p-4H. SchmidkunzG. KnauerStörringW. Ostwald    
 
OTTO BÜTSCHLI
Gedanken
über Begriffsbildung

[ 3/3 ]

Die sogenannten absoluten oder reinen Begriffe stammen aus derjenigen Zeit, wo die Begriffe als von den Dingen, Geschehnissen, Vorstellungen, Gefühlen ablösbare Eigenschaften fälschlicherweise substantiiert (mit Ichgefühl belegt) als selbständig Seiendes vorgestellt wurden. Durch Hinzutreten dieser absoluten Begriffe als ein seiend Gedachtes (Idee) zu anderen wurde das Mannigfaltige entstehend gedacht und die wirkliche Welt so in ein Spiel unhaltbarer theoretischer Begriffe verflüchtigt.

Kehren wir nach dieser Erörterung über den Kraftbegriff zum Ausgangspunkt unserer Betrachtungen, zu den Begriffen von  Ursache  und  Wirkung  zurück.

Ich habe schon darauf hingewiesen, daß das Wort "Ursache", ebenso wie "causa" (was ja im Französischen und Italienischen einfach  Ding  bedeutet), anzeige, daß der ursprüngliche Begriff der Ursache zweifellos ein rein dinglicher war, d. h. der eines Dinges. Das ist ja auch klar, wenn wir uns erinnern, daß es nicht erlaubt ist, Eigenschaften von Dingen als etwas von ihnen ablösbares zu substanziieren und das vorstellbare Wort irrig für etwas Vorstellbares in der Natur zu halten, mit dem in derselben Weise operiert werden könne, wie mit dem Begriff eines Dinges. Daraus ergibt sich schon der fundamentale Unterschied zwischen Ursachen und Gründen, denn letztere können sowohl Dinge als Eigenschaften von Dingen sein, erstere dagegen sind stets Dinge.

Man kann sich ja verschiedenes darüber ausdenken, wie sich der Ursachbegriff etwa bei den primitiven Menschen entwickelt haben möge. Das Wahrscheinlichste dürfte sein, daß er sich anfänglich ganz in Beziehung zum menschlichen Organismus und seiner Tätigkeit hervorbildete.

Ich möchte vermuten, daß der ursprüngliche Begriff "Ursache", wie es im deutschen Wort noch anklingt, einfach diejenige Sache, dasjenige Ding, bedeutete, aus welchem ein anderes hervorgeht oder entsteht. Der Mensch geht aus einem anderen Menschen hervor und zwar aus einem weiblichen; die Blüte geht aus einem Baum oder Strauch hervor, die Quelle aus dem Fels, der Regen aus der Wolke. Weib, Baum, Fels und Wolke gelten daher als die Ursachen dessen, was aus ihnen hervorgeht. Dieser Ursachbegriff findet sich auch bei ARISTOTELES noch ganz klar als die  causa materialis.  Woraus ist etwas entstandn? Auf menschliche Tätigkeit übertragen, würde dann auch das Holz, aus dem der Stock geschnitzt, das Gold, aus dem der Ring geschmiedet, zur Ursache, zur causa materialis dieser Dinge.

Bei genauerer Beobachtung der Vorgänge mußte sich jedoch der Gedankengang komplizieren. Es wurde sicher, daß aus dem Weib nur dann ein Kind hervorgeht, wenn ein Mann es beschlafen hat. Daß dieses nicht ebenso offenbar war, wie das Hervorgehen des Kindes aus dem Weib, bedarf wohl keiner Ausführung. Als dann ferner beobachtet wurde, daß der Mann in das Weib den Samen bringt, so wurde letzterer gewissermaßen zur eigentlichen Ursache, indem dieser Vorgang, wie schon die Bezeichnung Same klar zeigt, analog dem Pflanzen seines Samens in den Boden gedeutet wurde. Mann und Weib wurden so zu zwei Ursachen, zwei causae materiales. - Zu diesem Pflanzen des Samens in das Weib wurde eine Tätigkeit des Mannes als erforderlich erkannt; so gesellte sich die notwendige Tätigkeit des Mannes beim Koitus als "causa actualis" zu den  causae materiales  hinzu. Ebenso wie durch die Tätigkeit des Goldarbeiter, als causa actualis und die causa materialis (Gold) erst der Ring wurde. - Nun war jedoch nicht gleichgültig, was den Mann beim Koitus in das Weib einführte, sondern nur sein Same konnte die Entstehung eines Kindes hervorrufen; auch gingen aus den Samen anderer Männer etwas verschiedenartige Kinder hervor. Es mußte also der Same ganz bestimmte Eigenschaften haben, damit er sich im Weib überhaupt zu einem Menschen entwickelte, ebenso aber auch der Mann, dem dieser Samen angehörte. Diese bestimmten Eigenschaften des Samens und des Mannes, der ihn besaß (natürlich auch bei genauerer richtiger Betrachtung die des Weibes und seines Eies), wurden als notwendige Erfordernisse beim genauer erkannten Vorgang, zur  causa essentialis;  d. h. diese causa gibt Antwort auf die Frage, warum aus der causa materialis nun gerade dies und nichts anderes geworden ist. Warum der Goldarbeiter gerade einen Ring und dieseen so und nicht anders geformt hat.

Es ist leicht ersichtlich, daß diese causa essentialis keine Ursache im strengen Sinne ist, sondern ein Erkenntnisgrund. Sie ist die Eigenschaft des Samens, sich zu entwickeln, im Weib zu einem Menschen zu werden. Sie ist die Eigenschaft des Goldarbeiters, daß er solche Ringe anfertigen kann oder will. - Dagegen ist die causa actualis eine der wirklichen Teilursachen in der Kausalkette, woraus sich, wie bei genauerer Erforschung stets, ergibt, daß an einem Kausalvorgagn stets zwei bis mehrere Ursachen (daher richtiger Teilursachen) beteiligt sind, daß es sich stets um ein Ursachensystem handelt, insofern ja auch jede sogenannte Bedingung in letzter Instanz durch eine Sache repräsentiert werden muß.

Ganz dieselbe Betrachtung, welche wir oben für die Fortpflanzung der Menschen in ihrer kausalen Auffassung anstellten, läßt sich in gleicher Weise auch für die Erzeugung einer Pflanze aus dem Samenkorn, das in die Erde gepflanzt ist, anstellen. Das Samenkorn und die Erde erscheinen als die causae materiales, der pflanzende Mensch ist die causa actualis, die Eigenschaft des Samenkorn, zu einer bestimmten Pflanze auszuwachsen, die sogenannte causa essentialis.

Nun läßt sich in diesem Falle aber auch fragen: Warum hat der Pflanzer dieses Samenkorn gepflanzt, welche Absicht hatte er dabei, was bezweckte er dabei, was hat ihn veranlaßt, es zu pflanzen? Wenn er dies nicht unter dem Zwang einer anderen Macht getan hat, so muß er es, wenn es nicht zufällig (d. h. von ihm unbeabsichtigt) geschehen ist, in Absicht auf die Wirkung getan haben, um die aus dem Samenkorn erwachsene Pflanze in irgendeiner Weise zu nutzen, eventuell sie auch nur zu betrachten, sich derselben zu erfreuen. Die Antwort auf diese Frage wäre die sogenannte "causa finalis", die Endursache, die Absicht, welche der Pflanzer durch das Pflanzen des Samenkorns zu erreichen suchte (das Motiv, welches seine Handlung des Pflanzens veranlaßte). Insofern diese Absicht die Tätigkeit des Pflanzers veranlaßte, ist die causa finalis, d. h. eigentlich der physische Parallelvorgang im betreffenden Menschen, eine ganz richtige causa oder Ursache in der Kausalkette, ein Zustand des betreffenden Menschen, auf den ein anderer folgte, der des Pflanzens usf. Wenn jedoch die Sache so aufgefaßt wird, daß nicht die Absicht des Pflanzers, sondern die schließliche Ausführung dieser Absicht an der hervorgewachsenen Pflanze, deren Nutzung in irgendeiner Weise, z. B. als  causa finalis  aufgefaßt wird, welche die vorhergehenden Glieder der Kausalkette bedingt habe, so verkehrt sich die ganze Angelegenheit ins Irrige. Schon der Ausdruck Endursache ist eigentlich ein Widerspruch, denn der Begriff "Ursache" ging von der Sache aus, aus der eine andere entsteht; eine Ursache war daher das der Wirkung zeitlich vorhergehende, wogegen hier das umgekehrte stattfinden soll, wenn man der endlichen Realisation der Absicht als Endursache einen Einfluß auf die früheren Glieder der Kausalkette zuschreibt. Wenn in dieser Kausalkette dasselbe Glied in zwei ähnlichen Zuständen auftritt, das eine Mal als vorgestellte Absicht, so folgt daraus doch nicht der geringste Anlaß, die Verknüpfung von Ursache und Wirkung auf den Kopf zu stellen und in einem Zustand, der noch nicht ist, d. h der realisierten Absicht, also in etwas, was nur sein kann, die Ursache für vorhergehendes zu suchen.

Dazu kommt jedoch, daß der Charakter dieser causa finalis wesentlich von dem der übrigen causae verschieden ist. Die eigentlichen Ursachen, wie die causae materiales des Samenkorns und der Erde, sowie der Erkenntnisgrund, die sogenannte causa essentialis, haben für ein bestimmtes Samenkorn eine ganz bestimmte Wirkung (Ergebnis); ebenso ist auch die Tätigkeit des Pflanzers im allgemeinen eine ganz einfache und bestimmte. Soweit diese Kausalkette reicht, sind ihre Glieder nach empirischer Bekanntschaft ein für alle Mal festgestellt.

Dagegen bleibt die causa finalis ganz unbestimmt, wenigstens wenn ich nicht sage, daß es die Absicht des Pflanzers gewesen sei, diese Pflanze aus dem Samenkorn hervorwachsen zu lassen. Dieses kann ich jedoch nicht als seine Absicht bezeichnen, nicht als den von ihm abhängenden und durch ihn bestimmten Zweckmittel.html seiner Handlung, denn beim Hervorwachsen der Pflanze aus dem Samenkorn kommt er als Mensch mit seinen Absichten und Zwecken gar nicht in Betracht. Die Pflanze wächst auch ganz ohne ihn aus dem Korn hervor und seine Absicht vermag daran gar nicht zu ändern. Für den Menschen ist die Entwicklung des Samenkorns zur Pflanze ein Mittel, das er wie sonstige natürliche Vorgänge verwendet, zur Realisierung seiner Absichten und Zwecke. - Diese Absicht aber, die eigentliche causa finalis des Pflanzenden, ist völig unbestimmt, sie kann alles mögliche sein und genau werde ich sie überhaupt nur erfahren, wenn sie der Pflanzer mir mitteilt; denn selbst aus der Beobachtung der späteren Verwertung der Pflanze durch den Pflanzer, werde ich sie nicht ganz sicher erschließen können.

Es ist vielleicht nicht ohne Interese, diese Anschauungen über den Kausalvorgang auf einige Beispiele aus der nicht organischen Welt anzuwenden.

Handelt es sich um den Stof zweier Körper, die sich berühren, so hätten wir:
    causa materialis: Die Substanz der beiden Körper, die Körper . selbst.

    causa essentialis: Die Bewegungseigenschaft des Körpers  B  (samt Richtung), die Ruhe des Körpers  A  und die gesetzmäßige Übertragung der Eigenschaft

    causa actualis: fehlt in diesem Fall oder wird vom bewegten Körper  B  repräsentiert.

    causa finalis: stünde uns die Wahl frei zwischen folgenden Möglichkeiten:

      a) Die Absicht des Körpers  B,  den Körper  A  zu bewegen.

      b) Die Absicht des Körpers  A,  sich vom Körper  B  bewegen zu lassen.

      c) die Absicht beider Körper, ihre Veränderung hervorzurufen.

      d) Die Absicht eines Dritten, der das so angeordnet hat.

      e) Die Absicht der Veränderung von  A  und  B,  den früheren Zustand von  A B  hervorzurufen. Die Unsinnigkeit dieser Auffassung ist sehr klar, da ich nur einem Seienden, nicht aber einem noch nicht Existierenden eine Absicht zuschreiben kann.

    Betrachten wir den Fall der Vereinigung von Wasserstoff und unter dem Einfluß der Wärme zu Wasser, so ergibt sich folgendes:

      - causa materialis: Wasserstoff und Sauerstoff

      - causa essentialis: Die Eigenschaften dieser beiden Substanzen, sich zu Wasser zu vereinigen zu können (chemische Affinität).

      - causa actualis: Wärme von bestimmter Intensität (richtiger warmer Körper)

      - causa finalis: Hier finden wir uns wieder in Verlegenheit, was wir als solche angeben könnten.
Betrachten wir den Fall analog menschlicher Tätigkeit, so könnten wir nur der causa actualis eine Absicht zuschreiben. Die Antwort würde daher lauten: die Absicht der Wärme oder richtiger des warmen Körpers, aus Wasserstof und Sauerstoff Wasser zu bilden oder eventuell auch eine entferntere Absicht dieser causa actualis, mit dem gebildeten Wasser etwas auszuführen. Da jedoch der menschliche Körper auch selbst causa materialis seiner Absicht nach sein kann - der Mensch kann sich aus eigener Absicht verändern, sich töten, sich bewegen - so scheint es nicht ausgeschlossen, daß die causa finalis in der causa materialis enthalten ist. Es wäre daher auch keineswegs absurd, zu sagen, die causa finalis im obigen Kausalvorgang ist die Absicht des Sauerstoffes oder die des Wasserstoffes, mit dem anderen Wasser zu bilden, oder die Absicht beider, oder die Absicht eines Dritten, mir unbekannten, aus Wasser- und Sauerstoff Wasser zu bilden. Absurd dagegen wäre, wie schon bemerkt, die Absicht des Wassers, sich aus Wasser- und Sauerstoff zu bilden, denn eine Absicht kann ich nur einem Seiende zuschreiben, nicht dagegen einem Etwas, das erst werden wird.

Die einzig wirklich annehmbare Antwort unter den aufgezählten, welche auch, obgleich häufig nicht eingestanden, der teleologischen Beurteilung stets zugrunde liegt, ist aber die, daß es in der Absicht eines Dritten liege, aus Wasserstoff und Sauerstoff Wasser zu bilden, d. h. daß ein, analog menschlicher Geistestätigkeit verfahrendes Etwas postuliert wird, welches des Gang der Ereignisse so eingerichtet hat. Gegen diese Antwort ist nichts einzuwenden, vorausgesetzt, daß nicht vergessen wird, daß es sich um einen Analogieschluß handelt und zwar nicht um einen solchen, der die Eigenschaften von etwas Wahrnehmbaren nach Analogie derjenigen eines anderen Wahrnehmbaren beurteilt, sondern der vom Wahrnehmbaren und seinem Verlauf auf etwas nicht Wahrnehmbares und seine Eigenschaften schließt. Für alle unter den gleichen Bedingungen gesetzmäßig in derselben Weise sich wiederholenden Vorgänge wäre dann diese Annahme: eines nach Analogie mit dem Menschen beabsichtigenden Dritten, insofern eine unnötige, als dessen Absicht ja in jedem Fall stets genau dieselbe wäre, also ein für allemal festgelegt, so daß der Einzelvorgang für mich durch diese causa finalis um nichts verständlicher würde. Die Absicht oder die causa finalis müßte dann ganz an den Anfang gerückt und in der beabsichtigten Ordnung dieser Vorgänge gesucht werden. - Für die Beurteilung des Hervorwachsen der Pflanze aus dem Samenkorn liegt die Sachlage genau ebenso; auch hier vermag ich die Absicht nicht in das Samenkorn, die Erde, die Wärme, die Feuchtigkeit zu legen, am wenigsten aber in die noch nicht vorhandene Pflanze, sondern nur in ein drittes Etwas.

Kausalität ist daher für uns ein Zustand von Dingen, auf den kontinuierlich ein veränderter Zustand folgt. Diese Dinge stehen in einem innigeren oder weniger innigen Verband, sie bilden ein Kausalsystem. Den ersten Zustand nennen wir die Ursache (Ursachensystem), den folgenden die Wirkung. Die einzelnen Dinge des Ursachesystems nennen wir Teilursachen. Diejenige Teilursache, welche eine bestimmte Eigenschaft besitzen muß, damit erfahrungsgemäß die Wirkung folge, kann auch als die wirkende Teilursache bezeichnet werden und diese ihre Eigenschaft (wahrnehmbare oder verborgene) ist der Erkenntnisgrund des Kausalvorganges, zu dem sich jedoch noch weitere Erkenntnisgründe der übrigen Teilursachen gesellen können. Bei der Aufklärung jedes Kausalvorganges handelt es sich also einerseits um die Feststellung seiner Teilursachen und andererseits um die Erkenntnisgründe derselben. Erst wenn beides vollständig festgestellt ist, kann der Kausalvorgang als ganz aufgeklärt gelten.

Wenn nun ein Kausalvorgang eine Veränderung eines Ursachensystems ist, so folgt hieraus meiner Ansicht nach einiges von prinzipieller Wichtigkeit. Wie früher bemerkt, kann von einer solchen Veränderung nur dann die Rede sine, wenn ich das Ursachensystem in der Wirkung zum Teil wiederfinde oder wenn ich die Wirkung aus den Teilursachen direkt hervorgehen sehe, letztere in jene aufgehen sehe, so daß die Wirkung wenigstens materiell dasselbe ist wie die Teilursachen. - Wenn ich dagegen das Teilursachensystem in allen seinen Eigenschaften plötzlich völlig verändert finden würde, so daß ich keinerlei Kontinuität zwischen den beiden sich folgenden Anschauungen bemerkte, wenn z. B. an dem Ort, an welchem ich soeben die Anschauung "Baum" hatte, plötzlich und ohne jede Vermittlung, die "Pferd" vorhanden ist, so wird niemand, soweit wenigstens ich die Sachlage überschauen kann, diesen Wechsel der beiden Anschauungen als ein Verhältnis von Ursache und Wirkung ansehen. Es widerstreitet dieser totale Wechsel eben dem, was mit dem Begriff Ursache ursprünglich bezeichnet wurde. - Ungeläufig war dem primitiven Menschen ein derartiger Totalwechsel gewiß nicht, aber er wurde und konnte nicht als Ursache und Wirkung aufgefaßt werden, sondern ließ sich nur nach Analogie mit dem plötzlichen Wechsel meiner Vorstellungen beurteilen. Für diese ist mir bekannt, daß sie sich plötzlich und total ändern können und zwar abhängig von meinem geistigen Ich. Wenn daher, unabhängig von meinem Ich, Anschauungen sich plötzlich und total ändern, so daß von der ursprünglichen gar nichts mehr übrig bleibt, so konnte nur ein Drittes, meinem geistigen Ich analog Gedachtes, der Grund (und sachlich gedacht, als ein mit besonderen Kräften ausgerüsteter Geist, als Zauberer, vermittelnd in die wunderbare Erscheinung ein, welche sich so einem Kausalvorgang einreihen ließ. Der Vorgang, für welchen keine natürlichen causae angebbar waren, ließ sich doch unter dem Gesichtspunkt der causa finalis denken, bei der Annahme, daß er von einem hypothetischen Wesen beabsichtigt sei, dem das Vermögen (causa essentialis) zukomme, seine Absichten in Erscheinung umzusetzen. Die mangelnde Kontinuität der beiden total verschiedenen Zustände wurde so durch die hypothetische Annahme einer kontinuierlichen Teilursache hergestellt, von der die beiden Zustände abhingen. - Zauberei und die Annahme übernatürlicher Kräfte waren daher für den primitiven Menschen ganz naturgemäß; sie ergaben sich stets da, wo causae materiales und actuales oder natürliche Ursachen mangelten oder zu mangeln schienen und daher nur die hypothetische causa finalis übrig blieb, d. h. ein  Ich  als die wirkende Teilursache dieser Vorgänge zu substituieren. Meiner Ansicht nach steht auch die heutige teleologische Naturerklärung auf demselben Standpunkt. Dieselbe ist mehr und mehr eingeschränkt worden und hat sich daher auf die dunkelsten Gebiete, wo Ursachen und Gründe am unsichersten sind, zurückgezogen.

Auch da, wo im gewöhnlichen Kausalvorgang eine ganz neue Eigenschaft unvermittelt plötzlich hervortritt, hat der Vorgang etwas von jenem Charakter des Unbegreiflichen, der zur Postulierung eines beabsichtigenden übernatürlichen Ichs leicht Veranlassung gibt. Daß diese Vorstellung, welche in der primitiven Zeit wohl auch bei solchen Erscheinungen gewöhnlich gewesen sein mag, fallen gelassen wurde, hängt aber damit zusammen, daß eine Erscheinung, welche ganz regelmäßig unter gegebenen Bedingungen eintritt, eben wegen dieser Regel- oder Gesetzmäßigkeit den Charakter einer Beabsichtigung durch ein Ich verliert. Denn diesem schreiben wir Freiheit in der Wahl seiner Absichten, Launenhaftigkeit und geringe Berechenbarkeit zu. Je gesetzmäßiger sich uns der Vorgang daher darstellt, umso weniger war er, trotz aller Unbegreiflichkeit als Absicht eines übernatürlichen Ichs zu denken.

Nach unserer Meinung ist Ursache und Wirkung für den primitiven Menschen eine Veränderungsfolge von Dingen (Ursachen, Teilursachen) gewesen, d. h. also, da sich der Begriff der Veränderung stets auf zeitlich Folgendes bezieht, dessen Eigenschaften in den beiden folgenden Zeitmomenten in gewisser Weise verschieden sind, so fällt der Begriff von Ursache und Wirkung eigentlich unter den der Veränderung überhaupt. Letzterer ist nur weiter als der erstere; er umgreift alles sich Verändernde, auch das nur als möglich Gedachte, wogegen Ursache und Wirkung auf das sich Verändernde eingeschränkt wird, welches wahrgenommen oder beobachtet wird.

Wenn wir diese Aufstellung des Begriffes von Ursache und Wirkung für richtig erachten, so ergibt sich daraus auch, daß die angebliche Apriorität dieses Begriffs, aus welcher nach KANT erst die Realität einer Folge von Wahrnehmungen (Vorstellungen) als wirkliches Geschehen, als Veränderungen von Objekten, folge, nicht besteht. Ich kann hier auf diese Darlegungen KANTs, die mir sehr dunkel und nicht ohne Widersprüche erscheinen, nicht genauer eingehen, da das gar viele Worte erforderte; dagegen will ich meine eigene Meinung erörtern.

Insofern Ursache und Wirkung die Veränderung eines Zustandes ist, erscheint es als eine logische Denknotwendigkeit, daß alles Veränderte, also jede Wirkung eine Ursache haben muß. Denn der Begriff der Veränderung ist eben die Folge zweier in gewissen Teilen kontinuierlicher, in gewissen anderen verschiedener Zustände. Dem Abgeänderten muß das nicht Abgeänderte vorhergehen, das ist eben der Begriff der Veränderung. Wolte ich daher sagen, was sich verändert, kann eine Ursache und auch keine haben, so würde ich sagen: einer Veränderung kann etwas davon verschiedenes vorhergehen oder auch nicht, was aber undenkbar, da etwas (in diesem Fall ein Begriff) nicht zugleich so und anders sein kann. Daß also einer Ursache notwendig eine Wirkung folgen müsse und umgekehrt eine Wirkung Ursachen haben müsse, ist die notwendige Folge der Definition dieser Begriffe. Daß sich die Dinge aber verändern und zwar unaufhörlich verändern, ist empirische Erfahrung.

Ganz anders dagegen liegt die Sachlage für die weitere Beziehung zwischen Ursache und Wirkung, daß nämlich, wie KANT sagt, die Wirkung "notwendig nach einer bestimmten Regel folge". Ich glaube nicht, daß irgendjemand die Denknotwendigkeit einer solchen bestimmten Regel wird behaupten wollen; aber auch nicht, daß es denknotwendig sei, daß wir solche Regeln überhaupt voraussetzen. Es läßt sich ganz wohl denken, daß alle Abänderungen regellos verliefen, umso mehr, als wir das in unseren Träumen und Phantasien genugsam erleben. Daß wir dabei zwar zu keinerlei Ordnung gelangten und nichts über Geschehenes aussagen könnten, als etwa, daß es regellos verlaufe, ist klar; undenkbar ist aber ein solcher Vorgang nicht. Mir will scheinen, als wenn KANT in seinen Betrachtungen schon, wenn auch wenig klar, das spätere SCHOPENHAUERsche Argument für die Apriorität der Kausalität vorgeschwebt hätte, nämlich die Unbegreiflichkeit der Objektivierung unserer Anschauungen als Dinge der Außenwelt ohne diese Apriorität. SCHOPENHAUER hat dabei, meiner Meinung nach, nur übersehen, daß bei Voraussetzung dieser Apriorität gar nicht notwendig folgt, daß wir außer uns gelegene Dinge annehmen. Wir würden nur unsere Anschauungen nach den Vorschriften der Kausalität in die Kette von Ursachen und Wirkungen ordnen. Daß wir dagegen eine gewisse Summe unserer Wahrnehmungen (die, welche eben als Anschauungen bezeichnet werden) als von außer uns gelegenen Teilursachen bewirkt ansehen, hat seinen Grund darin, daß wir diese Anschauungen durch bestimmte Merkzeichen als etwas Besonderes und von unserem Ich Unbeeinflußbares unterscheiden, also als unserem Ich nicht zugehörig, sondern vorübergehend mit ihm vereinigt.



Um jedoch den Grundlagen solcher allgemeinen Begrffe, wie Zeit, Raum, Sein, Folge, Veränderung, Ursache und Wirkung, näher kommen zu können, wird es unerläßlich sein, die psychischen Vermögen des Menschen selbst noch etwas näher zu betrachten. Schon oben wurde bemerkt, daß alles Erkennen und Urteilen Unterscheiden ist. Denn nur das Vermögen, Unterschiede zu fühlen, kann Einzelnes von Anderem als verschieden erkennen lassen. Wenn wir das für richtig halten, so ergibt sich, daß jedem Erkannten, jedem Wahrgenommenen auch etwas gegenüber stehen muß, von dem es unterschieden wird. Nun ist die Grundlage meiner gesamten Erkenntnis mein  Ich.  Dieses  Ich  gehört zu jenen allgemeinen Wahrnehmungen (oder, verallgemeinert, Begriffen), die keiner Definition zugänglich sind. Ich vermöchte nicht, jemanden mit Hilfe anderer Begriffe oder anschaulicher Demonstration mitzuteilen, was mein Ich ist; wie ich etwa jemandem mit Hilfe von Linien und ihren Schnittpunkten den Begriff des Dreiecks demonstrieren oder definieren kann. Was jedoch nicht demonstrierbar oder definierbar ist und dennoch meinem und dem menschlichen Geist überhaupt, verständlich erscheint, das muß auf einem besonderen Gefühl (Fühlung) beruhen und darin seinen Grund finden; es ist daher nur fühlbar aber nicht definierbar oder demonstrierbar. Was schwarz und rot ist, warm und kalt, früh und spät, gleich und ungleich, klein und groß, viel und wenig ist, kann ich niemandem definieren, es muß gefühlt oder innerlich angeschaut werden. In diesem Sinn hat KANT Recht, wenn er sowohl unserem äußeren Sinn, wie dem inneren und dem Verstand gewisse transzendentale Vermögen zuschreibt. Dieselben sind nur nicht so zu verstehen, daß sie den Anschauungen etwas hinzufügen, was nicht in ihnen enthalten ist, vielmehr sind sie selbst Anschauungen, bzw. Gefühle der Verschiedenheiten der Anschauungen; als solche rein subjektiv und daher dem, was die Anschauung hervorruft, nicht als solche angehörig, dagegen doch von ihm bedingt, wie die Empfindung des Roten von etwas im Angeschauten bedingt ist.

Auch dem  Ich,  als Grundlage meines Erkennns, muß daher eine besondere Fühlung zugrunde liegen, die  Ichfühlung;  und dieser muß das  Nicht-Ich  gegenüberstehen. Alles zum  Nicht-Ich  gehörige muß durch ein besonderes Kontrastgefühl von der Ichfühlung unterschieden werden. Hieraus folgt, daß  Ich  und  Nicht-Ich  sich gegenseitig bedingen, daß sie gegenseitig Grund füreinander sind. Mit dem  Ich  ist auch das  Nicht-Ich  und umgekehrt; das eine ist ohne das andere nicht denkbar, denn ihr eigentlicher Charakter liegt im Kontrastgefühl zwischen beiden. Würde das  Nicht-Ich  völlig weggenommen, so erlösche auch mein Ich, wie in tiefer Narkose und umgekehrt. Das  Nicht-Ich  in diesem Sinne ist aber nicht etwa nur die Außenwelt, sondern alles das, was in mir vorgeht, erlebt wird, in beständigem Wechsel, im Gegensatz zum konstant bleibenden Ichgefühl.

Dieses bleibende Ichgefühl scheint mir aus zwei Quellen zu entspringen; einmal aus dem, was ich das konstante Denkgefühl nennen möchte; das ist das Gefühl, welches mich unterscheiden läßt zwischen Gedachtem und Angeschauten, also auch wieder ein Kontrastgefühl, welches dem zugrunde liegt, was ich Denken nenne und ebenso dem, was ich Anschauen nenne. Eine zweite Quelle des Ichgefühls suche ich in einem gewissen mittleren Zustand aller Gefühle gegenüber den wechselnden Fühlungen, also in einer mittleren Tönung des gesamten Gefühlszustandes. Das Nicht-Ich, also alles, was als Angeschautes, Empfundenes, Gedachtes, Gefühltes dem konstanten Ich gegenüber steht und es eben durch seinen Wechsel als das, was es ist, das  bleibende Ich,  bedingt, ist der Inhalt meiner  Seele.  Das Ich redet daher auch von seiner Seele; das Ich ist unveränderlich, bleibend, kann auch nicht geändert werden; die Seele dagegen ist veränderlich. Insofern mein Ich durch das Nicht-Ich bedingt wird, ist auch die Seele mit ihrem Inhalt Bedingung meines  Ich,  Grund meines Ich. Ich kann ohne meine Seele nicht gedacht werden.  Ich  bedingt (ist) durch  Nicht-Ich. Ich  und gegenwärtiges  Nicht-Ich  ist "sein". Ich bin, indem ich den Unterschied zwischen meinem bleibenden  Ich  und dem gegenwärtigen Nicht-Ich fühle. Sein ist daher dieses Kontrastgefühl zwischen Ich und Nicht-Ich.  Ich + Nicht-Ich  = Einheit, zusammen, eins mit dem anderen = sind. Der Mensch ist schwarz = empfinde Mensch + schwarz als eins, als zusammen, eines mit dem andern. Der Vater ist gut = empfinde Vater + gute Handlungen als eines, als zusammengehörig, als eins mit dem andern.

Der Inhalt meines  Nicht-Ichs  wechselt und dieser Wechsel kann mir nur durch ein besonderes Gefühl, abgesehen von der sonstigen Verschiedenheit der wechselnden Inhalte, wahrnehmbar werden. Dieses Folgegefühl des wechselnden Inhalts des Nicht-Ichs, bei mangelnden Aktivitätsgefühlen, muß Bedingung desjenigen sein, was wie die  Zeit  nennen; wir können es daher auch Zeitfolgegefühl nennen.

 Ich  und  Nicht-Ich  ohne dieses Zeitfolgegefühl ist Augenblick, Gegenwart, als verschieden erkannt von einem mit Zeitfolgegefühl gedachten Nicht-Ich.

In meinem  Nicht-Ich  unterscheide ich aufgrund gewisser besonderer Gefühle meiner Sinnesorgane die Anschauungen vom Gefühlten und Gedachten, das nicht von solchen Fühlungen begleitet ist, vielmehr seine besonderen Fühlungen besitzt. Was aber einmal in meinem Nicht-Ich war und gedacht wiederkehrt, wird unterschieden von dem, was nie in meiner Anschauung oder in meinem Gefühl war. Gedachtes (also Nicht-Ich + Denkgefühl + Zeitfolgegefühl), das ich durch Anschauung erkenne, ist Erinnerung, Gewesenes, war. Nicht-Ich + Denkgefühl + Zeitfolgegefühl, das ich nicht durch Anschauung erkenne, ist möglich, zukünftig, kann sein. Das Zeitfolgegefühl, das mit Denkgefühl und Gleichheitsgefühl verbunden ist, wird so unterschieden vom Zeitfolgegefühl das mit Denkgefühl und Ungleichheitsgefühl verbunden ist; wir unterscheiden so, obgleich das Zeitfolgegefühl als solches keine Unterschiede enthält, zwei Abschnitte in der Zeit, die Vergangenheit und die Zukunft und zwei Richtungen in der Zeit, die jedoch nur durch unser Ausgehen von der Gegenwart bedingt sind, eine rückschreitende und eine vorschreitende.

Nicht-Ich + Sinnesorgangefühle ohne Denkgefühl unterscheiden wir als Anschauungen von Gedachtem. Der Wechsel dieser Anschauungen kann verlaufen, ohne mit besonderen Aktivitätsgefühlen verbungen zu sein, dann haben wir nur das Zeitfolgegefühl. Sind aber eine Mehrzahl von Anschauungen im  Nicht-Ich  ohne Zeitfolgegefühl, so sind diese Anschauungen gleichzeitig.

Ist dagegen der Wechsel der Anschauungen mit Zeitfolgegefühl und Aktivitäsgefühlen (Muskelgefühlen, insbesondere Augenmuskelgefühlen) verbunden, so unterscheiden wir diese Folge von der einfachen Zeitfolge als räumliche Folge. Der Raumbegriff hat daher ein besonderes Gefühl zur Grundlage, das wir in Kürze Raumgefühl nennen dürfen und dessen Unterscheidbarkeit von anderen Fühlungen die Erkennbarkeit des Raumes bedingt. Dazu gesellt sich, daß die räumlichen Anschauungen meines Nicht-Ich sich selbst wieder als unterschieden erweisen in solche, deren Wechsel mit gewissen Gefühlen meines  Nicht-Ichs  (Schmerz- und Lustgefühlen, Begehrungsgefühlen) verknüpft sind und andere, für welche eine solche Verknüpfung nicht besteht. Die ersteren Anschauungen, welche mit meinem inneren  Nicht-Ich  (meiner Seele) direkt zusammenhängen, bilden daher mein  körperliches Ich;  diejenigen räumlichen Anschauungen dagegen, welche diese Verbindung nicht besitzen, die äußere Welt. - Die Anschauung der Teilerscheinungen meines körperlichen Ichs ist mit verschiedenem Aktivitätsgefühl verbunden, die ich als ungleich und auch in gewissem Grad gleich und in anderem ungleich erkenne (fühle). Kopfwärts, seitwärts und vorwärts erkenne ich als wesensverschieden, wenn auch den allgemeinen Raumgefühlen angehörend; dagegen rechtswärts und linkswärts, aufwärts und abwärts, vorwärts und rückwärts fühle ich wesensgleich, nur in der Richtung verschieden. Zur Unterscheidung dieser Besonderheiten der räumlichen Verhältnisse muß das allgemeine Raumgefühl über eine Anzahl Kontrastgefühle verfügen; die Dimensionen müssen sich durch Kontrastgefühle unterscheiden und in jeder Dimension muß ein Kontrastgefühl über die beiden Richtungen einen Anhaltspunkt geben; ob letzteres Kontrastgefühl identisch ist mit demjenigen, welches auch in der Zeit Vor- und Rückwärtsschreiten bedingt, möchte ich nicht entscheiden. Zustände, wie wir sie beim Erwachen aus tiefem Schlaf gelegentlich haben, in denen eine Unklarheit über rechts und links besteht, deuten vielleicht darauf hin, daß bei der Unterscheidung der räumlichen Richtungen ebenso das Erinnerungsgefühl im Spiel ist wie bei der Unterscheidung der Richtung in der Zeit.

Wir hoben hervor, daß jedem Begriff als etwas Unterschiedenem das davon Unterschiedene als Gegensatz zugeselltist, denn eben dadurch wird er eben erst unterscheidbar. Damit aber ist das "Nicht", die Negation gegeben.  Nicht  ist eben das Kontrastgefühl oder richtiger vielleicht das Gemeinsame der Kontrastfühlungen. Das Nicht jedes Begriffes ist jedoch völlig unbestimmt da ihm eben als einzige Eigenschaft die zukommt, vom betreffenden Begriff verschieden zu sein, dagegen keine positive bestimmte Eigenschaft.

Wenn dagegen in einem Begriff zwei oder mehr Richtungen zu unterscheiden sind, d. h. bestimmte Folgegefühle bei der sukzessiven Vorstellung des Begriffsinhaltes, so läßt sich stets ein Ausgangspunkt für die beiden (bzw. auch mehreren) Richtungen fixieren, von welchem ich nach der einen wie nach der entgegengesetzten Richtung fortschreiten kann. Diese sich entgegengesetzt verhaltenen Richtungen bezeichnet man als positiv und negativ. Tatsächlich ist ja der Begriffsanteil der positiven Sphäre des Begriffs genau derselbe wie in der negativen, denn positiv und negativ bedeutet nur, daß er in der anderen Richtung durchlaufen werden soll. Diese Begriffsanteile können daher auch zusammen vereinigt, sich nie gegenseitig aufheben, sondern, wenn ich dies sage, so meine ich damit nur, wenn ich einen Begriffsanteil in positiver und negativer Richtung durchlaufe, so kehre ich wieder zum Ausgangspunkt zurück. Eine positive und negative Größe geben zusammen Null, heißt daher nur, wenn ich diese Größe zufüge und wieder wegnehme, so ist die Größe, zu der zugefügt wurde, unverändert geblieben.

Jeder Begriff, der solchermaßen zwei, auf verschiedenen Seiten des Ausgangspunkts gelegene Sphären aufweist, zeigt daher eine Dreiteilung seines Inhalts, die sich im allgemeinen durch das Schema  - 0 +  ausdrücken läßt oder  Abnahme - Grenze - Zunahme.  Dies scheint mir die sogenannte Triade der Begriffe zu sein, wie sie HEGEL bezeichnete, die jedoch keineswegs allgemein ist, sondern eben nur für diejenigen Begriffe gilt, in denen zwei Richtungen zu unterscheiden sind. So haben wir:

Vergangenheit Gegenwart Zukunft
(Augenblick)
Vergehen
Klein
Kalt
Häßlich
Böse
Anfangen
Mittel
Lau
Mittel
Mittel
Werden
Groß
Warm
Schön
Gut

Wie sich ergibt, ist der Grenzbegriff häufig nicht mit einem besonderen Wortzeichen versehen, insbesondere dann nicht, wenn ein Maßstab für die Zu- und Abnahme in den beiden Richtungen fehlt.

Da meinem Fortschreiten in einer der Richtungen der beiden Begriffssphären keine Grenze gesetzt ist, d. h. nicht in meiner Vorstellung des Fortschreitens, so kann ich mir dieses Fortschreiten immer wieder denken, soweit ich auch die Sphäre schon durchlaufen denke. Diese Unbegrenztheit jeder der beiden Sphären, die Tatsache, daß meinem Denken kein Ende im Fortschreiten gesetzt ist, bezeichne ich mit  endlos  oder  unendlich.  Das denkbare Fortschreiten der Größenzunahme hat für mich keine Grenze, kein Ende; das Fortschreiten im Raum hat nach jeder Dimension kein Ende, eben deshalb, weil im Begriff  Fortschreiten  nicht weiteres enthalten ist, als die Veränderung des Ortes und der Größe. Ich kann daher den Raum nicht begrenzt denken. Was ich nicht begrenzt denken kann, ist daher unendlich. Das aber ist keine positive Eigenschaft, sondern nur ein Mangel; und da ich nur Eigenschaften vorstellen kann, so fehlt auch die Möglichkeit, sich Unendliches, Unbegrenztes vorzustellen. Eine unendliche Größe, der unendliche Raum, die unendliche Zeit sind eben nur der Ausdruck dafür, daß meinem Begriff der Veränderlichkeit, der Zunahme und Abnahme, des Fortschreitens, keine Grenze im Denken gesetzt ist, da eben mit dem Eintritt einer solchen Grenze die betreffenden Begriffe aufhörten und der Satz des Widerspruchs einträte. Es gehört daher zu den logischen Denknotwendigkeiten, daß Zeit und Raum als Begriffe nicht begrenzt gedacht werden können.

Dagegen ist eine unendliche Größe etwas ganz unbestimmtes in rein logischer Auffassung. Eine unendliche Größe wäre eine solche Größe, die keine Grenze im Raum hat. Der Begriff der räumlichen Größe ist aber gerade dasjenige, was eine Grenze im Raum hat; durch die Zufügung des Wortes unendlich hebe ich daher die Begriffsbestimmung der Größe wieder auf und mache sie zu einer logischen Unmöglichkeit. Dasselbe gilt von einer unendlichen Zeit oder Zahl als Zeitgröße. Daß ich Zeit und Raum nicht begrenzt denken kann, folgt jedoch eben aus diesen Begriffen selbst, denn sie sind eben dasjenige, in welchem alles in Zeit und Raum begrenzte enthalten ist, sie sind die Gesamtheit alles in Zeit und Raum Enthaltenen und Vorstellbaren. Wären sie daher begrenzt denkbar, so müßten sie selbst in sich, in Zeitund Raum enthalten sein und damit ergibt sich der offenbare Widerspruch.

Wenn nun aber tatsächlich mit Begriffen wie "unendlich groß und unendlich klein" in der Mathematik mit Erfolg operiert wird, so folgt meiner Meinung nach daraus nur, daß der Sinne von "Unendlich" hier ein anderer ist, als wie er eben rein logisch erörtert wurde. Die unendlich großen und kleinen Größen der Mathematik sind nur Größen, die so groß oder so klein gedacht werden, daß sie jenseits aller unserer möglichen Ermittlungen durch Messung liegen, daß daher die eventuellen Fehler bei der Rechnung völlig in das Gebiet des Unwahrnehmbaren, Unfeststellbaren fallen.

Wenn ich daher sagen a/∞ = 0, so will ich damit nur sagen, daß die Größe ∞ so groß gedacht ist, daß ihr Quotient in jede endliche Größe so klein ist, daß er außer jeder Möglichkeit des Feststellbaren fällt, selbst wenn ich ihn mit jeder endlichen Größe multiplizierte.

Ebenso ist jedoch auch jedes geometrische Gebilde zu beurteilen, in welchem "unendlich" als eine Bestimmung enthalten ist. Wenn ich den mathematischen Punkt als ein Raumgebilde von unendlich kleinen Dimensionen definiere, so kann das nur heißen: als ein Raumgebilde, dessen Dimensionen kleiner sind als die Möglichkeit des Wahrnehmbaren, auch, wenn ich seine Dimensionen mit jeder endlichen Größe vervielfacht denke.

Wenn ich eine solche Anschauung nicht, wenn auch stillschweigend zugrunde legte, so würde der mathematische Punkt überhaupt völlig aus dem Gebiet des Begreiflichen herausfallen, denn eine unendlich kleine Größe wäre logisch überhaupt nicht vorstellbar, da in sich ein logischer Widerspruch. Dasselbe gilt für die beiden unendlich kleinen Dimensionen der mathematischen Linie und der einen Ebene.

Eine unendlich kleine Größe im mathematischen Sinn ist daher eine so klein gedachte Größe, daß sie, selbst mit jeder endlichen Zahl multipliziert, nicht in den Bereich des Meßbaren oder Wahrnehmbaren fällt. Ebenso ist eine unendlich große Größe eine solche, welche, durch jede begrenzte Zahl verkleinert, nicht in den Bereich des Meßbaren, nicht in den Bereich der begrenzten Zahl gelangt.

Auf dem Gebiet der unmeßbaren dimensionalen Begriffe wird das unendliche Fortschreiten in den beiden Begriffssphären in der Regel nicht mit unendlich, sondern mit  absolut  bezeichnet. "Absolut schön" wäre gleich vollkommen schön, d. h. die Steigerung des Begriffs "schön" bis zum höchsten Maß, über das hinaus eine weitere Steigerung nicht mehr denkbar ist. Das ist aber dasselbe wie "unendlich". Eine Größe, welche bei allem Zufügen endlicher Größen für mich gleich unendlich bleibt, keine Veränderung erfährt, die ich für vorstellbar erachte. Das unendlich Schöne wäre auch das absolut Schöne. Auch hier liegt also eine negative Bestimmung zugrunde, welche den Begriff in das Unvorstellbare entrückt, ihn eigentlich zu einem logischen Widerspruch gestaltet. Denn "das Schöne" ist eben als begriff die Sammelbezeichnung für alles Schöne, das ich kenne oder das ich mir vorstellen kann. Das absolut Schöne aber wäre schöne als alles Schöne, das mir bekannt oder vorstellbar ist, es fiele daher gar nicht mehr unter den Begriff des Schönen. Das absolut Schöne ist daher auch nur der Ausdruck dafür, daß meiner Vorstellung von Steigerung oder Zunahme der Eigenschaft, die ich eben an gewissen Dingen als schön bezeichne, keine Grenze gezogen ist. Dagegen ist es ebensowenig wie der unbegrenzte Raum und die unbegrenzte Zeit (Ewigkeit) ein Begriff, mit dem sich für die Erkenntnis wirklichen Geschehens, das sich nur an räumlich und zeitlich begrenzten oder schönen Dingen vollzieht, irgendetwas erreichen ließe. Denn aus Unvorstellbarem wird Vorstellbares nie begriffen, verdeutlicht oder abgeleitet werden können, da zwischen beiden nur das Wort vermittelt; die Grundlage des Wortes dagegen, die Vorstellung, fehlt.

Die sogenannten absoluten oder reinen Begriffe stammen aus derjenigen Zeit, wo die Begriffe als von den Dingen, Geschehnissen, Vorstellungen, Gefühlen ablösbare Eigenschaften fälschlicherweise substantiiert (mit Ichgefühl belegt) als selbständig Seiendes vorgestellt wurden. Durch Hinzutreten dieser absoluten Begriffe als ein seiend Gedachtes (Idee) zu anderen wurde das Mannigfaltige entstehend gedacht und die wirkliche Welt so in ein Spiel unhaltbarer theoretischer Begriffe verflüchtigt.
LITERATUR - Otto Bütschli, Gedanken über Begriffsbildung und einige Grundbegriffe, Annalen der Naturphilosophie, Bd.3, Leipzig 1904