p-4 P. NatorpH. RickertJ. ReinkeM. PalágyiH. Driesch    
 
HANS DRIESCH
Die Logik als Aufgabe
[ 3 / 4 ]

    Vorwort
1. Der Gegenstand der Untersuchung
2. Von der neuen Psychologie des Denkens
a) Gedanken haben und nachdenken.
b) Vom denkpsychologischen Experiment
c) Grundlegende Ergebnisse
3. Die Gedanken
a) Der Gedankeninhalt, die Gegenständlichkeit ...
b) Messers und Bühlers Klassifikation der Gedanken
c) Die letzten unselbständigen Bestandteile ...
c) Die letzten unselbständigen Bestandteile ...
d) Der Gedankeninhalt, die Gegenständlichkeit ...
e) Messers und Bühlers Klassifikation der Gedanken
f) Die letzten unselbständigen Bestandteile ...

"Was Husserl im zweiten Band seiner  Logischen Untersuchungen  als verschiedene  Akt-Qualitäten  bezeichnet, das sind eben verschiedene Gedankentypen und  gerade deshalb  sind die  Akt-Qualitäten  etwas  am Gegenstand,  denn Gedankentypen werden aufgrund der Inhalte der Gedanken, also aufgrund des Gegenständlichen, klassifiziert,  können  nur aufgrund des Inhaltlichen, des Gegenständlichen klassifiziert werden."

"Genera, so können wir wohl auch sagen, aber nicht Spezies gehen uns an."


3. Die Gedanken

a) Der Gedankeninhalt, die
Gegenständlichkeit und ihre Stufen

Der Erörterung des Daseins von Gedanken muß die Darstellung ihres  Soseins  folgen und damit die erste der für unsere Sonderzwecke besonders wichtigen Angelegenheiten. Die Lehre von den Gedanken arten  wird uns zugleich Gelegenheit geben, das Erlebnis "Gedanke" überhaupt in gleichsam individualisierter Form an Sonderbeispielen kennen zu lernen und so eine gewisse Lücke in der bis hierher geführten Betrachtung auszufüllen.

In allen Fällen ist der Gedanke ein bewußt Gehabtes, ein  Gegenstand  und zwar nennen wir ihn aus später ersichtlichen Gründen einen  unmittelbaren  Gegenstand. "Ich habe ihn". Nun kann ich, wie wir wissen, auch wieder "mich als einen Gedanken habenden" haben oder, was dasselbe heißt, den  Gedanken  "Ich als einen Gedanken Erlebender" haben -das ist aber auch ein "Gedanke", ein gehabter unmittelbarer Gegenstand.

Was aber nicht-unmittelbare Gegenstände sind, kann erst später verständlich werden; wir sagen hier nur, daß das durch den Gedanken als Gegenstand Gemeinte oder Bedeutete "Gegenstände" höherer  Stufe  sind.

Jeder Gedanke als Gegenstand ist ein  solcher,  insofern er einen bestimmten Inhalt hat. Was nun läßt sich und läßt sich überhaupt etwas über verschiedene  Arten  von Gedanken aufgrund ihrer verschiedenen Inhaltlichkeit aussagen?

MESSER hat zuerst, in dem wichtigen § 13 seiner Experimentalstudie, der von den "Bewußtseinslagen" handelt, (1) auf dieses Problem ausdrücklich hingewiesen. BÜHLER ist ihm in seiner Lehre von den "Gedankentypen" gefolgt.

Gerade hier ist es, wo sich unseres Erachtens die Ergebnisse der "Denkpsychologie", soweit sie Phänomenologie, Selbstbesinnungslehre ist, eng mit gewissen Ergebnissen der neueren Logik als der Vor-Logik, also  auch  der Phänomenologie angehören. Nur daß bei diesen vor-logischen Untersuchungen - ich denke vor allem an die Werke von HUSSERL und HEINRICH MAIER, aber z. B. auch an gewisse Studien LASKs - die  gehabten Gegenstände  in ihrer erlebten Unmittelbarkeit im Interessenzentrum stehen, während die Absicht der "denkpsychologischen" Arbeiten sich auf das  Haben von Gegenständen  richtet. Beidemal aber wird Phänomenologie getrieben und auch die Vor-Logik ist nicht selbst schon Logik. Wird doch in der Vor-Logik gar nichts über die Gegenstände selbst als quasi-Selbständigkeiten ausgesagt; es werden nur die gehabt sein könnenden Gegenstände ihrem Inhalt nach  vorläufig klassifiziert.  Das aber eben heißt auch  Gedanken  klassifizieren.

Was HUSSERL im zweiten Band seiner "Logischen Untersuchungen" als verschiedene "Akt-Qualitäten" bezeichnet, das sind eben verschiedene Gedankentypen und  gerade deshalb  sind die "Akt-Qualitäten" etwas  am Gegenstand,  denn Gedankentypen werden aufgrund der Inhalte der Gedanken, also aufgrund des Gegenständlichen, klassifiziert,  können  nur aufgrund des Inhaltlichen, des Gegenständlichen klassifiziert werden. Nicht ist - vor dem Forum  reiner  Selbstbesinnlichkeit - der "Akt" bald von dieser, bald von jener Art  als  bewußtes Haben oder Erleben des Ich.  Ich  "habe" immer nur bewußt und nichts anderes. Aber  was  ich habe, das kann in sich unmittelbare grundsätzliche Verschiedenheiten zeigen, die ganz von vornherein eine rohe Klassifikation nötig machen. Dieser Gedanke ist neuerdings in ganz besonderer Schärfe von NATORP (2) herausgerarbeitet worden.

In diesem Sinne kann ich auch nicht mit KÜLPE gehen, wenn er (3) einen und denselben Erlebtheitsgegenstand gleichsam auf fünf verschiedene Weise gehabt werden läßt; wenn er von verschiedenen "Bewußtseinsstufen" in Bezug auf denselben Erlebtheitsgegenstand redet. Der Begriff "Bewußtseinsstufe" und die an ihn geknüpfte Erörterung gehört schon der theoretischen Psychologie an - da sei ihr das Recht gar nicht bestritten. Aber sie ist  nicht  "phänomenologisch" (4); selbstbesinnlich vielmehr sind da fünf verschiedene erlebte  Gegenstände,  d. h. unmittelbare Gegenstände und erst die Ordnungslehre  macht  daraus, nach ihren Sparsamkeitsgrundsätzen, einen "Gegenstand" höherer Stufe, wobei dann aber das Wort  Gegenstand  etwas  ganz  anderes meint, als von von "unmittelbaren Gegenständen" geredet wird.

Was LASKs "Lehre vom Urteil" angeht, so  kann  gewiß sein "Reich der Übergegensätzlichkeit" metaphysisch, d. h. mittelbar-gegenständlich gefaßt werden. Die anderen "Reiche", auf das Subjekt hin, sind aber jedenfalls  nur unmittelbaren  Gegenständen, d. h. Gedankenformen - denn es werden hier ja doch  nicht  durch Gedanken von ein und derselben Grundform verschiedene  mittelbare  Gegenstände als quasi Verselbständliches gemeint; das "Reich" der "wahren und falschen Sätze an sich" oder besser gesagt, in diesem "Reich" ein einzelner, sagen wir "falscher Satz an sich" hat doch nicht die "gemeinte" Selbständigkeit, die etwa "dieser mein naturwirklicher Schreibtisch" als durch einen Gedanken gemeinter  mittelbarer  Gegenstand hat. Wir werden alsbald Gelegenheit haben, auf diese Erwägungen des näheren zurückzukommen.

Einstweilen bleiben wir noch im Bereich allgemeiner Erörterungen und rechtfertigen einen schon mehrmals ohne nähere Erklärung verwendeten Ausdruck.

Es heißt, die Inhalte der Gedanken "dieser Hund", "diese Insel", "Friedrich der Große", "Frankreich" seien verschieden von den durch diese Gedanken gemeinten Naturwirklichkeiten. Das ist sicherlich richtig. Nennt man die Inhalte und die gemeinten Naturwirklichkeiten beide "Gegenstände", so handelt es sich jedenfalls um zwei ganz verschiedene Gruppen von Gegenständen, die nur das Wortzeichen gemeinsam haben. Es ist daher besser, das Wort "Gegenstand" überhaupt entweder auf das wirklich bewußt Gehabte, die "Gehabtheiten" einzuschränken, also nur die Inhalte Gegenstände zu nennen, oder, wenn man das nicht will, das Wort "Gegenstand" nie ohne Zusatz zu gebrauchen, also von Gedankeninhalten als von  unmittelbaren Gegenständen  und vom Naturwirklichen oder anderem "Gemeinten", als von  mittelbaren Gegenständen,  von  Gegenständen  zweiter Stufe zu reden.

Naturgegenstände  also sind unabhängig, jedenfalls als unabhängig "gemeint" von ihrem Gedachtwerden. Sie sind gemeint als  immer  dieselben Einen in ihrer Einzigkeit' - wenigstenst bis sie vergehen; von gewissen Naturgegenständen aber wird gemeint, daß sie überhaupt "nie" vergehen. Das sind die Natur-Urdinge.

Und ebenso steht es, um von "Metaphyisischem" zunächst abzusehen, mit  seelischen Gegenständen.  das sind auch "gemeinte" Gegenstände  mittelbarer  Art. Sie gehören dem verselbständlichsten Quasi-Reich an, das im Wort "meine Seele" gemeint wird. (5) Auch sie, zum Beispiel eine bestimmte "determinierende Tendenz" oder "latente Einstellung" sind gemeint als  immer  dieselben Einen in ihrer Einzigkeit,' bis sie vergehen. Sie sind in diesem Sinne gemeint trotz ihres schattenhaften Daseins; da ist diese eine  Seele  und darin sind sie, in im Näheren unaussprechbarer Form.

Nun aber die "mathematischen Gegenstände", die "allgemeinen Begriffe" als Gegenstände, die reinen Ordnungsbegriffe wie  Beziehung, verschieden, werden.  Wie steht es mit ihnen? (6) Eine heute weit verbreitete Ansicht geht dahin, auch hier von gemeinten mittelbaren Gegenständen im Gegensatz zu den sie meinenden Gedankeninhalten als unmittelbaren Gegenständen zu reden, auch hier ein Dasein unabhängig vom Gedachtwerden zu lehren, kurz einen "Begriffs-Realismus" zu verkünden, der, zumal bei BERTRAND RUSSELL, (7) vom platonisch-scholastischen recht wenig entfernt ist, ohne freilich die metaphysisch-mtythologischen Absichten der Ideenlehre sich zu eigen zu machen.

Hat es aber wirklich einen klar angebbaren Sinn zu sagen, mit Rücksicht auf Gebilde wie "rechtwinklig gleichschenkliges Dreieck", "sin α.cosα", √-1 gebe es einen vom Gedachtwerden, also vom Gedankeninhalt unabhängigen  mittelbaren Gegenstand? 

Ein  wesentliches Kennzeichen der naturwirklichen und seelischen mittelbaren Gegenstände fehlt doch jedenfalls ihren angeblichen Genossen im Reich des Mathematischen, des Allgemeinen und des rein Ordnungsmäßigen, und mir scheint, daß dieses eine Kennzeichen gerade  das  Kennzeichen ist,  aufgrund dessen  naturwirkliche und seelische mittelbare Gegenstände eben  als mittelbare Gegenstände  "gemeint" werden:

Die naturwirklichen und seelischen Gegenstände mittelbarer Art werden gemeint als jeweils  diese einzigen Einen,  eben wegen dieses Kennzeichens ihrer Einzigkeit in quasi-Selbständigkeit  sind  sie mittelbare gemeinte Gegenstände. Sie sind in der Tat  gemeint  als immer da, auch wenn der auf sie zielende Gedanke als unmittelbarer Gegenstand nicht von mir gehabt wird. In ihrer verselbständlichten Einzigkeit hat das Ich gleichsam den Identitätssatz nach außen geworfen und erstarren lassen, ebenso wie es später, wenn es  Werden  in sich  folgeverknüpft  sein läßt, den Satz vom zureichenden Grund nach außen wirft und erstarren läßt.

Gar keine Rede nun ist von verselbständlichter Einzigkeit, von erstarrter Identität, wenn es sich um "rechtwinkliges Dreieck", um √-1 und dergleichen, ja auch, wenn es sich um  Allgemeines,  das heißt  von  Vielem Mitgesetztes, (8) handelt, um "Löwe", "Staat", "Tugend" und was immer. Das Mathematische, das Allgemeine, das rein Ordnungshafte und was sonst noch "ist" immer nur als Gegenstand, wenn es produziert, wenn es als unmittelbarer Gegenstand' gehabt, also wenn es  gedacht  wird. Es wird immer wieder neu produziert, als  gedacht,  wenn von ihm ausgesagt werden soll, - freilich versehen mit dem Zeichen der Identität (9); ganz ebenso wie der Gedanke, der  unmittelbare Gegenstand,  welcher einen verselbständlichten einzigen mittelbaren Gegenstand, etwa aus dem Bereich des Naturwirklichen, meint,  als  unmittelbarer Gegenstand immer neu produziert wird.

Die Möglichkeit bald durch diese bald durch jene "Anschaulichkeit", als durch ein  Zeichen,  "getragen" zu werden ist es, wie mir scheint, welche vornehmlich zur Lehre vom selbständigen "Sein" der mathematischen und verwandter Gegenstände verführt hat; kann mir doch irgendein gezeichnetes oder vorgestelltes Dreieck oder das Wort "Dreieck"  das Dreieck  bedeuten. Aber dieser Umstand - auf den wir in dieser Schrift übrigens nicht näher eingehen wollen - ändert gar nichts daran, daß eben doch das durch den anschaulichen Träger Getragene, als  der  Gedankeninhalt als unmittelbarer Gegenstand, immer nur "ist",  insofern  er jedesmal ausdrücklich produziert wird.

Es hat also, so scheint uns,  keinen  klaren Sinne von "Gegenständen" der Mathematik, des Allgemeinen, des rein Ordnungshaften zu reden, die etwas anderes wären als unmittelbare Gegenstände, das heißt als Gedankeninhalte. Daher fällt denn für uns bei allen Gedanken, welche nicht Naturwirkliches oder Seelisches oder Metaphysisches "meinen", der Begriff von  Inhalt  und  Gegenstand  zusammen. Und eben deshalb besteht dieses Zusammenfallen, weil eine verselbständlichte  Einzigkeit  hier eben  nicht  "gemeint" ist.

Ja, wenn bei den modernen Begriffsrealisten wie bei PLATON noch metaphysisch-mythologische Absichten bestünden! Dann gewänne die Lehre vom mathematischen oder allgemeinen mittelbaren Gegenständen, die von Gedankeninhalten unabhängig sind, einen klaren Sinn. Aber diese Absichten bestehen ja, besonders deutlich bei HUSSERL, sicherlich nicht. Und gerade deshalb entbehrt die Lehre unseres Erachtens des klar angebbaren Sinnes; und es wird nichts an unserer Ansicht ändern, wenn man uns "philosophische Naivität" vorwirft. Es stimmt nun eben wirklich nicht, wenigstens nicht, wenn man die Platonische Metaphysik ablehnt, daß "logische betrachtet die sieben regelmäßigen Körper sieben Gegenstände, ebenso wie die sieben Weisen" sind. (10)  Unmittelbare Gegenstände  sind vielmehr die regelmäßigen Körper und die  Gedankeninhalte,  durch welche die sieben Weisen als  naturwirkliche  Gegenstände "gemeint" werden. Und wenn man das Wort "transzendent" hier einführen will, so sind die Gedankeninhalte, welche sich auf die sieben Weisen richten, in demselben Sinne transzendent, wie die regulären Körper, aber in  ganz anderem  Sinne als die sieben Weisen transzendent sind; die erste Art der "Transzendenz" ist nämlich nur ein Ausdruck für das Urphänomen allen Erlebens, für das  Ich erlebe Etwas  und hat mit Erkenntnis gar nichts zu tun, während die zweite, welche die Schöpfung des quasi-selbständigen Reiches  Natur  bedeutet, Erkenntnis immerhin anbahnt, der erste Schritt zur Erkenntnis ist.

Doch ist für uns dieser ganze Abschnitt einstweilen nur Mittel zum Zweck; unser Zweck aber ist jetzt  die Klassifikation der Gedanken aufgrund ihrer Inhalte.  Nur aufgrund ihrer Inhalte, so wissen wir jetzt, können Gedanken klassifiziert werden; denn von "Akten" gibt es nur einen: das  Ich habe bewußt. 


b) Messers und Bühlers Klassifikation der Gedanken

Wir beschäftigen uns zunächst kurz mit MESSERs Versuch, eine Klassifikation der Gedanken - seiner  Bewußtseinslagen  - zu gewinnen. (11)

MESSER sieht klar, daß das Gedanken inhaltliche  zur Gewinnung einer solchen Klassifikation herangezogen werden muß, daß also bei der Logik gleichsam eine Anleihe zu machen ist, die alsdann in phänomenologische Währung umgewechselt wird. Nachdem er auf die Schwierigkeit seines Unternehmens hingewiesen hat, führt er (Seite 180) fort:
    "Höchstens können wir im Anschluß an die Logik aus der unübersehbaren Fülle material-verschiedener Denkinhalte gewisse durchgehende, relativ formale Inhalte herausheben."
Er beginnt dann damit, Bewußtseinslagen der "Wirklichkeit", "zeitlicher Eigenschaften und Beziehungen", des "kausalen Zusammenhangs", "logischer Beziehungen", "Beziehungen zwischen dem Gedachten und dem denkenden Subjekt"  (Bekanntheit, Fremdheit, Wert),  "Beziehungen zur Aufgabe"  (passend, sinnvoll, richtig),  des "subjektiven Zustandes"  (Suchen, Überlegung, Zweifel  usw.) einfach aufzuzählen.

Alsdann erkennt MESSER, daß sich zwanglos die beiden großen Gruppen der  intellektuellen  und der  affektiven  Bewußtseinslagen sondern lassen; und diese Einteilung ist ihm deshalb besonders wertvoll, weil hier "nun auch wieder ein psychologischer - [das heißt phänomenologischer] - Einteilungsgrund gewonnen" sei.

Er zieht nun noch kurz BENNO ERDMANNs "unformuliertes Denken" heran und diskutiert dann das Problem der "psychischen Kausalität" mit dem für uns, mit Rücksicht auf Späteres,  sehr  wichtigen Ergebnis (Seite 194f), daß
    "nicht im Gebiet der Bewußtseinsinhalte als solcher, sondern der diesen zugrunde zu legenden realen psychischen Prozesse, die an sich unbewußt sind, Kausalzusammenhang zu statuieren ist". Im Sinne rein phänomenologischer, rein deskriptiver Betrachtung stelle sich ein von den Versuchspersonen ausgesagter "unmittelbar erlebter Zusammenhang von Bewußtseinsphänomen" als erlebter  inhaltlicher  Zusammenhang "von Grund und Folge oder Motiv" dar; (12) ähnliches habe schon LIPPS behauptet und ganz dasselbe, so fügen wir bei, meint besonderen Schärfe NATORP (13).
Wir wenden uns dem klassifikatorischen Versuch BÜHLERs (14) zu. Diesem ist die Aufstellung von "Gedankentypen", neben dem Nachweis des Vorkommens ungetragener Gedanken, geradezu das Hauptziel der Untersuchung. (15)

Als erster Typus von Gedanken gilt ihm das  Regelbewußtsein.  In ihm komme (Seite 339) "etwas, was wir von logischen Gesichtspunkten aus als eine Regel bezeichnen, zu Bewußtsein" und zwar nicht derart, daß "an" eine Regel, sondern vielmehr derart, daß "in" einer Regel gedacht werde.

Hierher gehört das plötzliche "Verstehen" einer mathematischen Figur, einer Maschine; hierher auch - nach den Aussagen der Versuchspersonen - etwa das Bewußtsein, daß man den Sinn eines Begriffs ohne Rücksicht auf einen bestimmten anderen bestimmen könne, ferner das gelegentlich ausgesagte "Wissen, wie man derartige Fragen löst", das Bewußtsein, "daß mathematische Formeln oft recht schlimm aussehen und doch ganz harmlose Dinge ausdrücken", "daß jede Weltanschauung, auch wenn sie die Fehler der vorangehenden gutgemacht hat, selbst wieder innere Fehler hat", "daß manche Philosophen nur durch eine gewisse Begriffsverschiebung zu ihren Sätzen kommen" usw.

Mit Recht habe KANT den Verstand "das Vermögen der Regeln" genannt.

Gerade an dieser Stelle, im Anschluß an die Mitteilung einiger ausgeführter Beispiele von "Gedanken", scheint mir nun der Ort für eine wichtige Betrachtung allgemeiner Art zu sein, für eine Betrachtung, die zugleich für alles früher Gesagte und noch später zu Sagende Gültigkeit und Bedeutung besitzt:

In allen Versuchen zur "Denkpsychologie" geben, wie wir wissen, die Versuchspersonen ihre Erlebnisse nach Beendigung eines Versuches aus der Erinnerung zu Protokoll. Dabei bedienen sie sich naturgemäß der  Worte.  Dieses In-Worten-ausdrücken-wollen, ja, ausdrücken-müssen trägt aber einen durchaus erlebnisfremden Zug in die Protokolle hinein, einen Zug, der, wenn der Leser der Protokolle ihn nachträglich wieder bewußt ausmerzt, geradezu einen Fehler in das, worauf es vornehmlich ankommt, hineintragen kann.  Der Worte,  die einen Gedanken darstellen, sind  viele,  der Gedanke als  Erlebnis  aber war  einer.  Die protokollierende Versuchsperson hat also das Eine in eine Vielheit umzusetzen, der Protokollleser hat die Vielheit in eine Einheit zurückzuübertragen. Wer sich dessen nicht in größter Schärfe bewußt bleibt, bekommt vom eigentlich Phänomenologischen ein ganz falsches Bild. Die  Regelhaftigkeit  als Erlebnis also ist  ein,  freilich nur mit meist recht vielen Worten weiderzugebender, Erlebnisakt und dasselbe gilt von fast allen anderen  Gedanken.  Gerade mit Rücksicht auf das oben genannte Erlebnis, "daß jede Weltanschauung, auch wenn sie die Fehler der vorangehenden gutgemacht hat, selbst wieder innere Fehler hat," fügt im BÜHLERschen Protokoll die Versuchsperson ausdrücklich bei: "Was ich so auseinanderlege, war in einem Akt enthalten;" und so ist es in allen Fällen.

Der zweite der von BÜHLER aufgestellten Gedankentypen ist das  Beziehungsbewußtsein;  es ist zugleich der Verknüpfer verschiedener Gedanken und kommt in den von BÜHLER in einer gesonderten Untersuchung (16) behandelten "Zwischengedanken" zu besonders ausgeprägter Bedeutung. Die  Gedanken-erinnerung  (17) ist ein besonders geeignetes Mittel, reine Beziehungserlebnisse aufzufinden. Es bleiben nämlich von zusammengesetzten Gedanken schließlich nur allgemeine Beziehungsschemen im Gedächtnis; so, z. B.: "es handelt sich um ein entweder - oder", der Gedanke enthielt "eine Konsequenz", "einen Gegensatz", "zwei koordinierte Begriffe" und dergleichen mehr.

Im Bereich der  Zwischengedanken- erlebnisse insonderheit sind  Zwischenerlebnis- beziehungen von  Zwischengegenstands- beziehungen zu sondern; bei jenen wird eine Beziehung zur Aufgabe, ein zu ihr Passen, auf sie Gerichtetsein etwa, erlebt, in diesen eine Beziehung zwischen den Inhalten der erlebten, auf eine Aufgabe gemeinsam gerichteten, Gedanken selbst.

In besonderer Breite behandelt BÜHLER den dritten seiner Gedankentypen, die  Intentionen,  die  rein signitiven Akte  im Sinne HUSSERLs, in denen (18) "das Meinen selbst, nicht das, was gemeint wird, in den Vordergrund tritt". Die Gedanken sind "fertig" und werden eben "bloß noch gemeint". "Das Bewußtsein enthält eben fast nichts als eine Beziehung auf ein sonstwie schon Bestimmtes." Freilich müssen die Gedanken auch hier eine "Wasbestimmung" haben - wir würden sagen: sie müssen  diese solchen  sein -, aber, ganz abgesehen davon, daß diese Wasbestimmung nicht durch Vorstellungen gegeben zu sein braucht, viel wichtiger ist der Umstand, daß sie (Seite 357f) "Platzbestimmtheiten innerhalb einer bewußten Ordnung sind", der "psychischen Gegenstandsordnung".

Ein Protokoll für viele: "Ich dachte an die antike Skepsis (Wort Skepsis innerlich gesprochen), darin war vieles eingeschlossen; ich hatte momentan förmlich die ganze Entwicklung in drei Perioden präsent." Ebenso kann etwa das System des LEIBNIZ, das kritische Werk KANTs gleichsam mit einem geistigen Blick überschaut werden.

Wir versagen uns eine eingehende kritische Analyse der BÜHLERschen "Gedankentypen" einer-, weitere Beispiele andererseits; das eine, weil wir nun überhaupt dazu übergehen wollen, unsererseits in eigener Terminologie das Erlebnis  Gedanke  zu zerlegen und die in es eingehenden Letztheiten zu klassifizieren, das andere, weil unsere Darstellung des  Nachdenkens  implizit noch viele einzelne Beispiele von  Gedanken  enthalten wird.


c) Die letzten unselbständigen
Bestandteile des Gedankens

Wir werfen jetzt die Frage auf:  Welche Erlebnisse letzter, das heißt nicht weiter zerlegbarer Art setzen das Erlebnis "Gedanke" zusammen? 

Wir gehen dabei nicht in Einzelheiten, sondern beschränken uns auf die Ermittlung dessen, was man die verschiedenen Klassen oder Typen nicht weiter zerlegbarer Erlebtheiten nennen könnte. Sonst nämlich müßten wir hier eine vom Erlebnis-Standpunkt aus gesehene Ordnungslehre schreiben; denn wir wissen ja, daß Erlebnisverschiedenheiten stets auf Verschiedenheiten der Inhalte des Erlebens beruhen, die allerletzten Inhaltsverschiedenheiten oder besser Inhaltsbesonderheiten aber werden durch die Elementarsetzungen der Logik dargestellt. Es bleibt für uns also bei Erlebnisverschiedenheiten, die so recht in ihrem unmittelbaren  Erlebt- werden eine sozusagen verschiedene Tönung haben. Genera, so können wir wohl auch sagen, aber nicht Spezies gehen uns an.

Ich stelle zunächst das Ergebnis dar, das mir die selbstbesinnliche Zerlegung des Erlebnisses  Gedanke  geliefert hat, um alsdann jedes einzelne Erlebnisgenuß des näheren zu erläutern und bei dieser Gelegenheit zu zeigen, daß die gewonnenen Resultate mit den Ergebnissen der Experimentaluntersuchungen in Sachen der "Denkpsychologie" in völliger Harmonie stehen.

Im Erlebnis  Gedanke  werden erlebt:
    1.  Sachheiten; 
    2.  Gefühlstöne; 
    3.  Bedeutungen  oder  Zeichen 
Unter  Sachheiten  ist alles das verstanden, was der populäre Sprachgebrauch "Gegenständliches" zu nennen pflegt. Wir selbst haben diese Bezeichnung hier natürlich zu vermeiden, da wir als  Gegenstand  ja das  Etwas  in dem  Satz: Ich habe bewußt Etwas  bezeichnen.  Sachheiten  also sind das Wesentlichste an "Empfindungen", "Wahrnehmungen", "Vorstellungen" jeder Art.  Sachheiten  sind auch alle die Erlebnisbestandteile, welche Gedanken "tragen", "fundieren".  Letzte  Sachheiten sind die sogenannten "Empfindungsqualitäten", also die echten  reinen Solchheiten  der Ordnungslehre und das Erlebnis  Neben. 

Wir haben keine Veranlassung, uns mit den Sachheiten des näheren einzulassen.

Ebensowenig brauchen wir den Gefühlstönen eine eingehendere Erörterung zu widmen; insonderheit ist es für unsere Zwecke gleichgültig, ob eine ganze Reihe letzter Gefühlstäne unterschieden werden oder ob, wie heutzutage meist,  Lust  und  Unlust  die einzigen Gefühlsarten als eigentliche  Gefühls arten sind, so daß die verschiedenen Gefühlsformen des täglichen Lebens nur aus dem innigen Vereintsein von Lust  oder  Unlust mit verschiedenen Sachheiten und Zeichen zustande kommen. Von Bedeutung ist uns nur , in Schärfe daran festzuhalten, daß die Gefühle auch durchaus ein vom Ich  Gehabtes,  wenn auch in sogenannter "Zuständlichkeit" Gehabtes, aber keine Zustände "des Ich" sind; die Sprache bringt das in Wendungen wie "Ich habe Furcht" , "j'ai peur", "ho paura" gelegentlich gut zum Ausdruck. Übrigens bezeichnet sogar schon im Ausdruck "in Zuständlichkeit Gehabtes" das Wort Zuständlichkeit eigentlich einen theoretischen Füllbegriff, steht also nur als kurze, wohl verständliche, Bezeichnung für einen recht verwickelten phänomenologischen Sachverhalt; denn Erlebnisse sind im  Jetzt  und sind  unbezogen  auf Zeitverläufe.

Ich also  erlebe  Gefühltstöne und zwar immer mit etwas anderem verbunden, also  in Gedanken. 

Unsere eigentliche Untersuchung gilt den  Bedeutungen  oder  Zeichen welche in Gedanken eingehen und zwar wollen wir allem weiteren zunächst das Ergebnis eines weiter ins Einzelne - aber nicht ins Letzte, nicht, wie schon gesagt, bis zu den Spezies - dringenden Einteilungsversuches der Bedeutungs-Erlebnisse vorausschicken.

Erlebte  Bedeutungen  oder Zeichen zerfallen in:
    a)  Endgültigkeitszeichen mit Rücksicht auf Ordnung; 
    b)  Erledigungszeichen; 
    c)  Zeitzeichen; 
    d)  Erlebtheitskreis-Zeichen. 
Die Reihenfolge bei dieser Aufzählung erscheint als gleichgültig. Bezüglich gewisser Erlebnisse kann es, wie sich zeigen wird, zweifelhaft erscheinen, ob sie der einen oder der anderen Gruppe zuzuweisen sind. Aber es  gibt  jedenfalls alle vier Gruppen. Jede Gruppe bedarf nun einer Erläuterung.
LITERATUR - Hans Driesch, Die Logik als Aufgabe, Eine Studie über die Beziehung zwischen Phänomenologie und Logik - zugleich eine Einleitung in die Ordnungslehre, Tübingen 1913
    Anmerkungen
    1) AUGUST MESSER, Archiv für die gesamte Psychologie VIII, 1906, Seite 175
    2) PAUL NATOROP, Allgemeine Psychologie I, Tübingen 1912. Angedeutet war der gleiche Standpunkt bereits in NATORPs "Einleitung in die Psychologie", z. B. Seite 11f. - Über die in dem  Ich habe  ausgedrückte Beziehung läßt sich, nach NATORP, "gar nichts weiter aussagen", ja, das "Bewußsein" läßt sich sogar im eigentlichen Sinne "so wenig wie dem Begriff  Beziehung  etwa dem Begriff  Tatsache  oder  Existenz  als Spezialfall unterordnen" (Seite 28f). Auch sei das  Ich  nicht "sich selber Gegenstand", "man hat schon aufgehört es als Ich zu denken, indem man es als Gegenstand denkt" (Seite 31; hierzu DRIESCH, Ordnungslehre Seite 38, wo gesagt ist, daß es als Begriff nur einen  Mich- Begriff gebe). - Übrigens gibt auch HUSSERL in einer Polemik gegen ältere Äußerungen NATORPs ausdrücklich zu (Logische Untersuchungen II, Seite 165), man könne "auch sagen, aller Unterschied des Vorstellens liege im Vorgestellten" (hierzu meine Ordnungslehre, Seite 86). - Man vergleiche bei NATORP noch besonders Seite 43, 47, 50, 230; ebenso vergleiche man die auf Seite 296f seines Werkes genannten sinnesverwandten Stellen in MÜNSTERBERGs "Grundzüge der Psychologie I". - Stimme ich hier fast vollkommen mit NATORP überein und ebenso bezüglich der Ablehnung erlebter  Tätigkeit  (a. a. O. Seite 40f), ja bezüglich des  Zeit problems überhaupt (a. a. O. Seite 50, 58, 257f), so kann ich zu meinem Bedauern seine völlige Ablehnung der Psychologie als  selbständiger  Werdewissenschaft und deren Ersetzung durch Nervenphysiologie ganz und gar nicht zustimmen. Es gibt, meine ich, Phänomenologie, welche aus Inhalten, um mit NATORP zu reden, "rekonstruiert" werden,  aber es gibt auch echte Psychologie.  Es ist durchaus nicht einzusehen, daß, wie NATORP meint, mit der Zeit zugleich der Raum eingeführt werden müsse und ebensowenig, daß selbständige psychologische Werde- und Vermögensbegriffe unerlaubt seien. NATORP selbst sagt einmal (Seite 232), der Begriff  Potenz  sei "der eigentlich systembildende Begriff der Psychologie" - aber er wendet diesen Begriff nicht an.
    3) OSWALD KÜLPE, Die Realisierung I, 1912, Seite 56f
    4) Ähnlich NATORP, Allgemeine Psychologie I, Seite 48
    5) Siehe oben und meine Ordnungslehre, Seite 317f
    6) KÜLPE redet hier allgemein von "idealen Gegenständen", will aber davon die "Begriffe" als gleichsam praktische Handhaben noch scheiden, freilich eine "enge Verwandtschaft" derselben zu den "idealen Objekten" zugebend; vgl. "Realisierung" I (1912), besonders Seite 17f und 225f.
    7) BERTRAND RUSSELL, The problems of philosophy, London
    8) DRIESCH, Ordnungslehre, Seite 54
    9) Hierzu meine Erörterungen über  Klasse  und  Einzigkeit  im  allgemeinsten  Sinne des Wortes; Ordnungslehre, Seite 55f
    10) EDMUND HUSSERL, Logische Untersuchungen II, Seite 101. (Bezüglich der "sieben" regulären Körper liegt wohl ein Schreibfehler vor, was selbstredend nichts zur Sache tut.)
    11) AUGUST MESSER, Archiv für die gesamte Psychologie VIII, 1906, Seite 1. MESSERs "Bewußtseinslagen" sind  Bewußtheiten  im Sinne ACHs; jedenfalls gibt MESSER selbst doch eine "nähere Charakterisierung" von ihnen.
    12) Dieser letzte Satz ist weniger Zitat als Interpretation meinerseits; er scheint mir aber das, was MESSER meint, gut zu treffen.
    13) Man vergleiche bei LIPPS außer den von MESSER (Seite 193, 195) zitierten Stellen namentlich auch Leitfaden der Psychologie (3. Auflage), Seite 40 - 47.
    14) Archiv für die gesamte Psychologie IX, 1907, Seite 297 und XII, 1908, Seite 1
    15) Archiv für die usw. IX, 1907, Seite 334f
    16) Archiv für die usw. XII, Seite 1
    17) Archiv für die usw. XII, Seite 24
    18) Archiv für die usw. IX, Seite 346f