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GUSTAV STÖRRING
Die Erkenntnistheorie
von Tetens

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"Die Idealisten sagen: Die Idee des für sich bestehenden Dings ist durch die Erfahrungen zur Ausbildung gekommen, welche wir an unserem Ich machen. Sie ist dann später übertragen worden auf äußere Empfindungskomplexe, an denen sie primär nicht zur Entwicklung kommen kann, weil hier die angegebenen Bedingungen für die Entwicklung dieser Idee nicht gegeben sind. Die Übertragung aber geschieht zu Unrecht."

"Ein Ding wirkt zugleich auf mehrere Sinne. Diese gleichzeitigen Gefühle machen zwar ein abgesondertes, für sich bestehendes Ganzes; aber jeder Teil dieses Ganzen, was etwa auf den einen oder anderen Sinn allein fiel, war nicht so abgesondert, daß es ohne Verbindung mit dem andern sein konnte. Daher geschah die Verteilung des äußeren Gefühls in abgesonderte Haufen nicht nach einer Verschiedenheit der Sinne, so daß die Gesichtsempfindungen für sich ein Ganzes, die Gefühlsempfindungen ein anderes, die Eindrücke auf das Gehör ein drittes, die Gerüche ein viertes usw. ausmachten. Vielmehr zogen sich alle Gefühls-, Geruchs-, Gesichts- und Geschmackseindrücke einer Blume z. B. in eine ganze Empfindung zusammen; und wo dies geschehen ist, da kann keine einzelne Empfindung, die in diesem Ganzen begriffen ist, anders als in der Gestalt einer Beschaffenheit sich der Reflexion darstellen."


2. Kapitel
Die subjektiv notwendigen Erfahrungssätze

I. Allgemeines über die Erfahrungssätze

TETENS setzt den Vernunftsätzen, die wir bisher behandelten, die Erfahrungssätze gegenüber. Dieselben tragen auch den Charakter der Notwendigkeit ansich, diese Notwendikeit ist aber nur einem Teil eine Denknotwendigkeit, zu einem anderen eine Gewohnheitsnotwendigkeit. (1) Durch die gewohnheitsmäßige Assoziation von Vorstellungen entstehen mit dem Bewußtsein der Notwendigkeit verbundene Erfahrungssätze, die man als aus unvollkommenen Induktions- und Analogieschlüssen hervorgehend darstellen kann.

Der Verstand
    "verbindet auch Ideen zusammen in Eine, macht daraus allgemeine Sätze, die nur auf einer unvollkommenen, obgleich großen Induktion beruhen" (nach dem Zusammenhang ungenaue Ausdrucksweise; eine ganz ähnliche mißverständliche Ausdrucksweise bei rein assoziativen und als solche von Tetens aufgefaßten Vorgängen z. B. Seite 458f), "und er legt den Sachen Beschaffenheiten ... bei, wo nur ein Teil gewahrgenommen wird, oder spricht ihnen solche ganz ab, wo nur ein Teil vermißt wird, der als ein Charakter des übrigen Teiles angenommen wird, weil er in den Empfindungen damit verbunden gewesen ist". (2)
Für den Erkenntnistheoretiker kommt es nun darauf an, das, was von der Notwendigkeit, mit der wir Erfahrungssätze anerkennen, eine Gewohnheitsnotwendigkeit, und was eigentlich eine Denknotwendigkeit ist, voneinander zu unterscheiden. Wie läßt sich die Gewohnheitsnotwendigkeit als solche erkennen? Auf diese wichtige Frage antwortet TETENS folgendes. Es gibt einen allgemeinen Charakter, woran die bloß aus Gewohnheit notwendig gewordenen Ideenverbindungen in den meisten Fällen deutlich zu erkennen sind.
    "Wenn man sie deutlich auseinandersetzt; wenn die Ideen einzeln genommen, von ihren Nebenideen möglichst abgesondert, und ohne Rücksicht auf das Besondere in den Empfindungen, woraus sie entstanden sein, dem Geist gegenwärtig vorgehalten und verglichen werden, so ergibt es sich, daß sie nicht nur ansich unterschieden, sondern daß sie auch voneinander trennbar sind, und daß kein anderes notwendiges Denkgesetz da ist, nach welchem der Verstand von der einen zur anderen übergeht, und diese Beziehung denke, als nur das Gesetz der Assoziation in der Einbildungskraft." (3)
Interessant ist hier die Beziehung von TETENS zu JOHN STUART MILL in der Beziehung beider zu HUME. TETENS glaubt die Gewohnheitsnotwendigkeit als solche erkennen zu können, weil die betreffenden Assoziationen nicht untrennbar sind! Wir kommen hierauf später zurück.

Hat man aber einmal erkannt, daß die Notwendigkeit, mit der wir eine Vorstellungsweise anerkennen, den soeben näher angegebenen Ursprung hat, so erklären wir die betreffende Vorstellungsweise als eine zufällig. (4)

So läßt sich also bei den Erfahrungssätzen das ausscheiden, was durch eine Gewohnheitsnotwendigkeit anerkannt wird. Wissenschaftlich anzuerkennende Erfahrungssätze lassen sich aber andererseits nicht immer so begründen, daß ihre Anerkennung absolut denknotwendig ist. Man hat hier dann mit einem größeren oder geringeren Grad von Wahrscheinlichkeit zu rechnen und sein Augenmerk darauf zu richten, wie groß die Wahrscheinlichkeit im einzelnen Fall ist. (5) Es gibt "unendlich große Wahrscheinlichkeiten, obgleich sie nach der Theorie nicht gänzlich der Gewißheit gleich sind und diese verdienen eine vorzügliche Erwägung". (6)


II. Spezielles

Auf die Erfahrung gründet sich auch eine Überzeugung, welche sich mit vielen Erfahrungssätzen verbindet, der Glaube an die Realität der Außenwelt. Diesen Glauben haben wir nun einer näheren Untersuchung zu unterziehen. Den Glauben an die objektive Existenz der Dinge behandelt TETENS psychologisch und erkenntnistheoretisch. Das erkenntnistheoretische Urteil über diese Vorstellungsweise ergibt sich bei TETENS unmittelbar aus der Rechenschaftsablegung über den Ursprung unserer Kenntnisse von der objektivistischen Existenz der Dinge.

Bevor er eine positive Rechenschaft über diese Genesis ablegt, behandelt er in vorzüglicher Weise kritisch die Anschauung von Philosophen, welche glauben, daß der naive Mensch ursprünglich "Egoist" ist, ursprünglich nur ein Ego anerkennt, alle Empfindungen als Teile seiner eigenen psychischen Existenz auffaßt. Darauf entgegnet TETENS folgendes:
    "Wenn Adam als ein Mensch mit gereifter Überzeugungskraft in das Paradies trat, und nun, völlig unbekannt mit den Gegenständen und ihren Eindrücken auf sich, anfing, den sich auszeichnenden Gesang eines Vogels von seinen übrigen Empfindungen zu unterscheiden, warum sollte denn sein erstes Urteil dieses sein: Siehe das ist etwas in dir? Vor einem solchen Urteil mußten doch noch andere Äußerungen der Denkkraft vorhergehen: es mußt eine Besinnung da sein; Adam mußte aus der großen Menge der Empfindungen, die von allen Seiten her auf ihn zuströmten, einige unterscheiden und gewahrnehmen. Dann mußten noch alle Empfindungen unmittelbar in ein Ding hin, als in ein Subjekt gesetzt, alle auf sein Ich bezogen, und zu diesem hingerechnet werden. Wieviele Begriffe setzte so ein Urteil nicht schon voraus? Ist es nicht vielmehr ebenso natürlich und ebenso leicht zu erwarten, wenn die Reflexion bis dahin gekommen ist, wohin sie sein muß, ehe sie etwas in sich hinsetzen, und als ein Teil ihrer eigenen Existenz ansehen kann, daß sie alsdann auch schon zu einer Idee von der äußeren Existenz gelangt sein und diese einige ihrer Empfindungen zuschreiben müßte? Könnte die Vorstellung und der Begriff von der subjektivischen Existenz abgesondert sein, ohne daß auch der Begriff von der objektivisch äußeren Existenz es geworden ist?" (7)
Diese Auffassung ist also hinfällig. Gegeben ist dem naiven Individuum zunächst die ganze Fülle der Empfindungen und es fragt sich, wie es dazu kommt, dieselben in verschiedene Gruppen zu bringen, von denen die eine die Empfindungen von unserem Leib, die zweite die Empfindungen aus unserer Seele und die dritte die Empfindungen von anderen Körpern darstellt. Das ist die erste Phase der Entwicklung, über die wir Rechenschaft zu geben haben.

Hier haben wir zunächst einen Tatbestand zu erwähnen, welcher die Scheidung von inneren und äußeren Empfindungen zur Folge hat, also die Scheidung der Empfindungen aus unserem Körper und unserer Seele einerseits und aus den fremden Körpern andererseits bedingt.

Die Eindrücke durch das Gesicht und das Gehör - die ersteren, die sich am klarsten als Eindrücke von dieser Klasse auszeichneten - entstehen ohne innere Vorbereitung dazu, die sich bemerken ließe, und vergehen wiederum ohne merkbare Folgen. Nicht so die Empfindungen aus dem Körper, noch die Empfindungen des inneren Selbstgefühls. Diese sind stärker und verfolgen das Bewußtsein länger.
    "Von ohngefähr schloß der Mensch die Augen und die Gesichtsbilder waren dahin; er wandte sich nach einer anderen Seite und die Szene änderte sich. Aber der Schmerz im Körper, sein Verdruß in der Seele war ihr länger gegenwärtig, wie sehr sich jene Szene auch änderte. Hier war seine tätige Kraft mehr und stärker beschäftigt, und er bemerkte bei ihnen mehrere und mannigfaltigere Umstände und Folgen. Dies allein reichte, meiner Meinung nach, hin, die beiden großen Haufen von inneren und äußeren Empfindungen voneinander zu unterscheiden." (8)
Die Scheidung der Empfindungen aus der Seele und dem eigenen Körper einerseits und aus der Außenwelt andererseits ist also dadurch bedingt, daß die einen, die "inneren" Empfindungen, eine längere Dauer und eine stärkere Intensität haben als die äußeren. Die Empfindungen aus der Seele sind so mit den Empfindungen aus dem eigenen Körper noch zu einem Ganzen zusammengefaßt. Die beiden Arten von Empfindungen werden durch die Wirkung folgenden Faktors getrennt: die Empfindungen aus der Seele kann man nicht wahrnehmen, wenn sie da sind, sondern erst, "wenn sie vorüber sind, in ihren nachgelassenen Spuren". Diese Differenz zwischen den Empfindungen aus der Seele und denen aus dem eigenen Körper bewirkt die Scheidung dieser verschiedenen Empfindungen in verschiedene Gruppen.

Die Scheidung dieser verschiedenen Arten von Empfindungen in drei große Gruppen wird nach TETENS weiter unterstützt durch die eigene Verbindung der Empfindungen untereinander.
    "Sobald z. B. die Augen geschlossen wurden, so verschwand die ganze Menge von Gesichtsempfindungen auf einmal; wurden sie wieder eröffnet, so erneuerte sich eine ganze Szene von unendlicher Mannigfaltigkeit. Auf gleiche Art entstand eine ganze Menge von Empfindungen, wenn der Arm oder der Fuß bewegt wurde, die zusammen nur eine ausmachten, und jeder Schmerz in einem Teil des Körpers ist ein Inbegriff von mehreren gleichzeitigen Gefühlen und Eindrücken, die miteinander entstehen und vergehen. Solche näher verbundene Eindrücke müssen sich also, sozusagen, von selbst in einzelne Haufen zusammenziehen, und zwar nach dem Gesetz der Assoziation, noch ehe die Denkkraft zu vergleichen anfängt, und die Verschiedenheiten gewahrnimmt."
Kurz gesagt muß eine Scheidung der charakterisierten Empfindungen jeder Gruppe zusammen in großer Zahl auftreten und sich assoziativ verknüpfen.

Man muß sich wundern, daß TETENS diesen Tatbestand nicht an erster Stelle angeführt hat, da hier für die Scheidung der betreffenden Empfindungen in Haufen geringe psychische Leistungen in Anspruch genommen worden als in den beiden vorher angeführten Fällen. Hier werden nur Empfindungen und Assoziationen der Empfindungen vorausgesetzt, nicht etwa ein Wahrnehmen von Verschiedenheiten der Empfindungen, während in den beiden zuerst angegebenen Tatbeständen auch die Wahrnehmung von Verschiedenheiten der Empfindungen vorausgesetzt wird. Es würde deshalb wohl im Sinne von TETENS sein, wenn man diesen Tatbestand an erster Stelle für die Scheidung der Empfindungen in verschiedene Gruppen anführen würde.

Sind einmal die Empfindungen in verschiedene Ganze (Haufen) zusammengefaßt, so muß nach TETENS beim Übergang von einer Art von Empfindung zu einer anderen Art von Empfindung sich "eine große Aussicht" in der Seele auf einmal verändern, und sodann muß die Seele eine so entstehende Richtungsänderung der Aufmerksamkeit bemerken. Diese Richtungsänderung der Aufmerksamkeit tritt schon äußerlich hervor in den Blicken des Individuums. Man kann es jemandem gleich ansehen, ob seine Aufmerksamkeit sich auf äußere Gegenstände richtet oder ob sie nach innen auf sich selbst gerichtet ist. Diese Differenzen dienen der Seele als "Unterscheidungskennzeichen" der einen Art von Empfindungen gegenüber Empfindungen anderer Art.

Bevor wir weiter gehen in der Besprechung der psychologischen Genesis unseres Glaubens an die Außenwelt, wollen wir das Angeführte kritisch würdigen.

TETENS leitete die psychologische Untersuchung über den Ursprung unseres Glaubens an die objektive Existenz der Dinge, wie wir uns entsinnen, mit einer Polemik gegen die Auffassung derer ein, welche das vorauszusetzende Subjekt seine einzelnen Zustände, weil sie in ihm sind, in sich selbst setzen lassen. Die bezüglichen Ausführungen von TETENS sind voll und ganz berechtigt. Er polemisiert hier gegen eine intellektualistische Auffassungsweise, die auch heute noch ihre Vertreter hat.

Die Scheidung der verschiedenen Empfindungen in Gruppen soll also zunächst dadurch zustande kommen, daß sich die inneren Empfindungen von den äußeren durch eine größere Intensität und Dauer unterscheiden. Aber zugegeben, daß sich die Empfindungen "aus der Seele" und aus dem eigenen Körper einerseits von den Empfindungen aus fremden Körpern andererseits so unterscheiden, so ist damit doch für das vorauszusetzende Subjekt noch kein Prinzip für die Zusammenfassung dieser verschiedenen Arten von Empfindungen gegeben. Für den Psychologen mögen diese Differenzen der Empfindungen ein Motiv zur Zusammenfassung in Gruppen abgeben. Aber soll die längere Dauer und stärkere Intensität der Empfindungen den Zusammenschluß dieser Empfindungen in einem naiven Bewußtsein bewirken? Das sieht man nicht ein. Allerdings, wenn sich die Vorstellung des eigenen Körpers und fremder Körper schon gebildet hat (ohne daß sie als solche aufgefaßt werden), dann begreift man, wie jene Eigenschaften der verschiedenen Empfindungen dazu dienen können, den eigenen Körper als etwas Besonderes gegenüber den fremden Körpern abzuheben. Man wird dann vielleicht von diesen "inneren Empfindungen" die Gefühle und Beziehungen als für das vorauszusetzende Subjekt hier zunächst in Betracht kommend auffassen und die Entwicklung einer innigen assoziativen Beziehung zwischen der Vorstellung unseres Körpers und ihnen nachzuweisen suchen. Dabei müßte man aber, wie gesagt, schon die Scheidung der Auffassung unseres eigenen Körpers von der fremder Körper voraussetzen. Man wundert sich vielleicht, daß hier TETENS nicht die Scheidung der einzelnen Empfindungen durch die räumliche Auffassung in Anspruch nimmt. Doch das ist von seinem Standpunkt aus nicht unverständlich: wir brauchen uns nur an seine Auffassung der räumlichen Vorstellung zu erinnern, dieselbe schließt das Setzen von Beziehungen ein und eine solche Leistung unserer Denktätigkeit mag er auf dieser niederen Entwicklungsstufe nicht in Anspruch nehmen.

Für die Scheidung der Empfindungen aus der Seele von denen aus dem Körper führte TETENS an, daß die ersteren im Gegensatz zu den letzteren nicht wahrgenommen werden, wenn sie da sind. Dagegen ist Folgendes einzuwenden. Die hier in diesem Stadium der Entwicklung zunächst in Betracht kommenden psychischen Funktionen, die Gefühle und Begehrungen, sind an und für sich dem Individuum klar bewußt, auf sie braucht sich nicht erst noch eine andere Wahrnehmungstätigkeit zu richten und das geschieht auch nicht. Sodann würde aber auch vom vorauszusetzenden Subjekt eine solche Differenz nicht bemerkt werden. Dem Psychologen ist natürlich eine solche Differenz sehr geläufig, er muß aber bei dieser Art von Ausführungen stets die Entwicklungsstufe des vorauszusetzenden Subjekts im Auge behalten.

Einen positiven Wert glauben wir dagegen dem zu dritt angeführten Tatbestand beilegen zu dürfen. Hier betonte TETENS die eigene Verbindung der verschiedenen Empfindungen untereinander. Er verwies hier auf die Menge von Empfindungen des eigenen Körpers, die bei der Bewegung von Hand und Fuß entstehen, auf die Fülle von Gesichtsempfindungen, die sich beim Öffnen der Augen darbieten und doch in eine zusammengefaßt sind. Hier wäre vielleicht zu bemerken, daß für den assoziativen Zusammenschluß dieser Empfindungen nicht nur ein Zuusammensein der verschiedenen Phänomene in einem Totalphänomen, sondern auch ein mehr oder weniger deutliches Hervortreten der einzelnen Phänomene Bedingung ist, im objektiven Zusammensein wäre noch kein Assoziationsprinzip von in Betracht kommender Wirkung gegeben. Vielleicht hat das aber auch TETENS gemeint, ohne es bestimmt auszusprechen. Er sagt nämlich bezüglich der Gesichtsempfindungen:
    "Sobald z. B. die Augen geschlossen wurden, so verschwand die ganze Menge von Gesichtsempfindungen auf einmal; wurden sie wieder eröffnet, so erneuerte sich eine ganze Szene von unendlicher Mannigfaltigkeit." (9)
Das zuletzt von TETENS angeführte Moment scheint uns dem vorauszusetzenden Individuum wieder zuviel zuzumuten. Er soll von demselben die Richtungsänderung der Aufmerksamkeit, welche beim Übergang von einer Art von Empfindung zur anderen entsteht, bemerkt und als Unterscheidungskennzeichen verwertet werden.

Wir können jetzt weiter gehen in der Behandlung der Rechenschaftsablegung TETENS' über die Genesis des Glaubens an die objektive Existenz der Dinge. Wir werden hier einer Reihe treffender Feststellungen bezüglich dieser Entwicklung begegnen.

Mit der Scheidung der verschiedenen Arten von Empfindungen in verschiedene Gruppen ist erst ein kleiner Anfang gemacht zur Entwicklung unserer Auffassung der objektiven Existenz der Dinge.
    "Der Gedanke: "das, was ich da sehe, ist ein Baum, der vor mir steht, ein gewisses Ding oder ein wirkliches Objekt, das ich nicht selbst bin" und "die Bewegung und Figur, die ich gewahrnehme, ist eine Beschaffenheit in der äußeren Sache" und dgl. Aussprüche mehr, erfordern, daß Ideen von diesen allgemeinen Prädikaten in uns sind, die wir den Subjekten zuschreiben."
Dazu müssen wir zunächst den Begriff von einem Ding und einer Beschaffenheit haben.

Wir haben bei der Besprechung der Inhärenzbeziehung gesehen, wie diese Ideen sich entwickeln, wie wir zur Idee von einem unzertrennten koexistierenden Ganzen kommen, in dem ein (hervortretender) Zug als seine Beschaffenheit enthalten ist, und wie wir dieses Ganze auffassen lernen als einen
    "dunklen unauflösbaren Boden, auf welchem noch unendlich vielfache, aber für uns nicht unterscheidbare Punkte vorhanden sein können."
Wir haben weiter gesehen, wie die Idee des Ichs mit seinen Eigenschaften entsteht. Wir hörten damals schon, daß die Idee des Dings nach TETENS noch eine mannigfache Entwicklung durchmachen muß. Wir fassen nämlich das Ding weiter auf als ein wirklich seiendes. Wie kommt diese Idee des Wirklichseins zur Entwicklung? Wir fassen es weiter auf als ein fortdauerndes und zuletzt als ein für sich bestehendes. Man sieht, TETENS hat seine Aufgabe in dieser Sache tiefer erfaßt als irgendeiner vor ihm.

Zunächst der Begriff des Wirklichseins. Wie kommt der zustande? Wirklichsein ist zunächst so viel wie gefühlt und empfunden werden im Gegensatz zum Vorgestellt werden. Das Wirkliche ist das Empfundene, das Unwirkliche das bloß Vorgestellte. Die Idee des Wirklichseins entsteht deshalb dadurch, daß das Empfundene, Gefühlte verglichen wird mit dem bloß Vorgestellten.
    "Sobald eine Vorstellung, das ist, ein wieder erneuter Abdruck eines vorigen Zustandes, ein Phantasma, mit dem Gefühl eines gegenwärtigen ähnlichen Zustandes verglichen wird, so muß der Gedanke, daß Vorstellung und Sache unterschieden sind, hervorgehen. Dazu reicht die natürliche Verschiedenheit der schwachen Vorstellung des Vergangenen mit dem Gefühl des Gegenwärtigen, wenn sonsten alles einerley ist, schon hin. Die Abstraktion von der Objektivität im Hinblick auf dieses erste Merkmal konnte also aus allen Empfindungen und Vorstellungen, die einander soweit ähnlich wären, als die Identität des Gegenstandes es mit sich brachte, erhalten werden."
Man erinnert sich an analoge Entwicklungen neuerer Autoren. Eine kritische Würdigung dieser Auffassung gebe ich später. (10)

Da nun, wo das charakterisierte Ganze als ein wirklichseiendes aufgefaßt wird, und wo dann nocht weiter die Beziehung des betreffenden Empfindungskomplexes als Wirkung auf eine Ursache außerhalb desselben, spricht TETENS lieber von einem Objekt als von einem Ding.

TETENS meint also, daß das naive Bewußtsein die Empfindungen auf Objekte als ihre Ursachen bezieht. Von der Entstehung des Begriffs der Verursachung haben wir früher gehandelt.
    "Hier bedarf es jenes völligen Begriffs nicht. Es ist genug, daß unter Ursache der Empfindung ein Ding gedacht wird, das von der Empfindung verschieden ist, aber diese zur Folge hat. Der unentwickeltste Begriff von der Ursache war schon hinreichend, um diejenige Idee vom Objekt zu bewirken, von deren Entstehungsart hier die Rede ist."
Kritisch behandeln wir diese Vorstellungsweise, wie überhaupt die in Rede stehenden Entwicklungen, später im Zusammenhang.

Das Objekt wird nun weiter aufgefaßt als ein dauern bestehendes. Hier gibt TETENS Rechenschaft vom Begriff der Zeit, denn der Begriff vom Bestehen und Fortdauern bezieht sich auf den Begriff der Zeit. Die Entwicklung es Zeitbegriffs haben wir ja aber bereits kennengelernt. Nun gibt aber TETENS leider nicht an, was uns dazu veranlaßt, auf das, was wir als Objekt auffassen, den Begriff des dauernden anzuwenden.

Das Ding wird zuletzt aufgefaßt als für sich bestehend. Wenn diese Auffassung zur Entwicklung gekommen ist, spricht TETENS von der Idee der Substanz.

Wie aber kommt sie zur Entwicklung?

Die Idee von einem für sich bestehenden Ding kann sich nur entwickeln, wenn der betreffende Empfindungskomplex allein für sich vorhanden ist
    "und also die fühlende Seele während des Gewahrnehmens so ganz ausfüllt, daß kein anderes größeres und weiter sich ausbreitendes Gefühl, welche jenes in sich schließt, als gleichzeitig vorhanden bemerkt wird." (11)
Diese Forderung ist ohne Zweifel erfüllt bei dem "Gefühl von unserem Ich", dieses wird deshalb als für sich bestehendes Ding, als Substanz aufgefaßt, wobei nur der Begriff der Substanz in Betracht kommt, wie er im gemeinen Verstand vorhanden ist (12), nicht der bei Metaphysikern entwickelte.

Es fragt sich aber, ob auch bei äußeren Empfindungen diese Forderung erfüllt sein kann. Diese Frage ist für TETENS sehr wichtig, weil sie ihm zugleich eine wichtige erkenntnistheoretische Bedeutung hat. Die Idealisten nämlich sagen: Die Idee des für sich bestehenden Dings ist durch die Erfahrungen zur Ausbildung gekommen, welche wir an unserem Ich machen. Sie ist dann später übertragen worden auf äußere Empfindungskomplexe, an denen sie primär nicht zur Entwicklung kommen kann, weil hier die angegebenen Bedingungen für die Entwicklung dieser Idee nicht gegeben sind. Die Übertragung aber geschieht zu Unrecht.

Nun sagt sich TETENS, diese Anschauung der Idealisten ist psychologisch fundiert. Wir wollen sehen, ob die psychologischen Behauptungen derselben zu Recht bestehen. Wir wollen uns die äußeren Empfindungskomplexe daraufhin ansehen, ob sie wirklich nicht das enthalten, was für die Entwicklung der Idee des für sich existierenden Dings gefordert wird. Sollte sich auch in den äußeren Empfindungen die notwendige Grundlage für die Entwicklung dieser Idee finden, so ist die obige idealistische Betrachtungsweise widerlegt und es ist zugleich direkt damit bewiesen, daß wir - hier nimmt der Gedankengang eine positiv-erkenntnistheoretische Wendung - daß wir mit demselben Recht von äußeren Substanzen wie vom Ich als einer Substanz sprechen. Es schließt sich sodann noch eine weitere erkenntnistheoretische Folgerung an, die wir später behandeln.

Die Idealisten begründen ihre obige Auffassung in folgender Weise: Die äußeren Empfindungen
    "werden so bald nicht unterschieden und gekannt, als sie auch schon auf unser Ich, mit dessen Gefühl sie unzertrennlich verbunden sind, bezogen und wie Beschaffenheiten in einem Subjekt gedacht werden. Die äußeren Empfindungen können für sich also in der Vorstellung als solche völlig abgesonderte Ganze nicht erscheinen, und also keinen Stoff zur Idee eines wirklichen Dings hergeben". (13)
Dagegen macht TETENS geltend:
    "Jedwede äußere Empfindung, von einiger Stärke und Dauer, besitzt die Kraft, die Seele, auf eine Weile wenigstens, außer sich herauszuziehen, in dem Maße, daß sie sich selbst als zurückwirkendes, vorstellendes, denkendes und wollendes Wesen vergißt, und sich allein mit der ihr beigebrachten Modifikation beschäftigt, ohne ihre eigenen Tätigkeiten dabei gewahrzunehmen. Dies ist Erfahrung. - - - Und bei solchen Empfindungen fehlt schlechthin die Veranlassung, sie in sich selbst zu setzen. Es waren von andern abgesonderte und für sich allein vorhandene Empfindungen." (14)
Hier bei den äußeren Empfindungen ist also die für die Entwicklung der Auffassung des für sich bestehenden Dings der Substanz (im angegebenen Sinn) ebenso realisiert wie beim Ich. Sie sind uns ebenso allein für sich gegeben, sie erfüllen die Seele ganz, so daß "kein anderes größeres und weiter sich verbreitendes Gefühl, welches jenes in sich schließt, als gleichzeitig vorhanden bemerkt wird".

Die hier aufgestellte Behauptung, daß jede äußere Empfindung die Grundlage für die Entwicklung dieser Idee bietet, wird später dahingehend eingeschränkt, daß die Gesichts- und Tastempfindungen die Seele in solcher Weise in Anspruch nehmen, daß sie ihre eigenen Tätigkeiten nicht bemerkt - oder genauer noch die Empfindungen des Gesichts und die "sanften, ansich deutlichen Eindrücke auf das äußere körperliche Gefühl". (15) Diese Wirkung wird beim Gesichtssinn dadurch noch verstärkt, daß auch die "Wiedervorstellung" der Gesichtsbilder die Seele in der bezeichneten Weise beschäftigt.

Die Gesichts- und Tastempfindungen nehmen aber diese Sonderstellung ein, weil sie sich durch Klarheit und Deutlichkeit den anderen Empfindungen gegenüber auszeichnen, dazu haben sie eine geringere Intensität. Diese Eigenschaften bedingen, daß die Seele sich voll und ganz mit ihnen beschäftigt und dabei ihre eigenen Tätigkeiten nicht bemerkt. Die übrigen Empfindungen können höchstens sekundär auf ein solches für sich bestehendes Ding bezogen werden.
    "Ein Ding wirkt zugleich auf mehrere Sinne. Diese gleichzeitigen Gefühle machen zwar ein abgesondertes, für sich bestehendes Ganzes; aber jeder Teil dieses Ganzen, was etwa auf den einen oder anderen Sinn allein fiel, war nicht so abgesondert, daß es ohne Verbindung mit dem andern sein konnte. Daher geschah die Verteilung des äußeren Gefühls in abgesonderte Haufen nicht nach einer Verschiedenheit der Sinne, so daß die Gesichtsempfindungen für sich ein Ganzes, die Gefühlsempfindungen ein anderes, die Eindrücke auf das Gehör ein drittes, die Gerüche ein viertes usw. ausmachten. Vielmehr zogen sich alle Gefühls-, Geruchs-, Gesichts- und Geschmackseindrücke einer Blume z. B. in eine ganze Empfindung zusammen; und wo dies geschehen ist, da kann keine einzelne Empfindung, die in diesem Ganzen begriffen ist, anders als in der Gestalt einer Beschaffenheit sich der Reflexion darstellen." (16)
Aus diesen Entwicklungen ergibt sich vor allem, daß die Auffassung er äußeren Dinge als für sich bestehender Größen zur Ausbildung kommt, ohne von der Auffassung des Ichs als eines für sich bestehenden "Dings" abhängig zu sein. Wir haben dabei zugleich Einblick bekommen in die Genesis der Auffassung von äußeren Dingen als für sich bestehender Größen.

Wir können von den gemachten Entwicklungen eine "Grundregel" ableiten, "wonach wir über die subjektivische und objektivische Existenz der Dinge urteilen" - gemeint ist das Prinzip, von dem das naive Individuum bestimmt wird, wenn es psychische Vorzüge als subjektiv oder objektiv auffaßt, auf sein Ich, auf seinen Körper oder auf äußere Dinge bezieht. Diese sich aus dem Gesagten ergebende Grundregel ist nach TETENS folgende:
    "Wir setzen eine jede Empfindung in das Ding hin, in dessen gleichzeitiger Empfindung sie wie ein Teil in einem Ganzen enthalten ist. Kurz: jede Empfindung wird dahin gesetzt, wo wir sie empfinden. Denn sie wird da und in dem Ding empfunden, wo und in dessen Empfindung sie selbst mit begriffen ist." (17)
So setzen wir z. B. die Freude, die Traurigkeit usw. in uns. (18) Allerdings können wir sie haben, ohne sie als in uns seiend aufzufassesn.
    "Der Mensch kann sich freuen, ohne auch schon mit dieser Freude die Idee zu verbinden, daß sie eine Beschaffenheit ist, die in einem Subjekt existiert. Aber sobald dieser letzte Gedanke hinzukommt, so nimmt er seinen Gemütszustand gewahr. Dies kann er aber nicht, ohne sein Ich mit gewahr zu nehmen, oder zugleich seine Kraft, sein Gefühl, sein Bewußtsein, seine Tätigkeit mit empfinden. Er nimmt ein Ganzes von Empfindungen zugleich gewahr, und in diesem Ganzen, das ist, in seinem Ich, nimmt er seine Freude gewahr, oder eine Beschaffenheit desselben; die Freude ist also in ihm"
und wird in diesem Fall als in ihm seiend aufgefaßt.

Die Geruchs- und Geschmacksempfindungen setzen wir in die Zunge und in die Nase. Von dieser Beziehung der Geruchs- und Geschmacksempfindungen müssen wir das Urteil über die äußere Ursache der Empfindungen unterscheiden, welches lautet: das Ding, was diesen Geruch und diesen Geschmack hat, ist außerhalb von uns. Dieses Urteil ist nach TETENS eine Folgerung, die wir durch Räsonnement [Argument - wp] gemacht haben:
    "es entstand nämlich eine Veränderung, welche ihre Ursache nicht in einem Organ hatte, noch sonst in uns selbst, und sie also in einem anderen Ding, das nicht wir selbst, noch unser Organ ist, das ist, in einem äußeren Ding haben mußte."
Diese Beziehung ist also sekundär, primär ist die Beziehung der Geruchs- und Geschmacksempfindungen auf das betreffende Organ und zwar deshalb, weil bei Geruchs- und Geschmacksreizen "Bewegungen im Organ" entstehen, deren Empfindungen das Ganze ausmacht, in welchem sich uns die Geruchs- und Geschmacksempfindungen als hervortretende Teile darstellen (19). Die doppelte Beziehung mancher Empfindungen tritt übrigens sehr schön im folgenden Fall hervor:
    "Das Feuer ist heiß, sagen wir, und schreiben die Hitze dem Feuer zu; und zugleich ist doch auch ein anderes Urteil in uns, nämlich: das Feuer macht die Hitze im Finger. Wir setzen also die Hitze in unseren Körper; aber jenes Urteil ist das lebhafteste und mach das letztere unbemerkbar." (20)
Die Geltung der angegebenen Grundregel wird weiter bestätigt durch die Eigentümlichkeit der Gesichtsempfindungen. Weshalb werden die Gesichtsempfindungen ausnahmslos nach außerhalb von uns versetzt? Diese Frage beantwortet sich nach den uns durch die obige Grundregel an die Hand gegebene Betrachtungsweise leicht. Die Gesichtsreize sind relativ zarte Eindrücke, die leicht "durch ihre Organe durchzugehen, ohne Erschütterungen hervorzubringen, wodurch die das Organ charakterisierenden Gefühle erregt würden."

Die Tastempfindungen werden das eine Mal nach außen verlegt, das andere Mal in die gereizten Organe, je nachdem die Reize eine geringere oder größere Intensität haben.

Über die Gehörsempfindungen endlich äußert sich TETENS dahin, daß sie nicht in die Organe verlegt werden, weil sie ebenfalls schwächere Reize sind und wir deshalb das Organ nicht mitempfinden. Sie können aber auch nicht nach außen verlegt werden, weil ihnen die Völligkeit und Dauer fehlt, um uns als ein für sich bestehendes Ding vorzukommen. So finden wir "kein näheres Subjekt für den Ton als unser Ich" und setzen ihn deshalb in uns, zumal die Töne "selten gleichgültige Gefühle sind."

So finden wir die angegebene Grundregel bei der Auffassung der Empfindungen der verschiedenen Sinne in Kraft.

Diese Grundregel war abgeleitet aus den obigen Entwicklungen über die Entstehung der Ideen des Ich und der Körper außerhalb von uns. Aus diesen Entwicklungen ist auch der Unterschied zwischen qualitatibus primariis und secundariis zu begreifen. (21)

Nach LOCKE und anderen sollen einige von den "objektivischen Beschaffenheiten, von den auf Objekte bezogenen Beschaffenheiten", von den auf Objekte bezogenen Beschaffenheiten", von den auf Objekte bezogenen Beschaffenheiten, unseren subjektiven "Bildern" ähnlich sein, andere nicht. Zu den ersteren, den qualitatibus primariis, wird gerechnet der Ort, die Farbe, die Bewegung, die Gestalt, die Ausdehnung, Vorstellungen, die wir durch den Gesichtssinn und den Tastsinn erlangen, während die übrigen Sinnesqualitäten subjektiv sind. Nach TETENS sind die gesamten Sinnesqualitäten subjektiv, von der Art unserer Körperorgane abhängig. Der wesentlichste Unterschied der qualitates primarii von den qualitates secundarii liegt - das ergibt sich uns aus dem früher über die Sonderstellung der Gesichts- und Tastempfindungen Gesagten - darin, daß die ersteren Empfindungen klarer und deutlicher sind. Wir entsinnen uns, daß nach TETENS die Vorstellungen des für sich bestehenden Dings sich aufgrund der besonderen Klarheit und Deutlichkeit der Gesichts- und Tastempfindungen entwickelte. Die anderen Empfindungen sind im Gegensatz zu diesen verwirrte Empfindungen.

Der gewöhnlich als zwischen den primären und sekundären Qualitäten bestehend gedachte Unterschied ist nur ein gradueller von untergeordneter Bedeutung. TETENS spricht im einen Fall von bildlichen Zeichen, die unsere bezüglichen Empfindungen und Vorstellungen abgeben.

Eine Folge des an erster Stelle und am schärfsten hervorgehobenen Unterschiedes zwischen primären und sekundären Qualitäten stellt sich uns dar in der Eigentümlichkeit der Ideen des Gesichts- und Tastsinns im Gegensatz zu den Ideen anderer Sinne.
    "Da sie deutlicher und schwächer sind als andere Empfindungsvorstellungen, so reizen sie auch mehr die Denkkraft zur Beschauung, zum Vergleichen, zum Denken, als das Gefühl, die Empfindsamkeit und die Triebe zum Empfinden und Handeln." (22)
Die Gesichtsideen insbesondere werden deshalb von TETENS in folgender Weise charakterisiert:
    "Die Gesichtsideen sind Vorstellungen, die am meisten von der Denkkraft bearbeitet sind. Was hier Empfindung und Vorstellung ist, besteht in Licht und Farben, und diese Empfindungen sind schwache Empfindungen, aber sehr deutlich auseinandergesetzt. Das sichtliche Bild ist daher merklich unterschieden von der Idee des gesehenen Objektes. Jenes wird fast unkenntlich unter den Zusätzen, die von der Denkkraft kommen, und daher bemerkt der gemeine Verstand es selten, wenn er auf seine Idee zurücksieht. Die Perspektive lehrt uns, auf das sichtliche Bild recht acht zu haben; aber die Idee vom Baum, den ich sehe, ist fast ganz eine Zusammensetzung von Verhältnisgedanken und von Urteilen, daß da ein Ding außerhalb von mir steht, ein Ding von einer gewissen Länge, Dicke, Breite, Figur, in einer gewissen Weite usf." (23)
Man achte übrigens auf den vom bisherigen abweichenden Gebrauch des Terminus "Idee". -

Bevor wir zur Behandlung der bezüglichen erkenntnistheoretischen Fragen nach der objektiven Gültigkeit der Idee der Außenwelt übergehen, wollen wir eine kritische Würdigung von TETENS' Anschauung über die Entstehung des Dingbegriffs, des Objektbegriffs, des Substanzbegriffs, des Begriffs des äußeren Objekts übergehen.

Wenn TETENS für die Genesis des Dingbegriffs das Vorhandensein von Empfindungskomplexen durch die uns "unzertrennte" Ganze gegeben sind, deren Bestandteile koexistieren, und dann weiter die Erfaßbarkeit dieser Komplexe in je einem Akt des Bewußtseins verwertet, so finden wir die Hervorhebung dieser Faktoren durchaus berechtigt.

Weiter entwickelt TETENS, wie man sich entsinnt, daß das Ding aufgefaßt wird als ein Etwas mit einem "dunklen unauflösbaren Boden". Hierüber aber, ob im Dingbegriff der Gedanke eingeschlossen ist, daß uns die Dinge bei geeigneter Betrachtung eine unbestimmt große Anzahl von Eigenschaften offenbaren, ein Gedanke, der zur Entwicklung gekommen sein soll aufgrund der Erfahrung, daß "wo wir die Auflösung versucht haben", sichs fand, "daß immer noch etwas Unaufgelöstes zurückblieb", daß die noch mögliche Auflösung "ins Unendliche zu gehen, oder doch für uns endlos" (24) zu sein, über diese Auffassung von TETENS läßt sich sehr streiten. Hier liegt es nahe geltend zu machen, daß sich dem Forscher allerdings die Dinge zeitweilig so präsentieren mögen, daß sich aber wohl diese Auffassung beim naiven Menschen - zumal als ständige Komponente des Dingbegriffs - nicht nachweisen läßt.

Berechtigt ist dann weiter ohne Zweifel die Verwertung des Begriffs des Wirklichseins in der Rechenschaftsablegung über die in Rede stehende Genesis. Berechtigt scheint uns auch die Verwertung des Gegensatzes zwischen dem Charakter der Wahrnehmung und dem der Vorstellung zu sein. Nur möchten wir die Idee des Wirklichseins nicht einfach auf die Vergleichung einer Empfindung mit einer inhaltlich gleichen Vorstellung gründen.

Wir möchten hier konkretere Forderungen erheben, nämlich die, daß dem Individuum die Vorstellung eines bestimmten Dings gegeben ist und daß in demselben ein Verlangen nach dem früher wahrgenommenen Gegenstand auftritt. Unter solchen Bedingungen wird ihm der Unterschied zwischen dem Wahrgenommensein und dem bloßen Gedachtsein klar zu Bewußtsein kommen, das Wahrgenommensein ist ihm das Wirklichsein im Gegensatz zum Gedachtsein. (25)

Weniger glücklich ist dagegen weiter die Verwendung der Kausalbeziehung, welche uns von der gegebenen Empfindung auf dessen im äußeren Objekt gegebene Ursache führen soll. Hier haben wir es mit einer intellektualistischen Auffassung von TETENS zu tun. Das naive Individuum bezieht nicht die Empfindung als Wirkung auf etwas darüber hinausliegendes als Ursache, es glaubt in der Empfindung die Dinge selbst zu erfassen.

Das Ding wird weiter aufgefaßt als ein fortdauerndes. TETENS beschränkt sich hier darauf, Rechenschaft von der Genesis der Idee der Zeit und der Dauer zu geben, zeigt aber nicht, wie wir dazu kommen, das Ding als ein fortdauerndes und zwar nicht bloß während der Wahrnehmung dauerndes, sondern, was uns erkenntnistheoretisch besonders interessiert, als ein unabhängig vom Wahrgenommenwerden fortdauerndes aufzufassen. Wir vermissen hier also kurz gesagt die Rechenschaftsablegung über die Entwicklung der Idee der Permanenz der Dinge unabhängig von ihrem Wahrgenommenwerden.

Wenn diese Entwicklung gegeben wäre, dann hätte TETENS nicht weiter von der Entstehung er Idee des für sich bestehenden Dings zu handeln brauchen. Bei der von TETENS gegebenen Rechenschaftsableung über die Genesis dieser Idee werden uns übrigens nur Bedingungen aufgewiesen, unter denen das Individuum einen Empfindungskomplex für sich hat, wir vermissen aber die Angabe der Bedingungen, unter denen es denselben als für sich bestehend auffaßt.

Man könnte gegen TETENS' Genesis der Vorstellung von äußeren Objekten als für sich bestehender Größen einzuwenden geneigt sein, daß TETENS dabei doch, was er ja nicht will, die Ichvorstellung voraussetzt. Er sagt doch: in Betracht kommen hier Empfindungen, welche die Seele so beschäftigen, daß sie ihre eigene Tätigkeit nicht bemerkt. Diese Empfindungen sind also abgesondert. Wir haben keine Veranlassung sie in uns zu setzen. "Wir setzen sie daher außerhalb von uns, denn wir müssen ja gewahrnehmen, daß sie von unserem Ich unterschiedene Sachen sind." (26) Hier wird abern nicht für die Genesis der Vorstellung äußerer Objekte als für sich bestehender Größen die Ichvorstellung vorausgesetzt, sondern für die Entstehung der Auffassung dieser äußeren Objekte als äußerer. -

Was die erkenntnistheoretische Frage nach der Berechtigung unseres Glaubens an die Außenwelt betrifft, so haben wir hier bei TETENS zwischen zwei Antworten zu unterscheiden.

Zunächst soll die im 5. Versuch aufgewiesene Genesis des Glaubens an äußere Objekte auch erkenntnistheoretisch zu Recht bestehen. Das ist am deutlichsten zu ersehen aus einer Stelle des 8. Buches, wo TETENS auf unsere Entwicklung im 5. Buch Bezug nimmt. Er sagt da:
    "Die Räsonnements der Idealisten und der Harmonisten brauchen eine scharfe Prüfung, und haben die Evidenz nicht, die ihnen beigelegt wird. Im Streit mit den Idealisten ist die wahre Evidenz auf der Seite des gemeinen Verstandes, wenn es anders, wie es ist, ebenso subjektivisch und absolut notwendig ist, mit Gefühlen von unserem Körper, die Idee von einem existierenden Objekt, als solche mit den Selbstgefühlen von unserem Ich zu verbinden, und wenn wir ebenso notwendig jene Objekte von diesem Ich unterscheiden, als zwei verschiedenen Vorstellungen in uns (Fünfter Versuch VII)." (27)
In Wirklichkeit ist aber die hier aufgewiesene Genesis nicht erkenntnistheoretisch als Beweis für die Existenz äußerer Objekte zu verwerten. Denn diese Genesis kommt dadurch zustande, daß die Empfindungsinhalte als für sich bestehend angesprochen werden, weil die gleichzeitigen psychischen Tätigkeiten nicht bemerkt werden. Es kommt mithin diese Anschauung durch eine unvollständige, einseitige Auffassung des vorliegenden Tatbestandes zustande.

Eher läßt sich ein anderer Beweis hören, der von TETENS für die Existenz der Außenwelt beigebracht ist. "Die Gewißheit, die wir von der Wirklichkeit äußerer Dinge haben," beruth darauf, "daß wir Gefühle in uns gewahrnehmen, die aus uns selbst nicht entstehen, und als außerhalb von uns Ursachen vorhanden sein müssen, die auf uns wirken. Das Dasein dieser Gefühle erkennen wir durch das unmittelbare Bewußtsein; aber daß solche nicht aus uns selbst entstehen, woher wissen wir das? Oft nehmen wir es nur aus Unwissenheit so an, nach dem Grundsatz: was ich nicht gewahr werde, ist nicht; aber in solchen Beispielen, die für uns die Grundempfindungen ausmachen, fühlen wir auch zugleich, daß unsere innere leidende Kraft den ihr beigebrachten Modifikationen entgegenarbeitet, und den Effekt vernichten würde, wenn sein Dasein von ihr abhinge. Und in diesen Fällen schließen wir nicht unrichtig, daß dasjenige nicht vorhanden ist, was wir nicht bemerken, weil wir es bemerken müßten, wenn es vorhanden wäre. Ich halte mich überzeugt, aß jetzo außer mir allein, kein Mensch in meiner Stube ist. Ich sehe mich um und erkenne, wenn jemand vorhanden wäre, so würde ich ihn gewahr werden. Ich bin also sicher, daß niemad da ist, weil ich niemanden gewahr werden." (28)

Eine ähnliche Betrachungsweise findet man bekanntlich auch jetzt noch häufig bei Erkenntnistheoretikern. Gegen dieselbe möchte man vielleicht geltend zu machen geneigt sein, hierbei wird die unkritische Voraussetzung gemacht, daß unsere Kausalschlüsse Gültigkeit haben über unser Erfahrungsgebiet hinaus. Doch dieser Einwand kann TETENS nicht treffen, da ihm, wie wir später sehen werden, die objektive Gültigkeit solcher Kausalbeschlüsse nichts anderes ist als eine unerveränderlich subjektive Gültigkeit.

Ich will zuletzt hier nicht unerwähnt lassen, daß TETENS anzunehmen scheint, daß der hier angegebene Kausalschluß auf die Existenz äußerer Dinge nicht bloß vom Erkenntnistheoretiker, sondern auch vom naiven Individuum gemacht wird. TETENS spricht hier von der "Gewißheit, die wir überhaupt von der Wirklichkeit äußerer Dinge haben" und fährt dann fort: "Die letztere beruth doch darauf, daß wir Gefühle in uns gewahrnehmen" (29) usw. Also handelt es sich nach ihm auch wohl um eine Schlußweise des naiven Individuums. Dann wäre diese Ausführung des 7. Versuchs in Beziehung zu setzen zu der Stelle des 5. Versuchs, wo er kurz von der Beziehung unserer Empfindungen auf Objekte als ihre Ursachen spricht (30). Diese psychologische Behauptung würde dann den Fehler haben, daß sie nicht beachtet, daß das naive Individuum in den Empfindungen die Objekte zu erfassen glaubt.
LITERATUR: Gustav Störring, Die Erkenntnistheorie von Tetens, Leipzig 1901
    Anmerkungen
    1) 7. Versuch, Seite 512f
    2) 7. Versuch 512
    3) 7. Versuch, Seite 516 und 517
    4) 7. Versuch, Seite 518, 527; 4. Versuch Seite 317.
    5) 7. Versuch 527
    6) 7. Versuch 529
    7) 5. Versuch 378 und 379
    8) 5. Versuch 384 und 385
    9) 5. Versuch 386
    10) 5. Versuch 395 und 396.
    11) 5. Versuch 400
    12) 5. Versuch 400
    13) 5. Versuch 405
    14) 5. Versuch 408
    15) 5. Versuch 409
    16) 5. Versuch 408
    17) 5. Versuch 415 und 416
    18) 5. Versuch 417
    19) 5. Versuch 417 und 418
    20) 5. Versuch 419
    21) 5. Versuch 422f
    22) 5. Versuch 424
    23) 4. Versuch 343.
    24) 5. Versuch 391
    25) Eine nähere Bestimmung des Unterschiedes zwischen dem Vorgestelltsein und dem Wahrgenommensein habe ich an einem anderen Ort zu geben versucht: "Vorlesungen über Psychopathologie in ihrer Bedeutung für die normale Psychologie", Seite 61f.
    26) 5. Versuch 408
    27) 8. Versuch 585
    28) 7. Versuch 563
    29) 7. Versuch 563
    30) 5. Versuch 397