![]() |
![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
|||
Die vier Phasen der Philosophie und ihr augenblicklicher Stand [ 2 / 2 ]
10. Das also war hier das erste Stadium des Verfalls; und es führte naturgemäß zum zweiten, zum Stadium der Skepsis. Dieses ist im Mittelalter durch den Nominalismus vertreten. Seine revolutionäre und skeptische Tendenz ist schon vielfach bemerkt worden. WILHELM von OCKHAM (29) verwirft nicht bloß die Realität der Universalien; alle unsere Vorstellungen sollen nach ihm nur Zeichen sein, die, wie der Rauch mit dem Feuer, mit dem Gegenstand, dessen Zeichen sie sind , keine Ähnlichkeit haben. In Bezug auf die erhabensten Fragen erklärt er: eine Erkenntnis Gottes als eines erkennenden, schöpferischen unendlichen Wesens durch Vernunftgründe ist unmöglich; ebensowenig können wir wissen, ob im Menschen etwas geistig und unsterblich ist; und auch eine natürliche Moral gibt es nicht; denn Gott kann befehlen, was er will; er könnte ebensogut die Lüge als Wahrhaftigkeit, den Ehebruch als eheliche Treue, den Mord als Schonung des Nächsten, ja er könnte den Haß Gottes selbst gebieten, und dieser würde dann verdienstlich sein. Der Einfluß der kirchlichen Autorität im Mittelalter war ein sehr mächtiger und stellte sich hemmend diesen skeptischen Tendenzen entgegen. Die Nominalisten aber suchten sich ihm zu entziehen; und sie taten es, indem sie der Kirche ihr Kompliment machten und erklärten, daß sie die Wahrheit ihrer Lehren nicht im Geringsten antasten. Sie selbst seien davon überzeugt, daß sie theologisch wahr sind, während sie sie allerdings ebenso entschieden für philosophisch falsch erklären müssen. Mit dieser Unterscheidung zweiter entgegengesetzter Wahrheiten war natürlich das Wesen der Wahrheit selbst gänzlich annulliert. 11. Aber gegen diese Skepsis erhob sich gegen Ende des Mittelalters eine neue und mächtige Reaktion. Bekannt ist das Auftreten zahlreicher und hervorragender Mystiker in dieser Epoche. MEISTER ECKHARDT (30), TAULER (31), HEINRICH SUSO (32), JOHANNES RUYSBROEK (33), sowie der Verfasser der Deutschen Theologie, die LUTHER herausgegeben hat (34), gehören mit anderen hierher. Der große Kanzler GERSON (35), der, als der bedeutendste Mann seiner Zeit, das Costnitzer Konzil leitete, führt mit Recht den Namen des Mystikers. Und neben der religiösen Mystik finden wir philosophische Spekulationen, die vermöge einer neuen, bisher unerhörten und durchaus unnatürlichen Methode sich in kühnem Flug zu unnahbaren Zinnen der Wahrheit erheben wollen. Ich nenne hier nur einerseits die Lullisten, andererseits den berühmten deutschen Kardinal NIKOLAUS CUSANUS. Im 13. Jahrhundert schon war in Spanien ein edler aber schwärmerischer Geist aufgetreten, RAIMUNDUS LULLUS (36). Er hatte sich eine neue logische Methode ersonnen, die er die ars magna nannte. Auf konzentrischen, vereinzelt drehbaren Kreisscheiben wurden Begriffe aufgezeichnet, und dadurch die verschiedenartigsten Kombinationen hergestellt. Es ist offenbar nicht abzusehen, wie auf solche Weise der Natur ihre Geheimnisse abgelauscht werden sollen. Aber LULLUS versprach sich von dieser Erfindung, die ihm vom Himmel eingegeben schien, das Allerhöchste und machte sich mutig daran, Trinität, Erbsünde, Inkarnation und Erlösungstod aus bloßer Vernunft apodiktisch zu erweisen. Bei seinen Zeitgenossen hatte dieser seltsame Mann nicht eben viele Anhänger gefunden, aber im 14. Jahrhundert mehrte sich die Zahl der Lullisten, so daß unter GERSON die Pariser Universität es notwendig fand, ausdrücklich die "große Kunst" zu verdammen. Die Lullisten hatten für die Schriften ihres Meisters eine grenzenlose Verehrung. Der alte Bund, sagten sie, sei dem Vater, der neue dem Sohn, die Lehre des LULLUS dem hl. Geist zuzuschreiben. Sie sei nicht durch Nachdenken zu erforschen, noch durch Unterricht zu erlernen: ihr Verständnis sei nur durch eine höhere Eingebung zu erlangen möglich. Noch im Zeitalter der Reformation, wo selbst GIORDANO BRUNO eine große Meinung von der Weisheit des LULLUS hatte, waren die Lullisten so zahlreich, daß Papst PAUL IV., ähnlich wie früher GREGOR XI., die Lehre verdammte und seine Schriften verboten hat. Mehr noch als die Lullisten zeigt sich der kühne Aufschwung, den in dieser Epoche, im Gegensatz zur vorangegangenen, die Spekulation nimmt, bei NIKOLAUS CUSANUS (37), der ebenfalls noch auf GIORDANO BRUNO einen Einfluß ausübt. Er nannte seine Lehre "docta ignorantia", "gelehrte Unwissenheit". Unter ihr versteht er eine Unwissenheit, die ein alles Wissen übersteigendes Erkennen ist. Er nennt es ein "Schauen ohne Begreifen", ein "unbegreifliches Begreifen", "Spekulation", "Intuition", "mystische Theologie", "dritter Himmel", "Weisheit" und dgl. Das niederste Erkennen ist die Sinneswahrnehmung (sensus). Höher als diese steht die Vernunft (ratio). Über beide aber erhebt sich unser weitaus höchstes geistiges Vermögen, die intellektive Einsicht (intellectus). Der Sinn erkennt nur durch Bejahung, die Vernunft durch Bejahung und Verneinung, die intellektive Einsicht dagegen nur durch Verneinung. Das Gesetz des Widerspruchs besteht auf ihrem Gebiet nicht; vielmehr gilt hier geradezu das entgegengesetzte Prinzip, das der Koinzidenz der Gegensätze (38). In der kühnsten Weise werden vermöge dieses übervernünftigen Denkverfahrens Gott, Kreatur und die Einheit von Gott und Kreatur in der Inkarnation a priori konstruiert (39). So sehr ich bedaure, nicht durch ausführlichere Mitteilungen die Art und Weise dieser letzten originellen mittelalterlichen Spekulationen anschaulich machen zu können, so glaube ich doch, reicht auch das Wenige aus, um zu zeigen, daß sie meiner allgemeinen Charakteristik des vierten Stadiums jeder großen Gesamtperiode der Philosophie ebenso, wie im Altertum die Spekulation der Neupythagoräer und Neuplatoniker, entspricht. Wenden wir uns also sofort zur Neuzeit. 12. Die dritte Periode hebt an mit BACO von VERULAM und DESCARTES (40). Der energische, reine Wissenstrieb jener Zeit ist bekannt. Ebenso aber sehen wir sie deutlich zu einer natürlichen Methode zurückkehren. Die Erfahrung wird als die große Lehrmeisterin geehrt. Mit BACOs Namen ist der Gedanke an die induktive Forschungsweise bis heute untrennbar verknüpft. Ähnlich wandte sich DESCARTES der Beobachtung der Tatsachen zu. Als einer seine Bibliothek zu sehen verlangte, führte ihn DESCARTES in ein Nebenzimmer, worin kein einziges Buch, aber, an der Wand aufgehängt, ein geschlachtetes Kalb zu sehen war, das er zum Zweck physiologisch-psychologischer Untersuchungen zerlegt hatte. "Das", sagte er, "ist die Bibliothek, aus der ich mir meine Weisheit hole." Die nächsten Nachfolger blieben der Erfahrungsmethode treu. LOCKE (41) hat auf einem solchen Weg Vieles und Treffliches geleistet. Und auch LEIBNIZ (42) tat noch manchen guten psychologischen Blick. Nur ließ die Zersplitterung seiner Tätigkeit ihn nur den kleinsten Teil seiner genialen Kraft der Philosophie zuwenden. 13. Aber alsbald tritt eine Störung ein, ähnlich wie sie nach einer ungleich längeren aufsteigenden Entwicklung im Altertum eingetreten war. Es war in der Tat die Zeitlage in mehrfacher Beziehung jener der beginnenden griechischen Dekadenz ähnlich. Die Volksreligion übte auf die Gemüter die alte Macht nicht mehr aus, und auch auf politischem Gebiet kam alles Überlieferte ins Wanken. Wiederum sollte überall die Philosophie das Aushilfsmittel liefern. Das rein theoretische Interesse wurde somit abermals durch ein praktisches verdrängt. Und die gleiche Folge wie im Altertum trat ein. Die Philosophie verflachte, und trotz der zahlreichen Teilnahme gewann nicht, sondern verlor sie nur an wissenschaftlicher Bedeutung. Die sogenannte französische und die sogenannte deutsche Aufklärung, trotz all ihrer inneren Verschiedenheit sind beide für das Gesagte Belege. Jene könnte etwa als eine Verflachung der Philosophie des LOCKE (43), diese als eine Verflachung der Philosophie von LEIBNIZ (44) bezeichnet werden. HUME (45) macht darauf aufmerksam, wie LOCKEs Schriften eigentlich kaum mehr gelesen werden, und nur oberflächlichere philosophische Schriftsteller das Publikum beherrschen. 14. So war das erste Stadium des Verfalls eingetreten. Und sofort folge dann das zweite Stadium, das der Skepsis. DAVID HUME (46), ist es, der dieses Stadium in der dritten großen Periode der Philosophie vornehmlich vertritt (47). Es ist dies zu bekannt, als daß es nötig wäre, es durch eine eingehendere Besprechung seiner Lehre zu begründen. Auch weiß man, wie der Stachel seiner Skepsis nicht bloß in seiner Heimat, sondern auch in Deutschland, das jetzt neben England das ergiebigste Feld für die Pflege philosophischen Denkens wurde, sich fühlbar machte. KANT sagt geradezu, er sei durch DAVID HUME aus seinem dogmatischen Schlummer geweckt worden. 15. Und siehe da! auf diese Skepsis folgt wieder die mächtigste Reaktion, welche mittels unerhörter und unnatürlicher Mittel die Erkenntnis zu retten, ja, in einer weiteren Fortbildung, in überschwänglicher Weise zu erweitern sucht. In England fand diese Reaktion statt durch die sogenannte Schottische Schule, die heutzutage unter den Deutschen allzuwenig beachtet zu werden pflegt. THOMAS REID (48), ihr Gründer, behauptete, daß im Bewußtsein aller Menschen eine Summe primitiver Urteile liegen, deren wir gewiß sind, obwohl sie uns nicht einleuchten. Er nannte sie "common sense", "gemeinen Menschenverstand". Es sei möglich, daß wir uns in ihnen täuschen, aber, darum unbekümmert, müßten wir sie glauben und können darauf eine Wissenschaft gründen. So - aber nur so - läßt sich der Skeptizismus überwinden. In Deutschland war es KANT (49), der sich die Aufgabe stellte, das Wissen gegenüber der Skepsis HUMEs zu retten. Und er verfuhr in wesentlicher Beziehung ähnlich wie REID. KANT behauptet, daß die Wissenschaft zu ihrem Untergrund eine Anzahl von Prinzipien verlangt, die er synthetische Erkenntnisse a priori nennt. Sieht man genau hin, was er darunter versteht, so findet man, daß er damit Sätze meint, die uns von vornherein feststehen sollen, ohne einleuchtend zu sein, also eine Summe primitiver Urteile von dem Charakter, den nach REID die Urteile haben, die er als "common sense" zusammenfaßt. Aber nun kommt etwas, was KANT eigentümlich ist. Während REID nicht das Geringste tut, um die offenbare Unvernunft der Forderung, auf blinden Vorurteilen ein Wissen aufzubauen, zu beschönigen, sinnt KANT auf ein Mittel, ein scheinbar so unsinniges Verfahren zu rechtfertigen. Und das führt ihn dazu, daß es unter einer Voraussetzung gestattet ist, auf solchen blinden Vorurteilen zu bauen, nämlich wenn wir annehmen, daß die Gegenstände sich nach diesen Vorurteilen richten. Diese Annahme also müßten wir machen. Während man, sagt KANT, bisher angenommen hat, unsere Erkenntnis richte sich nach den Dingen, nehmen wir jetzt an, die Dinge richten sich nach unserer Erkenntnis. Unter der früheren Annahme war der Skeptizismus unüberwindbar. Nun aber wird aufgrund der synthetischen Urteile a priori sein Angriff siegreich zurückgeschlagen werden können. Das wäre nun alles sehr schön, wenn nur nicht von den beiden Annahmen die alte als die einzig naturgemäße, die neue dagegen als eine widernatürlich kecke Behauptung erscheint. KANT jedoch sucht sie plausibler zu machen, indem er darauf hinweist, wie ein Teil der Gegenstände, auf welche sich unser Forschen bezieht, und zwar sämtliche Erfahrungsgegenstände, Phänomene und, als Phänomene, von unserer Subjektivität mitbedingt sind. Nur für diesen Teil der Gegenstände sollen darum unsere synthetischen Erkenntnisse a priori gelten, und über sie und über den Bereich möglicher Erfahrung hinaus ein Wissen schlechthin unmöglich sein. Und so entfallen dann nach KANT, wie nach HUME, die erhabensten Untersuchungen, über Gott, Unsterblichkeit, Freiheit, Anfang oder Anfangslosigkeit, Begrenztheit oder Unbegrenztheit des Weltalls usw. usf. So sehr das menschliche Gemüt hier nach Erkenntnis lechzen mag, man kann ein Wissen darüber schlechterdings nicht erlangen. Das war also zunächst ein sehr partieller Erfolg in dem Streben, dem Skeptizismus seine Beute zu entreißen; - wenn es überhaupt ein Erfolg war. Denn eigentlich ist dies schlechthin zu leugnen. Gegenstände, die Phänomene von uns sind, mögen allerdings in ihrer Eigentümlichkeit von unserer Subjektivität irgendwie mitbestimmt sein; daß aber deshalb irgendein blindes Vorurteil, das wir hegen, sich in Bezug auf ihren Verlauf bewähren wird, ist damit noch keineswegs dargelegt. Nehmen wir ohne Weiteres an, dies sei der Fall, so ist das eine logische Unzulässigkeit, und es trifft, wenn wir auf dieser Annahme eine Wissenschaft aufbauen wollen, unser Verfahren der alte Vorwurf der Skeptiker von der Willkür der Prinzipien in vollstem Maß. KANT jedoch wird sich dieser Schwäche seiner Lehre nicht bewußt. Was ihm Bedenken erregt, ist nicht ein Zweifel an der Sicherung des phänomenalen Wissens, sondern das Bewußtsein, daß er den besten und erhabensten Teil der Erkenntnis den Skeptikern hat preisgeben müssen. Und da erdenkt er sich dann einen anderweitigen Ersatz. Sind die synthetischen Erkenntnisse a priori etwas, was wir blind glauben müssen, so ist das Dasein Gottes, so ist die Unsterblichkeit der Seele, so ist die Freiheit des Willens etwas, was wir blind glauben sollen. Sie sind Postulate de reinen praktischen Vernunft. Einsicht in ihre Wahrheit besitzen wir keine; aber unsere Überzeugung von ihnen mag darum nicht weniger zuversichtlich sein; ich werde an ihr mit nicht geringerer Kraft als an meiner eigenen sittlichen Würde festhalten. So schmeichelt sich also KANT, uns auch über die objektive Realität dieser erhabenen Ideen dennoch Gewißheit verschafft zu haben. Aber, wenn NIKOLAUS CUSANUS seinem "intellectus" ein unbegreiflichliches Begreifen zugeschrieben hat, so scheint es mir, können wir sagen, daß KANT seiner "praktischen Vernunft" ein unglaubliches Glauben zumutet. Alles, was bei ihm von Mitteln gegen den Skeptizismus in Anwendung gebracht wird, ist so widernatürlich verschroben, wie es jedesmal in der Zeit der Reaktion gegen das zweite Stadium des Verfalls der Fall zu sein pflegt. Und doch war diese Reaktion in Deutschland erst im Anfang. Während die besonneneren Engländer auf dem unnatürlichen Weg, den REID eingeschlagen hatte, nicht weiter gehen, ja in der Schottischen Schule selbst schon der zweite Nachfolger REIDs, THOMAS BROWN, wieder mehr einer natürlichen Betrachtungsweise sich annähert, folgt in Deutschland auf KANT FICHTE (50) mit seiner Methode von Thesis, Antithesis und Synthesis; auf FICHTE SCHELLING (51) mit seiner intellektuellen Anschauung, einer schlechthin absoluten Erkenntnisart; sie kann nicht gelehrt werden; auch ist nicht abzusehen, warum die Philosophie zu besonderer Vorsicht auf das Unvermögen verpflichtet sein sollte; nein! man soll den Zugang zu ihr vom gemeinen Wissen her so abschließen, daß kein Weg oder Steg dahin führt. Und auf SCHELLING folgt HEGEL (52) mit seiner absoluten Philosophie, die der sich selbst als alle Wahrheit wissende, die ganze natürliche und geistige Welt aus sich selbst reproduzierende Gedanke zu sein behauptet. VOn einem völlig inhaltlosen Denken will HEGEL ausgehen, die Negation zum Vehikel eines dialektischen Fortschritts machen, und nach einer Reihe von Tanzschritten, die er im Dreivierteltakt von Position, Negation und Einheit beider ausgeführt hat, glaubt er sich wirklich an einem hohen Ziel angelangt. 16. Nun wohl! HEGELs System und seine Prätentionen [Anmaßungen - wp] sind gerichtet. Vor wenigen Jahrzehnten noch allgemein als die höchste Leistung menschlicher Forschungskraft gepriesen, wird es heute ebenso allgemein als die äußerste Entartung menschlichen Denkens verdammt. Das ist ein gutes Zeichen. Und überhaupt dürfen wir vertrauen, daß unsere Zeit der Beginn einer neuen Periode der Entwicklung ist. An die Überzeugung von der Nichtigkeit der jüngsten Systeme knüpft sich naturgemäß der Versuch, auf ältere Denker zurückgehend, einen gedeihlicheren Anknüpfungspunkt zu gewinnen, wie das Mittelalter in ARISTOTELES ihn gefunden hat. Man kommt bei dieser Suche zunächst auf KANT zurück und meint in diesem sozusagen den "Aristoteles der Neuzeit" zu erkennen. Unsere geschichtliche Betrachtung zeigt, daß dies nicht der Fall ist. Weder was KANT vorausgeht, noch was er selbst lehrt, noch was auf ihn folgt, gibt ihm irgendwie eine Stellung, wie der alte Stagirite sie im Altertum eingenommen hat. HERBART sagt, KANT habe wohl einen Funken geschlagen, an dem man ein Licht hätte anzünden können, aber sein Erbe sei in die Hände eines taumelnden Geschlechts gefallen. Und so gesteht er dann zu, daß es unmittelbar nach KANT ärger zugegangen ist, als je zuvor. Aber warum, frage ich, hat denn nach KANT das ganze Geschlecht getaumelt? Ist es nicht in der Geschichte der Wissenschaft unerhört, daß, unmittelbar nachdem einer als der erste den rechten Weg gezeigt hat, alles, und zwar infolge seiner Einwirkung, auf ärgeren Abwegen sich befunden hat als früher? Sollen wir diesem und so manchem anderen durchschlagenden Argument gegenüber uns durch die gegenwärtige öffentliche Meinung beirren lassen? - Wahrhaftig nein! Wenn man unserer Zeit nachrühmen darf, daß sie sich in der Philosophie verjüngt hat, so liegt darin zugleich ausgesprochen, daß sie zunächst in ein neues Kindesalter getreten ist. Da kann dann ihr Urteil von keiner großen Sicherheit sein. Auch gibt die gegenwärtige öffentliche Meinung in ihrem jähen Schwanken vielfach gegen sich selbst Zeugnis. Schloß sie sich nicht gestern der ethischen Mitleidslehre eines SCHOPENHAUER an, um sie heute, dem inhumanen Suprahumanismus NIETZSCHEs huldigend, zu verachten? So haben dann auch in Bezug auf KANT etliche von den Besten sich schon heute von der gangbaren Meinung völlig emanzipiert. HERBERT SPENCER, um nur einen der angesehensten zu nennen, denkt über ihn ganz so, wie ich selbst, und wir tun dies, jeder ganz unabhängig vom anderen. Und mehr als einmal begegnete es mir, daß Gelehrte, vor denen ich mein Urteil über KANT ausgesprochen habe, ausriefen: "Ach! wie freue ich mich, das von Ihnen zu hören! Es ist vollkommen auch meine Überzeugung. Aber man darf sie nicht aussprechen." Eine solche Menschenfurcht kenne ich nicht. Vielmehr halte ich es für eine wissenschaftliche Pflicht, in einer für die Mitwelt so wichtigen Frage seine wahre Meinung offen zu bekennen. Lehrreich ist es auch, wenn man sieht, wie von den Versuchen, auf KANT zurückgehend die Philosophie weiterzuführen, keiner irgendeinen Erfolg gehabt hat. Und wiederum, wie diejenigen, die ihn sich zum Meister wählen, sich doch zugleich genötigt sehen, zu bekennen, daß man bei ihm unterscheiden muß. Während sie gewisse Werke, insbesondere die "Kritik der reinen Vernunft", hoch erheben, brechen sie über andere, wie insbesondere über die "Kritik der praktischen Vernunft" den Stab. So SCHOPENHAUER, so - ich sagte es schon - auch unser LORM. Also nicht bloß andere sollen, nachdem KANT ihnen den rechten Weg gezeigt hat, sich völlig in der Irre verloren haben, sondern er selbst, behauptet man, ist, nachdem er ihne eben gefunden hat, sofort ganz irrige Bahnen gewandelt. Klingt das nicht seltsam über alle Maßen? Doch noch mehr! Auch aus der "Kritik der reinen Vernunft" werden umfangreiche Teile als unhaltbar und wertlos ausgeschieden; bei denjenigen aber, denen man, nachdem man die Lehre so vielfach durchgesiebt hat, allein bleibende Bedeutung zuspricht, erklärt man schließlich auch noch, daß sie gewisser Modifikationen bedürftig sind. Man identifiziert sie dann mit gewissen Anschauungen und Meinungen, zu welchen die moderne Naturwissenschaft geführt hat, wie z. B. mit JOHANNES MÜLLERs Lehre von anererbten Vorstellungen und Urteilen, wie HÄCKEL und andere Darwinianer sie machen, und mit DUBOIS-REYMONDs Lehre von den Grenzen des Naturerkennens. Auch LORM verfährt nicht anders. Aber eine einigermaßen exakte Untersuchung zeigt, daß, was man so im Wesentlichen für identisch erklärt, tatsächlich alle tiefere Verwandtschaft vermissen läßt. Die Lehre MÜLLERs über die spezifische Energie hat nichts zu tun mit der Lehre KANTs von den apriorischen Sinnesformen, Raum und Zeit, sondern vielmehr mit den Lehren von LOCKE und anderen der älteren Empiriker über die Subjektivität der Sinnesqualitäten (53). Die Lehre HÄCKELs und anderer Darwinisten über die vererbten Gedanken - nebenbei gesagt, mit aller Erfahrung durchaus im Widerstreit hat nichts zu tun mit KANTs apriorischen Begriffen und Erkenntnissen, die ja von der Art sein sollen, daß sie aus gar keiner Erfahrung, also auch nicht aus der unserer Vorfahren, geschöpft werden könnten. Die Lehre von DUBOIS-REYMOND endlich hat nichts zu tun mit KANTs Lehre von der Unerkennbarkeit des Dings-ansich und der Unanwenbarkeit der synthetischen Erkenntnisse a priori auf transzendente Fragen, außer etwa dies, daß beide lehren, daß die Erkenntnis des Menschen gewisse Schranken hat. Das aber hatte auch die alte empirische Schule gelehrt und darüber, aufgrund psychologischer Betrachtungen, eine Reihe treffender Bestimmungen gegeben (54). Aber von diesen Früheren weiß man gemeiniglich gar wenig und rechnet darum KANT oft als ursprüngliches Verdienst an, was er tatsächlich von anderen übernommen und nur gewöhnlich durch mancherlei Zutaten verunreinigt hat. So meint man auch vielfach, KANT habe erst eine Harmonie zwischen Naturforschung und Philosophie hergestellt, während tatsächlich die beiden in dem Maß in Einklang gestanden sind, daß LAVOISIER in seinem berühmten, für die Chemie grundlegenden Werk eine lange Erörterung von CONDILLAC über die richtige Weise der Forschung einlegte und sagt, daß er bei seinen eigenen Untersuchungen sie befolgt und durchaus bewährt gefunden hat. (55) Zurück also zu den eigentlichen, lauteren Quellen! Knüpfen wir an die Errungenschaften der aufsteigenden Entwicklungsphase an! Da finden wir treffliche Vorarbeiten. Und da finden wir auch jene gesunde Methode, die es uns möglich macht, die Arbeiten erfolgreich weiter zu führen. 17. Ähnliches kann in Bezug auf die Leistungen der aufsteigenden Phasen älterer Perioden gesagt werden. Ich denke hier insbesondere an die Leistungen der antiken Philosophie. Sie hatte gegenüber der modernen Zeit den Vorzug einer länger aufsteigenden Entwicklung und konnte darum in mancher Hinsicht zu reicheren Ergebnissen gelangen. Von ARISTOTELES ist noch heute gar manches am Besten zu lernen. Was die mittelalterliche Periode anlangt, so ist sie, wie auch immer - schon LEIBNIZ hat dies erkannt (56) - berücksichtigenswert, den beiden anderen nicht gleichwertig. Eigentlich gab es in ihr niemals ein ganz freies Interesse für eine vernünftige Forschung. Die Philosophie wurde als ancilla theologiae (als "Magd der Theologie") betrachtet. Nur relativ gilt darum von der ersten Phase dieser Zeit, daß in ihr das theoretische Interesse rein war. Ohne Frage hat dieser Umstand die Entwicklung beeinträchtigt, in der aufsteigenden Epoche von wichtigen Untersuchungen abgehalten und die Ausartung in sinnlose Subtilitäten, welche das erste Stadium des Verfalls charakterisiert, begünstigt. Darum kann die Rücksicht auf die mittelalterliche Philosophie nicht von gleichem Segen sein. Geradezu von Unheil aber würde sie werden, wenn man sie sich darin zum Muster nehmen würde, daß man die Philosophie wieder in jenes knechtische Verhältnis zur Theologie bringen wollte (57). 18. Aber nicht bloß in der Geschichte der modernen und antiken Philosophie hat die Gegenwart Anknüpfungspunkte zu suchen, sondern auch in den Leistungen anderer Wissenschaften, insbesondere in jenen der Mathematik und Naturwissenschaft, die heutzutage einer so mächtigen Entwicklung sich erfreuen. Alles in der Wissenschaft steht ja in einem Zusammenhang. Und so findet man in den Arbeiten großer Mathematiker und Naturforscher sogar zur Philosophie selbst wesentliche Beiträge. Um nur eines zu erwähnen, hat die Ausbildung der Wahrscheinlichkeitslehre gewisse logische Fragen in einer Weise erklärt, daß HUMEs skeptische Bedenken dadurch vollkommen behoben werden können, ja tatsächlich behoben worden sind. Von jenen unnatürlichen Mitteln, zu welchen REID und KANT greifen zu müssen glaubten, wird dabei keinerlei Gebrauch gemacht. 19. Infolge davon ist der Weg in jene höheren Gebiete, zu welchen KANT, nicht durch das Tor intellektueller Einsicht uns einziehen, sondern, in seltsamster Art, durch jene unglaublichen Akte blinden Glaubens einbrechen lassen wollte, nicht mehr, wie es früher schien, verrammelt. Es ist wahr, Schranken bestehen tatsächlich für unser Erkennen und werden immer so bestehen. Bei vielen Fragen vermögen wir nur Wahrscheinlichkeit, bei andern nicht einmal diese in irgendeinem beträchtlichen Maß zu gewinnen. Aber wenn all unser Wissen Stückwerk ist, so ist doch auch schon dieses Stückwerk etwas Grandioses. Der Mensch ist das gewaltigste, was da lebt, sagt SOPHOKLES; und die Wissenschaft, nach GOETHEs Wort, "des Menschen allerhöchste Kraft". Diese Kraft hat ihn schon oft weiter geführt, als er selbst in seinen kühnsten Träumen gehofft hatte, und so mag es auch hinsichtlich jener höchsten Fragen geschehen. Ohne das Wesen des Stoffes zu erkennen, haben wir doch erkannt, daß derselbe wesentlich inkorruptibel ist: ohne das Wesen des Geistes zu erkennen, vermögen wir vielleicht doch zu zeigen, daß er auf immerwährenden Bestand des Urgrundes der Welt zu erkennen, mögen wir doch zu einer vernünftigen Überzeugung durchdringen, daß die Welt zum Besten von ihm geordnet ist. Damit wird dann eine Lösung der Optimismusfrage gewonnen sein, wie sie wahrhaft auch dem Gemüt zusagt. Unser LORM erkennt richtig, daß die pessimistischen Objektionen [Übertragung einer seelischen Erlebnisqualität auf einen Gegenstand - wp], welche ein SCHOPENHAUER und HARTMANN gemacht haben, allen wissenschaftlichen Wertes ermangeln. Die einen beruhen auf absurder Metaphysik, die andern auf einer oberflächlich parteiischen Aufzählung von Vorkommnissen, die, für sich selbst betrachtet, mißliebig sein müssen. Was ihm als einzig wissenschaftlicher Pessimismus gilt, ist die traurige Diskrepanz zwischen dem intellektuellen Bedürfen des Menschen und seiner Kraft, dieses Bedürfen zu befriedigen, wie sie als Ergebnis von KANTs "Kritik der reinen Vernunft" hervorzutreten schien. Auch diese Objektion ist gefallen. 20. Freilich bleiben nun noch andere und vielleicht größere zurück. Man hat auf die Dysteleologie [Unzweckmäßigkeit - wp] in der organischen Welt und auf den Mangel jedes teleologischen Charakters in der unorganischen hingewiesen. Aber siehe da! auch hier ist durch den Fortgang der Untersuchung alles ins Gegenteil umgeschlagen. HUXLEY (58), der gefeiertste Biologe der Gegenwart, bezüglich der Entwicklungslehre auf dem Standpunkt DARWINs stehend, erklärt trotzdem ebenso wie vor kurzem der große ERNST von BAER (59) und wie LAMARCK (60), als er am Anfang des Jahrhunderts zur ganzen evolutionistischen Bewegung den Anstoß gegeben hat, daß die Welt in ihrer Uranlage einen teleologischen Charakter zu tragen scheint. Und das heißt dann, einen teleologischen Charakter, der Organisches und Unorganisches gleichermaßen umfaßt. Noch andere Objektionen erheben sich; wie z. B. die, welche auf die notwendige Begrenztheit der Schöpfung (61), auf die geringe Zahl der Dimensionen des Raums (62), auf die bevorstehende Zerstörung der Erde und anderer etwa bewohnter Himmelskörper, oder auf das Gesetz der Entropie [Verlaufsrichtung eines Wärmeprozesses - wp] und den gefürchteten Stillstand aller oder zumindest der höheren Formen der Naturprozesse (63) sich beziehen. Wieder andere heben die Schwierigkeit hervor, die sich ergibt, wenn man, wie die Theodizée [Gerechtigkeit Gottes - wp] es verlangen muß (64), alles, für sich betrachtet, Schlechte als etwas rein Negatives oder doch nur aus einer Verbindung von ansich guten Elementen sich Ergebendes begreifen will. Hier führt die Untersuchung in die feinsten Betrachtungen der Kategorienlehre hinein. Man sieht, die Optimismusfrage ist von einer in den verschiedensten Richtungen weitverzweigten Komplikation. Aber es ist unter allen Knoten auf welche man in diesem Gewebe von Schwierigkeiten stößt, nicht einer, der sich nicht lösen läßt. Ja, mit der Lösung ist dann immer zugleich die Entdeckung neuer, ungeahnter Vorzüge verbunden, indem das Wort des alten Optimisten HERAKLIT (65) sich bewährt: "Die unsichtbare Harmonie ist schöner als die sichtbare." Die größten Denker der aufsteigenden Entwicklungsphasen, welche, wie die Geschichte lehrt, durchwegs optimistisch gedacht haben, PLATON und ARISTOTELES, wie AUGUSTINUS und THOMAS von AQUIN, und wie DESCARTES und LOCKE und LEIBNIZ, haben hier gar manche Arbeit getan, die unseren vollen Dank verdient; und es geht schlechterdings nicht an, so, wie LORM es zu tun wagt, ihre optimistischen Ausführungen mit den pessimistischen unserer neuesten Modephilosophen in eine Linie zu stellen. Was aber jene Denker zu tun übrig gelassen haben, das, dürfen wir sicher hoffen, wird von uns oder unseren Nachkommen getan werden. 21. Jedes Wissen bringt in seiner Sphäre eine gewisse Freiheit und Erlösung. Von dem Wissen, welches über das, was wir in der Welt als Übel empfinden, in einer das Gemüt befriedigenden Weise Rechenschaft gibt, wird dies mehr noch als von jedem anderen gelten. Denn die pessimistischen Besorgnisse sind der traurigste Alpdruck, der auf der Menschheit lastet. Unsere Volksreligion mit ihrer Lehre von einem allmächtigen, allgütigen Vater aller ist eine optimistische, und nur darum und nur unter dem Zeichen des Optimismus hat sie die Welt, ich meine, denjenigen Teil der Menschheit, welcher der eigentliche Träger der Weltgeschichte geworden ist, für sich gewonnen. Es sind nun freilich Zeichen dafür vorhanden, daß sie ihn nicht für immer gewonnen hat. Aber wenn auch diese großartigste Kulturerscheinung verschwinden sollte, so wird dies nicht geschehen, um die Stelle einfach leer zu lassen, noch weniger, um sie durch eine pessimistische Weltanschauung zu ersetzen; vielmehr wird das Einzige, was dauernd über sie triumphieren kann, ein geläuterter Optimismus sein, der von den Übeln der Welt besser Rechenschaft gibt, als das Christentum durch die Lehre von der Erbsünde und stellvertretenden Genugtuung es zu tun vermocht hat. Es wird die Revolution eine ähnliche sein, wie die, welche ihrer Zeit das Christentum selbst hervorgebracht hat. Das ganze Zeremonialgesetz, das man für das Wesen der Religion gehalten hat, ist gefallen, und - siehe da! - das wahre Wesen blieb gewahrt und erschien gereinigt und verklärt. Es dürfte wieder vieles fallen, was der Augenblick für wesentlich hält, - und ich sage dies, obwohl ich weiß, daß sich darüber mancher edle Mann an mir, ähnlich wie einst mancher wohlmeinende Anhänger der Beschneidung an PAULUS, ärgert -: aber die drei Worte des Glaubens, wie SCHILLER sie nennt, werden darum nur umso mächtiger im Gemüt tönen und das innere und äußere Leben schöpferisch zum Guten ordnen. Das walte Gott! Ja - ich vertraue darauf - das wird er walten. ![]()
29) Wilhelm von Ockham, der vorzügliche Begründer des Nominalismus im 14. Jahrhundert, starb unter Ludwig, dem Bayern, dessen Sache er gegen den päpstlichen Stuhl verfochten hat, zu München im Jahr 1343 (an anderen 1347). 30) Meister Eckhardt, O. P. [Ordo fratrum Praedicatorum = Dominikaner | wp] † 1329. 31) Johannes Tauler O. P. † 1361 32) Heinrich Suso, O. P. von der Kirche selig gesprochen, † 1365. 33) Johannes Ruysbroek, † 1381 34) Der Name des Verfassers der "Deutschen Theologie" ist unbekannt geblieben. 35) Johannes Gerson, Kanzler der Universität Paris, lebte von 1363-1429. 36) Raimundus Lullus, 1235-1315. Die erste Verdammung seiner Lehre durch den Papst fällt in das Jahr 1376. 37) Nikolaus Cusanus (Nikolaus Chrypffs aus Kues bei Trier), Bischof von Brixen, lebte 1401-1464. 38) Nikolaus Cusanus erläutert dieses Gesetz des Zusammenfallens der Gegensätze an mathematischen Beispielen. Das Gerade und Krumme, z. B. die gerade Linie und der Kreis, sind einander entgegengesetzt, aber der unendliche Kreis, sagt er, ist eine unendliche gerade Linie. Die stumpfe Winkel steht im Gegensatz zum spitzen; aber das Extrem eines spitzen und das Extrem eines stumpfen Winkels, meint er, sind ein und dasselbe, da bei beiden die zwei Schenkel eine gerade Linie bilden. 39) Trotz der weiten Kluft, die den Gedankenkreis des Cusanus von dem unseres Hegel trennt, ist eine gewisse Analogie zwischen den drei Teilen des Systems der beiden unverkennbar. Der dritte Teil erscheint hier wie dort als die Einheit der beiden früheren. Man denke auch an die Weise, wie Hegel den Satz des Widerspruchs in sein Gegenteil verkehrt, und an die Rolle, welche er bei seinem spekulativen Verfahren der Negation zuweist. 40) Baco von Verulam (1561-1626), Descartes (1596-1650). Manche nennen hier auch Galilei (1564-1642), doch hat dieser, scheint es mir, auf philosophischem Gebiet nicht eigentlich nachgewirkt; vielleicht nur darum, weil Italien überhaupt wenig an der beginnenden philosophischen Bewegung teilgenommen hat. Wie dem aber auch sei, es ist offenbar, daß, was ich zur Charakteristik des Anfangs jeder neuen philosophischen Periode gesagt habe, durch die Mitberücksichtigung Galileis an Klarheit nichts verlieren würde. 41) John Locke (1632-1704), vielfach noch heute als der vorzügliche Begründer der analytischen Psychologie geehrt. 42) Gottfried Wilhelm von Leibniz (1646-1716). 43) Voltaire (1694-1778) war es vorzüglich gewesen, der die Lehre Lockes auf französischen Boden verpflanzt hat. 44) Schon von Christian Wolff (1679-1754) kann man sagen, daß er des Leibniz' Philosophie verwässert hat. Seine Schule war in der Zeit der deutschen Aufklärung vorherrschend. Daß Lessing (1729-1781) sich wesentlich nur in Bezug auf seine Umdeutung der Dreieinigkeitslehre als Spinozist bekannte, im Übrigen aber bei seinen philosophischen Anschauungen sich zumeist an Leibniz gehalten hat, steht heute außer Frage. 45) David Hume, Inquiry concerning human understanding, Section 1. 46) David Hume (1711-1776) 47) Wie im Altertum trat auch in der Neuzeit neben dem Skeptizismus ein Eklektizismus auf, dem eine gewisse skeptische Unsicherheit eigen war. 48) Thomas Reid (1710-1796) eröffnet die Reihe der Philosophen der sogenannten Schottischen Schule. Nach ihm waren Dugald Stewart (1753-1828), Thomas Brown (1778-1820) und Sir William Hamilton (1788-1856) die bedeutendsten. 49) Immanuel Kant (1724-1804) 50) Johann Gottlieb Fichte (1762-1814) 51) Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling (1775-1854) 52) Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831). Dem Alter nach früher, war doch Hegel den wesentlichsten Werken nach später als Schelling. 53) Thomas Young stellte schon vor Johannes Müller auf optischem Gebiet die Hypothese der spezifischen Sinnesenergie auf, ja er hat sie hier konsequenter als Müller durchgebildet. Ein Einfluß deutscher Philosophie erscheint aber bei Young vollständig ausgeschlossen. 54) vgl. z. B. Locke, An essay concerning human understandig, Buch IV, Kapitel 3. 55) Lavoisier, Traité élémentaire de chimie, Paris 1789. Teil 1, Discours préliminaire, Seite V und XXXI. 56) "Ich weiß", sagt Leibniz, "die Bücher der Scholastiker sind voll von Albernheiten, aber Gold ist unter diesem Stroh verborgen." 57) Hier folgten im Vortrag einige Worte mit Bezug auf den österreichischen Unterrichtsminister. Nach einer Mitteilung der Hochschulnachrichten hätte dieser sich über die Vorschläge der Fakultät hinweggesetzt und (gewiß mit klarstem Bewußtsein, ihrem Sinn durchaus entgegen zu handeln) einen scholastizierenden Philosophen, Examinator der fürstbischöflichen Alumnen [Stipendien - wp] in Breslau, für die mir seit 14 Jahren reservierte Wiener ordentliche Lehrkanzel zu gewinnen versucht. Aus einem ähnlichen Grund, wie gewisse Bemerkungen der Einleitung (vgl. Anmerkung 3), habe ich auch diese Stelle des mündlichen Vortrags bei der Drucklegung ausgeschlossen. 58) Thomas Huxley, The Problems of Geology IV, wo er gegen Häckel polemisiert. Von deutschen Darwinisten betont insbesondere Weismann entschieden die Notwendigkeit einer teleologischen Grundanlage des Universums. 59) Karl Ernst von Baer, Studien aus dem Gebiet der Naturwissenschaften, zweite Ausgabe, Braunschweig 1886, II, IV und V. 60) Jean-Baptiste Pierre Antoine de Monet de Lamarck, Philosophie Zoologique, 1819. 61) In welcher Richtung hier die Lösung zu suchen ist, habe ich einmal in ein paar Versen auszusprechen versucht:
Du sprichst: "Es muß die Welt die beste sein: Das Beste wählt der Beste, wenn er schafft." Ein anderer: "Nicht die beste ist sie, nein! Sonst wäre sie das Maß von Gottes Kraft." Doch hört ihr beiden, die ihr also streitet! Ist denn die Welt? - Nein! werdend überschreitet Sie jedes Guten Maß, und, endlos fern, Strebt sie von Ähnlichkeit zu Ähnlichkeit Zum unerreichbar hohen Bild des Herrn. ![]() 63) Man vgl. hierfür z. B. die populären Vorträge von Helmholtz, "Über die Wechselwirkung der Naturkräfte" aus dem Jahr 1854 und "Über die Entstehung des Planetensystems" aus dem Jahr 1871. 64) Schon Augustinus und Thomas von Aquin hatten dies erkannt. 65) Heraklit von Ephesus, der geistvolle ionische Naturphilosoph, für den Sokrates die höchste Ehrfurcht bekundete, blühte um 500 v. Chr. |