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Die Erkenntnistheorie von Tetens [1/3]
Vorrede Ich glaube nun, daß es sich lohnt, diese Arbeit zu leisten und zwar aus einem doppelten Grund. Einmal steht die Erkenntnistheorie von TETENS in interessanten historischen Beziehungen: zu HUME, zu LEIBNIZ und zu KANT. Sodann scheint mir die Erkenntnistheorie von TETENS auch ein systematisches Interesse zu haben, vor allem sind bei TETENS auch heute noch wertvoll seine psychologischen Genesen derjenigen Vorstellungsweisen, über deren Gültigkeit man in der Erkenntnistheorie handelt; seine erkenntnistheoretischen Bestimmungen selbst scheinen mir aber auch jetzt noch zumindest anregend zu sein. Die Behandlung von TETENS' Erkenntnistheorie hat mich veranlaßt, einmal Bestimmungen über die psychische Genesis erkenntnistheoretisch interessierender Vorstellungsweise zu machen, sodann Feststellungen über die Denkgesetze in ihrer erkenntnistheoretischen Bedeutung und zuletzt eine Rechtfertigung der Verwertung psychologisch-genetischer Untersuchungen für die Erkenntnistheorie zu geben. JOHANN NICOLAUS TETENS war ein Zeitgenosse KANTs. Er war Physiker und Philosoph. Von 1777 - 1789 war er Professor der Philosophie in Kiel, nachdem er vorher mehrere Jahre Professor der Physik in Bützow gewesen war. Sein philosophisches Hauptwerk sind die philosophischen Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwicklung vom Jahr 1777. In ihm finden wir die erkenntnistheoretischen Anschauungen von TETENS niedergelegt. Über die Erkenntnistheorie von TETENS kann man sagen, wie wir zeigen werden, im allgemeinen sagen, daß sie eine Synthese darstellt zwischen den Erkenntnistheorien von HUME und LEIBNIZ, gerade so wie KANT eine solche Synthese vollzogen hat. Wir wollen zuerst die Erkenntnistheorie von TETENS darstellen und die einzelnen Anschauungen einer kurzen Kritik unterziehen und sodann die historischen Beziehungen zu anderen Philosophen erörtern. Als Einleitung, die TETENS zu seiner Erkenntnistheorie gibt, kann man folgende Entwicklung auffassen. Unsere ersten Erkenntnisse sind sinnliche Erkenntnisse. Sie unterscheiden sich von vernünftigen Erkenntnissen so: "Die sinnlichen Erkenntnisse sind Empfindungsurteile, bei ihnen leistet die Denkkraft "das wenigste", bei den vernünftigen Erkenntnissen "das meiste". (1)
Solche Täuschungen nun in den sinnlichen Urteilen zu erkennen, dazu verhilft uns in einigen Fällen schon die Erfahrung des gewöhnlichen Lebens. "Wir haben es aus Erfahrungen gelernt, daß zwei Dinge in der Ferne gleich groß gesehen werden können, ohne es zu sein." Diese Berichtigung unserer sinnlichen Urteile geht aber noch nicht weit. Bilden wir dagegen durch Induktion auf wissenschaftlichem Weg allgemeine Erfahrungssätze, so können wir aufgrund solcher Sätze schon sehr viele subjektive Elemente ausscheiden. Bei gleichen Empfindungen fällt der Astronom ein ganz anderes Urteil über das Verhältnis der Größe des Mondes zur Größe der Sonne als der virgilische Schäfer. Die allgemeinen Erfahrungssätze sind das "Reellste in der menschlichen Erkenntnis und die wahren Materialien zu der Erkenntnis von den wirklichen Dingen." (3)
Diese allgemeinen notwendigen Vernunftwahrheiten charakterisieren sich nach drei Richtungen hin. Sie unterscheiden sich zunächst von anderen Sätzen dadurch, daß man von ihrer Wahrheit überzeugt ist, sobald man sie überhaupt nur versteht. Sodann ist "die Art, wie der Verstand jenen Axiomen Beifall gibt", eine eigentümliche. Das Gegenteil von ihnen kann man nicht denken, während man sich bei allgemeinen Erfahrungen nach den einzelnen Fällen umsieht, in welchen das Allgemeine vorkommt. Bei Letzteren wächst auch meine Überzeugung mit der Zahl der bekannt gewordenen Fälle, bei den Vernunftsätzen dagegen nicht. Zuletzt sind diese allgemeinen notwendigen Vernunftwahrheiten keine Beobachtungen oder aus Beobachtungen abstrahiert, sondern sie sind "Wirkungen, die von der Natur der Denkkraft abhängen, wie das Ausdehnen der Körper von der Natur des Feuers." (5) Von diesen Vernunftwahrheiten muß man ausgehen, wenn man die erkenntnistheoretische Frage nach der Gültigkeit unseres Wissens beantworten will. Von hier aus kann man gegen jede Skepsis Front machen. Der Skeptiker mag die Richtigkeit der Urteile des gemeinen Menschenverstandes und auch die allgemeinen Erfahrungssätze bezweifeln, jene Sätze kann er nicht bezweifeln. Wenn man sich darüber klar geworden ist, welches diese allgemeinen notwendigen Vernunftwahrheiten sind, kommt es dann weiter darauf an, aus ihnen und den "reinen Empfindungen" Erfahrungssätze abzuleiten. Unter den reinen Empfindungen sind solche Empfindungen zu verstehen, welche nicht durch Assoziationen fremden Inhalts, durch Zusätze der "Dichtkraft" verändert sind. (6) Zur völligen Rechtfertigung unseres Wissens, so weit überhaupt eine Rechtfertigung desselben möglich ist, wäre zuletzt nur noch nötig, die Widersprüche, welche der Skeptiker in unserem Wissen findet, aufzulösen. (7) Dieser letzte Teil der Widerlegung der Skeptiker kommt bei der Feststellung der Beziehung der Erkenntnistheorie von TETENS zu den von HUME zur Sprache. Die Darstellung der Erkenntnistheorie würde dann in zwei Teile zerfallen; wir würden uns einmal mit den notwendigen allgemeinen Vernunftwahrheiten und sodann mit den Erfahrungssätzen zu beschäftigen haben. Diese beiden Klassen von Wahrheiten kommen aber, da TETENS zwischen subjektiv notwendigen Wahrheiten und objektiv notwendigen Wahrheiten unterscheidet, zweimal zur Behandlung. Unter subjektivischer Notwendigkeit von Sätzen versteht er die Notwendigkeit, "mit der sie in unserem Verstand gemacht werden", unter objektivischer Notwendigkeit die Gültigkeit der Sätze für die Objekte außerhalb von uns.
Darstellung der Tetensschen Erkenntnistheorie 1. Teil Die subjektiv notwendigen Wahrheiten 1. Kapitel Die subjektiv notwendigen allgemeinen Vernunftwahrheiten I. Zwei Arten der subjektiven Notwendigkeit Die Frage nach der subjektiven Notwendigkeit der allgemeinen Vernunftwahrheiten zerlegt TETENS wieder in zwei. Er fragt zunächst: Erfolgt der Akt des Urteilens notwendig, "wenn die Vorstellungen gegenwärtig sind, und wenn sie so gegenwärtig sind, als sie es in dem Augenblick sind, wenn wir urteilen?" Er fragt sodann: Ist es notwendig, und inwieweit und bei welchen Erfordernissen, daß das Urteil seiner Form nach, wenn es erfolgt, so erfolgt, wie es erfolgt? Wir behandeln zunächst die erste Frage. TETENS schickt ihrer Behandlung voran die Hervorhebung der Unterscheidung zwischen "dunklen Urteilstätigkeiten" und klaren Urteilen zwischen erstmaligen und wiederholten und zuletzt zwischen unmittelbaren Urteilen und mittelbaren, wie sie uns in den Schlüssen gegeben werden. Es handelt sich also darum, ob die Äußerungen der Denkkraft unbedingt auf die ihr gewöhnlich vorausgehenden Vorstellungen und Gefühle hin erfolgen. Man wundert sich vielleicht, daß TETENS hier in diesem Zusammenhang eine solche Frage erörtert, die doch, wie es scheint, nur psychologisches Interesse hat, erkenntnistheoretisch ganz irrelevant ist. Er will doch in der Untersuchung über die subjektive Notwendigkeit der Vernunftwahrheiten diejenigen Wahrheiten aufweisen, die mit Notwendigkeit aus der Natur der Denkkraft hervorgehen, mit einer Notwendigkeit, auf welche die objektivische Notwendigkeit von Sätzen gegründet werden kann. Ein Urteil kann aber mit Notwendigkeit aus der Natur der Denkkraft hervorgehen und zur Grundlage einer objektiven Wahrheit dienen, und dabei trotzdem nach dieser Auffassung ein zufälliges sein. Bedeutung für unseren Gegenstand hat aber diese Untersuchung dadurch, daß uns hier deutlich hervortritt, was wir unter der subjektiven Notwendigkeit, die wir zur Grundlage unserer gesamten erkenntnistheoretischen Betrachtungen machen, nicht zu verstehen haben. Die "blinden Reflexionsurteile", die Urteile des gemeinen Menschenverstandes, wie die, daß Körper außerhalb von uns existieren, ferner "die ersten Räsonnements über die Gestalt des Himmels und viele andere Grundsätze" könnte man geneigt sein, für notwendig in dem zuerst charakterisierten Sinn des Wortes anzusprechen. Dagegen spricht aber die Tatsache, daß der Idealist, der "Harmonist" und der Astronom andere Urteile fällen. Diese Urteile, die, wenn keine besonderen Hindernisse auftreten, bei Gegenwart der betreffenden Vorstellungen erfolgen, werden willkürlich modifiziert. Ein solches Eingreifen von Seiten des Willens setzt aber ein häufiges unwillkürliches Auftreten dieser Urteile voraus: es gibt keine Beeinflussung durch den Willen ohne eine Vorstellung von dem, was beeinflußt wird, und diese Vorstellung setzt eine Empfindung, hier das unwillkürliche Auftreten des Urteils, voraus. Die Hemmung und Aufhebung der ursprünglichen Wirkung wird durch Assoziationen zustande gebracht. Wir gewinnen eine Idee vom Verneinen so gut wie vom Bejahen, und da wird es uns dann möglich, durch Assoziation der Idee der Verneinung mit den für das Urteil in Betracht kommenden Vorstellungen eine Hemmung oder Aufhebung der ursprünglichen Urteilsweise zustande zu bringen. Auch die häufige Wiederholung falscher Urteile vermag nicht eine Verbindung zustande zu bringen, die einen Notwendigkeitscharakter hat. So können höchstens "fast unauflöslich" Verbindungen zustande kommen. Dagegen sind die klaren Urteile in dem hier zuerst charakterisierten Sinne notwendig, vorausgesetzt, daß die in Betracht kommenden Vorstellungen die nötige Klarheit, Deutlichkeit und Stärke haben.
Ein ganz anderes Interesse hat für uns die Behandlung der subjektiven Notwendigkeit der Sätze in dem zu zweit bestimmten Sinn des Wortes. Hier wird also gefragt, ob es notwendig ist "und inwieweit und bei welchen Erfordernissen, daß ein Urteil seiner Form nach, wenn es erfolgt, so erfolgt, wie es erfolgt". Hier sind zufällige Urteile solche, bei denen das Urteil
Bewußtsein und die Formen der Verhältnisgedanken Subjektivisch notwendige Denkarten sind uns nun zunächst in den Denkgesetzen der Logik gegeben und im Satz vom unmittelbaren Bewußtsein, d. h. in dem Satz, der die Urteile der Anerkennung der unmittelbar gegebenen psychischen Zustände als evident hinstellt. Zu den Denkgesetzen rechnet TETENS zunächst den Satz des Widerspruchs, "widersprechende Dinge, viereckige Zirkel kann die Denkkraft nicht denken, den Satz vom ausgeschlossenen Dritten oder, wie er sagt, den Grundsatz aller möglichen Fälle: zwischen zwei kontradiktorisch einander entgegenstehenden Fällen läßt sich kein Drittes denken - und zuletzt den Satz der Identität oder vielmehr den Satz der Identität und der Diversität. Derselbe erhält die Fassung:
TETENS spricht von Verhältnisbegriffen, Verhältnisideen und Verhältnisgedanken. Er unterscheidet dieselben in folgender Weise. Verhältnis begriffe sind nach ihm allgemeine Verhältnisidee. Solche Begriffe sind z. B. die der Einerleiheit, Verschiedenheit, Abhängigkeit. Sie werden durch Abstraktion von den einzelnen Verhältnisideen gewonnen. Mit einzelnen individuellen Verhältnisideen haben wir es da zu tun, wo wir Urteile fällen wie die: Das Ding da ist dem andern Ding gleich, der Vorgang da ist die Wirkung jener Veränderung und dgl. Die einzelnen individuellen Verhältnisideen unterscheiden sich so von den Verhältnisgedanken, daß sie wahrgenommene Verhältnisgedanken sind. Auf die nähere Besprechung dieser Beziehung kommen wir weiter unten zurück. Wir fragen uns nun zunächst mit TETENS, wieviel Arten der Verhältnisideen, der Verhältnisbegriffe und Verhältnisgedanken zu unterscheiden sind. Es genügt hier, wie man sieht, etwa nach den Arten der Verhältnisideen zu fragen. Die Untersuchung dieser Frage leitet TETENS mit einer bezüglichen Orientierung ein in der Urteilslehre der Logiker. Er sagt sich, wenn die Logiker das Urteil definieren als einen "Gedanken von den Verhältnissen der Dinge oder vielmehr ihrer Ideen", so müßten wir eigentlich in den Logiken finden, wieviele Ideen von Verhältnissen zu unterscheiden sind. Wollte man sich aber auf die Lehre der Logiker in diesem Punkt verlassen, so käme zu der irrigen Anschauung, daß alle Verhältnisse sich auf das Verhältnis der Identität oder Diversität der Dinge, oder wie einige sich ausgedrückt haben, auf Einstimmung und Widerspruch reduzieren lassen. Denn die Logiker erklären das Urteilen weiter dahin, daß sie sagen, alles Urteilen ist ein Ding als einerlei oder verschieden Denken, wobei sie
Eine bessere Auffassung über die Arten der Verhältnisse findet TETENS bei LEIBNIZ. LEIBNIZ unterschied zwei Arten von Verhältnissen: "Vergleichungsverhältnisse" und "Verhältnisse aus der Verbindung". Mit den ersteren sind also die Verhältnisse der Identität und Diversität gemeint, mit den letzteren die Verhältnisse der Dependenz, der Ordnung, Verbindung der Dinge zu einem Ganzen, ihre Stellung, Lage usw. Zu den Verhältnissen aus der Verbindung rechnete LEIBNIZ auch die Kausalverhältnisse. Die Kausalverhältnisse können aber nicht mit den unwirksamen Beziehungen in eine Klasse gebracht werden. Wenn LEIBNIZ diese Auffassung so rechtfertigen wollte, daß er sagt, die übrigen Verhältnisse aus der Verknüpfung, so z. B. die räumlichen und zeitlichen Beziehungen, wären zuletzt auf ursächliche Verknüpfungen gegründet, so macht TETENS hiergegen mit Recht geltend: das sei eine "metaphysische Spekulation, die gewiß nicht zugrunde gelegt werden kann, wo man in der Erfahrungs-Seelenlehre die mannigfaltigen Verhältnis- und Denkarten aus Beobachtungen aufzählen muß." Bleibt man aber auf dem Boden der Erfahrungsseelenlehre stehen, so ist einmal zu sagen, daß die in den Schlußprozessen gegebenen Vorgänge etwas anderes sind als bloße (unwirksame) Sukzessionen von Ideen, es wird da eine Verhältnisidee aus anderen hervorgebracht (14) - ein ähnlicher Tatbestand liegt, wie sich später zeigen wird, bei unseren kausalen Verknüpfungen vor - sodann ist hier festzustellen, daß die kausale Verknüpfung die unwirksamen Beziehungen der Dinge (Koexistenz der bei der Verursachung mitwirkenden Faktoren) voraussetzt (15). Deshalb unterscheidet TETENS drei Arten von Verhältnissen:
2. Mitwirklichkeitsverhältnisse, 3. Dependenzverhältnisse. Von Mitwirklichkeitsverhältnissen oder Mitwirklichkeitsbeziehungen spricht TETENS bei den unwirksamen Beziehungen: bei der räumlichen Beziehung, der zeitlichen Beziehung und der Inhärenzbeziehung. Diese Beziehungen setzen wir, "wenn wir mehrere Gegenstände zugleich oder in der Folge uns vorstellen." "Von Dependenzverhältnissen oder Dependenzbeziehungen spricht er beim Verhältnis des Schlußsatzes zu seinen Prämissen und bei der Beziehung von Ursache und Wirkung. Die ursächliche Beziehung setzen wir, "wenn die Ideen der Objekte selbst in einer gewissen wirkenden Verbindung auf einander im Verstand sind". Diese Angabe wird später eine nähere Bestimmung erfahren. Dieser Unterscheidung der verschiedenen Arten von Verhältnissen und Beziehungen entsprechen bei TETENS verschiedene Formen von Urteilen. TETENS verwandte zu Anfang unserer laufenden Betrachtung die Definition des Urteils als eines Gedankens von einem Verhältnis der Dinge. Er selbst fordert außerdem für ein Urteil noch, daß das Verhältnis wahrgenommen wird, und definiert deshalb das Urteil als "eine Gewahrnehmung der Beziehung der Ideen". (16) "Da nun nicht jedes Verhältnis oder jede Beziehung in Einerleiheit oder Verschiedenheit besteht, so kann die Aktion des Urteilens auch nicht allemal ein Vergleichen sein." Er unterscheidet folgende Formen der Urteile:
- Ein Ding ist einerlei mit einem anderen oder verschieden von ihm. - Ein Ding ist Ursache oder Wirkung von einem anderen. - Ein Ding ist mit einem anderen auf gewisse Weise koexistierend."
Die Verhältnisbegriffe weisen uns, wie wir sahen, auf die Verhältnisideen zurück, sie sind allgemeine Verhältnisideen. Mit der Genesis der Verhältnisbegriffe brauchen wir uns deshalb nicht weiter zu beschäftigen, wenn wir von der Genesis der Verhältnisideen Rechenschaft geben. Die Verhältnisideen weisen uns, wie wir gesehen haben, auf die Verhältnisgedanken zurück. Zunächst die Entstehung der Verhältnisideen aus den Verhältnisgedanken. Verhältnisideen, wahrgenommene Verhältnisgedanken, spielen nach TETENS in unserem Denken eine größere Rolle als man vielleicht vermutet. Wenn ich so denke, daß zwei Dinge voneinander verschieden sind, so habe ich es nach TETENS nicht bloß mit einer beziehenden Aktion, sondern zugleich mit einer Wahrnehmung dieser beziehenden Aktion zu tun, also nicht mit einem Verhältnisgedanken, sondern mit einer Verhältnisidee. Wenn ich das Licht, dessen Strahlen in mein Zimmer fallen, als Ursache der Helligkeit in meinem Zimmer auffasse, so habe ich es wieder nicht bloß mit einer beziehenden Aktion zu tun, mit der ursächlichen Beziehung der Vorstellungen, sondern zugleich mit einer Wahrnehmung dieser Aktion. Es steigt dadurch natürlich unser Interesse für die Genesis der Verhältnisidee. Eine Verhältnisidee entsteht nach TETENS aus einem Verhältnisgedanken, indem die Wahrnehmung der in einem Verhältnisgedanken gesetzten Beziehung hinzukommt. Die beziehende Aktion kann nämlich nach TETENS gerade so gut unwahrgenommen bleiben wie die einzelne Vorstellung.
So ist es auch hier. Die Verhältnisgedanken werden wahrgenommen in ihren passiven Modifikationen.
Nicht so leicht ist es, im Sinne von TETENS zu bestimmen, in welcher Weise das Gefühl der Verhältnisse eine Bedingung für den Verhältnisgedanken ist. Wir müssen nun zunächst feststellen, was TETENS unter Gefühl versteht. Hier weicht seine Terminologie beträchtlich von der jetzt üblichen ab. Er charakterisiert in folgender Weise das Fühlen gegenüber dem Empfinden. Das Fühlen
Dieser Bestimmung bezüglich der Termini Gefühl und Empfindung gemäß verfährt aber TETENS nicht immer in der Anwendung der Termini, beide Termini bezeichnen ihm häufig dasselbe. Sodann nennt er noch das Vermögen zu Fühlen und Empfinden Gefühl (24), und zuletzt nennt er die Tastemmpfindungen zuweilen auch Gefühle. Wenn TETENS von einem Gefühl der Verhältnisse spricht, so nimt er den Terminus Gefühl im Sinne von Aktus des Empfindens. Zuweilen spricht er auch zur Bezeichnung derselben Sache von einem Empfinden der Verhältnisse. Hier ist aber gleich zu bemerken, daß damit nicht ein Empfinden gemeint ist wie bei äußeren Objekten (Verhältnisse können nicht empfunden werden wie Dinge und Eigenschaften), sondern ein inneres Empfinden, das hier Wirkung der Vorstellungskraft ist. Wie entsteht nun das Gefühl der Verhältnisse? Bei der Auseinandersetzung hierüber schärft TETENS zunächst ein, daß man scharf das Gefühl der Verhältnisse und das Gefühl der sich aufeinander beziehenden Dinge voneinander scheiden muß. Um uns nun der Genesis des Gefühls der Verhältnisse zuzuwenden, setzen wir den Fall, daß unsere "Vorstellungskraft" von der Vorstellung eines Gegenstandes zu der eines andern von ihm verschiedenen übergeht. Was geschieht dann? Beim Übergang von der einen Vorstellung zur anderen entsteht zunächst ein Gefühl des Übergangs. Es tritt dabei eben eine Änderung in der Richtung der Vorstellungskraft (25) ein und diese Änderung wird empfunden. Dieses Gefühl glaubt er experimentell nachweisen zu können.
Geht die Vorstellungskraft von der Vorstellung eines Gegenstandes zu der eines ähnlichen über, so sind "so viele absolute Veränderungen weniger da, wie Züge in den beiden Bildern ebendieselben sind." (27) Gesetzt nun auch, man wollte BONNET Recht geben in der Behauptung, daß bei einer Vorstellung gleicher Dinge wieder gleiche Bilder im Gehirn gefordert würden, so würde doch wenigstens, da die Verdrängung der einen und die Hervorhebung der anderen Vorstellung hier immerhin eine weit geringere Quantität von Veränderung darstellt, noch gelten, daß beim Übergang der Vorstellungskraft von der Vorstellung eines Gegenstandes auf die eines gleichen oder ähnlichen eine geringere Quantität von Veränderungen auftritt, als im Fall des Übergangs der Vorstellungskraft von der Vorstellung eines Gegenstandes auf die eines verschiedenen (28). In ähnlicher Weise treten bei anderen Verhältnissen Gefühle dieser Verhältnisse auf (29). Diese Gefühle der Verhältnisse bilden die "nächstvorhergende Veranlassung" zur Erzeugung der Verhältnisgedanken. Durch sie wird "die Seelenkraft zu einem neuen Aktus gereizt, wodurch sie sich als Denkkraft beweist". (30) Das Gefühl der Verhältnisse ist hier also gedacht als Wirkung des Abwechselns der Vorstellen (31).
Es läßt sich aber nicht leugnen, daß durch bloßes Abwechseln der Vorstellungen den bei wirklichen Vergleichen auftretenden Differenz- oder Einerleiheitsgefühlen ähnliche Gefühle auftreten können, nur ist die Konstanz der Erscheinungen im Fall des bloßen Abwechselns der Vorstellungen nicht garantiert. Die hier von uns nach TETENS am Fall der Identitäts- und Differenzbeziehung demonstrierte Genesis der Verhältnisgefühle durch bloßes Abwechseln der Vorstellungen läßt sich nicht bei allen Verhältnissen in analoger Weise darstellen. Wie wollte man z. B. von einem bei der Beziehung von Prämissen zu einem Schlußsatz stattfindenden Verhältnis durch bloßes Abwechseln der Vorstellungen ein Gefühl des Verhältnisses erzeugen? Das, was hier als Gefühl der Verhältnisse von TETENS bezeichnet ist, scheidet TETENS von der inneren Empfindung des Verhältnisgedankens (35), der nach seiner Terminologie ja auch ein Gefühl der Verhältnisse heißen könnte, von ihm aber meist als absolute Modifikation, bedingt durch den Verhältnisgedanken, bezeichnet wird. Er nennt diese innere Empfindung des Verhältnisgedankens aber nicht so, weil er diesen Terminus schon in anderer Bedeutung gebraucht hat (36). Um beide Phänomene scharf gegeneinander abzugrenzen, geben wir ihre Beziehung zur Verhältnisidee an. Die bezeichnete innere Empfindung, diese durch einen Verhältnisgedanken entstandene absolute Modifikation in der Seele, braucht nur wahrgenommen zu werden, dann haben wir es mit einer Verhältnisidee zu tun. Das Verhältnisgefühl reizt aber erst die Denkkraft zur Tätigkeit an: zur Erzeugung eines Verhältnisgedankens, dessen innere Empfindung dann eine Verhältnisidee bedingen kann. Zweckmäßiger wäre es ohne Zweifel gewesen, die Wirkungen der Verhältnisbegriffe mit einem besonderen Namen zu belegen, da sie größere Bedeutung für die Erkenntnistheorie und auch für die Psychologie haben als das, was er mit dem Terminus Gefühl der Verhältnisse bezeichnet. - Bevor ich zur Behandlung der einzelnen Verhältnisideen nach TETENS übergehe, will ich noch auseinandersetzen, welche Bestimmungen TETENS auf dieser Stufe der Entwicklung zur Frage nach der Subjektivität oder Objektivität unserer Verhältnisideen macht. Was zunächst das Verhältnis der Einerleiheit und Verschiedenheit angeht, so äußert sich TETENS hier folgendermaßen:
Bei den übrigen Verhältnissen liegt es schwieriger mit der Beantwortung dieser Frage. Wie steht es z. B. mit den Wirklichkeitsverhältnissen? Sind sie etwas Objektives, etwas Absolutes wie Farbe, Kraft, Solidität und dgl., oder sind sie etwas Subjektives, "das nur der Verstand aus sich hinzusetzt?" Wenn man sich für die letztere Möglichkeit entscheidet, so könnte dabei immerhin noch der "Grund dieser Beziehungen" wie "der Grund der erstgedachten Gattung von Verhältnissen (fundamentum relativus) etwas Absolutes in den Objekten" sein. Hier läßt sich nur soviel sagen, daß, wenn es ausgemacht wäre, daß die Mitwirklichkeitsverhältnisse etwas Objektives in den Dingen wären,
Erörterungen darüber, in welchem Sinn von objektiver Gültigkeit dieser Verhältnisarten zu reden ist, erhalten wir bei TETENS an einem anderen Ort. - Hier wird noch die Frage aufgeworfen, wie es um den Stoff dieser Verhältnisideen steht, ob er auch, wie der Stoff unserer anderen Ideen, aus der Empfindung stammt. Da ist nun zu sagen, es gilt allgemein, daß Empfindungen den Stoff zu unseren Ideen abgeben: ohne Empfindungen keine Vorstellungen, ohne Vorstellungen keine Ideen ("wo es aber keine Vorstellungen gibt, da fehlt es an Gegenständen, womit das Vermögen, Verhältnisse zu denken, sich beschäftigen kann", (39) ohne Ideen keine Urteile, ohne Urteile keine Schlüsse. So ist der letzte Stoff aller Gedanken in den Empfindungen gegeben. Die Form der Gedanken aber ist ein Werk der denkenden Kraft. Diese ist der Werkmeister und insoweit der Schöpfer der Gedanken. (40) Wo steckt denn nun aber der Stoff der Verhältnisgedanken, in welchen Empfindungen als Stoff der Gedanken in Anspruch nehmen, wo doch der Stoff aus der Denkkraft selbst stammen soll? Die Lösung dieses Problems liegt in der Tatsache, daß die Verhältnisgedanken eine innere Empfindung erzeugen - darüber haben wir ja früher gesprochen - welche dann als Stoff dient zur Entwicklung der Verhältnisideen.
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1) 6. Versuch, Seite 427 2) 6. Versuch, Seite 457 und 458 3) 6. Versuch, Seite 465 4) 6. Versuch, ebd. 5) 6. Versuch, Seite 469 6) 6. Versuch, Seite 430f und 450 7) 7. Versuch, Seite 529 8) 7. Versuch: Von der Notwendigkeit der allgemeinen Vernunftwahrheiten, Seite 531f, siehe auch 471. 9) 7. Versuch, Seite 480 und 481. 10) 7. Versuch, Seite 482 11) 7. Versuch, Seite 486 12) 7. Versuch, Seite 513 13) 4. Versuch, Seite 329 14) 4. Versuch, Seite 334 15) 4. Versuch, Seite 332 16) 4. Versuch, Seite 365 17) 4. Versuch, Seite 335 18) 4. Versuch, Seite 408 19) 4. Versuch, Seite 410 20) 2. Versuch, Seite 178 und 179 21) 4. Versuch, Seite 339 22) 7. Versuch, Seite 473 23) 2. Versuch, Seite 167 und 168 24) 2. Versuch, Seite 169 25) 2. Versuch, Seite 195 26) 2. Versuch, Seite 197f 27) 2. Versuch, Seite 195 28) 2. Versuch, Seite 197 29) 2. Versuch, Seite 199 30) 3. Versuch Seite 293 und 294 31) 7. Versuch, Seite 473; 3. Versuch, Seite 202-294. 32) 7. Versuch, Seite 474; siehe auch 2. Versuch, Seite 285 33) 2. Versuch, Seite 197 34) 7. Versuch, Seite 474 35) 4. Versuch, Seite 339 36) 4. Versuch, Seite 307 und 308 37) 3. Versuch, Seite 276 38) 3. Versuch, Seite 278 und 279 39) 4. Versuch, Seite 336 40) 4. Versuch, Seite 336 41) 4. Versuch, Seite 337, siehe auch 339. |