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Kants Begriff der objektiven Erkenntnis [5/6]
V. Der Geltungswert der Erfahrung Die Darlegung des Verhältnisses formaler und transzendentaler Logik hat uns unserem eigentlichen Ziel nicht näher gebracht. Je genauer sich die apriorischen Voraussetzungen der Gegenstandserkenntnis nunmehr gegen die formalen Gesetze der Logik wie vorher gegen die subjektiven Einheitsformen des Bewußtseins abgegrenzt haben, umso bestimmter erhebt sich die Frage, ob und wie ihre Deduktion möglich ist. Von den verschiedenen Gedankengängen, die wir in der kantischen Deduktion gesondert haben, bleibt nur der Nachweis zurück, daß sie im Begriff der Erfahrung als seine Voraussetzungen enthalten sind. So gewiß es Erfahrung gibt, gelten auch die formalen Voraussetzungen, auf denen die Einheit des Erfahrungsgegenstandes beruth. Ob aber in Wahrheit unsere Erfahrungserkenntnis die von ihr beanspruchte Geltung besitzt, ob alle sinnlichen Inhalte unseres Bewußtseins zu gegenständlicher Einheit verknüpfbar sind, ist damit noch nicht entschieden. Auf die Prüfung dieser Frage, der Frage nach dem Geltungswert unserer Erfahrungserkenntnis, sehe ich mich somit hingedrängt. Die Frage nach der Wirklichkeit der Erfahrung, die wir so aufs Neue aufgeworfen haben, richtet sich nicht darauf, ob eine Erfahrungserkenntnis, so wie KANT sie charakterisiert hat, in unserem Bewußtsein anzutreffen ist. Daß wir tatsächlich eine Erfahrungserkenntnis solcher Art vollziehen, ist eine Tatsache von unbezweifelbarer Wirklichkeit. Diese Tatsache aber genügt, um den extremen Empirismus zu widerlegen, der in all unserer Erkenntnis lediglich eine Komplikation von Empfindungen erblickt. Das offen zutage liegende Zeugnis der Erkenntnis ist mit der Auffassung, die alle Inhalte des Bewußtseins auf Daten der Empfindung zurückführen will, unvereinbar. Die Scheidung, die KANT zwischen dem Erfahrungsurteil und dem Wahrnehmungsurteil vollzogen hat, zerstört endgültig die Möglichkeit, unsere Erfahrung als ein bloßes Derivat der Empfindungen zu verstehen. In jedem Erfahrungsurteil gehen wir tatsächlich über den Inhalt der gegebenen Empfindungen hinaus, die uns niemals mehr zu sagen vermögen, als daß wir selbst irgendeinen [von mir gesperrt. - wp] Eindruck erleben. Der Gedanke einer Wirklichkeit, die von unserer Wahrnehmung unabhängig ist, enthält auch in seiner einfachsten Gestalt eine Auffassungform, welche grundsätzlich von einer bloßen Wiedergabe der Empfindung verschieden ist und die in ihrem Begriff gesetzte Grenze überschreitet. Ebenso wie der allgemeine logische Charakter der Erfahrung weisen auch die einzelnen Erkenntnismittel, die wir in ihr zur tatsächlichen Anwendung bringen, über die Empfindung hinaus. Der Begriff einer allgemeinen Raum- und Zeitordnung, die alle Inhalte unserer Erfahrung umfaßt, läßt sich aus den einzelnen Inhalten unserer Empfindung niemals herauslesen. Die bloße Existenz dieser Vorstellung reicht, ganz unabhängig von der Frage nach ihrer logischen Berechtigung, aus, um die Hoffnungslosigkeit des Unternehmens, den ganzen Umfang unserer Erkenntnis aus der Empfindung abzuleiten, deutlich zu machen. Vollends scheitert jeder derartige Versuch am Kausalbegrifff, dessen tatsächliche Anwendung in unserer Erkenntnis keinem Zweifel unterliegt. Die Erwartung, daß der bisher beobachtete Zusammenhang empirischer Erscheinungen auch in Zukunft fortbestehen wird, enthält in sich die begriffliche Vorstellung einer notwendigen Beziehung sinnlicher Inhalte, die zu diesen selbst als etwas völlig Neues hinzutritt. Diese Überzzeugung aber beschränkt sich nicht auf unsere wissenschaftliche Erkenntnis, die ihr im Grundsatz der Kausalität einen prinzipiellen Ausdruck verleiht. Wir treffen sie ebenso in unserem alltäglichsten Erfahrungsbewußtsein an, innerhalb dessen wir unabhängig von aller reflektierenden Besinnung jede uns entgegentretende Erscheinung auf ihre Gründe zurückzuführen suchen. Wir fragen bei jeder uns ungewohnten Erscheinung nach ihrem "warum?" und beweisen mit dieser Frage, daß wir an alle uns begegnenden Erscheinungen mit der Erwartung eines ursächlichen Zusammenhangs herangehen. Die Verschiedenheit dieser formalen Bestandteile unserer Erkenntnis von den sinnlichen Daten der Empfindung läßt sich auch auf genetischem Weg nicht überbrücken. Der Versuch des Empirismus, die begrifflichen Faktoren unserer Erkenntnis als ein Entwicklungsprodukt unserer Empfindungsvorgänge darzustellen, ist nicht nur dann aussichtslos, wenn er zugleich über den logischen Bedeutungswert der Prinzipien entscheiden will, die erst die genetische Betrachtungsweise möglich machen. Auch wenn diese Ableitung allen derartigen Ansprüchen entsagt und ledigllich den psychologischen Ursprung unserer Erfahrungserkenntnis aufdecken will, mutet sie der genetischen Erklärung eine Leistung zu, der sie offensichtlich nicht gewachsen ist. Denn die begriffliche Verschiedenheit der formalen Bestandteile unserer Erfahrungserkenntnis von der Empfindung, die hier als einziges Element der Erklärung zu Gebote steht, ist auf genetischem Weg nicht zu überwinden. So wenig wie mit der Einzelempfindung, sind die erwähnten Bestandteile unserer Erkenntnis mit einer noch so verwickelten Verbindung von Empfindungen oder einer noch so oft wiederholten Folge von Empfindungsvorstellungen identisch. Wer sie gleichwohl aus ihr hervorgehen läßt, schreibt damit dem Bewußtsein eine schöpferische Kraft zu, die aus den Daten der Empfindung etwas völlig Neues gestaltet, wie es etwa der objektive Erfahrungsraum gegenüber unserer räumlichen Wahrnehmung oder die Erwartung einer ursächlichen Verknüpfung der Erscheinungen gegenüber der in den Assoziationsgesetzen begrüneten Erinnerung an ihre bisherige Aufeinanderfolge ist (1). So beweist schon der bloße Geltungsanspruch, der in unserem Erfahrungsbewußtsein enthalten ist, daß der Bestand unserer Erkenntnis nicht mit den Mitteln des Sensualismus zu begreifen ist. Um die begrifflichen Verknüpfungsweisen, die wir als die Grundlagen unseres gegebenen Erfahrungsbewußtseins antreffen, vollziehen zu können, muß unser Bewußtsein im Besitz von Erkenntnisfunktionen sein, die ihm eine gedankliche Formung und Bearbeitung es gegebenen Empfindungsmaterials ermöglichen. Die rein begriffliche Analyse des Inhalts unserer Erkenntnis schließt so eine Widerlegung der sensualistischen Psychologie in sich, die in der Empfindung das einzige Element unseres Bewußtseins erblickt. Die begrifflich feststellbare Verschiedenheit des Inhalts unserer Erfahrungserkenntnis von rein sinnlicher Wahrnehmung zeigt, daß unser Bewußtsein neben den Empfindungen auch noch Vorstellungsweisen umfassen muß, die ihm die Erfassung begrifflicher Zusammenhänge ermöglichen. (2) Durch diese Tatsachen unserer Erkenntnis ist jedoch der Empirismus nur als psychologische Theorie entscheidend widerlegt. Seine logische Position dagegen ist durch sie noch nicht erschüttert. Denn so gewiß es auch ist, daß in den von uns tatsächlich vollzogenen Erkenntnissen, daß insbesondere in unserem Erfahrungsbewußtsein begriffliche Verknüpfungsformen enthalten sind, so ist doch die Legitimität dieser Erkenntnis selbst damit noch nicht bewiesen. Die Wirklichkeit der Erfahrung steht fest, insofern unser Erfahrungsbewußtsein tatsächlich vorliegt, diese Wirklichkeit aber ist nur die eines psychologischen Phänomens, die unsere gültigen Erkenntnisse mit unseren Irrtümern teilen. Sie läßt daher keinen Schluß darauf zu, daß unser wirkliches Erfahrungsbewußtsein einen legitimen Bestandteil unserer Erkenntnis bildet. Daran vermag auch die psychologische Evidenz, die der gegenständlichen Auffassung der Erscheinungen anhaftet, nichts zu ändern. So gewiß es ist, daß wir den Gedanken einer von uns unabhängigen Wirklichkeit nicht nur begrifflich vorstellen, sondern uns mit unabweislicher Notwendigkeit an eine gegenständliche Auffassung der uns entgegentretenden Erscheinungen gebunden finden, so ist damit über das Recht dieser Auffassung noch nicht entschieden. Wenn wir in der Wirklichkeit unseres gegenständlichen Vorstellens nicht erst nachträglich die gegenständliche Auffassungsweise an unsere Empfindungen heranbringen, wenn wir hier vielmehr unmittelbar mit den Objekten selbst verkehren, die uns mit bestimmten Eigenschaften gegenübertreten, ohne daß wir unsere Empfindungen erst auf sie zu übertragen brauchten, so beweist das lediglich, daß die gegenständliche Beziehung unserer Empfindungsinhalte eine psychologisch-ursprüngliche und aller bewußten Reflexion vorhergehende Auffassungsweise unseres Bewußtseins ist, ohne daß dadurch die logische Berechtigung dieser Auffassungsweise verbürgt wäre. Die Ursprünglichkeit der objektiven Auffassung der Erscheinungen, die es dem naiven Bewußtsein so schwer macht, zu begreifen, daß uns psychologisch nur unsere Vorstellungen gegeben sind, ändert nichts daran, daß wir es nur mit einer Auffassungsform zu tun haben, deren gedankliche Notwendigkeit einer Prüfung bedarft (3). Wenn wir uns dieser Prüfung nunmehr zuwenden, so haben wir uns nicht mit dem Empirismus in seiner gewöhnlichen Gestalt auseinanderzusetzen, der die apriorischen Gesetze unserer Erkenntnis als höchste Verallgemeinerung aus den einzelnen empirischen Beobachtungen ansieht. Denn das haben wir als unverlierbares Ergebnis der kantischen Deduktion festzuhalten, daß schon die Einzeltatsache, in der diese Theorie den letzten Ursprung unserer apriorischen Erkenntnis erblickt, auf Erkenntnisbedingungen beruth, die selbst nicht aus der Erfahrung stammen. Werden die logischen Grundlagen des Erfahrungsbegriffs in Frage gestellt, so ist damit auch die Einzeltatsache im Sinne des Empirismus aufgehoben, die nur auf der Einordnung des gegebenen Empfindungsmaterials in einem gesetzmäßig bestimmten Zusammenhang der Wirklichkeit beruth. Es gibt kein Faktum der Wirklichkeit, das von begrifflichen Voraussetzungen unabhängig wäre, keine Einzeltatsache, die sich aus dem Zusammenhang der Erfahrung loslösen läßt. Empirismus und Apriorismus stehen einander nicht als gleichgeordnete Theorien gegenüber. Vielmehr ist der Empirismus selbst nur aufgrund der apriorischen Voraussetzungen des Erfahrungsbegriffs möglich, deren empirische Deduktion er zu leisten glaubt. Diese Schwierigkeit des Empirismus ist auch dadurch nicht zu überwinden, daß er die äußere Wirklichkeit der Natur preisgibt und allein in den unmittelbar erlebten Tatsachen der psychologischen Erfahrung die Grundlage sieht, auf die er unsere apriorische Erkenntnis zurückführen will. Mag diese Zurückführung logisch oder psychologisch gemeint sein, in jedem Fall setzt sie zumindest auf dem Gebiet unserer Bewußtseinserlebnisse das Bestehen eben jener allgemeinen Gesetzlichkeit voraus, deren Gewißheit in Frage steht. Daß ein logischer Schluß von der Wahrnehmung des bisher beobachteten konstanten Zusammenhangs psychologischer Erscheinungen auf dessen weiteren Fortbestand nur unter der Voraussetzung einer allgemeinen Gesetzmäßigkeit des Bewußtseins möglich ist, hat HUME selbst mit klarster Bestimmtheit nachgewiesen. Wenn er deshalb aber auf eine logische Rechtfertigung dieser Voraussetzung verzichtet und sich mit ihrer psychologischen Erklärung begnügt, so schließt auch diese die Anerkennung eines gesetzmäßigen Zusammenhangs auf psychologischem Gebiet in sich. Schon die Frage nach dem Ursprung unseres Glaubens an einen kausalen Zusammenhang der Erscheinungen verliert ihren Sinn, wenn ihr nicht die Annahme zugrunde liegt, die Entstehung unserer Bewußtseinserscheinungen sei gesetzmäßig bedingt, das Auftreten der psychologischen Phänomene sei der Regellosigkeit des Zufalls entrückt und fordere deshalb eine Erklärung nach allgemeinen Gesetzen. Die Bestreitung dieser Voraussetzung schließt nur die Möglichkeit aus, irgendeine psychologische Theorie, die kausale Erklärung eines psychologischen Vorgangs, zu rechtfertigen; schon die Forderung nach einer psychologischen Erklärung überhaupt wird auf diesem Standpunkt zu einer grundlosen Willkürlichkeit unseres Bewußtseins. So zeigt sich auch die psychologische Erfahrung an die Voraussetzung einer allgemeinen Gesetzlichkeit gebunden, die sich somit jeder empirischen Begründung entzieht. Auf psychologischem Gebiet ist es jedoch nur der übergreifende Zusammenhang der Erscheinung, der mit der Aufhebung des Gedankens der Gesetzmäßigkeit hinfällig wird. Die Einzeltatsache dagegen scheint hier unabhängig von ihrer Einordnung in einen allgemeinen Zusammenhang gegeben zu sein. Während jedes Faktum der äußeren Wirklichkeit über sich selbst hinausweist und den Gedanken eines notwendigen Zusammenhangs der Erscheinungen in sich schließt, stellt sich die Einzeltatsache des Bewußtseins als ein völlig in sich ruhender Inhalt dar, der keiner Beglaubigung durch allgemeine Prinzipien der Erfahrung bedarf. In der sinnlichen Gewißheit der psychologischen Wahrnehmung bietet sich uns das einzelne Erlebnis in völliger Unmittelbarkeit dar und ist, unabhängig von jeder Eingliederung in einen allgemeineren Zusammenhang, in sich selbst vollständig bestimmt. Auf dem Gebiet der psychologischen Selbstwahrnehmung hat so das reine Wahrnehmungsurteil seine Stätte, das sich mit der Wiedergabe des unmittelbar erlebten Eindrucks begnügt, in diesem eingeschränkten Kreis seiner Geltung aber völlig auf sich selber ruht. In den einzelnen Eindrücken unseres Bewußtseins bleibt daher dem Empirismus ein Bereich von Tatsachen zurück, die keine begriffliche Form voraussetzen und darum auch keine Gewähr dafür bieten, daß sie einem gesetzlichen Zusammenhang angehören. Die Skepsis gegenüber dem logischen Begriff der Erfahrung sieht alle Wirklichkeit in den Tatsachen des individuellen Bewußtseins beschlossen, die unabhängig von einem Zusammenhang der Erfahrung in einer anschaulichen Evidenz ergreiffen werden. Diese Auffassung aber übersieht nicht nur, daß schon die psychologische Einzeltatsache die allgemeine begriffliche Gesetzlichkeit des Urteils zu ihrer Voraussetzung hat. Selbst wenn sie diese logische Bedingtheit der Einzeltatsache zugibt und nur die Unabhängigkeit der psychologischen Gewißheit vom Begriff der gegenständlichen Einheit behauptet, zieht sie die Konsequenzen nicht, die in dieser Loslösung des individuellen Bewußtseins von den Gesetzen des gegenständlichen Zusammenhangs enthalten sind. Der psychologische Empirismus glaubt in der unmittelbaren Gewißheit der Wahrnehmung nicht nur den einzelnen Eindruck des Bewußtseins, sondern auch den Zusammenhang unserer Bewußtseinserlebnisse erfassen zu können. Dieser aber setzt in Wahrheit mit der gleichen begrifflichen Notwendigkeit wie der Zusammenhang der äußeren Wirklichkeit den Begriff der gegenständlichen Einheit voraus. Die unmittelbare Evidenz des Wahrnehmungsurteils erstreckt sich nur auf das momentane Erlebnis, so wie es im Augenblick des Erlebens von unserem Bewußtsein erfaßt wird. Sie hört dagegen auf zu bestehen, sobald der gegebene Eindruck aus dem Bewußtsein entschwindet und in die Vergangenheit zurücktritt. Die vergangenen Zustände unseres Bewußtseins sind uns ebensowenig in unmittelbarer Anschaulichkeit gegeben, wie die Vorgänge einer äußeren Wirklichkeit. Jedes Urteil, das über den momentanen Zustand des Urteils in dessen Vergangenheit hinausgreift, überschreitet damit die unserer Selbstwahrnehmung gezogenen Grenzen und bedarf zu seiner Begründung der Voraussetzung einer objektiven Ordnung des Geschehens. Wir besitzen kein anderes methodisches Mittel, um die Wirklichkeit unserer eigenen vergangenen Erlebnisse zu konstatieren, als ihre Eingliederung in den gesetzmäßig bestimmten Zusammenhang unseres Bewußtseins. Fällt dieser fort, so geht jede Möglichkeit verloren, mit objektivem Recht festzustellen, ob irgendein Vorgang unseres Bewußtseins tatsächlich stattgefunden hat oder nicht. Die gleichen Mittel sind erforderlich, um die zeitliche Aufeinanderfolge unserer psychologischen Erlebnisse zu bestimmen. Denken wir uns die Eingliederung unserer Bewußtseinszustände in den Zusammenhang von Grund und Folge aufgehoben, so geht uns jede Gliederung unserer Bewußtseinszustände verloren und es bleibt nur eine ununterscheidbare Masse des Vergangenen zurück. Ebenso aber wie die methodischen Mittel, um die Tatsachen unserer Vergangenheit festzustellen und zeitlich zu ordnen, einen über den momentanen Einzeleindruck hinausgreifenden Zusammenhang voraussetzen, geht schon der Begriff eines vergangenen Zustandes unseres Bewußtseins grundsätzlich über die dem Wahrnehmungsurteil gesteckten Grenzen hinaus. Denn er schließt den Gedanken an eine objektive Zeitordnung in sich, innerhalb deren die Zustände unseres Bewußtseins aufeinanderfolgen. Diesen Gedanken können wir nicht fortdenken, ohne alles Geschehen und allen Zusammenhang unseres Bewußtseins aufzuheben. Indem wir aber unsere Bewußtseinszustände von der Einheit der Zeit umschlossen denken, gehen wir über den sinnlichen Inhalt unserer Wahrnehmung hinaus und beziehen sie auf eine Ordnung, die in den sinnlichen Zuständen unseres Bewußtseins selbst niemals gegeben sein kann. Schon in der bloßen Zeitwahrnehmung, in der wir die Folge unserer Bewußtseinszustände unabhängig von jeder ihre Ordnung bestimmenden Regel erfassen, ist demnach im Gedanken der objektiven Zeitfolge die rein sinnliche Gewißheit der Wahrnehmung durchbrochen. Wer daher nur die sinnlich gegebenen Tatsachen des Bewußtseins als wirklich anerkennt, behält nicht die Wirklichkeit des psychologischen Subjekts in der uns vertrauten Gestalt übrig. Die Einheit und der Zusammenhang des Subjekts löst sich jetzt ebenso auf wie vorher der des Objekts. Zurück bleibt allein der momentane Einzeleindruck, der im Augenblick seiner Wirklichkeit von der psychologischen Beobachtung erfaßt wird, um sogleich dem Bewußtsein zu entschwinden und sich damit jeder ferneren Erfassung durch die Erkenntnis zu entziehen. Je schärfer und enger wir den Begriff der Gegenwart umgrenzen, umso schwieriger wird es, eine wirkliche Gleichzeitigkeit der psychologischen Tatsache und des sie erfassenden Urteils festzuhalten und zu verhüten, daß die zu erfassende Tatsache nicht bereits der Vergangenheit angehört, wenn das Urteil sich auf sie richten will. Vollends hört jede begriffliche Fixierung des vorgefundenen Einzeleindrucks auf, die nur dadurch möglich ist, daß wir ihm seine Stelle in Raum und Zeit anweisen. Wir können ihn nicht anders bestimmen als durch die unmittelbare sinnliche Hinwendung zu ihm. Das einzige Mittel, ihn zu bezeichnen, ist die rein sinnliche Demonstration durch das "jetzt und hier", die aber sofort ihre Bestimmtheit verliert, sobald sich das Bewußtsein von ihm ab und einem anderen Eindruck zuwendet. Denn auch das Jetzt und Hier ist nunmehr etwas durchaus Anderes als in unserer gewöhnlichen Auffassung. Es bezeichnet nicht mehr den bestimmten Punkt innerhalb des räumlichen oder zeitlichen Zusammenhangs, den wir in unserer gewöhnlichen Erfahrung als räumliche und zeitliche Gegenwart ansehen, sondern ein völlig isoliertes nur erlebbares aber niemals aussagbares Einzelnes, das zu keinem anderen in irgendeine Beziehung zu bringen ist. So ist auch die unmittelbare Gegenwart des Bewußtseins, in der sich für diesen Standpunkt alle Gewißheit erschöpft, nicht die Gegenwart, so wie wir sie in Wirklichkeit erleben, sondern eine für unser wirkliches Bewußtsein unvorstellbare isolierte Einzelbestimmtheit, die durch keine Beziehung nach vor- oder rückwärts umschlossen wird. Der Standpunkt der reinen Gegebenheit ist nur durch theoretische Abstraktion von allen die Einzelmomente umfassenden Beziehungen erreichbar, während die Wirklichkeit unseres Bewußtseins keine Gegebenheit vorzustellen vermag, die nicht bereits einem über die sinnlich wahrgenommene Gegenwart hinausreichenden Zusammenhänge angehört. So bestätigt sich jetzt der Gedanke KANTs, daß ebenso wie die Einheit des Gegenstandes auch die des Subjekts auf allgemeingültigen Einheitsprinzipien beruth. Wir brauchen diese nicht, wie KANT es tat, als die Auffassungsformen, nach denen das Bewußtsein seine Eindrücke vereinigt, anzusehen, um zu diesem Ergebnis zu gelangen. Sie bedingen die Einheit des Bewußtseins, weil sie die logischen Voraussetzungen sind, auf denen die Erkenntnis des einheitlichen Zusammenhangs der Bewußtseinserscheinungen beruth. Statt daß die Einheit des auffassenden Subjekts einen logischen Zusammenhang seiner Bewußtseinsinhalte hervorbringt, ist sie vielmehr nur aufgrund der logischen Prinzipien gegenständlicher Einheit erkennbar. Der Begriff der gegenständlichen Einheitt ist ebenso die logische Voraussetzung der einheitlichen Wirklichkeit des Bewußtseins wie der des äußeren Objekts. Auch die Selbsterkenntnis des einzelnen Subjekts ist nicht von den Bedingungen der Erfahrungseinheit ablösbar. Sobald sie sich über die rein demonstrative Hinwendung zu dem in seiner Isolierung unaussagbaren Einzelerlebnis erhebt, verliert sie ihre vermeintliche Unmittelbarkeit und vermag das Einzelne nur als Glied eines über die unmittelbare Gegebenheit hinausgehenden Zusammenhangs zu bestimmen. Erst jetzt tritt uns die innere Notwendigkeit des Erfahrungsgedankens in voller Klarheit entgegenj. Er ist nicht mehr ein Postulat, das wir erst nachträglich an die Erscheinungen unseres Bewußtseins heranbringen; wir bedürfen seiner vielmehr schon, um die Inhalte unseres Bewußtseins in dessen Einheit eingliedern zu können. Die Einzelinhalte, die unserem Bewußtsein angehören, bieten die Gewißheit, daß sie zu gegenständlicher Einheit verbindbar sind, weil der Begriff dieser Einheit uns erst ihre Zugehörigkeit zum einheitlichen Ablauf unseres Bewußtseins verbürgt. So gewiß wir unser Bewußtsein im zeitlichen Ablauf seiner Geschehnisse als Einheit erkennen, so gewiß gilt auch die formale Gesetzlichkeit der Erfahrung, die uns die Erkenntnis dieser Einheit ermöglicht. Die einzige Möglichkeit, sich dieser Konsequenz zu entziehen, liegt in der Preisgabe jeder über das momentane Erlebnis des Einzeleindrucks hinausreichenden Gewißheit. Es mag sein, daß ein Skeptizismus, der zu dieser äußersten Konsequenz bereit ist, sich nicht in die formalen Widersprüche verwickelt, die von einem Zweifel an der Geltung des Wahrheitsgedankens unabtrennbar sind (4). Wohl aber setzt er alle Gewißheit unserer Erkenntnis in eine Erkenntnisart, die in der Wirklichkeit unseres Erkennens niemals möglich und nur als logische Fiktion vorstellbar ist. Statt die sinnliche Gewißheit der Wahrnehmung festzuhalten, fordert er einen Begriff der Wahrnehmung, den wir tatsächlich niemals zu verwirklichen vermögen, da uns in unserer wirklichen Wahrnehmung das Einzelne stets nur als Glied einer einheitlichen Zeitfolge vorstellbar ist. Indem er als einzige Wirklichkeit die isolierte Impression des Augenblicks anerkennt, setzt er sich nicht nur mit unserem psychologischen Vorstellen in Widerspruch, das keine aus allen begrifflichen Zusammenhängen losgelöste Einzelimpression kennt, sondern macht es sich selbst unmöglich, die von ihm anerkannte Wirklichkeit zu fixieren und festzuhalten. Er schränkt sich selbst auf eine Gewißheit ein, die nur solange besteht, als das einzelne Bewußtsein einem bestimmten Eindruck unmittelbar zugewendet ist, während sie im nächsten Augenblick sich nicht nur jeder Rechtfertigung entzieht, sondern durch die Ablehnung jeder Überschreitung des unmittelbar Gegebenen schlechterdings zunichte wird. Ich darf unbedenklich zugeben, daß eine strikte Widerlegung dieses Standpunktes, die über den Nachweis seiner alles wirkliche Erkennen wie alles wirkliche Bewußtsein aufhebenden Konsequenzen hinausgeht, nicht möglich ist. Die erkenntnistheoretische Beweisführung hat gleichwohl ihr Ziel erreicht, indem sie gezeigt hat, daß schon die elementare Wirklichkeit des Bewußtseins in den reinen Formen gegenständlicher Einheit begründet ist. Sie beweist, daß wir dem wissenschaftlichen Begriff der Natur nicht entsagen können, ohne damit zugleich alle empirische Gewißheit auch in ihrer primitivsten und einfachsten Gestalt zu zerstören. Das Ergebnis läßt sich freilich als ein analytisches bezeichnen. Allein es ist analytisch nicht in dem trivialen Sinn, daß es lediglich die offen zutage liegenden Voraussetzungen eines gegebenen Erkenntnisinhaltes zu einer ausdrücklichen Formulierung bringt. Das analytische Verfahren der Erkenntnistheorie deckt vielmehr in der scheinbar völlig auf sich selbst beruhenden Tatsächlichkeit des Bewußtseins die reinen Formen der Beziehung auf, denen sie ihre Einheit und ihren Bestand verdankt. Es zeigt, daß die Gesetze objektiver Einheit nicht erst nachträglich an die fertige Wirklichkeit des Bewußtseins herangebracht werden, sondern dieses selbst erst in seiner Einheit erkennbar machen und davor bewahren, in das völlig unbestimmte Augenblicksbild zu zerrinnen. So erweist sich der Gedanke der gegenständlichen oder synthetischen Einheit als die letzte Grundvoraussetzung, die all unserer Erkenntnis gegebener Inhalte Halt und Festigkeit gibt. Ohne selbst auf irgendeine andere Instanz der Gewißheit zurückführbar zu sein, liegt das Prinzip der gegenständlichen Einheit, das den objektiven Zusammenhang alles uns gegebenen Mannigfaltien verbürgt, unserer Erkenntnis zugrunde.
Diese Einsicht führt uns jedoch nur bis zu dem ganz allgemein gefaßten Prinzip gegenständlicher Einheit überhaupt, ohne die einzelnen Voraussetzungen, auf denen die Möglichkeit der Erfahrung beruth, hervortreten zu lassen. Aus dem bloßen Begriff einer Erfahrungsgesetzlichkeit überhaupt lassen sich offenbar die einzelnen Prinzipien nicht ableiten, welche die Einheit der Erfahrung begründen und es möglich machen, die Elemente einer gegebenen Mannigfaltigkeit als Glieder eines allgemeingültigen Zusammenhangs zu begreifen. Um zu den besonderen Formen, welche die Einheit unserer Erfahrung bedingen, zu gelangen, bleibt uns kein anderer Weg als die Hinwendung zu der gegebenen Beschaffenheit des dieser Einheit angehörigen Mannigfaltigen. Hier finden wir es als einen nicht weiter ableitbaren Tatbestand unseres Bewußtseins vor, daß seine Inhalte in räumlichen und zeitlichen Beziehungen stehen, daß sie sich neben- und nacheinander dem Bewußtsein darbieten. Was dieses Neben- und Nacheinander bedeutet, läßt sich in keiner Weise mehr durchsichtig machen. Selbst wenn man die Zeit als Prinzip der Subordination, den Raum als das der Koordination bezeichnet, so ist damit weder die schon von der allgemeinsten Fassung des Raum- und Zeitbegriffs unabtrennbare Vorstellung des Neben- und Nacheinander wirklich erschöpft, noch die Notwendigkeit eines solchen doppelten Ordnungsprinzipis selbst nachgewiesen. Jede Deduktion solcher Art zeigt lediglich, welche Funktionen innerhalb unserer Erkenntnis Raum und Zeit tatsächlich erfüllen, ohne nachweisen zu können, daß diese Funktionen ausschließlich durch diese Erkenntnisformen erfüllt werden können. Statt daher a priori deduzieren zu können, welche Voraussetzungen im Begriff einer möglichen Erfahrung überhaupt enthalten sind, können wir nur nachweisen, welche Voraussetzungen erforderlich sind, um das uns gegebene sinnliche Mannigfaltige zu einer objektiven Einheit zu bringen. Erst wenn wir über den Begriff einer gegebenen Mannigfaltigkeit überhaupt hinausgehen und die zu erkennende Mannigfaltigkeit mit den Merkmalen räumlicher und zeitlicher Beziehung ausstatten, wird die Frage beantwortbar, welche Gesetze der Raum- und Zeitbeziehung vorausgesetzt werden müssen, damit ein einheitlicher und allgemeingültig bestimmter Zusammenhang der räumlich und zeitlich verbundenen Inhalte möglich ist. Wenn das zu erkennende Mannigfaltige als räumlich und zeitlich bestimmt gedacht wird, so ermöglicht nunmehr das Prinzip der synthetischen Einheit die Feststellung der logischen Bedingungen der Raum- und Zeitform, die durch die ihnen zufallenden Erkenntnisfunktionen gefordert werden. Es muß der Darstellung der kantischen Raum- und Zeitlehre vorbehalten bleiben, zu zeigen, wie und innerhalb welcher Grenzen sich so eine Deduktion von Raum und Zeit ergibt. Schon jetzt aber ist es deutlich, daß die logischen und in keiner Wahrnehmung erfaßbaren Eigenschaften von Raum und Zeit, ihre Stetigkeit, Unendlichkeit, Einzigkeit und Homogenität nur durch die ihnen zufallende Aufgabe als Funktionen gegenständlicher Einheit begründbar sind, wie sich schon darin zeigt, daß beide Ordnungsformen in diesem formalen Bedingungen übereinstimmen, daß dagegen die speziellen Eigenschaften insbesondere des Raumes nur aufgrund der vorfindbaren Eigentümlichkeiten unserer räumlichen Wahrnehmungen ableitbar sind. Das irrationale Moment, das demnach auch den Formalprinzipien unserer Erfahrung anhaftet, läßt sich auch dadurch nicht beseitigen, daß statt der gegebenen Eigenart unseres sinnlichen Bewußtseins die geschichtlich vorliegende Erfahrungswissenschaft zum Ausgangspunkt der erkenntnistheoretischen Analyse gemacht wird. Denn wenn auch bei diesem Ausgangspunkt die Berufung auf eine bloß sinnliche Gewißheit zunächst vermieden scheint, so ist doch das eigentliche erkenntnistheoretische Problem hier nur zurückgeschoben. Begnügt sich die erkentnistheoretische Analyse der Wissenschaft damit, nachzuweisen, welche Voraussetzungen der gegebenen Wissenschaft tatsächlich zugrunde liegen, so ist damit die logische Zufälligkeit dieser Voraussetzungen nicht überwunden. Es ist nicht gezeigt, daß nur unter diesen Voraussetzungen Wissenschaft überhaupt möglich ist; vielmehr erscheint jetzt die Tatsache, daß sich unsere Wissenschaft gerade auf diesen Voraussetzungen aufgebaut hat, als ein keiner logischen Begründung zugängliches Faktum, für das in letzter Instanz der, wenn dieser Ausdruck gestattet ist, logische Instinkt der Wissenschaft verantwortlich ist. Sobald aber die Erkenntnistheorie über den gegebenen Tatbestand der Wissenschaft hinausfragt und seine logische Rechtfertigung anstrebt, sobald sie mit anderen Worten fragt, mit welchem sachlichen Recht die Wissenschaft gerade von diesen bestimmten Voraussetzungen ausgeht, kann sie eine Berufung auf die sinnliche Beschaffenheit unseres Bewußtseins nur dann vermeiden, wenn es ihr gelingt, nachzuweisen, daß sich die gegebenen Voraussetzungen unserer Wissenschaft als logisch notwendig einsehen lassen. Erst wenn der Begriff der zeitlichen Folge und der räumlichen Ausdehnung aus den letzten begrifflichen Voraussetzungen des Denkens deduziert ist, wird die Berufung auf die erlebte Tatsache der zeitlichen und räumlichen Gemeinschaft unserer Bewußtseinsinhalte entbehrlich. Da uns aber, wie ich verschiedentlich gezeigt habe, eine solche rein begriffliche Deduktion von Raum und Zeit versagt ist, so bleibt uns kein anderer Weg, um die Voraussetzungen, von denen die gegebene Wissenschaft ausgeht, zu deduzieren, als der Nachweis, daß sie erforderlich sind, um eine objektive Einheit der gegebenen Inhalte unseres Bewußtseins zu ermöglichen. Während KANTs Erörterung des Raum- und Zeitbegriffs, wie weiterhin noch deutlicher hervortreten wird, nicht auf das Prinzip der gegenständlichen Einheit zurückgreift, geht die Beweisführung, die er für die einzelnen Erfahrungsgrundsätze gibt, genau den Weg, den wir soeben bezeichnet haben. Sie hat zu ihrer Voraussetzung das allgemeine Ergebnis der transzendentalen Deduktion der Kategorien, daß alle Inhalte unserer Wahrnehmung zu gegenständlicher Einheit verbindbar sind und zeigt bei jedem einzelnen dieser Grundsätze, daß er nach einer bestimmten Richtung hin den objektiven Zusammenhang der Erscheinungen ermöglicht. Die Aufgabe, die dabei den einzelnen Erfahrungsgrundsätzen zufällt, besteht darin, den Erscheinungen ihre Stelle in Raum und Zeit anzuweisen; Raum und Zeit selbst werden in dieser Beweisführung als begrifflich bestimmte Stellenordnung vorausgesetzt, innerhalb deren jeder einzelne Punkt begrifflich fixierbar ist. Damit aber auch dieser Grundlage eine allgemeingültige Bestimmung der Erscheinungen möglich wird, ist eine weitere Reihe von Gesetzen erforderlich, nach denen wir erkennen, welche Beziehung innerhalb des Raumes und der Zeit zwischen den einzelnen Erscheinungen besteht. Erst in ihnen schreiten wir zur Bestimmung des Gegenstandes selbst, zu der in der Begründung der Raum- und Zeitordnung der Grund gelegt wird. Von diesem Gesichtspunkt aus ergibt sich auch die Gliederung der verschiedenen Grundsätze, die der Objektivierung der Erscheinungen dienen. Die verschiedenen Richtungen des räumlichen und, aus weiterhin zu entwickelnden Gründen, insbesondere des zeitlichen Zusammenhangs bedingen eine Mehrheit von Grundsätzen, welche die verschiedenen Arten dieser Zusammenhänge objektivieren. So löst sich bei KANT die Systematik der Grundsätze von der formallogischen Grundlage los, an die sie äußerlich noch gebunden erscheint. Statt daß, wie es diese Bindung erforderlich macht, eine durchgehende Korrespondenz zwischen den Urteilsarten und den Erfahrungsgrundsätzen besteht, entscheidet das Bedürfnis der Erfahrung darüber, ob jeder Urteilsart ein eigener Grundsatz entspricht, oder ob eine Mehrheit von Urteilsarten durch einen einzigen Grundsatz vertreten wird. Diese Freiheit in der Beziehung der Erfahrungsgrundsätze auf die formallogischen Einteilungen zeigt, daß allein die in der raumzeitlichen Form der Erfahrung enthaltenen verschiedenen Richtungen der Beziehung, die zwischen den Erscheinungen möglich sind und einer allgemeingültigen Bestimmung bedürfen, für die Aufstellung der einzelnen Erfahrungsgrundsätze maßgebend sind. Auch für die Deduktion der kategorialen Prinzipien der Erfahrung ist demnach im letzten Grund die logisch unableitbare Tatsache maßgebend, daß uns die Erscheinungen unseres Bewußtseins in räumlicher und zeitlicher Verknüpfung entgegentreten. Auch sie lassen sich aus dem allgemeinen Prinzip der gegenständlichen Einheit nur dadurch ableiten, daß die raumzeitliche Gemeinschaft unserer Bewußtseinsinhalte vorausgesetzt wird. Ist so schon in den formalen Voraussetzungen der Erfahrung ein irrationaler Faktor enthalten, so beschränkt sich dieser doch auf die allen Inhalten unseres Bewußtseins gemeinsame Verbundenheit in zeitlicher Folge und räumlicher Ausdehnung, während die besonderes Bestimmtheit der einzelnen Erfahrungsinhalte hier von keinerlei Bedeutung ist. Um zum Verständnis der Erfahrungsform zu gelangen, ist lediglich der Begriff eines räumlich und zeitlich verbundenen Mannigfaltigen überhaupt erforderlich, dessen qualitative Bestimmtheit in der Ableitung der Erfahrungsform gänzlich unberücksichtigt bleiben darf. Eben deshalb aber führt diese Ableitung nur zum Begriff eines empirischen Objekts überhaupt und läßt die inhaltliche Beschaffenheit des Einzelobjekts notwendigerweise unbestimmt. Die formalen Voraussetzungen der Erfahrung definieren nur den Begriff des Erfahrungsgegenstandes und können ihre objektivierende Kraft nur erhalten, wenn ihnen ein diesem Begriff gemäß zu bestimmendes Mannigfaltiges zu Gebote steht. Der Forschritt vom Begriff des Objekts zu diesem selbst setzt einen neuen Erkenntnisfaktor voraus, der das einzelne Objekt in seiner Inhaltlichkeit bestimmbar macht. Wenn wir diese Aufgabe dem gegebenen Inhalt der Empfindung zuweisen, so ergibt sich daraus die Notwendigkeit, den Begriff der Gegebenheit, der sich in unserer Untersuchung immer aufs Neue geltend macht, einer genaueren Analyse zu unterwerfen. Die letzte Gruppe der kantischen Erfahrungsgrundsätze, die Postulate des empirischen Denkens überhaupt, ist vornehmlich dieser Aufgabe gewidmet. Sie dienen der Bestimmung des Anteils, den die verschiedenen Erkenntnisfaktoren am Aufbau der Erfahrung haben, und heben sich damit scharf von den Erfahrungsgrundsätzen ab, die selbst als Bedingungen des Objektbegriff nachgewiesen werden. In ihnen weist KANT die Grenze auf, die der Deduktion der apriorischen Erfahrungsgrundsätze ihrem Begriff nach gesteckt ist, und bestimmt die Bedeutung des materialen Erkenntnisfaktors, der sich mit ihnen in unserer Objekterkenntnis vereint. Erst diese Erörterung des gegenseitigen Verhältnisses der einzelnen Erkenntnisfaktoren gibt über den kritischen Begriff der Wirklichkeit, den Ausgangspunkt der ganzen Untersuchung, die abschließende Klarheit. Diese Übersicht über den Weg, der vom allgemeinen Prinzip der synthetischen Einheit zu den einzelnen Bedingungen des Erfahrungsbegriffs führt, schreibt zugleich unserer weiteren Darstellung der kantischen Erfahrungslehre ihre Ordnung vor. Sie behandelt zunächst die räumliche und zeitliche Grundlage der Erfahrung mit den in ihr begründendeten mathematischen Erfahrungsgrundsätzen, dann die Prinzipien der Objektivierung des räumlichen und zeitlichen Zusammenhangs der Erscheinungen, die KANT als Analogien der Erfahrung bezeichnet, und schließt mit der Behandlung des Verhältnisses von Form und Inhalt der Erfahrung. In dieser Gliederung meiner Darstellung, die einen Teil der kantischen Erfahrungsgrundsätze mit der Lehre von den Anschauungsformen zusammenfaßt, in der sie ihre Grundlage haben, lasse ich auch die äußerliche Anlehnung an die Einteilung der Urteilsarten fallen, an der KANT noch festhält. Diese Abweichung von der Darstellungsform KANTs hat indessen auch in sachlicher Hinsicht eine wichtige Konsequenz. Trotz der Freiheit, mit der KANT das Verhältnis der Erfahrungsgrundsätze zu den Urteilsarten gestaltet, erblickt er doch in der Anknüpfung der Erfahrungsprinzipien an das System der Urteilsformen die Gewähr dafür, zum definitiven System der Erfahrungsgrundsätze gelangt zu sein. Die Überzeugung, daß die formallogische Gliederung der Urteilsarten in abschließender Form geleistet ist, überträgt sich auch auf die Systematik der Erfahrungsgrundsätze, die von der Einteilung der Urteilsarten ausgeht. Diese Bürgschaft für die Vollständigkeit der Abgeschlossenheit der Erfahrungsprinzipien ist uns genommen, nachdem ihr Anknüpfung an die Einteilung der Urteilsarten aufgegeben ist. Für diesen Verlust scheint jedoch der Gesichtspunkt einen Ersatz zu bieten, den ich in KANTs eigener Darstellung der Erfahrungsgrundsätze als den eigentlich bestimmenden aufgewiesen und der Ableitung der Erfahrungsprinzipien zugrunde gelegt habe. Die ihnen zugewiesene Aufgabe, die räumliche und zeitliche Beziehung der Erscheinungen zu objektivieren, läßt es als möglich erscheinen die Sicherheit zu gewinnen, daß alle in der räumlichen und zeitlichen Ordnung der Erscheinungen enthaltenen, logisch unterscheidbaren Beziehungsarten ihre Objektivierung gefunden haben und daß damit eine keiner Ergänzung mehr fähige Abgeschlossenheit der Erfahrungsgrundsätze erreicht ist. Dies ist die Überzeugung STADLERs, der im Anschluß an COHEN zuerst die Ableitung der Grundsätze aus den Urteilsarten aufgegeben und eine eigene Systematik der Grundsätze entworfen hat, an die sich meine bisherige Darstellung anschließt. So sehr er anerkennt, daß die räumliche und zeitliche Form der Erscheinungen lediglich festgestellt werden kann, ohne daß wir einzusehen vermögen, warum die Erscheinungen gerade diesen Ordnungsformen angehören, so glaubt er doch von diesem einmal gegebenen Ausgangspunkt aus mit strenger Notwendigkeit ableiten zu können, welche Verknüpfungsformen erforderlich sind, um den räumlichen und zeitlichen Zusammenhang der Wirklichkeit zu begründen (6). Seine Gründe zeigen jedoch nur, daß die Ableitung der Erfahrungsgrundsätze unter einem einheitlichen Gesichtspunkt erfolgt. Aus dieser Einheit des Gesichtspunktes der Ableitung aber ist niemals die Sicherheit dafür zu gewinnen, daß seine Durchführung mit abschließender Vollkommenheit erfolgt ist. Vergegenwärtigen wir uns den methodischen Charakter des Verfahrens, das zur Aufstellung der Grundsätze führt, so ist es vielmehr leicht ersichtlich, daß es die Gewähr einer wirklich vollständigen Durchführung niemals bieten kann. Die erkenntnistheoretische Untersuchung bedient sich, wie wir mehrfach hervorgehoben haben, des analytischen Verfahrens. Sie geht von einem gegebenen Faktum der Erfahrung aus, um es in seine logischen Bedingungen zu zerlegen. Eine Analyse solcher Art vermag wohl zu zeigen, daß eine bestimmte Voraussetzung zur Begründung unserer Erfahrung erforderlich ist. Sie besitzt aber kein Mittel um nachzuweisen, daß sie die in unserer Erfahrungserkenntnis enthaltenen Voraussetzungen vollständig aufgefunden hat. Sie kann sich nur dadurch rechtfertigen, daß es ihr gelingt, den gegebenen Tatbestand unserer Erkenntnis zu erklären. Selbst wenn aber bei dieser Erklärung keine Lücke übrig bleibt, ist damit nicht der Beweis geliefert, daß die erkenntnistheoretische Analyse tatsächlich ihr Ziel vollständig erreicht hat. Denn auch diese Nachprüfung bietet keine andere als eine rein empirische Gewähr dafür, daß ihr keine der im Erfahrungsbegriff enthaltenen Voraussetzungen entgangen ist. So grundsätzlich auch diese begriffliche Analyse von jeder Induktion im gewöhnlichen Sinn verschieden ist, so teilt sie doch mit ihr die Eigentümlichkeit, daß nur der Vergleich mit dem zu analysierenden Faktum selbst davon zu überzeugen vermag, wie weit dessen Erklärung gelungen ist. Dieser Vergleich aber kann immer nur die tatsächliche Gewißheit bieten, daß der zu erklärenden Tatbestand vollständig erfaßt ist, ohne jemals ausschließen zu können, daß eine spätere genauere Analyse die Unvollständigkeit der geleisteten Erklärung aufzeigt. Die erkenntnistheoretische Analyse teilt dieses Geschick mit jeder Axiomatik, welche die Grundlagen irgendeines Wissensgebietes entwirft. Mit evidenter Klarheit tritt dies gerade am Beispiel der mathematischen Axiomatik zutage, auf das STADLER hinweist. So selbstverständlich es zunächst erscheint, daß eine erschöpfende Rechenschaft über die axiomatischen Grundlagen einer mathematischen Disziplin möglich sein muß, so schwierig hat es sich gezeigt, dieses Ideal tatsächlich zu realisieren. Wenn hier die lückenlose Konsequenz, mit der alle Lehrsätze eines mathematischen Gebiets aus dem zugrunde gelegten Inbegriff von Axiomen folgen, den evidenten Beweis zu geben scheint, daß die Bedingungen, auf denen alle diese Lehrsätze ruhen, in ihnen erschöpft sind, so hat es sich mehrfach gezeigt, daß diese Lückenlosigkeit der Beweisführung nur darum möglich war, weil neben den ausdrücklich formulierten Axiomen bestimmte versteckte Voraussetzungen, die sich wegen ihrer scheinbaren Selbstverständlichkeit der Beachtung entzogen, in den Beweisgang eingingen. Keine noch so sorgfältige Kontrolle der Beweise aber vermag jemals die Sicherheit zu bieten, daß sie keine derartigen versteckten Voraussetzungen mehr in sich enthalten. Eine schlagende Bestätigung dieses Sachverhalts aber bietet die moderne Entwicklung der formalen Logik selbst, die so lange als das klassische Beispiel einer zu einem definitiven Abschluß gelangten Disziplin galt. Zu den logischen Grundsätzen, die von jeher als die alleinigen Grundlagen des Denkens galten, hat die neuere logische Analyse eine ganze Reihe weiterer Prinzipien hinzugefügt, die erst einen lückenlosen Fortgang des formalen Denkens ermöglichen. Die frühere Analyse des Urteils und der Gesetze des Urteilszusammenhangs, deren Ergebnis die traditionelle logische Prinzipienlehre war, hat sich als unzureichend erwiesen, um die wirklichen Formen und Gesetze des Urteils zu erklären. Auch die formale Logik ist darauf angewiesen, die im Begriff des wahren Urteils und des gültigen Urteilszusammenhangs enthaltenen Voraussetzungen aufzufinden, ohne jemals sicher sein zu können, daß die Analyse des Urteils, die sie erstrebt, in den bisherigen wissenschaftlichen Leistungen zum Abschluß gebracht ist. Die neuere Bewegung auf dem Gebiet der Logik, auf die wir uns hier berufen dürfen, hat nun aber gezeigt, aß ebensowenig wie die Zahl der logischen Prinzipien auch die Formulierung der einzelnen logischen Grundsätze selbst mit dem Anspruch auf definitive Geltung geleistet ist, wie am deutlichsten der noch immer nicht geschlichtete Streit umd die genaue Fassung und Tragweite des logischen Grundprinzips der Identität zeigt. Auch in dieser Beziehung muß gleich der formalen Logik auch die Prinzipienlehre der Erfahrung auf eine definitive Abgeschlossenheit verzichten und zu einer genaueren Fassung dieser Prinzipien stets bereit sein. KANT selbst gibt den entscheidenden Grund an, der es ebenso der Logik wie der Erkenntnistheorie unmöglich macht, zu einem definitiven System der logischen und erkenntnistheoretischen Prinzipien zu gelangen. Er weist nach, daß sich kein a priori gegebener Begriff im eigentlichen Sinn definieren läßt, da ich niemals sicher sein kann,
So führt die Konsequenz der kantischen Methode über die Anschauung hinaus, die in der "fertigen Arbeit" der logischen Wissenschaft eine endgültige Analyse der Erkenntnis erblickt, und fordert eine Auffassung der logischen Prinzipienlehre, wie sie neuerdings von COHEN im Anschluß an den plationischen Begriff der hypothesis entwickelt worden ist. Wir finden die Grundsätze der Erkenntnis nicht in fertiger Abgeschlossenheit in unserem Geist vor, sondern müssen sie aus dem Zusammenhang des Erkennens als seine letzten Grundbedingungen herausheben. Um zu den letzten Formen der logischen Verknüpfung vorzudringen, muß unser Denken aus unserer gegebenen Erkenntnis ihre formalen Voraussetzungen ablösen und entfaltet seine Kraft eben dahin, daß es die Grundlagen unseres Erkennens in fortschreitender Vertiefung und Präzision aufdeckt. Durch diese Auffassung der Methode logischer Forschung ist, wie kaum noch einer besonderen Hervorhebung bedarf, nicht etwa die logische Gesetzlichkeit selbst dem Fluß der Entwicklung anheimgegeben und in ihrer eigenen Geltung relativiert. Die Unabschließbarkeit der logischen Forschung ist ja eben darin begründet, daß sie die Gesetze der Wahrheit nicht selbst erzeugt, sondern das Faktum der Wahrheit zu ihrer Voraussetzung und zum Objekt ihrer Untersuchung hat. Sie beweist die Richtigkeit ihrer Ergebnisse allein dadurch, daß sie die von ihr entdeckten logischen Gesetze in unserer Erkenntnis selbst als ihre Bedingungen aufweist und durch sie zum Verständnis unserer Erkenntnis gelangt. Sie ruht deshalb auf der Voraussetzung, daß es eine zeitlose Gesetzlichkeit der Wahrheit gibt, deren sich unsere logische Erkenntnis fortschreitend zu bemächtigen hat. Die Erfassung dieser Gesetzlichkeit ist das Ziel, auf das die Arbeit der logischen Wissenschaft gerichtet ist und dessen stets mit sich gleichbleibende Bedeutung allein der Annahme eines Fortschritts unserer logischen Erkenntnis Sinn und Bedeutung verleiht. All das gilt genau in der gleichen Weise für die gegenständliche wie für die formale Logik. Auch die erkenntniskritische Forschung, welche die Prinzipien unserer Wirklichkeitserkenntnis feststellt, hat in ihrem unabschließbaren Fortschritt die zeitlos geltenden Gesetze der gegenständlichen Erkenntnis aufzudecken, die dem Begriff der Erfahrung zugrunde liegen und denen sie sich im Verlauf ihrer Arbeit ständig annähert. Die dargelegte Auffassung über die Methode der erkenntnistheoretischen Forschung mag es zugleich rechtfertigen, daß sich meine weitere Darstellung von allen Fragen der Systematik der logischen Prinzipienlehre fern hält und sich ihrer speziellen historischen Aufgabe gemäß damit begnügt, die von KANT aufgewiesenen Voraussetzungen der Objektiverkenntnis zu untersuchen, um festzustellen, wie KANT ihre Gewißheit begründet und inwieweit die in der kantischen Darstellung gegebene Deduktion ihrer Geltung mit derjenigen zusammentrifft, die sich aus dem nunmehr gewonnen Grundbegriff der gegenständlichen Einheit ergibt. ![]()
1) Ein lehrreiches Beispiel hierfür bietet Hume, der zur Empfindung als ein solches schöpferisches Vermögen die Einbildungskraft hinzutreten läßt, um den Tatbestand unserer Erkenntnis zu erklären. Diese Einbildungskraft aber ist nicht wie die sonst so genannte psychische Funktion darauf beschränkt, gegebene Eindrücke zu reproduzieren und zusammenzusetzen; sie geht vielmehr über die gegebenen Daten hinaus und bringt Inhalte hervor, die in dem ihr gegebenen Material niemals enthalten sind. Wenn Hume es als ihre Leistung ansieht, daß sie den gegebenen Zusammenhang sinnlicher Erscheinungen zu ausnahmsloser Allgemeinheit fortführt, so macht er sie damit zu einer gedanklichen Funktion und es ist nur ein Ausdruck der Bewertung, nur die Bezeichnung einer Irrationalität, wenn er diese Funktion der Einbildungskraft zurechnet. 2) Der Nachweis, daß eine bestimmte Erkenntnisfunktion über die Kompetenz der bloßen Empfindung hinausgeht, also den Anspruch auf Apriorität erhebt oder doch apriorische Elemente in sich enthält, ist in kantischer Terminologie deren metaphysische Erörterung (oder auch Deduktion), die "dasjenige enthält, was den Begriff als apriori gegeben darstellt" (Kritik der reinen Vernunft, Seite 51). Ihrem eigenen Charakter nach ist somit eine solche metaphysische Deduktion eine rein begriffliche Analyse des gedanklichen Inhalts, der in einer bestimmten Erkenntnisweise erfaßt wird. Ihrer Konsequenz nach dagegen hat sie zugleich eine psychologische Bedeutung, da sie die Fähigkeit des Bewußtseins zur Vollziehung der Akte begrifflicher Erkenntnis beweist, sodaß es sich erklärt, daß sie von manchen Kant-Erklärern als logische, von anderen als psychologische Analyse verstanden wird. 3) Die gegenständliche Auffassung der Erscheinungen ist nicht auf unsere Erfahrungsurteile beschränkt, wenn wir unter ihnen lediglich die ausdrücklich formulierten, in Worten ausgesprochenen Urteile verstehen. Sie ist ebenso in unserer gegenständlichen Wahrnehmung selbst enthalten, in der wir von uns unabhängige Objekte zu sehen, zu tasten oder in anderer Form wahrzunehmen überzeugt sind. Gleichwohl ist es auch hier ein Akt der Beurteilung, der die Grundlage dieser Auffassungsform bildet. Das Wirklichkeitsbewußtsein, das in unseren gegenständlichen Erlebnissen enthalten ist, stellt eine Art der Beurteilung dar, für die es gleichgültig ist, ob sie ausdrücklich zu einer verbalen Formulierung gelangt. 4) Der neuerdings wieder von Rickert unternommene Versuch, auch den Zweifel einer formalen Gesetzlichkeit der Erfahrung als logisch widerspruchsvoll nachzuweisen ("Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung", Seite 684), trifft nur eine unvorsichtige Formulierung dieses Standpunkts. Die Leugnung einer allgemeingültigen Erfahrungsgesetzlichkeit braucht sich nicht in die Form zu kleiden, daß keine unbedingt allgemeinen Urteile gültig sind, durch die allerdings ihre eigene Geltung aufgehoben wird. Sie bleibt von diesem Widerspruch frei, wenn sie lediglich behauptet, daß kein Zusammenhang sinnlich gegebener Erscheinungen nach allgemeinen Gesetzen besteht. Ebensowenig wie diese These selbst aber führt auch ihre Begründung mit Notwendigkeit in einen Widerspruch, wenn sie sich von einer dogmatischen Forumulierung freihält. Wer allerdings mit dogmatischer Bestimmtheit behauptet, synthetische Urteile a priori seien darum ungültig, weil die sinnliche Wahrnehmung und die formallogische Evidenz die alleinigen Grundlagen aller gültigen Erkenntnis sind, stellt damit selbst ein Urteil auf, das weder in einer sinnlichen Erfahrung, noch in der formalen Notwendigkeit des Denkens begründet ist. Dieser Widerspruch aber ergibt sich nur dann, wenn die Unmöglichkeit synthetischer Urteile a priori mit dogmatischer Sicherheit behauptet wird. Er fällt dagegen fort, wenn lediglich die Unbegründbarkeit jedes derartigen Urteils als Grund des Zweifels geltend gemacht wird. Um die Ungültigkeit des Kausalprinzips mit positiver Bestimmtheit nachweisen zu können, müßten wir allerdings im Besitz einer synthetischen Erkenntnis a priori sein. Die Behauptung dagegen, daß seine Geltung unbegründbar ist und deshalb nicht anerkannt zu werden braucht, schließt nicht den Anspruch in sich, als synthetisches Urteil a priori anerkannt zu werden und steht deshalb mit dem Zweifel an der Geltung solcher Urteile nicht im Widerspruch. 5) Hermann Cohen, "Kants Theorie der Erfahrung", Seite 139. 6) August Stadler, Grundsätze der reinen Erkenntnistheorie in der kantischen Philosophie, Seite 58, Anmerkung 50 und 72. |