![]() |
![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
||||
Der Pessimismus und seine Gegner
I. Einleitung J. C. FISCHER gehört zu jenen Plebejern des Geistes, welche nur deswegen da zu sein scheinen, um der von ihnen bekämpften Sache ein Relief zu geben; in der Form sich der Haltung ultramontaner Schmutzblätter befleissigend, gehört er inhaltlich zu jenen kurzsichtigen Materialisten, welche GRILLPARZER so trefflich in seinem Epigramm skizziert:
Die Gottheit selber liegt euch auf der Hand, Wenn ja ihr etwas unbegreiflich findet, Ist's, daß man je es unbegreiflich fand!" Als Nachtreter FISCHERs ist der renommierte Kulturhistoriker Professor Dr. HENNE-AM-RHYN zu bezeichnen, obwohl derselbe den verunglückten Versuch macht, seinen Standpunkt durch die Bezeichnung "Universalismus" von dem des Materialismus zu unterscheiden. Wäre ihm du PRELs Schrift ebenso zur Hand gewesen, wie die J. C. FISCHERs, so wäre kaum zu begreifen, woher er den Mut genommen hat, sich in einer Sache zum Richter aufzuwerfen, der er in keiner Weise gewachsen ist. Seine Gehässigkeit gegen die Philosophie des Unbewußten scheut selbst nicht vor dem einfältigen Mittel der für jeden Kundigen durchsichtigen Verleumdung zurück, daß HARTMANN zur Vermeidung des Übels (des Liebesschmerzes) die Kastration empfiehlt. (2) Dr. LUDWIG WEIS nimmt im Vergleich mit den Vorgenannten eine schon verhältnismäßig achtungswerte Stellung ein; gleichwohl erweist auch er sich als ein Dilettant (wenn wir nicht irren seines Zeichen ein Chemiker), als ein Dilettant im schlimmsten Sinne, dem alle Vorbedingungen eines Kritikers auf philosophischem Gebiet abgehen und der deshalb trotz der wohlmeinendsten Absichten und einer ganz respektablen allgemeinen Bildung zu keinem Verständnis metaphysischer Probleme gelangt und sich in seinem polemischen Eifer auch in Dingen, die wohl in seinem Gesichtskreis gelegen hätten, arge Blößen gibt. Es ist in der Tat ein deprimierender Gedanke, daß eine solche Leistung effectiv den Durchschnittsstandpunkt unseres sogenannten "gebildeten Publikums" repräsentiert und kann man es bei der Lektüre einer solchen Schrift einem GRILLPARZER nachfühlen, wenn er unwillig ausruft:
Und euren gebildeten Leuten! Sonst waren doch nur die Dummen dumm, Jetzt sind es auch die Gescheiten. So wenig WEIS den Anspruch machen kann, auf der Höhe der christlichen Weltanschauung zu stehen, so sehr tut das GUSTAV KNAUER (wenn wir nicht irren, lutherischer Prediger bei Erfurt), welche die geistige Roheit des Pfaffentums mit der formellen Routine desselben verbindet und seinen Gegner im Kanzelton abkanzelt. Nichtsdestoweniger fehlt es ihm nicht völlig an philosophischer Bildung, wie seine Schrift "Konträr und Kontradiktorisch" beweist, daher er sich wohl eignet, den Übergang zu machen von den bisher genannten Dilettanten zu den wirklichen Gelehrten der Philosophie. Dr. JÜRGEN BONA MEYER, ordentlicher Professor der Philosophie in Bonn, eröffnet den Reigen dieser zünftigen Gegner. Durch seine recht brauchbare kompilatorisch apologetische Schrift über KANTs Psychologie hat derselbe gezeigt, daß er seinen KANT mit Aufmerksamkeit und Nutzen gelesen hat. Was seinen Vortrag gegen den Pessimismus betrifft, so war freilich schon durch das Publikum, vor dem er gehalten war, jede wissenschaftliche Vertiefung ausgeschlossen; indessen hat MEYER auch so noch die Sache etwas allzuleicht genommen, wenigstens erweckte der von LUDWIG PIETSCH in der Vossischen Zeitung 1872, Nr. 80 und 81 gebrachte, frisch und geistreich ingeworfene Bericht entschieden größere Erwartungen, als der im Druck erschienene Vortrag selbst erfüllte. Dr. RUDOLF HAYM, außerordentlicher Professor der Philosophie zu Halle, wird ebenfalls besser, als wir es in Prosa vermögen, durch ein GRILLPARZERsches Epigramm charakterisiert:
Schreib über etwas, mein Lieber, Um dich über anderen zu sehen, Die etwas zu machen verstehen." Dr. F. A. HARTSEN hat in holländischer, deutscher und französischer Sprache Abrisse der hauptsächlichsten philosophischen Disziplinen veröffentlicht, Dr. JOHANNES VOLKELT hat sich durch philosophische Aufsätze in verschiedenen Journalen vorteilhaft bekannt gemacht. Wir erwähnen die angeführten Artikel beider, weil jeder von ihnen einen besonderen Punkt gegen den Pessimismus geltend zu machen sucht. So HARTSEN die mögliche Vergütung des Erdenleides im Jenseits und VOLKELT die Perspektive auf einen Glückseligkeitszustand der Zukunft. - Es kann nicht in unserer Absicht liegen, uns in eine eingehendere Betrachtung der Schriften der Ebengenannten zu versenken; für die Mehrzahl derselben findet man eine nähere Charakteristik in MORITZ VENETIANERs "Allgeist". Ausgenommen davon ist der "Anti-Materialismus" von WEIS, welchem wir ursprünglich eine eigene kritische Widerlegungsschrift zu widmen beabsichtigten, wie wir das seinerzeit mit STIEBELINGs "Naturwissenschaft gegen Philosophie" getan haben (3). Nach Vollendung der allgemein charakterisierenden Eingangskapitel zeigte es sich jedoch, daß die Untersuchung dann doch zu wenig Anhaltspunkte zu einer fruchtbringenden philosophischen Erörterung bot und obendrein schien die Verlagshandlung zu fürchten, daß das ohnehin wohl kaum jemals erhebliche Interesse des Publikums nach Erscheinen anderer einflußreicherer Kritiken zu sehr in den Hintergrund gedrängt sei, um die Herausgabe einer eigenen Gegenschrift angezeigt sein zu lassen. So beschränke ich mich denn darauf, die allgemeine Charakteristik der WEISschen Leistung der vorliegenden Schrift als einen Anhang beizugeben, welcher hoffentlich hinreichen wird, das Publikum über den Wert des "Anti-Materialismus" aufzuklären. - Fragen wir nun, welche Stellung die genannten Schriftsteller speziell zum Pessimismus einnehmen, so müssen wir, wenn wie vom all' und jede Behauptung negierenden HAYM absehen, anerkennen, daß jeder der Gegner die Behauptungen des Pessimismus nach gewissen Seiten hin einräumt und nur jeder auf seine Weise nach einer Vermittlung oder Ausflucht sucht, um dem vollen und konsequenten Pessimismus zu entgehen. Wir glauben nicht zu irren, wenn wir dem Zweifel Raum geben, ob vor Erscheinen der Philosophie des Unbewußten dieselben Schriftsteller bereit gewesen wären, dem Pessimismus Zugeständnisse von solcher Tragweite zu machen. WEIS mag sich noch nicht zu dem Zugeständnis bequemen, daß gegenwärtig mehr Unlust als Lust in der Welt ist, was KNAUER, HENNE-AM-RHYN und VOLKELT zugeben; aber auch er räumt ein, daß großes Elende in der Welt nicht zu leugnen sei, daß als dem Pessimismus wenigstens eine den Optimismus beschränkende Berechtigung zukomme und daß einseitiger Optimismus, wie HARTMANN behauptet, zu behaglicher Sorglosigkeit und Quietismus [Zurückgezogenheit - wp] führe. Während WEIS so im Ganzen den Optimismus des seicht rationalistischen Deismus akzeptiert, steht KNAUER auf dem echt christlichen Standpunkt, die Welt für ein Jammertal zu halten; er geht so weit, HARTMANNs Optimismus und jeden Optimismus unbedingt zu verwerfen, weil diese Welt Übel, Leiden und Gebrechen ohne Zahl in sich trage und deshalb nicht die bestmögliche sein könne, vielmehr liege sichtbar der Fluch Gottes auf ihr. Minder rigoros ist HENNE-AM-RHYN gesonnen, welcher auch zugiebt, daß auf der Erde mehr Unlust als Lust herrsche, was jedoch kein Grund sei, zu verzweifeln, daß mit der Zeit die Lust vermehrt und Unlust vermindert werden könne. Ebenso zukunftsoptimistisch und gegenwartspessimistisch spricht sich VOLKELT aus, was für einen hegelianischen Panlogisten gewiß schon genug sagen will. In ähnlichem Sinne spricht sich CHARLES SECRETAN in der "Revue Chrétienne" aus, wenn er sagt: "Die Erfahrung ist Pessimist, der Verstand Optimist und Erfahrungshoffnungslosigkeit." Auch hier wird die empirische Begründung des Pessimismus anerkannt und die Hoffnung auf eine idealistische Überwindung der zugrunde liegenden Tatsachen festgehalten. Es erhellt sich aus dieser flüchtigen Übersicht zur Genüge, daß die Gegner des Pessimismus ihre Einwendungen von sehr verschiedenen Seiten her erheben und ihre Zugeständnisse oft in ganz entgegengesetztem Sinne bewilligen. Schon diese Divergenz der Ansichten beweist, in wie unklarer Gärung sich die Beurteilung des pessimistischen Problems noch befindet und läßt eine erneute Untersuchung der Frage wünschenswert erscheinen. Es kommt aber noch hinzu, daß die Gegner größtenteils in den ganz unwissenschaftlichen Fehler verfallen, die pessimistische Doktrin den Anhängern derselben aufs Gewissen zu schieben und anstatt die theoretischen Wahrheit derselben zu bekämpfen, sie durch Hervorhebung ihrer schädlichen Folgen in Bezug auf Moral, Religion usw. zu diskreditieren suchen. Wie wenig auch ein so unwissenschaftliches Verhalten an und für sich eine wissenschaftliche Berücksichtigung verdienen mag, so wichtig ist doch andererseits das Zeugnis, welches dasselbe von der allgemeinen Verbreitung gewisser Vorurteile gegen den Pessimismus ablegt. Diese Vorurteile sind namentlich durch den rationalistischen Protestantismus und den modernen Ultramontanismus großgezogen und genährt worden, welche sich vom ursprünglichen Pessimismus des primitiven und mittelalterlichen Christentums gleichweit entfernt haben, der eine, um einem platt rationalistischen Optimismus irdischer Behaglichkeit zu huldigen, der andere, um, seine religiöse Aufgabe vergessend, eine imposante Universaltheokratie "von dieser Welt" zu errichten. Solchen Vorurteilen gegenüber erscheint eine neue, unbefangene Prüfung der Frage doppelt wünschenswert und hiermit sei dieselbe nun versucht. ![]()
1) Der gesunde Menschenverstand vor den Problemen der Wissenschaft. In Sachen J. C. FISCHER kontra E. von HARTMANN, Berlin 2) Die Redaktion dieser Zeitschrift (beiläufig bemerkt der unseres Wissens einzigen in Deutschland, welche sich zu einer kritischen Empfehlung der im nämlichen Verlag erschienenen FISCHERschen Schandschrift hergab) kann es nicht verwinden, zu dieser von ihr natürlich auf Treu und Glauben hingenommenen Verleumdung des Referenten auch ihrerseits noch ein Senfkorn redaktioneller Weisheit und Moral in einer Fußnote beizusteuern. 3) AGNES TAUBERT, Philosophie gegen naturwissenschaftliche Überhebung, Berlin 1872 |