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Die Psychologie von Bonnet und Tetens [mit besonderer Berücksichtigung des methodologischen Verfahrens derselben]
Einleitung Wie verhielt es sich aber zu dieser Zeit mit der Philosophie? Seit DESCARTES (1637 - 1644) (1) herrschte in Europa der Rationalismus. Es trat aber mit der Zeit ein Wendepunkt ein, und zwar zuerst in England. Man fühlte sich nämlich von der rationalen Metaphysik nicht mehr befriedigt. Die Möglichkeit mehrerer und entgegengesetzter Hypothesen war es, was das Vertrauen dem abstrakten Denken entzog und LOCKE (1670 - 1689) war der große Mann, welcher als erster in der Neuzeit die Erkenntnis selbst zum Objekt einer besonderen Untersuchung machte. Höchst wichtig war die von ihm eingeschlagene Methode, die der Erfahrung; nur dem darf Vertrauen geschenkt werden, was auf dem Weg der Erfahrung gefunden wird. Beobachtung und Experiment sind ja die Grundlage aller Naturwissenschaften. Daher mußte die Erfahrung auch zur eigentlichen philosophischen Methode werden. Das besondere Interesse für das menschliche Individuum und für das in der inneren Erfahrung gegebene, haben die Psychologie in den Vordergrund geschoben. Der Einfluß LOCKEs, so wie aber auch NEWTONs in Frankreich, war ganz enorm. Der feste Erfahrungsboden, auf dem die englische Philosophie zu fußen suchte, die Zuneigung LOCKEs zum Sensualismus und Realismus, war dasjenige, was den englischen Ideen so viele Anhänger in Frankreich gewann. Das alte Regime und die offizielle Kirche übten hier einen viel stärkeren Druck auf die Gemüter aus als in England; deswegen tritt auch die Reaktion hier viel schärfer auf. Die Neigung zum Natürlichen, zum Erfahrungsgemäßen, zum Realen war viel leidenschaftlicher und die englischen Ideen wurden oft mit großer Einseitigkeit weiter entwickelt. Vom einseitigen Sensualismus eines CONDILLAC (1754) wandten sich die französischen Denker dem ganz unphilosophischen Materialismus von HELVETIUS (1758), LAMETTRIE (1748), HOLBACH (1770) und DIDEROT zu. Das spezielle Interesse für die sinnliche Erkenntnis und die Erforschungen auf dem Gebiet der Sinnesphysiologie führten zu einem Versuch, die Psychologie in neue Bahnen zu leiten, nämlich das Studium der physiologischen Psychologie zu entwickeln. Der Versuch, die neue Methode systematisch durchzuführen, ist von dem Schweizer CHARLES BONNET gemacht worden. Alles in dieser Hinsicht vor BONNET Unternommene, waren nur gelegentliche Versuche, ohne Verständnis für den Wert und den Umfang der neuen Methode. Allerdings hatte auch HARTLEY (1749) in England etwas früher denselben Weg eingeschlagen; jedoch betrat BONNET denselben ganz unabhängig von HARTLEY. BONNETs Einfluß in Euroa war auch viel bedeutender als der von HARTLEY (2). Ob die Methode BONNETs die richtige war, ob er dadurch etwas für das tiefere Verständnis der Psyche des Menschen gewonnen hat, ist eine andere Frage. Was wir vorläufig hervorheben möchten, ist der Hinweis auf den Versuch BONNETs, die psychischen Vorgänge von einem neuen Standpunkt aus zu untersuchen, die Physiologie zur Hilfe für die Psychologie heranzuziehen. Dies hervorzuheben erscheint uns umso interessanter, da ein solches Verfahren gegenwärtig große Anerkennung findet. Aber nicht allein in dieser Hinsicht verdient die Psychologie von BONNET untersucht zu werden; er hat sich auch überhaupt als ein scharfsinniger Psychologe erwiesen, wovon wir uns gelegentlich überzeugen werden. In Frankreich ist sein Einfluß anfangs sehr gering gewesen. Zu jener Zeit War man dort von den Ideen CONDILLACS vollständig durchdrungen. Der konsequente Sensualismus dieses Mannes fand großen Anklang. Die BONNETschen Anknüpfungspunkte aber an LEIBNIZ und seine heftige Polemik gegen den Materialismus wurden als eine Halbheit aufgefaßt. In Deutschland dagegen erwarb sich BONNET aus denselben Gründen begeisterte Anhänger. Bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts herrschte dort die Philosophie von LEIBNIZ (1685 - 1714) und WOLFF (1732 - 1740). Mit der Zeit fühlte man sich aber auch hier von der Naturphilosophie und dem Systematisieren nicht mehr befriedigt und wandte sich zur Erfahrung. Unter anderem ist es der Pietismus gewesen, welcher den Beobachtungsgeist gerade auf das Studium der menschlichen Seele richtete. Die Psychologie, gerade die empirische Psychologie, wurde zur Hauptwissenschaft des Jahrhunderts, indem Logik und Metaphysik für eine Zeit lang in den Hintergrund gedrängt wurden. Die Psychologie wird zur grundlegenden Wissenschaft für die Metaphysik, zur eigentlichen philosophischen Grundwissenschaft, wie sie sich später BENEKE dachte und gegenwärtig STUMPF und THEODOR LIPPS sich denken. Andere Autoren wieder erblickten in der Psychologie einen Teil der Naturwissenschaften oder, wie man sich damals auszudrücken pflegte, der "Physik". Die obenerwähnten Ursachen haben auch schon in der Renaissancezeit das Interesse für psychologische Fragen hervorgerufen. Dennoch wurde damals diese Richtung durch die großen metaphysischen Systeme für eine Zeit lang in den Hintergrund geschoben. Die milderen politischen Verhältnisse und der freisinnige Protestantismus des 18. Jahrhunderts in Deutschland übten keinen so heftigen Druck auf die Gemüter aus wie im katholischen Frankreich. Deswegen entging der auf dem LEIBNIZ-WOLFF'schen Rationalismus und Idealismus erzogene deutsche Gedanke dem drastischen Sensualismus und Materialismus der Franzosen. Es war auch ein Grund, warum die Psychologie BONNETs unter den deutschen Gelehrten einen so großen Beifall gewann. Die Übersetzung des BONNETschen Hauptwerks war eines der ersten Bücher, das in Deutschland erschien und die Psychologie vom empirischen Standpunkt aus behandelte. (3) Über den Einfluß BONNETs in Deutschland werden wir noch speziell zu sprechen haben. Hier haben wir nur kurz hervorzuheben, daß ein großer Teil der psychologischen Werke der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts zur Schule BONNETs gehört. Zu jener Zeit entstand aber in Deutschland eine entgegengesetzte Richtung, um die sich, sozusagen, ein großer Teil der übrigen deutschen Psychologen konzentrierte, und deren Hauptvertreter JOHANN NICOLAS TETENS gewesen ist. Dieser Autor, den wir in Beziehung zu BONNET behandeln wollen, hat den Versuch gemacht, eine Vermittlung zwischen der französischen und der deutschen Schule zu finden, Sensualismus und Rationalismus miteinander zu versöhnen. Sein Hauptverdienst aber für die Psychologie bestand darin, daß er seine Stimme gegen die allzugroße Begeisterung für die von BONNET eingeführte physiologische Psychologie erhoben, auf die Selbstbeobachtung als die Hauptmethode der psychologischen Forschung hingewiesen und scharf die Psychologie von der Metaphysik getrennt hat. Wir werden Gelegenheit haben, auch darauf hinzuweisen, wie unermüdlich er die verwickeltsten psychischen Vorgänge analysierte; nie ließ er sich hinreißen die Sache leicht zu nehmen und tatsächlich hat er auch in der Feinheit der Analyse BONNET und die übrigen Zeitgenossen weit übertroffen. Bei der näheren Untersuchung der Werke BONNETs und TETENS' gewinnt man gewissermaßen einen Einblick in die ganze deutsche Psychologie der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts. (4) Aber nicht nur hinsichtlich der verschiedenen Methoden ist der Vergleich beider Autoren von großem Interesse. Auch in Bezug auf einzelne Probleme erblicken wir in ihnen Vertreter verschiedener Schulen. Sie sind auch nicht ohne innere Beziehungen zueinander geblieben; der Einfluß BONNETs auf TETENS läßt sich in vielen Punkten konstatieren. Es ist dabei von Wert, zu verfolgen, wie BONNET die verschiedenen Tatsachen des Bewußtseinslebens öfters gleichsam nur ganz allgemein berührt, ohne näher auf dieselben einzugehen; der scharfe Beobachtungsgeist von TETENS dagegen erkennt darin sofort wichtige Probleme, beleuchtet sie allseitig und erwägt die Stellungnahme verschiedener Autoren zu denselben. Diese Eigenschaft von TETENS Verfahren verleiht seinen Untersuchungen einen besonders wissenschaftlichen Wert. I. Allgemeine Voraussetzungen 1. Die Vorkämpfer Bonnets und Tetens' Die physiologische Psychologie ist diejenige Wissenschaft, welche die psychischen Vorgänge in Bezug auf die ihnen entsprechenden Prozessen im zentralen Nervensystem behandelt. (Demnach muß sie von der Psychophysik streng unterschieden werden, wobei letztere für ihren Gegenstand die Verfolgung der Beziehungen zwischen den äußeren Reizen und den psychischen Vorgängen hat). Versuche, die psychischen Vorgänge in bestimmte Beziehungen zum Körper zu setzen, sind vom Altertum her bekannt. Von einer physiologischen Methode war in der vorsokratischen Periode selbstverständlich noch keine Rede, da man in Bezug auf die psychischen Vorgänge als solche noch nicht ganz im Klaren war: sie wurden mit rein physiologischen Prozessen, hauptsächlich mit dem des Atems, stets verwechselt; dabei wurde die Seele als feiner Körper aufgefaßt. Was die Alten auch unter dem "Psychischen" verstanden haben mögen, ist es doch von Wert zu verfolgen, wie die physiologische Psychologie sich geschichtlich entwickelt hat, zu welchen Körperteilen und Vorgängen die Seele von den alten Griechen in Beziehung gesetzt wurde. Die Auffassung dieser Beziehung machte im allgemeinen folgende Evolution durch. Die ursprünglichste war die Bestimmung des Seelensitzes im ganzen Körper, speziell im Blut. Später wurde dieser Sitz in die Brust (Lunge oder Herz) verlegt und erst die späteste Auffassung war die, das Gehirn als das Seelenorgan aufzufassen.
Das Bedeutendste in dieser Hinsicht hat aber ARISTOTELES (385-322 v. Chr.) geleistet. Wir können ihn als den ersten physiologischen Psychologen der Geschichte nennen. ARISTOTELES faßt die Psychologie als ein selbständiges wissenschaftliches Gebiet auf; er schreibt ein speziell psychologisches Werk "Über die Seele" und eine Reihe kleinerer psycho-physologischer Aufsätze. Er hält ein zweifaches Verfahren in dieser Wissenschaft für möglich: ein physiologisches und ein philosophisches und stellt dementsprechend in seinem psychologischen Hauptwerk zwei Teile einander gegenüber, einen empirischen und einen spekulativen. Im zweiten spielen vorwiegend metaphysische, ethische und erkenntnistheoretische Fragen eine Rolle; der erste Teil ist dagegen eine vielseitig entwickelte physiologische Psychologie. In diesem letzten Teil verfährt ARISTOTELES empirisch: introspektiv, physiologisch und biologisch. Die Empfindungen werden von ihm in nächster Beziehung zur Sinnesphysiologie behandelt. Das Gedächtnis faßt er als eine physiologische Eigenschaft der Sinnesorgane auf. Die assoziative Ideenverknüpfung, das Gefühl und der Schlaf werden physiologisch begründet. Die willkürliche Reproduktion der Vorstellungen gilt für ihn als eine Reaktion der Seele auf das Zentralorgan (das Herz) und weiter auf die Gedächtnisspuren in den Sinnesorganen. Er benutzt dabei die wissenschaftlichen Ergebnisse der berühmten Ärzte seiner Zeit. Er zieht die Tier- und Völkerpsychologie zur Hilfe heran. Leider war seine psychologische Schule nur eine verhältnismäßig kurze Zeit von Einfluß und dabei allein unter den Ärzten. Gegen das Ende der antiken Kultur wurde der Aristotelismus durch den Platonismus, das theoretisch psychologische Interesse durch das praktisch (ethisch-psychologische) verdrängt. Erst im 11. bis 12. Jahrhundert, als die Araber das Interesse für die metaphysischen, physischen, ethischen und psychologischen Schriften von ARISTOTELES wiedererweckten, machten AVICENNA (1020) und AVERRHOES (1150) Versuche, die Psychologie wieder empirisch und physiologisch zu behandeln. Aber erst in der Renaissancezeit wurde das eigentliche theoretische Interesse für die Psychologie erweckt. 1538 veröffentlich LUDOVICO VIVES seine empirische Psychologie, wo er reichlich physiologische Tatsachen benutzt; ungefähr um dieselbe Zeit erscheint eine physiologische Seelenlehre von KONRAD GESSNER. Sodann werden die Versuche, psychische Vorgänge von der physiologischen Seite aus zu betrachten, immer häufiger.
Was die Selbstbeobachtung anbelangt, so wurde sie gewissermaßen stets verwendet; denn sie allein vermag ja das psychische Material anzugeben. Die ersten, welche aber auf sie besonders hingewiesen haben, sind LUDOCIVO VIVES und LOCKE gewesen. Sie wurde sodann erfolgreich von LEIBNIZ, WOLFF, CONDILLAC, HUME (1739) u. a. angewandt. Niemand von all diesen Philosophen hat sie aber so in den Vordergrund gestellt, so ihre Bedeutung für die Psychologie hervorgehoben und sie als Methode gründlich bearbeitet, wie JOHANN NICOLAS TETENS. a) Das ontologische Problem Die beiden Autoren, wie BONNET, so auch TETENS, legen ihrer Psychologie den Dualismus von DESCARTES zugrunde, sie nehmen zwei Arten von Grundsubstanzen an, eine geistige und eine körperliche. Als Empiriker sind sie sich aber vollständig bewußt, daß man es in der Wissenschaft mit Phänomenen und nicht mit Substanzen selbst zu tun hat. So will BONNET über Seele und Körper nur in dem Sinne sprechen, wie die Ideen, welche auf das eine oder auf das andere hinweisen, grundverschieden sind. Er erklärt sich zugunsten des Dualismus nur, um die Tatsachen nicht zu zwingen. Die Ideen, welche man von den seelischen Vorgängen hat, weisen auf etwas einfaches, einheitliches hin. Das "Ich", welches wahrnimmt, vergleicht und schließt, ist immer ein und dasselbe; die anderen Ideen weisen auf etwas Ausgedehntes, Zusammengesetztes, Solides, etwas gegenüber jeder Art von Bewegung Gleichgültiges hin. Aus dem Gesagten schließt BONNET, daß der Mensch doppelter Natur ist (être mixte): eine immaterielle substantielle Seele und einen materiellen Körper besitzt. BONNET gesteht, daß es ihn, als einen empirischen Psychologen, recht wenig angeht, ob er sich in Bezug auf die Existenz der äußeren körperlichen Dinge irrt oder nicht, warum er also nicht auf dem Standpunkt des BERKELEYschen Idealismus stehen bleiben soll. Denn in der Wissenschaft hat man es immer nur mit den Erscheinungen und deren Aufeinanderfolge und nicht mit den Substanzen selbst zu tun. In ähnlicher Weise wie BONNET äußert sich darüber auch TETENS. Für ihn besitzt der Mensch ebenfalls eine doppelte Natur: letzterer besitzt erstens einen Körper und zweitens ein für sich bestehendes Ding, eine Substanz, welche Seele genannt wird. In ähnlicher Weise wie BONNET, glaubt er, daß man es in der Wissenschaft nur mit dem "Schein" zu tun hat. In Bezug auf diesen Punkt läßt sich leicht die Beeinflussung bei den Autoren seitens LEIBNIZ erkennen. Speziell auf TETENS konnte wohl auch LAMBERT ("Neues Organon", 1764) eingewirkt haben. TETENS ist ebenfalls sehr vorsichtig bei der Annahme des dualistischen Standpunktes. Er mag sogar nicht mit BONNET darin übereinstimmen, daß die Eigenschaften von Seele und Körper von gerade entgegengesetzter Natur sind, denn für immerhin möglich hält er LEIBNIZ' Auffassung des Körpers, als eines Komplexes geistiger Substanzen. (5) Die Auffassung der Seele als einer einheitlichen Substanz ergibt sich für TETENS, ebenfalls wie für BONNET, aus der Tatsache, daß das "Ich", welches sieht, dasselbe ist, welches hört, schmeckt, riecht, fühlt, denkt, will. (6) Energisch greifen die beiden Autoren auch den Materialismus an. Die große Aufmerksamkeit, welche BONNET und TETENS diesem Punkt widmen, wird verständlich, wenn man sich daran erinnert, daß im Jahre 1745 "L'homme machine" von LAMMETRIE erschienen war, und eine große Verbreitung in Frankreich und bald darauf in Deutschland gewann. Außer der Einheitlichkeit der seelischen Substanzen führen BONNET und TETENS noch folgende wertvolle Erwägungen herbei, gegen die Identifizierung der psychischen Vorgänge mit den physiologischen im Gehirn. Die Empfindungen haben, BONNETs Meinung nach, nichts gemeinschaftliches mit den physiologischen Prozessen, welche sich in den Sinnesorganen, den Nerven und dem Gehirn abspielen, denn diese letzteren sind den allgemeinen mechanischen Gesetzen der Bewegung unterworfen; nichts derartiges läßt sich dm "Gefühl" (Sentiment) (7) konstatieren. Es ist eine Art von Sein in der Seele, dem nichts gleicht, was man an der Materie erkennt. Auch die Eindrücke, welche die Seele von den materiellen Gegenständen erhält, werden ihr durch keinen Stoß mitgeteilt: die Seele erfährt ein Gefühl und bekommt keinen Stoß. Es ist ein großes Verdienst von BONNET, daß er verstanden hat, physiologischer Psychologe zu sein, ohne vom modernen Materialismus angesteckt zu werden. Sogar so ein hervorragender Schüler von BONNET, wie MICHAEL HISSMANN (1777), zeigt deutliche materialistische Züge in seiner Psychologie. TETENS äußert sich gegen den Materialismus in einer ähnlichen Weise wie BONNET:
Die Materialisten führten aber noch einen Beweis zugunsten ihrer Theorie an. Sie behaupteten, daß das einheitliche Ich-Gefühl eine kollektive Handlung eines zusammengesetzten, als materiellen Ganzen ist. Dagegen erwidert BONNET und ihm folgend, TETENS, daß dies wieder eine einheitliche Substanz erfordert, wo die Kollektion geschieht. Es könnte vielleicht nicht ganz verständlich sein, wozu wir diese metaphysischen Auseinandersetzungen der Darstellung der Psychologie beider empirischen Psychologen vorausschicken, desto mehr, da sie beide behaupten, daß die Wissenschaft nur mit Äußerungen von Substanzen und deren Beziehungen zu tun hat und das Wesen der Substanzen sie nicht einmal etwas angeht. Dieser Einwand scheint besonders berechtigt in Bezug auf TETENS zu sein. Denn während BONNET alle diese Voraussetzungen seinem Werk tatsächlich vorausschickt, verfährt TETENS gerade entgegengesetzt: er schließt mit denselben. TETENS Darstellung beginnt direkt mit einer Analyse des in der Erfahrung gegebenen Bewußtseinsmaterials. Alle angeführten metaphysischen Entwicklungen finden sich aber nicht ganz am Schluß des Buches, sondern am Schluß der psychologischen Analyse und am Anfang des psycho-physiologischen Teils (Bd. 2, 13. Versuch. Der zweite Band von TETENS' Werk behandelt die Fragen nach der Freiheit des Willens, dem Wesen der Seele und deren Verhalten zum Körper. Dieser Inhalt des zweiten Bandes erinnert gewissermaßen an den Inhalt der WOLFFschen "Rationalen Psychologie", wohin ebenfalls auch die Frage nach den Beziehungen der seelischen Vorgänge zu den körperlichen verlegt gewesen ist). Diese eigentümliche Erscheinung, gleich wie die Tatsache, daß die physiologische Psychologie in einer Beziehung zu metaphysischen Fragen von beiden behandelt wird, findet eine Erklärung darin, daß man zu jener Zeit das Problem des Verhaltens von Seelen- und Gehirnvorgängen von dem des Verhaltens von Geist und Materie im letzten Grund nicht zu scheiden wußte. Indem wir aber zu jedem psychologischen Problem bei TETENS die entsprechenden Stellen aus der Psycho-Physiologie anführen wollen, fühlen wir uns berechtigt, diesen Abschnitt als Voraussetzungen von TETENS' Psychologie vorauszuschicken. Was aber BONNET anbelangt, so wird er in der rein psychologischen Analyse seinen methodologischen Prinzipien untreu und läßt seinen Begriff "Seelensubstanz" auf seine Psychologie reichen Einfluß ausüben. Somit geht TETENS von denselben metaphysischen Voraussetzungen aus wie BONNET. Ebenso folgt TETENS BONNET in Bezug auf das Problem, an welches wir herantreten. Wir fangen mit den Auseinandersetzungen von BONNET an. BONNET wirft die Frage auf, wie es denn möglich ist, daß zwei Realitäten von so heterogener Natur, wie Seele und Körper, einander zu beeinflussen vermögen. Hier vertritt also BONNET die damals verbreitete Auffassung, welche eine Homogenität von Ursache und Wirkung fordert. Als Erfahrungspsychologe sucht BONNET dieser Forderung aus dem Weg zu gehen. Tatsächlich gegeben, sagt er, sind uns immer nur Erscheinungen und die Tatsache, daß die einen den anderen stets folgen und einander dadurch zu bestimmen scheinen. Folglich reduziert sich alles, mit was man es in der Wissenschaft zu tun hat, auf die genaue Verfolgung dieses Zusammenhangs, der uns als ein Phänomen gegeben ist. Demnach faßt BONNET den Kausalsatz logisch gewissermaßen im Sinne HUMEs auf. (9) Deswegen will BONNET, streng genommen, die Bewußtseinsvorgänge nicht als eine unmittelbare oder physische Wirkung eines Sinneseindrucks, und andererseits die Veränderungen des Körpers als Wirkungen der Seele bezeichnen; er sagt lieber, daß infolge einer bestimmten Bewegung in den Sinnen auch in der Seele immer ein Gefühl entsteht. Ein wahrer Philosoph soll nicht zu erkennen suchen, wie eine Nervenerregung eine Idee in der Seele bewirkt, sondern nur einfach die Tatsache konstatieren. BONNET versteht es aber nicht, bei dieser Erfahrungstatsache stehen zu bleiben. Er sucht gleich darauf der Art der Verknüpfung zwischen den geistigen und Nervenprozessen gerecht zu werden, und folgt der obenangeführten Forderung des Kausalsatzes. Demnach will BONNET die seelischen Vorgänge in dem Sinne als Wirkungen der nervösen Reize auffassen, als er jede Veränderung der seelischen Substanz als eine spontane Äußerung ihrer eigenen Aktivität betrachtet. Das Vermögen, Empfindungen zu erhalten (la sensibilité), wird von ihm demnach als ein aktives Moment, dem Willen gleichgesetzt. Wie es BONNET selbst gesteht, schließt er sich dabei der Auffassung derjenigen Philosophen an, welche behaupten, daß die Seele sich stets selber modifiziert. Daß BONNET hier den LEIBNIZ meint, unterliegt keinem Zweifel (10). Man findet aber bei BONNET noch weitere Entwicklungen über die Art der Verknüpfung von Körper und Seele, obwohl er ihnen nur den Wert eine Hypothese beilegt. Er sucht nämlich die Wechselwirkungshypothese in Schutz zu nehmen und sie mit der eben erwähnten Aktivitätstheorie zu verbinden. Wir unterlassen nicht, ihm in diesen seinen Erörterungen zu folgen, umsomehr als die Hypothese, für welche er sich entscheidet, einen großen Einfluß auf seine Psychologie ausübt und er in seinen letzten Werken und Auflagen dieselbe sogar als eine feststehende wissenschaftliche Tatsache behandelt. Die okkasionalistische [Gelegenheitsursachen - wp] Hypothese, nach der jede, in der Seele dem Körper entsprechende Veränderung durch ein stetes Eingreifen Gottes, durch einen göttlichen Akt, geschieht, verwirft er. Denn sie anzunehmen hieße ein stetes Wunder annehmen. Bisweilen hält BONNET den Okkasionalismus nur für möglich. Entschieden äußert er sich gegen diese Theorie in der letzten Auflage des "Essay analytique", § 510, Anm. Die prästabilierte Harmonie von LEIBNIZ bestreitet BONNET ganz entschieden. Nach dieser letzteren Auffassung besteht ebenfalls keine kausale Beziehung zwischen den körperlichen und geistigen Veränderungen. Diese Veränderungen verlaufen wie zwei parallele, in sich geschlossene Reihen nebeneinander, indem einer jeden Modifikation in der einen eine Modifikation in der anderen entspricht. So eine Harmonie ist, nach LEIBNIZ, einst von Gott durch einen einzigen Aktus prästabiliert worden. BONNET erhebt gegen diese Erklärungsweise mehrere Einwände. Von besonderem Interesse ist aber nur einer. BONNET weist darauf hin, daß es unmöglich ist, zwischen den aufeinanderfolgenden Empfindungen eine Gesetzmäßigkeit (einen Kausalzusammenhang) aufzustellen. Indem BONNET somit die beiden erwähnten Hypothesen für unstichhaltig erklärt, äußert er sich zugunsten der "gemeinen" Hypothese, der Hypothese des physischen Einflusses, des Influxus physikus, der Hypothese der Wechselwirkung. Die anderen beiden Hypothesen haben nur das an sich, daß sie möglich sind; der "Influxus physikus" hat den Vorzug, daß er zu bestehen scheint. Es ist ihm auch unmöglich, ihn zu verwerfen. Erstens liegt gar kein Widerspruch darin, daß eine einfache Substanz, wie die Seele, an etwas so zusammengesetztes, wie die Materie, gebunden ist; die komplexen seelischen Vorgänge erfordern eben ein komplexes Organ. Zweitens erblickt BONNET ein Vermittlungsglied zwischen Geist und Materie in den physischen Kräften des Körpers. Dabei geht BONNET von einer ganz merkwürdigen Auffassung der materiellen Kräfte aus, welche augenscheinlich zu jener Zeit in der Physik geherrscht hat. Die Kräfte müssen nämlich, dem Wesen nach, scharf von der Materie unterschieden werden, aus dem Grund, daß sie alle Eigenschaften der geistigen Wesen besitzen; sie sind nämlich nicht weiter zerlegbar, d. h. sie sind einfach und einheitlich, also immateriell. Demnach wäre dasjenige, worauf die Seele einwirkt, nichts absolut materielles, sondern eine einfache Kraft im Körper, welche ihrem Wesen nach mit der Seele gemeinschaftlich ist. Daß aber die Kräfte die Materie bewirken, ist eine Tatsache. (11) Eine weitere Bezeichnung von BONNET über die Kraft lautet, daß sie ansich "unbestimmt" ist. Jedwede seelische Aktivität bedarf demnach etwas außer sich, worin sie sich äußern könnte, nämlich einen Körper. Somit vermag die Seele nicht auf sich selbst unmittelbar einzuwirken. Mit dieser Behauptung der Beziehung der Wechselwirkung sucht BONNET in der Weise die Spontaneität aller seelischen Vorgänge zu knüpfen, so wie er jedwede seelische Aktivität als eine bloße Reaktion auffaßt; dabei weist er auf die Körperwelt hin, wo Modifikationen in den Dingen nur dann zustande kommen, wenn sie Widerstand leisten und reagieren. Darauf bemerkt OFFNER treffend, daß auf diese Weise auch ein Ziegelstein als aktiv erklärt werden müßte ("Die Psychologie Charles Bonnets", Leipzig 1893, § 127). TETENS berührt all diese Fragen nur ganz kurz. Er hält das Problem für schon genug durchgearbeitet und durchgedacht, um noch etwas neues hinzufügen zu können. Er schließt sich entschieden der Wechselwirkungshypothese an und sagt:
Von den damaligen deutschen Bekämpfern des "Prästabilismus" wollen wir RÜDIGER (1716), CRUSIUS, BASEDOW und LAMBERT erwähnen. Feinde der prästabilierten Harmonie lassen sich sogar unter den Leibnizianern treffen: wir weisen hin auf GOTTSCHED (1727-1730), UNZER (1746), MAUPERTUIS (1752-1756), PLOUQUET (1758). Zuletzt hat die Theorie des Influxus die Oberhand genommen. Am bekannten Königsberger Streit jener Zeit, in Bezug auf das Problem, hat diese Theorie in der Person von MAX KNUTZEN einen vollen Sieg davon getragen. Zu den gegenwärtigen Vertretern der Wechselwirkungshypothese gehören: STUMPF, SIGWART, BOLZMANN, in gewissem Sinn auch REHMKE und WENTSCHER. ![]()
1) Die Jahreszahlen bedeuten das Erscheinen der hier in Betracht kommenden Werke der Autoren. 2) Teilweise daher, weil HARTLEYs Werk erst durch eine Übersetzung im Jahre 1778 in Deutschland wirksam wurde. 3) CONDILLAC wurde erst 1780 übersetzt. Die materialistisch gedeuteten psycho-physiologischen Untersuchungen von DIDEROT (1754), HELVETIUS (deutsch 1760-1787) konnten aus den oben erwähnten Gründen keinen großen Beifall in Deutschland finden. Wenn auch schon WOLFF (1732-174) die Physiologie in die Psychologie hineinbezogen hatte, wurde dieses Verfahren von ihm nicht zu einer Methode erhoben. 4) Außer den von BONNET und TETENS eingeschlagenen Hauptrichtungen in der Psychologie bestanden zu der Zeit in Deutschland wohl noch andere, so vor allem die rationale Schulpsychologie, von deren Vertretern wir die beiden REIMARUS, CREUZ, EBERHARD, SCHÜTZ und PLONQUET nennen wollen. Eine minderwichtige Gruppe bildeten die Assoziationspsychologen, welche erst unter dem Einfluß von BONNET und TETENS entstand. 5) Dies war ein Argument, welches etwas früher (1761) PREMONTVAL in Berlin verwendet hat, um die Möglichkeit der Wechselwirkung zwischen Seele und Körper zu begründen. 6) Auf die Einfachheit und die Identität des Ich stützten sich gewöhnlich auch die späteren Vertreter der Lehre vom substnaziellen Träger der psychischen Vorgänge: HERBART, LOTZE, J. H. FICHTE und andere. Die Tatsache des Gedächtnisses zwang ferner MILL und SPENCER, das Vorhandensein eines "realen Bandes" zwischen einzelnen Bewußtseinsinhalten, einer Seelensubstanz anzuerkennen. Vgl. KÜLPE, Einleitung in die Philosophie, § 23. 7) Gemeint sind allerdings die Bewußtseinsvorgänge überhaupt. 8) Vgl. mit der HERBARTschen Unterscheidung zwischen dem "phänomenalen" und dem "intelligiblen" Raum. 9) Als ein Vorkämpfer dieses Gedankens muß eigentlich der Engländer Glauviel (1665) angesehen werden. 10) Später wurde eine ähnliche Auffassung in Deutschland von BAUMGARTEN (1750-1769) und LOTZE vertreten. 11) Diese BONNETsche Auffassung bietet eine Analogie zu der mittelalterlichen Annahme eines vermittelnden Mediums zwischen Geist und Körper. - Die Immaterialität aller Kräfte suchte auch LAMBERT ("Architektonik", 1771) zu beweisen. |