SHIZUTERU UEDATOSHIHIKO IZUTSU | ||||
Zur buddhistischen Psychologie
Bekanntlich zerfällt der Buddhismus in drei große Abteilungen:
2) Vinaya, Disziplin und Moral, wohinein auch die Asketik und der hierarchische Aufbau gehört und endlich 3) Abhidarma oder Metaphysik Die Quintessenz der buddhistischen Weltanschauung liegt in den folgenden Sätzen beschlossen, die überall den Kausalnexus des Entstehens des Leidens mit denselben Textworten zum Ausdruck bringen: Aus dem Nichtwissen (avidya) entstehen Gestaltungen (sankhara), aus den Gestaltungen entsteht das Bewußtsein (vinnana), aus dem Bewußtsein entsteht Name und Körperlichkeit, aus Namen und Körperlichkeit entstehen die sechs Gebiete, aus den sechs Gebieten entsteht Berührung (zwischen den Sinnen und ihren Objekten), aus der Berührung entsteht Empfindung, aus der Empfindung entsteht Durst (oder Begierde), aus dem Durst entsteht Werden (bhava), aus dem Werden entsteht Geburt, aus der Geburt entsteht Alte und Tod, Schmerz und Klagen, Leid, Kümmernis und Verzweiflung. Dieses ist die Entstehung des ganzen Reiches des Leidens. Wird aber das Nichtwissen aufgehoben unter gänzlicher Vernichtung des Begehrens, so bewirkt dies die Aufhebung der Gestaltungen; durch die Aufhebung der Gestaltungen wird das Bewußtsein aufgehoben; durch die Aufhebung des Bewußtseins wird Name und Körperlichkeit aufgehoben; durch die Aufhebung von Namen und Körperlichkeit werden die sechs Gebiete aufgehoben, usw. bis durch die Aufhebung der Geburt Alter und Tod, Schmerz und Klagen, Leid, Kümmernis und Verzweiflung aufgehoben werden. Dies ist die Aufhebung des ganzen Reiches des Leidens (vgl. OLDENBERG, Buddha, Seite 230 und HARDY, Der Buddhismus nach älteren Pali-Werken, Seite 51). Der Ausgangspunkt der ganzen Konstruktion, überhaupt aber allen Geschehens ist die verhängnisvolle Unwissenheit, nicht im HARTMANNschen Sinn als kosmische Weltpotenz, bzw. -Attribut gefaßt oder brahmanisch als Maya, ein Spiegel der Täuschung für den armen Staubgeborenen, sondern ganz schlicht als konkreter Begriff der Unkenntnis der bekannten vier heiligen Wahrheiten, deren Besitz dem Buddhisten aller Zeitalter als höchster Besitz erscheint (vom Leiden, vom Ursprung desselben, von der Aufhebung des Leidens und vom Weg zur Aufhebung desselben). Freilich fließt damit von selbst die erkenntnistheoretische Bedeutung jenes Ausdruckes insofern zusammen, als dieser Mangel an Intelligenz das wahre Wesen der Welt, nämlich ihren pessimistischen Charakter, völlig verkennen läßt. Wem fiele hierbei nicht die Analogie des athenischen Weisen ein, obschon hier vollends jede metaphysische Beziehung fehlt (die erst PLATO zur Entwicklung bringt) und der ganze Nachdruck auf das praktische Leben, auf die Konstruktion eines der gewöhnlichen Volksmeinung gegenüber haltbaren ethischen Ideals gelegt wird? Aber insofern trifft doch die Parallele zu, als auch hier das Fehlen einer ausreichenden Kritik und damit einer rationell begründeten Lebensanschauung die beklagenswerte Tatsache erklärt, daß der gewöhnliche Durchschnittsmensch sich zu keiner selbständigen, wissenschaftlich beweisbaren Überzeugung aufzuschwingen vermag. Doch ist es immerhin beachtenswert, daß mit der Aufstellung dieses grundlegenden Prinzips nur eine erkenntnistheoretische Forderung begründet ist, der durchaus keine kosmogonische Konsequenz innewohnt; GAUTAMA hat, wie die verschiedensten Erzählungen dartun, jederzeit der Versuchung widerstaden, mittels glänzender Spekulationen über die sinnlich wahrnehmbare Welt sich bis zu einem sogenannten Anfang der Dinge vorzuwagen, in der richtigen Erkenntnis, daß das nur für einen theologischen Dogmatismus ein geeignetes Objekt bilden könne (Vgl. BASTIAN, Der Buddhismus als religionsphilosophiches System, Seite 18f). Aus dem Nichtwissen entstehen nach der oben erwähnten Kausalitätsformel die Samsaras, die Gestaltungen, eigentlich Handlungen, wie KÖPPEN vorschlägt, am passendsten mit Gebilde wieder zu geben (KÖPPEN, Religion des Buddha I, Seite 603). Samsara bemerkt er, würde man brahmanisch sagen, ist die Maja, die Täuschung, wie sie sich im Inneren des lebendigen Einzelwesens abspiegelt und ausprägt, Samsara, könnte man mit HEGEL definieren, ist die in sich selbst unterschiedene und reflektierte Individualität; kurz der ganze gemütliche, ethische, leidenschaftliche Inhalt des Individuums, namentlich insofern derselbe als Antrieb und Bestimmung des Willens gilt, bildet den Komplex der Samsaras. Ähnlich BASTIAN, der diesen Begriff als die ganze subjektive Vorstellungswelt des Menschen faßt, je nach dem System der ethnischen Weltanschauungen (a. a. O. Seite 20). Hervorzuheben ist hierbei der für den ganzen Buddhismus maßgebende Umstand des Karma, d. h. des Komplexes aller Taten, die das Schicksal des Individuums mit unentrinnbarer Notwendigkeit entscheiden, so daß schließlich für das Volksbewußtsein hier der Gedanke der sittlichen Vergeltung Platz greift. Diesen organischen Zusammenhang hat OLDENBERG scharf betont: Was wir sind, ist die Frucht von dem, was wir getan haben. Schon als einen Besitz der vorbuddhistischen Spekulation fanden wir den Satz: Welche Tat er tut, zu einem solchen Dasein gelangt er. Und der Buddhismus lehrt: Meine Tat ist mein Besitz, meine Tat ist mein Erbteil, meine Tat der Mutterleib, der mich gebiert. Meine Tat ist das Geschlecht, dem ich verwandt bin, meine Tat ist meine Zuflucht. Was dem Menschen als sein Körper erscheint, ist in Wahrheit die Tat seiner Vergangenheit, die da zur Gestaltung geworden, durch sein Trachten verwirklicht, fühlbarer Existenz teilhaftig geworden ist. Das Gesetz der Kausalität, von der buddhistischen Spekulation wesentlich als ein Naturgesetz gedacht, nimmt hier die Gestalt einer sittlichen Weltpotenz an. Seinem Wirken kann niemand entgehen (Seite 48) (1). Diese Samsaras sind endlich insofern dogmatisch von großer Bedeutung, als durch sie die jeweilige Wiedergeburt bedingt wird; diese geschieht nämlich in derjenigen Existenzform, auf die sich hier die meisten Gedanken und Wünsche richten. Als drittes Glied erscheint in dieser Verkettung das Bewußtsein (Vijnana), und hier zeigt sich freilich der Buddhismus in einer für unser Empfinden höchst eigentümlichen Beleuchtung. Wie wir später sehen werden, existiert nach dieser Anschauung ebensowenig eine Seele, ein substanzielles Ich oder Selbst, noch auch eine materielle Selbständigkeit des Individuums; alles ist uns ein Konglomerat von bestimmten Bestandteilen (einige buddhistische Schulen, wie die Jainas, kommen folgerecht auf einen atomistischen Aufbau), die sich wieder lösen und zusammenfinden, je nach dem alles beherrschenden Gesetz der Kausalität, das für die organischen Wesen und insbesondere für die Menschen die Form der Seelenwanderung, wie wir uns nicht ganz zutreffend ausdrücken, angenommen hat. Dieser furchtbare Kreislauf hört eben erst auf, wenn der Weise die Hinfälligkeit und Nichtigkeit jedes individuellen Daseins durchschaut hat und damit seine Erlösung im Nirvana findet. Im übrigen aber ist das Bewußtsein selbst nur eines der Elemente (dhatus), aus denen alles Sinnfällige besteht, nämlich Erde, Wasser, Feuer, Luft, Äther, nur ein unendlich feineres als die übrigen. Als solches Element ist es selbstredend nicht der Vergänglichkeit unterworfen, die alles übrige organische Leben bedroht; somit verbindet sich im Augenblick des Todes jenes mit einem neuen Wesen, an dem es dann in die körperliche Erscheinung tritt oder wie die gewöhnliche Darstellung lautet: Im Mutterleib sucht und findet dieser Bewußtseinskeim die materiellen Stoffe, aus denen es ein neues, in Namen und Körperlichkeit ausgeprägtes Dasein bildet. Das Denken manifestiert sich im Chuti-Chitr, der natürlich in unmittelbarer Abhängigkeit von der Außenwelt (den Aromanas) steht, so daß BASTIAN ihn sogar mit der von SCHELLING durchgeführten Identität des Subjekts und Objekts vergleicht und den vom Mystiker JAKOB BÖHME gebrauchten Ausdruck des Denkens im Verhältnis zu seinem Gegenwurf zitiert (Der Buddhismus als religionsphilosophisches System, Seite 22). Die Kausalitätsformel führt dann als viertes Moment in der Reihe der Nidanas auf Nama-Rupa, d. h. Name und Körperlichkeit, welche alsdann die sechs Gebiete, wie es heißt, d. h. die sechs Sinne hervorbringen: Auge, Ohr, Nase, Zunge, Leib (als Organ für die Tastempfindungen) und der Verstand (mano), denen gleichfalls sechs Gebiete der objektiven Welt entsprechen und nun entsteht aus der Wechselwirkung (Berührung heißt der eigentliche Ausdruck) zwischen den Sinnen und ihren Gegenständen die ganze buntschillernde Welt der Empfindungen. Und zwar wird dieser Prozeß im Genaueren so gedacht, daß er auf Veranlassung des Bewußtseins als des Zentralorgans erfolgt. Dies setzt, wie Oldenberg bemerkt, das Sinnesorgan in Tätigkeit, erteilt ihm den Befehl, mit dem Objekt in Verbindung zu treten. Und wenn dann diese Verbindung erfolgt, ist bei derselben außer den beiden zunächst beteiligten Elementen, dem Sinnesorgan und dem Objekt, auch als drittes das Bewußtsein, der Veranlasser und Zuschauer bei jener Verbindung, mit im Spiel (a. a. O. Seite 231). Diese Auffassung stimmt in auffälliger Weise mit der von LOTZE vertretenen Ansicht überein, wo er die Empfindung ganz und gar der Seele zuweist, während die Nerven dabei nur eine Vermittlerrolle spielen. Es versteht sich freilich von selbst, daß erkenntnistheoretisch die Situation völlig unvergleichbar ist (für den atomistischen Buddhismus hat eine substantielle Seele gar keine Bedeutung), aber für uns ist hier nur der psychologische Gesichtspunkt maßgebend. Dieser Passus lautet, mit Fortlassung jedes minder wichtigen Details, so: "Durch den äußeren Sinnesreiz wird in einem ersten Nervenelement der physische Zustand r und in Folge davon in demselben Element der Empfindungszustand e hervorgebracht; durch diese Änderung wird es dann genötigt, auch in einem zweiten, seinem Nachbarn, denselben Zustand r und infolge davon auch die Empfindung e zu bezwecken; so würde sich, durch die physischen Anstöße, welche die Elemente einander geben, auch die Erzeugung der ihnen angehörigen Empfindungen fortpflanzen. Aber wo würde das enden? Wo und wie auch diese Kette von Atomen und ihren inneren Erregungen zuletzt an die Seele anschließen mag, die Empfindung dieser, unsere Empfindung, würde aus dem inneren unserer Seele ebenso nur durch die Einwirkung des letzten r entstehen, mit welchem das letzte Nervenatom sie erregt, wie sie in der Kette selbst so von Glied zu Glied erzeugt wurde. Derjenige Dienst daher, welcher von den Nerven zum Zweck der Begründung unserer Empfindung geleistet werden kann, wird ebenso gut geleistet, wenn durch ihn hindurch nur ein physischer Vorgang geleitet wird, als wenn jedes einzelne Atom selbst in den seelischen Zustand geriete, der am Ende des letzten Vorgangs in uns entstehen soll; eine Nachricht, die brieflich durch eine Reihe von Boten von Hand zu Hand geht, kommt ihrem Empfänger nicht sicherer zu und wird von ihm nicht besser verstanden, wenn jede jener Mittelspersonen sie zu eigener Kenntnis und zu gemütlichem Anteil nimmt (System der Philosophie 2, Seite 505f). Wie schon wiederholt erwähnt, kennt der streng atomistische Aufbau der buddhistischen Psychologie keine Seelensubstanz, sondern nur Elemente und ebensowenig gleich den spekulativen Brahmanenschulen ein Ich, ein Selbst; es existiert vielmehr nur ein Bündelt von jenen Khandas oder Elementen, ein Ausdruck, der sich wörtlich und sachlich genau mit der von HUME (2) öfter angewandten Bezeichnung: bundle deckt. Dieselbe Anschauung findet sich im Positivismus, wie z. B. MILL vom Ich als einen Faden der Vorstellungen oder TAINE (3) als einem Gewebe von Empfindungen spricht. Solange sich nun nicht durch philosophische Meditiation die vollständige Läuterung vollzogen hat, solange sich demnach noch im Upadana (dem Haften an der Existenz) die individuelle Erscheinung dokumentiert, - vermöge der als Fühlhörner vorgestreckten Sinnesorgane - kann von einer Erlösung aus diesem vergeblichen Kreislauf der Gestaltungen auch keine Rede sein. Im übrigen (rein psychologisch genommen) entspricht das Verhältnis der einzelnen Sinne (abgesehen natürlich vom sechsten, dem Verstand) zu ihren Objekten der bekannten Auffassung der modernen Psychologie, es ist die Beziehung des Makrokosmos zum Mikrokosmos, wie BASTIAN sagt, in platonischen Idealgestaltungen, aber stets nur momentan gestaltet, nach notwendigen Kraftwirkungen (Religionsphilosophische Probleme auf dem Feld buddhistischer Psychologie, Seite 36). Es handelt sich demnach weniger um ein ideales, ein für alle mal feststehendes Schema, das vor und außer den Dingen seine Geltung behauptete, sondern diese Wechselwirkung tritt erst im Augenblick des realen Kontaktes ins Leben. Auch die bekannte Hypothese von den spezifischen Energien der einzelnen Sinne fände hier ihr Gegenbild, ganz besonders für die im Manas wirksamen Chitr, die begreiflicherweise auch die Reihe der moralischen Affekte beherrschen, entweder in peiorem partem [bei ungünstiger Auslegung - wp] als Stolz, Hass, Angst usw. oder in sittlicher Vervollkommnung als Heiterkeit, Mitleid, Frömmigkeit usw. Endlich bietet der Buddhismus auch nach der ganzen erkenntnistheoretischen Anlage (die spezifisch pessimistisch gefärbte Ethik kommt hier nicht weiter in Betracht) die bedeutsamsten Parallelen mit abendländischen Anschauungen. Man erinnere sich z. B. des viel verspotteten Anfangs der HEGELschen Logik, wo in der dialektischen Zersetzung der Begriffe des Seins und Nichtseins dem Werden, der Bewegung oder wie wir es nennen würden, der Entwicklung die positive Aufgabe der realen Gestaltung überwiesen wird. Ähnlich verflüchtigt sich im Schmelztiegel des indischen Skeptizismus das anscheinend feste und unveränderliche Sein in ein mehr oder minder rasch vorübergehendes Geschehen, allerdings unter dem Zauberbann der Kausalität. Von diesem Standppunkt aus trifft die Bemerkung OLDENBERGs völlig zu: "Die Welt ist der Weltprozeß und der Ausdruck dieses Weltprozesses oder wenigstens der Seite des Prozesses, mit welcher allein der in Leiden befangene, nach der Erlösung trachtende Mensch es zu tun hat, ist die Kausalitätsformel. Die Überzeugung von der in dieser Formel ausgesprochenen absoluten Gesetzmäßigkeit, die den Weltprozeß beherrscht, verdient als eines der wesentlichsten Elemente des buddhistischen Gedankenkreises hervorgehoben zu werden. Von Dingen oder von Substanzen, im Sinne eines in sich selbst ruhenden Daseins, wie wir ihn mit diesen Worten zu verbinden pflegen, kann für den Buddhismus nach dem allen nicht die Rede sein. Zur allgemeinsten Bezeichnung jener Wesenheiten, deren gegenseitige Beziehung die Kausalitätsformel ausdrückt, man könnte fast sagen, deren Sein eben das Stehen in jener gegenseitigen Beziehung (4) ist, besitzt die Sprache der Buddhisten zwei Ausdrücke: Dharma und Samsara, wir können etwa übersetzen: Ordnung und Gestaltung. Beide Beziehungen sind wesentlich synonym: beide schließen die Vorstellung ein, daß nicht sowohl ein Geordnetes, Gestaltetes, als vielmehr ein Sichordnen, ein Sichgestalten den Inhalt der Welt bildet; mit beiden ist für das Gefühl der Buddhisten unlösbar der Gedanke verbunden, daß jede Ordnung einer anderen Ordnung, jede Gestaltung anderen Gestaltungen Platz machen muß. Körperliche so gut wie geistige Entwicklungen, alle Empfindungen, Vorstellungen, alle Zustände, alles was ist, d. h. alles, was sich zuträgt, ist ein Dharma, ein Samsara (Seite 255). Diese grundlegende Perspektive, die gesamte Wirklichkeit in einen ewig flutenden Strom des Geschehens aufzulösen, hat sich, wie OLDENBERG ebenfalls treffend ausführt, der beiden Bilder, des Wassers und der sich selbst verzehrenden Flamme bedient.
1) Manche theologische Spekulationen von der Gnosis an bis in die neuere Zeit fußen auf ähnlichen Gedanken, ohne daß freilich immer, wie hier, die äußersten Konsequenzen gezogen wären. 2) Weshalb dann auch hier der Komplex aueinanderfolgender Vorstellungen, der den Begriff des Ich konstituiert, mit dem Tod auseinanderfällt. 3) Vgl. HIPPOLYTE TAINE, De l'intelligence I, Seite 270f 4) Nebenbei bemerkt, bekanntlich ein Ausdruck, den LOTZE mit Vorliebe für die Verdeutlichung des für ihn maßgebenden Begriffs der Wechselwirkung anwendete. |