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[mit NS-Vergangenheit] Über die Bildung wissenschaftlicher Begriffe
Das Gemeinsame nun in allen diesen Denkoperationen ist das besonders starke Hervortreten des Vergleichens oder Beziehens, einer der allgemeinen Eigenschaften allen Denkens (1), in ihnen. Dieses nach verschiedenen Richtungen hin intensivere Beziehen ist vielleich ganz allgemein neben der Genauigkeit und Schärfe ein Kennzeichen des wissenschaftlichen Denkens überhaupt. Das eigentliche Abstrahieren besteht nun aber im Zusammenstellen von mehr oder weniger gleichartigen Erscheinungen oder Einzelerfahrungen, wobei beliebige und beliebig viele Ungleichheiten vernachlässigt werden, sowie in der Zusammenfassung dieser zusammengestellten Erfahrung durch die Bezeichnung mit einem gemeinsamen Symbol, einem Namen. Über den Einfluß der Menge der Ungleichheiten gegenüber den Gleichheiten auf den Charakter der Abstraktion, des Begriffes etc. will ich mich nicht einlassen; es sind dies ja meist sehr bekannte Dinge. Bei diesem Geschäft des Abstrahierens gewinnt man nun sehr schnell eine Erfahrung, die in Bezug auf die Schnelligkeit und Reichhaltigkeit der Begriffsbildung von außerordentlichem Nutzen wird, nämlich die Erfahrung, daß Tatsachen, die in einer größeren Anzahl von Eigenschaften, unter denen sogenannte "wesentliche" (2) sein müssen, übereinstimmen, es auch in den übrigen tun, welche nötig sind, um die Tatsachen in den betreffenden Begriff einreihen zu können. (3) Während das primitivste Verfahren der Begriffsbildung der Eigenschaften besteht, so ist ein abgekürztes Verfahren, abgekürzt allerdings zuweilen auf Kosten der Sicherheit. Die allgemeineren Resultate nun, die mit dieser gemeinsamen Methode, auf deren psycho-physiologische Berechtigung oder Herkunft und Verbreitung wir hier nicht einzugehen haben, mit anderen Worten: die zeitweiligen allgemeineren Endergebnisse bezeichnen wir mit besonderen Namen, z. B. Definition, Gesetz etc. Aus dieser Tatsache nun schon des Vorhandenseins von mehreren Bezeichnungen müssen wir auf eine Verschiedenartigkeit der Resultate der gleichen Methodik, wenn Synonyma natürlich ausgeschlossen werden, schließen. Diese Verschiedenheit nun bei gleicher Methode ist auf folgende Gründe zurückzuführen. Erstens wird das Ausgangsmaterial der wissenschaftlichen Forschungen einen Einfluß auf die erhaltenen wissenschaftlichen Resultate ausüben. In der Tat kommen uns etwa "Mineral" und "Reizbarkeit" oder "Wort" und "Geschichte" auf den ersten Blick als so heterogene Dinge vor, daß uns eine Trennung ihrer Abstraktionen nicht nur nach Inhalt, sondern auch nach Methodik nötig erscheinen. Das letztere würde jedoch unserer zu Anfang aufgestellten Behauptung widersprechen, daß nämlich die allgemeine Methodik aller Wissenschaften dieselbe ist. Wirklich lassen sich aber die Bildungsweisen aller genannten vier Begriffe auf Vergleichen und Abstrahieren zurückführen, während, was den Inhalt betrifft, wir zunächst einmal "Mineral" und "Wort" und ebenso "Reizbarkeit und "Geschichte" als näher verwandt miteinander zusammenstellen werden. Der Unterschied besteht aber darin, daß (scheinbar!) in den Begriffen "Mineral" und "Wort" nicht der Zeitbegriff enthalten ist oder doch nur eine sehr untergeordnete Rolle spielt, während derselbe in den Begriffen "Geschichte" und "Reizbarkeit" ein viel wichtigerer und mehr hervortretender Faktor ist. Indessen habe ich "scheinbar" hinzugefügt, nämlich darum, weil wir wissen, daß weitaus die Mehrzahl aller Dinge veränderlich ist und sich dementsprechend fast ununterbrochen ändert, wenn auch sehr oft unterhalb der Schwelle der Nachweisbarkeit. Wir haben aber eine viel größere Berechtigung, die langsame Veränderung aller Dinge anzunehmen, worin uns, wie gesagt, die übergroße Mehrzahl der Erfahrungen unterstützt, als umgekehrt aus der zeitlichen Nichtnachweisbarkeit der Veränderungen die Behauptung der Unveränderlichkeit aufzustellen. Die Verschiedenartigkeit der oben angeführten Beispiele besteht also in weiter nichts anderem, als in der Stellung beider Begriffsarten als Extreme zueinander. Wie es nun aber ein vollständig berechtigtes, der Definition der Namensgebung entsprechendes, sowohl wissenschaftliches als auch praktisches Verfahren ist, Extreme mit besonderen Namen zu belegen, so wollen wir diese beiden Erscheinungs- oder Einzelerfahrungsarten als Dinge (4) und Geschehnisse bezeichnen, wobei sowohl "Ding" als "Geschehnis" ein Kollektivbegriff noch einfacherer Elemente, über deren Natur wir uns hier nicht zu äußern haben, sein soll. Nun kommen uns die Einzelerfahrungen, die wir "Dinge" nennen wollen, verhältnismäßig einfach gegenüber den Geschehnissen vor. Diese Einfachheit findet, wie leicht zu sehen ist, eben ihre Ursache in letzter Linie in einem Mangel des Einfluß besitzenden Zeitfaktors. Naturgemäß aber erstreckt sich diese Verschiedenheit auch auf die Abstraktionen dieser zwei Erscheinungsextreme, die dementsprechend nun auch verschiedene Namen im wissenschaftlichen Sprachgebrauch besitzen. Die Beschaffenheit des Ausgangsmaterials ist jedoch nicht der einzige Punkt, der auf die Abstraktionsformen von Einfluß ist. Sondern wir müssen uns fernerhin klarlegen, daß die allgemeinen wissenschaftlichen Resultate, wie sie uns in der wissenschaftlichen Literatur entgegentreten, also ohne Rücksicht einstweilen auf den Wert derselben, sich in zwei große Grenzen sondern lassen. Von denen gehören zur einen Gruppe diejenigen Resultate, deren Bestandteile oder Einzelfälle alle prüfbar sind. Selbstverständlich ist dieses "alle" mit einem gewissen Vorbehalt zu verstehen, indem es nämlich nur soviel heißen soll, daß bis jetzt bei allen untersuchten Fällen die Prüfung den Erfolg der Bestätigung ergeben hat. In die zweite Gruppe gehören alle die wissenschaftlichen Gebilde, bei denen nicht sämtliche Bestandteile und Einzelfälle im obigen Sinn prüfbar sind. Dabei ist nun zunächst über den hier angewendeten Begriff der Prüfbarkeit etwas Näheres zu sagen. Gemeinhin versteht man unter Prüfbarkeit beispielsweise eines Naturgesetzes die Fähigkeit desselben, Anweisungen zu bestimmten Geschehnissen, die wir entweder herstellen oder finden können, zu geben. Fall die Resultate dieser Einzeluntersuchungen mit den in den Anweisungen versprochenen Ergebnissen übereinstimmen, so ist das Gesetz sowie jede Abstraktion positiv geprüft, ist dies nicht der Fall, so besteht das Gesetz nicht, zumindest nicht im vorherigen Umfang etc. Nun ist indessen zuweilen die zeitliche Prüfbarkeit, insofern sie zu einem positiven oder negativen Resultat führen soll, nicht durch ein Herstellen oder Finden einzelner Bestandteile oder Einzelfälle, sondern nur durch Analogieschlüsse möglich. Und zwar pflegt man in diesem Fall meist von technischen Schwierigkeiten zu reden. Diese technischen Schwierigkeiten lassen sich einteilen in zeitlichen, räumliche und energetische. Um Beispiele anzuführen: Abstraktionen, welche betreffs ihrer vollständigen Prüfung zeitliche Schwierigkeiten haben, sind eine große Anzahl von Entwicklungstheorien, eine solche mit räumlichen z. B. die Vorstellung vom Aufbau unseres Planetensystems, endlich eine mit energetischen oder technischen Schwierigkeiten (technisch im engeren Sinne): die Entstehungstheorie des Diamanten etc. Bei allen diesen Schwierigkeiten ist es sehr wahrscheinlich, aber wahrscheinlich überhaupt, daß, dalls wir eben die erforderlichen technischen Mittel hätten, deren Art und deren Umfang wir aber zu bestimmen wissen müssen, wir die betreffenden Abstraktionen prüfen könnten. Da nun die technische Vervollkommnung im allgemeinsten Sinne, wie die Erfahrung lehrt, nur eine Frage der Zeit ist, so wollen wir alle Fälle, bei denen eine Prüfung nur durch Analogieschlüsse einstweilen stattfinden kann, auf prinzipiel prüfbare nennen. Ein bei der Prüfung zu beachtendes Charakteristikum einer Abstraktion ist weiterhin die Eigenschaft dieser, aus mindestens zwei Bestandteilen entstehen zu müssen. Denn erst zwei Tatsachen können etwas Gemeinsames, Abstrahierbares haben. In der ersten Gruppe lassen sich nun noch die zwei Sonderfälle scheiden, daß
2) daß nur ein Teil der Begriffselemente geprüft worden ist. Zum Charakteristikum der ersten Kategorie dieser Gruppe von wissenschaftlichen allgemeineren Resultaten, deren Benennung und Einzeluntersuchung weiter unten folgen wird, gehört, daß alle ihre Abstraktionsformen durch das primitivste Abstraktionsverfahren, nämlich einfach durch Aufsuchen, Abzählen und Einordnen von Eigenschaften, bzw. Einzelgeschehnissen gebildet werden können, ohne daß indessen dies eine Notwendigkeit ist oder auch in Wirklichkeit geschieht. Bei den anderen Formen wissenschaftlicher Zusammenfassung spielt dagegen besonders der Schluß, der Analogieschluß, eine wichtige Rolle. Es würden also, falls wir überhaupt nicht mit Induktionsschlüssen arbeiten würden, gar keine anderen wissenschaftlichen Abstraktionsformen als einfache Zusammenfassungen prüfbarer Dinge und Geschehnisse, wie wir sie in dieser Doppelgestalt noch weiter unten zu erörtern haben werden, bestehen. Was nun die Rolle des Analogischlusses bei den anderen Abstraktionsformen anbetrifft, so können wir sogar sagen, daß alle anderen hierher gehörenden Abstraktionsformen einfach nur Modifikationen von Analogieschlüssen, mit gewissem Vorbehalt, sind. Und zwar ist dies in folgender Hinsicht der Fall. Wir können den Denkprozeß eines Analogieschlusses einfach in folgende Bestandteile zerlegen:
2) die Tätigkeit des Schließens oder den Vorgang des Einordnens der Elemente unter den Begriff (mit mehreren Einzeltätigkeiten); 3) die noch nicht geprüften, erschlossenen Begriffselemente, deren Prüfbarkeit mit einem positiven Resultat aber selbstverständlich (5) mehr oder weniger wahrscheinlich ist. Diese scheinbar triviale Einteilung nach dem Bestehen einer Wahrscheinlichkeit des Schlusses oder nicht, da diese ja eine Grundbedingung eines wissenschaftlichen Schlusses zu sein scheint, hat aber in folgender Beziehung ihre Bedeutung. Die Wahrscheinlichkeit besteht bekanntlich im Quotienten der zutreffenden und möglichen Fälle, in unserem Fall der geprüften und der prüfbaren Fälle. Ich habe prüfbar deshalb betont, weil die Prüfbarkeit, und zwar die Prüfbarkeit aller Bestandteile oder Einzelgeschehnisse überhaupt nötig ist, damit eine Wahrscheinlichkeit zustande kommt. Trotzdem nun also, falls wir überhaupt von Wahrscheinlichkeit reden können, die Prüfbarkeit aller Elemente eine notwendige Voraussetzung ist, gibt es dennoch ein sehr verbreitetes wissenschaftliches, d. h. von Männern der Wissenschaft und zu wissenschaftlichen Zwecken benutztes Verfahren, bei dem ein Teil der Begriffselemente nachweislich nicht prüfbar ist. Die mit dieser Methodik gewonnenen Resultate sind aber nur scheinbare, und zwar aus folgenden Gründen: Einmal hatten wir zu Anfang unserer Überlegungen festgelegt, daß alle wissenschaftliche Forschung in einer immer reicheren und allgemeineren Abstraktion besteht. Die Methodik soll also per definitionem bei allen wissenschaftlichen Untersuchungen, allgemein genommen, dieselbe sein. Nun können wir uns aber eine Abstraktion, bei der nur ein Teil ihrer Elemente prüfbar, der andere aber nicht etwa nur prinzipiell und technisch nicht prüfbar, sondern nachweisbar nicht prüfbar ist, gar nicht vorstellen, da die Abstraktion, d. h. die Zusammenfassung von Tatsachen unter Vernachlässigung beliebiger und beliebig vieler Ungleichheiten überhaupt erst bei prüfbaren Tatsachen einsetzen kann. Mit anderen Worten: es gehört mit zur Definition einer Abstraktion, daß alle ihre Elemente prüfbar sind. Denn wir können ja nicht unprüfbare Elemente abstrahieren, da zu diesem Zweck eine Kenntnis ihrer Eigenschaften, d. h. ihre Prüfbarkeit per definitionem nötig ist. Aus diesem Grund haben diese Forschungsgebilde für den Körper der Wissenschaft selbst, für die Bereicherung für den Körper der Wissenschaft selbst, für die Bereicherung unserer Erkenntnis gar keinen Nutzen, da sie ja gegen die Forderung der allgemeinen Methodik verstoßen. Dennoch wird diese scheinbare, fälschliche Art der Zusammenfassung sehr häufig in der wissenschaftlichen Forschung verwendet und hat dementsprechend auch einen besonderen Namen erhalten. Dieser Fall wäre der erste in unserer zweiten Gruppe. Der zweite würde sein, daß kein Bestandteil prüfbar und dementsprechend auch noch keiner geprüft worden ist. Trotz der zutage tretenden wissenschaftlichen Nutzlosigkeit dieses Gebildes werden wir auch auf diese Forschungsart als auf einen im wissenschaftlichen Leben gar nicht so unwichtigen Punkt einzugehen haben. Fassen wir nun die Möglichkeiten noch einmal zu folgender Tabelle zusammen:
b) Es sind noch nicht alle Elememte geprüft
(nur ein Teil der Elemente ist prüfbar. Endlich haben wir aber noch auf einen dritten Punkt einzugehen, der sich gleich der Beziehung oder Vergleichung als eine allgemeine Eigenschaft des wissenschaftlichen Denkens erweist und welcher dementsprechend auch Einfluß nicht nur auf die Abstraktion allein, sondern, da diese ja den Begriff des wissenschaftlichen Denkens nicht erschöpft, auch auf die übrigen in obenstehender Tabelle angeführten wissenschaftlichen allgemeineren Gebilde besitzt. Zu diesem Begriff gelangen wir aber folgendermaßen: Treten uns in unserer Erfahrung neue Erscheinungen entgegen, so ist es allgemein das Erste, was wir wissenschaftlich tun, daß wir dieselben den in uns schon vorhandenen Abstraktionen anzupassen suchen, d. h. wir gehen immer und natürlicherweise bei der Neubildung von Abstraktionen von alten, bekannten aus. Dasselbe Grundprinzip liegt selbstverständlich allen wissenschaftlichen Zusammenfassungen zugrunde (siehe hierüber besonders MACH: Über Umbildung und Anpassung im naturwissenschaftlichen Denken, Populär-wissenschaftlich Vorlesungen, Seite 231f). Diese Anpassung ist nun eine unbewußte oder eine bewußte. Der Grund für die erstere liegt darin, daß uns eine vollständig unbekannte Erscheinung niemals entgegentritt, d. h. daß wir immer irgendeinen, wenn auch zuweilen sehr allgemeinen Oberbegriff haben, unter den wir die Neuerscheinung einreihen können. Diese, wenn auch noch so lose Einreihbarkeit unter einen allgemeineren Begriff wird wahrscheinlich sogar zum Bewußtwerden einer Erscheinung überhaupt gehören. In dieser prinzipiellen Verwandtschaft aller Erscheinungen und natürlich auch ihrer Abstraktionen liegt der unbewußte Teil der Anpassung. Was die bewußte oder methodische Anpassung anbetrifft, so ist diese auf dieselbe Erfahrung, die dem Analogieschluß zugrunde liegt, zurückzuführen. Naturgemäß und der Tatsache der unbewußten Anpassung zufolge werden diejenigen Eigenschaften der Neuerscheinung, welche wir zuerst untersuchen, die bekannteren, d. h. mit schon untersuchten am meisten Ähnlichkeit besitzenden sein. Es ist in der Tat ganz zufällig, welche Eigenschaften zuerst in die Untersuchung gezogen werden (vgl. WILHELM OSTWALD, Vorlesungen über Naturphilosophie, Seite 207). Stimmen diese ähnlicheren Eigenschaften nun überein mit den schon untersuchten, so lehrt die Erfahrung, daß verschieden oft, je nach der Menge und dem Wert der untersuchten Eigenschaften, auch die übrigen Eigenschaften, die zur wissenschaftlichen Erklärung, d. h. zur wissenschaftlich-ökonomischen Beschreibung oder Abstraktion nötig sind, gleich sind. Indessen besitzen wir aber kein Maß, bei welcher Menge und bei der Untersuchung welcher Eigenschaften der Analogieschluß berechtigt, d. h. richtig ist. Aus diesem Grund ist es nicht abzuweisen, wenn bei einem beliebigen Grad von Übereinstimmung die Annahme, d. h. die bewußte Annahme gemacht wird, daß auch die übrigen Eigenschaften von übereinstimmender Beschaffenheit sein werden; es ist also die Möglichkeit vorhanden, daß dieses probeweise Abstrahieren unter Umständen zur Feststellung der Möglichkeit einer wirklichen Abstraktion oder zu dieser selbst führen kann. Das Zweckmäßige liegt dabei zunächst in der Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit (die indessen sehr verschieden groß sein kann), daß bei einer nachträglich sich herausstellenden Übereinstimmung wirklich aller Eigenschaften eine bedeutende Ersparnis an Einzeluntersuchung stattgefunden haben kann. Oder ander gesagt: Es liegt ein Vorteil in einer solchen Annahme oder Probe darum, weil durch die Annahme der Übereinstimmung noch weiterer Eigenschaften als der tatsächlich bis jetzt gefundenen eine gewisse Methodik oder Reihenfolge der weiteren Untersuchungen und damit eine Erleichterung derselben gegeben ist, indem nun nämlich die bekannten Eigenschaften des angenommenen, geschlossenen Oberbegriffs an der vorläufig eingereihten, abstrahierten Neuerscheinung aufgesucht werden und aufgesucht werden müssen. In der Tat hat die Annahme der Übereinstimmung sämtlicher Eigenschaften, die zur Einreihung unter den Oberbegriff notwendigerweise übereinstimmend sein müssen, d. h. also sämtlicher Eigenschaften des Oberbegriffs selbst, nur dann einen Sinn und wissenschaftliche Berechtigung, wenn sie zugleich die Verpflichtung auferlegt, die weitere, angenommene Übereinstimmung auch nachzuweisen. Wird diese Übereinstimmung nun aber nicht nachgewiesen, so ist es einfach eine Forderung der bewußten Anpassung, einen anderen, neuen, stimmenden Oberbegriff aufzusuchen. Der Nachweis dieser Nichtgültigkeit des mit Anpassung gewählten Oberbegriffs ist natürlich gleichbedeutend mit einem Fortschritt unserer Kenntnis von den Eigenschaften der einzureihenden Neuerfahrung selbst. Während nun diese Kenntnis stetig wächst, sind die einzelnen Anpassungsstufen, solange nicht eine vollständige Übereinstimmung erfolgt, sprungweise voneinander getrennt. Was nun die Beziehung der Anpassung zu den in obiger Tabelle aufgezeichneten allgemeineren wissenschaftlichen Gebilden anbetrifft, so ist sie, wie schon aus ihrer Definition als eine allgemeine Eigenschaft des wissenschaftlichen Denkens hervorgeht, überall festzustellen. Ja, wir werden, wie schon angedeutet wurde, zu erörtern haben, daß auch die nicht eigentlichen Abstraktionsformen, die in der Tabelle in Klammern stehen, den Begriff der Anpassung als Wurzel für ihr Bestehen haben. Während bei den eigentlichen wissenschaftlichen allgemeineren Resultaten die Anpassung der neuzubildenden Begriffe an bekannte gar nicht so deutlich zutage tritt, so daß MACH erst besonders darauf hinweisen mußte, ist dieses Bestreben bei den übrigen allgemeinen Forschungsgebilden, welche keine Abstraktionen sind, außerordentlich klar. Wir werden an Ort und Stelle darauf zurückkommen. Schreiten wir nun zur näheren Betrachtung der Einzelfälle. Der einfachste Fall ist derjenige, bei dem alle Elemente geprüft worden sind. Da haben wir nun gleich zwei durch die Verschiedenheit des Materials bedingte Abstraktionsformen. Die einfachen Abstraktionen von Dingen lassen sich, ohne dabei übrigens gegen den Sprachgebrauch zu verstoßen, Definitionen nennen. Wir wollen diesen Namen auch hierfür festhalten. Solche Definitionen sind z. B. Kreis, Pendel, Kochsalz, Planet, Insel, Feldspat, Rose, Säugetier, Wort, Pfalzgraf, aber auch Figur, Apparat, chemische Verbindung, Mineral, Pflanze, Tier, Wortschatz, Staat etc. schließlich Art, Familie, Gattung, Ordnung, Klasse, Typus, Kreis, System etc. Zu den besonderen Definitionen gehören auch die Resultate der wissenschaftlichen Beschreibung in einem kleineren, beschränkteren Sinn. Es ist nun eine Folge des Unbeachtetbleibens des Zeitfaktors bei Dingen, daß, wie schon oben berührt wurde, die Abstraktionsformen verhältnismäßig einfach sind, so einfache, daß im wissenschaftlichen Sprachgebrauch nicht einmal besondere Namen dafür herrschen. So faßt man die beiden ersten Fälle unserer Tabelle, in denen eine vollständige Prüfbarkeit vorhanden ist, im Allgemeinen bei Dingen zusammen und redet nur von einer mehr oder weniger genauen Definition. Der eine Grund hierfür liegt, wie gesagt, in der Einfachheit der Verhältnisse, den anderen werden wir noch weiter unten zu erörtern haben. Die entsprechende Abstraktionsform für Geschehnisse, deren sämtliche Einzelfälle (sämtlich im obigen Sinn) geprüft worden sind, wollen wir "Gesetze" nennen. Solche in allen ihren Bestandteilen prüfbare und geprüften Gesetze sind beispielsweise: Der Winkelsummensatz im Dreieck (6), das Gesetz von der Erhaltung der Arbeit, das Ohm'sche Gesetz, das Phasengesetz, das Suess'sche Gesetz, die Gesetze des Heliotropiums, die Gesetze der Muskelzuckung, die Einzelgesetze der Lautverschiebung etc. etc. Nun ist natürlich jedes Gesetz wie jede Definition nur für eine gewisse Zeit, einen gewissen Erkenntnisgrund ein solches, d. h. unveränderlich (wir werden später hieran noch anzuknüpfen haben), und wenn schon manche Gesetze, wie der Winkelsummensatz etc., überhaupt besonders die allgemeinen Gesetze der Mathematik, Physik und Chemie vollständig unveränderlich erscheinen, so haben wir gar keine Gewißheit, daß dies für alle Zeiten, für alle Verfeinerungen unserer Einzelmethodik oder Technik der Fall sein wird. Ich erinnere z. B. nur an die in neuester Zeit aufgetauchten, experimentell begründeten Zweifel an der Gewichtserhaltung bei der chemischen Verbindung zweier Stoffe. Das Kriterium von "Definition" und "Gesetz" ist also die Prüfbarkeit und die Übereinstimmung aller geprüften Bestandteile und Fälle derselben. Wir kommen nun zum zweiten Fall, bei dem zwar sämtliche Bestandteile prüfbar, aber noch nicht alle geprüft sind. Diese Abstraktionsform wird zuweilen, aber nicht durchgehend von den Forschern "Theorie" genannt; wir wollen jedoch auch hier diesen Namen festhalten. Theorien sind beispielsweise: Die Idee eines Literaturhistorikers, daß ein gewisses Werk von einem gewissen Autor herrührt, ferner die Mutationstheorie von de VRIES, die einstweilen sogar noch in ihrer Allgemeinheit, abgesehen von unwesentlichen nicht theoretischen Gedanken, an anderen Pflanzen und Tieren geprüft werden kann, weiter, wie schon oben angeführt, sehr viele Entwicklungsgedanken, so z. B. auch DARWINs Abstammungstheorie (nicht Hypothese), SIMROTHs Idee vom Einfluß der Erdbeschaffenheit auf die Organismen, zum Teil die Weltentstehungstheorie von KANT und LAPLACE, manche sozialistische Theorien etc. Dabei kann nun der Wert der Theorien als methodische Form, der bei den einfachsten Abstraktionsformen, den Definitionen und Begriffen ein unbezweifelbarer war, sehr verschieden sein, und zwar ist er, wie einfach zu sehen ist, proportional der Anzahl und der Sicherheit der geprüften Bestandteile gegenüber den ungeprüften, also einfach proportional der Wahrscheinlichkeit bzw. Wirklichkeit der Zusammenfassung. Nun aber existiert die Möglichkeit, daß beim Fortschreiten der Erkenntnis einmal ein Punkt kommt, an dem alle Bestandteile (alle im obigen Sinn) geprüft worden sind. Daß dabei nicht stimmende Einzelerfahrungen die Weite des zu bildenden Begriffs abändern, gilt sowohl für Theorien als auch für Definitionen und Gesetze; es folgt einfach aus dem Vorgang des Abstrahierens. Sind aber endlich alle Bestandteile geprüft, so wird die Theorie zum Gesetz, bzw., wenn man hier von Theorie reden will, bei Dingen zur Definition. Und in der Tat verschwinden die Grenzen zwischen Gesetz - Definition und Theorie - vollständig, wenn wir sie nicht, was zu ihrer sonst wesentlichen Unterscheidung und Benennung nötig ist, auf einen Zeitpunkt der Erkenntnis projizieren. Aus diesem Grund aber hat man für die entsprechenden Abstraktionen von Dingen, wie schon oben bemerkt wurde, im wissenschaftlichen Sprachgebrauch gar nicht zwei besondere Namen gebildet. Wir kommen nun unserer Tabelle zufolge zu der nur scheinbaren Zusammenfassung von Tatsachen, bei der nur ein Teil ihrer Bestandteile oder Einzelfälle prüfbar ist. Wir wollen diese vermeintliche Abstraktionsart "Hypothese" nennen und diesen Namen für sie festhalten. Gerade über das Wesen und die Berechtigung der Hypothesen sind mannigfache Äußerungen von Seiten der Forscher gemacht worden; wir wollen ein paar wichtigere und ausführlichere Literaturangaben weiter unten besprechen. Untersuchen wir zunächst einmal das Wesen der Hypothese, d. h. ihre Entstehung und ihre Methodik, wie wir es schon Anfangs begonnen haben, etwas näher. Was den Prozeß der Hypothesenentstehung, ihre Bildung anbetrifft, so betrachten wir diese zweckmäßigerweise an einem Beispiel: Eine bekannte, natürlich jetzt überwundene Hypothese ist, daß die Wärme ein besonderer, merkwürdiger Stoff ist. Selbstverständlich ist man nun auf diesen Gedanken gekommen und hat auf ihn kommen können, als man bei den Wärmeerscheinungen Eigenschaften fand, die den Stoffen auch eigentümlich sind, z. B. die Fähigkeit der Wärme von einem heißen Körper durch die Berührung, d. h. Hinüberleitung zu einem anderen kälteren Körper von ihrem Niveau herunterzugehen und am Schluß dieses Vorgangs in beiden Körpern scheinbar in gleicher Menge vorhanden zu sein etc. Es sind dies in der Tat diese mit Stoffeigenschaften übereinstimmenden Wärmeeigenschaften, die uns zuerst und am aufdringlichsten entgegentreten, und in dem Analogieschluß, daß die übrigen Eigenschaften der Wärme auch nicht wesentlich von den übrigen Eigenschaften der Stoffe verschieden sein würden, liegt einstweilen noch nichts, das gegen die allgemeine wissenschaftliche Methodik ginge, sondern nur ein Postulat der möglichsten Anpassung an schon bekannte Begriffe. Es sind bis hierher noch vollständige abstrahierende Denkprozesse. Was für dieses Beispiel gilt, gilt natürlich ebenso gut für jede andere Hypothese. Namentlich gerne sind in der Wissenschaft Anpassungen an mechanische Begriffe gesucht worden; man pflegt auch zu sagen, daß die mechanischen Vorstellungen uns die geläufigsten sind. Dies ist historisch nachzuweisen und hat dementsprechend seinen Grund und muß ihn haben in psycho-physiologischen Ursachen. Darüber haben wir hier nicht zu diskutieren. Doch verfolgen wir die Entwicklung einer Hypothese weiter. Bis jetzt, können wir sagen, haben wir es noch gar nicht mit der eigentlichen Hypothese zu tun, die Denkprozesse dieses Abschnittes unterscheiden sich in nichts von den Analogieschlüssen einer Theorie. Da wir diesen rechtmäßigen abstrahierenden Teil bei der Bildung jeder Hypothese beobachten können, so können wir umgekehrt sagen, daß die Hypothesenbildung erst auf Grund, auf dem Boden einer Theorie beginnt. Verfolgen wir aber unser Beispiel weiter, so finden wir Folgendes: Das nächste, wozu wir nun fähig aber auch verpflichtet sind, wenn wir mittels des Analogieschlusses den Begriff Stoff als den Oberbegriff der Wärme bezeichnet haben, ist nachzusehen, ob die anderen zur Definition des Oberbegriffs notwendigen Eigenschaften auch in der einzureichenden Neuerscheinung vorhanden und übereinstimmend vorhanden sind. Ist dies nun nicht der Fall, so hat man sofort per definitionem, weil der Oberbegriff ja nur die Summe der übereinstimmenden Eigenschaften darstellt, einen neuen Oberbegriff zu suchen, in den die neuen Erscheinungen hineinpassen. Tut man das und findet man jedes Mal einen entsprechenden möglichst engen Oberbegriff, so macht man immer nur Analogieschlüsse, d. h. man bewegt sich immer noch auf einem abstrahierenden, induktiven Weg mit dem gleichzeitigen berechtigten Streben der Anpassung an bekannte Begriffe. Nur darf nicht vergessen werden, daß man sich bei der Wahl des Oberbegriffs, d. h. desjenigen Begriffes, dem die neue Erfahrung eingereiht werden soll, nur nach den Eigenschaften der Erscheinung zu richten hat, und daß man umgekehrt nicht folgern darf, daß, wenn eine Übereinstimmung nicht nachgewiesen wird und so eine Einreihung nicht zustande kommt, dies insofern am Oberbegriff liegt, als daß dieser, anstatt nun einfach weggeworfen zu werden, für den besonderen Fall nun abgeändert werden muß. Auf diese Weise entstehen gewichtslose Stoffe, unteilbare Teilchen, alles Gebilde, die einen Widerspruch in sich selbst haben, da ein Stoff z. B. per definitionem Gewicht haben muß, d. h. weil wir nur solche Gebilde, die neben gewissen anderen, aber wohlbekannten Eigenschaften noch Gewicht besitzen, Stoffe genannt haben etc. An dieser Stelle, mit diesem Verfahren ändert sich auch die Methode, hier hört die Abstraktion auf und beginnt das nicht abstraktive, für die Hypothese charakteristische Verfahren. Eine derartige Änderung des Begriffes "Stoff" ist von vornherein gar nicht möglich, da ein einmal definierter Begriff überhaupt nicht geändert, sondern nur noch an Inhalt bereichert werden kann. Mit anderen Worten: alle neuen Tatsachen, die sich unter einen Begriff unterordnen lassen, müssen eben auch neben ihren sonst ganz beliebig verschiedenen Eigenschaften notwendig auf den Eigenschaftskomplex, den der Oberbegriff darstellt, besitzen. Dadurch nun, daß man die Eigenschaften des Oberbegriffs zugunsten der einzureihenden Neuerscheinung, aber auf Kosten der Wahrheit, der Wirklichkeit ändert, erreicht man ein Ziel, nämlich die Einreihbarkeit der Neuerscheinung unter den modifizierten, d. h. nicht mehr vollständig prüfbaren und damit alle Wahrscheinlichkeit verlierenden Oberbegriff (7). Wir haben schon weiter oben bemerkt, daß man für das Einreihen unter Oberbegriffe häufig auch Erklären sagt. Man nennt nun dieses scheinbaren Einreihen im wissenschaftlichen Sprachgebrauch sehr zu Unrecht auch Erklären, während der eigentliche Begriff "Erklären" synonym mit "wissenschaftlich-ökonomischer Beschreibung" ist. Hier liegt in den Worten "wissenschaftliche - Beschreibung" vor allen Dingen auch die Forderung der Wahrscheinlichkeit, d. h. der Prüfbarkeit aller Elemente des Gebildes. Gewöhnlich bezeichnet man nun Tatsachen, die mit anderen nur in gewissen Eigenschaften übereinstimmen, in anderen aber gewiß nicht, als Bilder. So hat man auch das Verfahren der Hypothesen, andere Tatsachen, uns zwar natürlicherweise solche, die uns geläufiger und früher bekannt waren, anstelle der wirklich beobachteten zu setzen, als Abbildung bezeichnet. Natürlich bemüht sich aber die Hypothese, diese Bilder einmal zu abzubildenden Tatsachen so ähnlich wie möglich zu wählen und dann mit fortschreitender Erkenntnis möglichst viele Übereinstimmungen mit der Wirklichkeit nachzuweisen. Indessen ist es niemals möglich, eine vollständige Übereinstimmung zwischen Wirklichkeit und Bild zu erlangen, da es ja per definitionem immer Eigenschaften des Bildes geben muß, welche nachweisbar nicht prüfbar sind. Es ist dieser Umstand insofern von Wichtigkeit, als aus ihm folg, daß Hypothesen nie zu Theorien und Gesetzen werden können, während, wie wir ja oben schon gesehen haben, Theorien nur Vorstufen von Gesetzen und Definitionen sind. Es ist vielmehr das Schicksal jeder Hypothese, daß mit der Entwicklung unserer Erkenntnis sich nicht nur Inkongruenzen, sondern direkte Widersprüche ergeben, die uns einmal notwendig zum Aufgeben derselben führen müssen. Die Vergänglichkeit ist also, wie schon WILHELM OSTWALD hervorhebt, das Schicksal jeder Hypothese. Nachdem wir so das Wesen der Hypothese etwas näher erörtert haben, wollen wir noch auf ihren wissenschaftlichen Wert eingehen. Dabei ist nun vor allen Dingen, wie aus den eben angestellten Ausführungen hervorgeht, der durch Anpassung entstandene theoretische Teil einer jeden Hypothese vom charakteristischen, rein hypothetischen Teil zu trennen. Der Wert des ersteren ist natürlich gleich dem jeder anderen Theorie und richtet sich gleich diesem nach der Größe der Wahrscheinlichkeit, d. h. nach der Anzahl der geprüften Bestandteile oder Einzelfälle der Menge der noch unbekannten gegenüber, oder, da die Anzahl der letzteren ja, wie leicht ersichtlich ist, unendlich ist, einfach nach der Anzahl der geprüften Elemente. Diesem erst theoretischen Teil sind auch, wie eine nähere Untersuchung der Einzelfälle ergeben wird, alle Entdeckungen, die jemals mit Hypothesen gemacht worden sind, zuzuschreiben. Ferner ist ja auch der Wert einer Theorie als Anleitung zu einer weiteren Untersuchung etc. ohne Weiteres klar. Was nun aber den Wert der eigentlichen Hypothese für den Körper der Wissenschaft selbst oder, mit anderen Worten: für den augenblicklichen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis anbetrifft, so folgt aus den obenstehenden Erörterungen, daß derselbe, weil die Wahrscheinlichkeit der hypothetischen Schlüsse gleich null ist, ebenfalls keine aufweisbare Größe besitzt. Es bleibt also nur der so oft angeführte sogenannte "methodische" oder "Arbeitswert" der Hypothesen übrig. Da man nun Tatsachen, die mit anderen in gewissen Eigenschaften übereinstimmen, in anderen aber geweiß nicht, als Bilder bezeichnet, so nennt man auch häufig das Verfahren der eigentlichen Hypothesenbildung ein Abbilden oder Veranschaulichen der Wirklichkeit. Dieses Veranschaulichen heißt aber jedesmal das Zurückführen der noch ungeläufigen Neuerscheinungen auf bekanntere und fast regelmäßig auf mechanische Tatsachen. Aber ebenso regelmäßig geschieht dieses Verfahren auf Kosten der Wahrheit und damit der Brauchbarkeit des Ergebnisses. In der Tat ist dieses Bedürfnis nach einem Zurückführen der Erscheinungen auf mechanische Elemente, wie schon oben bemerkt wurde, vorhanden. Seine geschichtliche Ursache oder Quelle ist mir unbekannt. Es ist aber nicht recht anzunehmen, daß die mächtige Entwicklung dieses Bedürfnisses nur auf die relative Einfachheit und frühe Kenntnis der mechanischen Erscheinungen, also nur auf das Anpassungsbedürfnis zurückzuführen ist. Aus dem Vorhandensein dieser Erscheinung folgt aber noch lange nicht ihre Zweckmäßigkeit für einen bestimmten Gegenstand, hier für den Fortschritt der wissenschaftlichen Erkenntnis. Eine solche "anschauliche Vorstellung" wird jedoch von Manchen als Bedingung für ein weiteres erfolgreiches Arbeiten ihrerseits dahingestellt. Nun ist ohne Weiteres klar, daß nicht anschauliche Dinge durch Übung sehr gut zu anschaulichen gemacht werden können, und daß weiter das Individuum hier - ganz unberechtigt - eine Rolle spielt. Dann aber ist auf alle Fälle aus obigen Gründen zu bestreiten, und hier kommen wir auf die "Arbeitshypothesen", daß irgendwelche wirklichen wissenschaftlichen Resultate durch derartige Veranschaulichungen, d. h. durch rein hypothetische Schlüsse gewonnen werden können. Denn alle Ergebnisse stammen a priori nur von prüfbaren Elementen der Hypothese, also nur von ihrem theoretischen Teil her. Eine Hypothese ist einfach so viel Wert, so viel Theorie in ihr steckt. Die Verteidiger aber der Nützlichkeit der Hypothesen als Anschauungsmittel haben sich bei der Wahl zwischen augenblicklicher Unbequemlichkeit und unverdienter, weil auf Kosten der Wahrheit gehender Bequemlichkeit zugunsten der letzteren entschieden, damit aber auch einen durch die doppelte Arbeit, einmal des Aufsuchens neuer Erscheinungen und dann aber des entsprechenden Umänderns des Oberbegriffs, des Bildes, ungleich längeren, unreinlicheren Weg betreten. Auch als rein methodisches, d. h. die Reihenfolge und damit die Schwierigkeit der Untersuchung beeinflussendes Hilfsmittel kann die Hypothese im eigentlichen Sinn nicht das Geringste leisten. Denn es ist ja ein Unsinn, Eigenschaften, die a priori unprüfbar sind, eine Reihenfolge der noch zu untersuchenden, aber prüfbaren Eigenschaften bestimmen zu lassen. Erweist sich eine sogenannte "Arbeitshypothese" wirklich als ein wissenschaftliches Hilfsmittel im oben festgestellten Sinn, so ist sie entweder eine Theorie, oder aber, man könnte die eigentlichen hypothetischen Bestandteile des Gebildes ruhig weglassen, ohne daß der Wirksamkeit des Hilfsmittels, natürlich nur soweit der Zweck desselben in einer wirklichen Abstraktion besteht, Abbruch geschähe. Um nun noch Beispiele von Hypothesen anzuführen, die alle ihren theoretischen und ihren eigentlich hypothetischen Teil besitzen, seien genannt: Zuerst natürlich die Atom- und Molekularhypothese, sämtliche Pangene-, Bionten-, Plasom-, Plastidule-, Biophoren-, Iden-, Determinanten-, Dominanten- etc. etc. Hypothesen, aber auch alle vitalistischen Ideen mit einer von der Definition vollständig abweichenden Kraft, fast alle Sätze der religiösen Dogmatik mit dem Bild eines Wesens, dem alle Wesenseigenschaften abgehen etc. Definieren wir also noch den Begriff "Hypothese", so haben wir: Eine Hypothese ist eine Zusammenfassung von Erscheinungen, deren Bestandteile nachweislich nicht alle prüfbar sind. Sie entsteht immer aufgrund theoretischer Ideen. Betrachten wir nun ein wenig die Literaturangaben, die hierher gehören. Gerade über Theorien und Hypothesen haben sich einige Forscher ausführlicher geäußert, ohne indessen vorher eine scharfe Definition beider Begriffe zu geben. Infolgedessen können ihre Ansichten auch nicht vollständig untereinander und mit den hier vertretenen übereinstimmen, namentlich ist sehr oft Theorie und Hypothese in dem hier definierten Sinn ganz miteinander verwechselt worden. Auf diese Art und Weise lassen sich sogar leise Widersprüche bei den Autoren selbst nachweisen. So finden wir bei MACH (8) den Begriff Theorie folgendermaßen definiert: "Die Theorie setzt in Gedanken an die Stelle einer Tatsache A doch immer eine andere, einfachere oder uns geläufigere B, welche die andere gedanklich in gewissen Beziehungen vertreten kann, aber eben weil sie eine andere ist, in anderer Beziehung doch wieder gewiß nicht." Wir sehen, daß diese Definition genau der entspricht, die wir dem Begriff Hypothese gegeben haben. Ferner aber findet sich bei MACH (9) eine Stelle, in der er sagt, daß die Theorie "die Anpassung der Gedanken aneinander darstellt". Wenn man will (die Definition der Gedanken gibt hier den Ausschlag), so kann man diese Definition als eine unserer wieder etwas ähnlichere ansehen. Weiterhin haben sich Naturforscher wie DRIESCH (10) über das Wesen von Theorie und Hypothese geäußert. Auch hier findet sich keine scharfe Unterscheidung beider Begriffe. Dann aber ist zu bemerken, daß der Name "Theorie" wissenschaftlich noch in einem ganz anderen Sinn wie hier zuweilen gebraucht wird. So bezeichnet auch DRIESCH die höheren Abstraktionen, nämlich Definition, Gesetz, Theorie, sowie auch die Hypothesen in ihrer Gesamtheit als allgemeinere wissenschaftliche Ergebnisse bzw. Scheinergebnisse und im Gegensatz zu den einfachen Grunderscheinungen, die das Ausgangsmaterial all dieser Gebilde darstellen, als Theorie. In diesem Sinne kann man statt Theorie ebensogut "Lehre" sagen, wie es ja auch getan wird. Solche Lehren sind die mathematischen, mechanischen Theorien, theoretische Chemie, Physik etc., die Theorie des Lichts, der Wärme, der Elektrizität etc.; ferner kehrt dieser Sinn des Wortes Theorie wieder in der Gegenüberstellung von Theorie und Praxis etc. Diesen Sinn hat auch DRIESCH hier im Auge, wenn er sagt: "Theorie kann jede zusammenhängende Lehre heißen" oder
Es ist indessen aber keine Frage, daß diese Vermengung von zweierlei Dingen, und zwar von zwei, was den wissenschaftlichen Wert anbetrifft, sehr verschiedenartigen, prinzipiellen Dingen nicht zur Klärung des wissenschaftlichen Sprachgebrauchs beiträgt. Es wäre vorteilhaft, den Namen Lehre für derartige Komplexe von verschiedenartigen Abstraktionen und Nicht-Abstraktionen festzuhalten und den Namen Theorie nur der oben geschilderten speziellen Abstraktionsart zukommen zu lassen. Was nun den Begriff Hypothese bei DRIESCH anbelangt, so unterscheidet dieser zwischen Fiktion und Hypothese. Dabei ist Fiktion "eine Annahme, welche bewußtsermaßen außerhalb der Möglichkeit der Erfahrung liegt"; diese Eigenschaft der bewußten Nichtprüfbarkeit einiger Elemente kommt seiner Ansicht nach der Hypothese nicht zu. Da der Autor aber nicht definiert, was er unter einer Hypothese versteht, so kann uns auch diese Bemerkung nicht viel nützen. Weiter nun hat sich BÜTSCHLI (11) ausführlich über die Natur der Hypothesen ausgesprochen. Neben hier nebensächlichen Bemerkungen über die Verbreitung von Hypothesen sowie über die Gleichgültigkeit für den wissenschaftlichen Erkenntnisstand, ob wirkliche Resultate auf dem Weg reiner Beobachtung oder, einfacher gesagt, durch eine Prüfung von Analogieschlüssen gewonnen worden sind, unterscheidet er vor allen Dingen zwei, bzw. drei Arten von Hypothesen. Die eine Art dieser Hypothesen ist diejenige Schlußform, die vollständig in eine Beobachtung übergeführt werden kann, falls sich gewisse technische, bekannte Schwierigkeiten überwinden lassen. Als Beispiel für diese Art Hypothesen führt BÜTSCHLI unsere Ansicht über die Beschaffenheit des Planetensystems an und bemerkt dazu, daß nichts leichter ist, als sich zu denken,
[Warum schläfert Opium ein?] Quia est in eo virtus dormativa! [weil es eine einschläfernde Eigenschaft hat.] Die Atom- und Molekularhypothesen jedoch glaubt BÜTSCHLI nicht als Umschreibungshypothesen verwerfen zu müssen, sondern er ist der Ansicht, daß dieselben zur Kategorie der Verallgemeinerungshypothesen, also zu zweiten von ihm angeführten Abart von Hypothesen gehören. Betrachten wir nun diese einzelnen Hypothesen etwas genauer und namentlich in Bezug auf unsere oben aufgestellten Kategorien. Was die erste Art von BÜTSCHLIs Hypothesen anbetrifft, so ist sehr leicht unsere "Theorie", ein Name, der in BÜTSCHLIs Abhandlung nicht erwähnt wird, wieder zu erkennen. Das Kriterium der Theorie war ihre vollständige prinzipielle Prüfbarkeit, wenn uns auch zur Zeit die technischen Hilfsmittel, die wir aber ihrer Art und Ausdehnung nach wissen und schätzen können, noch nicht gegeben sind. In der zweiten Art von Hypothesen, die der ersten, unserer Theorie, nach BÜTSCHLI nahe stehen soll, haben wir, wie ebenfalls leicht ersichtlich ist, die Nichtabstraktionen vor uns, die auch wir Hypothesen genannt haben, also die Hypothesen im eigentlichsten Sinne. Ihr Kriterium ist, daß nur ein Teil ihrer Bestandteile prüfbar ist, nach BÜTSCHLI, daß gewisse von der Hypothese verwendete und zur sogenannten Erklärung der Erscheinungen notwendige Tatsachen "über den Bereich ihres Erfahrungsgebietes hinaus wirksam vorgestellt oder angenommen werden". Indessen folgt aber auch aus der Erkenntnis, daß diese Hypothesen BÜTSCHLIs identisch sind mit unseren Hypothesen, die Gültigkeit der für diese gemachten Auseinandersetzungen über den Wert derselben auf für jene. Und in der Tat haben die von BÜTSCHLI angeführten Beispiele solcher seiner Ansicht nach "tatsächlich" erklärenden und unser Verständnis bereichernden Hypothesen wie die Atom- und Molekularhypothesen, die Undulationstheorie des Lichts etc., wie wir oben auseinandergesetzt haben, nur soviel Wert, als eigentliche Theorie in ihnen steckt, d. h. durch eine Verbindung mit nichtwirklichen, nichterfahrenen Dingen wird der wissenschaftlichen Erkenntnis, auch methodisch, nicht der geringste Nutzen geleistet. Es bleibt uns nun noch die dritte Art von Hypothesen, die Umschreibungs- oder Photographiehypothesen, die BÜTSCHLI in einen schroffen Gegensatz zu den anderen Formen wissenschaftlicher Zusammenfassung stellt, zu betrachten übrig. Als Beispiel solcher nutzloser Umschreibungshypothesen führt BÜTSCHLI die "Teilchenhypothesen" für die Lebenserscheinungen, also Plasom-, Bionten- etc. Hypothesen an. Zuerst fällt nun bei näherer Untersuchung der Unterschied fort, den BÜTSCHLI zwischen Atom- und Molekularhypothesen auf der einen Seite und Micellar-, Plasom- etc. Hypothesen auf der anderen feststellt. BÜTSCHLI rechnet die Atom- und Molekularhypothesen darum nicht zu den Umschreibungshypothesen, weil sie seiner Meinung nach in einem Gegensatz zu diesen, welche Unbekanntes auf noch Unbekannteres zurückführten, tatsächliche neue Erklärungen, d. h. aber Zurückführungen auf bekanntere Erscheinungen, wie BÜTSCHLI übrigens selbst den Begriff "Erklären" definiert, leisteten (12). Berücksichtigen wir einstweilen noch nicht das Adjektiv "bekanntere", so führen indessen auch die erwähnten Lebens- oder Organisationshypothesen, wenn auch einstweilen noch nicht in so großem Maßstab wie die bekannten physikalischen und chemischen Hypothesen die betreffenden Lebenserscheinungen auf andere zurück. So z. B. werden durch die Micellarhypothese NÄGELIs die Erscheinungen der Quellung auf andere allgemeinere zurückgeführt, "erklärt", und ferner haben beispielsweise ja auch alle Vererbungshypothesen die betreffenden Erscheinungen mehr oder weniger schlecht durch die Annahme eben dieser besonders beschaffenen Teilchen "erklärt". Daß aber diese "Erklärungen" bis jetzt noch nicht in so großem Maß wie in der Chemie und in der Physik geglückt sind, hat seine guten Gründe. Einmal sind erst seit verhältnismäßig kurzer Zeit (ich glaube, wirklich mit wissenschaftlichen Hilfsmitteln zuerst seit DARWIN) "Teilchenhypothesen" für die Lebenserscheinungen gebildet worden, während die Atom- und Molekularhypothesen ungefähr 50 Jahre vorher (Atomhypothese von DALTON 1803, AVOGADRO'sche Molekulartheorie 1811) auftauchten. Und dann sind aber die Lebenserscheinungen von einer so ungleich viel komplizierteren Beschaffenheit, daß die spärlichen Resultate wohl zu erklären sind. Überdies sind ja auch einige Versuche über größere und ausgedehntere Gebiete der Lebenserscheinungen gemacht worden, so z. B. von LUDWIG ZEHNDER (Die Entstehung des Lebens etc., 2 Bde.) Als zweiter Grund aber für die vollständige prinzipielle methodische Gleichheit und Gleichwertigkeit der physikalisch-chemischen Teilchenhypothesen und den Teilchenhypothesen des Lebens liegt darin, daß unbedingt in beiden Fällen die verlangte Zurückführung nicht auf bekanntere Dinge stattgefunden hat. Es wird wohl niemand behaupten, daß uns Atome, Moleküle, Plasome etc. bekanntere oder von Anfang an geläufigere Tatsachen sind als die Erscheinungen selbst. Der Erfolg ist also nach BÜTSCHLIs eigener Definition sicher keine Erklärung. Wenn nun auch keine scharfe Trennung zwischen den Teilchenhypothesen für die physikalischen und chemischen Erscheinungen und denen der Lebenserscheinungen zu machen ist, so scheint das drastische Beispiel, das BÜTSCHLI anführt, immerhin noch den Gegensatz zwischen Umschreibungshypothesen und Hypothesen zweiter Art (nach BÜTSCHLI), also den eigentlichen Hypothesen zu bestätigen. Dieses Beispiel aber gehört entweder in die Klasse von Scheinerklärungen, die in weiter nichts als in der Bezeichnung mit einem anderen Namen bestehen, der nicht das Geringste mehr oder weniger enthält, damit aber auch keinen Anspruch auf Anerkennung als neuen wissenschaftlichen Begriff erwarten kann, oder aber es ist eine reine Hypothese in unserem Sinn. Und dies ist folgendermaßen der Fall: Die schlafbringende Wirkung des Opiums ist hier gar nicht auf eine Kraft, sondern etwas nur so vollständig Definierbares, wie es die Wirkung selbst ist, zurückgeführt worden. Mit anderen Worten, wäre die Wirkung wirkliche eine Kraft in einem definiernbaren und definierten Sinn z. B. der Schwerkraft oder der chemischen Affinität (13), so wäre die betreffende Erscheinung in der Tat erklärt, auf eine bekanntere Erscheinung zurückgeführt worden. Dies ist jedoch ja nicht möglich, da im definierten Begriff "Kraft" die Eigenschaft des Schlafbringens tatsächlich nicht enthalten ist. Will ich aber, trotzdem der Oberbegriff also nicht paßt, denselben behalten, so muß ich ihn ändern, d. h. ihn nicht mehr als einen Begriff, eine Wahrheit bestehen lassen, sondern ihm etwas hinzudichten. Dies ist aber, wie wir oben gesehen haben, das Charakteristikum einer reinen Hypothese. In beiden Fällen liegt aber das Unwissenschaftliche so zutage, daß es lächerlich wirkt. Es folgt also aus diesen Überlegungen, daß die Verallgemeinerungs- und Umschreibungshypothese BÜTSCHLIs nicht prinzipiell verschieden sind und daher prinzipiell oder methodologisch mit einem Namen bezeichnet werden müssen. Natürlich aber gelten für die Umschreibungshypothesen, die als ein Extrem an Unwissenschaftlichkeit ins Auge fallen, erst recht die obigen Erörterungen über ihren vollständigen wissenschaftlichen Unwert. Mit den Hauptpunkten dieser Untersuchung nun meist übereinstimmend, urteilt WILHELM OSTWALD (14) über die Hypothesen. Was ihren wissenschaftlichen Wert anbetrifft, so verwirft er sie vollständig. Nach ihm ist namentlich die Methodik der Hypothesen eine durchaus andere als die von Gesetz und Theorie, indem nämlich bei ihr nicht wie bei der Abstraktion etwas weggelassen, sondern im Gegensatz etwas hinzugefügt wird. Bei der Hypothesenbildung wird kein weiterer, sondern ein engerer Begriff gebildet. "In einem solchen Sinn ist dieses Verfahren gerade das Gegenteil eines Abstraktionsverfahrens." Was nun die Methodik der Hypothesen anbelangt, so ist zunächst die Sonderung des theoretischen Teils vom rein hypothetischen festzuhalten. Während der erste ein reines Abstraktionsverfahren ist, ist der zweite dies nicht, und insofern, als alle anderen Dinge Gegensätze zu einem bestimmten herausgehobenen Ding sind, ein Gegensatz des Abstraktionsverfahrens. Die andere Methodik besteht aber, wenn auch nicht im Verengern des Oberbegriffs, da ein solches ja nach der Definition des Begriffs gar nicht mehr möglich ist, einfach im Verzichtleisten auf einen Begriff und in einer Zuhilfenahme einer bewußten Nichtwirklichkeit, einer Summe von Erfahrungen und Dichtungen, die damit als Summe gar keine Wahrscheinlichkeit besitzt und damit weder ein Begriff noch ein Oberbegriff - noch ein wissenschaftliches Resultat ist. Weiterhin unterscheidet WILHELM OSTWALD noch Protothesen und Hypothesen. Und zwar sind Protothesen oder "vorläufige Annahmen" Schlüsse, die eine kausale oder logische Verbindung von einem Erfahrungsgebiet, dessen Bestandteile noch nicht alle geprüft sind, annehmen zum Zweck der nachherigen Prüfung.
Kehren wir nach dieser Literaturabschweifung wieder zu unserem Hauptthema zurück. Wir haben nun noch diejenigen allgemeineren Formen wissenschaftlicher Zusammenstellung zu erörtern, deren Bestandteile nicht prüfbar und dementsprechend auch nicht im geringsten Teil geprüft worden sind. Es sind dies mit anderen Worten diejenigen wissenschaftlichen Gedanken, die man als metaphysische bezeichnet. Es handelt sich darum, etwas näher auf das Wesen und die Berechtigung einer wissenschaftlichen Metaphysik einzugehen. Vergegenwärtigen wir uns zunächst die Definition der Metaphysik, wie sie von den neueren Philosophen, etwa von WUNDT oder KÜLPE, vertreten wird. Nach ihnen besteht die Metaphysik in einer Zusammenfassung der letzten Ergebnisse der Einzelwissenschaften zu einer die Forderungen des Verstandes und des Gemütes befriedigenden, in sich widerspruchslosen Welt- und Lebensauffassung. Ihr Zweck besteht außer in ethischen Beeinflussungen, die hier erst an zweiter Stelle kommen, allgemein in der Förderung wissenschaftlicher Erkenntnis. Ihr Ausgangsmaterial bilden die allgemeinsten Ergebnisse der Einzelwissenschaften. Unter den allgemeinen Resultaten der Einzelwissenschaften sind aber diejenigen wissenschaftlichen Erkenntnisse, die sich nincht mehr untereinander logisch oder einfach begrifflich, d. h. mit Hilfe der abstrahierenden, einzelwissenschaftlichen Methoden verbinden lassen. Solange sich noch Beziehungen einzelwissenschaftlicher Art (einzelwissenschaftlich im Gegensatz zu philosophisch oder metaphysisch) zwischen diesen Endergebnissen herstellen lassen, solange sind diese Ergebnisses noch nicht Ausgangsmaterial der Metaphysik. Solche letztere Resultate sind beispielsweise: die Anschauungsformen Raum, Zeit, Kausalität; Materie, Substanz, ferner besonders die sogenannten transzendenten Ideen etc. Der Schwerpunkt der nun folgenden Überlegungen liegt darin, daß, wie wir oben als zweckmäßig und erschöpfend definiert haben, die Methodik aller Einzelwissenschaften in einer immer allgemeineren und reicheren Abstraktion besteht. So wie wir diese Tatsache festhalten, fällt a priori die Metaphysik als ein Hilfsmittel zur Gewinnung neuer wissenschaftlicher Erkenntnis. Denn die Methode der Metaphysik muß ja per definitionem eine andere sein als die - wissenschaftliche. Mit einem Wort: da alle etwaigen neuen Resultate aus den zeitweiligen Endergebnissen der Wissenschaften, falls sie eben für die Wissenschaften einen Wert besitzen sollen, nur durch die abstraktive Methode gewonnen werden können. Oder , sowie die sogenannte Metaphysik ein Resultat hervorbringt, das sich von wissenschaftlichem Wert erweist, so ist dieses nicht auf metaphysischem Weg, sondern mit wissenschaftlicher Methodik erreicht worden. Daß nun diese metaphysische Methode in der Tat keine rein abstraktive ist, das geht ohne Weiteres aus der Betrachtung eines beliebigen philosophischen oder metaphysischen Systems hervor. Immerhin
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1) vgl. WUNDT, System der Philosophie, Seite 38f. 2) "Wesentliche" Eigenschaften sind solche, die einem verhältnismäßig engen Begriff angehören. 3) WILHELM OSTWALD, Vorlesungen über Naturphilosophie, 1902, Seite 23f. 4) In einer früheren Arbeit (Über die Erklärung von Naturerscheinungen insbesondere des Lebens), Biologisches Zentralblatt 1901, Bd. 21, Nr. 18, Seite 561f habe ich statt "Ding" allgemein "Zustand" gesagt. Wie bemerkt, ist der Name willkürlich. 5) Denn sonst würde man eine Abstraktion gar nicht versuchen. 6) Bei den mathematischen Gesetzen namentlich tritt der Zeitfaktor nicht auf den ersten Blick zutage. Indessen braucht man sich nur die Entstehung, den Ursprung der einfachsten mathematischen Gesetze zu vergegenwärtigen, um den Zeitfaktor im "Größenmessen" etc. zu erkennen. Ebenso findet man ihn bei der Betrachtung der Anwendung der mathematischen Gesetze, oder, was dasselbe ist, ihrer Prüfung, und endlich läßt sich bekanntermaßen auch jedes mathematische Gesetz folgendermaßen formulieren: wenn ich das und das tue, so geschieht das und das, bzw. wenn ich einen eigentümlichen Einzelfall hervorhebe, ist dies und das der Fall. 7) Was beispielsweise die Atomhypothese anbetrifft, so ist damit auch der Einwand: Die Atome können vielleicht doch existieren, wir können sie nur wegen technischer Schwierigkeiten einstweilen nicht nachweisen - widerlegt. Wir werden per definitionem niemals Atome nachweisen können. 8) ERNST MACH, Populär-wissencshaftliche Vorlesungen, Seite 257. 9) MACH, a. a. O., Seite 246. 10) HANS DRIESCH, Analytische Theorie der organischen Entwicklung 1894, Seite 1f. 11) OTTO BÜTSCHLI, "Betrachtungen über Hypothese und Beobachtung", Verhandlungen der deutschen zoologischen Gesellschaft, 1896, Seite 7f und "Mechanismus und Vitalismus", 1901, Seite 54f. 12) Auf die weiteren Ausführungen BÜTSCHLIs betreffs der Anwendung der Atomhypothese speziell bei den Erscheinungen der chemischen Affinität und bei den Verbindungen, die teilweisen einen starken Widerspruch erregen, habe ich hier nicht einzugehen. 13) Über die Zweckmäßigkeit des Kraftbegriffs habe ich mich hier nicht zu äußern. 14) WILHELM OSTWALD, Vorlesungen über Naturphilosophie, 1902. 15) OSWALT KÜLPE, Einleitung in die Philosophie, 1898, Seite 27 16) Es sind übrigens nicht einmal Wahrscheinlichkeitsbetrachtungen, da zur Existenz einer Wahrscheinlichkeit, wie oben auseinandergesetzt wurde, notwendig die Prüfbarkeit aller Bestandteile des wissenschaftlichen Gebildes, wie es aber bei einer Metaphysik nicht der Fall ist, gehört. |