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CHARLES KAY OGDEN (1889-1957)
IVORY ARMSTRONG RICHARDS (1893-1979)
Die Macht der Wörter
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Gedanken, Wörter und Dinge
Die Theorie der Definition
Zeichen in der Wahrnehmung
Symbolismus
"Zehntausende von Jahren sind vergangen, seit wir keine Schwänze mehr haben, aber wir bedienen uns noch immer eines Kommunikationsmediums, das für die Bedürfnisse des auf Bäumen hausenden Menschen entwickelt wurde."

"Was geschieht, wenn wir denken?" ist eine Frage, die für jeden Denker von Interesse sein sollte. Fast unser ganzes Leben hindurch behandeln wir Dinge als Zeichen. Alle Erfahrung- dieses Wort im weitest möglichen Sinn verstanden - wird entweder erlebt oder gedeutet (d.h. als ein Zeichen behandelt) oder beides, und sehr wenig Erfahrenes unterliegt nicht wenigstens einem gewissen Maß an Deutung.

Eine Erklärung des Deutungsprozesses ist also der Schlüssel zum Verständnis der Zeichen-Situation und deshalb der Anfang der Weisheit. Es ist erstaunlich, daß zwar die Notwendigkeit einer solchen Erklärung in der Psychologie seit langem ein Gemeinplatz ist, daß aber die mit der Kritik und Organisation unseres Wissens Befaßten sich mit wenigen Ausnahmen überhaupt keine Gedanken darüber machen, welche Folgen die Vernachlässigung dieser Aufgabe hat.

Seit den frühesten Zeiten waren die Symbole, derer sich die Menschen bedienten, um den Denkprozeß zu fördern und die eigenen Leistungen festzuhalten, eine ständige Quelle des Staunens und der Illusion. Allüberall war die Menschheit so beeindruckt davon, daß die Wörter als Instrumente zur Beherrschung der Gegenstände dienen konnten, daß sie ihnen in allen Zeiten okkulte Kräfte beigemessen hat.

Auf den ersten Blick sieht es so aus, als ob die Einstellung eines Ägypters der Frühzeit sich von der eines modernen Dichters nicht nennenswert unterscheide. "Alle Wörter sind geistig", sagt WALT WHITMAN, "nichts ist geistiger als Wörter". Woher kommen sie? Über viele Tausende oder Zehntausende von Jahren sind sie auf uns gekommen?"

Nur wenn wir völlig erfassen, welch tiefen Einfluß abergläubische Vorstellungen von den Wörtern ausüben, können wir verstehen, warum gewisse weitverbreitete sprachliche Gewohnheiten, die auch heute noch selbst die überlegtesten Denkbemühungen verfälschen, so fest fixiert sind.

Bei den meisten Menschen un im Bereich gewöhnlicher Gespräche ist der Einfluß dieses Erbes allgegenwärtig, in der Sprache genauso wie in anderen Bereichen.

"Wenn wir bei zwei Menschen, die der gleichen Generation und dem gleichen Land angehören, in der intellektuellen Skala jedoch an entgegengesetzten Enden stehen, die Schädeldecke abheben und ihre Gedanken lesen könnten, so würden wir wahrscheinlich feststellen, daß ihr Geist so verschieden ist, als ob sie verschiedenen Gattungen angehörten... Abergläubische Vorstellungen erhalten sich, weil sie zwar die aufgeklärten Mitglieder der Gemeinschaft schockieren, aber noch immer mit dem Denken und Fühlen anderer übereinstimmen, die in ihrem Innersten Barbaren oder Wilde bleiben, auch wenn man ihnen die äußeren Merkmale der Zivilisation anerzogen hat." 1)
Die meisten Gebildeten haben keine Ahnung, in welchem Umfang diese Relikte direkt vor ihrer Haustür weiterleben, und sie wissen erst recht nicht, wie ihr eigenes Verhalten durch das heimliche Fortwirken der Vergangenheit geformt wird.
"Nur wer sich bei seiner wissenschaftlichen Arbeit mit der Untersuchung dieser Zusammenhänge befaßt hat", sagt FRAZER weiter, "erkennt, wie tief hinab der Boden unter unseren Füßen von den Gängen unsichtbarer Kräfte durchlöchert ist."
Die Oberfläche der Gesellschaft mag, so räumt der Anthropologe ein, in ständiger Bewegung bleiben, wie die Tiefen des Ozeans, fast unbewegt. Nur wenn wir Tag für Tag in diese Tiefen hinabtauchen, können wir Kontakt mit unseren Mitmenschen aufnehmen; und was den besonderen Fall der Sprache angeht, so können wir nur dadurch am Leben der Gemeinschaft teilhaben, daß wir uns der Vorteile des einen oder anderen speziellen wissenschaftlichen Symbolsystems begeben, daß wir aus dem gleichen ungereinigten Strom trinken.

Die Macht der Worte ist die am stärksten konservative Kraft in unserem Leben. Erst seit kurzem gibt die anthropologische Forschung die Existenz jener unentrinnbaren verbalen Schlingen zu, die einen so großen Teil unseres Denkens umfassen.

"Das gemeinsame, ererbte Begriffsschema, das uns von allen Seiten umgibt und das wir ebenso natürlich und selbstverständlich aufnehmen, wie wir die Luft unseres Landes einatmen, ist nichtsdestoweniger etwas uns Aufgezwungenes und schränkt unsere geistigen Bewegungen auf tausenderlei Art ein - umso sicherer und unwiderstehlicher, als es in der Sprache selbst enthalten ist, derer wir uns bedienen müssen, um selbst die einfachste Bedeutung auszudrücken, und das wir deshalb übernehmen und uns zu eigen machen, bevor wir auch nur anfangen können, selbständig zu denken." 2)
Und es ist für uns kaum auch nur denkmöglich, der Struktur unserer Sprache zu entrinnen. Zehntausende von Jahren sind vergangen, seit wir keine Schwänze mehr haben, aber wir bedienen uns noch immer eines Kommunikationsmediums, das für die Bedürfnisse des auf Bäumen hausenden Menschen entwickelt wurde. Und wie die Laute und Zeichen der Sprache von ihren urzeitlichen Anfängen zeugen, so zeugen auch die mit diesen Lauten und Zeichen verknüpften Assoziationen und die Denkgewohnheiten, die durch ihren Gebrauch und die ihnen von unseren Ureltern aufgeprägten Strukturen entstanden sind, von einer ebenso wirksamen Kontinuität.

Wir mögen über die sprachlichen Illusionen des primitiven Menschen lächeln, aber dürfen wir außer acht lassen, daß die Wortmaschinerie, auf die wir uns so bereitwillig verlassen und mit deren Hilfe unsere Metaphysiker immer noch das Wesen der Existenz zu erforschen vorgeben, von ihm geschaffen wurde und vielleicht für andere Illusionen verantwortlich ist, die kaum weniger kraß und nicht leichter auszurotten sind?

Es mag an dieser Stelle genügen, an das häufige Vorkommen heiliger oder geheimer Vokabulare und verbotener Wörter aller Art zu erinnern. Fast jedes Land in Europa kann heute noch Beispiele der Sage liefern, in der ein Name ( Tom-Tit-Tot, Vargaluska, Finnur, Rumpelstilzchen, Zi)  herausgefunden werden muß, bevor ein Prinz geheiratet oder ein Ungeheuer überwunden werden kann.

Im alten Ägypten traf man Vorkehrungen, um die Auslöschung der achten Seele, der "Namens-Seele", zu verhindern und um zu gewährleisten, daß sie zusammen mit den Namen der Götter weiterlebte. In den Texten der Pyramiden wird ein Gott erwähnt, der  Khern  hieß, d.h.  Wort:  denn das Wort hatte eine Persönlichkeit wie die eines Menschen. Die Schöpfung der Welt erfolgt dadurch, daß  Toth  den Willen der Gottheit in Worten deutete.

Der größere Teil der Menschheit muß früher einmal geglaubt haben, der Name sei jener integrale Bestandteil eines Menschen, der mit der Seele indentisch ist, oder ein so wichtiger Teil von ihm, daß er an Stelle des Ganzen stehen könne, wie etwa Arbeitgeber von Arbeitern als "factory hands" sprechen. In der  Offenbarung  lesen wir: "In dem Erdbeben wurden die Namen von siebentausend Menschen getötet", und in dem Brief an die Gemeinde von Sardis wiederum: "Du hast einige wenige Namen in Sardis, die ihr Gewand nicht besudelt haben."

Das aus dem Meer auftauchende Untier trägt auf seinem Kopf "Namen der Lästerung". Die Gotteslästerung selbst ist eben ein solches Beispiel; denn es wird angenommen, daß der Gott durch die Entweihung seines Namens persönlich beleidigt wird: und noch unter der Regierung HEINRICHs VIII. wurde ein Knabe verbrannt, weil er unwissend ein paar Worte über das Sakrament wiederholte, die er zufällig mitangehört hatte.

"Warum frägst du nach meinem Namen, da er doch geheim ist (oder "unaussprechlich", wenn wir Professor G.F. MOORE folgen), sagt der Engel des Herrn zu MANOAH im  Buch der Richter.  Fast alle primitiven Völker zeigen eine große Abneigung gegen die Erwähnung ihrer Namen; als ein Häuptling in Neuseeland den Namen  Wai  erhielt, was  Wasser  bedeutet, mußte ein neuer Name für Wasser eingeführt werden; in FRAZERs  Golden Bough  sind zahlreiche Beispiele von Worttabus gesammelt, die zeigen, wie universell diese Einstellung ist.

Nicht nur Häuptlinge, sondern auch Götter und ferner der Priester, in dem die Götter wohnten, wie man annahm (ein Glaube, der die Kantonesen bewog, solche begnadeten Persönlichkeiten als "Gott-Behälter" zu bezeichnen), gehörten zu den Opfern dieser Logophobie. Wir wissen, daß HERODOT sich weigerte, den Namen von OSIRIS zu erwähnen. Der wahre und große Name ALLAHs ist ein geheimer Name, und ähnlich verhält es sich mit den Göttern des Brahmanismus und mit dem wahren Namen des KONFUZIUS.

Orthodoxe Jude vermeiden es anscheinend, den Namen JAHWH überhaupt auszusprechen. Wir können zum Vergleich "Thank Goodness", "Morbleu" (im Deutschen z.B. "meine Güte") und die meisten Euphemismen anführen. Bei den Hindu ist es zum Beispiel üblich, wenn ein Kind stirbt, dem nächsten einen Schmähnamen zu geben. Ein Knabe wird Kuriya, d.h. "Misthaufen", genannt: der Geist kennt die Leute natürlich nach ihrem Namen und wird deshalb die Wertlosen übersehen.

Ebenso kennt Gott jeden Menschen nach seinem Namen - "Und der Herr sagte zu MOSES:  Du hast Gnade gefunden vor meinen Augen und ich kenne dich bei deinem Namen.  Im alten Ägypten hatte jeder zwei Namen: einen für die Welt und einen, mit dem er den übernatürlichen Mächten bekannt war. Der zweite Name des abessinischen Christen, den er bei der Taufe erhält, darf nie verraten werden. Die Schutzgottheit Roms hatte einen nicht mitteilbaren Namen, und in Teilen des antiken Griechenland wurden die heiligen Namen der Götter auf Bleitafeln eingraviert und ins Meer versenkt, um sie vor der Profanierung zu bewahren.

Die Werke der frühen Schriftsteller sind voll von den Relikten primitiver Wortmagie. Dinge einreihen, heißt sie benennen, und für die Magie ist der Name eines Dinges oder einer Gruppe von Dingen dessen Seele; ihren Namen wissen, heißt Macht über ihre Seele haben. Nichts Menschliches oder Übermenschliches übersteigt die Macht der Wörter. Die Sprache selbst ist ein Duplikat, eine Schattenseele, der gesamten Struktur der Wirklichkeit. Daher die Lehre vom  Logos,  der begriffen wird als die höchste Wirklichkeit, oder als die göttliche Seelensubstanz, als die "Bedeutung" oder der Grund von allem, und als die "Bedeutung" oder das Wesen eines Namens.

Das Erbe an religiösem Material, das ältere Philosophen in ihre jeweiligen Systeme einbezogen hatten, machte es den Griechen offensichtlich leichter, eine "jenseitige Welt des Seins" zu akzeptieren. Die Natur der Dinge, ihre  physis,  wurde - z.B. von THALES - als übersinnlich betrachtet, als ein Stoff jener flüchtigeren Art, den man schon immer den Seelen und den Geistern zugesprochen hatte; vom Leib nur darin unterschieden, daß er ungreifbar und unsichtbar ist.

Infolgedessen hatte die "Welt des Seins", in der die falschen Enititäten wohnen, zuerst jenes Minimum an Materialität, ohne welche nichts gedacht werden konnte. Aber als die Logik sich entwickelte und die Macht der Wörter die Aufmerksamkeit stärker auf sich lenkte, ging diese Materialität allmählich verloren, bis PLATO dann im  Symposion  und im PHAIDON ein Reich reiner Idealität, auch  physis  genannt, entwickelte, in dem diese Namen-Seelen hausen: rein, göttlich, unsterblich, intelligibel, gleichförmig, unauflöslich und unveränderlich.

Diese Entwicklung ging, wie gezeigt worden ist, weitgehend auf den Einfluß der pythagoräischen Lehre zurück, und die Zwischenstadien sind für die Geschichte der Symbole besonders interessant. HERAKLIT war der erste, der die Wörter als Verkörperung der Natur der Dinge ansprach, und sein Einfluß auf PLATON tritt im KRATYLOS deutlich zu tage.

HERAKLIT sah in der Sprache das beständige Ding in einer Welt unaufhörlicher Veränderung, einen Ausdruck der allgemeinen Weisheit, der in allen Menschen ist; und für ihn spiegelt sich in der Struktur der menschlichen Rede die Struktur der Welt wider. Sie ist eine Verkörperung dieser Struktur - "der  Logos  ist in ihr enthalten, wie  eine  Bedeutung in vielen äußerlich verschiedenen Symbolen enthalten sein kann".

PLATO übernahm seine Theorie der Ideen oder Namen-Seelen von den Pythagoräern, aber als Wissenschaftler ging er das Problem der Namen und ihrer Bedeutung als eine der großen schwierigsten Fragen, auf die man stoßen konnte, immer wieder von neuem an. Seine Analyse stellt in einem Zeitalter, in dem vergleichende Philologie, Grammatik und Psychologie sämtlich unbekannt waren, eine bemerkenswerte Leistung dar, aber es gelingt ihm nicht, Symbole und symbolisierte Gedanken konsequent auseinanderzuhalten.

Die Haupttradition der griechischen Spekulation blieb der verbalen Methode treu. Es gibt zwei Wege, die Natur zu begreifen, schrieb WHEWELL:

"einmal den, nur die Wörter und die durch sie hervorgerufenen Gedanken zu untersuchen; und das zweite Vorgehen, sich mit den Fakten und Dingen zu befassen, die diese Vorstellungen entstehen lassen... Die Griechen folgten der ersteren Methode, der  verbalen  oder  ideen-verhafteten, und scheiterten."
Und weiter:
"Die Neigung, nach Prinzipien in den allgemeinen Sprachmustern zu forschen, ist schon in sehr frühen Zeiten zu erkennen ... In ARISTOTELES haben wir den Gipfel- und Endpunkt dieses Spekulationsmodus."
Seit der Zeit TRENDELENBURGs geht die allgemeine Meinung dahin, daß die "Kategorien" und ähnliche Unterscheidungen, die im System des ARISTOTELES eine wichtige Rolle spielen, nicht ohne Heranziehung der Besonderheiten der griechischen Sprache studiert werden können.
"ARISTOTELES", sagt GOMPERZ, "läßt sich oft durch die Sprachformen leiten, nicht immer, weil er unfähig ist, sich aus diesen Fesseln zu befreien, sondern mindestens ebenso oft, weil die Forderungen der Dialektik ihm nicht gestatten, seinen Kampfplatz zu verlassen... So wird eine Unterscheidung zwischen dem allgemeinen Wissen und den Einzelwissenschaften getroffen; lediglich aufgrund der Tatsache, daß die Gegenstände der letzteren in ihrem Namen enthalten sind... Seine Kategorieneinteilung wird häufig von Überlegungen sprachlicher Zweckmäßigkeit gelenkt, ein Umstand, der - wie man einräumen muß - ihn hätte davon abhalten müssen, diese Einteilung für ontologische Zwecke anzuwenden." 3)
Die Praxis der dialektischen Disputation zur Zeit des ARISTOTELES basierte auf der Vorstellung einer feststehenden einfachen Bedeutung für jeden Terminus, wie wir aus der Scholia des AMMONIUS zu  De Interpretatione  sehen. So stellte der Befrager die Frage "Ist Rhetorik achtungswürdig?"; und bei wenigstens einer Spielart des Verfahrens wurde erwartet, daß der Befragte einfach mit "Ja" oder "Nein" antwortete. Gewisse Wörter wurden als mehrdeutig angesehen, hauptsächlich aufgrund des Studiums ihrer "Gegensatzwörter" im damals gültigen Vokabular. ARISTOTELES zählt in seiner  Topik  verschiedene Regeln hinsichtlich der Mehrdeutigkeit auf, sowie andere Tricks, die darauf abzielen, einen Opponenten zu einer verbalen Inkonsequenz zu treiben.

MAUTHNER legt in ausführlicher Argumentation dar, daß die aristotelischen Lehren des Negativen und der Kategorien "die bestehende Sprachformen zu Gegenständen eines abergläubischen Kultes gemacht haben, als ob sie wirkliche Gottheiten wären", und bemerkt dann:
"ARISTOTELES ist tot, weil er, vielleicht mehr als jeder andere bedeutende Schriftsteller in der ganzen Geschichte der Philosophie, abergläubisch an Worten hing. Selbst in seiner Logik ist er völlig von den Zufälligkeiten der Sprache abhängig, von den Zufälligkeiten seiner Muttersprache. Seine hypnotische Ehrfurcht vor Wörtern ließ nie nach." 4)

Und: "Volle zwei Jahrhunderte lang stand das menschliche Denken unter dem Einfluß der Schlagworte dieses Mannes, einem Einfluß, dessen Auswirkungen ganz und gar verderblich waren. Es gibt kein vergleichbares Beispiel der dauerhaften Macht eines Systems von Wörtern."
Es ist merkwürdig, daß ARISTOTELES in seiner Schrift  De Interpretatione  Ansichten vorbringt, die mit einer solchen verbalen Methode schwer zu vereinbaren sind. Er behauptet dort beharrlich, Wörter seien primär Zeichen geistiger Affekte, nur sekundär Zeichen der Dinge, deren Abbilder diese sind. Und er entwickelt eine Theorie des Satzes, die - wenngleich unvollständig und eine Quelle endloser Konfusion - doch eine sehr viel kritischere Einstellung zur Sprache verrät, als sein logischer Apparat als ganzer annehmen ließe. Denn hier fällt es ARISTOTELES nicht schwer, die Hauptfrage zu lösen, die PLATO im KRATYLOS aufwirft. Jede signifikante Sprache, sagt er, ist nur aufgrund von Konvention signifikant, nicht von Natur aus oder als natürliches Werkzeug.

Obgleich alle nacharistotelischen Schulen, insbesondere die Stoiker, deren Auffassung der Sprache erheblichen Einfluß auf die römischen Rechtsdenker hatte, der Sprachtheorie ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit schenkten, finden wir doch in der Antike nirgendwo Hinweise darauf, daß es zu einem wirklichen Studium der Symbole gekommen wäre, dem sich PLATO und ARISTOTELES zeitweilig zu nähern schienen. Wie wir noch sehen werden, war der Grund dafür das Fehlen jeglicher Versuche, die Zeichen als solche zu behandeln und so die Funktionen der Wörter in bezug auf die allgemeineren Zeichen-Situationen zu verstehen, von denen jedes Denken abhängt.

Und doch hatten, noch kurz bevor das Christentum den kritischen Geist endgültig zertrampelte, in der griechisch-römischen Welt sehr beachtliche Diskussionen stattgefunden, wobei das Zentralproblem mit einer kritischen Schärfe untersucht wurde, die zu einer echten wissenschaftlichen Entwicklung hätte führen können. Die religiösen Führer waren sich der drohenden Gefahr bewußt, und es gibt sogar eine Stelle bei GREGOR von NAZIJANZ, wo über Schwierigkeiten Klage geführt wird, weil "die Sextianer und Pyrrhoner und der Geist der Widerspruchs in unsere Kirchen eingedrungen sind wie eine böse, verderbliche Pest".

In der Tat wurde zwischen 100 und 250 n.Chr. die gesamte Zeichentheorie von AINESIDEMOS, dem Wiederbeleber des Pyrrhonismus in Alexandria, und von einem griechischen Arzt namens SEXTIUS untersucht. Die von ihnen angestellte Analyse ist fundamentaler als alles, was sonst vor dem 9. Jahrhundert in Erscheinung trat.

Dieser kurze Überblick über die griechisch-römische Einstellung zur Sprache muß als Beispiel für die vorwissenschaftliche Spekulation über diesen Gegenstand genügen. Die griechisch-römische Spekulation hat auch auf das moderne europäische Denken einen stärkeren Einfluß ausgeübt als die üppiger wuchernden orientalischen Theorien. Die Atmosphäre des Verbalismus, in der die indische Philosophie zum größten Teil entstand, scheint noch dichter gewesen zu sein als bei den Scholastikern und den griechischen Dialektikern.

Auch heute werden primitive Einstellungen zu Wörtern von gerissenen Zeitgenossen weidlich ausgenützt; wie weit das geht, wird erst dann so recht deutlich, wenn ein zynischer Rhetoriker ins Rampenlicht der Gerichtshöfe tritt oder wenn in der Presse eine besonders schreiende Ungereimtheit an die Stelle der geduldigeren Suggestionsmethoden eines Journalismus tritt, der vor allem mit ständigen Wiederholungen arbeitet. Eben diese Einstellungen aber sind in der Kindheit allgegenwärtig und werden durch den vorherrschenden Verbalismus so bestärkt, daß es selbst der präzisesten wissenschaftlichen Schulung oft kaum gelingt, den Erwachsenen etwas weniger anfällig gegenüber diesem Medium zu machen.

Ja, gerade die tüchtigsten Logiker entwickeln, wie wir sahen, mit Hilfe ihrer verbalen Technik die phantastischsten Systeme. Vielleicht wird man später den modernen Logiker als den wahren Mystiker ansehen, wenn die rationale Basis der Welt, an die er glaubt, einmal wissenschaftlich untersucht wird.
weiter
LITERATUR - C.K. Ogden / I.A. Richards, Die Bedeutung der Bedeutung (Eine Untersuchung über den Einfluß der Sprache auf das Denken und über die Wissenschaft des Symbolismus), Ffm 1974
    Anmerkungen
  1. J. G. Frazer, Psyche's Task, Seite 169
  2. F. M. Cornford, From Religion to Philosophy, Seite 45
  3. Th. Gomperz, Greek Thinkers
  4. Fritz Mauthner, Aristoteles, Berlin 1904