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HEINRICH RICKERT
Die Grenzen der
naturwissenschaftlichen Begriffsbildung

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Einleitung
Erstes Kapitel - Die begriffliche Erkenntnis der Körperwelt
I. Die Mannigfaltigkeit der Körperwelt
II. Die Bestimmtheit des Begriffs
III. Die Geltung des Begriffs
IV. Dingbegriffe und Relationsbegriffe
V. Die mechanische Naturauffassung
VI. Beschreibung und Erklärung

Zweites Kapitel - Natur und Geist
Drittes Kapitel - Natur und Geschichte
Viertes Kapitel - Die historische Begriffsbildung
Fünftes Kapitel - Naturphilosophie und Geschichtsphilosophie

"Nicht in der Allgemeinheit, nicht in der Bestimmtheit, auch nicht in der Geltung, sondern in seiner Aufgabe, die Welt zu vereinfachen und übersehbar zu machen, sehen wir also das eigentliche logische "Wesen" des naturwissenschaftlichen Begriffes."

"Bisweilen geben wir uns schon mit einer Erklärung zufrieden, die ein Ding mit einem uns bekannten Namen bezeichnet, also nichts tut, als daß sie es einer allgemeinen Wortbedeutung unterordnet. So ist die Milchstraße am Himmel erklärt, wenn uns gesagt wird, daß sie ein Haufen von Sternen sei."

"Im Gegensatz zur Erklärung behält die Beschreibung ihren Wert überall dort, wo das zu beschreibende Material eine vollständige Vereinfachung seiner Mannigfaltigkeit ohne Gesetzesbegriffe gestattet, denn für ein solches Material kann die Beschreibung etwas leisten, das der Erklärung durch Gesetzesbegriffe durchaus entspricht und deshalb können die dabei verwendeten Begriffe, wenn sie nur ihren Zweck erfüllen, auch nicht mehr als rein willkürlich angesehen werden. Ganz ist die Willkür ohne Anwendung von Gesetzesbegriffen allerdings nie zu vermeiden, aber sie liegt bei den deskriptiven Wissenschaften doch nur darin, daß die bloße Klassifikation einer Mannigfaltigkeit starrer Formen als wissenschaftliches Ziel betrachtet wird, d. h. sie liegt nur in der Zwecksetzung und nicht in der Begriffsbildung selbst."

"In der Naturwissenschaft wandeln wir schon durch das Feststellen von Tatsachen die Wirklichkeit um. Es ergibt sich daraus, wie wenig mit der heute so beliebten Behauptung gesagt ist, die Naturwissenschaft habe es überhaupt nur mit Tatsachen zu tun. Die Logik muß sich gegenüber solchen Schlagworten der wissenschaftlichen Mode immer ganz besonders mißtrauisch verhalten. Je öfter sie gebraucht werden, umso weniger haben sie meist zu bedeuten. Ebenso wie das Wort Beschreibung wird besonders das Wort Tatsache nicht selten dazu benutzt, Probleme zu verdecken und zu ignorieren, anstatt zur Aufhellung der wissenschaftlichen Methode zu dienen."

"Versteht man unter einer Tatsache einen einzelnen wirklich anschaulichen Vorgang in der Welt, so kann man sagen, daß für Tatsachen, so wie sie sind, in den Begriffen der Naturwissenschaft gar kein Platz ist. Verlangt man, daß eine naturwissenschaftliche Beschreibung von Tatsachen alles das geben soll, was wir sehen, hören usw., so wird man sagen müssen, daß wir mit naturwissenschaftlichen Begriffen Tatsachen gar nicht beschreiben können. Man darf nicht meinen, daß man in iner naturwissenschaftlichen Untersuchung imstande sei, statt mit abstrakten Begriffen mit Tatsachen zu arbeiten, die etwas von den Abstraktionen prinzipiell Verschiedenes wären. Ja, sogar der Satz, daß die Untersuchung statt mit Abstraktionen mit dem unmittelbar Vorgefunden anfangen solle, verlangt streng genommen etwas Unmögliches."

Erstes Kapitel
Die begriffliche Erkenntnis der Körperwelt

VI.
Beschreibung und Erklärung

Das Ergebnis der bisherigen Untersuchung können wir so zusammenfassen. Wir haben den naturwissenschaftlichen Begriff als das Mittel betrachtet, mit dem der endliche Geist die unendliche Mannigfaltigkeit der Körperwelt zu überwinden und damit die Wirklichkeit in seine Urteile aufzunehmen vermag. Nicht in der Allgemeinheit, nicht in der Bestimmtheit, auch nicht in der Geltung, sondern in seiner Aufgabe, die Welt zu vereinfachen und übersehbar zu machen, sehen wir also das eigentliche logische "Wesen" des naturwissenschaftlichen Begriffes. Allgemeinheit, Bestimmtheit und Geltung sind erst als notwendige Mittel zur Erreichung dieses ursprünglichen Zweckes zu verstehen.

Drei verschiedene Stadien konnten wir unterscheiden, in denen die Begriffe in immer höherem Maße ihrer Aufgabe gerecht werden. Das erste Stadium des Begriffes fällt, als psychologisches Gebilde betrachtet, vollkommen mit der im natürlichen Verlauf unseres Geisteslebens entstandenen Wortbedeutung zusammen. Was an dieser Wortbedeutung für uns in Frage kommt, ist ihre (empirische) Allgemeinheit, d. h. der Umstand, daß sie eine Vorstellung von dem in verschiedenen Gestaltungen Gemeinsamen ist. Einen logischen Wert aber und damit ein Recht auf den Namen "Begriff" erhält sie erst durch den wissenschaftlichen Zusammenhang, in den sie gebracht wird und den wissenschaftlichen Zweck, den sie erfüllt.

Wir sahen sodann, daß die Wortbedeutung, so wie sie im natürlichen Verlauf des Denkens entstanden ist, nur in wenigen Fällen den logischen Zweck des Begriffs vollkommen erfüllen kann. Da ihr Inhalt beim Versuch, ihn ausdrücklich zu vergegenwärtigen, stets eine anschauliche Mannigfaltigkeit ist und aus dieser das Gemeinsame nicht mit der nötigen Bestimmtheit hervortritt, wir also nicht genau wissen, was wir aus der unendlichen Fülle in unsere Erkenntnis aufzunehmen haben, so muß das Bedürfnis entstehen, auch diese anschauliche Mannigfaltigkeit zu vereinfachen, d. h. aus ihr die wesentlichen Bestandteile ausdrücklich hervorzuheben. Die so geforderte Bestimmtheit, die neben die empirische Allgemeinheit als zweite Eigenschaft des naturwissenschaftlichen Begriffes hinzutritt, kann nur durch eine Anzahl von Aussagen gewonnen werden. Es entsteht dadurch der Begriff, wie ihn die traditionelle Logik als einen Komplex von Merkmalen kennt, eine Gebilde, das sich psychologisch zwar von der natürlichen Wortbedeutung unterscheidet, das aber unter logischen Gesichtspunkten, d. h. auf seine Bedeutung hin angesehen, die es für den Zweck der Wissenschaft hat, nur eine höhere Stufe der ersten Leistung des Begriffes darstellt. Können wir nämlich mit den logisch unbearbeiteten Wortbedeutungen nur die Glieder einer Mannigfaltigkeit eindeutig zusammenfassen und vereinfachen, die untereinander eine weitgehende anschauliche Ähnlichkeit besitzen, so gestatten die Begriffe in diesem zweiten Stadium eine Ordnung und Vereinfachung, d. h. eine sogenannte Klassifikation jeder übersehbaren anschaulichen Mannigfaltigkeit.

Das dritte Stadium des Begriffs endlich ermöglicht einen Abschluß der in den beiden ersten begonnenen Arbeit der Vereinfachung. Die Naturwissenschaft stellt nicht nur Merkmale nebeneinander, um dadurch den Inhalt des Begriffs bestimmt zu machen, sondern sie faßt eine Anzahl zusammengehöriger Elemente zusammen und bahnt damit eine Art der Begriffsbildung an, die schließlich zu Begriffen zu führen vermag, welche unbedingt allgemeine Urteile oder Naturgesetze enthalten. Dadurch wird es möglich, nicht nur eine übersehbare Mannigfaltigkeit zu vereinfachen, sondern eine Ordnung und Vereinfachung der Welt zu schaffen, welche die unendliche Fülle der Gestaltungen umfaßt und damit die Überwindung der anschaulichen Mannigfaltigkeit vollendet. Der vollkommene Begriff muß nicht nur das einer übersehbaren Anzahl von Anschauungen Gemeinsame und dieses Gemeinsame bestimmt enthalten, sondern er muß außerdem auch unbedingt allgemeine Geltung besitzen. Diese Geltung ist aber immer die Geltung eines Urteils. Auch in den Begriffen von Dingen kommt für die Naturwissenschaft schließlich nur die Geltung der das Ding betreffenden Urteile in Frage.

Wiederholt haben wir hervorgehoben, daß es uns in diesen Untersuchungen über die begriffliche Erkenntnis der Körperwelt nur darauf ankommt, die Methode der Naturwissenschaft in Rücksicht auf ihre letzten Ziele zu verstehen. Da wir uns auf die Begriffsbildung beschränkt, also nur eine Seite dieser Methode in Betracht gezogen haben, so mußte und durfte unsere Darstellung einseitig werden. Es versteht sich von selbst, daß nicht jede naturwissenschaftliche Untersuchung von vornherein ausschließlich die Tendenz hat, von der Mannigfaltigkeit der Gestaltungen möglichst schnell zur Auffassung der allgemeinsten Begriffe überzugehen. Gewiß sucht die Naturwissenschaft auch der Mannigfaltigkeit der einzelnen Dinge gerecht zu werden, ja fast überall ist die genaue Beobachtung und Analyse des Einzelnen für die Ausbildung der allgemeinen Theorien die unentbehrliche Grundlage. Nur das meinen wir, daß diese Prozesse in der Naturwissenschaft niemals Selbstzweck sondern immer nur Mittel zur Bildung allgemeiner Begriffe sind und jedenfalls brauchen wir hier nicht näher auf sie einzugehen, wo wir unsere Untersuchung nur auf die Begriffsbildung und die letzten Ziele der Naturwissenschaft richten.

Doch könnte man meinen, daß, abgesehen von dieser beabsichtigten und berechtigten Einseitigkeit, unsere Darstellung auch in Bezug auf die Begriffsbildung selbst und die Ziele der Naturwissenschaft einseitig geblieben sei. Wir haben nämlich bisher eine Unterscheidung nur flüchtig gestreift, die nicht selten in logischen Untersuchungen eine wichtige Rolle spielt, die Unterscheidung von Naturbeschreibung und Naturerklärung. Vielleicht wird man daher gegen unsere Ausführungen den Vorwurf erheben, daß sie nur die Begriffe der Naturwissenschaften im Auge gehabt haben, die erklären wollen, die Begriffsbildung bei der Beschreibung der Dinge dagegen vernachlässigt hätten. Auch die Beschreibung sei doch Naturwissenschaft, habe aber andere Ziele und Zwecke als die Erklärung und dementsprechend seien auch ihre Begriffe gesondert zu betrachten. Es gehe nicht an, die Beschreibung, wie wir es getan haben, nur als Vorarbeit der Erklärung zu behandeln. Ja, ein noch viel weiter gehender Einwand ist möglich. Hat man doch behauptet, daß alle Naturwissenschaft auf Beschreibung der Wirklichkeit beschränkt sei und daß die Naturwissenschaft gar nicht erklären könne. Stellen diese Behauptungen, von denen die letztere vielfach mit großem Nachdruck als eine ganz besondere Entdeckung vertreten wird, unsere Resultate nicht wieder in Frage?

Wir meinen allerdings, daß eine prinzipielle Unterscheidung zwischen Beschreibung und Erklärung, wenn es sich um die Begriffsbildung und um die letzten Ziele der Naturwissenschaft handelt, nicht gemacht werden darf. Ja, in gewisser Hinsicht ist das der Hauptzweck dieser Untersuchungen gewesen, zu zeigen, daß alle Bestrebungen der Naturwissenschaft auf ein Ziel gerichtet sind, für welches das Wort "Beschreibung" ein wenig glücklich gewählter Name ist. Die Behauptung vollends, daß alle Naturwissenschaft Beschreibung sei und niemals etwas anderes werden könne, scheint uns gänzlich unhaltbar. Wir glauben also nicht, daß ein Hinweis auf den Unterschie von Beschreibung und Erklärung eine wesentliche Bedeutung für unsere Theorie besitzt.

Doch kann andererseits auch nicht in Abrede gestellt werden, daß nicht ohne weiteres alle Naturwissenschaft als Erklärung anzusehen ist und daß daher der Unterscheidung von Beschreibung und Erklärung in gewisser Hinsicht tatsächlich ein Unterschied zweier verschiedener Arten von Naturwissenschaft entspricht. Weil nun auf diese Unterscheidung vielfach ein besonderer Wert gelegt wird, so ist es vielleicht gut, wenn wir uns mit den beiden Behauptungen, daß entweder alle Naturwissenschaft nur Beschreibung sei oder daß die Beschreibung wenigstens von der Erklärung getrennt werden müsse, soweit ausdrücklich auseinandersetzen, als dabei die Bildung der Begriffe in Frage kommt. Prinzipiell Neues haben wir darüber allerdings nicht mehr zu sagen. Das Folgende ist hauptsächlich als eine zusammenfassende Übersicht dieses Kapitels und als Entwicklung einiger Konsequenzen mit Rücksicht auf das Verhältnis von Beschreibung und Erklärung anzusehen, wobei wir die wesentlichen Resultate unserer Untersuchung über die begriffliche Erkenntnis der Körperwelt uns in einer Form zu vergegenwärtigen suchen, in der wir sie auch in unseren weiteren Ausführungen brauchen werden.

Da Beschreibung und Erklärung hier in einen Gegensatz zueinander gebracht werden sollen, so wollen wir zuerst kurz angeben, was nach unserer Theorie unter einer naturwissenschaftlichen Erklärung zu verstehen ist. Dann wird es am leichtesten möglich sein, den Begriff der naturwissenschaftlichen Beschreibung in seinem Verhältis zu dem der Erklärung festzustellen.

Etwas erklären kann natürlich für uns nichts anderes heißen, als es im angegebenen Sinn begreifen und zwar entspricht es wohl auch dem Sprachgebrauch, wenn wir jedes Begreifen ein Erklären im weitesten Sinne nennen. Bisweilen geben wir uns schon mit einer Erklärung zufrieden, die ein Ding mit einem uns bekannten Namen bezeichnet, also nichts tut, als daß sie es einer allgemeinen Wortbedeutung unterordnet. So ist die Milchstraße am Himmel "erklärt", wenn uns gesagt wird, daß sie ein Haufen von "Sternen" sei. Die Erklärung befriedigt noch mehr, wenn aus der Mannigfaltigkeit einer Erscheinung, die wir zunächst nur hinnehmen konnten, bestimmte Merkmale ausdrücklich herausgehoben sind und wir zugleich auf andere uns bekannte Erscheinungen hingewiesen werden, bei denen diese Merkmale sich ebenfalls vorfinden. Dann kann man recht eigentlich von einer "Erklärung" in dem Sinne reden, daß in einer unerschöpflichen und unübersehbaren Mannigfaltigkeit die "wesentlichen" Bestandteile übersehbar und klar hervortreten. Es kann also schon jede Unterordnung unter einen Begriff im ersten oder zweiten Stadium zu einer Erklärung werden.

In diesem weitesten Sinne jedoch werden wir hier, wo wir den Begriff der Erklärung in einen Gegensatz zu dem der Beschreibung bringen wollen, das Wort nicht gebrauchen dürfen, da wir eine Erklärung sonst gar nicht von einer naturwissenschaftlichen Beschreibung unterscheiden könnten. Wir haben ja gezeigt, daß überhaupt kein naturwissenschaftliches Denken ohne die Verwendung von Begriffen möglich ist. (1) Wir werden also das Wort "Erklärung" nur für eine besondere Art des Begreifens verwenden und zwar wollen wir sagen, daß eine naturwissenschaftliche Erklärung erst dort vorliegt, wo es gelungen ist, eine Erscheinung unter einen Begriff zu bringen, der sich bereits im dritten Stadium befindet, der also nicht nur eine Wortbedeutung oder ein Komplex von Merkmalen ist, sondern der einen "notwendigen" Zusammenhang, d. h. ein Naturgesetz von unbedingt allgemeiner Geltung zum Ausdruck bringt. Wo das gelungen ist, liegt eine sogenannte "kausale" Erklärung vor, d. h. wir wissen, wenn wir etwas unter einen Gesetzesbegriff gebracht haben, warum es so sein oder sich so verhalten muß. Erklärt ist in diesem Sinn das auffallende Farbenspiel, das entsteht, wenn die Sonne eine Regenwand bescheint, sobald wir den Vorgang de Regenbogens unter die allgemeinen Gesetzesbegriffe der Brechung von Lichtstrahlen unterordnen können. Aus der gegebenen Mannigfaltigkeit sind dann die Elemente herausgehoben, die sich in einem immer und überall vorkommenden Zusammenhang befinden und wir haben also eine Einsicht in die "Notwendigkeit" des Regenbogens beim Bescheinen einer Regenwand durch die Sonne gewonnen.

Eine solche Erklärung ist natürlich um so vollkommener, je umfassender und allgemeiner die verwendeten Gesetzesbegriffe sind. Die "letzten" Gesetze der Natur würden die Fähigkeit haben, alles in diesem Sinn vollkommen zu erklären. Ein Organismus z. B. ist heute noch unerklärt, weil ersich als eine Ausnahme aus der sonst mechanisch gedachten Körperwelt herauszuheben scheint. Seine Erklärung hätten wir, wenn es gelungen wäre, ihn unter die allgemeinsten Begriffe der körperlichen Natur zu bringen. Er wäre dann nur noch ein besonderer Fall des immer und überall vor sich gehenden mechanischen Geschehens und stände in einer Reihe mit allen anderen Teilen der unendlichen extensiven Mannigfaltigkeit. Aus seiner intensiven Mannigfaltigkeit wäre das als sein "Wesen" herausgehoben, was ihn in Zusammenhang mit dem "Wesen" des Weltganzen bringt. Eine andere oder bessere Erklärung, als es die Unterordnung unter die allgemeinsten Gesetzesbegriffe ist, vermag die Naturwissenschaft nicht zu geben. Die Einsicht in die "Notwendigkeit" eines Vorganges kann bei ihr immer nur in der Kenntnis der Gesetze bestehen, die ihn beherrschen. (2)

Was werden wir nun im Gegensatz zu solch einer Erklärung unter einer wissenschaftlichen Beschreibung zu verstehen haben? Ganz im Allgemeinen müssen wir mit diesem Wort jede Art von Darstellung der Wirklichkeit bezeichnen, die ohne die Anwendung von unbedingt allgemeingültigen Urteilen, d. h. Gesetzesbegriffen vorgenommen wird. Die Beschreibung würde, da auch sie ohne Begriffe im weiteren Sinne nicht auskommen kann, dann also Begriffe im ersten oder zweiten Stadium und zwar nur diese, benutzen. In anderer Weise können wir sie von der Erklärung nicht abgrenzen und wir glauben auch, daß dieser Unterschied fast immer gemeint ist, wenn überhaupt die naturwissenschaftliche Beschreibung in einen Gegensatz zur Erklärung gebracht wird. Die Erklärung bedarf immer Begriffe von mehr als empirisch allgemeiner Geltung. Die Beschreibung der Dinge dagegen glaubt, ohne dieses überempirische Element auskommen zu können.

Jedenfalls liegt diese Unterscheidung mehr oder weniger klar, zunächst der Behauptung zugrunde, daß die Naturwissenschaft etwas anderes als Beschreibung zu geben überhaupt nicht imstande sei und auf jede Erklärung, d. h. Einsicht in einen "notwendigen" Zusammenhang verzichten müsse. Die mehr als empirische Geltung der Gesetzesbegriffe ist es, die für gewisse logische Richtungen einen Stein des Anstoßes bildet und die man gerne beseitigen möchte. Deshalb, weil die Beschreibung des überempirischen Elements nicht zu bedürfen scheint, soll sie an die Stelle der Erklärung treten.

Wenn nun aber die Naturwissenschaft auf Beschreibung eingeschränkt und trotzdem von ihre eine Darstellung der Körperwelt in dem Sinne verlangt wird, daß nicht nur vereinzelte, hier und dort vorgefundene Tatsachen, sondern die allen körperlichen Dingen und Vorgängen gemeinsamen Elemente beschrieben werden sollen, so ist nach unseren früheren Ausführungen über die unübersehbare Mannigfaltigkeit leicht einzusehen, daß lediglich durch eine neue Terminologie der eigentliche Kernpunkt des Problems verdeckt wird. Das Problem steckt nämlich in der Ausdehnung der "Beschreibung" auf alle Teile der Körperwelt, d. h. im Begriff einer vollständigen Beschreibung der Natur. Die bloße Vermeidung des Wortes "Erklärung" wird schwerlich an dem Umstand etwas ändern, daß eine "vollständige Beschreibung" der Körperwelt wegen der intensiven und extensiven Unendlichkeit der Dinge ohne Anwendung von mehr als empirische allgemeinen Begriffen als Ziel der Naturwissenschaft logisch unmöglich ist.

Am allerdeutlichsten zeigt sich das, wenn man daran denkt, daß auch der Mechanik nur die Aufgabe einer Beschreibung zugestanden werden soll. Meint man damit, daß die Geltung der mechanischen Sätze eingeschränkt ist auf die Bewegungsvorgänge, die bisher einzeln direkt beobachtet werden konnten? Dann allerdings wären auch die mechanischen Begriffe nur empirisch allgemein und dann hätte es einen Sinn, die Mechanik nur eine Beschreibung zu nennen. Aber so kann es doch niemand im Ernst meinen. (3) Die Mechanik verliert jeden Sinn, wenn ihre Sätze nicht für alle Körper ohne Ausnahme gelten, auch für die, welche niemals direkt beobachtet sind und niemals direkt beobachtet werden können. Wenn ihre Begriffe aber diese Geltung haben sollen, dann müssen sie auch mehr als empirisch allgemein sein. Nimmt man also das Wort "Erklärung" so, wie es in der Naturwissenschaft allein gebraucht werden darf, so hat es gar keinen Sinn, es für die Mechanik und alle die anderen Wissenschaften zu vermeiden; die mit einem Material arbeiten, das in seiner extensiven und intensiven Mannigfaltigkeit niemals auch nur annähernd im Einzelnen vollständig berücksichtigt und daher nur durch Gesetzesbegriffe ohne Willkür in ein unübersehbares Begriffssystem gebracht werden kann.

Mit der Behauptung, daß alle Naturwissenschaft Beschreibung sei, brauchen wir uns daher nicht weiter zu beschäftigen. Es handelt sich dabei lediglich um einen Wortstreit und um den Versuch, eine verwirrende Terminologie einzuführen. Wir wollen vielmehr unter Beschreibung jetzt nur noch die Art wissenschaftlicher Darstellung verstehen, die ohne Anwendung von Gesetzesbegriffen ihr Material zu bearbeiten sucht. Doch hat das Wort "Beschreibung" auch dann noch zwei Bedeutungen, die wir ebenfalls voneinander scheiden müssen. Es gibt nämlich erstens Beschreibung im Sinne der sogenannten "deskriptiven Wissenschaften". Diese sehen in der vollständigen Klassifikation einer gegebenen extensiven Mannigfaltigkeit das Ziel ihrer Begriffsbildung. Sodann gibt es eine Art von Beschreibung, die eine systematische Darstellung begriffliche Gliederung einer extensiven Mannigfaltigkeit überhaupt nicht anstrebt, sondern sich lediglich auf die Beobachtung und Analyse einzelner Vorgänge und ihrer intensiven Mannigfaltigkeit richtet. Sie beschränkt sich darauf, das zu konstatieren, was hier oder dort wirklich existiert und man kann sie auch als das Beschreiben oder Feststellen von Tatsachen bezeichnen. Das Verhältnis beider Arten von Beschreibung zur Erklärung suchen wir, soweit die Begriffsbildung dabei in Frage kommt, darzulegen.

Wir haben früher bemerkt, daß eine bloße Klassifikation in der modernen Naturwissenschaft fast immer nur als eine wissenschaftliche Vorarbeit zu betrachten sein wird. Davon sehen wir hier natürlich ab, denn solange wir daran festhalten, daß das Wissen von unbedingt allgemeinen Urteilen als letztes Ziel aller naturwissenschaftlichen Forschung zugrunde liegt, können sich die Begriffe einer Klassifikation nur graduell von den Gesetzesbegriffen unterscheiden und eine besondere Untersuchung darüber wäre unter dieser Voraussetzung nicht mehr notwendig. Da wir aber hier annehmen wollen, daß die deskriptiven Wissenschaften nur auf eine Klassifikation ihrer Objekte ausgehen und wir sie daher in Rücksicht auf ihre letzten Ziele von den erklärenden Wissenschaften trennen, so müssen wir jetzt fragen, ob sie von diesen dann auch in ihrer logischen Struktur so weit abweichen, daß ihre Begriffe von den bisher betrachteten prinzipiell verschieden sind.

Wir wollen, um diese Frage zu beantworten, die Begriffsbildung der Beschreibung an einigen Beispielen kennen lernen. Zoologie und Botanik können in der Weise betrieben werden, daß sie nur auf eine Klassifikation der vorhandenen Pflanzen und Tiere ausgehen. Selbstverständlich ist zunächst, daß sie auch dann die gesamte Mannigfaltigkeit ihres Materials im Einzelnen ebensowenig wie eine erklärende Naturwissenschaft berücksichtigen können, d. h. ein Beschreibung der Art, daß sie jedes einzelne Tier oder jede einzelne Pflanze darzustellen suchen, ist auch für sie unmöglich. Dennoch ist hier zweifellos eine wenigstens annähernd vollständige begriffliche Bearbeitung der ihnen gegebenen Mannigfaltigkeit ohne unbedingt allgemeine Begriffe erreichbar. Die Gründe dafür müssen wir aus der Natur des Materials verstehen. Dann werden wir eine Einsicht in das Wesen ihrer Begriffsbildung erhalten.

Um zunächst die extensice Mannigfaltigkeit ihrer Objekte in Betracht zu ziehen, so ist die Untersuchung nur auf ein kleines Bruchstück der Körperwelt gerichtet, das räumlich und zeitlich in bestimmten Grenzen liegt. Während die Begriffe der Optik für das Licht jedes beliebigen Weltkörpers ebenso gültig sein müssen, wie für das der neben uns stehenden Lampe, so hat es die deskriptive Zoologie oder Botanik nur mit den Tieren oder Pflanzen zu tun. Was aber als Tier oder als Pflanze zu betrachten ist, darf ferner von vornherein, wenigstens bis zu einem gewissen Grad, schon als bekannt vorausgesetzt werden, d. h. nur ganz bestimmte Formen der Körperwelt, die man eben Tiere oder Pflanzen nennt, sind für die deskriptive Wissenschaft von Bedeutung. So ist also ihr Material verhältnismäßig klein. Die Kenntnis bestimmter Formen gestattet die Auswahl der wesentlichen Gebilde aus der Mannigfaltigkeit der Dinge. Das empirische Feststellen aller verschiedenen Formen wird so ein Ziel, dem man sich wenigstens anzunähern vermag. Das ist der wesentliche Punkt: die extensive Mannigfaltigkeit der Dinge ist hier nicht unendlich. Die Gesetzesbegriffe können daher bei ihrer Überwindung entbehrt werden, denn sie waren ja nur für die Vereinfachung einer unendlichen Mannigfaltigket notwendig.

Doch diese Begrenztheit der extensiven Mannigfaltigkeit reicht noch nicht aus, um die Vereinfachung ohne Gesetzesbegriffe zu verstehen. Es bleibt die intensive Mannigfaltigkeit der einzelnen Dinge und diese ist natürlich hier wie überall unübersehbar. Wie ist aus ihr das für die Begriffsbildung Wesentliche herauszuheben und ein Prinzip für die Klassifikation zu gewinnen? Wir müssen hier Folgendes berücksichtigen. An die unendliche Mannigfaltigkeit, welche mit der Veränderung der Dinge zusammenhängt und die wir die zeitliche nennen können, denkt eine deskriptive Naturwissenschaft wenig. Sie kümmert sich nur um die momentan vorhandenen Formen, die ihr als unveränderlich gelten oder deren Veränderungen für sie wenigstens nicht in Betracht kommen. Zwar beachtet sie in gewisser Hinsicht auch den Wechsel der Dinge. So weiß die Botanik wohl, daß ein Kirschbaum ein anderer ist zur Zeit der Blüte, als im Winter, aber es handelt sich hier um Veränderungen, deren verschiedene Stadien sich im Ablauf eines Jahres wiederholen. Meist werden nur wenige Stadien einer Reihe und zwar solche, die immer wiederkehren, aus dem Wandel der Formen herausgegriffen. So bleibt also eigentlich nur noch die intensive Mannigfaltigkeit der räumlichen Gestaltung als unübersehbar übrig. Und auch sie ist hier nicht unüberwindlich. Weil es sich für die deskriptiven Wissenschaften nur um schon vorher bestimmte Formen der Körper handelt, die innerhalb gewisser Grenzen feststehen, so geben diese Formen auch das Mittel, um durch rein empirische Vergleichung der verschiedenen Dinge miteinander aus ihrer intensiven Mannigfaltigkeit das in Rücksicht auf diese Formen Wesentliche wiederum ohne Anwendung von unbedingt allgemeinen Begriffen herauszuheben.

Trotzdem enthält auch das Material der deskriptiven Wissenschaften, besonders in Bezug auf die extensive Mannigfaltigkeit, eine Unübersehbarkeit. Man kann ja nie wissen, ob nicht irgendwo auf der Erde sich noch eine Form findet, die von allen bisher bekannten gänzlich abweicht und doch zu den Tieren oder Pflanzen gezählt werden muß. Da bedarf es dann noch besonderer Mittel, um ein Begriffssystem zu schaffen, das nicht nur alle direkt gegebenen Formen umfaßt, sondern auch die Einordnung aller neu auftauchenden Tiere oder Pflanzen ohne Anwendung von Gesetzesbegriffen ermöglicht. Auch diese Mittel müssen wir ihrem logischen Wesen nach zu verstehen suchen.

Sehen wir uns z. B. daraufhin ein botanisches System an. Da werden Begriffe geschaffen, von denen der eine das kontradiktorische Gegenteil des anderen bildet. Durch solche zweigliedrige Disjunktionen [Unterscheidungen - wp] ist es natürlich leicht möglich, alle denkbaren Pflanzen zu umfassen. Die Pflanzen müssen nach dem Satz vom ausgeschlossenen Dritten alle entweder Blüten tragen oder keine haben, die Blüten tragenden müssen entweder fruchtbildende oder nacktsamige sein usw. usf. Erst dann geht das Begriffssystem in die Brüche, wenn ein Ding auftaucht, von dem sich nicht mehr sagen läßt, ob es überhaupt noch eine Pflanze sei. Interessant ist unter logischen Gesichtspunkten auch der Gedanke, die Anzahl der Staubgefäße aus der Mannigfaltigkeit der Blüten herauszugreifen und dadurch die Pflazen zu klassifizieren. Hier beruth nämlich die Vereinfachung der Mannigfaltigkeit in gewisser Hinsicht auf demselben Prinzip, das wir bei den denkbar vollkommensten Begriffen der erklärenden Wissenschaften vorfanden. Jede Pflanze, die überhaupt Staubgefäße hat, ist in diesem Begriffssystem unterzubringen, da in der bloßen Anzahl niemals etwas prinzipiell Neues und daher auch niemals etwas stecken kann, das geeignet ist, das System umzuwerfen. Auf diese Weise also ist, um das Begriffssystem auf Erscheinungen auszudehnen, die noch nicht direkt beobachtet sind, gewissermaßen ein Surrogat für die dabei sonst unentbehrlichen Gesetzesbegriffe geschaffen.

Diese Bemerkungen über die beschreibenden Naturwissenschaften mögen genügen, um das zu zeigen, worauf es uns ankommt. Wir sehen, daß die Eigenschaften der Begriffe sich auch bei ihnen durchweg daraus verstehen lassen, daß sie Mittel zur Überwindung und Vereinfachung einer extensiven und intensiven Mannigfaltigkeit sind. Die Begriffe müssen also jedenfalls allgemein und bestimmt sein. Was ihnen im Vergleich zu den bisher betrachteten Begriffen allein fehlt, die unbedingt allgemeine Geltung, kann deshalb fehlen, weil sie zur Erreichung des hier angestrebten Zweckes nicht notwendig ist. Das ist der ganze Unterschied. Aber wir können nicht einmal sagen, daß diese Begriffe nun überhaupt keine Geltung besäßen und daher wenigstens in dieser Hinsicht von den Gesetzesbegriffen prinzipiell verschieden seien. Sobald sie nämlich den Zweck erfüllen, zu dem sie gebildet sind, so gelten auch sei. Dieser Zweck aber ist Vereinfachung und darauf kommt für uns alles an, denn wir dürfen nicht vergessen, daß wir auch die unbedingte Geltung der Gesetzesbegriffe nur als Mittel zur Vereinfachung der Mannigfaltigkeit in Betracht gezogen haben. Die Begriffsbildung in den beschreibenden Wissenschaften ist also der in den erklärenden Wissenschaften völlig analog.

Allerdings bleibt ein Unterschied. Die Geltung dieser Begriffe ist anderer Art, denn sie besteht nur so lange, als man nicht daran denkt, daß das "Reich" der Pflanzen oder der Tiere nicht wirklich etwas Starres und in sich Abgeschlossenes bildet, sondern vermutzlich einen Anfang und ein Ende hat und jedenfalls als Glied des Naturganzen zu betrachten ist. Wenn das geschieht, muß jedes Begriffssystem einer lediglich beschreibenden Naturwissenschaft allerdings als willkürlich erscheinen und die Begriffe werden ihre Geltung verlieren. Aber dann existieren ja die deskriptiven Wissenschaften als solche, die andere Ziele als die Erklärung haben, überhaupt nicht mehr, d. h. die Beschreibung geht durch Einführung von Gesetzesbegriffen in eine Erklärung oder in einen Versuch dazu über. Davon müssen wir daher hier absehen. Auch im Gegensatz zur Erklärung behält dann die Beschreibung ihren Wert überall dort, wo das zu beschreibende Material eine vollständige Vereinfachung seiner Mannigfaltigkeit ohne Gesetzesbegriffe gestattet, denn für ein solches Material kann die Beschreibung etwas leisten, das der Erklärung durch Gesetzesbegriffe durchaus entspricht und deshalb können die dabei verwendeten Begriffe, wenn sie nur ihren Zweck erfüllen, auch nicht mehr als rein willkürlich angesehen werden. Ganz ist die Willkür ohne Anwendung von Gesetzesbegriffen allerdings nie zu vermeiden, aber sie liegt bei den deskriptiven Wissenschaften doch nur darin, daß die bloße Klassifikation einer Mannigfaltigkeit starrer Formen als wissenschaftliches Ziel betrachtet wird, d. h. sie liegt nur in der Zwecksetzung und nicht in der Begriffsbildung selbst.

Unter dem Gesichtspunkt, daß ganz im Allgemeinen aus dem Zweck der Vereinfachung das Wesen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung zu verstehen ist, bildet also das Vorhandensein der deskriptiven Wissenschaften jedenfalls keinen Einwand gegen die Richtigkeit unserer Begriffstheorie. Auch ihren Begriffen kommt, wie allen anderen, neben der Allgemeinheit und Bestimmtheit eine gewisse Geltung zu, wenn sie den Zweck der Vereinfachung erfüllen. Sie sind daher von den Gesetzesbegrifen der erklärenden Wissenschaften nicht prinzipiell verschieden und wir hatten keine Veranlassung, sie gesondert zu behandeln.

So bleibt schließlich nur noch die Art von Beschreibung übrig, welche die Resultate der Beobachtung und Analyse einzelner Vorgänge darstellt oder auch, wie man zu sagen pflegt, sich darauf beschränkt, Tatsachen zu konstatieren. Wenn jedoch eine solche Beschreibung im Interesse einer naturwissenschaftlichen Untersuchung vorgenommen wird, so kann sie niemals als ein wissenschaftliches Ziel, sondern immer nur als Vorarbeit entweder für eine erklärende oder eine deskriptive Wissenschaft angesehen werden. Dann aber versteht es sich eigentlich von selbst, daß ihre Begriffe sich von den bisher betrachteten höchstens graduell unterscheiden können. Trotzdem wollen wir, um den Begriff der naturwissenschaftlichen Beschreibung in jeder Hinsicht vollständig zu bestimmen, noch auf einen Punkt, der dabei von Wichtigkeit ist, ausdrücklich hinweisen.

Wir haben früher gesehen, daß ohne Begriffe jede Aufnahme der Wirklichkeit in unseren Geist auf dem Weg des logischen Denkens unmöglich ist. Die dem Begriff eigentümliche Leistung, die Vereinfachung der anschaulichen Mannigfaltigkeit, erweist sich damit als ein jedem wissenschaftlichen Denken wesentliches Moment. Da jedes wissenschaftliche Denken begriffliches Denken ist, so ist es etwas ganz anderes, als ein bloßes Vorstellen der Wirklichkeit. Wenn nun aber auch aus diesem Grund jede Beschreibung zu einer Vereinfachung der Wirklichkeit führt, so kann doch der Versuch gemacht werden, die durch die Wortbedeutungen entstehende Vereinfachung nach Möglichkeit einzuschränken und eventuell wieder ganz aufzuheben. Das ist dadurch möglich, daß die Beschreibung, wie wir ebenfalls schon einmal angedeutet haben, durch eine bestimmte Kombination von allgemeinen Wortbedeutungen dazu auffordert, an die ganze Mannigfaltigkeit einzelner wirklicher Anschauungen zu denken. Wenn dieser Zweck erreicht sein soll, so müssen wir dabei jedoch an unendlich viel mehr denken, als jemals direkt zu beschreiben möglich ist, d. h. unsere Phantasie muß das durch die Beschreibung Gegebene erst ergänzen und mit Anschauung gewissermaßen umkleiden, um zu einer Vorstellung von konkreter Wirklichkeit zu gelangen. Eigentlich kann eine solche Beschreibung nichts anders tun, als die Phantasie in eine bestimmte Richtung hineinbringen und das freie Spiel unserer Vorstellungen in die gewünschten Bahnen leiten.

Selbstverständlich ist eine solche Beschreibung durchaus nicht wertlos, ja vielleicht wird mancher geneigt sein, den Ausdruck "Beschreibung" nur für eine Darstellung dieser Art zu verwenden. Doch muß man sich dann darüber klar werden, daß in dieser Bedeutung der Ausdruck Beschreibung kein naturwissenschaftlicher Terminus sein kann. Zunächst ist ja der Tätigkeit der Phantasie auch durch eine noch so genaue Beschreibung noch immer eine verhältnismäßig großer Spielraum frei gelassen und dadurch muß eine Unbestimmtheit herbeigeführt werden. Sodann aber wird durch diese Beschreibung gerade die unendliche Mannigfaltigkeit der Anschauung ins Bewußtsein gebracht, die durch die Begriffsbildung der Naturwissenschaften überwunden werden soll. So eine Beschreibung kann also weder einer erklärenden, noch einer deskriptiven Wissenschaft auch nur als Vorarbeit irgendwelche Dienste leisten. Was sie für die Wissenschaft überhaupt bedeutet, werden wir später sehen. Hier kommt es nur darauf an, sie von der naturwissenschaftlichen Beschreibung zu trennen.

Eine naturwissenschaftliche Beschreibung geht unter allen Umständen darauf aus, die Wirklichkeit zu vereinfachen. Mag sie bei der Beobachtung des Einzelnen auch noch so viel zum ausdrücklichen Bewußtsein bringen, das der praktische Mensch an den Dingen immer übersieht, so kann ihr Bestreben doch nie auf Entwicklung der gesamten anschaulichen Mannigfaltigkeit gerichtet sein, sondern eine unendliche Fülle von Anschauung wird auch bei genauester Beobachtung von ihr als unwesentlich beiseite gelassen. Das ist bei einer Beschreibung, die Vorarbeit zur Erklärung sein soll, selbstverständlich. Aber auch mit der Beschreibung, die aufgrund möglichst genauer Beobachtung nur Material für deskriptive Wissenschaften geben soll, steht es nicht anders. Auch will sie stets nur Merkmale liefern für die verschiedenen Arten und Gattungen der Tier- oder Pflanzenklassen, auch sie hat also stets nur die Bildung von allgemeinen Begriffen zum Ziel. Wenn wir das bisweilen übersehen, so liegt das daran, daß in den deskriptiven Wissenschaften häufig zum rein wissenschaftlichen Interesse an den Formen ein ästhetisches Interesse tritt, das an der anschaulichen Mannigfaltigkeit der Dinge selbst seine Freude hat und daß dann unwillkürlich die naturwissenschaftliche Beschreibung in eine nicht mehr rein wissenschaftliche Schilderung der intensiven Mannigfaltigkeit übergeht. (4) Aber dieser Umstand darf uns ihre logische Struktur nicht verhüllen.

In der Naturwissenschaft wandeln wir demnach auch schon durch das Feststellen von "Tatsachen" die Wirklichkeit um. Es ergibt sich daraus, wie wenig mit der heute so beliebten Behauptung gesagt ist, die Naturwissenschaft habe es überhaupt nur mit Tatsachen zu tun. Die Logik muß sich gegenüber solchen Schlagworten der wissenschaftlichen Mode immer ganz besonders mißtrauisch verhalten. Je öfter sie gebraucht werden, umso weniger haben sie meist zu bedeuten. Ebenso wie das Wort "Beschreibung" wird besonders das Wort Tatsache nicht selten dazu benutzt, Probleme zu verdecken und zu ignorieren, anstatt zur Aufhellung der wissenschaftlichen Methode zu dienen. Schon in einem anderen Zusammenhang habe ich zu zeigen versucht, daß eine "Tatsache", erkenntnistheoretisch betrachtet, durchaus nicht etwas so Einfaches ist, wie man meint. In der Konstatierung einer jeden Tatsache steckt nämlich, weil es sich dabei immer um ein Urteil und deshalb auch um die Anerkennung einer über den individuellen Bewußtseinsinhalt hinausweisenden "Urteilsnotwendigkeit" handelt, ein erkenntnistheoretisches oder wenn man will, ein metaphysisches Problem. (5) Im hier ausgeführten Zusammenhang erscheinen die Tatsachen und ihre Beschreibung noch in einem anderen Sinn problematisch. Versteht man nämlich unter einer Tatsache einen einzelnen wirklich anschaulichen Vorgang in der Welt, so kann man sagen, daß für Tatsachen, so wie sie sind, in den Begriffen der Naturwissenschaft gar kein Platz ist. Verlangt man, daß eine naturwissenschaftliche Beschreibung von Tatsachen alles das geben soll, was wir sehen, hören usw., so wird man sagen müssen, daß wir mit naturwissenschaftlichen Begriffen "Tatsachen" gar nicht beschreiben können. Man darf nicht meinen, daß man in iner naturwissenschaftlichen Untersuchung imstande sei, statt mit abstrakten Begriffen mit Tatsachen zu arbeiten, die etwas von den Abstraktionen prinzipiell Verschiedenes wären. Ja, sogar der Satz, daß die Untersuchung statt mit Abstraktionen mit dem unmittelbar Vorgefunden anfangen solle, verlangt streng genommen etwas Unmögliches. Nur gewisse Arten von Abstraktionen kann man vermeiden wollen, aber mit allgemeinen Begriffen muß man die naturwissenschaftliche Arbeit immer schon beginnen, auch wenn ihr Ziel nur eine Klassifikation einer begrenzten Mannigfaltigkeit ist.

Dazu kommt noch etwas anderes. Wenn die Beschreibung des Einzelnen in der Naturwissenschaft nur als Vorarbeit entweder für eine Erklärung oder für eine Klassifikation zu betrachten ist, so geht auch schon der Begriff im ersten Stadium, d. h. die unwillkürlich entstandene Wortbedeutung, wenn sie logisch verwertet wird, darauf aus, Zusammengehöriges zu umfassen. In seiner primitivsten Form also, als Bestandteil des einfachsten ausdrücklich vollzogenen naturwissenschaftlichen Urteils, das nur eine Tatsache konstatiert, gibt der naturwissenschaftliche Begriff nicht nur die zum Urteilen überhaupt notwendige primitive Klassifikation, sondern er muß, als Vorbereitung zu einer im angegebenen Sinn gültigen Klassifikation, fast immer schon mit Rücksicht auf irgendeine "Theorie" gebildet werden. Dann aber enthält er neben dem ausdrücklichen Urteilsakt, dessen Bestandteil er bildet, auch schon in diesem Stadium ein zweites Urteil, implizit wenigstens und allerdings durchaus nicht immer bemerkt. Man wird daher sagen dürfen, daß auch in den den Begriffen schon der Ansatz zu einem Urteil steckt, in denen es noch nicht einmal zu einer ausdrücklichen prädikativen Zerlegung ihres Inhalts gekommen ist, die also noch nicht einmal die Form eines Urteils gewonnen haben. Dann aber besitzen auch diese Begriffe eine Art von Geltung.

Nicht anders steht es schließlich mit ihrer Bestimmtheit. Auch den unwillkürlich entstandenen Wortbedeutungen muß, wenn sie logisch verwertet werden, schon eine gewisse Bestimmtheit zukommen. Denn wir nennen ja die Wortbedeutungen nur dann Begriffe, wenn eine logische Verwendung möglich ist. Diese Verwendung würde aber in keinem Falle möglich sein, wo die Unbestimmtheit der Wortbedeutungen grenzenlos wäre.

So sehen wir, daß jeder Begriff der Naturwissenschaft im ersten Ansatz schon alles das enthält, was sich in den naturwissenschaftlichen Gesetzesbegriffen erst ausdrücklich entfaltet, d. h. der naturwissenschaftliche Begriff ist stets nicht nur empirisch allgemein, sondern sucht sich auach der Bestimmtheit und Geltung immer wenigstens anzunähern. Da nun ohne Begriffe ein naturwissenschaftliches Denken überhaupt nicht möglich ist, so ist das naturwissenschaftliche Denken niemals auf ein Abbild der Wirklichkeit, sondern immer auf ein Erfassen allgemein gültiger Urteile gerichtet. Das bloße Faktum, so meint man wohl, soll der Begriff vertreten und man stellt dann der Naturwissenschaft die Aufgabe, Fakta zu beschreiben, aber das einzelne Faktum geht als solches, wie wir gesehen haben, auch in die naturwissenschaftlichen Urteile, die "Tatsachen" konstatieren, gar nicht ein. Es gilt vielmehr für die Logik der Naturwissenschaften das Wort: "Das Höchste wäre zu begreifen, daß alles Faktische schon Theorie ist." (6)

Hiermit können wir die Untersuchung über die begriffliche Erkenntnis der Körperwelt abschließen. Was für unsere Zwecke notwendig war, haben wir gezeigt. Wir erinnern uns, in welchem Zusammenhang wir diese Erörterungen angestellt haben. Wir wollen die Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung kennen lernen, um daraus das Wesen der Wissenschaft zu verstehen, die von der Logik unserer Ansicht nach bisher zu wenig berücksichtigt worden sind, d. h. die Einseitigkeit nur selten bewußt ist, so konnten wir ihr auch für den naturwissenschaftlichen Begriff nicht ohne weiteres allgemein anerkannte Sätze entnehmen und mußten daher zunächst einmal das Wesen des naturwissenschaftlichen Begriffes selbst kennen lernen. Wir haben auch in dieser nur vorbereitenden Untersuchung ein näheres Eingehen auf Einzelheiten und eine ausführliche Darstellung nicht gescheut, denn je gründlicher wir das Wesen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung verstehen, um so leichter werden wir ihre Grenzen festzustellen imstande sein.

Es wäre nun möglich, von hier aus sogleich zur Aufzeigung dieser Grenzen überzugehen. Ja, wiederholt haben wir den Punkt, auf den es dabei ankommt, bereits angedeutet. Überall, so konnten wir zeigen, geht die Naturwissenschaft, mag sie die Dinge erklären oder beschreiben wollen, auf das Allgemeine und ihre gesamte Begriffsbildung ist von dieser Tendenz beherrscht. Sobald das Einzelne als solches Gegenstand des wissenschaftlichen Interesses wird, ist mit diesen Begriffen nur wenig anzufangen. Schon in seiner ursprünglichsten Form kommt der naturwissenschaftliche Begriff an die Einzeldinge in ihrer anschaulichen Wirklichkeit nicht heran und je vollkommener er ausgebildet wird, desto weiter entfernt er sich von ihnen, um immer Allgemeineres zu umfassen. Nicht Beschreibung des Einzelnen, sondern Erklärung aus dem Ganzen ist seine eigentliche Aufgabe.
LITERATUR - Heinrich Rickert, Die Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung [Eine Einleitung in die historischen Wissenschaften], Freiburg i. Br./Leipzig 1896
    Anmerkungen
    1) siehe weiter oben
    2) Vielleicht ist allerdings eine Erklärung noch ein einem ganz besonderen Sinn möglich, wenn nämlich die dabei verwendeten Gesetze selbst unmittelbar notwendig erscheinen und man könnte meinen, daß gerade den "letzten" Gesetzen diese Notwendigkeit zukommen müsse. Doch können wir hier von einer solchen Möglichkeit absehen, weil der Gebrauch des Wortes Erklärung jedenfalls nicht auf diese Fälle beschränkt werden dürfte, sondern hier immer nur eine besondere Art der Erklärung durch Gesetzesbegriffe vorläge.
    3) So hat es jedenfalls Kirchhoff nicht gemeint, an den die Versuche, alle Naturwissenschaft auf Beschreibung einzuschränken, meist anknüpfen. Denn er bezeichnet als Aufgabe der Mechanik: "die in der Natur vor sich gehenden Bewegungen vollständig und auf die einfachste Weise zu beschreiben". (Analytische Mechanik, Seite 1) Das logische Problem, das der Begriff der vollständigen Beschreibung enthält, durfte er als Physiker ignorieren. Dem Logiker aber ist es nicht gestattet, sich bei einem solchen Wort zu beruhigen.
    4) Vgl. hierzug die feinen Bemerkungen von Karl Möbius über "Die ästhetische Betrachtung der Tiere". "Wenn Zoologen ihren Schrifen Abbildungen beifügen, gehen sie ... über die Grenzen der begrifflich erkenn- und darstellbaren Gesetze der tierischen Natur hinaus in das Gebiet des ästhetisch anschaulichen Individuellen." (Mathematische und naturwissenschaftliche Mitteilung aus den Sitzungsberichten der königlich preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, 1895, Bd. IX, Seite 458)
    5) Vgl. Rickert, Der Gegenstand der Erkenntnis, Seite 71
    6) Daß dieser Satz bei GOETHE einen anderen Sinn haben soll als hier, wissen wir natürlich wohl. Aber es ist kein Zufall, daß er dem Wortlaut nach auch zum Ausdruck einer Meinung verwendet werden kann, die Goethe, übrigens auch nicht immer ganz gewürdigten Gründen bekämpft hat.