ra-2F. A. LangeHeinrich CohnAlbert SchäffleGustav Cassel    
 
LUJO BRENTANO
Die klassische
Nationalökonomie

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"Am Anfang der geschichtlichen Periode finden wir das Land in Gemeinbesitz der Dorf- oder Markgenossen. Eine jede Markgenossenschaft ist autonom. Eine jede bebaut ihre Feldmark inmitten ihres Gemeindelandes. Eine jede befindet sich in Fehde mit ihren Nachbargenossenschaften. Allein es gibt verschiedene Plätze, - Plätze wahrscheinlich, an denen die Grenzen zusammenstoßen, - die neutral sind. Das sind die Märkte. Hier treffen die Angehörigen der verschiedenen Genossenschaften zusammen zu anderen Zwecken als denen der gegenseitigen Befehdung. Hier findet ein friedlicher Austausch unter den verschiedenen Genossenschaften statt."

"Die alte Handelsmaxime, jede Gelegenheit zum Gewinn rücksichtslos auszunützen, welche zuerst im friedlichen Verkehr mit den Feinden entstanden ist, wird zu einem allgemeiner gültigen Prinzip der Wirtschaftlichkeit erst in dem Maße, in dem die Einzelwirtschaften in die Weltwirtschaft verflochten und statt von lokalen und geschützten Absatzverhältnissen vom Weltmarkt abhängig werden."

Und als nicht minder unzutreffend zeigten sich mir ihre den Grundbesitz betreffenden Lehren.

Es war 1777 als JAMES ANDERSON in seiner Verteidigung der Korngesetze gegen ADAM SMITH den Satz aufstellte, was man Rente nenne, werde durch den Unterschied im Ertrag zweier ungleich fruchtbarer Grundstücke bestimmt, weshalb auch von Grundstücken schlechtester Bodenbeschaffenheit nie eine Rente bezahlt werden könne. ANDERSON, ein sehr scharfsinniger und mitunter geistreicher Schriftsteller, antizipiert hier wie an manchen anderen Stellen, wo er den Boden der Beobachtung verläßt, um zu Deduktionen aus dem wirtschaftlichen Egoismus seine Zuflucht zu nehmen, gewisse Lehren, die mit wunderbarer Zähigkeit mit dem Namen RICARDOs verknüpft werden, obwohl sie sich lange vor RICARDO finden, teilweise sogar von diesem als von anderen entlehnt bezeichnet werden. Allein trotz der Berühmtheit, welche diese Lehre ANDERSONs unter dem Namen RICARDOs erlangt hat, deckte sie sich weder, als sie zuerst aufgestellt wurde, mit den Tatsachen, noch tut sie das heute. Nicht als ob nicht jemand, der in Grund und Boden lediglich eine Kapitalanlage sucht, die Pachtrente oder den Kaufpreis, welche er bezahlt oder fordert, nach dem Ertrag des Grundstücks bemäße. Allein diese Berechnung ist bei Verpächtern und Pächtern und bei Käufern von Grundstücken keineswegs in dem Maße vorherrschend, daß sie ausreichte, die Höhe der gezahlten Renten und Preise zu erklären.

Die Renten, wie sie im 18. Jahrhundert in Schottland bezahlt wurden, beruhten meist auf dem Herkommen und nach MAINE ist das noch heute teilweise der Fall. Diese herkömmlichen Renten aber stammten aus Unfreiheits- und Feudalitätsverhältnissen. Bei ihrer Bemessung war nicht bloß die Verschiedenheit in der natürlichen Fruchtbarkeit oder der Lage der Grundstücke maßgebend gewesen, sondern ebenso, ja meist noch mehr, eine Fülle von subjektiven Beziehungen zwischen dem Grundherrn und dem Unfreien. Die Folge war: wenig fruchtbare Grundstücke konnten größere Renten abwerfen als äußerst fruchtbare; ja es wurden noch Renten für nahezu unfruchtbare Grundstücke bezahlt, wobei nämlich Teile dessen, was anderwärts den Arbeitern als Arbeitslohn blieb, abgeführt wurden. Nach den Voraussetzungen der klassischen Ökonomie war das freilich unmöglich. Daher war sie auch ganz hilflos gegenüber solchen Erscheinungen; und es ist wahrhaft komisch zu sehen, wie sie sich windet und dreht, um die Tatsache, daß auch die unfruchtbarsten Grundstücke Renten abwerfen, mit ihrer Lehre in Einklang zu bringen. Hätte sie, statt von ihren abstrakten Menschen auszugehen, vorurteilslos in das wirkliche Leben hineingesehen, so wäre die Erklärung so einfach gewesen.

Und auch da, wo die letzten Spuren vergangener Unfreiheits- und Feudalitätsverhältnisse längst verschwunden sind und die Menschen dem Boden gegenüberstehen mit dem Streben, die ihnen verfügbaren wirtschaftlichen Kräfte rücksichtslos auszunutzen, decken sich ihre Deduktionen nicht mit dem wirklichen Leben.

Es gilt dies sowohl hinsichtlich der Pachtschillinge als auch der Kaufpreise der Grundstücke.

So berichtet eine ausgezeichnete Erhebung über die Lage der Landwirtschaft im Großherzogtum Baden von Pachtrenten, welche bei der Verpachtung im Kleinen bezahlt werden und, vom Standpunkt der Kapitalien betrachtet, außer allem Verhältnis zum Bodenertrag stehen. Die Pächter suchen nämlich beim Pachten nicht eine rentierende Kapitalanlage, sondern lediglich die Verwertung ihrer während eines Teils des Jahres unfreiwillig feiernden Arbeitskraft. Da sie im Pachtschilling einen Teil des so verdienten Arbeitslohns dem Verpächter überlassen, ist das, was ihnen bleibt, freilich nur gering. Aber immerhin können sie damit besser als ohne leben und sie erlangen damit die selbständige und unabhängige Existenz, nach der sie begehren.

Und bekanntlich beherrscht diese Erwägung noch weit mehr den Ankauf von Grundstücken durch kleine Leute. Es ist eine alte Beobachtung, daß in den Ländern mit kleinbäuerlichem Grundbesitz die Bodenpreise regelmäßig zu hoch sind, auch wenn man den Bodenertrag mit einem sehr niedrigen Zinsfuß kapitalisiert; so in der Schweiz, im Elsaß, am Rhein. In Baden übersteigen die Bodenpreise mitunter um 50 Prozent den Kapitalwert des Bodenertrags und zwar finden sich die verhältnismäßig höchsten Preise häufig gerade an Orten mit minder gutem Boden und ungünstigen Vegetationsverhältnisse, denn die zur Ernährung einer Familie nötige Fläche muß hier einen erheblichen Umfang haben, während die Gemarkungen klein sind. Ja im Lande des Großgrundbesitzes, in Norddeutschland, konnte man neuerdings die Beobachtung machen, wie angesichts der schlechten landwirtschaftlichen Konjunktur Rittergüter und größere Bauerngüter bei Subhastationen [Versteigerungen - wp] nur sinkende Preise erzielten, während gleichzeitig für kleine Bauerngüter und einzelne Grundstücke steigende Preise bezahlt wurden. Der Großgrundbesitzer, der Arbeitslohn zahlen muß, kann eben nur Preise entsprechend dem reinen Bodenertrag bezahlen; dagegen war in den von den kleinen Leuten gezahlten Preise ein Teil des auf dem Grundstück zu verdienenden Arbeitslohns kapitalisiert. Sie bezahlen diese Preise, weil sie die Landwirtschaft nicht als ein Gewerbe betrachten, sondern nur als eine Ernährungsgelegenheit und zwar als eine solche, welche ihnen Selbständigkeit und Unabhängigkeit verleiht. Nun kennt die klassische Nationalökonomie zwar ein Streben nach großem, nicht aber nach unabhängigem Einkommen und außerdem ist ihr abstrakter, nach dem größtmöglichen Gewinn strebender Mensch ein Kapitalist und kein Bauer. Wie sollten ihre Deduktionen da zutreffen, wo sowohl die Beweggründe des Handelns als auch die Verhältnisse, unter denen und für welche gehandelt wird, ihr gleich fremdartig sind!

Leider hat das Unglück gewollt, daß auch hier die Mängel der Theorie nicht ohne schlimme praktische Folgen geblieben sind. Die Preise, welche so von sehr verschiedenartigen Beweggründen beeinflußt zustande kommen, werden häufig nach den Lehren der klassischen Nationalökonomie als dem reinen Bodenertrag entsprechend behandelt. Sie werden z. B. bei Kreditgewährungen, bei Erbteilungen zugrunde gelegt, als ob sie auch nicht  ein  Teilchen kapitalisierten Arbeitslohnes enthielten, und es sind ganz unerträgliche Verschuldungsverhältnisse daraus hervorgegangen. Erst neuerdings hat hier die realistische Betrachtungsweise einen Umschwung angebahnt. Eine Reihe von Gesetzgebungen hat sich vom Bann der abstrakten Theorie losgemacht, die tatsächlich bestehen Verschiedenheit von Ertragswert und Kaufswert anerkannt und wenigstens für Erbteilungen die Veranschlagung nach dem Ertrag statt nach den Kaufpreisen angeordnet.

Angesichts dieser so wenig erfreulichen Ergebnisse auf den wichtigen Gebieten, die hier berührt wurden, muß es aber sonderbar anmuten, wenn JOHN STUART MILL und andere nach ihm die klassische Nationalökonomie damit zu rechtfertigen suchen, daß ihre Deduktionen, wenn auch nicht zu Sätzen, die mit der Wirklichkeit übereinstimmten, so doch zu hypothetisch richtigen Lehrsätzen führten.

Denn die hier beanspruchte Anwendung von Hypothesen ist von der üblichen sehr weit verschieden.

Gewiß kann es niemand geben, der sich nicht freuen würde, wenn jemand auch unter Annahme von Bedingungen, wie sie der Wirklichkeit nicht entsprechen, zu Ergebnissen kommt, welche das wirkliche Leben erklären. Sobald nur die Wahrheit erkannt wird, ist der Weg gleichgültig, auf dem man zu ihr gelangt; und wer bewundert nicht die Untersuchungen, mittels derer uns THÜNEN die Kenntnis des Standorts der verschiedenen Landwirtschaftssysteme gebracht hat! Anders sieht es aus, wenn nicht nur die Voraussetzungen willkürliche sind, sondern auch das Ergebnis nicht zur Erklärung der Wirklichkeit führt oder gar, wenn die Voraussetzung von der treibenden Kraft mit der Wirklichkeit annähernd übereinstimmt und trotz aller Folgerichtigkeit der Deduktion das Ergebnis mit dem Leben im Widerspruch steht. Das nämlich ist bezüglich der vorhin berührten Lehren vom Arbeitslohn und von der Grundrente der Fall. Sie decken sich nicht bloß da nicht mit dem Leben, wo Arbeiter und Bauern und Pächter außer vom wirtschaftlichen Egoismus auch von anderen Beweggründen geleitet werden; auch unter Verhältnissen, in denen das rücksichtslose Selbstinteresse die bestimmende Triebkraft ist, sind sie falsch und zwar deshalb, weil sich der wirtschaftliche Egoismus nicht unter allen Verhältnissen gleichmäßig äußert, die Verhältnisse, die ihn beeinflussen, aber so mannigfaltig und kompliziert sind, daß weder sie und noch weniger ihre Wirkungen sich vorhersehen lassen. Hat doch aus demselben Grund, - um noch auf etwas von allgemeinerer Bedeutung zu verweisen, - die klassische Nationalökonomie aus dem wirtschaftlichen Egoismus nur die Konkurrenz abgeleitet, nicht aber  a priori  erkannt, daß so oft eine Unfähigkeit, das Angebot vom Markt zurückzuziehen, den Vereinzelten die Möglichkeit nimmt, den Preis der Ware auf der Höhe der Kosten zu halten und darüber zu steigern, das Selbstinteresse statt zur Konkurrenz zur Vereinigung führt, zu Fusionen, Kartellen und Koalitionen.

Dazu kommt ferner, daß beim Verlangen, die klassische Nationalökonomie wenigstens als eine hypothetisch richtige Lehre gelten zu lassen, für ihre Hypothese nicht etwa die Berechtigung als Untersuchungsmethode, sondern für ein Lehrgebäude in Anspruch genommen wird, - etwas, wofür in anderen wissenschaftlichen Disziplinen nur die Lehre von der vierten Dimension ein Analogon bietet.

Endlich aber, selbst angenommen man könnte dieses Lehrgebäude als hypothetisch richtig anerkennen, würde es angehen, sich bei einem aus einer einzigen Triebfeder des Handelns abgeleiteten volkswirtschaftlichen Systeme zu beruhigen, wenn nicht gleichzeitig gelehrt würde, welche Beweggründe daneben tätig sind und in welcher Weise sie die Wirkungen jener Triebfeder beeinflussen? Das Letztere hat aber die klassische Nationalökonomie nicht einmal versucht. Die Folge war, daß der nach ihren Lehren ausgebildete junge Mann im Leben alsbald verwaltete und wirkte, als ob seine hypothetisch richtigen Sätze der Wirklichkeit allenthalben und vollständig entsprächen. Die Nachteile, welche das brachte, wurden vorhin hervorgehoben.

Aus diesen Mißerfolgen der klassischen Nationalökonomie ergab sich für mich eine doppelte Aufgabe.

Zunächst glaubte ich feststellen zu müssen, unter welchen Verhältnissen das Streben nach dem größtmöglichen Gewinn das wirtschaftliche Leben durchschlagend beherrscht und unter welchen Bedingungen andere Faktoren bestimmend wirken.

Hierbei gaben mir für die ältere Zeit die Untersuchungen der deutschen Rechts- und Wirtschaftshistoriker sowie der Engländer LUBBOCK und MAINE wichtige Fingerzeige.

Danach finden wir am Anfang der geschichtlichen Periode das Land in Gemeinbesitz der Dorf- oder Markgenossen. Eine jede Markgenossenschaft ist autonom. Eine jede bebaut ihre Feldmark inmitten ihres Gemeindelandes. Eine jede befindet sich in Fehde mit ihren Nachbargenossenschaften.

Allein es gibt verschiedene Plätze, - Plätze wahrscheinlich, an denen die Grenzen zusammenstoßen, - die neutral sind.

Das sind die Märkte. Hier treffen die Angehörigen der verschiedenen Genossenschaften zusammen zu anderen Zwecken als denen der gegenseitigen Befehdung. Hier findet ein friedlicher Austausch unter den verschiedenen Genossenschaften statt.

Dieser Markt war durch besondere Heiligtümer geschützt, auch der neutrale Punkt, an dem sich die Mitglieder der verschiedenen Dorfgenossenschaften in Sicherheit begegnen konnten, so fand der Austausch unter ihnen doch unter ganz anderen Bedingungen statt wie der unter den Genossen desselben Dorfes. Beim Austausch unter Dorfgenossen war der Preis durch Autorität und Herkommen bestimmt; unter Mitgliedern der verschiedenen Dorfgenossenschaften wurde gehandelt lediglich mit Rücksicht auf den größtmöglichen Gewinn. Der Fremde blieb, auch wo man ihm nicht mit dem Speer entgegentrat, immer der Feind, den es sogar löblich erschien eventuell zu übervorteilen. Hier entstand die Vorstellung vom Recht eines jeden, den bestmöglichen Preis zu erzielen. Sie ist die Maxime für den Handel mit Fremden, d. h. mit Feinden, im Gegensatz zum Verkehr mit Dorfgenossen. Von jenen neutralen Märkten aus verbreitete sie sich über die Welt. Allein in einem konservativen Land, in Indien, hat sich der Unterschied zwischen dem Handel unter Dorfgenossen und dem mit Fremden noch heute in voller Schroffheit erhalten. Für den ersteren bestimmt noch heute ausschließlich das Herkommen den Preis; für eine Ware des inneren Dorfverkehrs mehr als das Übliche zu verlangen gilt als die größte Ungerechtigkeit, während für eine Ware, welche durch fremde Händler geboten wird, ohne weiteres jeder Preis, wie er sich aus der Konkurrenz ergibt, bezahlt wird.

Allmählich drang die Maxime für den Handel unter Fremden auch in die natürlichen Gruppen der Menschen, die Dorfgenossenschaften und ähnliche Verbände ein. Sie erlangte jedoch nie völlig die Oberhand, solange als das Band, das die Menschen vereint, der Familien- oder Geschlechtsverband und das Herrschafts- und Abhängigkeitsverhältnis zwischen Herrn und Arbeiter gilt. Sie siegt erst in dem Maße, in dem jene ursprüngliche Gemeinschaft zerfällt, in dem an die Stelle dieses Herrschafts- und Abhängigkeitsverhältnisses das Verhältnis zweier rechtlich gleichstehender Kontrahenten tritt, in dem anstelle jener natürlichen und historischen Bande die Arbeitsteilung und der Tausch das Mittel werden, welches die Individuen zusammenhält. Und zwar sind es der auswärtige Handel und der ihn beseelende Geist, von denen die Unterwerfung auch der übrigen Wirtschaftsgebiete unter die Handelsmaxime ausgeht.

In den historisch feststellbaren Anfängen der Kultur der verschiedenen Völker findet sich beim Verkehr mit Grundstücken vom Streben nach dem größtmöglichen Preis keine Spur. Den Fremden war die Erwerbung von Grundstücken allenthalben versagt und unter den Einheimischen dürften Kauf und Verkauf von Ländereien in alten Zeiten äußerst selten gewesen sein. Renten ferner wurden wesentlich nur von unfreien Personen bezahlt und überall wares es subjektive Beziehungen, welche ihre Höhe bestimmten. Wo uns aber freie Rentenzahler, wie in den alten irischen Gesetzen begegnen, stoßen wir sofort auf den charakteristischen Unterschied zwischen  rack-rent,  d. h. Rente entsprechend dem größtmöglichen Ertrag, erhoben von den Angehörigen eines fremden Stammes und billiger Rente, erhoben von einem Stammesgenossen.

Dieselbe Unterscheidung tritt uns ferner in der bekannten mosaischen Vorschrift über das Darlehen entgegen: "Du sollst an deinem Bruder nicht wuchern, weder mit Geld, noch mit Speise, noch mit allem, damit man wuchern kann. An dem Fremden magst du wuchern, aber nicht an deinem Bruder." Und auch das Mittelalter, dessen Gesetzgebung die mosaischen Zinsverbote für die Christen aller Völker zur Geltung brachte, behielt diese Unterscheidung bei, indem das Zinsnehmen den Juden gestattet und bei den Kaufleuten geduldet war.

Dagegen finden wir den Verkauf gewerblicher Produkte in den mittelalterlichen Städten völlig durch das Herkommen geregelt. Ein jeder Gewerbetreibender ist auf sein Gewerbe beschränkt, während Preis- und Lohntaxen dem Streben nach größtmöglichem Gewinn sowohl auf Seiten des Käufers wie des Verkäufers in einer Weise Schranken ziehen, welche den Interessen beider gerecht zu werden bemüht ist. Und das gilt auch für die Waren, die zur Ausfuhr in die Fremde bestimmt sind. Denn der Absatz dieser Waren ging meist in Länder, welche dieselben nicht selbst herzustellen verstanden; sodann waren die Grundlage ihres Absatzes nach diesen Ländern die mehr oder minder exklusiven Privilegien, welche geldbedürftige Fürsten den Kaufleuten gegen große Abgaben verliehen; endlich waren die Verkehrsmittel der Art, daß sie die Konkurrenz in keiner Weise erleichterten. Die Kaufleute, die ins Ausland verkauften, waren also imstande, dort Monopolpreise zu verlangen und diese betrugen so unverhältnismäßig viel mehr als die Herstellungskosten, daß es auf einen etwas größeren oder geringeren Betrag derselben nicht ankam. Es kam viel mehr auf die Güte der Waren an als auf ihren Preis und bei guter Ware konnte der Kaufmann eines Preises sicher sein, der den heimischen Gewerbetreibenden ein behäbiges Einkommen gestattete.

All das wird anders in dem Maße, in dem die allmähliche Entwicklung der wirtschaftlichen Zustände das Merkantilsystem in der Politik der Staaten zur Herrschaft bringt.

Nun werden alle den fremden Händlern erteilten Privilegien beseitigt; nur in den seltensten Fällen gelingt es einem mächtigen Staat seinen Kaufleuten des weiteren solche Privilegien im Ausland zu sichern.

Nunmehr wird es das erste Streben, alle Industriezweige im Inland großzuziehen und deren Produkte ins Ausland auszuführen. Allein da die schützenden Verkaufsmonopole fehlen, ist das nur möglich bei großer Billigkeit der Produkte. Dabei führen gleichzeitig bedeutende Fortschritte in den Verkehrsmitteln, besonders zur See, zu einer großen Steigerung der Konkurrenz auf den internationalen Märkten. Das Streben, mit dem geringst möglichen Aufwand möglichst viel zu erwerben, das von jeher das Prinzip des Handels war, wird somit zur äußersten Spannung gebracht un in dem Maße, in dem mit der Entwicklung des Weltverkehrs eine jedwede Wirtschaft in größere oder geringere Abhängigkeit vom Handel einbezogen wird, fängt es an, sich in allen Arten von Wirtschaften geltend zu machen.

Im Handel selbst zeigte sich die schärfere Nötigung, jede Gelegenheit zum Gewinn bestmöglich auszubeuten, naturgemäß am frühesten. Hier waren die Versuche, den Einzelnen auf den Handel mit bestimmten Waren rechtlich einzuschränken, niemals ertragen worden. Tatsächlich freilich war es auch bei den Kaufleuten üblich, beim einmal ergriffenen Geschäftszweig zu bleiben. Wie dagegen gerichteten Ausführungen DEFOEs zeigen, war es erst das Merkantilsystem, welches den englischen Kaufmann nötigte, der Spekulant zu werden, der mit wechselnder Konjunktur von einem Geschäftszweig zum anderen übergeht, als den die klassische Nationalökonomie bald darauf jedweden Arbeiter ansah.

Aber weit größere Veränderungen hatte der Umschwung der Verhältnisse im Gewerbebetrieb zur Folge. Hatte man früher beim Verkauf jedes einzelnen Stücks großen Gewinn gemacht, aber nur wenige Stücke verkauft, so kam es nun darauf an, bei geringem Verdienst am Stück durch den Verkauf großer Menschen zu gewinnen. Die unvermeidliche Folge war das Streben nach möglichst billigen Produktionskosten und nach Massenproduktion. Das wird die Ursache, warum nunmehr viele Gewerbe aus den Städten aufs Land ziehen, denn in den Städten machen die überlieferte Ordnung des Gewerbebetriebes und die zünftige Regelung der Arbeitsbedingungen sowohl Massenproduktion als auch billige Produktionskosten unmöglich. So ensteht in England bereits zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts im damaligen englischen Hauptgewerbe, der Tuchfabrikation, der hausindustrielle Betrieb. So führt bei weiterer Steigerung der internationalen Konkurrenz das fieberhafte Streben, die Herstellungskosten weiter zu verringern, zur Erfindung jener Maschinen, welche den ganzen Gewerbebetrieb auch technisch revolutionieren. Die Veränderungen in den gewerblichen Absatzverhältnissen und die Verflechtung in die Weltwirtschaft sind es also, welche den Erwerbsbetrieb, wie sie ihn vom zünftigen Gewerbe zur Hausindustrie geführt haben, so von dieser zum Fabrikbetrieb führen und von der herkömmlichen Regelung der Arbeitsbedingungen zur rücksichtslosen Geltendmachung des Selbstinteresses im sogenannten freien Arbeitsvertrag.

Allein den gewaltigsten Umsturz verursacht das Auftauchen des Handelsgeistes in der Landwirtschaft; denn die feudalen Herrschafts- und Abhängigkeitsverhältnisse, die sie bis dahin beherrschten, waren am wenigsten unter allen wirtschaftlichen Beziehungen durch das Streben nach dem größtmöglichen Gewinn, am meisten durch das Herkommen bestimmt. Auch hier wird es mit dem Auftauchen des Merkantilsystems anders, wie sich in England, wo die Quellen besonders reichhaltig fließen, klar konstatieren läßt. Auch hier geht der Umschwung von Kaufleuten aus. Wir hören von Kaufleuten, die Grundeigentum erwerben, teils um Schafe zu züchten und ihre Wolle im hausindustriellen Betrieb auf dem Lande verarbeiten zu lassen, teils zu Spekulationszwecken und dabei die Grundsätze, die ihren Handelsbetrieb bestimmten, auf ihre neue Wirtschaft übertragen. Ganz ebenso verhalten sich die Erwerber des in der Reformation konfiszierten Kloster- und Kirchengutes. Beide Arten von Neuerwerbern kennen keine Rücksicht gegenüber den herkömmlichen Beziehungen zwischen Grundherrn und Bauern. Das Ackerland wird in Weideland verwandelt, die Bauernhöfe werden niedergelegt, die Grundrenten werden erhöht, so weit der Ertrag is irgendwie gestattet, ja bis zur Verkümmerung des Arbeitsverdienstes. Kein Gesetz vermag ihr Vorgehen aufzuhalten. Ja noch mehr! Der neue Geist wirkt ansteckend auf die alten grundbesitzenden Familien. Schon im sechzehnten Jahrhundert beginnen die ehelichen Verbindungen des Adels mit der City, im siebzehnten Jahrhundert wird bereits darüber gejammert, im achtzehnten Jahrhundert wird ganz England vom Handeslgeist überwuchert. Für die Landwirtschaft aber bedeutet diese Entwicklung, daß alle Maßnahmen des Merkantilismus nunmehr auf die Landwirtschaft angewandt werden, um sie aus einem bloßen Nahrungszweig zu einem Gewerbe und zwar zu einer Exportindustrie zu machen. Und während es noch bis in die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts in der Regel als etwas Selbstverständliches gilt, daß die Pachtverträge unter denselben Bedingungen, wie sie seit Generationen bestanden, erneuert werden, beginnen von da ab, die Steigerungen der Renten allgemeiner zu werden.

Daraus wird also klar: die alte Handelsmaxime, jede Gelegenheit zum Gewinn rücksichtslos auszunützen, welche zuerst im friedlichen Verkehr mit den Feinden entstanden ist, wird zu einem allgemeiner gültigen Prinzip der Wirtschaftlichkeit erst in dem Maße, in dem die Einzelwirtschaften in die Weltwirtschaft verflochten und statt von lokalen und geschützten Absatzverhältnissen vom Weltmarkt abhängig werden. Liegt einerseits die Rechtfertigung dieser schärferen Spannung des wirtschaftlichen Egoismus in diesen Verhältnissen, die sie hervorrufen, so erscheint dieselbe damit andererseits doch als etwas durchaus Modernes. Es handelt sich dabei nicht um einen den Menschen gemäß ihrer Natur gleichmäßig innewohnenden Trieb, sondern jenes Streben wird erst durch gewisse historische Entwicklungen ausgebildet (1). Allein auch heute noch ist es nicht das ausnahmslos alle wirtschaftlichen Erscheinungen beherrschende Prinzip. Denn sowohl gibt es heute noch Länder, deren wichtigste Wirtschaften so wenig in den Weltverkehr verflochten sind, daß das Herkommen noch vollständig die volkswirtschaftlichen Verhältnisse zu bestimmen vermag, als auch selbst in den wirtschaftlich entwickelten Ländern noch nicht alle Verhältnisse von jenem rücksichtslosen Erwerbsegoismus durchdrungen. Sehen wir doch selbst auf dem Gebiet des Geldwesens die Preise im Kleinhandel und die Löhne nicht, wie die klassische Nationalökonomie annimmt, entsprechend den Veränderungen des Geldwertes schwanken. Auch in vielen anderen Beziehungen zeigt sich der Kleinhandel noch vom Herkommen beherrscht. Noch weniger rücksichtslos kommt der Erwerbsegoismus in der Regelung der gewerblichen Arbeiterverhältnisse zum Ausdruck. Am wenigsten beherrscht derselbe die Verhältnisse der kleinen Bauern, kleinen Pächter und landwirtschaftlichen Arbeiter. Nur in Amerika scheint, wenn wir den darüber berichtenden Schriftstellern glauben sollen, der abstrakte Mensch der klassischen Nationalökonomie so weit Fleisch geworden zu sein, daß selbst der Arbeiter seinen Beruf mit der wechselnden Konjunktur ändert, wie anderswo der Kapitalist seine Kapitalanlage.

Das hier dargelegte Ergebnis führt aber mit Notwendigkeit zu einer weiteren Aufgabe. Für denjenigen, der dasselbe annimmt, kann es offenbar nur eine Losung geben: die unmittelbare Beobachtung der wirtschaftlichen Erscheinungen. Diese hat nicht nur festzustellen, wie weit sie vom wirtschaftlichen Egoismus oder von anderen Faktoren beherrscht werden, sie wird auch klarlegen, in welcher Art und Weise die konkreten Verhältnisse, innerhalb deren sich der wirtschaftliche Egoismus betätigt, denselben beeinflussen und zum Verständnis der morphologischen Veränderungen der Volkswirtschaft führen, welche mit Veränderungen in diesen konkreten Bedingungen zusammenhängen.

Mit dieser Losung sind aber zwei weitere Konsequenzen gegeben.

Notwendig tritt damit fürs Erste die spezielle oder praktische Nationalökonomie in den Vordergrund, die allgemeine oder theoretische dagegen zurück. Denn es gibt eben keine allgemeine Wirtschaft; eine jede Wirtschaft beruth entweder auf dem Landbau oder dem Gewerbe oder dem Handel oder dem Verkehr oder der Dienst- oder Kapitalmiete und wirtschaftliche Beobachtungen lassen sich also nur auf diesen Spezialgebieten der Volkswirtschaft anstellen. Daher das Überwiegen der Arbeiten auf dem Gebiet der sogenannten praktischen Nationalökonomie während der letzten Jahrzehnte in Deutschland. Es geschah dies nicht aus einer Verachtung der theoretischen Nationalökonomie, sondern weil nur auf diese Weise die Steine zu einem Neubau derselben beschafft werden können.

Notwendig ferner werden für denjenigen, der das hier Dargelegte als richtig erkennt, fürs Erste die geschichtliche Erforschung der wirtschaftlichen Entwicklungen und die Beschreibung der wirtschaftlichen Entwicklungen und die Beschreibung der wirtschaftlichen Zustände das Wichtigste. Es ist dies nicht etwa deshalb der Fall, weil die Kenntnis der konkreten Verhältnisse in der Tat von der größten praktischen Wichtigkeit ist, noch auch weil etwa die Theorie der Volkswirtschaft durch deren Geschichte ersetzt werden soll. Der Grund ist vielmehr derselbe, aus dem die Naturwissenschaften seiner Zeit anstelle von aprioristischen Deduktionen die Beschreibung selbst der bescheidensten wirtschaftlichen Erscheinungen, die genau ist, muß für den empirischen Nationalökonomen einen größeren wirtschaftlichen Wert haben als die scharfsinnigste Deduktion aus dem wirtschaftlichen Egoismus, deren Ergebnisse trotz aller formalen Folgerichtigkeit mit den Tatsachen im Widerspruch stehen.

Somit ergab sich auch für mich als die vornehmste wissenschaftliche Aufgabe die Erforschungen der konkreten Grundbedingungen, welche wie das Territorium, die Bevölkerung, die Religion und Sitte, der Staat, das Recht, die gesellschaftliche Klassenbildung und die geistige und materielle Kulturstufe die Wirtschaft der Völker bestimmen.

Noch frisch von der Universität weg haben mich seiner Zeit langjährige Studien über die konkreten englischen Wirtschaftsverhältnisse belehrt, wie völlig unzutreffend die von der klassischen Nationalökonomie eben der Engländer für die Arbeiterverhältnisse aufgebauten Lehren sind, wie wenig ihre dem Kontor entnommenen Vorstellungen in die Wirklichkeit des Arbeiters passen. Darauf hat mir ein mehr als zehnjähriger Aufenthalt im Norden von Deutschland Wirtschaftsverhältnisse gezeigt, die statt vom ungezügelten Egoismus noch in der mannigfachsten Weise von Autorität und Herkommen bestimmt werden. Ein sechsjähriger Aufenthalt im Elsaß hat mir alsdann vielfach neue Belege für das sowohl in England als auch in Norddeutschland Beobachtete geliefert; insbesondere aber hat mir ein Land, in dem Staat und Volk einander so fremd sind wie dort, nahegebracht, wie unzulänglich eine Finanzwissenschaft sei, welche, wie die herrschende, eine Art republikanischer Identität von Volk und Staat zur unbewußten Voraussetzung hat. Ich hatte somit Ursache einer jeden Veränderung meines Beobachtungsfeldes dankbar zu sein; überall hat die Berührung mit den neuen Verhältnissen mich aufs Lebhafteste angeregt und zur Erweiterung meiner wissenschaftlichen Auffassung geführt.

Aber wie viel größer ist nicht das Gebiet, welches es hier wissenschaftlich zu verstehen gilt, hier am Zentrum einer großen Monarchie, unendlich reich an den mannigfaltigsten wirtschaftlichen Gestaltungen und Entwicklungsstufen! Ist der Gewinn, den ich mir für die eigene Entwicklung versprechen kann, hier gleichfalls viel größer, so ist andererseits die gestellte Aufgabe in demselben Maß weit schwerer. Ich werde nicht anstehen, meine ganzen Kräfte derselben zu widmen. Möge mir dabei wohlwollende Unterstützung zuteil werden, damit ich vom gesteckten Ziel nicht allzu fern bleibe!
LITERATUR Lujo Brentano, Die klassische Nationalökonomie, Vortrag gehalten beim Antritt des Lehramts an der Universität Wien, am 17. April 1888, Leipzig 1888
    Anmerkungen
    1) Ebenso wie mit dem Aufkommen des Merkantilismus das Streben nach größtmöglichem Gewinn auch andere Wirtschaftsgebiete als den Handel im Leben zu beherrschen beginnt, liegt auch bereits den Ausführungen der merkantilischen Schriftsteller die Vorstellung zugrunde, daß dieses Streben bei allen die Wirtschaft betreffenden Handlungen ausschließlich Maßgebende sei. Der Unterschied zwischen den sogenannten Merkantilisten und dem klassischen Nationalökonomen liegt also nicht in der Auffassung vom Menschen. Hier sind jene schon genau so einseitig wie diese. Er liegt auch nicht in den Zielen; in dieser Beziehung zeigt es vielmehr von großer Unkenntnis, wenn heute vielfacht, selbst von Gelehrten, Gesichtspunkte als "manchesterlich" bezeichnet werden, die bereits für die Merkantilisten des 17. und 18. Jahrhunderts das Entscheidende sind; so z. B. wenn in neuerlichen Besprechungen des vortrefflichen Werkes von G. F. KNAPP über die Bauernbefreiung in Preußen Gesichtspunkte, welche für die großen englischen Agrarschriftsteller des 18. Jahrhunderts wie ANDERSON, MARSHALL und vor allem für den agrarischen Schutzzöllner ARTHUR YOUNG in den landwirtschaftlichen Oranisationsfragen die maßgebenden waren, mit den Beiworten "freihändlerisch" oder "manchesterlich" belegt wurden. Der Unterschied zwischen den Merkantilisten und den klassischen Nationalökonomen besteht bloß in den Mitteln, welche zu Erreichung der Ziele empfohlen werden. Und hier verdienen die Merkantilisten entschieden den Vorzug, indem sie bei ihren Vorschlägen die konkreten Verhältnisse berücksichtigen, in denen sich der wirtschaftliche Egoismus betätigen soll, während die klassischen Nationalökonomen nur den abstrakten Menschen "im luftleeren Raum" vor Augen haben.