaphysisches Lehrgebäude, zu dessen Einrichgung aber kein Anschein sein kann, da ihm seine Kritik schon im Voraus den Zugang zu allen Materialien, die dazu nötig wären, versperrt hat. Wir dürfen voraussetzen, daß unseren Lesern bereits die Hauptzüge dieser Kritik bekannt sind. Um also nicht Gefahr zu laufen, etwas so oft Wiederholtes ohne Not von Neuem zu wiederholen, will ich nur diejenigen von den Hauptzügen anführen, die die Vergleichung der Grenzbestimmung der menschlichen Erkenntnis mit der von LEIBNIZ und HUME erleichtern und zugleich den Leser instand setzen kann, zu beurteilen, wie weit man sich auf das Versprechen verlassen darf, mit dieser Kritik am kräftigsten dem allgemeinen Idealismus von HUME zu begegnen. Zuerst verwirft Herr KANT die objektive Gültigkeit der reinen Vernunftbegriffe, oder, nach der alten Sprache, der reinen Verstandesbegriffe, und zwar aus dem Grund, daß diese Begriffe ganz leer sind; weil sie nichts von Bedingungen der sinnlichen Anschauung, d. h. keine Vorstellung von Raum und Zeit enthalten; das würde nach der Sprache des LEIBNIZ heißen, weil sie keine anschauenden Vorstellungen sind und in abstracto keine anschaulichen Merkmale enthalten. Nach dem System des LEIBNIZ enhält der Begriff des allervollkommensten Geistes freilich nichts räumliches und sukzessives; ob aber Raum und Zeit die einfachsten anschaulichen Vorstellungen sind, das verdient noch eine besondere Untersuchung. Nach eben diesem System ist die Vorstellung selbst das einfachste Merkmal des Begriffs eines Geistes und von Vorstellungen haben wir eine anschauliche Erkenntnis in concreto in unserem eigenen Selbst. LEIBNIZ konnte also mit Recht annehmen, daß der reine Verstandesbegriff des allervollkommensten Geistes kein leerer Begriff ist. Also noch einmal: des LEIBNIZ Vernunftkritik führt auf andere Resultate, als die kantische; allein sie ist genau und gründlich. Die letztere nimmt Raum und Zeit zu Formen der sinnlichen Anschauung, oder, nach der gewöhnlichen Sprache, als die einfachsten Merkmale der sinnlichen Begriffe; die erstere Ausdehnung und für die außersinnlichen, Vorstellung an. Jene hält ihre Formen der sinnlichen Anschauung für schlechterdings unauflöslich; diese zwar auch für unauflöslich, aber nur den Sinnen, nicht dem Verstand. Das Räumliche und Ausgedehnte enthält vieles, das vom Verstand und der Vernunft nicht ohne Eins gedacht werden kann. Der Verstand enthält also die einfachen Merkmale, woraus in der sinnlichen Vorstellung das Bild des Räumlichen und Ausgedehnten entsteht. Diese Betrachtung wird in einem anderen Aufsatz fortgesetzt werden; es ist daher nicht nötig, sie jetzt weiter zu verfolgen. Ein zweiter Grund, warum Herr KANT die reinen Verstandesbegriffe verwirft, ist, daß sie keine Gegenstände geben. Was heißt: es werden Gegenstände gegeben? Heißt es: sie sind außerhalb des Vorstellenden wirkliche? so sehe ich nicht, wie die Gegenstände der sinnlichen Ideen, darum daß sie bildlich sind, mehr wirklich sein müssen, als die Gegenstände des Verstandes, weil sie nicht bildlich sind. Heißt es: die sinnlichen Begriffe sind anschaulich; so ist das allerdings wahr, sie sind unmittelbar anschaulich, aber auch die Verstandesbegriffe sind anschaulich, nur mittelbar. Denn sie sind von den sinnlichen Begriffen abgezogen, und können in diesen angeschaut werden, und wenn sie aus abstrakten Begriffen zusammengesetzt sind, so bringen sie auch zu diesen die mittelbar anschaulichen Merkmale der abstrakten Begriffe mit, aus denen sie zusammengesetzt sind; und es ist hier wiederum nicht abzusehen, was in den sinnlichen Begriffen vorzügliches ist, woraus folgt, daß sie einen wirklichen Gegenstand haben müssen, diese hingegen nicht. Das Resultat dieser Betrachtungen scheint mir zu sein: daß man ohne Vermessenheit behaupten kann, die Grenzbestimmung der menschlichen Erkenntnis nach der LEIBNIZschen Vernunftkritik darf noch nicht aufgegeben werden; alles was die kantische Kritik Gründliches enthält, ist in ihrem Umfang enthalten, und außerdem noch vieles, was diese ohne Grund verwirft. Das wird noch mehr einleuchten, wenn wir untersuchen, mit welcher von beiden man am Besten dem allgemeinen Idealismus HUMEs begegnen könnte. Das soll gerade das Hauptverdienst sein, wovon Herr KANT seiner Kritik den Ruhm ausschließlich zugedacht hat, sie soll nach seinen Prolegomena zu einer künftigen Metaphysik all die Wunden aus dem Grund heilen, die der Idealismus HUMEs der Philosophie geschlagen hat, und die, nach seinem Ausspruch, noch keine Metaphysik hat heilen können. Dieses Wunder soll nun seine Kritik dadurch verrichten, daß sie eine Metaphysik veranstaltet, welche, nach der Vorrede zur neuen Ausgabe der "Kritik der reinen Vernunft", annimmt, die Gegenstände müssen sich nach unserer Erkenntnis richten. Wenn diese vielversprechende Methode soviel heißen soll, als: die Gegenstände unserer Erkenntnis müssen mit unserer Erkenntnis und unsere Erkenntnis muß mit den Gegenständen übereinstimmen, sobald unsere Erkenntnis den Gesetzen der Form gemäß ist, die ihren Erkenntnisvermögen selbst wesentlich ist: so hat sie die LEIBNIZ' Philosophie in ihrem ganzen Umfang befolgt. Die Vernunft schreibt, nach Herrn KANTs Sprache, in dieser Philosophie mehr als in irgendeiner anderen der Natur ihre Gesetze vor, ja sie nimmt mehr als eine andere den Stoff der Erkenntnis aus ihrem Innern. So zergliedert sie die Erscheinungen der Körper in den Stoff, wozu sie die Elemente in sich selbst findet; so erhebt sie sich mit diesen Elementen zu einem Begriff der höchsten Realität und steigt von diesem zur Wirklichkeit der äußeren Objekte der Sinne herab. Wenn also diese Methode all das soll leisten können, was Herr KANT von ihr verspricht: so ist der metaphysische Stein der Weisen gefunden. Der Idealismus HUMEs ist vernichtet; LEIBNIZ' Philosophie hatte ihm schon im Voraus seinen Untergang zubereitet. Er hätte demnach nicht seine Niederlage durch Herrn KANTs Vernunftkritik abwarten können, von der es zweifelhaft ist, ob er durch sie fallen muß. Denn Herr KANT erklärt das Bewußtsein der Vernunft vom Beharrlichen in uns selbst und von unserem eigenen individuellen Dasein für Täuschung. Die Begriffe der reinen Vernunft, die also kein sinnliches Anschauen von Raum und Zeit enthalten, haben ebenfalls keine transzendente Gültigkeit, es existiert also ebensowenig ein unendlicher Geist wie auch keine einfachen Elemente der Körper. Die Begriffe des Verstandes sind bloße Kategorien, durch welche die Erscheinungen verbunden werden. Er beweist zwar das unmittelbare Bewußtsein anderer Dinge außerhalb von uns; allein wenn darunter die objektive Wirklichkeit einer substantiellen beharrlichen Körperwelt verstanden werden soll, so ist es mit dem bloß idealischen Sein des Beharrlichen in uns selbst nicht zu reimen; dessen nicht zu gedenken, was sich gegen die Verständlichkeit und Bündigkeit dieses Beweises einwenden läßt. Die Brauchbarkeit der kantischen Vernunftkritik gegen die Idealismus HUMEs ist also bei weitem noch nicht so ausgemacht und die Unbrauchbarkeit der LEIBNIZschen nicht so dargetan, daß die erstere auf den Trümmern von beiden ihre rechtmäßig erworbene Herrschaft gründen könnte. Wenn wir nun Grenzbestimmungen von LEIBNIZ' menschlicher Erkenntnis mit der kantischen vergleichen: so scheint diese in Anbetracht des Idealismus schwerlich weiter zu sein, als die HUMEs, während die LEIBNIZ'sche die rationale Psychologie, Kosmologie und Theologie in ihrem Gebiet enthalt, und diesen Teil ihres Gebietes hat ihr, nach meiner Überzeugung, die kantische Vernunftkritik noch nicht abgewonnen. ![]() |