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AURELIUS AUGUSTINUS
Bekenntnisse
[2/3]

"Du aber, mein innerer Arzt, sage mir, welche Frucht bring ich hervor?"

"Aber was ist mir näher, als ich mir selbst?"

"Denn, wenn ich meinen Gott suche, suche ich glückseliges Leben. Ich will dich suchen, auf daß meine Seele lebe. Denn mein Körper lebt von meiner Seele und meine Seele lebt von dir."

"So wünscht der menschliche Geist, der blinde und schwache, der schändliche und verderbte, verborgen zu sein; aber daß ihm etwas verborgen ist, wünscht er nicht. Doch das Gegenteil geschieht, und Er ist nicht der Wahrheit, sondern die Wahrheit ist Ihm verborgen."

"Denn du bist das unvergängliche Licht, das ich bei allen Dingen fragte, ob sie sind, was sie sind, wie hoch sie zu achten sind.


Zehntes Buch

Laß mich dich erkennen, Herr, der du mich erkennst laß mich dich erkennen, wie ich von dir erkannt bin. Kraft meiner Seele! dringe in sie hinein, und mache sie dir ähnlich, auf daß du sie besitzest ohne Makel und Fehl. Dies ist meine Hoffnung, drum rede ich; und in dieser Hoffnung erfreue ich mich, wann ich mich wahrhaft erfreue. Das Übrige aber dieses Lebens ist umso weniger beweinenswürdig, je mehr darum geweint, und desto mehr beweinenswürdig, je weniger darum geweint wird. Denn siehe! du liebtest die Wahrheit: und wer danach tut, kommt zum Licht. Ich will danach tun im Herzen vor dir in meinem Bekenntnis, in meiner Schrift aber vor vielen Zeugen.

Und Dir, Herr, vor dessen Augen offensteht der Abgrund des menschlichen Bewußtseins, was wäre dir verborgen in mir, auch selbst, wenn ich nicht bekennen wollte? Denn dich würde ich nur mir verbergen, nicht mich dir. Nun aber, da mein Seufzen Zeug ist, daß ich mir selbst mißfalle, leuchtest du und gefällst, und wirst geliebt und ersehnt, auf daß ich mich meiner schäme, und mit hinwegwerfe, und dich erwähle, und nicht dir noch mir gefalle, es sei denn in dir. Dir also, Herr, bin ich offenbar, wer ich auch bin; und mit welcher Frucht ich dir dennoch bekenne, sagte ich schon. Denn ich tue das nicht mit Worten und Stimmen des Fleisches, sondern mit Worten der Seele und mit Rufen der Gedanken, das dein Ohr erkennt. Denn wenn ich böse bin, so ist dir bekennen nichts anderes, als mir mißfallen; wenn aber gut, so ist dir bekennen nichts anderes, als dies nicht mir zueignen: denn du, Herr, segnest den Gerechten, aber zuvor rechtfertigst du ihn, den Gottlosen. Mein Bekenntnis also, mein Gott, geschieht dir stillschweigend, aber auch nicht stillschweigend: denn es schweigt ohne Geräusch, ruft aber aus dem Herzen. Auch sage ich nichts von Belang, was du nicht zuor von mir hörtest: aber auch du hörst nichts derlei von mir, was nicht du zuvor mir sagtest.

Was sind denn die Menschen für mich, daß sie meine Bekenntnisse hören, als wenn sie meine Schwächen heilen könnten? Das neugierige Geschlecht! Gern durchschaut es das Leben Anderer: aber nachlässig ist es, das eigene zu bessern. Was wollen sie von mir hören, wer Ich bin, und nicht höeren von dir, welche sie selbst sind? Und woher wissen sie, ob ich Wahres rede, wenn sie mich selbst über mich selbst hören? Denn kein Mensch weiß ja, was vorgeht im Menschen, als der Geist des Menschen, der in ihm ist. Wenn sie aber dich über sich selbst hören, so können sie nicht sagen: es lügt der Herr. Denn was ist es anderes, Dich hören über sich, als sich erkennen? Und wer erkennt, und dennoch spricht: es ist falsch! lügt er nicht selbst? Da aber die Liebe alles glaubt, besonders unter Jenen, die sie miteinander verband, und Eins machte; so bekenne ich dir auch so, Herr, daß es die Menschen hören, denen ich nicht beweisen kann, daß ich Wahres bekenne: aber Die glauben mir, deren Ohren die Liebe eröffnet.

Du aber, mein innerer Arzt, sage mir, welche Frucht bring ich hervor? Die Bekenntnisse meiner vorigen Fehler, die du vergabst und bedecktest, auf daß du mich selig machtest in dir, meine Seele wandelnd durch den Glauben und deine Geheimnisse, erwecken im Leser und Hörer das Herz, daß es nicht betäubt wird in Verzweiflung, und spreche: ich kann nicht! sondern aufwache in der Liebe deiner Barmherzigkeit, un in der Süße deiner Gnade, die mächtig wirkt in jedem Schwachen, der durch sie der eigenen Schwäche bewußt wird. Und die Guten erfreut es, von vorigen Fehlern jener zu hören, die jetzt davon frei sind: nicht deswegen erfreut es, weil es Fehler sind, nein, weil sie waren und nicht mehr sind.

Mit welcher Frucht denn, Herr mein Gott, dem täglich mein Gewissen bekennt, sicherer in der Hoffnung deiner Barmherzigkeit, als in seiner Unschuld, - mit welcher Frucht bekenne ich auch den Menschen vor dir in diesen Schriften, nicht wer ich war, sondern wer ich jetzt bin? Denn des ersteren Frucht sah ich, und erwähnte ihrer. Wer ich noch bin, siehe, in der Zeit dieses meines Bekenntnisses, das wünschen viele zu wissen, die mich kannten, und viele, die mich nicht kannten, aber dennoch von mir oder über mich etwas hörten: Doch ihr Ohr ist nicht an meinem Herzen wo Ich bin, so wie ich bin. Also hören wollen sie mich, wie ich innerlin bin, wohin sie nicht mit dem Auge noch Ohr noch Geist dringen können. Glauben werden sie mir: aber auch mich erkennen? Denn die Liebe, wodurch sie gut sind, sagt ihnen, ich lüge nicht in meinen Bekenntnissen; und sie in ihnen glauben mir.

Aber die Frucht, die es hervorbringen soll? Wollen sie mir Glück wünschen, wenn sie hören, wie ich mich dir nähere durch deine Gnade, und bitten für mich, wenn sie hören, wie mich meine Schwere zurückdrückt? Solchen will ich mich offen darlegen! Denn nicht klein ist die Frucht, Herr mein Gott, wenn von vielen dir gedankt wird unserthalben, und viele dich bitten für us. Die brüderliche Seele liebt dann an mir, was du sie lieben lehrst, und beweine an mir, was du sie beweinen lehrst. Die brüderliche Seele tut das, nicht die fremde, nicht die Seele der Weltkinder, deren Mund Eitelkeit redet, und deren Rechte die Rechte der Bosheit ist: sondern die brüderliche, die sich freut über mich, wo sie Gutes findet, und trauert über mich, wo sie Böses findet; denn sie liebt mich, ob sie nun Gutes findet oder Böses. - Solchen will ich mich offen darlegen, und aufatmen mögen sie in meinem Guten, und seufzen in meinem Bösen. Mein Gutes ist deine Anordnung und deine Gabe; mein Böses ist meine Schuld und deine Gerechtigkeit. Atmen sie auf in jenem, und seufzen in diesem, und Lobgesang und Klage steigen auf in dein Angesicht aus den brüderlichen Herzen, deinen Opfergefäßen! Du aber, Herr, erfreut vom Geruch deines heiligen Tempels, erbarme dich meiner nach deiner großen Barmherzigkeit um deines Namens willen: Verlasse nicht dein begonnenes Werk und vollende, was in mir noch unvollkommen ist!

Das ist die Frucht, wenn ich bekenne, nicht wer ich war, sondern wer ich bin, daß ich dies bekenne, nicht allein vor dir in heimlicher Freude mit Zittern, und in heimlicher Trauer mit Hoffnung; sondern auch vor den Ohren der glaubenden Menschenkinder, den Mitgesellen meiner Freude und den Genossen meiner Sterblichkeit, meinen Mitbürgern und Mitpilgern, meinen Vorgängern und Nachfolgern, und den Gefährten meines Lebens. Diese sind deine Diener, meine Brüder, die du deine Kinder werden ließest, meine Herrn, denen zu dienen du mich hießest, wenn ich mit dir in dir leben will. Und nicht genug, daß dein Wort durch Rede mir dies anbefahl: auch mit Tat ging es mir vor. Und Ich tue es nun mit Tat und Wort: ich tue es unter deinen Flügeln, stets in Gefahr: Aber unter deinen Flügeln hält sich meine Seele an dir, und meine Schwäche ist dir bekannt. Ein Kindlein bin ich; aber es lebt mein Vater allezeit, und einen guten Schützer hab ich. Denn es ist derselbe, der mich erschuf, und der mich schützt, und du selbst bis alles mein Gut, du Allmächtiger, der du immer mit mir bist, auch eh ich mit dir war!

Erzählen also will ich denen, welchen zu dienen du mich heißt, nicht wer ich war, sondern wer ich jetzt bin, und wer ich noch bin. Aber ich richte mich nicht selbst, und so höre man mich. Denn du, Herr, richtest mich: denn obschon keiner der Menschen weiß, was im Menschen ist, als der Geist des Menschen, so ist dennoch etwas im Menschen, das selbst der Geist des Menschen nicht weiß, der in ihm ist. Du aber weißt alles was an ihm ist, Herr, du der du ihn schufst. Ich aber, obwohl mich verachtend vor deinem Angesicht, und mich achtend Erde und Asche, weiß dennoch etwas von dir, was ich von mir nicht weiß. Und sicher, nun sehen wir durch einen Spiegel im Dunkeln, und noch nicht von Angesicht zu Angesicht; und deshalb bin ich, solange ich wandle fern von dir, mir gegenwärtiger als dir; und dennoch weiß ich, daß nichts dir schaden kann; welchen Versuchungen Ich aber zu widerstehen vermag und welchen nicht, weiß ich nicht. Und hier ist Hoffnung mein Trost, denn du bist getreu, und läßt uns nicht versuchen über unser Vermögen, sondern gibst Ausweg bei der Versuchung, so, daß wir es ertragen mögen. - Bekennen also will ich, was ich von mir weiß, bekennen, was ich von mir nicht weiß. Denn was ich von mir weiß, weiß ich durch dein Licht; und was ich von mir nicht weiß, weiß ich solange nicht, bis meine Finsternis wird, wie der Mittag, in deinem Antlitz.

Nicht zweifelhaft, sondern sicher, Herr, ist das Bewußtsein, daß ich die liebe. Du trafst mein Herz mit deinem Wort und ich liebte dich. Aber auch Himmel und Erde und Alles was in ihnen ist, siehe! rings her rufen sie, daß ich dich lieben soll. Und sie hören nicht auf, es Allen zuzurufen, damit sie keine Entschuldigung haben. Doch mehr noch wirst du dich erbarmen, dessen du dich erbarmst, und Barmherzigkeit verleihen, dem du barmherzig bist: sonst reden Himmel und Erde dein Lob Tauben.

Was aber liebe ich, wenn ich dich liebe? Nicht die Schönheit des Körpers, nicht vergänglichen Schmuck, nicht Klarheit des Lichts, die, siehe! diesen Augen so wohl tut, nicht lieblichen Wohllaut des Gesangs, nicht der Blumen und Salben und Spezereien süßen Duft, nicht Manna und Honig, nichts was den Sinnen des Fleisches umfaßbar und angenehm ist: nicht dieses lieb ich, wenn ich meinen Gott liebe; und dennoch liebe ich ein gewisses Licht und eine gewisse Stimme und einen gewissen Geruch, und eine gewisse Speise, und eine gewisse Umfassung, wenn ich meinen Gott liebe, das Licht, die Stimme, den Geruch, die Speise, die Umfassung meines innerlicher Menschen, wo meiner Seele etwas glänzt, das kein Raum umschließt, und wo etwas tönt, das nicht mit der Zeit verhallt, und wo etwas duftet, das kein Wind verweht, und wo etwas schmeckt, das kein Essen mindert, und wo etwas umfaßt, das keine Sättigung losreißt. das ist es, was ich liebe, wenn ich meinen Gott liebe. Und was ist dies? Ich fragte die Erde und sie sprach: Ich bin es nicht. Und Alles was auf ihr ist, bekannte dasselbe. Ich fragte das Meer und die Abgründe und alle kriechenden Tiere; und sie antworteten: wir sind nicht dein Gott; frag über uns. Ich fragte die wehenden Lüfte; und der ganze Luftraum antwortete mit allen seinen Bewohnern: ANAXIMENES irrt, ich bin nicht Gott. Ich fragte Himmel und Sonne und Mond und Sterne: auch wir sind nicht Gott, den du suchst, sagten sie. Und ich sprach zu allen dingen, die die Tore meiner Sinne umstehen: ich sagtet mir von meinem Gott, Ihr wärt es nicht; sagt mir nun etwas von ihm! Und sie riefen aus mit lauter Stimme: Er erschuf uns! meine Frage war meine Sehnsucht, und ihre Antwort ihre Schönheit. Ich ich wandte mich zu mir selbst, und sprach zu mir: Du, wer bist du? Und ich antwortete: ein Mensch, und siehe, aus Leib und Seele bestehe ich, das eine äußerlich, das andere innerlich. In welchen von beiden soll ich meinen Gott suchen, den ich bereits mit dem Körper suchte von der Erde bis zum Himmel, so weit ich Boten aussenden konnte, die Strahlen meiner Augen. Aber besser ist, was innerlich ist. Denn der Seele gaben Botschaft alle Boten des Körpers, ihr, der Vorsteherin und Urteilerin über die Antworten des Himmels und der Erde, und aller Dinge, die in ihnen sind, und sagen: wir sind nicht Gott, sondern er erschuf uns. Dies erkannte der innere Mensch durch den Dienst des äußeren, Ich innerer erkannte es, Ich Seele durch Sinne meines Körpers.

Ich fragte die Weltmasse nach meinem Gott, und sie antwortete: Ich bin es nicht, sondern Er erschuf mich. Erscheint nicht ihre Gestalt Allen, deren Sinn gesund ist? Warum sagt sie nicht zu allen dasselbe? Die kleinen und die großen Tiere sehen sie, aber fragen können sie nicht. Denn nicht ist ihren Botschaft gebenden Sinnen die Richterin Vernunft vorgesetzt. Die Menschen aber können fragen, auf daß sie Gottes Unsichtbares aus der sichtbaren Schöpfung erkennen. Aber aus Liebe zu dieser unterwerfen sie sich ihr, und die Unterworfenen können nicht mehr urteilen. Auch antwortet jene nicht den Fragenden, wenn sie nicht zugleich urteilen. Und ihre Stimmen, d. h. ihre Gestalt ändert sie darum nicht, wenn der Eine nur sieht, der Andere aber sieht und fragt, so daß sie dem Einen so, dem Andern anders erscheint: nein, auf dieselbe Weise erscheint sie beiden, nur Jenem ist sie stumm, diesem redend. Doch vielmehr zu allen redet sie, aber nur jene verstehen sie, die ihre von außen vernommene Stimme im Innern mit der Wahrheit zusammenhalten. Denn die Wahrheit sagt mir: Dein Gott ist nicht Himmel und Erde, nicht irgendein Körper. Das sagt ihre Natur offenbar; denn die Masse ist kleiner im Teil als im Ganzen. Nun bist Du das Bessere - zu dir, Seele, spreche ich - weil du die Masse deines Körpers in Bewegung gesetzt hast, ihm Leben gebend, was kein Körper dem Körper zu geben vermag; dein Gott aber ist deines Lebens Leben.

Was also liebe ich, wenn ich meinen Gott liebe? Wer ist der, der über meine Seele erhaben ist? Durch meine Seele selbst will ich hinaufsteigen zu ihm. Übergehen will ich meine Kraft, wodurch ich am Körper hänge, und ihn mit Leben erfülle. Denn mit dieser Kraft selbst finde ich meinen Gott nicht; sonst fänden ihn Roß und Maultier, die keinen Verstand haben, denn es ist die selbe Kraft, wodurch auch ihre Körper leben. Eine andere Kraft ist, wodurch ich nicht nur mein Fleisch, das der Herr schuf, belebe, sondern auch dessen Empfindung ordne, meinem Auge heißend, daß es nicht höre, und meinem Ohr, daß es nicht sehe, sondern jenem, daß es sieht und diesem, daß es hört und allen Sinnen das ihrer Lage und ihren Verrichtungen Angemessene, wie Ich Eine Seele durch sie das Verschiedene bewirken will. Übergehen will ich auch diese meine Kraft, denn auch sie haben Roß und Maultier, weil auch diese empfinden durch ihren Körper.

Übergehen also will ich auch diese Kraft meiner Natur, stufenweise aufsteigend zu Ihm, der mich und sie schuf. Und ich komme in die Felder und das Obergezelt des Gedächtnisses, wo ein Schatz liegt von unzählbaren Bildern jener Dinge, die die Sinne herbeiführten. Dort ist hingelegt, was wir auch immer denken, das mehrend oder mindernd oder ändernd, was der Sinn auffaßte, und Alles, was noch sonst dort aufbehalten wird, und noch nicht verschlungen ist, und begraben von der Vergessenheit. Von dort lasse ich herauskommen, was ich will; und Einiges geht sogleich hervor, Anderes erfordert längeres Suchen, und muß wie aus verborgenen Behältern hervorgeholt werden; und wiederum Anderes stürzt in Scharen heraus, und verlangt und sucht man etwasa, springen sie hervor und schreien: Sind Wir es nicht? und Ich verscheuche sie dann mit der Hand des Herzens vom Angesicht meiner Erinnerung, bis das, was ich verlange, entwölkt wird, und ans Licht hervorgeht aus dem Dunkeln. Und Anderes ist leicht und in ungeklärter Ordnung bereit, wie es gefordert wird, und Hervorgehendes entweicht dem Folgenden, und das Entweichende wird wieder hingelegt, um wieder hervorzugehen, sobald ich es will. All das geschieht, wenn ich etwas aus dem Gedächtnis erzähle.

Dort ist nach Ordnung und Art alles aufbewahrt, nach der Weise, wie es eingekommen ist! wie Licht und allerlei Farben und Körperformen durch die Augen; durch die Ohren aber allerlei Arten von Tönen; und allerlei Gerüche durch die Nase; und allerlei Geschmack durch den Mund; durch das Gefühl aber des ganzen Körpers, was hart ist oder weich, was warm oder kalt, sanft oder rauh, schwer oder leicht, innerhalb oder außerhalb des Körpers ist. Das alles, um es wieder, wenn es nötig ist, herzugeben, nimmt er auf, der weite Raum des Gedächtnisses und sein, ich weiß nicht welcher, verborgener und unermeßlicher Busen, wo jedes durch die eigene Pforte hineingeht und seine Stelle findet. Und doch gehen die empfundenen Dinge nicht selbst hinein, sondern nur ihre Bilder stehen der Erinnerung des Denkens zu Gebote. Und wie diese beschaffen sind, wer sagt mir das, obwohl es offenbar ist, durch welchen Sinn sie aufgefangen und hineingetragen sind? Denn auch in Finsternis und Stille bringe ich Farben hervor in meinem Gedächtnis, und utnerscheide hier zwischen Weiß und Schwarz; und keine Töne drängen sich hinein, und verwirren mir die Bilder, die ich durch das Gesicht erhielt, da doch auch jene dort sind, aber gesondert verborgen liegen. Doch auch sie fordere ich, wenn es mir gefällt, und sogleich sind sie da, und mit ruhender Zunge und schweigender Kehle sing ich, so viel ich will: und die Bilder jener Farben, die nichts destoweniger dort sind, mischen sich nicht dazwischen, und unterbrechen mich nicht, da ein anderer Vorrat, der durch die Ohren hineinkam, hervorgezogen wird. So erinnere ich mich auch nach Belieben alles Übrigen, was durch die anderen Sinne hereingebracht und niedergelegt ist. Und Lilienduft unterscheide ich von Veilchen, ohne wirklich zu riechen; und Honig zieh ich dem Most vor, Sanftes Rauhem, ohne wirklich zu schmecken oder zu fühlen, bloß in der Erinnerung. Innerlich bewirke ich das, im ungeheuren Raum meines Gedächtnisses. Denn hier sind mir Himmel und Erde und Meer gegenwärtig mit Allem, was ich in ihnen empfinden konnte, jenes ausgenommen, was ich vergaß. Hier begegne ich auch mir selbst, und erinnere mich meiner, was, wann und wo ich etwas tat, und wie meine Stimmung war, als ich es tat. Hier ist Alles, was ich entweder aus Selbsterfahrung, oder durch Glauben behielt. Aus demselben Vorrat erkenne ich die Ähnlichkeit der Dinge, die ich entweder erfuhr, oder in Rücksicht der Gefahren glaubte, und ich vereine sie mit dem Vergangenen, und vor mein Denken erscheinen zukünftige Werke und Zufälle, und was ich zu hoffen habe, und dies alles wie gegenwärtig. Dies oder das will ich tun, sag ich zu mir selbst in meines Geistes ungeheurem Raum, der voll ist von so vielen und so großen Dingen. Dieses oder jenes wird daraus entstehen! O, geschähe doch dieses oder jenes! Verhüte Gott dieses oder jenes! Derlei sag ich zu mir und wenn ich es sage, aus dem Vorrat des Gedächtnisses gegenwärtig; denn mangelten sie, so würde ich derlei nicht sprechen.

Groß ist die Kraft des Gedächtnisses, sehr groß, mein Gott, ein weiter unendlicher Behälter! Wer gelangt bis zu seinem Boden? Und es ist dies eine Kraft meines Geistes, und gehört zu meiner Natur, und so fasse ich es selbst nicht ganz, was ich bin. Zu eng ist der Geist, um sich selbst zu fassen. Wo ist er wohl, daß er sich nicht faßt? Wäre er etwas außerhalb von sich selbst und nicht in sich? Warum faßt er sich nicht?

Große Bewunderung entsteht hierüber in mir, und Staunen ergreift mich. Und Menschen gehen hin, und bewundern die Höhe der Gebirge, und des Meeres ungeheure Wogen, und die weiten Ergüsse der Ströme, und des Ozeans Umfang, und die Kreise der Sterne und verlassen sich selbst, und bewundern sich nicht. Und ich, da ich alle diese Dinge nannte, sah ich sie nicht mit den Augen; ich nenne sie nicht, wenn ich nicht die Berge und Wogen und Ströme und Sterne, die ich sah; und den Ozean, den ich glaubte, innerlich in meinem Gedächtnis sehe, gleichwohl sie aber auch in ungeheuren Räumen gleichsam außer mir sehe. Und dennoch verschluckte ich sie nicht, als ich sie sah: und sie selbst sind nicht in mir, nur ihre Bilder, und weiß genau, von welchem Sinne sie mir zugeführt sind.

Aber dies ist nicht die einzige unermeßliche Fähigkeiten meines Gedächtnisses. Hier findet sich auch alles, was von den Grundsätzen der Wissenschaften mir noch einfiel. Wie in einem gesonderten Raum, doch nicht Räume noch Bilder, sondern die Sachen selbst enthalte ich. Denn was die Gelehrtheit, was die Geschicklichkeit, über eine Sache für und wider zu reden ist, wie vielerlei Arten von Fragen es gibt, und was ich noch derlei weiß, liegt nicht so in meinem Gedächtnis, daß ich das Bild behalten, und die Sache außerhalb von mir gelassen hätte, als hätte es getänt und wäre verhallt, wie die Stimme, deren Spur durch die Ohren eingedrückt ist, und aufbewahrt wird, als ob sie noch tönt; oder wie der Geruch, der während er vorübergeht, und im Bild schwindet, den Geruchssinn berührt, von wann er dem Gedächtnis sein Bild einprägt, das wir beim Erinnern hervorziehen; oder wie die Speise, die sicher im Magen nicht mehr schmeckt, und dennoch gleichsam schmeckt im Gedächtnis; oder wie etwas, das durch des Körpers Gefühl empfunden wird, und, auch getrennt von uns, sich im Gedächtnis bildet; - denn diese Dinge gehen nicht hinein, nur ihre Bilder werden mit wunderbarer Schnelligkeit aufgefaßt, und wunderbar wie in Zellen niedergelegt, und beim Erinnern wunderbar hervorgezogen, sondern wenn ich höre, es sind drei Arten zu fragen, ob eine Sache ist, und wie sie ist; so halte ich zwar von jenen Tönen, woraus diese Worte bestehen, ein Bild zurück, und daß sie die Ohren mit Geräusch durchführen, und jetzt verhallt sind, weiß ich; die Sachen selbst aber, die durch diese Töne bezeichnet werden, erkenne ich nie mit einem Körpersinn, und nie sah ich sie, als nur im Geist; und niedergelegt hab ich sie in meinem Gedächtnis, nicht ihre Bilder, sondern sie selbst. Wie sie zu mir hineinkamen, mögen sie sagen, wenn sie können. Denn ich übersehe alle die Türen meines Fleisches, und finde die nicht, durch welche sie hineingingen. Denn die Augen sprechen: haben sie Farbe, so zeigten wir sie an. Die Ohren sprechen: erklangen sie, so verkündeten wir sei. Die Nase spricht: rochen sie, so kamen sie durch mich hinein. Auch der Geschmack spricht: schmeckten sie nicht, so frage mich nicht. Das Gefühl spricht: was nicht körperlich ist, berühre ich nicht und berühre ich es nicht, so verkünde ich es nicht. - Woher und wie kamen sie in mein Gedächtnis? Ich weiß es nicht; denn als ich sie kennenlernte, glaubte ich nicht einem fremden Herzen, sondern im meinigen erkannte ich sie, und war überzeugt von ihrer Wahrheit; und ich empfahl sie dem Gedächtnis, sie darin hinlegend, um sie wieder hervorzuholen, wenn ich wollte. Dort also waren sie, ehe ich sie kennenlernte, aber in meinem Gedächtnis waren sie nicht. Wo denn und warum erkannte ich sei, als ich sie nennen hörte, und sprach: so ist es! und wahr ist es! als nur, weil sie bereits in meinem Gedächtnis waren, aber so entfernt und zurückgedrängt, wie in verborgenen Höhlen, daß ich sei, wenn sie nicht durch Jemades Erinnerung hervorgerissen wurden, wohl nicht hätte denken können.

So finden wir, daß Jenes kennen lernen, dessen Bilder wir nicht durch die Sinne auffassen, sondern die wir ohne Bilder, sie selbst so wie sie sind, im Innern sehen, nichts anderes ist, als das, was hier und dort ungeordnet im Gedächtnis lag, durch Denken gleichsam sammeln, und durch Aufmerksamkeit dahin bringen, daß es, wie zur Hand gelegt im Gedächtnis, wo es vorher zertrennt und vernachlässigt in Verborgenheit ruhte, nun auch bei geringer Aufmerksamkeit sogleich bereit steht. Und wie vieles enthält mein Gedächtnis, daß nun darin aufgefunden, und wie ich sagte, gleichsam zur Hand gelegt ist, wovon wir sagen, daß wir es gelernt und erkannt haben! Versäume ich es, in mäßigen Zeiträumen es wieder hervorzurufen: so sinkt es wieder zu Boden, und stürzt hinab, wie in verborgene Behälter, so daß ich es, wie etwas Neues wieder heraus denken muß.

Ferner enthält das Gedächtnis der Zahlen und Ausdehnungen unzählbare Verhältnisse und Regeln, deren keine durch einen Körpersinn empfangen wird, weil sie weder Farbe haben, noch Ton, noch Geruch, noch Geschmack, noch Fühlbarkeit. Ich hörte die Töne der Worte, wodurch sie bezeichnet werden: wenn man von ihnen redet; aber jene sind etwas ganz Anderes, als diese; denn diese tönen anders griechisch, anders lateinisch; jene Dinge aber sind nicht griechisch noch lateinisch, noch sonst aus einer Sprache. Ich sah Linien von Künstlern, wohl so feine wie Spinnefäden; aber meine mathematischen Linien sind andere, nicht Bilder dieser, die mir das Auge anzeigte. Man kennt sie, wenn man sie, ohne das geringste Körperlich dabei zu denken, innerlich kennt. Auch die Zahlen, die wir zählen, fand ich wohl in der Empfindung aller meiner Sinne; doch andere sind es, womit wir zählen, und jene sind nicht die Bilder dieser, sondern bestehen für sich. Verlache mich der, der dies nicht erkennt, und ich trauere über den Verlachenden.

Das Alles enthält mein Gedächtnis, auch wie ich es kennen lernte, enthält es. Auch viele ganz falsche Einwürfe dagegen hab ich gehört und mein Gedächtnis enthält sie; und obwohl sie falsch sind: so ist es doch nicht falsch, daß ich mich ihrer erinnere, und richtig unterschieden habe ich jenes Wahre von diesen falschen Einwürfen. Auf dessen erinnere ich mich, daß ich ehedem, wenn ich oft über derlei sann, oft anders unterschied, als ich jetzt unterscheide. So erinnere ich mich auch, daß ich Jenes schon öfter verstand! und wie ich es jetzt unterscheide und verstehe, bewahr ich es auf im Gedächtnis, auf daß ich mich in Zukunft erinnere, wie ich es jetzt verstand. Also erinnere ich mich auch der Erinnerung, und in Zukunft werde ich micht erinnern, daß ich mich jetzt wieder erinnern konnte, und das Alles durch die Kraft des Gedächtnisses.

Auch die Regungen meines Geistes enthält das Gedächtnis: nicht so, wie der Geist fühlt, sondern ganz anders, und der Kraft des Gedächtnisses gemäß. Denn auch freudelos erinnere ich mich der vergangenen Traurigkeit, und furchtlos der vorigen Furcht, und begierdelos der ehemaligen Begierde. Im Gegenteil der vorübergegangenen Traurigkeit erinnere ich mich mit Freude und mit Trauer der vorübergegangenen Freude.

Im Hinblick auf den Körper, ist dies nicht zu bewundern, denn ein Anderes ist der Geist, ein Anderes der Körper. Wenn ich mich des vorübergegangenen Körperschmerzes mit Freuden erinnere, so ist das so kein Wunder. Hier aber, wenn der Geist das Gedächtnis selbst ist (denn, wenn wir Jemandem auftragen, etwas im Gedächtnis zu behalten, sprechen wir: Du, behalte das im Geist! und versprechen wir etwas, so sprechen wir: Ich wußte es, aber es ist meinem Geist entfallen; und nennen so selbst das Gedächtnis den Geist). Wie geschieht es denn: daß ich mich vergangener Traurigkeit mit Freude, Freude im Geist ist, und im Gedächtnis Traurigkeit? und daß freudig der Geist ist, weil Freude in ihm ist, und das Gedächtnis, da doch Traurigkeit darin ist, nicht traurig ist? Gehört vielleicht das Gedächtnis nicht zum Geist? Wer behauptete das? Ist also das Gedächtnis etwa gleichsam des Geistes Magen, Freude aber und Trauer wie süße Speise und bittere? und werden die Dinge, wenn sie dem Gedächtnis übergeben werden, gleichsam in den Magen gesenkt, wo sie aufbewahrt, aber nicht geschmeckt werden können? Lächerlich ist es, unter diesen Dingen eine Ähnlichkeit anzunehmen: aber durchaus unähnlich sind sie nicht.

Doch siehe! Wenn ich sage, es gibt vier Regungen, die den Geist verwirren: so nehme ich Begier und Freude, Furcht und Trauer aus dem Gedächtnis hervor; und was ich darüber reden mag, jene nach Art und Gattung einteilend und ihre Natur bestimmend, das finde ich dort, und nehme es hervor; aber keine ihrer Verwirrungen verwirrt mich, wenn ich mich ihrer erinnere und gedenke, und eh ich mich ihrer erinnerte und sie hervornahm, waren sie da: durch die Erinnerung konnten sie deshalb hervorgeholt werden. Vielleicht also, wie die Speise aus dem Magen durch der Tiere Wiederkäuen hervorgebracht wird, so aus dem Gedächtnis jene durch Erinnerung? Warum schmeckt denn nicht im Mund des Denkens der darüber Redende, das heißt, der sich ihrer Erinnernde, der Freude Süßigkeit oder die Bitterkeit der Trauer? Liegt hier das Unähnliche, weshalb es nicht durchaus ähnlich ist? - Wer würde denn über solches reden wollen, wenn wir, so oft wir Trauer nennen oder Furcht, auch jedesmal zu trauern oder zu fürchten genötigt würden? Und dennoch redeten wir darüber nicht, wenn wir nich allein das Bild des Schalls ihrer Benennungen, wie es des Körpers Sinne herbeiführten, in unserem Gedächtnis vorfänden, sondern auch dieser Dinge Begriffe selbst, die wir durch keine Tür des Fleisches erhalten, und die der Geist selbst, durch die Erfahrung seiner Leidenschaften sie erkennend, dem Gedächtnis anvertraut, oder auch von Letzterem ohne dieses Anvertrauen, für sich selbst aufbewahrt wurden.

Ob dies aber durch Bilder oder nicht? Wer bestimmt das so leicht? Ich nenne einen Stein, ich nenne die Sonne: wenn auch die Sachen selbst meinen Sinnen gegenwärtig sind, so sind es doch ihre Bilder in meinem Gedächtnis. Ich nenne einen Schmerz des Körpers; er ist nicht da, und mich schmerzt nichts; aber wäre sein Bild nicht meinem Gedächtnis gegenwärtig, so wüßte ich nicht, was ich spreche und wenn ich darüber reden würde, unterschiede ich ihn nicht von der Lust. Ich nenne die Gesundheit des Körpers, während mein Körper gesund ist: die Sache selbst ist zwar wirklich da, doch wäre nicht auch ihr Bild in meinem Gedächtnis, so erinnerte ich mich auf keine Weise, was der Laut dieser Benennung bezeichnete; und ebensowenig würden Kranke erkennen, was unter Gesundheit verstanden wird, wenn nicht deren Bild ihr Gedächtnis erhielte, obwohl die Sache selbst ihrem Körper mangelt. - Ich nenne Zahlen, womit wir zählen; und nicht ihre Bilder sind meinem Gedächtnis gegenwärtig, sondern sie selbst. - Ich nenne der Sonne Bild; und dies ist meinem Gedächtnis gegenwärtig. Denn nicht das Bild des Bildes, sondern dieses selbst geht hervor, und ist meiner Erinnerung gegenwärtig. Ich nenne das Gedächtnis; und ich erkenne, was ich nenne! und wo erkenne ich es, außer im Gedächtnis selbst? Ist auch dies sich nur durch sein Bild gegenwärtig, und nicht durch sich selbst?

Und wenn ich das Vergessen nenne, und gleichfalls erkenne, was ich nenne; wie würde ich es erkennen, wenn ich mich dessen nicht erinnerte? Ich nenne nicht den Laut der Benennung, sondern die Sache, die dadurch benannt wird; und hätte ich ihrer vergessen, so vermöchte ich offenbar nicht, zu erkennen, was jener Laut bezeichnet. Wenn ich mich also des Gedächtnisses erinnere, so ist das Gedächtnis in sich selbst gegenwärtig: erinnere ich mich aber des Vergessens, so ist mir das Gedächtnis zugleich gegenwärtig und Vergessen: Gedächtnis, durch das ich mich erinnere, Vergessen, dessen ich mich erinnere. Aber was ist Vergessen anderes, als ein Mangel des Gedächtnisses? Wie also erinnere ich mich des gegenwärtigen Vergessens, da ich mich dann, wenn es da ist, nicht erinnern kann. Wenn wir nun das, dessen wir uns erinnern, im Gedächtnis aufbewahren, wir uns aber des Vergessens erinnern, weil wir sonst, indem wir dessen Benennung hören, keineswegs erkennen, was durch diesen Laut bezeichnet wird, so folgt, daß das Vergessen im Gedächtnis aufbewahrt wird. Es ist da, damit wir nicht seiner vergessen mögen, indem wir, wenn es da ist, vergessen. Erhellt sich hieraus, daß es nicht selbst im Gedächtnis ist, wenn wir dessen gedenken, sonder nur durch sein Bild? Denn wenn das Vergessen selbst da wäre, so würde es nicht bewirken, daß wir uns erinnern, sondern daß wir vergessen.

Und wer vermag dies zu erforschen? Wer zu begreifen wie es ist? Sicher Ich, Herr, erliege hier, erliege unter mir selbst! Ich bin mir ein Land der Beschwerde geworden und gar vieles Schweißes. Jetzt forschen wir nicht nach Himmelsgegenden, messen nicht aus der Gestirne Zwischenräume und ergründen nicht der Erde Gleichgewicht: Ich bin es, der ich mich erinnere, Ich Geist. Kein Wunder, wenn mir das so fremd ist, was nicht Ich bin. Aber was ist mir näher, als ich mir selbst? Und siehe! meines Gedächtnisses Kraft begreif ich nicht, da ich mich doch selbst ohne diese nicht nennen würde. Was werde ich sagen, wenn ich sicher bin, daß ich mich des Vergessens erinnere? Sag ich, das ist nicht in meinem Gedächtnis, dessen ich mich erinnere? oder sag ich, deshalb ist das Vergessen in meinem Gedächtnis, damit ich nicht vergesse? Beides ist höchst ungereimt. Wo ist das dritte? wie kann ich sagen, daß das Bild des Vergessens in meinem Gedächtnis vorhanden ist, nicht das Vergessen selbst, wenn ich mich dessen erinnere? Wie kann ich das sagen, da, wenn irgendeines Dinges Bild dem Gedächtnis eingedrückt wird, das Ding zurvor notwendig da sein muß, damit dessen Bild eingedrückt werden kann? So erinnere ich mich an Karthago, so an alle Orte, wo ich war; so des Angesichts der Menschen, die ich sah, und an alles, was die übrigen Sinne verkündeten; so meines Körpers Wohl oder Wehe. Als diese Dinge da waren, fing das Gedächtnis ihre Bilder auf, daß ich sie wie gegenwärtig schauen könnte und betrachten im Geiste, wenn ich ihrer, auch der Abwesenden, mich erinnere. Wenn also im Bild, nicht selbst, das Vergessen im Gedächtnis aufbehalten wird; so war es sicher da, auf daß dessen Bild erfaßt werden konnte. Als es aber da war, wie zeichnete es sein Bild ins Gedächtnis, wenn auch das, was schon aufgezeichnet war, durch die Gegenwart des Vergessens ausgelöscht wird? und dennoch, sei es auch unbegreiflich und unerklärbar, wie es geschieht, bin ich auf alle Weise sicher, daß ich mich des Vergessens erinnere, wodurch das, dessen ich mich erinnere, verlöscht wird.

Groß ist die Kraft des Gedächtnisses! Ich weiß nicht, welches Erstaunenswürdige, mein Gott; eine tiefe und unendliche Vielfältigkeit! Und dies ist der Geist, und dies bin Ich selbst! Was also bin ich, mein Gott? Welch einer Natur bin ich? Ausgebreitetes vielartiges Leben, unermeßliches! Siehe, in meines Gedächtnisses unzählbaren Feldern, Räumen und Höhlen, voll unzählbarer Arten von Dingen, entweder in Bildern, wie die von allerlei Körpern, oder in der Wirklichkeit, wie Wissenschaften, oder, ich weiß nicht welche Merkmale oder Bemerkungen, wie z. B. von Regungen des Geistes, die, wenn auch der Geist nicht erregt ist, das Gedächtnis enthält, da doch im Geist ist, was im Gedächtnis ist: - in all dem irre ich umher, wende mich hierhin und dorthin, durchdringe auch, so vieles ich vermag, und nirgendwo ein Ende! so groß ist die Kraft des Gedächtnisses! so groß des Lebens Kraft im sterblich lebenden Menschen.

Wie also beginn ich es, du mein wahres Leben, mein Gott? Übergehen will ich auch diese meine Kraft, Gedächtnis genannt: übergehen will ich sie, auf daß ich zu dir gelange, süßes Licht. Was sagst du mir? Siehe! ich steige durch meinen Geist hinauf zu dir, der über mir wohnt! Übergehen will ich auch jene meine Kraft, die Gedächtnis genannt wird und dich erreichen, wo du erreichbar bist, und mich dir anschließen, wo ich mich dir anschließen kann. Denn Gedächtnis haben auch Vieh und Gevögel, sonst kehrten sie nicht zurück zu ihren Lagern und Nestern, nicht zu vielem Anderen, woran sie gewohnt sind; auch vermöchten sie nicht, sich irgendetwas zu gewöhnen, als nur durch das Gedächtnis. Übergehen also will ich auch das Gedächtnis, daß ich ihn erreiche, der mich sonderte von den vierfüßigen Tieren, und mich verständiger schuf, als die Vögel des Himmels. Das Gedächtnis will ich übergehen. Und wo finde ich dich, wahrhaft gute und sichere Süßigkeit? Und wo find ich dich?

Wenn ich dich außerhalb des Gedächtnisses finde, gedenke ich deiner nicht; und wie finde ich dich nun, wenn ich deiner nicht gedenke? Denn das Weib hatte eine Drachme verloren, und suchte sie bei der Leuchte; und gedenkt sie ihrer nicht, so findet sie sie nicht. Denn als sie gefunden war, woher erkannte sie sie für dieselbe, wenn sie ihrer nicht gedachte? Ich erinnere mich, manches Verlorene gesucht und gefunden zu haben. Woher weiß ich dies? Daher: Fragte man mich während des Suchens: ist es etwa dies? etwa jenes? so verneinte ich es solange, bis das dargeboten wurde, was ich suchte. Gedächte ich nicht, was das Gesuchte wäre, so fände ich es nicht, würde es mir auch dargeboten, weil ich es nicht erkenne. Und so geschieht es immer, wenn wir etwas suchen und finden.

Wenn etwas sich von ungefähr aus den Augen verlor, nicht aus dem Gedächtnis, wie irgendein sichtbarer Körper; so ist innerlich dessen Bild zurückbehalten, und man sucht, bis es wieder vor den Blick kommt. Findet man es, so erkennt man es durch das Bild, was innerlich ist. Wir sagen auch nicht, wir haben gefunden, was verloren war, bis wir es wiedererkennen; und erkennen können wir es nicht, bis wir uns dessen erinnern. Den Augen zwar war es verloren, doch im Gedächnis war es noch. - Wenn aber das Gedächtnis selbst etwas verliert, wie es beim Vergessen geschieht, und wir suchen uns dessen wieder zu erinnern: wo suchen wir, als im Gedächtnis selbst? Und wird das Unrechte dargeboten, so weisen wir es zurück, bis Jenes aufstößt, was wir suchen. Und stößt es auf, so sagen wir: das ist es! Wir würden das nicht sagen, wenn wir es nicht erkennen würden und wir würden es nicht erkennen, wenn wir uns nicht daran erinnern. Gewiß hatten wir es doch vergessen. War es uns nicht ganz entfallen, und suchten wir vermittels des Teils, der noch aufbehalten war, den andern, weil das Gedächtnis fühlte, daß es das nicht mehr ganz faßt, was es vorher ganz zu fassen pflegte, und, gleichsam durch der Gewohnheit Unterbrechung schwankend gemacht, sich sehnt, wieder zu haben, was fehlt? so, wenn wir einen bekannten Menschen entweder mit Augen sehen, oder ihn uns vorstellen, und seinen vergessenen Namen aufsuchen; so wird alles Nichthingehörende, was sich etwa darbietet, nicht angeknüpft, weil wir es nicht mit Jenem in Verbindung zu gedenken gewohnt sind; zurück weisen wir es, bis jenes erscheint, womit sich die gewohnte Bekanntschaft beruhigt. Und wo findet es sich, als im Gedächtnis selbst? Denn wenn wir es auch durch die Erinnerung eines Anderen wiedererkennen, so war es doch dort. Denn nicht als etwas uns Neues glauben wir es; sondern in unserer Erinnerung erkennen wir, daß es das ist, was man uns vorsagte. Wenn aber etwas gänzlich aus dem Gedächtnis gelöscht ist, so erinnern wir uns dessen auch nicht durch die Erinnerung eines Anderen. Denn nicht ganz vergaßen wir etwas, dessen vergessen zu haben wir uns erinnern. Jenes Verlorene also können wir nicht suchen, dessen wir gänzlich vergessen haben.

Wie also suche ich dich, Herr? Denn, wenn ich meinen Gott suche, suche ich glückseliges Leben. Ich will dich suchen, auf daß meine Seele lebe. Denn mein Körper lebt von meiner Seele und meine Seele lebt von dir. Wie suche ich also glückseliges Leben ? Denn ich habe es nicht, bis ich sag: es ist genug! und es dort sage, wo ich es sagen muß. Wie suche ich es? durch die Erinnerung, als wenn ich es vergessen habe und des Vergessens mir noch bewußt bin? oder durch den Drang, es kennen zu lernen als etwas Unbekanntes, was ich entweder nie kannte, oder so vergaß, daß ich mich auch nicht des Vergessens erinnere? Ist es nicht glückseliges Leben, was Alle sich wünschen, und durchaus keiner nicht wünscht? Woher kennen sie es, daß sie es so wünschen? Wo sahen sie es, daß sie es lieben? Gewiß haben wir es in uns auf welche Weise, weiß ich nicht. Und verschieden ist die Weise, auf die Jemand, der es hat, glückselig ist. Einige sind durch die Hoffnung glückselig, auf eine geringere Weise aber sind sie es, als jene, die in der Tat glückselig sind, dennoch wieder mehr, als Jene, die nicht in der Tat und nicht in der Hoffnung glückselig sind. Und auch diese wünschten nicht so sehr glückselig zu sein, wenn es nicht auf irgendeine Weise in ihnen wäre: und daß sie es wünschen, ist unleugbar. Ich weiß nicht, wie sie es kennen lernten, und wie sie also eine gewisse Erkenntnis davon haben, wovon ich wissen möchte, ob sie im Gedächtnis ist: denn wenn sie dort ist, so waren sie schon einmal glückselig. Ob wir es alle einzeln oder gesamt in jenem Menschen waren, der zuerst sündigte, in dem wir alle starben, und wodurch wir alle dem Elend geboren wurden, danach forsche ich jetzt nicht, sondern ich forsche, ob im Gedächtnis ein glückseliges Leben sein kann? Denn wir liebten es nicht, würden wir es nicht kennen. Wir hören die Benennung, und wir alle gestehen, daß wir die Sache wünschen. Denn nicht der Laut ergötzt uns: hört ihn lateinisch der Grieche, so erfreut er ihn nicht, weil er nicht weiß, was angedeutet wird. Uns aber erfreut er, so wie auch ihn, wenn er ihn griechisch hört. Denn nicht griechisch, noch lateinisch ist die Sache selbst, nach deren Erlangung sich Griechen und Lateiner sehnen, und aller Menschen aller Sprachen. Allen also ist es bekannt, weil alle, könnte sie mit einer Stimme gefragt werden, ob sie glückselig zu sein wünschen, ohne anzustehen antworten würden, sie würden es wünschen. Und das geschähe nicht, wenn nicht die Sache selbst, deren Benennung Jenes ist, in ihrem Gedächtnis vorhanden wäre.

Geschieht es etwa so, wie sich einer an Karthago erinnert, der es sah? Nein, denn nicht mit den Augen wird das glückselige Leben gesehen, weil es kein Körper ist. - Etwa so, wie wir uns der Zahlen erinnern? Nein, denn der sie in der Erkenntnis hat, sucht nicht noch, sie zu erlangen. Glückseliges Leben aber haben wir in der Erkenntnis, und deshalb lieben wir es: und dennoch wünschen wir es zu erlangen, auf daß wir glückselig sind. - Etwa, wie wir uns der Beredtsamkeit erinnern? Nein, denn obschon auch jene, die noch beredtsam sind, beim Hören der Benennung sich der Sache selbst erinnern, und Viele unter ihnen beredt zu sein wünschen, woraus sich erhellt, daß die Beredtsamkeit in ihrer Erkenntnis ist; so waren sie doch mit Körpersinnen auf andere Beredtere aufmerksam, hatten ihre Lust an ihnen, und wünschten, wie sie zu sein, obwohl sie freilich nur durch innere Erkenntnis ihre Lust hatten, und nicht Jenes wünschten, hätten sie diese Lust nicht. Glückseliges Leben bemerken wir durch keinen Körpersinn an Anderen. - Etwa so, wie wir uns der Freude erinnern? Vielleicht. Denn auch traurig erinnere ich mich der Freude, wie des glückseligen Lebens im Elend. Auch nie mit Körpersinn sah ich meine Freude, oder hörte, schmeckte, roch, fühlte sie: sondern in meinem Geist empfand ich es, wenn ich mich erfreute, und dessen Erkenntnis blieb hängen in meinem Gedächtnis, auf daß ich mich dessen zu erinnern vermöchte, zuweilen mit Verachtung, zuweilen mit Sehnsucht, nach einer Verschiedenheit der Dinge, deren erfreut zu haben ich mich erinnere. Denn auch Freude über schändliche Dinge durchströmte mich einst, das ich jetzt, da ich daran denke, verabscheue und verfluche; zuweilen über gute und ehrbare Dinge, dessen ich mich jetzt mit Sehnen erinnere, obgleich sie eben nicht da sind, und darum erinnere ich mich traurig vergangener Freude.

Wo denn und wann empfand ich mein glückseliges Leben, daß ich mich dessen erinnere und es liebe und mich danach sehne? Auch nicht Ich nur, oder Wenige mit mir, sondern glückselig wünschen durchaus Alle zu sein. Würden wir es nicht mit sicherer Erkenntnis erkennen, so wünschten wir es nicht mit sicherem Wunsch. Doch wie kann es geschehen, daß, wenn zwei gefragt werden, ob sie im Krieg dienen wollen, der Eine antwortet, er wolle, der Andere, er wolle nicht; und daß, werden sie gefragt, ob sie glückselig sein wollen, beide sogleich ohne das geringste Zögern sprechen, sie wünschen es, da doch der Eine im Krieg dienen will, und der Andere es nicht will, beides nur, um glückselig zu sein? Vielleicht, weil sich der Eine über dieses, der Andere über jenes freut, und Alle in dem Wunsch, glückselig zu sein, so einstimmig sind, wie sie einstimmig sein würden, wenn sie darüber gefragt würden, daß sie sich zu erfreuen wünschten, diese Freude selbst glückseliges Leben nennend? Obschon es Einer hier, ein Anderer dort zu finden sucht, so ist doch Eins, wohin Alle streben: sich zu erfreuen. Und weil dies etwas ist, was nicht erfahren zu haben keiner sagen kann; so wird es deshalb im Gedächtnis vorgefunden, wenn man die Benennung des glückseligen Lebens hört.

Fern sei es, Herr, fern sei es vom Herzen deines Dieners, der dir bekennt, fern sei es, daß ich mich, mit welcher Freude ich mich auch erfreue, glückselig achte. Denn eine Freude ist es, die nicht Gottlosen gegeben wird, sondern denen, die dich ohne Lohnabsicht ehren, und deren Freude du selbst bis. Und das ist ein glückseliges Leben, sich erfreuen in dir, durch dich, wegen deiner; das ist es, und kein anderes ist es. Die es aber ein anderes glauben, streben nach anderer Freude und nicht nach der wahren. Aber auf ein gewisses Bild von Freude bleibt ihr Wünschen immer gerichtet.

Es ist also nicht gewiß, daß Alle glückselig zu sein wünschen, weil Jene, die sich nicht in dir zu erfreuen wünschen, das das einzig glückselige Leben ist, eigentlich kein glückseliges Leben wünschen. Wünschen wohl Alle Jenes? Aber weil das Fleisch gelüstet wider den Geist, und den Geist wider das Fleisch, daß sie nicht tun, was sie wollen; so fallen sie auf das, was sie vermögen, und sind damit zufrieden, indem für das, was sie nicht vermögen, ihr Wille nicht stark genug ist, um es zu vermögen. Denn Alle frage ich, ob sie sich lieber an der Wahrheit als an der Falschheit erfreuen mögen? Ebensowenig zweifeln sie, es an der Wahrheit lieber zu wollen. Denn glückseliges Leben ist Freude an der Wahrheit. Denn das ist Freude an dir, der du die Wahrheit bist, Gott, meine Erleuchtung, Heil meines Angesichts, mein Gott! Dieses glückselige Leben wünschen Alle; dieses Leben, das einzig glückselig ist, wünschen Alle; Freude an der Wahrheit wünschen Alle. Viele kannte ich, die zu täuschen, keinen, der getäuscht zu werden wünscht. Wo also erkannten sie das glückliche Leben, als wo sie die Wahrheit erkannten? Denn sie lieben auch diese, weil sie nicht getäuscht sein wollen. Und da sie ein glückseliges Leben lieben, das nichts Anderes ist, als Freude an der Wahrheit; so lieben sie sicher auch die Wahrheit, und sie liebten sie nicht, wenn nicht einige Kenntnis derselben in ihrem Gedächtnis wäre. Warum erfreuen sie sich also nicht an derselben? Warum sind sie nicht glückselig? Weil zu sehr andere Dinge sie beschäftigen, die sie vielmehr unglückselig machen, als Jenes glückselig, dessen sie nur obenhin bedenken. Denn nur noch ein geringes Licht ist unter den Menschen: wandeln sie vorwärts, wandeln sie, daß Finsternis sie nicht ergreife!

Warum aber gebärt Wahrheit Haß, und warum ist Jenen ein Feind dein Mann geworden, der die Wahrheit preist, da man doch glückseliges Leben liebt, das nichts anderes ist als Freude an der Wahrheit; als nur, weil man so die Wahrheit liebt, daß Alle, die etwas Anderes lieben, dies die Wahrheit zu sein behaupten, und, da sie nicht getäuscht sein wollen, nicht wollen überzeugt werden, getäuscht zu sein? Die Wahrheit also hassen sie, um dessenthalben, was sie statt der Wahrheit lieben. Sie lieben sie, wo sie ihnen leuchtet, und hassen sie, wo sie tadelt. Denn weil sie nicht getäuscht sein, sondern täuschen wollen; so lieben sie sie, wo sie sich selbst darstellt, und hassen sie, wo sie sie darstellt. Drum vergilt sie es ihnen, so, daß sie Jene, die von ihr nicht enthüllt sein wollen, auch gegen ihren Willen enthüllt, sich selbst aber ihnen nicht enthüllt. So auch, ebenso auch wünscht der menschliche Geist, der blinde und schwache, der schändliche und verderbte, ebenso wünscht er verborgen zu sein; aber daß ihm etwas verborgen ist, wünscht er nicht. Doch das Gegenteil geschieht, und Er ist nicht der Wahrheit, sondern die Wahrheit ist Ihm verborgen. Nichtsdestoweniger, elend wie er ist, will er sich lieber am Wahren erfreuen, als am Falschen. - Glückselig also wird der sein, der, ohne daß ihn einiger Kummer stört, sich an der einzigen Wahrheit selbst erfreut, durch die alles Wahre ist.

Siehe, wie Vieles ich durchwandelt bin in meinem Gedächtnis, dich suchend, Herr! und ich fand dich nicht außerhalb desselben; auch fand ich nichts von dir, wessen ich mich nicht erinnere seit der Zeit, daß ich dich erkannte; denn seit ich dich erkannte, vergaß ich deiner nicht. Wo ich die Wahrheit fand, da fand ich meinen Gott, die Wahrheit selbst, deren ich, seit ich sie erkannte, nicht vergaß. Deshalb, seit ich dich erkannte, bleibst du in meinem Gedächtnis, und dort finde ich dich, wenn ich deiner gedenke und mich erfreue an dir. Dies sind meine heiligen Freuden, die du mir verliehst durch deine Barmherzigkeit, zurückschauend auf meine Armut!

Aber an welcher Stelle weilst du in meinem Gedächtnis, Herr? Wo weilst du dort? welche Wohnung bereitest du dir darin? Welches Heiligtum erbautest du dir dort? Dessen hast du mein Gedächtnis gewürdigt, daß du darin weiltest; aber in welchem Teil, das möchte ich wissen. Denn deiner gedenkend ging ich hinweg über jene Teile, die auch Tiere haben, weil ich dich dort nicht fand unter den Bildern körperlicher Dinge. Und ich kam zu jenen Teilen, denen ich die Regungen meines Geistes anvertraut hatte, und auch dort fand ich dich nicht. Und ich drang hinein zum Sitz meines Geistes selbst, der dort für ihn ist in meinem Gedächtnis, weil auch der Geist seiner sich erinnert; und auch dort warst du nicht. Denn nicht das Bild von etwas Körperlichem bist du; noch bist du die Regung eines Belebten, wie jene ist, wenn wir uns erfreuen, betrübt sind, begehren, fürchten, uns erinnern, vergessen und dergleichen mehr; noch bist du der Geist selbst, weil du der Herr und Gott des Geistes bist. All das wird gewandelt: du aber bleibst unwandelbar über Allem, und läßt dich herab, in meinem Gedächtnis zu wohnen, wo ich dich erkannte. Und was suche ich, an welcher Stelle du wohnst, als ob Stellen dort wären? Gewiß wohnst du dort, weil ich deiner gedenke, seit ich dich erkannte, und ich finde dich dort, wenn ich mich deiner erinnere.

Wo also fand ich dich, daß ich dich erkannte? Denn du warst nicht in meinem Gedächtnis, ehe ich dich erkannte. Wo also fand ich dich, daß ich dich erkannte, als nur in dir über mir? Keine Stelle, wo du nicht bist: und wir entfernen uns, und wir nahen uns; und doch keine Stelle, wo du nicht bist! Allenthalben, o Wahrheit, bis du Allen bereit, die dich um Rat fragen; und Allen antwortest du zugleich, wenn sie auch Verschiedenes fragen. Deutlich antwortest du; aber nicht deutlich hören dich Alle. Alle befragen dich, um welches sie wollen; aber nicht immer hören sie, was sie wollen. Der ist dein treuester Diener, der weniger darauf sieht, von dir zu hören, was er selbst will, als vielmehr darauf, das zu wollen, was er von dir hört.

Spät habe ich dich geliebt, du so alte und so neue Schönheit, spät habe ich die geliebt! Und siehe, du warst in mir, ich außer mir und hier suchte ich dich, und, ungestaltet selbst, fiel ich unter die schönen Dinge, die du schufst. Du warst in mir, mit dir aber war ich nicht. Jene hielten mich fern von dir, sie, die nicht wären, wären sie nicht in dir. Du riefst, und riefst laut und hast meine Taubheit zerrissen. Du schimmertest und strahltest und verscheuchtest meine Blindheit. Du duftetest und ich atmete und seufze nach dir. Ich schmeckte dich, und mich hungert und dürstet. Du berührtest mich, und brennend verlange ich nach deinem Frieden.

Wenn ich ganz an dir hängen werde, wird durchaus kein Schmerz, und keine Mühseligkeit für mich, und lebendig sein mein ganz von dir erfülltes Leben. Nun aber, da du den aufrichtest, den du erfüllst, bin ich mir selbst zur Last, weil ich nicht von dir erfüllt bin. Es kämpft in mir eine beweinenswürdige Freude mit freudebringender Traurigkeit: und auf welcher Seite der Sieg ist, weiß ich nicht. Ach Herr, erbarme dich meiner! Es kämpft in mir eine böse Traurigkeit mit guter Freude, und auf welcher Seite der Sieg ist, weiß ich nicht. Ach Herr, erbarme dich meiner. Siehe, ich verberge meine Wunden nicht. Du bist der Arzt, ich der Kranke; du bist barmherzig, ich elend. Ist es nicht eine Versuchung, des Menschen Leben auf der Erde? Wer wünscht sich Mühseligkeit und Beschwernis? Sie ertragen heißt du uns, nicht lieben. Keiner liebt, was er erträgt, wenn er auch das Ertragen liebt. Denn erfreut er sich auch des Ertragens, so wünscht er doch, daß das nicht wäre, was er erträgt. Nach einem glücklichen Leben sehne ich mich in Widerwärtigkeit; Widerwärtiges fürchte ich im Glück. Wo ist hier eine Mittelstelle, wo des Menschen Leben nicht Versuchung ist? Wehe dem Glück der Welt, und abermal wehe, der Furcht halber vor Widerwärtigkeit, und des Verderberns hablber der Freude! Wehe den Widerwärtigkeiten der Welt, und abermals wehe, und dreimal wehe, der Sehnsucht halber nach dem Glück, und deshalb, weil Widerwärtigkeit selbst hart ist, und das Ertragen schiffbrüchig wird? Ist es nicht eine Versuchung, des Menschen Leben auf der Erde, ohne Unterlaß?

Und meine ganze Hoffnung beruth auf nichts, als auf deiner übergroßen Barmherzigkeit, Herr und Gott! Gib mir, was du befiehlst und befiehl, was du willst! Du forderst Enthaltsamkeit von uns. Und da ich erkannte, sagt Jemand, daß keiner enthaltsam sein kann, denn Gott gebe es; so war dies schon Weisheit, zu erkennen, wessen Gabe es ist. Denn die Enthaltsamkeit ist es, die uns sammelt und zurückführt zu jener Einheit, wovon wir uns in mancherlei zerstreuten. Denn weniger liebt dich der, der neben dir etwas liebt, was er nicht deinetwegen liebt. O immer brennende, nie erlöschende Liebe! entzünde mich, Gott, meine Liebe! Enthaltsamkeit forderst du? Gib, was du befiehlst, und befiehl, was du willst!

Sicher befiehlst du, daß ich mich enthalte von der Begierlichkeit des Fleisches und der Begierlichkeit der Augen, und von der Ehrfurcht der Welt. Du befahlst, daß ich mich enthalte von ungeordnetem Beischlaf, und ermahntest zu etwas, das besser ist, als die Ehe, die du erlaubst. Und weil du es gabst, geschah es, und noch ehe ich der Ausspender deiner Geheimnisse wurde. Aber noch leben in meinem Gedächtnis, worüber ich so vieles sprach, Bilder jener Dinge, die dort meine Gewohnheit festigte; und sie erscheinen mir zwar im Wachen ohne Kraft, im Schlaf aber nicht nur bis zur Belustigung, sondern sogar bis zur Einwilligung und höchstähnlicher Handlung. Und soviel vermag die Täuschung des Bildes in meiner Seele und in meinem Fleisch, daß dem Schlafenden ein falsches Gesicht zu dem verleitet, wozu den Wachenden ein wahres nicht verleiten kann. Bin ich alsdann nicht mehr ich, Herr, mein Gott? Und doch ist ein solcher Unterschied zwischen mir und mir seit dem Augenblick, wo ich entschlummere, und seit ich erwache! Wo ist dann die Vernunft, wodurch der wachende Geist jenen Versuchungen widersteht? Und versucht die Sache selbst, so bleibt er unerschüttert! Schließt sie sich mit den Augen? Schlummert sie mit den Sinnen des Körpers? Und wie widerstehen mir auch oft im Traum, und geben, eingedenk unseres Vorsatzes, und unerschütterlich in der Keuschheit, keinen Beifall jenen Reizungen? Und doch ist hier ein so großer Unterschied, daß wir, geschieht das Gegenteil, beim Aufwachen zur Ruhe des Gewissens zurückkehren, und daß es eben dieses Unterschiedes wegen uns däucht [ein Urtheil auf Veranlassung der Sinnen fällen - wp], als hätten es nicht wir getan, so sehr es uns auch schmerzt, daß es, auf welche Art auch immer, in uns geschehen ist. Vermag deine mächtige Hand es nicht, allmächtiger Gott, alle Schwachheiten meiner Seele zu heilen, und mit größerer Fülle deiner Gnade die geilen Regungen auch meines Schlummers zu tilgen?

Immer mehr und mehr, Herr, wirst du in mir deine Gaben vergrößern, auf daß meine Seele mir folge zu dir, entlöst vom Leim der Begierlichkeit, damit sie nicht strebe wider sich selbst, und damit sie im Traum nicht allein sich nicht hinreißen läßt durch tierische Bilder zu jenen Schändlichkeiten bis zum Erguß des Fleisches; sondern daß sie nicht einmal einwilligt. Denn daß nichts dergleichen, auch nicht so wenig, daß es nur einen Augenwink lang dauerte, uns gefalle, und auch selbst die keuschen Regungen des Schlafenden nicht stört und daß nicht allein in diesem Leben, sondern auch in diesem Alter: das ist nichts Schweres für dich Allmächtigen, der mehr zu verleihen vermag, als wir bitten und erkennen. Dennoch wie es steht mir mir im Hinblick auf dieses Übel, habe ich jetzt meinem gütigen Herrn bekannt, frohlockend mit Zittern in dem, was du mir gabst, und trauernd, daß ich noch unvollkommen bin, und hoffend, du werdest an mir deine Barmherzigkeit vollenden bis zum völligen Frieden, welchen mein Inneres und mein Äußeres mit dir haben wird, wenn der Tod durch den Sieg verschlungen ist.

Noch eine andere Plage gibt es für jeden Tag, und wollte Gott, sie wäre die einzige. Denn wir ersetzen den täglichen Verfall des Körpers durch Essen und Trinken, bis dur die Speisen zerstörst und den Bauch, indem du meine Bedürftigkeit verscheuchen wirst durch wunderbare Sättigung, und dieses Vergängliche umgeben mit ewiger Unvergänglichkeit. Nun aber ist mir süß mein Bedürfnis; und gegen diese Süßigkeit streite ich; auf daß sie mich nicht umstricke, und täglichen Krieg für ich durch Fasten, oft zum Gehorchen meinen Körper zwingend: und doch ist es Wollust, meine Schmerzen zu vertreiben, denn Hunger und Durst sind Schmerzen, sie brennen, und gleich dem Fieber töten sie, wo nicht der Nahrung Arznei zu Hilfe kommt. Da diese vorhanden ist in der Fülle deiner Gaben, wodurch Erde und Wasser und Himmel unserer Schwachheit dienen; so nennen wir unsere Beschwernisse Vergnügen. So lehrtest du mich es, auf daß ich wie Arznei die Nahrung genießen möchte. Doch wenn ich aus belästigendem Bedürfnis zur Behaglichkeit der Sättigung übergehe: so lauert auf mich eben in diesem Übergang die Schlinge der Begierlichkeit. Denn der Übergang selbst ist Wollust, und einen anderen Übergang gibt es nicht, als diesen, wozu uns die Not zwingt. Und da die Gesundheit der Zweck des Essens und Trinkens ist, so findet sich, wie eine gefährliche Fußfolgerin, Belustigung ein, und strebt sogar oft, voranzugehen, damit ihrethalben geschehe, was ich der Gesundheit halber zu tun beschloß. Auch sind beide Zwecke nicht gleich geeignet: was der Gesundheit genügt, ist der Lust wenig. Und oft wird es ungewiß, ob die nötige Sorge für den Körper die Notdurft fordert, oder ob nur der täuschenden Lust der Begier gefröhnt sein will. Bei dieser Ungewißheit erfreut sich die unglückliche Seele, und sucht hier ihre Entschuldigung zu gründen, froh, daß es nicht klar ist, wieviel zur Erhaltung der Gesundheit nötig ist, um durch diesen Vorwand das Werk der Wollust zu decken. Diesen Versuchungen strebte ich täglich zu widerstehen, und rufe deine Rechte zu meiner Hilfe, und zu dir wende ich mich in meiner Angst, weil ich noch nicht sicheren Rat weiß in dieser Sache. Ich höre den Befehl meines Gottes: beschwert eure Herzen nicht mit einem Übermaß des Essens und Trinkens! - Die Trunkenheit ist fern von mir; erbarme dich, daß sie mir nicht nahe kommt. Essbegier aber überkommt zuweilen deinen Diener; erbarme dich, daß sie mir fern wird. Denn keiner kann enthaltsam sein, wenn du es ihm nicht gibst. Vieles verleihst du auf unser Bitten; und was wir Gutes erhielten, ehe wir baten, erhielten wir von dir; und daß wir dies hernach erkannten, erhielten wir auch von dir. Dem Trunk war ich nie ergeben: aber ich kenne Trunkenbolde, die Nüchterne wurden durch dich. Daß Jene es nicht sind, die es nie waren, geschah also durch dich, durch den es geschah, daß es Jene nicht immer waren, die es waren, durch den es auch geschah, daß beide es wüßten, durch wen es geschah.

Auch eine andere Stimme hörte ich von dir: Deinen Begierlichkeiten gehe nicht nach, und von deinen Lüsten wende dich hinweg! - Durch deine Gabe hörte ich auch jene Stimme, und liebte sie sehr: Sei es, daß wir essen, und werden darum nicht mehr, sei es, daß wir nicht essen und wir werden darum nicht weniger haben. Das heißt: Jenes wird mich nicht glücklich, dieses nicht unglücklich machen. - Und eine andere Stimme hörte ich: Denn ich habe gelernt, mit dem Gegenwärtigen mich zu begnügen, und weiß Überfluß zu haben und Mangel zu dulden. Alles vermag ich in Dem, der mich stärkt! - Siehe da einen Krieger aus dem himmlischen Lager, nicht Staub wie wir! Aber gedenke, Herr, daß wir Staub sind, und aus Staub schufst du auch diesen Menschen; auch er war verloren und ist wiedergefunden. Auch er, den ich liebe, da er dies durch den Hauch deiner Eingebung spricht, vermochte es nicht durch sich selbst, weil er ebenso Staub war. Alles vermag ich, sagt er, in dem, der mich stärkt! - Stärke mich, daß ich es vermöge. Gib, was du befiehlst, und befiehl, was du willst. Er bekennt, daß es ihm verliehen ist, und wessen er sich rühmt, dessen rühmt er sich im Herrn. Einen andern hörte ich bitten, daß ihm verlieheh werde: nimm hinweg von mir, spricht er, die Begierlichkeiten des Bauches! Daher erhellt sich, daß du gibst, heiliger Gott, wenn das geschieht, was du befiehlst.

Du lehrtest mich, gütiger Vater, daß den Reinen Alles rein ist, aber daß es böse ist, wenn der Mensch Ärgernis gibt durch Essen; und: daß alle deine Schöpfung gut, und nichts zu verwerfen ist, was mit Dank empfangen wird; und: daß die Speise uns unserem Gott nicht empfiehlt; und: daß keiner uns richten soll nach Speise und Trank; und: daß der Essende den Nichtessenden nicht verachten soll, und der Nichtessende den Essenden nicht richten. Dies lernte ich; Dank dir, Preis dir, meinem Gott, meinem Lehrer, dem Eröffner meiner Ohren, dem Erleuchter meines Herzens! Entreiße mich aller Versuchung! - Ich fürchte nicht die Unreinheit der Speisen, sondern die Unreinheit der Begierde. Ich weiß, daß dem Noah aller Art Fleisch, was gegessen werden konnte, erlaubt war; daß dem Johannes, einem Mann wunderbarer Enthaltsamkeit, Tiere, Heuschrecken nämlich, zur Speise dienten, und daß er nicht davon verunreinigt wurde. Und ich weiß, daß Esau durch die Begierde nach den Linsen hintergangen wurde; daß David wegen seines Verlangens nach Wasser sich selbst strafte; und daß unser König nicht mit Fleisch, sondern mit Brot versucht wurde. Deshalb verdient auch das Volk in der Wüste, gestraft zu werden, nicht weil es Fleisch verlangte, sondern weil es im Verlangen nach Speise murrte wider den Herrn.

Diesen Versuchungen also ausgesetzt, streite ich täglich gegen die Begierlichkeit, zu essen und zu trinken. Denn es ist nicht etwas, was ich einmal hinwegzuschaffen und dann dessen nicht ferner zu gedenken beschließen kann, wie beim Beischlaf. Drum ist bei den Zügeln der Eßlust ein gemäßigtes nachlassen und Anziehen zu beobachten. Und wer ist, Herr, die sie nicht zuweilen ein Weniges hinausreißt über das Ziel des Notwendigen? Wer es auch sein mag, der ist groß, und er preise deinen Namen! Ich aber bin es nicht, denn ich bin ein sündiger Mensch. Aber auch Ich preise deinen Namen, und es bittet dich für meine Sünden Jener, der die Welt überwand, mich zählend unter die schwachen Glieder seines Körpers; denn auch dessen Unvollkommenes sehen deine Augen, und in dem Buch werden Alle aufgeschrieben!

Die Reize des Wohlgeruchs kümmern mich wenig. Ist er nicht da, such ich ihn nicht; ist er da, verschmähe ich ihn nicht, bin auch bereit, immer seiner zu entbehren. So scheine ich mir; vielleicht irre ich. Denn beweinenswürdig ist auch jene Finsternis, die das Vermögen, das in mir ist, mir verbirgt, so daß mein Geist, wenn er seine eigenen Kräfte erforscht, sich nicht leich einen Glauben beimißt, weil auch das, was wirklich in ihm ist, ihm so oft verborgen ist, wenn es ihn Erfahrung nicht lehrt. Und keiner darf sicher sein in diesem Leben, welches ich ganz Versuchung nannte, daß er, welcher aus einem Schlechten ein Besserer wurde, nicht aus dem Besseren ein Schlechterer wird. Eine Hoffnung ist, eine Zuversicht, eine feste Verheißung: deine Barmherzigkeit.

Die Wollust der Ohren hatte mich stärker umschlungen und unterjocht, du aber löst und befreist mich. Jetzt tun mit die Töne wohl, die deine Worte beleben, wenn sie mit süßer gebildeter Stimme gesunden werden, das gestehe ich, aber nicht so, daß sie mich fesseln, sondern ich kann mich losreißen, wenn ich will. Dennoch verlangen sie zugleich mit den Gedanken, wodurch sie leben, Eingang bei mir, und eine gewisse Stelle der Würde in meinem Herzen: und ich weiß nicht, ob ich ihnen die schickliche anweise. Denn zuweilen scheint es mir, ich gebe ihnen mehr Ehr, als ihn gebührt; denn ich fühle, daß durch jene heiligen Worte inbrünstiger und feuriger unsere Seele erregt werden zur Flamme der Gottesfurcht, wenn sie so gesungen werden, als wenn sie nicht so gesungen würden, und daß alle Regungen unseres Geistes ihre verschiedenen entsprechenden Weisen haben in Stimme und Gesang, wodurch sie, wie durch heimliche Vertrautheit, geweckt werden. Aber diese Sinnelust, der man den Geist nicht zur Entnervung hingeben soll, täuscht mich oft, indem der Sinn die Vernunft nicht so begleitet, daß er ruhig der letzte ist: sondern da er einmal ihretwegen gewürdigt wurde, zugelassen zu werden, strebt er auch voran zu gehen und Führer zu sein. So sündige ich in diesem, ohne es zu wissen; aber hernach erkenne ich es.

Aber auch zuweilen, zu sehr mich hütend vor derlei Täuschung, irr ich in übertriebener Strenge und besonders wenn ich wünschte, daß aller Wohllaut süßer Gesänge aus Davids Psalter von meinen Ohren und selbst aus der Kirche verbannt wird. Und sicherer scheint es mir, was ich oft vom Alexandriner Bischof ATHANASIUS hörte, der eine so mäßige Biegung der Stimme dem Leser des Psalms anempfahl, daß es mehr dem Hersagen als dem Absingen ähnlich wäre. Wenn ich aber meiner Tränen gedenke, die ich beim Gesang deiner Kirche im Anfang meines Christentums vergoß, und wie ich noch jetzt bewegt werde, nicht durch den Gesang, sondern durch das, was gesungen wird, wenn es mit sanfter Stimme und in anpassender Weise gesungen wird; so erkenne ich wiederum den großen Nutzen dieser Einrichtung. So schwanke ich zwischen der Gefahr der Wollust und der Erfahrung des Vorteils, doch mehr geneigt (obwohl dies nicht unerschütterlich behauptend), die Gewohnheit des Singens in der Kirche gut zu heißen, auf daß durch des Ohres Ergötzung der schwächere Geist zur Empfindung der Gottesfurch erhoben werde. Dennoch, wenn es mir geschieht, daß mich mehr der Gesang als die gesungene Sache bewegt, erkenne ich, sträflich zu sündigen, und so möchte ich lieber den Sänger nicht hören. - Seht, wie ich bin! Weint mit mir und weint für mich, ihr, die ihr innerlich Gutes hegt, und danach euner Handeln ordnet. Denn die ihr es nicht hegt, nicht Euch bewegt dieses. Du aber, Herr, mein Gott, sieh mich an, erhöre mich und schau auf mich, und erbarme dich, und heile mich! In deinen Augen bin ich mir eine Frage geworden, und das ist meine Schwäche!

Noch ist die Lust dieser Augen meines Fleisches übrig, wovon ich Bekenntnis ablege vor den Ohren deines Tempels, brüferlichen und frommen Ohren, um hiermit die Versuchungen der Fleischesbegierlichkeit zu schließen, die mich noch plagen, während ich erseufze und mich sehne, mit meiner Wohnung, die vom Himmel ist, umkleidet zu werden.

Schöne und vielartige Formen, glänzende liebliche Farben lieben die Augen. Nicht diese sollen meinen Geist einnehmen, sondern Gott soll es, der sie schuf und sie sehr gut schuf: Er selbst ist mein Gut, nicht jene. Und sie umgeben mich Wachenden den ganzen Tag, und keine Ruhe habe ich vor ihnen, wie ich sie oft habe vor den tönenden Stimmen, wenn diese sämtlich schweigen. - Denn das Licht, die Königin der Himmel, Alles überströmend, was wir sehen, schmeichelt, wo immer ich des Tages hindurch bin, mit vielfachen Reizen, wenn ich auch andere Geschäfte habe und nicht darauf achten will. So lieb ist es uns geworden, daß wir es, wenn es sich plötzlich entfernt, mit Sehnsucht wiedersuchen, und entbehren wir es lange, so trauert der Geist.

O Licht, das Tobias sah, als er mit geschlossenen Augen seinen Sohn den Weg des Lebens lehrt, und ihm vorging mit dem Schritt der Liebe, nirgend irrend; und das Isaak sah, dessen Augen schon vor Alter trübe und finster waren, als er die Söhne, ohne sie zu erkennen, segnete, aber im Segen sie zu erkennen verdiente; und das Jakob sah, als er, der, vieler Jahre wegen der Augen beraubt, der Söhne künftige Völkerstämme aus leuchtendem Herzen weissagte, und über seine Enkel aus Joseph, nicht wie der Vater sie ihm anwies, sondern wie er es selbst innerlich unterschied, die geheimnisvoll gekreuzten Hände legte! Dies ist das Licht, dieses einzige und kein anderes, und Alle sind Eins, die dies sehen und es lieben. Doch jenes körperliche Licht, wovon ich redete, verbreitet über das Weltleben seiner blinden Verehrer verführende und gefährliche Süße. Die aber selbst ob diesem dich zu loben wissen, Gott, Schöpfer Aller, besingen es in deinen Hymnen, ohne daß es sich verschlingt in ihrem Traum. - Genau so wünsche Ich zu sein.

Ich widerstehe den Verführungen meiner Augen, auf daß meine Füße nicht verwickelt werden, womit ich auf deinem Weg wandle; und unsichtbare Augen erhebe ich zu dir, auf daß du meine Füße löst aus dem Strick. Du wirst nicht müde, sie zu lösen; ich aber verwickle mich oft in den allenthalben gestellten Schlingen; denn du schläfst nicht, und dich wird nie schläfern, der du Israel schützt. Wie unzählbar vermehrten die Menschen durch Kunst und Geschicklichkeit in Leib- und Fußbekleidung, in Gefäßen und ähnlichen Geräten, in Gemälden und verschiedenen Bildnereien, welche alle über ihre nötige und mäßige und ehrbare Bestimmung hinausgehen, die Reize der Augen! folgen äußerlich dem, was sie machen, verlassen innerlich den, wovon sie gemacht sind, und vertilgen das, wozu sie gemacht sind! - Ich aber, mein Gott und meine Zier, auch dafür preise ich dich, und opfere Lob meinem Heiligen, indem das Schöne, was durch die Seele in die Künstlerhand übergeht von jener Schönheit herkommt, die über den Seelen ist, nach der sich meine Seele sehnt Tag und Nacht. Von dorther nehmen die Schaffer und Verehrer äußerer Schönheit das Maß der Beurteilung, aber nicht das Maß des Gebrauchs. Und es ist dort, und sie sehen es nicht, sonst gingen sie nicht weiter, und suchten ihre Stärke in dir, und vergeudeten sie nich in behagenden Lüsten. - Ich aber, der ich dies sage und erkenne, auch ich verwickle wohl den Schritt in diesen Schönheiten: aber du löst ihn, Herr, du löst ihn, weil deine Barmherzigkeit vor meinen Augen ist. Denn erbarmenswürdig werde ich verstrickt und erbarmend löst du, zuweilen ohne daß ich es fühle, weil ich unversehens fiel, zuweilen mit Schmerzen, weil ich schon anhänglich wurde.

Hierzu kommt noch eine andere weit gefährlichere Art von Versuchung. Denn neben jener Begehrlichkeit des Fleisches, die sich in der Ergötzung aller Sinne und Genüsse zeigt, und wodurch ihre Diener, weit sich entfernend von dir, zugrunde gehen, befindet sich auch in der Seele eine gewisse vorwitzige Begier - nicht durch einen Körpersinn der Fleischeslust zu erhaschen, sondern - durch den Sinn Neues zu erfahren, bemäntelt vom Namen: Erkenntnis und Wissen. Da sie in dem Drang zu Erkennen besteht, die Augen aber das vorzüglichste Werkzeug zum Erkennen sind, so nannte Augenbegierlichkeit sie das göttliche Wort. Zwar bezieht sich allein das Sehen auf die Augen; doch wir bedienen uns auch dieses Ausdrucks bei den übrigen Sinnen, wenn wir sie zum Erkennen anwenden. Denn wir sagen nicht: höre, wie das schimmert! noch: rieche, wie das glänzt! noch: schmecke, wie das funkelt! noch: fühle, wie das hell ist! Von dem Allen aber braucht man: Sehen. Man sagt nicht allein: Siehe, wie es leuchtet! was nur die Augen empfinden können; sondern auch: Siehe, wie es tönt! Siehe, wie es riecht! Siehe, wie es schmeckt! Siehe, wie hart es ist! Drum wird allgemein die Sinneserfahrung, wie gesagt, Augenbegierlichkeit genannt, weil das Geschäft des Sehens, das vorzugsweise den Augen eigen ist, auch den übrigen Sinne, wie ihnen ähnlich, beigelegt wird, wenn sie Erkenntnisse erwerben.

Daraus aber erhellt sich klar der Unterschied, ob etwas der Wollust oder der Neugier halber durch die Sinne bewirkt wird; daß die Wollust nach Schönem, Wohltönendem, Süßem, Schmackhaftem, Sanftem, die Neugier aber auch dahin strebt, das Gegenteil zu versuchen, nicht um Beschwernis zu erdulden, sondern der Lust wegen, zu erfahren und zu erkennen. Denn welche Wollust ist beim schaudervollen Anblick eines zerfleischten Leichnams? Und dennoch, liegt irgendwo einer, läuft Alles hinzu, um sich zu betäuben, um zu erblassen. Sogar fürchtet man, derlei im Traum zu sehen: und wachend sieht man es, gleichsam als zwänge man uns dazu, oder als lockte der Rufe des Schönen uns herbei! So auch von den übrigen Sinnen, wovon einzeln zu reden Überfluß ist. Durch diese Krankheit der Begierde geschieht es, daß man die wunderbarsten Sachen in den Schauspielen darstellt. Daher strebt man nach einer Erforschung der Geheimnisse der Natur, die sie vor uns verborgen hielt, obwohl deren Erkenntnis nichts frommt: nur wissen wollen die Menschen. Daher auch, wenn man durch eben diese verkehrte Wißbegier bei magischen Künsten Hilfe sucht. Daher auch, daß selbst in der Religion Gott versucht wird, indem Zeichen und Wunder gefordert werden, nicht zum Heil, sondern allein der Erfahrung willen.

In diesem unermeßlichen Wald voll der Fallstricke und Gefahren, siehe, wieviel ich mir abschnitt, und hinwegtrieb von meinem Herzen, wie du es mir zu tun verliehst, Herr meines Heils! Aber wann darf ich sagen, da unser tägliches Leben so manche Dinge dieser Art umklirren, wenn darf ich sagen, daß nichts von all dem mich aufmerksam macht zum Schauen, und in mir eitle Sorge erregt? Wohl reißen Theater micht nicht mehr an sich: Ich sorge auch nicht, die Durchgänge der Sterne zu kennen; auch fragte meine Seele nie die Schatten um Rat; alle schändlichen Geheimnisse verabscheue ich. Wie oft versucht es der Feind durch die List der Eingebungen, daß ich von dir, Herr, mein Gott, dem ich nur demütigen und einfältigen Dienst schuldig bin, ein Zeichen verlange? Aber ich beschwöre dich bei unserem König und bei dem einfältigen und züchtigen Vaterland Jerusalem, daß die Einwilligung hierzu, so wie sie jetzt weit von mir ist, stets weit und immer weiter on mir sein mag! Bitte ich dich für Jemandes Heil, so ist ganz anders das Ziel meiner Bitte, und du verleihst mir und wirst mir verleihen, daß ich nach dir, der du tust, was dir beliebt, gern mich füge. Aber durch wieviele äußerst geringfügige und wertlose Dinge wird täglich unsere Neugier versucht! Und wie oft wir fallen, wer zählt es? Wie oft achten wir auf den Eitelredenden anfangs mit Geduld, um nicht die Schwachen zu beleidigen, hören ihm aber darauf allmählich gern zu? Ich sehe nicht mehr zu, wenn der Hund den Hasen jagt, geschieht es im Zirkus: aber auf dem Feld, gehe ich von ungefähr vorüber, wendet es mich vielleicht ab von den wichtigen Gedanken; und diese Jagd zieht mich an, und zwingt mich zwar nicht, mein Tier vom Weg hinzulenken, neigt aber mein Herz zu sich. Und wenn du mich dann nicht schnell meiner Schwachheit erinnerst, und mich ermahnst, entweder durch irgendeinen Gedanken, von jenem Anblick selbst hervorgebracht, zu dir aufzusteigen, oder ihn gänzlich zu verachten, und vorbeizugehen; so erstarre ich in Eitelkeit.

Wie oft macht mich, wenn ich zuhause sitze, die fliegenfangendes Sterneidechse, oder die Spinne, die sie in ihr Gewebe wickelt, aufmerksam? Ob es kleine Tierchen sind, geschieht darum nicht dasselbe? Sie sind mir Anlaß, dich zu loben, den wunderbaren Schöpfer, und den Ordner aller Dinge: aber Jenes machte doch zuerst mich aufmerksam. Ein Anderes ist schnell aufstehen, ein Anderes nicht fallen. Und von derlei ist voll mein Leben, und meine einzige Hoffnung ist deine so große Barmherzigkeit. Denn da unser Herz ein Behälter wird von dieser Art Dinge, und Haufen vielfacher Eitelkeit in sich trägt; so werden auch oft unsere Gebete dadurch unterbrochen und gestört: und während wir vor deinem Angesicht zu deinen Ohren unseres Herzens Stimme richten, stürzen, ich weiß nicht woher, nichtige Gedanken herbei, die uns von einer so wichtigen Sache abwenden. Sollen wir auch dies gering achten? Oder soll uns etwas anderes mit Hoffnung erfüllen, als nur deine Barmherzigkeit, weil du bereits anfingst, uns zu ändern?

Und du weißt es, wie sehr du mich schon gebessert hast, der du mich zuerst heiltest von der Rachsucht, auf daß du gnädig würdest allen meinen übrigen Gebrechen, und heiltest alle meine Schwachheiten, und mein Leben gerettet hast aus der Verderbnis, und mich kröntest mit Erbarmung und Barmherzigkeit, und gesättigt hast mein Verlangen nach dem Guten - du, der du mit deiner Furcht meinen Stolz unterdrücktest, und meinen Nacken zähmtest deinem Joch! Und nun trage ich es, und sanft ist es mir; denn so versprachst du es, und so machtest du es; und wirklich fand ich es so, und wußte das nicht, als ich mich noch fürchtete, es auf mich zu nehmen.

Aber ist auch, o Herr, der du allein ohne Stolz herschst, weil du allein der wahre Herr bist, der keinen Herrn hat - ist auch diese dritte Art von Versuchung von mir gewichen, oder kann sie von mir weichen in diesem meinem ganzen Leben, der Wunsch nämlich, gefürchtet zu sein und geliebt von den Menschen, nur deshalb, um daraus eine Freude zu schöpfen, die doch keine Freude ist? Ein elendes Leben ist es und widerliche Nichtigkeit! Daher vorzüglich entsteht es, daß man dich nicht liebe, noch mit Zucht fürchte. Deshalb widerstehst du den Hoffärtigen, den Demütigen aber verleihst du Gnade. Und du donnerst über den Ehrgeiz der Welt, und es erbeben der Berge Gründungen. Da es nun verschiedener Lagen halber in der menschlichen Gesellschaft notwendig ist, von Menschen geliebt und gefürchtet zu werden; so benutzt dies der Widersacher unserer wahren Glückseligkeit, und stellt beifallgebend Schlingen rings umher, auf daß wir begierig den Beifall aufnehmend unversehens verstrickt werden und unsere Freude nicht mehr an deiner Wahrheit haben, sondern am Täuschenden der Menschen, auf daß es uns gefalle, geliebt und gefürchtet zu werden, nicht deinetwegen, sondern statt deiner und wir ihm gleich werden, und er uns bei sich habe, nicht in der Einigkeit der Liebe, sondern als Mitgenossen der Strafe, Er, der seinen Sitz erhob gegen Mitternacht; und auf daß wir dem, der auf verkehrtem und abgewandtem Weg dich nachgeahmt, in Finsternis und Erstarrung dienen.

Wir aber, Herr, siehe! sind deine kleine Herde: du besitze uns! Breite deine Flügel aus, und fliehen wir unter sie! Sei du unser Ruhm: wegen deiner werden wir geliebt, und dein Wort werde geführchtet in uns! Wer gelobt sein will von den Menschen, da du tadelst, wird nicht verteidigt werden von den Menschen, da du richtest, noch errettet, da du verdammst. Da aber kein Sünder gelobt wird in den Lüsten seiner Seele, noch der Bösestuende gesegnet; sondern der Mensch gelobt wird wegen eines Guten, das du ihm gabst, hingegen er sich mehr erfreut, für sich selbst gelobt zu werden, als wegen der Gabe selbst; so wird er gelobt, während du tadelst, und besser ist nun der Lobende, als der Gelobte: denn Jenem gefiel im Menschen die Gabe Gottes, diesem gefiel mehr des Menschen Gabe, denn Gottes.

Täglich werden wir versucht von diesen Versuchungen, Herr, ohne Unterlaß versucht. Unsere tägliche Feueresse ist des Menschen Zunge. Auch hier forderst du Enthaltsamkeit. Gib, was du befiehlst, und befiehl, was du willst! du kennst hierüber das Seufzen meines Herzens zu dir, und die Ströme meiner Augen. Denn nicht leich erkenne ich es, ob ich reiner werden von dieser Pest, und sehr fürchte ich meine verborgenen Fehler, die deine Augen kennen, die meinigen aber nicht. Denn in allen anderen Arten von Versuchungen finde ich irgendeinen Weg, mich selbst zu erforschen; aber hier fast keinen. Denn wie weit ich es brachte in der Zügelung meines Geistes bei den Lüsten des Fleisches und bei der leeren Neugier, erkenne ich, wenn ich der entsprechenden Gegenstände entbehre, entweder vorsätzlich, oder indem sie nicht da sind. Denn dann frag ich mich, wieviel mehr oder weniger beschwerlich es mir ist, sie nicht zu haben. Ob man die Reichtümer, die man deshalb begehrt, auf daß sie Einer jener dreien Begehrlichkeiten, oder deren zweien, oder allen dreien zugleich dienen, verachte, während man sie besitzt; vermag dies der Geist nicht zu durchdringen, so kann man sich davon trennen, um sich zu prüfen. Müßte man aber nicht, um des Lobes zu entbehren, und zu versuchen, wieviel wir hier vermögen, böse leben, und so schlecht und verworfen, daß Jeder, der uns kennt, uns verabscheut? Welchen größeren Unsinn könnte man sagen oder denken? Aber wenn das Lob des guten Lebenswandels und der guten Handlungen Begleiter zu sein pflegt und sein muß; so darf man so wenig dieser Begleitung ausweichen, als den guten Lebenswandel verlassen. Dennoch kann ich es nicht bestimmen, ob ich gern oder ungern ohne etwas sein kann, es sei denn abwesend.

Was also bekenne ich dir, Herr, in dieser Art von Versuchung? Was, als daß das Lob mich erfreut, mehr aber das Wahre selbst, als das Lob? Denn wenn ich gefragt werde, ob ich lieber, ein unsinniger, und in allen Dingen irrender Mann, von allen Menschen gelobt, oder ein beständiger, und in der Wahrheit festgegründeter Mann, von allen getadelt zu sein wünsche; so weiß ich, was ich erwähle. Doch wünschte ich, daß mir die Freude über irgendetwas Gutes an mir der Beifall eines fremden Mundes nicht vermehrte. Aber, ich gestehe es, er vermehrt sie nicht allein, sondern der Tadel mindert sie auch. Und wenn diese meine Schwäche mich hinreißt, drängt sich eine Entschuldigung herbei: wie diese ist, weißt Du, Gott; Mich macht sie unsicher. Denn weil du nicht allein Enthaltsamkeit forderst von uns, dort, wo wir etwas nicht lieben sollen, sondern auch Gerechtigkeit, dort, wo wir etwas lieben sollen, und wir nicht nur dich lieben sollen, sondern auch unseren Nächsten; so scheint mir der hoffnungslose Verstand des Nächsten Freude zu verursachen, wenn er, richtig erkennend, mich lobt, und ich mich dessen erfreue, hingegen seine Schwäche Traurigkeit, wenn er etwas tadelt, was er nicht kennt, oder was gut ist. Denn zuweilen trauere ich auch über empfangenes Lob, wenn ich über jenes gelobt werde, worin ich mir selbst mißfalle, oder wenn geringer oder unbeträchtliches Gutes höher geachtet wird, als es zu achten ist. Aber wiederum, woher weiß ich, ob dies nicht deshalb nur so geschieht, weil ich wünsche, daß mein Lober mit mir dieselbe Meinung mir haben soll, nicht weil das ihm ersprießlich ist, sondern weil das Gute, was mir an mir gefällt, erfreulicher ist, wenn es auch Andern gefällt? Denn ich werde eigentlich nicht gelobt, wenn man nicht nach meiner Meinung lobt, indem entweder das, was mir mißfällt, oder etwas mehr gelobt wird, was mir weniger gefällt. Also keine Sicherheit habe ich hier über mich? - Siehe! in dir, o Wahrheit, erkenne ich, daß mich kein Lob meinetwegen, sondern meines Nächsten wegen erfreuen soll. Und ob das geschieht, weiß ich nicht. Weniger bin ich selbst mir hierin bekannt, als du es bist. Ich bitte dich, mein Gott, stelle mich mir selbst dar, auf daß ich meinen für mich betenden Brüdern bekenne, wo ich verwundet bin.

Auch das möchte ich mich noch fragen: wenn mich das Lob rührt, weil es ersprießlich dem Nächsten ist: warum rührt es mich weniger, wenn ein Anderer ungerecht getadelt wird, als dann, wenn es mich selber trifft? Warum schmerzt mich böse Nachrede mehr, wenn sie gegen mich selbst, als was Lob rührt, weil es ersprießlich dem Nächsten ist: warum rührt es mich weniger, wenn ein Anderer ungerecht getadelt wird, als dann, wenn es mich selber trifft? Warum schmerzt mich böse Nachrede mehr, wenn sie gegen mich selbst, als wenn sie mit demselben Unrecht in meiner Gegenwart gegen einen Anderen gerichtet ist? Weiß ich auch das nicht? Ist mir auch das noch übrig, daß ich mich noch selbst täusche und von der Wahrheit weiche vor dir im Herzen und in meiner Zunge? Diese Torheit wende weit von mir, Herr, auf daß mein Mund nicht ist, wie das Öl des Sünders, mein Haupt zu salben.

Dürstend und arm bin ich, und am besten ist es mir, wenn ich mir selbst mißfalle in heimlichem Seufzen, und um deine Barmherzigkeit flehe, bis mein Mangel ersetzt wird, und ich gelange zu dem Frieden, den des Stolzen Auge nicht kennt.

Die Rede aber, die aus dem Mund hervorgeht, und die Handlungen, die den Menschen kund werden, sind die gefährlichste Versuchung, der Liebe zum Lob wegen, die für das Gefühl eigener Hoheit um Beifall bettelt. Sie versucht mich sogar, während ich sie mißbillige, eben in dieser Mißbilligung; und oft rühmt sich der Mensch der Verachtung eitlen Ruhms noch eitler, und wirklich also rühmt er sich der Verachtung eitlen Ruhms nicht, da er ihn nicht verachtet, indem er sich innerlich rühmt.

Auch ist innerlich ein anderes Übel in dieser Art von Versuchung, welches Jene ergreift, die sich selbst gefallen, sie mögen Anderen gefallen oder nicht, auch deshalb unbekümmert. Aber sich selbst gefallend, mißfallen sie dir sehr, nicht nur, weil sie etwas gut glauben, was es nicht ist, sondern auch dein Gutes für ihres ansehen, oder wenn auch für dein, doch für selbstverdientes Gutes, oder wenn auch für durch deine Gnade verliehenes Gutes, sich doch dessen nicht in Eintracht erfreuen, sondern es an Anderen beneiden. In allen diesen und derlei Gefahren und Mühseligkeiten siehst du das Zittern meines Herzens: aber ich empfinde es mehr, daß diese Wunden immer nach und nach von dir geheilt, als daß mir keine neuen versetzt werden.

Wohin bist du nicht mit mir gewandelt, o Wahrheit, lehrend, was ich fliehen und was ich suchen soll, während ich meine schwachen, mir möglichen Erkenntnisse dir vorlegte, und dich um Rat fragte! Ich durchging die Welt außerhalb von mir, so gut ich es mit dem Sinn vermochte, und schaute auf das Leben meines Körpers, und auf meine Sinne selbst. Dann trat ich in die Gemächer meines Gedächtnisses, vielfache Weiten wunderbar voll unzählbaren Vorrats, und betrachtete sie, und staunte, und konnte nichts unterscheiden ohne dich, und fand, daß das Alles nicht du bist. Und ich selbst war nicht der Finder, ich, der ich strebte, zu unterscheiden, und nach seinem Wert zu schätzen, während ich Einiges durch die botschaftbringenden Sinne empfing, und über Anderes, was ich in mir fühlte, mich selbst fragte, und die Botschaft selbst unterschied der Art und der Zahl nach, und aus des Gedächtnisses großem Vorrat Einiges untersuchte, Anderes hinlegte, und Anderes herausnahm! Und ich selbst, als ich dieses tat, das ist, die Kraft, wodurch ich es tat, war nicht du: denn du bist das unvergängliche Licht, das ich bei allen Dingen fragte, ob sie sind, was sie sind, wie hoch sie zu achten sind. Und ich hörte dessen Lehren und Befehle, und oft tue ich das. Dies erfüllt mich mit Freude; und so oft ich von den Geschäften des Notwendigen etwas erübrigen kann, fliehe ich zu dieser Wollust. Auch finde ich in allen Dingen, die ich dich um Rat fragend, durchwandere, keinen sicheren Ruheplatz für meine Seele, als in dir, worin meine Zerstreuung sich sammelt, und wo ich ganz erfaßt werde. Und zuweilen erweckst du mir eine innerliche höchst ungewöhnliche Regung, eine Sehnsucht, ich weiß nicht nach welcher Süßigkeit, so daß ich nicht weiß, erreichte ich sie, was so ein Leben nicht sein müßte! Aber ich stürze zurück durch mühselige Schwere, und das Alte verschlingt mich, und hält mich, und viel weine ich: doch sehr werde ich gehalten. So viel vermag das Gewicht der Gewohnheit! Hier vermag ich zu sein, und will nicht; dort will ich sein, und vermag nicht: überall elend!

So betrachtete ich die Schwächen meiner Sünden in der dreifachen Begehrlichkeit, und rief deine Rechte zu meiner Hilfe. Denn deinen Glanz sah ich mit verwundetem Herzen, und zurückgedrängt sprach ich: Wer kann dahin? Ich bin hinweggestoßen vom Blick deiner Augen! Du bist die über Alles herrschende Wahrheit: ich aber in meiner Habsucht wollte dich nicht verlieren, und zugleich neben dir die Lüge behalten, so, wie keiner also falsch zu reden wünscht, daß er selbst das Wahre nicht weiß. Deshalb verlor ich dich, weil du nicht willst, daß man dich neben der Lüge behalte.

Wen finde ich, der mich mit dir wieder versöhnt? Hätte ich mich zu den Engeln wenden sollen? mit welchem Gebet? mit welcher Feierlichkeit? Viele, die strebten, zu dir zurückzukehren, und es aus sich selbst nicht vermochten, versuchten dies, wie ich höre, und fielen in das vorwitzige Verlangen nach Erscheinungen; und ihnen wurde durch leere Gebilde vergolten. Denn aufgeblasen vom Schwall der Gelehrtheit suchten sie dich mit hervorgedrängter vielmehr als zerschlagener Brust, und lockten durch den Einklang des Herzens zu Mitgesellen ihrer Hoffart herbei die Herrscher der Luft, von denen sie durch magische Künste getäuscht wurden, einen Mittler suchend, und er war es nicht. Denn der Teufel war es in Gestalt eines Engels des Lichts. Und viel reizte er das stolze Fleisch dadurch, daß er selbst nicht Fleisch war. Denn Sterbliche waren Jene und Sünder: Du aber, Herr, mit dem sie stolz sich suchten zu versöhnen, bist unsterblich und ohne Sünde. Der Mittler aber zwischen Gott und den Menschen mußte etwas gottähnliches, und etwas menschenähnliches haben, damit er nicht, ganz ähnlich den Menschen, zu weit von Gott, oder ganz gottähnlich, zu weit von den Menschen, und also kein Mittler wäre. Jener betrügende Mittler, von dem, deinem verborgenen Gericht gemäß, der Stolz getäuscht zu werden verdient, hat Eins mit den Menschen gemein, die Sünde; ein Anderes will er mit Gott gemein zu haben scheinen, indem er, da ihn des Fleisches Sterblichkeit nicht umhüllt, mit Unsterblichkeit prahlt. Doch weil der Sünde Lohn der Tod ist, hat er dies gemein mit den Menschen, daß er wie sie zum Tod verdammt wird.

Aber der wahrhafte Mittler, den dur durch deine verborgene Barmherzigkeit den Demütigen zeigtest, daß sie durch sein Beispiel die wirkliche Demut erlernten, dieser Mittler zwischen Gott und den Menschen, der Mensch Christus Jesus, erschien zwischen die sterblichen Sünder und unsterblichen Gerechten, sterblich mit den Menschen, und gerecht mit Gott, auf daß er, da der Gerechtigkeit Lohn Leben und Frieden ist, durch die Gerechtigkeit, die er mit Gott gemein hatte, der gerechtfertigten Bösen Tod vernichtete, den er mit diesen gemein haben wollte. Dieser wurde den Heiligen der Vorzeit gezeigt, daß sie durch den Glauben an sein künftiges Leiden, wie wir durch den Glauben an das Vergangene, selig würden. Denn inwieweit er Mensch, insofern ist er Mittler, in wie weit das Wort, ist er kein Mittler, weil er Gott gleich ist, und Gott bei Gott, und zugleich mit dem heiligen Geist ein Gott.

Wie hast du uns geliebt, guter Vater, der du deines einzigen Sohns nicht schontest, sondern ihn für uns Bösen hingabst! Wie hast du uns geliebt! Uns, für die Jener, der es keinen Raub achtete, dir gleich zu sein, gehorsam war bis zum Tod des Kreuzes! Der allein frei ist unter den Toten, Macht habend, seine Seele zu entlassen, und Macht habend, sie wieder aufzunehmen! der für uns bei dir ein Sieger und eine Sühnung ist, und darum ein Sieger, weil er eine Sühnung ist! Der für uns bei dir ein Opferpriester, weil er ein Opfer! Und der uns aus Knechten zu deinen Söhnen machte, indem er von Dir geboren wurde, und Uns diente! - Billig ruht fest meine Hoffnung auf ihm, daß du heilen werdest alle meine Schwächen durch den, der zu deiner Rechten sitzt, und dich für uns bittet. Sonst verzweifelte ich. Denn viel und groß sind meine Schwächen, viel und groß: aber kräftiger ist eine Arznei. Wähnen konnten wird, fern sei dein Wort von der Verbindung der Menschen, und verzweifeln, wenn es nicht Fleisch wurde, und in uns wohnte.

Erschrocken vor meinen Sünden und vor der Lust meines Elends, ratschlagte ich im Herzen, und sann über eine Flucht in die Einsamkeit: aber du hieltest mich ab, und stärktest mich, und sprachst: Darum ist für alle Christus gestorben, auf daß die, welche leben, nun nicht sich leben, sondern dem, der für sie gestorben ist! Siehe Herr! auf dich werfe ich alle meine Sorge, auf daß ich lebe; und die Wunder deines Gesetzes will ich betrachten. Du kennst meine Unerfahrenheit und Schwäche: lehre mich und heile mich. Dieser dein Einziger, in dem alle Schätze der Weisheit und Wissenschaft verborgen sind, erkaufte mich mit seinem Blut. Lasse die Stolzen mir nicht schmähen, derweilen ich meines Lösegeldes gedenke und ich es esse und trinke, und es Anderen mitteile und ein Dürftiger, davon gesättigt zu werden wünsche, mit Jenen, die da essen und gesättigt werden! Und es loben den Herrn, die ihn suchen.


LITERATUR Aurelius Augustinus, Bekenntnisse, Münster 1853