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(1856-1938) [mit NS-Vergangenheit] Recht und Macht
1. In dieser Fabel, die PFEFFEL in niedlichen Versen vorgeführt hat, zeigt sich das Problem, dem wir hier einige Aufmerksamkeit widmen wollen. Es ist die Betrachtung von Recht und Macht, - die Frage nach der Rechtfertigung des einen durch das andere, nach ihrer beiderseitigen Bedeutung überhaupt. Vielfach hat solches das Nachsinnen bewegt, und widersprechende Meinungen sind dabei zutage getreten. Wenn der eine sagt: "Hast du die Macht, du hast das Recht auf Erden," so ist auch der Satz laut geworden: "Das Recht des Stärkeren ist das größte Unrecht." Wie verhält sich also die Stärke, die Gewalt, die Macht zum Recht? Fallen sie zusammen oder stehen sie im Gegensatz oder können sie freundschaftlich verbunden werden? Wie lassen sich unsere Gedanken über diese Fragen in Klarheit und Geschlossenheit ordnen? Um der Lösung der gestellten Aufgabe näher zu kommen, ist es nötig, zunächst die zwei Begriffe, um die es sich hier handelt, jeden für sich festzustellen. Wenn wir vom Recht sprechen, so meinen wir eine Art des menschlichen Wollens. Das Recht gehört nicht zu den räumlichen Erscheinungen, es ist kein körperlicher Gegenstand. Aber es bedeutet auch nicht eine Denkform, um Körper wissenschaftlich zu erkennen. Der Gegensatz, der sich da auftut, ist einmal vom Philosophen LASSWITZ in novellistischer Art geistvoll geschildert worden. Er versetzt uns in das Gebiet der Wolken. Weit und hoch ziehen sie über der Menschen Getriebe dahin. Spöttisch schauen sie auf die kleinen, kurzlebigen Dinger da unten, und wohlig dehnen sie sich im Raum, wie die Elemente sie treiben. Aber eine war unter ihnen, die es anders nahm. ASPIRA, so heißt sie in diesem "Roman einer Wolke", sah eine eigene Fähigkeit der Menschen und konnte sie nicht enträtseln. Sie erbat und erlangte vom Allvater, ein Mensch zu werden. Und nun erkannte sie das Neue und Eigenartige gegenüber ihrem elementaren Naturdasein: sie fand das menschliche Wollen, das Setzen von Zwecken, das Eingreifen von Mitteln, um zu einem Ziel zu gelangen, - sie sah das alles jetzt ein in seinem eigenen Gesetz. Gerne hätte sie es ihren Schwestern deutlich gemacht, zu denen sie eines Nachts aufstieg. Aber die hörten ohne Verständnis zu. Sie wollten nichts kennen, als naturnotwendiges Werden und Vergehen. Hat der Berg ein Wollen, und seine Lawinen ein Bestreben? Liegt im Rauschen des Baches Mittel und Zweck, verfolgt der dahinströmende Fluß seine Ziele? - Lachend stoben sie auseinander, als ein kräftiger Windstoß in ihre Reihen fuhr. ASPIRA bliebt traurig zurück. Sie empfand das Unzureichende ihrer Umgebung: da es kein Wollen und Streben mehr gab, vielmehr bloß ein Ordnen wahrgenommener Zustände nach der Methode der Kausalität. Zur Frage des Rechts dringt jener Roman nicht vor. Sie zählt, wie schon bemerkt, ganz wesentlich dem Reich der Zwecke zu. Wenn jemand einen rechtlichen Anspruch erhebt, so nimmt er nicht etwas wahr, sondern will etwas; wer einen Rechtssatz erläßt, der behauptet nicht eine Tatsache der hinter ihm liegenden Erfahrung, er verfolgt Ziele; und falls wir den Inhalt einer Rechtsordnung betrachten, so sehen wir dort nicht körperliche Dinge, sondern den Inhalt von menschlichem Wollen. Es ist der Gedanke der Zwecke gegenüber dem der Ursachen, der dabei kurz hervorzuheben ist Sie unterscheiden sich durch die verschiedene Art, in der ein gegenwärtiges Geschehen bestimmt wird. Entweder erfolgt dieses von der Seite der Vergangenheit her, dann erscheint die Gegenwart als die Wirkung einer vorausgegangenen Ursache, oder aber, es liegt der bestimmende Gegenstand in der kommenden zeit vor, als ein Ziel, zu dessen Erreichung jetzt Mittel auszuwählen und zu ergreifen sind, dann wir die Gegenwart durch die Zukunft bestimmt. Ein drittes ist neben diesen beiden Möglichkeiten nicht denkbar. Bleiben wir hiernach beim menschlichen Wollen, das ist dem Ordnen der Veränderungen nach Zwecken und Mitteln stehen, so scheidet man seit alter Zeit die sittliche und die soziale Frage. Jene geht auf den Charakter des Einzelnen für sich. Sie läßt den Menschen, kritisch erwogen, in einem für sich abgetrennten Wollen. Sein Gegenstand sind die wünschenden Gedanken, die er nun in seinem Innern zu bestimmen und zu richten hat. Der Begriff des sozialen Lebens gründet sich dagegen auf die Vorstellung des Verbindens menschlicher Zwecke. Es wird das Streben des einen als Mittel für den anderen genommen und wieder umgekehrt in Wechseseitigkeit. So erscheint der Gedanke des Zusammenwirkens, als der Vereinigung, um den Kampf um das Dasein besser führen zu können. Und da wir an dieser Stelle ausschließlich vom letztgenannten, der sozialen Betrachtung, sprechen wollen, so ist auch auf die Unterschiede aufmerksam zu machen, die sich in der Ordnung des gesellschaftlichen Daseins leicht erkennbar zeigen. Wir alle stehen nämlich neben den rechtlichen Satzungen auch unter konventionalen Regeln, unter Sitte und Brauch, den Geboten des Anstandes und der Höflichkeit. Sie werden von der rechtlichen Regelung geradezu benutzt, um das Ganze des sozialen Getriebes in ordentlichem Zustand zu erhalten. Aber es fehlte ihnen - dem Recht gegenüber - am Charakter der Selbstherrlichkeit, der dem letzteren eignet. Das Recht stellt sich in seinem Geltungsanspruch über die verbundenen Willensinhalte, derart, daß es nun auf eine Zustimmung der Unterstellten von Fall zu Fall nicht mehr ankommt; es bestimmt selbst, wer ihm untertan ist, seiner Herrschaft entrinnt man im Sinne des Rechts nur dann, wenn es selbst einen entläßt. Wohl scheiden wir dabei diese rechtliche Zwangsregelung von einem willkürlichen Befehl. Er ist ein solcher, der nach persönlicher Laune eines Gebietenden erlassen ist, während die rechtliche Ordnung ihrem Geltungsanspruch nach unverletzbar besteht, das heißt: als bleibende Ordnung von subjektivem Belieben des Anordnenen unabhängig ist. Aber diese Unterscheidung macht heute weniger Schwierigkeit und ist nicht sehr in Gefahr, übersehen zu werden. Dagegen ist es, wenn nicht alles trügt, dringend notwendig, immer wieder die selbstherrliche Eigenart des Rechtsgedankens auf das Schärfste zu betonen. Denn es läßt sich leicht beobachten, daß in unserer Zeit in erweitertem Umfang versucht wird, als den idealen Grundgedanken des Rechts "die Freiheit" des Individuums zu nehmen, als oberstes Prinzip des rechtlichen Wollens "das Selbstbestimmungsrecht" hinzustellen. Alle solche Versuche sind jedoch unhaltbar. Zu den wesentlichen Merkmalen des Rechtsbegriffs gehört, wie vorhin betont, der Anspruch selbstherrlicher Verbindung. Man kann aber nicht das rechtliche Wollen in seinem unvermeidlichen Sinn einer Zwangsregelung festhalten und ihm zugleich den Gedanken der absoluten Freiheit der rechtlichen Verbundenen zum Inhalt geben. Fragt man dann weiter nach dem idealen Maßstab für rechtliche Einrichtungen, so kann auch dieser nicht in der Vorstellung von ungebundener Freiheit bestehen. Denn jener Maßstab sollte ja zeigen, wann im rechtlichen zusammenleben der Menschen eine Bestrebung objektiv richtig ist. Jenes aber könnte ja nur eine Summe von subjektiv beliebigen Entschlüssen zutage fördern. Ein jeder rechtlich Verbundenen erhielte nun die Möglichkeit, andern gegenüber nach persönlicher Willkür vorzugehen. Es müßte sich das Gegenteil einer gegenständlich begründeten Art des gesellschaftlichen Daseins ergeben. Die soziale Frage bedeutet das Streben nach objektiv richtiger Ordnung des Zusammenlebens. Ein Zusammenzählen von subjektiven Begehrungen greift jenes Problem von vornherein falsch an. Ob man dabei von einem "Selbstbestimmungsrecht" des Individuums oder einer Gruppe von solchen spricht, bleibt überall in dem gleichen grundlegenden Fehler. Die Bezugnahme auf "das Volk" bessert alsdann auch nichts. Denn "das Volk" ist zwar von der Romantik im Anfang des 19. Jahrhunderts für ein Wesen mit eigener Seele, als einem besonderen psychischen Phänomen, angenommen worden, - dürfte aber heute wohl von keinem derer, die "die Volksseele" im Munde führen, also aufgefaßt werden. "Das Volk" als solches besitzt keine Nerven und hat keinen "Willen". Es besagt eine verbundene Gruppe von Menschen. Das höchste Problem besteht hier darin, daß der Inhalt des sie verbindenden Wollens objektiv richtig sei. Die hiermit gestellte Aufgabe wird aber keineswegs dadurch gelöst, daß das subjektive Begehren einer größeren oder geringeren Anzahl quantitativ beobachtet und befolgt wird. Es ist nicht ohne Interesse, festzustellen, daß mit diesem Ergebnis die Ansicht von KARL MARX übereinstimmt, der sonst von einem anderen Standpunkt, als dem hier vertretenen, ausgeht. Wie kürzlich von einer ihm anhängenden Seite angegeben worden ist, so kam es ihm auf den Aufstieg der Menschheit zu höherer Stufe an, und nicht unbedingt auf die Erahltung rückständiger kleiner Nationen. "Freilich, sagte er, "dergleichen läßt sich nicht durchsetzen, ohne manch sanftes Nationenblümlein gewaltsam zu zerknicken" (vgl. Neue Zeit Nr. 36 / 1, Seite 581). Betrachten wir nun noch einmal die gegnerische Meinung, so liegt die Quelle der hier leicht gemachten Fehler in einer Verwechslung des absoluten Endzwecks und der in seinem Dienst einzustellenden bedingten Mittel. Man ist manchmal zu freigebig mit der Kennzeichnung eines besonderen Zieles als eines "Prinzips", das ist eines unbedingt gültigen Richtmaßes. Und dann stellt sich unweigerlich ein logischer Denkfehler ein. Die Freiheit und die Selbstbestimmung der Einzelnen, wie ihrer Verbände sind nur bedingte Mittel. Sie bezeichnen gar nicht den idealen Grundgedanken des sozialen Lebens, sind also in Wahrheit keine "Prinzipien" im genauen Sinn des Wortes. Dieser oberste Gedanke ist vielmehr die Idee reiner Gemeinschaft. Es ist die Vorstellung von einem solchen rechtlichen Verbinden, da keiner in stärkerer Weise als Mittel für persönliches Begehren des andern eingefügt wird, als ihm die andern verbunden sind. Dieses soziale Ideal ist jedoch keine Utopie, sondern eine Richtlinie der Gedanken. Niemals kann ein geschichtlicher Zustand diesem unbedingt richtenden Gedanken voll und ohne Rest entsprechen. Aber es bildet diese Idee doch den Leitstern der bedingten Erfahrung. Ob nun aber ein rechtliches Wollen, das seinen Inhalt im Sinne dieser Idee ausbauen soll, sich damit begnügen darf, eine gewisse quantitative Feststellung, persönlicher Meinungen vorzunehmen, - ist eine offene Frage der bedingt gegebenen Sachlage. Entscheiden kann nur das qualitative Ansehen kritisch gewürdigter Gründe sein, - nicht anders, wie in allen anderen Fragen der Forschung, die als Wissenschaft das Ziel einer richtigen Erkenntnis erstrebt. Soviel hier vom Begriff und der Idee des Rechts. Wir wenden uns zu der Frage: Was unter Macht zu verstehen ist. Die Macht bedeutet die Fähigkeit, auf bestimmte Menschen einzuwirken. Ob das gerade von anderen Menschen geschieht oder von Gegenständen der Natur, ist zunächst nicht durchaus entscheidend. Die Größe und Gewalt der Natur erweckt wohl einen starken Eindruck auf das menschliche Empfinden und Erleben. In solcher Erwägung definiert KANT in der "Kritik der Urteilskraft" die Macht als ein Vermögen, welches großen Hindernissen überlegen ist. Er nennt sie eine Gewalt, wenn sie auch dem Widerstand dessen, was selbst Macht besitzt, überlegen ist, und weist darauf hin, wie die Natur solches besitzt und dadurch in uns Furcht erregen kann. "Kühne überhangende, gleichsam drohende Felsen, am Himmel sich auftürmende Donnerwolken, mit Blitzen und Krachen einherziehend, Vulkane in ihrer ganzen zerstörenden Gewalt, Orkane mit ihrer zurückgelassenen Verwüstung, der grenzenlose Ozean in Empörung gesetzt, ein hoher Wasserfall eines mächtigen Flusses und dergleichen machen unser Vermögen, zu widerstehen, in Vergleichung mit ihrer Macht, zur unbedeutenden Kleinigkeit." Und schließlich gilt ja allgemein der volkstümliche Vers: "Der durch Macht ist hoch gestiegen, muß zuletzt aus Unvermögen im Grab darniederliegen." Aber KANT nahm die Macht der Natur nur zur Unterlage, um über die Möglichkeit ihrer Erhabenheit und Schönheit einiges zu erhalten; und die bloße Betonung des Schwachen und Endlichen im Dasein der Menschen liegt hier gleichfalls außerhalb unseres Themas. Bei diesem kommt es auf den Einfluß von Menschen auf Menschen an. Das kann in rein körperlichem Erfassen geschehen oder auf psychische Einwirkungen zurückführen. Die römischen Juristen unterschieden bereits die Möglichkeit, daß jemandem die Hand zur Unterschrift geführt wird von den Fällen der Bedrohung mit einem Übel, falls nicht dem Verlangen des Drohenden Genüge getan werde. Für jenes verwarfen sie das Vorliegen einer Willenserklärung überhaupt, vom zweiten sagten sie, daß der Gezwungene immerhin gewollt habe; er hat keine nichtige Erklärung abgegeben, aber er kann das Erklärte anfechten, während der Drohende sich seinerseits gerade nicht auf die Ungültigkeit berufen kann. Es ist nun die Macht, die in dieser letzten Hinsicht in unserem Zusammenhang bedeutungsvoll erscheint. Sie tritt in den verschiedensten Gestalten auf. Über die Kinder üben Erzieher und Lehrer einen machtvollen Einfluß aus, aber auch Kameraden und sonstige Umgebung, und es wird jedem schwer fallen, später alle die Kräfte anzugeben, die auf die Entwicklung des eigenen Ich eingewirkt haben. Es spaltet sich dieses in unübersehbare Verwicklungen, sowohl auf der Seite des Mächtigen, als bei den von ihm Beeinflußten. Bald sind es einzelne, bald eine große Zahl, und mehr oder weniger mittelbar dränt es bestimmend auf jemanden ein. Eines aber kann jeweils auf den beiden Seiten eines wirklich geschenden Einflusses mit leidlicher Allgemeinheit gesagt werden. Es ist oft beobachtet worden, daß das Streben nach Macht im großen, wie im kleinen, einen ungemein starken Anreiz ausübt. Man denke an die Klage der FRICKA in RICHARD WAGNERs Rheingold: "Was ist euch Harten heilig und wert, giert ihr Männer nach Macht", und erinnere sich, wie FRITZ REUTER in köstlicher Weise "die lütten Druwäppel" geschildert hat, von denen schon in frühester Kinderzeit die ältere Zwillingsschwester die andere erzieherisch zurechtweist. Und vergebens müht sich JOKASTE in den schönen Worten, die SCHILLERs Übersetzung geliehen sind: "Was ist so Großes denn an der macht, der glücklichen Gewalttat, daß du so übermäßig sie vergötterst?" Auf der Seite der Machtunterstellten aber führen alle Besonderheiten meist auf das eine zurück: auf das Gefühl der Angst. Es ist die Furcht vor einem Übel, die vom Machthaber erregt wird, und die nun die Entschlüsse des so Angeredeten bestimmt. Zwar spricht man auch von einer Macht "über sich selbst" oder umgekehrt davon, daß jeman "seiner selbst nicht mächtig" ist: aber das ist nur ein übertragenes Bild. Es geht, genau genommen, auf die Vorstellung mehrerer Menschen zurück, die sich in ihrem Wollen tatsächlich bestimmen. Und der Rückgriff auf die Angst und die Furcht vor seinem Gewissen bleibt dabei ja auch bestehen. Das alles sind leichte Beobachtungen. Sie führen jedoch zu einer Überlegung, die mit schärfer eindringendem Nachdenken aufgenommen sein will. Die Feststellung des Begriffs vom Recht und die Erörterung über das Voliegen einer Macht geschehen ein einem ganz verschiedenen Sinn. Jenes ist die objektiv-logische Zerlegung von Gedankeninhalten; sie werden nach festen Merkmalen in verschiedene Klassen eingeteilt. Das zweite dagegen bietet eine subjektiv-psychologische Beschreibung von Erlebnissen. Bei ihr kommt es nicht auf den Unterschied eines Gedankeninhaltes von einem anderen Gedankeninhalt an, sondern auf ein empfindbares Geschehen bei bestimmten Menschen. Der Rechtsbegriff besagt eine allgemeingültige Weise des Ordnens, für die es gleichgültig ist, wer sie gerade hegt. Seine Klarstellung ist somit eine erkenntniskritische Aufgabe. In ihm wird nicht ein Vorgang beschrieben, und dessen tatsächliches Entstehen, Ausleben und Vergehen geschildert, mit ihm ist vielmehr das logisch bestimmende Merkmal angegeben, das eine systematische Einteilung ordnender Betrachtungen ermöglicht. Dabei ist es selbstverständlich, daß dieser Gedanke des "rechtlichen" Wollens überhaupt die notwendige Voraussetzung für alles bedingte positive Recht ist. Wenn man die Paragraphen bestimmter rechtlicher Gesetze betrachtet, so geschieht dies unvermeidlich in der Denkrichtung, die durch den Rechtsbegriff als solchen gewiesen ist. Es wäre ganz verkehrt, die geschichtlichen Rechtsordnungen einerseits und den Rechtsgedanken andererseits als zwei verschiedene Arten von "Recht" zu nehmen, - vielmehr gibt es nu einen einzigen Begriff des Rechts, und dieser ist die logische Bedingung jeder besonderen Satzung, die als "rechtliche" auftritt. Umgekehrt ist die Vorstellung der Macht nur in einem psychologischen Sinn zu erfassen. Sie hat es in ihrer Eigenart mit einer einwirkenden Verknüpfung von Menschen miteinander zu tun. Es ist die Einwirkung als solche, die bei ihr den Ausschlag gibt. Dagegen zeigt die Erwägung der Macht ansich noch gar nichts über den Inhalt dessen an, wofür die Macht nun ausgeübt wird. Hieraus erhellt sich, daß der erkenntniskritisch herausgeschälte Rechtsgedanke einerseits und die psychologisch erwogene Vorstellung der Macht zum anderen Teil in der tatsächlichen Ausgestaltung des sozialen Leben sich ergänzen müssen. Die Macht bleibt für sich ein sachlich unbestimmtes und unbegründetes Ereignis, wenn ihr nicht der rechte Weg gedanklich gewiesen wird; und das Recht kann die ihm innewohnende Richtung der Gedanken nur in Wirklichkeit umsetzen, wenn ihm die Möglichkeit einer machtvollen Durchführung zuteil wird. Wenn neuerdings gelegentlich von einer "Entwicklung der Macht zum Recht" gesprochen wird, so ist das nicht klar ausgedacht. Jene Wendung will ja gar nicht besagen, daß seither bloße Macht ohne alle rechtliche Leitung bestanden habe, und die letztere nun überhaupt zum ersten Mal einzusetzen sei. In ihrem Sinn handelt es sich nur darum: ein Recht mit gewissem Inhalt durch ein Recht mit einem anderen Inhalt zu ersetzen. Das aber wird durch die erwähnte Fassung "Fortschritt der Macht zum Recht" sehr undeutlich und mißverständlich ausgedrückt. Und es setzt sachlich in der Mitte der hier anzustellenden Erwägungen ein und ringt bis zur Einsicht der dabei notwendig verwendeten Grundbegriffe gar nicht vor. Das Wesen einer psychologischen Betrachtung besteht, wie vorhin angedeutet, in der Verknüpfung eines Gedankeninhalts mit bestimmt vorgestellten Menschen. Es ist psychologisch interessant, zu beobachten, wie jemand zu Wissen und Erkennen, zu einem Entschluß oder einer Kette von Begehrungen gekommen ist - es hat psychologische Bedeutung, wenn man frag, wie man einem andern etwas beibringen, ihn lehren, fördern oder zurückhalten mag. Hiernach geht neben dieser psychologischen Weise die Annahme eines zu verknüpfenden Gedankeninhalts nebenher. Der letztere ist von jener notwendig vorausgesetzt; seine Eigenart und Bedeutung ist für sich erkenntniskritisch festzustellen. Da wir nun beim Gedanken der Macht, wie er oben erörtert wurden, nichts als eine Einwirkung eines menschlichen Wollens auf andere Menschen haben, so zeigt sich, daß diese im sozialen Leben in dreifach verschiedenem Sinn geschehen kann: als konventionale, als willkürliche und als rechtliche Macht. Von diesen dreien kann in grundsätzlicher Weise nur die letztgenannte, die rechtliche Macht eine sachliche Begründetheit beanspruchen. Der Beweisgang ergibt sich aus dem, was wir oben über die Eigenart des Rechtsgedankens dargelegt haben. Sitte und Brauch sind in ihrem Geltungsanspruch auf die persönliche Zustimmung des einzelnen von ihr Angeredeten gestellt. Die also vorkommenden konventionalen Regeln wollen nicht unabhängig von der Zustimmung des Unterstellten gelten, wie es die rechtlichen Satzungen beanspruchen. Sie gebieten nur von Fall zu Fall, sie lassen nach ihrem eigenen Sinn einem jeden die freie Wahl, ob er ihnen weiterhin untertan sein will und begründen dabei auch für das Vergangene keinerlei Pflichten. So setzen sie das gesellschaftliche Zusammenleben aus einer Summe von lauter einzelnen Entschlüssen zusammen. Die persönliche Freiheit eines jeden würde nur unter der bloßen Herrschaft konventionaler Regeln in unbedingter Weise gewahrt bleiben. Der Gedanke an eine Verpflichtung, an die man gebunden wäre, auch wenn man nicht mehr wollte, wäre absolut getilgt. Jedes Versprechen würde nur solange Bedeutung haben, als der es Abgebende in jedem kommenden Augenblick es mag. Denn wenn man ihn gegen sein jetziges Belieben daran festhalten wollte, wäre seine persönliche Freiheit zugunsten eines selbstherrlich verbindenden Wollens eingeengt und in absoluter Weise nicht mehr gewahrt. Dabei ist es gleichgültig, wie die sozialen Regeln entstehen. Es kann sein, daß konventionale Sätze von einer Art gesetzgebender Versammlung, etwa als "Komment", vorgeschlagen werden; und es ist möglich, daß selbstherrliche Gebote durch eine freie Vereinbarung der nun durch sie Verbundenen gesetzt werden. Hier kommt es jetzt auf den Sinn an, in dem die Verbindung bestehen soll und nicht auf den Prozeß ihres Werdens. Zwischen "subjektiv" und "objektiv" schwankt des Menschen Sehnen und Streben einher, - zwischen dem bloß persönlichen Interesse und dem, was richtig ist. Eigenwillig zieht ihn das liebe Ich zu dem für seine Lust bloß Gültigen dahin, - klar und fest erstrahlt der Leitstern des richtigen Wollens, als ein Blickpunkt von gesetzmäßiger Bedeutung. Hier waltet unvermeidlich ein Gegensatz, der im Kampf, vorerst mit sich selbst, stark zu überwinden ist. Da entscheidet kein Aufbäumen eines verletzten Freiheitsgefühls, das in unklarem Meinen das gerade subjektiv Begehrte für objektiv richtig erachten möchte. Die Bedingungen für das letztere stehen in sich fest und haben mit dem rein persönlichen Streben, wie es gerade da ist, nichts zu tun. Für das soziale Leben würde die Beschränkung ausschließlich auf eine konventionale Verbindung eine Auflösung in lauter subjektives Belieben bedeuten. Eine Möglichkeit, sie zur Unterlage eines objektiv richtigen Zusammenwirkens zu machen, besteht dabei nicht. Denn es ist keine Gewähr vorhanden, daß die Verbindung, um deren Inhalt es sich nun handelt, überhaupt in fester und unabhängiger Weise besteht. Nicht minder subjektivistisch bleibt die willkürliche Macht. Wenn die konventionale Regel das soziale Leben in lauter Einzelentschlüsse der Verbundenen auflöst, so tut der willkürliche Befehl das Gleiche von der Seite des verbindenden Wollens aus. Hier sagt der Gewalthaber: Ich gebiete und werde mich an diese Norm halten, wenn ich wollen werde. Dagegen liegt im Gedanken des Rechts, daß es die Zwecksetzungen der Einzelnen in einer bleibenden Weise verbindet. Hier ist die Verbindung vom subjektiven Belieben des Gebietenden, wie von dem der Unterstellten unabhängig. Es ist ein zwar selbstherrliches, aber auch unverletzbares Wollen, das hier verbindet. Damit ist erst die Möglichkeit gegeben, das so bestimmte soziale Leben in seinem Inhalt gesetzmäßig auszugestalten. Die willkürliche Gewalt kann das gar nicht, und die konventionale Macht nur, soweit sie sich ausfüllend in eine rechtlich geordnete Gesellschaft einschmiegt und nur, sozusagen, deren Fugen ausfüllt, sie nebensächlich begleitend. Erst die Macht, die im Sinne eines rechtlichen Wollens vorgeht, ist als solche prinzipiell begründet. Vom Gegenteil heißt es sprichwörtlich mit Grund: "Überall, wo Gewalt statt des Rechts galt, wird die Gewalt niemals alt." In einer entgegengesetzten Auffassung hat man von alters her öfter versucht, eine Abhängigkeit des Rechtsgedankens von der Macht aufzustellen. Das ist sowohl für den Begriff des Rechts, wie für seinen idealen Grundgedanken geschehen. Schon WIELAND sagte: Das Recht des Stärkeren sie iure divino [göttliches Recht - wp] die wahre Quelle aller Obrigkeit. Und andere haben das Recht daraus entspringen lassen, daß ein Mächtiger den überwundenen Feind zu seinem Diener erkor, oder daß sich etwa zwei gleich Starke in gegenseitiger Anerkennung verbinden. Allein es ist klar, daß solche Sätze - inbesondere als Hypothesen über die erste Entstehung allen Rechts überhaupt - nur eine Schildung des Werdens von rechtlichem Wollen geben, mithin den Begriff dieses rechtlichen Wollens verstecktermaßen schon voraussetzen. Der begriffliche Unterschied des Rechts von Sitte und Willkür wird durch eine Betrachtung dieser Art nicht gegeben, vielmehr können alle drei auf diese oder auch auf eine andere Weise gleichmäßig entspringen. Von Interesse ist aber die Behauptung von einem Recht des Stärkeren in dem Sinne, daß das Wollen eines Mächtigen einfach deshalb grundsätzlich berechtigt sei, weil er eben die größere Macht besitzt. In literarischer Hinsicht ist für diese nicht seltene Auffassung vor allem der Schweizer KARL LUDWIG von HALLER zu nennen. Er schrieb vor hundert Jahren ein umfängliches Werk unter dem Titel: Restauration der Staatswissenschaft. Seine Absicht war, dabei einen festen gedanklichen Halt gegen die Staatstheorie der französischen Revolution zu gewinnen. HALLERs Lieblingsbeispiel ist der Betrachtung des Waldes entlehnt. Wie der stärkere Baum den schwächeren Pflanzen Luft und Licht entzieht, sich selbst aber zum Gedeihen bringt, so geschieht alles in der Natur nach dem Gesetz, daß der Mächtigere herrscht, der Schwächere abhängig und dienstbar ist. In der Tierwelt behauptet sich die stärkere Art, und der Mensch herrscht über die Umgebung und dann über seinesgleichen, weil und soweit er sie übertrifft. Diesem Gesetz, das durch die ganze Schöpfung hindurchgeht, entspricht auch ein Hang der Menschen, sich danach einzurichten. Und es baut sich somit begründetermaßen das gesamte soziale Leben nach dem Recht des Stärkeren auf. In eigener Weise hat man diese Betrachtung auf das Verhältnis von sozialen Gruppen von Völkern und Nationen angewandt. So lehrt der Österreicher GUMPLOWICZ, daß die Staaten dadurch entstehen und bestehen, daß schwächere Stämme und Klassen von mächtigeren Geschlechtern und Rassen unterworfen und beherrscht werden. Wer aber ist "der Stärkere?" Es handelt sich doch nicht um körperliche Kraft. Vielleicht, daß in vorzeitlichen Zuständen diese einen gewissen Ausschlag gegeben hat. Und dann mag sich gelegentlich in späteren Tagen ein Anklang daran erhalten haben: "Der Stärkste soll König der Starken sein, der Größte Herrscher der Großen!" Aber auch in diesem Fall erscheint die Stärke bereits als eine soziale Macht. Der "politisch" oder "wirtschaftlich" Stärkere oder Schwächere ist es, der in Frage steht. Seine Eigenart erhält er aber erst durch ein bestimmtes Recht. Die Macht, die man zur Verteidigung eines "Rechts des Stärkeren" angezogen hat, steht also unter der Bedingung gerade der rechtlichen Regelung, die angeblich durch sie bestimmt sein soll. Auch auf diesem Weg erhält man keine Rechtfertigung eines angezweifelten Rechts durch eine Bezugnahme auf die von ihm ja erst ausgestrahlte Macht, - es muß umgekehrt die letztere wieder durch die kritische Erwägung jenes Rechts begründet werden. Wenn nun die Macht des Rechtsgedankens bedarf, um sich zu rechtfertigen, so hat das Recht wiederum die Macht nötig, um sich durchzusetzen. Der Begriff des Rechts ist eine Teilvorstellung. Er bedeutet die bedingende Einheit der einen Klasse des menschlichen Wollens. Da er aber zu des letzteren Reich gehört, so liegt in ihm der Zug nach Auswirkung. Das Recht, das sich begrifflich als ein bestimmter Teil von Bestrebungen darstellt, kann in der empfindbaren Wirklichkeit nur als ein geltendes Wollen auftreten. Das Gelten ist die Möglichkeit der tatsächlichen Durchsetzung. Dieses kommt einer jeden der verschiedenen Arten des menschlichen Strebens zu und kann darum zur Kennzeichnung ihrer Verschiedenheit nicht dienen. Es ist die Frage des Geltens für ein maßgebliches Einwirken eine psychologische Betrachtung: eine solche gehört in die Erwägung der logisch bedingenden Merkmale eines Begriffs nicht hinein. Ein besonderes Interesse hat es, die psychologisch eingreifende Geltung bei dem Recht zu verfolgen, das schließlich doch die wichtigste der verschiedenen Arten des sozialen Wollens ist. Wenn sich nun das Recht nach der Macht zu seiner Verwirklichung umschaut, so tritt das in doppelter Hinsicht hervor: beim Entstehen eines Rechtes und bei seiner hinterher einsetzenden Bewährung. Wir nennen das technisch in entsprechend zweifacher Weise: die Lehre von den Rechtsquellen und vom Rechtsschutz. Wenden wir uns dem ersten zu, so haben wir die zwei Möglichkeiten zu unterscheiden: abgeleitete und ursprüngliche Art der Rechtsentstehung. Die erste besteht darin, daß neues Recht in das Leben tritt nach Regeln, die gerade hierfür in Geltung stehen, das zweite kommt vor, wenn rechtliche Einrichtungen, namentlich ganze Staaten und ihre Verfassungen, geschaffen werden, ohne daß ein dafür vorgesehener Weg neuer Rechtsschöpfung eingeschlagen wird. Wir wollen die beiden Möglichkeiten nacheinander betrachten. "Jedes Recht", sagt BRINZ, enthält vor allem Bestimmungen über sich selbst." Es gibt an, wie in seinem Bereich Gesetze erlassen werden, wann und wie Verordnungen im technischen Sinne des Wortes zulässig sind, ob ein Brauch und feste Übgung eines Rechtssatzes zulässig sind, ob ein Brauch und feste Übung eines Rechtssatzes zu dessen Begründung führen kann. Die dem folgende Rechtserzeugung gibt den regelmäßigen Vorgang. Von ihr wird in normalen Verhältnissen ein tausendfältiger Gebrauch gemacht. Die neuzeitlichen Verfassungen legen darauf besonderes Gewicht. Die Machtfrage bereitet dabei keine nennenswerte Schwierigkeit. Das neugeschaffene Recht fügt sich in den Zusammenhang der überlieferten Rechtsordnung ein. Diese aber hat durch ihre Überlieferung eine gesicherte Stellung. Sie übt eine feste Macht aus, einfach durch ihr Bestehen. Und die so vom Ganzen des geltenden Rechts ausgeübte Wirkung überträgt sich von selbst auf die einzelne Neuschöpfung, die sich in jene Gesamtheit wesentlich einfügt. Aber daneben zeigen sich die Fälle, in denen neues Recht aus Ereignissen erwächst, die in dem bis dahin geltenden Recht gar nicht als rechtserzeugend vorgesehen waren: Staatsstreich, Revolution, Eroberung, aber auch friedlich geschlossene Verträge und Festsetzungen. Sehr interessant ist hierzu ein Briefwechsel, den BISMARCK mit dem General von GERLACH geführt hat. Letzterer war gegen NAPOLEON III. und für die Bourbonen eingetreten. Er stützte sich auf das Legitimitätsprinzip. BISMARCK wies demgegenüber auf die geschichtliche Erfahrung hin, nach der hunderfach originäre Rechtsentstehung zu beobachten sei. Er hätte auch betonen können, daß logischerweise die Sache einmal einen Anfang haben muß und man bei einem Rückgang von neu werdendem Recht auf früheres Recht nicht ins Unendliche fortfahren kann. In scharfsinniger Art hat BINDING die Entstehung des Norddeutschen Bundes zum Gegenstand der Betrachtung gemacht. Er zeigt, daß diese durchaus nicht in Gemäßheit des bisherigen Rechtszustandes erfolgt ist und will den Eintritt der nunmehr geltenden Verfassung darauf zurückführen, daß sie dem übereinstimmenden Willen der Regierungen und des norddeutschen Volkes entsprochen habe. Das läßt sich dahingehend vertiefend ausführen: daß die neue Ordnung, kritisch erwogen, durchaus dem Begriff des Rechts entsprach, - dem unverletzbar selbstherrlich verbindenden Wollen und daß sich dieses in psychologischer Hinsicht mit sicherer und unbezweiflter Macht durchsetzte. Heute erschauen wir das gleiche Bild rings um uns her. Es bilden sich viele neue Staaten in ursprünglicher Weise. Sie lösen sich aus dem bisherigen Rechtsverband, der selbst zuweilen in revolutionären Zuckungen einer neuen Verfassung zustrebt. Diese neuen Gebilde entsprechen dem Begriff des Rechts in restloser Weise. Und dann müssen sie sich bemühen, das, was ihnen als rechtliches Wollen vorschwebt, nun auch in machtvoller Weise durchzusetzen. Freilich zeigt sich dabei nicht selten eine Unsicherheit in der Machtfrage. Wir finden dort vielleicht den Bürgerkrieg im Lande, möglicherweise Zweifel, ob seine Unabhängigkeit sich schon völlig oder doch in allen streitigen Gebietsteilen durchgesetzt hat. Und dem ist niemals unbedingt auszuweichen. Das liegt in der Eigentümlichkeit der pyschologischen Betrachtung, die für die Erwägung einer Macht entscheidend ist. Sie kann nicht mit der gleichen Exaktheit durchgeführt werden, wie die erkenntniskritische Ausarbeitung der einheitlichen Bedingungen des Begriffs. Für die gedankliche Festlegung des Begriffs vom Recht ist der letztere im Vorteil: soll er zur Tat und Wirklichkeit werden, so muß er zur Anwendung der Macht greifen, so gut, so viel es gehen mag. Das zweite Mal, da das Recht der Macht bedarf, geschieht zu seinem, des gesetzten Rechts, Schutz. Der Rechtsschutz gehört zu den Grundaufgaben des Rechts. Hierunter verstehen wir Fragen, die an jedes beliebige Recht gerichtet werden können, gleichviel, welches sein Inhalt auch sein mag. Es muß der Frage Rede stehen, bloß deshalb, weil es Recht ist und Recht sein will. Nun liegt es im Sinne des Rechts, daß es unverletzbar bestehen soll. "Recht muß doch Recht bleiben", sagt der Psalmist. Es kann aber nicht zu gleicher Zeit sagen: ich will unverletzbar sein, und wenn ich verletzt werden, mag es auch hingehen. So muß jedes Recht als solches eine Vorsorge treffen: daß es möglichst vor dem Bruch bewahrt bleibt, und wenn das nicht möglich war: daß eine Berichtigung stattfindet, und der Gedanke des unverletzbar selbstherrlich verbindenden Wollens wieder hergestellt wird. Welche Mittel in beiderlei Hinsicht als einzelne einzusetzen sind, bleibt der besonderen Beantwortung in einer gegebenen lage vorbehalten. Diese Antworten können sehr verschieden ausfallen, - hier steht nur fest, daß die Frage nach dem Rechtsschutz mit dem Begriff des Rechts selbst unweigerlich aufgegeben ist. So muß das rechtliche Wollen seinem eigenen Sinn nach die Macht erstreben, soll es nicht einfach auf sich selbst verzichten, sich selbst wieder aufgeben. Auch hierbei vermag sich leicht ein Schwanken in der Macht, nach ihrer Art und Stärke, zu zeigen. Die Geschichte unseres deutschen Vaterlandes und seines Rechts, wie seiner Macht liefert mannigfache, nicht immer erfreuliche Beispiele. Wir erinnern an einiges hiervon, das mittelbar auch für die Erwägung von Gegenwart und Zukunft von Interesse sein kann. Wir alle wissen, wie der Bestand des alten Reiches mit dem Schwinden der kaiserlichen Gewalt allgemach in Gefahr kam und dann zugrunde ging. Das Recht hatte nicht mehr die Macht sich durchzusetzen. Schon 1643 votierte Österreich beim Deputationstag in Frankfurt: "An guten Satzungen mangelt es dem heiligen römischen Reich gar nicht ... liegt nur an dem, daß dasjenige, was als wohlbedächtlich, heilsam und stattlich bedacht und verfaßt wurde, ex parte imperantis [laut Befehl - wp] beobachtet und vollzogen wird, ex parte parentium [den Eltern nach - wp] aber dem gehorsamst nachgelebt wird." Selbst in Einzelfragen des bürgerlichen Rechts vermochten sich die Reichsgesetze nicht immer durchzuführen. Mehrere Reichsbescheide hatten festgesetzt, daß Neffen und Nichten an der Erbschaft ihres Oheims teilnehmen sollten, wenn ihre Eltern vor jenem gestorben waren; aber in den sächsischen Ländern blieb es nach partikularen Reskripten beim alten Recht, das dem Reichsgesetz widersprach. Vergebens mahnten die besten Lehrer des Rechts zur Einheit und zur Befolgung der Gesetze. In beweglichen Worten betonte der berühmte PÜTTER, wie der Erhaltung des Ganzen zuliebe der einzelne Teil nachstehen muß. Dem Recht fehlte die Macht, - mit ihr sank auch jenes dahin. Der einflußreiche PUFENDORF hatte noch 1667 den Zustand des Reiches hoffnungsfreudig angesehen. Er geht die Nachbarn Deutschlands durch und zeigt, daß es einem jedem von ihnen überlegen ist, meint auch, daß eine Koalition wohl nicht so leicht zustande kommen wird. Noch klang etwas von dem stolzen Spruch durch: "Wer will im Krieg Unglück haben, der fang ihn mit den Deutschen an." Aber in der späteren Auflage des Buches ist nicht mehr die gleiche Sicherheit. Inzwischen waren die französischen Raubzüge weiterhin erfolgreich gewesen. Und nun sagt er: "Doch aber ist klar, daß nach Verdrängung der Türken Deutschland keinen gefährlicheren Gegner als Frankreich hat, der sich zwar früher, als Burgung, Lothringen und Luxemburg und Belgien noch in seiner ganzen Ausdehnung als Bollwerke ihm entgegenstarrten, nicht zu mucksen wagte, jetzt aber nach der Unterwerfung der genannten Länder und nach dem Erwerb vom Elsaß mit Breisach und Straßburg dazu und einem großen Teil des jenseitigen Rheinufers und umgürtet von starken Befestigungen, Deutschland diesseits des Rheins umso mehr bedroht, als er schon allen Glauben an Vertrag und Treue erschüttert hat. Wenn die Deutschen diesen Gegner nicht in seine alten Grenzen zurückweisen und gleiche Bollwerke gegen ihn aufrichten, werden sie seinen beständigen Angriffen ausgesetzt sein und ihm vielleicht einmal ganz unterworfen werden" (SAMUEL PUFENDORF, de statu imperii Germanici liber unus, cap. VIII, 1667, oft aufgelegt). Doch nicht nur um des Staatsganzen willen bedarf die rechtliche Regelung der Macht: es hat die letztere selbstverständlich gerade in den einzelnen Streitfällen einzusetzen, die unter den Rechtsunterstellten innerhalb einer Rechtsordnung spielen. Auch hier mag ein Rückblick auf alte Zeiten nicht unlohnend sein, da er wieder für kommende Tage einen Wegweiser bietet. Das Mittelalter legte in weitem Umfang die Bewährung des Rechts in die Hand des Verletzten. Ihm erwuchs die Befugnis zur Fehde gegen den Verletzer und dessen Sippe. Die Ausführung stand wieder unter genauen gesetzlichen Regeln. Die Fehde kam nur den ritterlichen Personen zu, wahlweise neben gerichtlichem Vorgehen. Sie sollte in offener Weise angesagt werden und ohne Hinterlist vor sich gehen. Ihr Ziel, die Berichtigung des Rechtsbruchs, durfte sie nicht aus den Augen verlieren, und nicht weiter, als zu so einer Absicht nötig war, sollte sie gehen. Die häufigen Landfrieden (wie auch der von Frankreich herübergekommene Gottesfriede) bestätigten nur diese Schranken und wollten für ihre Einhaltung sorgen. Freilich versuchte schon FRIEDRICH BARBAROSSA, das Fehdewesen ganz abzutun, zugunsten des gerichtlichen Verfahrens; allein er konnte dies nicht erreichen. Selbst der allgemeine Landfriede, den MAXIMILIAN I. mit der Einsetzung des Reichskammergerichts 1495 verkündete, konnte sich nicht völlig durchsetzen. Man weiß, wie GÖTZ von BERLICHINGEN und seine Zeitgenossen sich sträubten: "er wäre, erklärte jener Ritter, in einer ehrlichen Fehde betreten und hätte sich, wie einem frommen Mann von Adel und Ritterstand wohl anstand, gehalten." So finden wir, daß in der peinlichen Halsgerichtsordnung KARLs V. von 1532 die Fehde noch zulässig war, wenn sie jemandem vom Kaiser erlaubt worden war, oder wenn er als Helfershelfer seiner Sippe auftrat oder wenn er überhaupt zur Fehde einen "rechtsmäßigen" Grund hätte. - Und dann ist das Fehdewesen bald danach gänzlich verschwunden, ohne daß wir Zeit und Grund genauer anführen können. Die Stärke der staatlichen Gerichtsbarkeit nahm stetig zu, die Art des ritterlichen Kämpfens machte einer anderen Kriegführung Platz. Und im besonderen mögen die Bündnisse unter Städten und Reichsständen zur grundsätzlichen Unterdrückung der Selbsthilfe beigetragen haben. Die Macht, deren das Recht zu seinem Schutz bedarf, war nicht verneint, sondern im Gegenteil verstärkt und der unparteiischen Zwangsgewalt des Staates übertragen worden. Aus diesen Betrachtungen ergibt sich die Aufgabe, die auf uns nach dem Ende des Krieges wartet. Ich sage: Die Aufgabe, und vermeide es, den Ausdruck in der Mehrzahl einzusetzen. Freilich lassen sich die zahlreichen Ziele, die zu verfolgen und zu erreichen sind, in großen Mengen sammeln und erörtern. Aber dazu aufzurufen, haben wir hier keinen besonderen Anlaß. Den hierbei wartenden einzelnen Notwendigkeiten werden wir schon sowieso befriedigend entsprechen. Das kann man nach der Eigenart dieses unseres heutigen Zeitalters beruhigt annehmen. Denn diese Eigenart liegt in der Energie auf technisch begrenzte Ziele. Hierin ragen wir über andere Zeiten vor uns empor, vielleicht die Römer in ihren besten Perioden ausgenommen. Aber, was uns weniger liegt, und was doch vor allem andern verfolgt sein will: das ist das Zusammenziehen der Einzelfragen unter einheitliche Gedanken, - das Klarstellen der letzteren, die uns doch beherrschen, die bewußte Einsicht in ihr Eingreifen im besonderen Fall. Fassen wir das nun für die hier eingeführte Aufgabe ins Auge, so erhellt sich aus dem Vorgetragenen, daß es demnächst für uns Deutsche grundlegend auf zweierlei ankommen wird: Die Sorge für Recht und Gerechtigkeit und für die solches schirmende Macht. 1. Bei der Betonung des Rechtsgedankens haben wir uns wiederum vorzuhalten, daß es dabei vor allem auf die Klarheit über die bestimmenden Grundlehren ankommt. Theorie regiert die Welt! - Theorie, im recht verstandenen Sinn: das ist die Einsicht in die einheitliche Grundauffassung, von der in Wahrheit alle besonderen Entschlüsse und einzelnen Strebungen abhängig sind, - man mag sich dessen bewußtsein oder nicht. So gilt es, zuvörderst bei uns selbst stetig bessere Einsicht über das Wesen von Recht und Gerechtigkeit zu pflegen, ein jeder im eigenen Nachdenken für sich und in der Weitergabe bei uns im Land. Und dann haben wir eine geistige Offensive gegen unsere Feinde zu führen. Es ist die deutsche kritische Philosophie, die es uns ermöglicht, hier mehr Klarheit zu haben und zu geben, als den Gegnern da draußen zu Gebote steht. Bei ihnen hat der Wunsch nach einer gesicherten Grundlage der Gedanken zu bloßen Schlagworten geführt, - vor allem, wenn sie den vieldeutigen Ausdruck von der "Freiheit" gebrauchen oder das schöne Wort der "Gerechtigkeit" kurzerhand nennen. Sie sahen dann nicht, das der Begriff des Rechts die Bedeutung eines selbstherrlich verbindenden Wollens ganz wesentlich bedingend in sich trägt, - und sie wußten nichts daon, daß die Aufgabe der Gerechtigkeit nicht in einem Sammeln von subjektiven Meinungen und Begehrungen besteht, sondern in der objektiven Richtigkeit eines Rechts, gerichtet nach der Idee einer reinen Gemeinschaft unter den Menschen. 2. Wer jedoch für das Recht, nach Begriff und Idee, sorgen will, der muß, wie wir zeigten, auch auf die Macht bedacht sein, die ein richtiges Recht in der Wirklichkeit erst gewährleistet. Die Art dieser Macht aber - das sollte doch ein selbstverständlicher Satz sein - ist geschichtlich bedingt. Es ist dasjenige Mittel einzusetzen, das unter den gegebenen Verhältnissen die Verwirklichung von Recht und Gerechtigkeit am sichersten gewährleistet. Wir sahen, daß bei unseren Altvorderen die gesetzlich umgrenzte Fehde das hauptsächliche Mittel war, bsi die unparteiische Staatsgewalt es ganz in die Hand nahm. Was aber die Fehde im Inneren des Reiches bedeutete, das ist bis heute der Krieg nach außen hin. Der Krieg ist eine Rechtseinrichtung. Er ist das Mittel zum Schutz des bedrohten oder des verletzten Rechts, er soll die subjektive Willkür von Feinden abwehren und zunichte machen. Daß er dabei eine starke Zerstörung anrichtet und viel Leid und Mißgeschick bringt, braucht nicht besonders ausgeführt zu werden. Ganz läßt sich solches in unserer Frage nie vermeiden. Auch die Zwangsvollstreckung und die Strafe vernichten Werte, oft in unverhältnismäßiger Weise. Wie kann man das nun einschränken? Es ist heute allgemein bekannt, daß seit den Tagen des 30-jährigen Krieges der Plan eines Völkerbundes mit einem obersten Gerichtshof aufgetaucht ist und seitdem oftmals in verschiedener Gestalt verfolgt wird. Seinen stärksten Ausdruck fand er durch den französischen Abbée SAINT-PIERRE von 200 Jahren mit einem Entwurf, der den dauernden Frieden, la paix perpétuelle, unter den Staaten Europas einführen und sichern sollte. Der Vorschlag fand Beifall und Nachfolge. Am berühmtesten ist die Schrift KANTs "Zum ewigen Frieden" von 1795 geworden. Freilich tritt in der damaligen Zeit der Gedanke, daß der Krieg zum Austrag persönlicher Streitigkeiten der Herrscher bestimmt ist, einseitig hervor. Die Möglichkeit, daß ein Volk in seiner Gesamtheit, um überhaupt menschenwürdig bestehen zu können, gegen mißgünstige Feinde aufzutreten hat, lag jenen Tagen fern. Schon früh regten sich aber allgemeine Bedenken. LEIBNIZ meinte ironisch, daß das Wort vom ewigen Freiden als Überschrift für einen Kirchhof paßt; VOLTAIRE verfaßte ein spöttisches Epigramm auf die Friedensschwärmer, FRIEDRICH der Große sprach abfällig von deren Meinung, als einem "Traum" und GOETHE sagte: "Träumt ihr vom Friedenstag? Träume, wer träumen mag. Krieg! ist das Losungswort. Sieg! und so tönt es fort." Interessant ist das Urteil LESSINGs in den "Briefen, die neueste Literatur betreffend" über den Friedensvorschlag eines damaligen Schriftstellers. "Wenn sich nun unter den europäischen Mächten halsstarrige fänden, die dem Urteil des Tribunals Genüge zu leisten sich weigerten? Wie dann? O der Herr von PALTHEN hat vollstreckende Völker, er hat militärische Exekution. Hat er die? Nun wohl, so hat er Krieg." Man muß sich genau vorhalten, welches eigentlich der Gegenstand des Streites ist. Daß der Krieg möglichst zu vermeiden ist, daß man Streitigkeiten auch unter Völkern und Staaten tunlichst durch Schiedsgerichte erledigen sollte, - das ist wohl niemals ernstlich bestritten worden. Aber das ist die Frage: Kann das Mittel des Krieges in absoluter Ausnahmslosigkeit beseitigt werden, und ist das jederzeit durch freien Beschluß möglich? In gut erwogenem Entscheid verneinte ROUSSEAU diese Frage. Erst müßte der allgemeine Wille, der auf Recht und Gerechtigkeit gerichtet ist, durchgedrungen sein und den Einfluß der Sonderinteressen überwunden haben, ehe man zur Ausführung eines unbedingten Friedensplanes schreiten kann. - Das ist offenbar ein voll berechtigter Gedanke. Denn wenn ein Staat auf jede Selbstverteidigung unbedingt verzichten und der Entscheidung eines Schiedsgerichtes bedingungslos sich unterstellen soll, so muß eine Gewähr vorliegen, daß ein gleichberechtigendes Wohlwollen aller bestehen, und eine unparteiische Art der Entscheidung stattfindet. Zur Zeit ist das nicht der Fall. Wir stoßen auf Neid und Mißgunst, ja auf innere Feindschaft gegen Deutschland. Solange englische Profitgiert, französische Rachsucht und der Welschen Falschheit und Egoismus walten, solange sie also als oberstes Ziel uns gegenüber nichts als begrenztes Begehren walten lassen, - solange wäre es eine Torheit und ein Unrecht, sich dem wehrlos gefangen zu geben. Solange wir vielmehr die Pflicht, in anderer Weise für Recht und Gerechtigkeit im Sinne des reinen Gemeinschaftsgedankens zu sorgen. Als RUDOLF von HABSBURG gegen die Raubritter vorging und sich auch sonst um Ordnung und Gesittung im Reich bemühte, da schloß er nicht einen Vertrag mit jenen und gab sich keineswegs ihrem guten Willen hin, - da schuf und befestigte er eine Hausmacht. Eine solche ist auch weiterhin für unser Deutsches Reich festzuhalten. Wir tun es nicht aus Eigensucht, sondern weil wir die Pflege des richtigen Rechts unter den Völkern bei uns am besten aufgehoben wissen. Wir nehmen "Deutschland, Deutschland über alles!" im Sinne einer Aufgabe, die uns zugefallen ist. Es ist eine ernste Verantwortung, die wir aufnehmen, - res severa est verum gaudium, d. h. eine ernste Sache ist eine wahre Freude! Wir Deutsche fühlen uns stark genug, nach innen und nach außen, um ein Zentrum zur Förderung aller Geisteskultur abzugeben, einen Kreis, dem sich anschließen kann, wer uns nur freundschaftlich gewogen ist. Ein jeder von solcher Gesinnung wird uns als Mitstreiter für den Fortschritt der Menschheit willkommen sein! Also wollen wir gerne Frieden halten mit allen, die gewillt sind, sich auf den Boden nicht der subjektiven Begehrlichkeit, sondern der objektiven Richtigkeit des Gemeinschaftslebens zu stellen. In dieser Richtung des Gedankens ist Recht und Macht zu pflegen, das eine durch das andere stützend.
Recht ohne Macht kann niemals Sieger werden!" ![]() ![]() |