ra-2Albert SchäffleFranz Staudinger    
 
ALBERT SCHÄFFLE
Die Quintessenz
des Sozialismus

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"Der Kapitalprofit, aus welchem sich die großen Privatreichtümer anhäufen, gestattet nur darum so große Erübrigungen und Überschüsse,  weil  der Lohnarbeiter im Geldlohn weniger als den vollen Wert seines Arbeitsertrages vergütet bekommt' und den  Mehrwert  seiner Arbeit täglich in den Gewinn des Kapitalisten fallen lassen muß. Der Arbeiter erhält - gerade nach der Lehre der liberalen Nationalökonomie - im Durchschnitt  nicht den vollen Ertragswert  seiner Tagesarbeit, sondern viel weniger, nämlich nur den täglichen notwendigen  Unterhaltsbedarf  im Geldlohn vergütet. Er arbeitet zehn und zwölf Stunden, während vielleicht schon sechs Stunden seinen Lohn hervorbringen. Das, was er an Güterwert über seinen Unterhaltsbedarf hinaus produziert (den sogenannten  Mehrwert),  streicht der Kapitalist in seine Tasche ein, der Mehrwert wird in täglichen Tropfen vom  Kapitalschwamm aufgesaugt,  wird zu Kapitalistengewinn, bzw. zu vermehrtem Kapital."

"Die Frage des  Rechtes  zum Übergang in den neuen Zustand unterliegt keinem Zweifel. Der Bourgeois mag ein Recht haben auf das, was er unter dem bisherigen Produktionszustand erworben hat und wir können ihm sein Privatkapital ablösen, wie  er  das Feudalrecht abgelöst hat. Aber er hat gar kein Recht,  in alle Zukunft hinein  die Hintanhaltung der  besseren  Produktionsweise zu verlangen. Letztere kann im Namen des Volkes als neuer Rechtszustand jeden Augenblick proklamiert werden."

"Der Sozialismus verbietet den künftigen Gebrauch des Vermögens als eines privaten Produktionsmittels, als einer  privaten Rentenquelle  und damit ist im wesentlichen einer jeden nicht aus vorzüglicher Arbeitsleistung hervorgehenden Einkommensungleichheit radikal ein Ende gemacht. Die Ungleichheit ist dann, wie ein Sozialist gesagt hat,  organisch  beseitigt."


II. Die Agitationsmittel

Bevor wir die einzelnen Konsequenzen des "kollektivistischen" Prinzips verfolgen, wiederholen wir nochmals: Das  A  und  O  des Sozialismus ist die  Verwandlung der privaten Konkurrenzkapitale in ein einheitliches Kollektivkapital.  Der Sinn dieser obersten Forderung, aus welcher sich alles weitere von selbst ergibt, verdient daher zuerst einige weitere Erläuterungen.

Fragen wir zuerst,  wie  überhaupt die  Umwandlung  gedacht wird.

Die  Zeit  der Umwandlung betreffend, geben sich nachgewiesenermaßen die Führer wohl keinen sanguinischen Hoffnungen hin. Für heute auf morgen, für dieses Jahrhundert (geschrieben 1874) überhaupt dürften die vielen denkenden und zielbewußten Köpfe unter den Führern des Proletariats die Zeit eines definitiven Sieges ihrer Sache wohl kaum gekommen glauben. Was sie zunächst allein erstreben und erwarten können, ist die Erlangung politischer Macht, noch mehr "Schulung" der Massen zur Kooperation, agitorische Ächtung der jetzigen *besitz.htmlBesitzordnung, ihres Schwindels und ihrer Schäden, die pauperistische [armutstechnisch - wp] letzte Vollendung des Gegensatzes zwischen wenigen Millionären und Millionen von "Proletariern".

Die Agitatoren erreichen ihr nächstes Ziel durch Parteiorganisation, durch Verbreitung des materialistischen Appetits auch unter den Massen, durch Aufdeckung des Spekulationsschwindels und der "Krach"-Skandale, durch Zertrümmerung jeder alten Autorität (beim Streit zwischen Staat und Kirche ist der Sozialismus offen ersichtlich der  wahre tertius gaudens  [lachende Dritte]!), durch Ausnützung aller Zentralisation in Staat, Verkehr, Publizistik für die "gesellschaftliche" Propaganda.

Die Ausbreitung der Produktivgenossenschaften wäre zwar prinzipiell keine sozialistische Organisation; denn auch die Genossenschaftsgeschäfte wären Konkurrenzgeschäfte, letzte Verwirklichung des kapitalistischen Prinzips. Aber dem Sozialismus präjudiziert [ist nicht vorentscheidend - wp] das wenigstens nicht; denn Genossenschaftsgeschäfte sind dem Kollektivismus organisch verwandter und daher im letzten Stadium leichter in den Sozialismus zu überführen als "Herren"-Geschäfte. Ebenso ist die "Beteiligung der Arbeiter am Gewinn" zwar selbst noch keine sozialistische Organisatioin; aber sie führt in den "Kollektivbesitz" über. All das kann der Sozialismus als Wasser auf seine Mühlen leiten, aber es ist nicht das, ws auf seiner letzten Karte geschrieben stehen muß. Wir führen dies nachdrücklich aus dem Grund an, um es zu erklären, weshalb vor allem die politische Machterlangung der Massen, Agitation, Verbreitung der materialistischen Lebensauffassung, Kritik des Spekulationsschwindels, etwa auch der Kompromiß auf staatliche Beförderung der Produktivgenossenschaften und dergleichen, im jetzigen Stadium den eigentlichen Inhalt der Bewegung tatsächlich bilden und klugerweise bilden müssen und unbeschadet jeden Opfers am Prinzip auch bilden können.

Eine besondere einleitende Erwähnung erfordert ferner die übereinstimmende Art  kritischer Polemik  gegen das "Kapital" (das private Produktionssystem), wie sie dem Sozialismus eigen ist; man versteht sonst die Sprache der Sozialisten gar nicht. "Kritik des Kapitals" ist die hauptsächliche geistige Vorarbeit der Bewegung im jetzigen Stadium.

Ebenfalls ist nun folgendes zu bemerken:  Heutiges  (privates) Eigentum am Kapital wird als  "Diebstahl"  dargestellt.

Allein es ist ein ebenso großes als weit verbreitetes Mißverständnis, wenn das Wort PROUDHONs: "Das Eigentum ist Diebstahl!" gemeinhin diese Auslegung findet: der Sozialist halte jeden Eigentümer für einen Dieb im kriminellen Sinne des Wortes und zähle auch den ehrlichsten Bourgeois denen bei, welche mit Blendlaterne und Nachschlüssel sich fremde Habe aneignen. Nichts ist irriger als diese Auslegung des Wortes, durch welche man den "Kommunismus" ohne weiteres "von selbst gerichtet" glaubt. Die Bedeutung der Behauptung, daß "das Kapital" (nämlich das private Kapital von  heute)  "Diebstahl" oder, wie LASSALLE sagt, "Fremdeigentum" sei, daß es ein "anarchisches Eigentum" darstelle und durch ein "wahres, auf eigene Arbeit gegründetes Eigentum" ersetzt werden müsse, ist - für jeden Sachkenner ersichtlich - eine ganz andere!

Am besten tritt der Sinn der sozialistischen Eigentumskritik bei KARL MARX, dem maßgebendsten Führer und Theoretiker des Proletariats hervor. Er geht davon aus, daß das aus  älterer Zeit  vererbte Privatkapital seiner Masse nach auf Eroberung, Austreibung der Hörigen (Einziehung der Bauernhöfe), Ausraubung der Kolonien, Mißbrauch der öffentlichen Gewalt, Schutzzollprivilegien, Verteilung des säkularistischen Kirchenguts usw.  ursprünglich  beruhe; dem heutign Erben, PETER oder PAUL, auch dieses Eigentums sagt er dennoch keinen Diebstahl nach. Er beschäftigt sich überhaupt weniger mit der Beurteilung jener älteren Formen der "ursprünglichen Akkumulation des Kapitals" - auch nur sehr beiläufig mit jnem modernsten Raubritterkapital, das durch Börsen-, Parlaments- und Zeitungskorruption erschwindelt ist. Vielmehr befaßt er sich hauptsächlich mit jenem Kapitalbildungsprozeß, welcher auf dem Boden der gegebenen und geltenden volkswirtschaftlichen Ordnung der einzig mögliche, also bei gegebenen Verhältnissen auch normal, vollkommen legal, ja ganz unvermeidlich ist.

Von ihm behauptet nun MARX, daß die Masse der spekulativen Kapitale, welche sich gegenwärtig bilden und mehren, aus dem Kapital profit,  aus der Erübrigung am Unternehmer gewinn,  nicht aus Lohnerübrigungen entstehe. Gewiß richtig! Er erkennt weiter vollkommen an, daß jeder Kapitalist, welcher unter dem "anarchischen" Sozialgesetz der Konkurrenz, dem der Kapitalist jetzt unterliegt, sich erhalten wolle, an der Selbstvermehrung des Kapitals aus dem Profit teilnehmen müsse: sonst gehe er selbst zugrunde und verliere seine Stellung. "Weniger als jeder andere" - sagt MARX wörtlich - "kann mein Standpunkt, der die Entwicklung der ökonomischen Gesellschaftsformation als einen naturgeschichtlichen Prozeß auffaßt, den  einzelnen  verantwortlich machen für Verhältnisse, deren Geschöpft er  sozial  bleibt, so sehr er sich auch subjektiv über sie erheben mag.

MARX ist also weit entfernt,  subjektiv  den Kapitalerwerb Diebstahl zu nennen oder irgendeinem Kapitalisten zuzumuten, daß er, solange er auf dem Boden der jetzigen Produktionsweise erwerben muß, vom Trachten nach höchstem Kapitalprofit und möglichster Kapitalmehrung ablasse. Aber  objektiv,  aus der grundsätzlich verkehrten Organisation der heutigen Produktionsweise heraus, stelle sich die private Kapitalbereicherung dennoch als eine Beraubung der Arbeit, als "Prellerei", "Plusmacherei", "Ausbeutung" dar; denn der Kapitalprofit, aus welchem die großen Privatreichtümer sich anhäufen, gestatte nur darum so große Erübrigungen und Überschüsse,  weil der Lohnarbeiter im Geldlohn weniger als den vollen Wert seines Arbeitsertrages vergütet bekomme  und den "Mehrwert" seiner Arbeit täglich in den Gewinn des Kapitalisten fallen lassen müsse. Der Arbeiter erhalte - gerade nach der Lehre der liberalen Nationalökonomie - im Durchschnitt  nicht den vollen Ertragswert  seiner Tagesarbeit, sondern viel weniger, nämlich nur den täglichen notwendigen  Unterhaltsbedarf  im Geldlohn vergütet. Er arbeite zehn und zwölf Stunden, während vielleicht schon sechs Stunden seinen Lohn hervorbringen. Das, was er an Güterwert über seinen Unterhaltsbedarf hinaus produziere (den sogenannten "Mehrwert"), streiche der Kapitalist in seine Tasche ein, der Mehrwert werde in täglichen Tropfen vom "Kapitalschwamm aufgesaugt", werde zu Kapitalistengewinn, bzw. zu vermehrtem Kapital. In der Tat ist die MARXsche Kritik des Kapitals - dieses kritische Evangelium der heutigen europäischen Arbeiterwelt - in der Hauptsache eine kritische Theorie dieser  "kapitalistischen Mehrwertaneignung".  Sämtliche Bedingungen und Formen der letzteren werden von MARX nach allen Seiten und mit Benutzung des umfassendsten, aus den Zuständen der englischen Volkswirtschaft geschöpften Materials der grellsten Beleuchtung unterzogen. Die Konkurrenz der Lohnarbeiter untereinander, die Unstetigkeit des sozialen Produktionsprozesses, die deplazierende Wirkung der Maschinen, die technischen Umwälzungen und die fremde Konkurrenz gegen die Handarbeit und viele andere Umstände versetzen (immer nach MARX) den Lohnarbeiter und den Kleinbürger in die Notwendigkeit, seinen täglichen Arbeitsnutzeffekt dem Kapitalisten (Landwirt, Fabrikanten und Händler) zu einem Lohnsatz abzutreten, welcher nicht den vollen Ertragswert der Tagesarbeit, sondern nur den notwendigen Unterhalt vergüte. Der "Mehrwert" der Tagesarbeit über den Geldlohn hinaus falle beim Erlös aus den Arbeiterprodukten in den Kapitalistenbeutel, bereichere den Besitzenden, gestatte diesem teils den luxuriösen Haushalt, teils und namentlich die endlose Anhäufung des Kapitals. So finde - unter der Maske des Geldlohnes, welcher den Arbeitsertrag nicht voll vergüte - eine tägliche und stündliche Ausbeutung der Lohnarbeit statt, so erweise sich das Kapital als "Vampir", "Plusmacher", "Dieb".

Subjektiv  sei jedoch der ehrsame Bourgeois frei von jeder Schuld, ja er sei eben durch das ganze bestehende und  gesetzlich  allen aufgenötigte Produktions system,  durch den Druck einer anarchistischen Konkurrenz gezwungen, die "Plusmacherei" mitzumachen, d. h. dem Arbeiter am Ertrag so viel als möglich abzuschweißen und die eigenen Taler ins endlose zu mehren; denn sonst werde er konkurrenzunfähig. Nur objektiv sei dieser Vorgang nichtsdestoweniger verwerflich, das  System  müsse geändert werden.

Wie diese Änderung zu vollziehen sei, wird nun zwar im einzelnen nicht gesagt. Aber aus den kritischen Vordersätzen ist der positive Gedanke dennoch mit Sicherheit zu entnehmen. Nur wenn anstelle des Systems konkurrierender Privatkapitalien, welche den Lohn durch Konkurrenz herabdrücken,  kollektiver  Kapitalbesitz mit öffentlicher Organisation der Arbeits gliederung  und der Nationaleinkommensverteilung getreten sein würde, gäbe es keine Kapitalisten und keine Lohnarbeiter mehr, sondern nur noch Produzenten. Das Nationalprodukt könnte unter alle nach dem gleichen Verhältnis des geleisteten Arbeitswertes verteilt werden, der Profit könnte nicht mehr den Lohn überwuchern, da es nicht mehr Profit und Lohn, sondern nur soziale Besoldung, gleichartiges, sozial zugebilligtes, nach dem Bedarf oder dem sozialen Gebrauchswert der Leistungen bemessenes Arbeitseinkommen geben würde. Vom Nationalprodukt käme nur jener Teil nicht zur Verteilung unter die einzelnen, welcher von den staatlichen Produktionsämtern und Wirtschaftsvertretungskörpern teils zur Ergänzung des abgenützten Kollektivkapitals selbst, teils zum Unterhalt der übrigen gemeinnützigen (nicht unmittelbar produktiven) Anstalten vorbehalten, kurz gesagt, den öffentlichen Anstalten - also wieder allen Bürgern - zugute kommen würde. Dieser Teil, die denkbar direkteste Art von Naturalsteuern und vorweggenommen vor jeder Zuteilung von Privateinkünften, würde anstelle der jetzigen Steuern treten, in den gemeinen Nutzen und in den dauernden Grundstock des Kollektivkapitals verwendet werden. An einer Stelle (Seite 37, 1. Auflage) äußert MARX, allerdings nur beiläufig, diesen Gedanken ungefähr so: Das Gesamtprodukt ist (wäre) ein gesellschaftliches Produkt. Ein Teil dieses Produkts dient im Kapitalersatz wieder als Produktionsmittel; er bleibt gesellschaftlich. Ein anderer Teil wir aber von den Gesellschaftsgliedern verzehrt, er muß vorher unt sie  verteilt  werden. Der Anteil jedes Produzenten an den Lebensmitteln werde hierbei, so sei vorausgesetzt, durch seine Arbeitszeit bestimmt. Dann werde die Arbeitszeit zugleich als Maß des individuellen Anteils des Produzenten an der Gemeinarbeit und zugleich als das Maß für den  Anteil  am  individuell verzehrbaren Gemeinprodukt  dienen.

Ersichtlich ist das ganze Programm etwas völlig anderes als periodisches  "Teilen"  der Privatbesitztümer. Es bedeutet den Kollektivbesitz der Mittel einer tatsächlich jetzt schon kollektiven Arbeit, den direkten Vorwegbezug des Unterhaltsbedarfs der öffentlichen Anstalten aus dem Ertrag der Kollektivarbeit anstelle der Steuern, die Verteilung des ganzen übrigen Genußmittelertrags unter die einzelnen Produzenten nach Maßgabe ihrer Arbeit zu privatem Einkommen und zu privatem Eigentum! Man hüte sich daher wohl, den Sozialismus als das System des periodischen Teilens privater Besitztümer aufzufassen. Das ist Windmühlenkampf und jedes Blatt einer sozialistischen Zeitung geißelt diese Auffassung mit vollem Recht als platte Ignoranz.

Nach der soeben gezeichneten Kritik des privaten Kapitals erscheint den Sozialisten die endliche Herstellung des Kollektivbesitzes aller Produktionsmittel gar nicht zweifelhaft. Die ungemeine Schwierigkeit des Übergangs zum neuen Zustand macht ihnen nicht zuviel Sorge. Sie zählen auf die "expropriierte Masse" der Bevölkerung gegen die "wenigen Expropriateure", auf die  endliche Unleidlichkeit des privaten Fortproduzierens  mit einer durchaus  unzufriedenen  und allen  Autoritätsglaubens ledigen  Arbeiterbevölkerung.

Die Frage des  Rechtes  zum Übergang in den neuen Zustand unterliegt für sie keinem Zweifel. Sie sagen etwa: der Bourgeois mag ein Recht haben auf das, was er unter dem bisherigen Produktionszustand erworben hat und wir können ihm sein Privatkapital ablösen, wie  er  das Feudalrecht abgelöst hat. Aber er hat gar kein Recht,  in alle Zukunft hinein  die Hintanhaltung der  besseren  Produktionsweise zu verlangen. Letztere kann im Namen des Volkes als neuer Rechtszustand jeden Augenblick proklamiert werden. Alsdann kann der Kapitalist allein seine Großbetriebe nicht besorgen. Er muß und wird sogar froh sein, wenn man ihm und seinen Kindern das Privatkapital durch  Genuß mittelraten ablöst, welche eine Zeitlang dauern, bis alle in denselben neuen Zustand hineingelebt sein werden. Er wird sich dem Recht, das von der Mehrheit des eigentlichen Volkes proklamiert wird, ebenso beugen, wie der Adel vor dem durch das Bürgertum proklamierten neuen Volksrechte sich beugen und mit der Ablösung der feudalen Rentenquellen zufrieden sein mußte.

Der Sozialismus wäre wohl nicht abgeneigt, den jetzigen Privateigentümern, wenn diese nur gutmütig sich expropriieren ließen, eine Ablösungsentschädigung zu leisten, er pflegt sich auf den liberalen Vorgang der Expropriation des Feudaladels und der feudalisiert gewesenen Kirche durch Ablösungsentschädigung und durch Rententitelübernahme zu berufen.

Allein auch bei voller Ablösung des Wertes würden nur Genußmittel, nicht mehr Rentenquellen und Produktionsmittel anderer Art, den Abgelösten als Entschädigung ausgehändigt werden; denn an den Produktionsmitteln könnte  fürderhin  gar kein Privateigentum zugelassen werden, wenn auch das aus  früherem  Privatbesitz von Rentenquellen hervorgegangene Eigentum bei der Expropriation durch Zuweisung von  Genuß mitteln mit dem vollen Geldwert entschädigt werden würde. Man ersieht leicht, daß bei dieser Art von Ablösung die Riesen kapitale  der ROTHSCHILD und Konsorten selbst bei vollster Entschädigung nur in einen erstickenden Reichtum an  Genuß mitteln übergehen könnten; auf die Dauer könnte sich dieser große Besitz nicht erhalten. Die privaten Großkapitale würden sofort schon als Kapitale, bald auch als Vermögen überhaupt beseitigt sein; denn  ewige  Ablösungsrenten in Gestalt von Genußmittelbezügen würde der Sozialistenstaat prinzipiell keinesfalls einräumen. Der  Natural überfluß aus der bloß transistorischen Entschädigung würde sich also nicht erhalten können.

Man erkennt hieraus mit Leichtigkeit, daß der Sozialismus nicht in dem Sinn zu "teilen", wenigstens nicht periodisch in dem Sinn zu "teilen" braucht, den man ihm gewöhnlich unterlegt. Er  kann  vielmehr den schon angesammelten Reichtum als legales Produkt der andersartigen Einkommensordnung de Vergangenheit anerkennen, nur pro futuro kann er ihn nicht mehr als Privatkapital, als Rentenquelle "wuchern" lassen. Der Sozialismus verbietet den künftigen Gebrauch des Vermögens als eines privaten Produktionsmittels, als einer  privaten Rentenquelle  und damit ist im wesentlichen einer jeden nicht aus vorzüglicher Arbeitsleistung hervorgehenden Einkommensungleichheit radikal ein Ende gemacht. Die Ungleichheit ist dann, wie ein Sozialist gesagt hat, "organisch" beseitigt.

Man vergegenwärtige sich nur die ungeheure Tragweite dieser Sätze recht konkret. Die Familie ROTHSCHILD besitze, so nehmen wir an, 500 Millionen Taler; so würde, so sei weiter angenommen, voll entschädigt werden, indem ihr im Laufe von 30 bis 50 Jahren der eskomptierte [verzinste - wp] Wert von 500 Millionen Talern annuitätenweise [gleichbleibende, regelmäßige Zahlung - wp], aber nur in Gestalt von Lebensmitteln, Kleidern, Hausrat-, Luxusmitteln, Unterhaltungsgegenständen geliefert würde. Sie wäre also in der Lage, reichlich zu genießen und zu - verschenken. Aber sie könnte nicht mehr "kapitalisieren", ihren Überfluß nicht mehr in Rentenquellen verwandeln, sie wäre selbst bei intaktem Vererbungsrecht in zwei bis drei Generationen auf persönliche Arbeit wie jede andere Familie angewiesen, wenn sie es nicht vorzöge auszuwandern, wobei ihr der Sozialistenstaat die Annuität schwerlich nachsenden würde. Gewiß ist kein stärkeres Attentat auf die Geldindustrie, in specie das Judentum, ersonnen worden, als diese Ausschließung  privater Produktionsmittel  und privater  Renten quellen aus dem Rechtssystem. Umso merkwürdiger bleibt es, daß diejenigen, von welchen diese Idee am wirksamsten unter die Massen gebracht worden ist, dem  Judentum  angehören; MARX und LASSALLE sind jüdischer Herkunft. Der Sozialismus rühmt sich dieser seiner radikalen Wirkung. Er rühmt sich insbesondere, daß er allen Börsen- und Spekulationsschwindel, allen Wucher, alle Privatmonopole mit der Wurzel ausreißen würde. Und in der Tat, von spekulativen Privateinkommen, arbeitslosen Renten bliebe nichts übrig.

Ein plumpes Mißverständnis habe ich daher hier schon abzuweisen. Man hört gar so oft: "der Sozialismus will  wirtschaftlich  kein Kapital mehr", er will  keine Produktionsmittel,  "er will produzieren ohne Grundstücke, Fabriken, Maschinen, Werkzeuge, Rohstoffe und Brennmaterialien; denn er negiert das Kapital, also auch den Bestand, die Ersparung, die Erhaltung und Erneuerung der Werkmittel". Man hält diese Folgerung für eine glänzende Widerlegung der sozialistischen Doktrin und triumphiert gegen diesen "Blödsinn" der Sozialisten! Es ist aber nachdrücklich vor dieser Art von Widerlegern des Sozialismus zu warnen. Den  Besitz,  und zwar nur den  Privat besitz an den Produktionsmitteln, will der Sozialismus pro futuro [in Zukunft - wp] beseitigen; aber  technisch-wirtschaftlich  negiert er (wie obige Stellen aus MARX sonnenklar beweisen) nicht nur nicht das Kapital, sondern er will durch kollektive Herstellung und Erneuerung aller Produktionsmittel vielmehr eine Gestalt der Geschäftskapitale einführen, welche der  ganzen  Nationalproduktion eine Kapitalausstattung im Stil der rationellsten heutigen Großproduktion sichern würde. Aus dem Ertrag der Kollektivproduktion soll allseitig die rationellste Ausstattung und Erneuerung allen nationalen Geschäftskapitals bewerkstelligt werden. Schon der Träumer CHARLES FOURIER verlangte ja die Beseitigung der "miserablen" kleinbürgerlichen Geschäftsausstattung; er wollte den rationellen Großbetrieb verallgemeinert haben. Wie wenig ein KARL MARX daran denkt, den Produktionsprozeß auf Kleinbetriebe zurückzuführen (geschweige ohne Kapital im technischen Sinne, d. h. ohne Produktionsmittel zu produzieren), das beweist die oben erwähnte abschließende und daher maßgebende Zusammenfassung der Ergebnisse seiner Kritik des Privatkapitals, wie sie sich am Schluß des ersten Bandes seines "Kapital" vorfindet.

Was nun für die gegenwärtigen Übelstände, denen der Sozialismus zu steuern verheißt, an  neuen  Übeln kommen könnte, ist von uns anderswo (1) erörtert. Wir haben hier nur zu konstatieren, was den Inhalt des Sozialismus ausmacht. Sein oberstes Prinzip hatten wir zunächst festzustellen.

Suchen wir die konkreten Folgerungen aus diesem Prinzip an den  einzelnen Hauptkategorien der Volkswirtschaft:  Bedarf, Produktion, Umsatz, Einkommen, Haushalt, Konsumtion und Vermögensbildung, nun noch mehr ins einzelne zu verfolgen! Erst durch diese besondere Nachweisung werden wir imstande sein, den Leser vollkommen zu orientieren, um nach der einen Seite zu zeigen, daß der Sozialismus zum Teil noch weit mehr, als die blassesten Angstmänner es annehmen, mit dem Bestehenden bricht und um andererseits zahllose falsche Vorstellungen und Stichwörter über denselben zu berichtigen.
LITERATUR Albert Schäffle, Die Quintessenz des Sozialismus, Gotha 1920
    Anmerkungen
    1) ALBERT SCHÄFFLE, Die Aussichtslosigkeit der Sozialdemokratie, Tübingen, 1891