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Zur Analyse des Subjektbegriffs [2/3]
II. Bewußtseinssubjekt und Wirklichkeit
Bei der Analyse des "Ich-Bewußtseins" und seiner erkenntnistheoreti- schen Bedeutung suchte ich mich streng an das unmittelbar Gegebene zu halten, um mittels einer einfachen Beschreibung die konstituierenden Merkmale des Ich-Begriffs, die Phasen der "Ich"-Entfaltung und die Richtungen einer zu erstrebenden Vervollkommnung des Ich-Bewußtseins zu ermitteln. Wir kamen allerdings bereits dort mit den Mitteln einer bloßen Deskription nicht aus: Der Hinweis auf die Dispositionen und auf die mit ihrer Hilfe vollziehbare Rekonstruktion unseres vergangenen Lebens führte uns schon aus dem Rahmen des unmittelbar Gegebenen heraus. Aber ich mußte noch weiter gehen: das Ich-Bewußtsein erschien uns nur als eine Form, in der das reale Bewußtseinssubjekt sich auswirkt; und dieser Begriff des Realen und des realen Zusammenhangs, dem wir die ideelle Zusammenordnung gegenüberstellten, eröffnete uns eine Perspektive, die wir dort nicht weiter verfolgen konnten. Wenn wir nämlich erwägen, daß die Ordnung unserer Erkenntnisse nur gleichsam ein Oberbau ist auf dem Fundament einer andersartigen Ordnung, der Wirklichkeitsordnung, von der sie abhängt, auf die sie aber auch selbst einwirkt, dann tritt uns die Verwicklung des Erkenntnisproblems erst recht klar vor Augen: Wir haben es eben nicht mit zwei parallel laufenden Reihen der Seinsreihe auf der einen zu tun und der Erkenntnisreihe auf der anderen Seite, von denen jede für sich abgeschlossen wäre, - in Wahrheit schießen vielmehr Beziehungsfäden zwischen den beiden Reihen hin und her! Ist durch diese enge Wechselbeziehung einer Wirklichkeitsfremdheit der Erkenntnis nach Möglichkeit vorgebeugt, so ist doch andererseits eben dadurch die ungestörte Betrachtung einer der Reihen für sich überaus erschwert. Der Analyse eröffnet sich somit ein neues Arbeitsfeld: Es gilt die Hauptfäden der wechselseitigen Verknüpfung der beiden Reihen sorgfältig zu entwirren und so das Erkenntnisproblem von einer neuen Seite seiner endgültigen Lösung näher zu bringen. Bevor ich jedoch diese Analyse beginne, muß ich mir - zumindest skizzenhaft - die Motive vergegenwärtigen, die mich nötigen, vom unmittelbar Gegebenen aus eine diesem zugrunde liegende Wirklichkeit zu erschließen. Wir berühren damit das heftig umstrittene Realitätsproblem. Man kann sich den Weg zu einer befriedigenden Beantwortung dieses Problems von vornherein durch eine falsche Formulierung verbauen. Das ist der Fall, wenn man fragt, wie das Bewußtseinssubjekt, dessen Realität als selbstverständlich hingenommen und deshalb nicht genauer kritisch umgrenzt wird, seine Überzeugung vom Vorhandensein einer von ihm unabhängig existieren Wirklichkeit rechtfertigen kann. In Wahrheit ist die Realität des Bewußtseinssubjekts ebenso ein Problem, wie die übrige Wirklichkeit. Unmittelbar gegeben ist nur eine Mannigfaltigkeit von Inhalten und ein zunächst nicht näher definierbarer Zusammenhang dieser Inhalte, der bei näherem Zusehen eine Differenzierung in einzelne fester zusammengehörige Bereiche in sich birgt. Alles Beharrliche und Gesetzmäßige wird von uns zum Zweck einer widerspruchsfreien Interpretation des Gegebenen durch gedankliche, die Lücken des Gegebenen ergänzende Operationen festgestellt. Reales Bewußtseinssubjekt und Wirklichkeit sind deshalb, um einen glücklich gewählten Ausdruck der modernen Psychologie zu verwenden, innerhalb der Erkenntnisreihe "Funktions"-, nicht Deskriptions"-begriffe. Wenn ich so die ideelle Konstruktion des Subjekt- und des Wirklichkeitsbegriffs betone, will ich keineswegs die Realität der durch diese Begriffe bezeichneten Gegenstände leugnen. Die idealistische Einschränkung der Gültigkeit dieser Begriffe auf den In sich geschlossenen Bereich des Wissenssystems halte ich für ebenso verfehlt, wie die naiv realistische Identifizierung des Begriffs mit dem realen Gegenstand. Meine Betonung der ideellen Konstruktion jener Begriffe sollte nur dem Nachweis dienen, daß bei der Frage nach der Berechtigung der Überzeugung von der Realität das Bewußtseinssubjekt ebenso in Mitleidenschaft gezogen wird, wie die Wirklichkeit in einem engeren Sinn. Wenn wir uns nun nach dem Sinn des Begriffes "Realität" fragen, so muß der Ansatzpunkt zur Beantwortung dieser Frage innerhalb des unmittelbar Gegebenen gesucht werden. Dieses "Gegeben"-sein ist für uns die Urform des Realitätsbewußtseins. Mit dieser Urform der Realität kommen wir aber auf die Dauer nicht aus: Innerhalb des fluchtartigen Nacheinander "gegebener" Inhalte lösen sich - zunächst ohne Mithilfe des selbständigen Denkens - beharrliche Komplexe, regelmäßig wiederkehrende Verläufe heraus. So tritt eine Differenzierung im Bereich des "Gegebenen" ein: Das Beharrliche und Regelmäßige erscheint als das eigentlich Wirkliche dem Flüchtigen als seiner bloßen "Erscheinung" gegenüber. Nicht bloß die Befriedigung an den ersten Spuren einer Ordnung ist es, die uns zu dieser Bevorzugung des Beharrlichen und Regelmäßigen veranlaßt. Eine tiefer dringende Erfahrung zeigt uns vielmehr, daß hier wichtige, praktische Lebensinteressen mit im Spiel sind. Sind doch Beharrlichkeit und Regelmäßigkeit die ersten Kennzeichen jener Unerbittlichkeit, mit der die Naturordnung uns umspannt! Immerhin ist es richtig, daß durch diese Spuren einer Ordnung, die sich uns aufdrängen, unser Ordnungsbewußtsein erweckt wird, und, einmal erweckt, versucht es, schüchtern zunächst, dann immer entschiedener und bewußter, den Ordnungszusammenhängen des Gegebenen selbständig nachzuforschen. Nun sucht man alles Wechselnde auf beharrliche Grundlagen, alles Mannigfaltige auf möglichst einfache Prinzipien zurückzuführen. Man forscht nach dem "wahrhaft seienden" Wesen der flüchtigen Erscheinungen, und, weil man es nicht innerhalb der Reihe des unmittelbar Gegebenen findet, so sucht man es eben jenseits des Gegebenen. Je nach dem Grad der Gewaltsamkeit, die man mit seinem jugendlichen, durch Enttäuschungen noch nicht gewitzigten Denken bei der Bestimmung dieses "wahrhaft Seienden" entwickelt, verliert man sich in mehr oder weniger einseitige Spekulationen, indem man in verschiedenem Maße von der im unmittelbar Gegebenen sich kundtuenden Wirklichkeitsfülle bei seinem Erklärungsversuch abweicht. So lösen einander irrige Ansichten über das Wesen der Wirklichkeit ab, aber unerschütterliches Gemeingut des forschenden Geistes bleibt doch die Überzeugung, daß nur im Beharrlichen und Regelmäßigen, nur in der gesetzmäßigen Ordnung das eigentlich Wirkliche zu suchen ist: sowohl die Durchsichtigkeit allgemeiner Gesetzmäßigkeiten, als auch die praktischen Erfolge der auf diesen Gesetzmäßigkeiten augebauten Erwägungen, also die durch die unmittelbare Erfahrung bezeugten Bestätigungen für die Richtigkeit jener Tendenz bestärken ihn in seiner Zuversicht beim Forschen nach dem Wesen des Wirklichen. Nur vorsichtiger wird der Forscher im Fortschritt seiner Erfahrung: das allein gilt ihm fortan als real, was sich auf methodisch einwandfreie Weise als Dauergrund des unmittelbar Gegebenen ermitteln läßt. So spürt er dem Realen mit kritischer Vorsicht nach: Der feste Ausgangspunkt, an dem er sich immer von Neuem orientiert, bleibt die "Urform des Realen", das unmittelbar Gegebene. Die in ihm sich kundtuenden Beziehungsfäden (Regelmäßigkeiten) knüpft er geschickt zu Maschen (Gesetzen) eines Forschungsnetzes; so gelingt es ihm allmählich immer besser, das feste Gestein des Substantiellen, für sich Bestehenden aus dem Meer, dessen Oberfläche das unmittelbar Gegebene ist, zu bergen. Zwischen dem unmittelbar Gegebenen und seinem Seinsgrund besteht also für den Forscher keine unüberbrückbare Kluft, sondern ein steter Zusammenhang! Allerdings, bei dem Versuch immer eindeutiger die Seinsgrundlagen des Gegebenen zu bestimmen, türmen sich neue Schwierigkeiten auf. Nun handelt es sich nicht mehr um das Realitätsproblem im Allgemeinen, sondern um eine genaue Angabe dessen, was als real zu betrachten ist! Und hier setzt nun die Scheidung zwischen realem Subjekt und einer Wirklichkeit im engeren Sinne ein: Wirklichkeit, das ist das Ergebnis unserer skizzenhaften Ausführungen, ist der gesetzmäßig geordnete Inbegriff in Wechselwirkung stehender Gegenstände, deren Existenz (d. h. die Form des "wirklichen" Seins) letztenendes nicht weiter begrifflich ableitbar, sondern, als durch das unmittelbar Gegebene bezeugt, einfach als tatsächlich anzuerkennen ist. Wirkliche Gegenstände sind beharrliche Einheitsgründe gesetzmäßigen Wirkens, gleichsam die Knotenpunkte im Netzwerk der Wirklichkeitsordnung. Als einen unter diesen Gegenständen finde ich nun auch mich. Zwar stehe ich als "Ich" stets allem andern in souveräner Subjektivität gegenüber. Aber ich konstatiere, auf mein Erleben reflektierend, daß "ich" selbst real und als reales Wesen ein bedingtes Glied eiens größeren realen Zusammenhangs (eben der Wirklichkeits- oder "Natur"ordnung) bin. So entstehen nun für mich die brennenden Fragen: Welcher Inbegriff realer Gegenständlichkeit gehört zu mir, macht also mein reales Wesen aus? Und wie verhält sich dieser so aus dem Wirklichkeitsganzen herausgelöste und mit unserer Subjektivität enger in Beziehung tretende Inbegriff zum gleichfalls noch näher zu bestimmenden Wirklichkeitszusammenhang? Welche Stellung nimmt, anders ausgedrückt, unser reales Bewußtseinssubjekt innerhalb der Naturordnung ein? Auf diese Fragen will uns nun die Wirklichkeitserforschung Antwort geben, indem sie - nach den Gesichtspunkten einerseits des mit unserem Ich-Bewußtsein unlöslich Verbundenen und gesetzmäßig zu seiner Erklärung als Dauergrund Geforderten und andererseits des in der Umwelt zu konstatierenden Gesetzmäßigen und hier als beharrlich bestehend zu Ermittelnden - die Scheidung zwischen Subjektivem und Objektivem in einem realen Sinn immer genauer und eindeutiger zu vollziehen sich bemüht. Die Wirklichkeitserkenntnis können wir somit geradezu als eine nach Maßgabe der erworbenen Erfahrung immer feinere Sonderung dessen bezeichnen, was von der Basis des unmittelbar Gegebenen aus als subjektiv, mit meinem "Ich" real verbunden, und was als objektiv, meinem "Ich" selbständig gegenüberstehend, aufzufassen ist. Dieser immer feiner und sorgfältiger zu gestaltenden Sonderung leistet nun unser reales Verflochtensein in den Wirklichkeitszusammenhang auf der einen Seite unschätzbare Dienste: die Notwendigkeit, den auf uns unaufhörlich anstürmenden Einflüssen der Umwelt sich immer besser anzupassen, hält unser einmal gewecktes Wirklichkeitsinteresse in steter Erregung und wirft zugleich alle voreilig und einseitig konstruierten Erkenntnisgebäude unbarmherzig über den Haufen. So ist das durch jene Einflüsse ausgelöste Erleben das unerschöpfliche Korrektiv für jede Etappe unserer Erkenntnis des Wirklichen. Obwohl übrigens dieses Erkennen von vornherein im Dienst jener Sonderung steht, ist die Aufmerksamkeit des Betrachters der Wirklichkeit - entsprechend dem allmählichen Erwachen und Erstarken des Ich-Bewußtseins - nicht von Anfang an auf diese beiden Beziehungsglieder eingestellt. An einer Sichtung und Ordnung des von der Umwelt an uns Herantretenden, das, wie wir bereits wissen, ungestüm von uns einen praktischen Entscheid fordert, kräftigt sich unser selbständiges Denken; in der Orientierung innerhalb der uns umgebenden Lebensverhältnisse sehen wir unser nächstes Erkenntnisziel. Aber eben in dem Maße, wie wir uns in der Umwelt zurechtfinden, und als wir lernen, die in ihr herrschende, in sich geschlossene Gesetzmäßigkeit zu beachten, schärft sich auch unser Blick für die Würdigung unserer Subjektivität, und zwar sind es die uns beunruhigenden Unstimmigkeiten zwischen dem, was wir in uns vorfinden und dem, was wir als beharrliche Ordnung an der Wirklichkeit bewundern, die den ersten Anstoß zu einer reinlichen Scheidung beider Gebiete geben, und jetzt beginnt jenes unaufhörliche Wechselspiel zwischen dem objektiven Eindruck und der subjektiven Einsicht, das nicht bloß zu einer Sonderung, sondern auch zu einer Bereicherung unserer Erkenntnis auf beiden Gebieten führt. Auf der anderen Seite freilich kompliziert gerade jene unaufhörliche Wechselwirkung zwischen Bewußtseinssubjekt und realer Umwelt den Erkenntnisprozeß in hohem Grad! Zunächst wird nämlich das rein theoretische Verhalten diesem Ordnungsproblem gegenüber durch die praktischen Interessen, die mit allem Wirklichkeitsgeschehen mehr oder weniger eng stets verbunden sind, ungemein erschwert, ja, bei manchen Fragen, wie bei den mich besonders nahe angehenden Anforderungen des Alltagslebens und bei den alle in gleicher Weise unmittelbar berührenden allgemeinsten Lebensfragen, eigentlich ganz unmöglich gemacht. Wir sind nur zu oft Partei, wo wir uns streng sachlich entscheiden sollen! So bleibt unserem Urteil meist ein Charakter der Bedingtheit eingeprägt, der die Allgemeingültigkeit unserer Erkenntnisakte naturgemäß beeinträchtigt. Wichtiger noch ist eine weitere Erkenntnisschwierigkeit, die wir geradezu als die Quelle aller Hemmnisse für unsere Erkenntnisbetätigung bezeichnen können: Es ist die Verwicklung, die durch die Veränderlichkeit, das allmähliche Auswirken also, des Bewußtseinsobjekts einerseits und der übrigen Wirklichkeit andererseits verursacht wird. Das Ziel unserer Wirklichkeitserkenntnis, die sachlich bedingte und darum allgemeingültige Erfassung dessen, was ist, besteht, genauer betrachtet, aus zwei Einzelzielen, nämlich aus einer scharfen Sonderung des Subjektiven und des Objektiven und aus einer eindeutigen Zuordnung der Glieder der Erkenntnisreihe einerseits und der sei es subjektiven sei es objektiven Wirklichkeitsreihe andererseits; und von diesen beiden Einzelzielen ist die Zuordnung deswegen besonders zu betonen, weil nur mittels einer sachlich gerechtfertigten Zuordnung der beim Erkenntnisprozeß beachteten Bestandteile die Sonderung zwischen Subjektivem und Objektivem überhaupt erst vollziehbar ist. Befänden sich nun die beiden Beziehungsglieder, Erkenntnissubjekt und Gegenstand, in vollständiger Ruhelage, so könnte, vorausgesetzt, daß sich beide Reihen vollständig decken, die Zuordnung mühelos erzielt werden. Schwieriger wäre schon die Herstellung einer solchen eindeutigen Beziehung, wenn nur eines dieser beiden Glieder in steter Veränderung begriffen wäre. Man denke doch nur, um eine Beispiel aus dem Gebiet der sinnlichen Wahrnehmung anzuführen, wie schwer es uns fällt, ja wie es ohne Zuhilfenahme sonstiger Erfahrungen eigentlich unmöglich ist, sich im Laufe über die Ordnung ruhender räumlicher Gegenstände zu orientieren. Nun kann man bereits ahnen, welche Schwierigkeiten unser Erkenntnisprozeß zu überwinden hat, bei dem zwei, eigentlich drei variable Reihen in Betracht zu ziehen sind. Haben wir es doch beim Erkennen zunächst mit der Veränderlichkeit der subjektiven Erlebnisreihe und der objektiven Reihe zu tun, die wir gewöhnlich als "Wirklichkeit" im engeren Sinn unserem realen Bewußtseinssubjekt gegenüberstellen, und kommt doch zu diesen zwei Variablen die Reihe des Erkenntnisprozesses hinzu, der, selbst eine Bewußtseinsfunktion, die Aufgabe hat, die Veränderungen jener Reihen in die Form allgemeingültiger Urteile zu prägen, und diese Aufgabe nur in stetig fortschreitender Verbesserung, also in veränderlicher Form zu lösen vermag! Es liegt nahe, angesichts dieser Schwierigkeiten, an einer eindeutigen, allgemeingültigen und deshalb unveränderlichen Erkenntnis überhaupt zu verzweifeln und unsere Urteilsakte mitsamt ihrer Gültigkeit mutlos dem Strom einer alles mit sich fortreißenden Veränderung zu überliefern. Es ist die Stimmung des modernen Relativismus, die ich damit angedeutet habe! Geht aber nun wirklich alle Erkenntnisgewißheit im Verlauf des Erkenntnisprozesses unter? Ist es uns also nicht gegeben, zu festen, endgültigen oder doch der Endgültigkeit sich nähernden Erkenntnissen zu gelangen? Man könnte zur Widerlegung des Relativismus darauf hinweisen, daß er selbst doch auch zumindest eine unerschütterliche Erkenntnis zu haben behauptet, eben die Einsicht in die alles beherrschende Relativität. Doch dürfte damit kaum der Kernpunkt des relativistischen Bedenkens getroffen werden. Man kann aber auch - und das scheint mir zutreffender zu sein - auf die tatsächlich feststellbaren Einsichten verweisen, an denen im Ernst keiner rüttelt, auf die unleugbaren Erfolge wissenschaftlichen Forschens und auf die Allgemeingültigkeit und Folgerichtigkeit als das unentbehrliche Knochengerüst jedes wissenschaftlichen Systems. Aber auch mit dieser Antwort dürfte sich der Relativismus kaum für vollbefriedigt erklären: ohne weiteres würde er die Einstimmigkeit und Solidität des Wissensaufbaus als notwendige Erfordernis eines vollendeten Wissenssystems einräumen, aber, ob "Wissen" überhaupt erreichbar, ob die in ihm zu fordernde eindeutige Zuordnung unserer Erkenntnisse zu den ihnen entsprechenden Gegenständen überhaupt realisierbar ist, würde er nach wie vor bezweifeln. Mit den allgemeingültigen Feststellungen, auf die wir als auf unerschütterliche Ansatzpunkt der Gewißheit hindeuteten, befänden wir uns, so wird er uns als echter Idealist entgegenhalten, immer nur im Bereich begrifflicher Konstruktionen. Die Zuordnung dieser Gebilde zu realen Entwicklungsphasen bleibt aber nach wie vor problematisch! Aber eben die Möglichkeit begrifflicher Konstruktionen, deren Bedeutungsgehalt sich aus dem Strom der Veränderlichkeit erhebt, führt uns trotz aller Bedenken des Relativismus um einen wichtigen Schritt näher an das Ziel jener eindeutigen Zuordnung: In den Reihen des steten räumlichen Nebeneinander, des gleichförmigen Nacheinander, des auf den einzelnen Gebieten sachlich Verwandten, im Zählen und Gruppieren als den diese Reihenbildungen konstituierenden Funktionen haben wir uns - zwar von der Basis der Erfahrung aus ermittelte, aber ihrer Geltung nach über der Relativität der Erfahrung stehende - Ordnungen gebildet, die als "Invarianten" (1) die allmähliche Orientierung in den variablen Erfahrungsreihen und ihre wechselseitige Zuordnung ermöglichen. Mag also auch diese Zuordnung selbst einer steten Vervollkommnung bedürftig sein und insofern unter dem Gesetz der Relativität stehen, - ein rettungsloses Versinken in diesem Strom verwehrt uns jener Inbegriff allmählich gefundener Invarianten, die als unerschütterliches Gerüst allem Erkennen, ja, allem Werten erst festen Halt geben. Daß es aber solche "Invarianten" gibt, darüber belehrt uns nicht nur die Reflexion auf den Wissensbetrieb, sondern die Evidenz jener "erfahrungsfreien" (apriorischen) Gesetzmäßigkeiten selbst. Auch der Relativist erkennt solche an: Er könnte nicht von einer Relativität sprechen, wenn er nicht imstande wäre, anhand eben dieser Invarianten sich über die Veränderlichkeit zu erheben. Mit der Veränderlichkeit und dem nur allmählich fortschreitenden Sichauswirken der Realität auf sämtlichen Erfahrungsgebieten hängt sofort eine weitere Unvollkommenheit unserer Erkenntnismöglichkeit zusammen: wir meinen die Begrenztheit des jeweils uns gegenwärtigen Wirklichkeitsausschnittes, der als Erfahrungsbasis für unsere Erkenntnisbetätigung uns zur Verfügung steht. Da wir nämlich, wie ich bereits angedeutet habe, als reale Subjekte nur sozusagen Knotenpunkte innerhalb der Maschen des Wirklichkeitsgeschehens sind, so wird von den Gegenständen und Veränderungen innerhalb der Wirklichkeit immer nur der uns näher liegende, auf uns unmittelbar einwirkende und darum uns besonders angehende Teil der Wirklichkeit von uns gesichtet und vornehmlich beachtet, und da ferner wegen der Variabilität der subjektiven wie der objektiven Wirklichkeitsreihe unsere Stellung zur Umwelt, zum Teil zumindest, stetig eine andere wird, so wird dieser Wechsel uns nicht einmal diesen jeweils gegenwärtigen Teil scharf erfassen lasen. Eine glückliche Fügung sehe ich nun aber darin, daß innerhalb dieses Wechsels ein Teil der gegebenen Inhalte rascher, ein anderer Teil weniger rasch sich verändert, und daß andererseits im Verlauf der Veränderung selbst Altbekanntes von Neuem auftritt und so Stützpunkte gegeben sind für die Orientierung auch innerhalb des Neuen und Fremdartigen selbst. Unter diesen Umständen wirkt sogar der Wechseln selbst erkenntnisbereichernd: Durch die auf diesem Weg erlebbare Mannigfaltigkeit der "Wirklichkeitsausschnitte" wird eine Ergänzung und Korrektur der einzelnen Erlebnisphasen ermöglicht; das Wirkliche tritt uns im weiteren Umfang und vor allem von den verschiedensten Seiten, also gleichsam plastischer gegenüber, und das als das "eigentlich Wirkliche" Ermittelte wird nunmehr das sein, was als einheitlicher, widerspruchsfreier Daseinsgrund in den wechselnden Konstellationen eben die wechselnden "Ausschnitte" (Ansichten) zu liefern imstande ist. Das ist dann auch der methodische Gesichtspunkt, unter dem die Erfahrungswissenschaften sich bemühen, das "allgemeingültig Wirkliche" festzustellen. In hohem Maß scheint nun diese Korrektur und Ergänzung dadurch gefördert zu werden, daß unser nach den Einheitsgründen des Wirklichen forschender Blick innerhalb der Wirklichkeit eine Mannigfaltigkeit uns gleichgearteter Subjekte vorfindet: Da ein jedes dieser Subjekte seinen eigenen Schatz von Erfahrungen hat, so steigt die Zahl der so im Erleben erfaßbaren und dem ordnenden Erkennen erreichbaren Wirklichkeitsausschnitte ins Unübersehbare. Wie können sich da die einzelnen Subjekte durch einen wechselseitigen Austausch der Erfahrungen bei ihrer Arbeit an der steten Erweiterung des Horizontes und an der Verfeinerung der in der Erkenntnis festgestellten Beziehungen untereinander stützen? In der Tat, dieser Austausch der Erfahrungen ist eines der wichtigsten Hilfsmittel des Wissensbetriebes: Nicht der Einzelne, sondern die Menschheit als Ganzes arbeitet im Laufe der Jahrtausende an der Ausgestaltung des Erkenntnisgebäudes! Man übersehe jedoch in allzu großem Optimismus nicht, daß mit der Zahl der Bewußtseinssubjekte die mit der Variabilität der zueinander in Beziehung zu setzenden Reihen gegeben Schwierigkeit nur vergrößert wird: Jetzt haben wir ja auf einmal so viele variable Reihen, als es subjektive "Brennpunkte" in der Wirklichkeit gibt! Eine jede dieser subjektiven Erlebnis- und Erkenntnisreihen weicht zudem auf unberechenbare Weise derart von den übrigen ab, daß die Grundbedingung aller eindeutigen Zuordnung, die Feststellung des Zuzuordnenden, also hier das Verständnis des von andern Erlebten bzw. Erkannten, fast unmöglich zu erfüllen ist. Man werfe doch nur einen flüchtigen Blick auf die vielen, einander mehr oder weniger zufällig durchkreuzenden Faktoren, die zum Aufbau der Erfahrung im konkreten Einzelsubjekt bestimmend mitwirken! Zu den wichtigsten von diesen Faktoren gehört die Verschiedenartigkeit der ererbten Anlage, die Eigenart der Umgebung, in der man aufwächst, und der Geschicke, die den Einzelnen von frühester Jugend an beeinflussen, die Bereicherung der Erfahrung durch Überlieferung (Lernen) und ihre verschiedenartige Aneignung (harmonische Einordnung in den übrigen Erfahrungsbestand), durch Lücken in der Erfahrung oder durch Unreife, Oberflächlichkeit und Energielosigkeit veranlaßte Vorurteile, die einer trüben Schlammdecke vergleichbar sich im Einzelbewußtsein ansammeln, und damit zusammenhängend üble Angewohnheiten in der gesamten psychischen Haltung des Subjekts, die unter anderem auch eine affektive Schwächung und Trübung der Erkenntnisbetätigung, also der sachlichen Ordnung des Erfahrungsschatzes zur Folge haben. Wenn wir nun trotz all dem das fremde Subjekt und seine Erfahrung "verstehen" (2) wollen, so müssen wir eben versuchen, all diese Faktoren, indem wir sie in ihrer konkreten Wechselwirkung würdigen, in Anschlag zu bringen. Nur auf diese Weise können wir das irgendwie zum Ausdruck gebrachte Erleben des fremden Einzelsubjekts in seinem Werden und in seiner subjektiven Bedingtheit fixieren, und nur vermöge dieser Feststellung können wir dann daran denken, die so "verstandenen" Einzelreihen in einen eindeutigen Erkenntniszusammenhang einzuordnen. Dieses "Verstehen" der fremden Subjekte setzt nun einerseits die Fähigkeit voraus, sich kongenial in die verschiedenartige subjektive Eigenart "einzufühlen" und in dem so ermittelten Eigengesetz des fremden seelischen Lebens gewissermaßen den Kristallisationspunkt zu finden, um den sich die Eigenschaften, Erlebnisse und Betätigungen gruppieren; andererseits ist dazu erforderlich, die "Äußerungen" der Subjekte exakt zu bestimmen und aus ihnen - unter Berücksichtigung der subjektiven Ausdrucksfähigkeit und des in concreto schwer zu erfassenden Ausdruckswillens - ihren "Sinn", das von dem sich Äußernden "Gemeinte" herauszuschälen. Ursprünglich vollzieht sich freilich auch dieser Erkenntnisprozeß, das "Verstehen" sozusagen "von selbst": Einer glücklichen Veranlagung unserer seelischen Natur zufolge "verstehen" wir, wenn auch vorerst nur obenhin, was in den fremden Einzelsubjekten vorgeht. Aber dieses "Verstehen", das den Anknüpfungspunkt für alle Beziehungen von Mensch zu Mensch bildet, muß von allem störenden Beiwerk gereinigt und durch intuitives Sich-Hineinversenken wie durch eine kritisch vorsichtige Feststellung der Tatbestände vertieft werden. Auch hierbei wirkt die organische Einheit und Wechselbeziehung der Erkenntnisfunktionen in uns fördernd mit: Sowohl die Exaktheit, mit der die Naturwissenschaften die Vorgänge der Wirklichkeit und ihre Gesetzmäßigkeiten zu bestimmen bestrebt sind, wie die fortgesetzte Klärung und Verselbständigung des Bewußtseins-Ichs schärfen unseren Blick für das Verstehen von fremdem Seelenleben, wie sie andererseits von den mittels dieses Verständnisses hergestellten Rekonstruktionen des Erlebens und Erkennens fremder Subjekte neues Licht und vielseitige Anregung empfangen. Die bisher betrachteten Ordnungen, in die sich die eine Wirklichkeit vor unserem analysierenden Geistesblick zerlegt hat, nämlich die variable Wirklichkeit im engeren Sinn, die variable eigene Erlebnis- und Erkenntnisreihe und die variablen Erlebnis- und Erkenntnisreihen (unzählig vieler) fremder Subjekte, sind jedoch nicht die einzigen, die in der Erfahrung vorfindlichen "Wirklichkeits"-Bezirke: Durch die Wechselwirkung der genannten Ordnungen bauen sich vielmehr auf dem Unterbau der Natur neue Inbegriffe von Tatbeständen auf, die alle den Stempel subjektiver Betätigungen an sich tragen und darum der "schlichten" Natur als Kultur, d. h. als eine von Subjekten zu subjektiv ausgewählten Zwecken bearbeitete Natur gegenübergestellt werden. Wenn wir übrigens vom "subjektiven" Einschlag dieser neuen Ordnung (der Kultur) reden, so darf dabei durchaus nicht an etwas "Zufälliges", "Nebensächliches" oder gar "Störendes" gedacht werden. Der subjektive Faktor gehört vielmehr zu den konstituierenden Merkmalen der Kultur: wir meinen damit den kausalen Beitrag, den die Einzelsubjekte zum Aufbau dieser sie als etwas Überindividuelles überragenden Ordnung liefern; und eben wegen dieser Überindividualität der Kultur können wir sie mit HEGEL als Niederschlag des "objektiven Geistes" bezeichnen, sofern wir nur, damit allerdings von HEGEL abweichend, unter "objektivem Geist" den Inbegriff der einander wechselweise bedingenden und dadurch eben kulturell sich betätigenden Einzelsubjekte verstehen. Bei näherem Zusehen zerfällt nun die Kultur selbst in eine Fülle von Einzelordnungen, je nach den Richtungen eben, in denen der Geist die Bearbeitung und Beherrschung der Natur unternimmt. Auch auf diesem Gebiet erwächst somit für den Forscher die Aufgabe, die Einzelbezirke scharf abzugrenzen und sie in ihrer eigenen Gliederung zu betrachten, um daraufhin ihr Wechselverhältnis eindeutig zu bestimmen. Aber diese eindeutige Bestimmung, die wir auf allen Gebieten als das eigentliche Erkenntnisziel begreifen, hat auch auf dem Gebiet der Kultur mit der sie so ungemein erschwerenden Variabilität der einzelnen Reihen zu rechnen. Ja, die Variabilität der Kulturprodukte birgt die neue, ihnen allein eigentümliche Schwierigkeit in sich, daß durch das Zusammenarbeiten vieler Einzelsubjekte an ihrer Herstellung die Einheitlichkeit und Stetigkeit ihres Entwicklungsprozesses gefährdet wird: Scheint doch eine sinnvolle Eigengesetzlichkeit der Gesamtkultur ebenso unmöglich zu sein, wie sich ein künstlerisches Mosaikbild aus zufällig zusammengesetzten Steinen herstellen läßt! Wenn man nun gleichwohl nach einem derartig sinnvollen, einheitlichen Kulturzusammenhang forscht, so kann dieser Versuch nur Erfolg versprechen, sofern man auch hier, wie bei einer Beziehung von Einzelsubjekt einerseits und Wirklichkeit andererseits Invarianten feststellt, also ein festes Gerüst von Beziehungen, die erfahrungsfrei, also den Zufälligkeiten der Veränderung entrückt, uns eine unerschütterliche Basis liefern, von der wir sowohl die empirischen Beziehungen von Subjekt zu Subjekt, wie die ebenso invariablen Verhältnisse von einer Kulturreihe zur anderen und von einer Kulturphase zur anderen gegeneinander abwägen und einander zweifelsfrei zuordnen können. So springt uns auch hier wiederum die Unentbehrlichkeit des apriorischen, übersubjektiven Ordnungsmaßstabes in die Augen: nur sofern ich mir vergegenwärtigen kann, in welche möglichen Wechselbeziehungen Subjekte zueinander treten können, und inwiefern Kulturreihen und Kulturperioden a priori bestimmbar sind, bekomme ich auch eine durchsichtige Klarheit bei der Feststellung und Abschätzung empirischer Tatbestände der kulturellen Entwicklung, bei der Ermittlung der in diesen Tatbeständen wirksamen Faktoren und der ihre Wirksamkeit beherrschenden Gesetzmäßigkeiten. Das apriorische Element, die zu konstruierende "Invariante" spielt somit bei der Erforschung des Kulturlebens eine ebenso wichtige Rolle, wie bei der Beziehung des variablen Subjekts zur variablen Natur. Das Erkennen auf sämtlichen Wirklichkeitsgebieten kann darum einer apriorischen Grundlegung nicht entraten, und je allseitiger ausgebaut und zugleich einheitlich geschlossener der so gefundene Inbegriff von Invarianten ist, umso vollendeter ist der an ihnen sich orientierende Erkenntnisprozeß einer Periode. Man wende nicht ein, daß die Erfahrungserkenntnis diesen apriorischen Konstruktionen vorausgeht und somit bei ihrer Orientierung innerhalb des Gegebenen augenscheinlich dieser erfahrungsfreien Systematisierung der Invarianten nicht bedarf! So unbezweifelbar es nämlich ist, daß wir in den Anfangsstadien der Erkenntnisgewinnung instinktiv das "Richtige" bei der Ordnung des Gegebenen treffen, so wenig können wir auf dieser Entwicklungsstufe von "Erkenntnissen" im strengen Sinn sprechen. Diese Erkenntnisse liegen erst dort vor, wo man ich über die eigentliche Gliederung und Grundlegung des Wissens auf den einzelnen Gebieten Rechenschaft zu geben vermag, und eben diese Rechenschaftsablegung, also ein zielbewußtes, einsichtiges und alles seiner sachlichen Bestimmtheit nach wertendes Erkennen ist ohne Konstruktion jener apriorischen "Strebepfeiler" des Wissensgebäudes nicht realisierbar. Die Apriorität des Invariantensystems wird übrigens keineswegs durch die Tatsache in Frage gestellt, daß die Anregung zu ihrer Konstruktion stets von der Erfahrung gegeben wird: Nicht die Invarianten selbst werden ja dadurch zu Erfahrungsprodukten; es ist vielmehr nur unser einer Bereicherung und Vertiefung immer zugänglicher Begriff von ihnen, der, wie jede unserer Leistungen, vom Erleben abhängig bleibt. Die in den Invarianten uns zu Bewußtsein kommende ideale Gesetzmäßigeit entsteht also selbst nicht, sie ist und bleibt überzeitlich und erfahrungsfrei, aber sie wird von uns nur allmählich entdeckt und als unerschütterliche Grundlage aller Erfahrungserkenntnis gewertet, wie dann ja auch bei einem Gebäude die Fundamente, auf denen es ruht, nicht unmittelbar beobachtet, sondern nur allmählich bloßgelegt werden! Ich komme somit zu folgendem Ergebnis: Die Erkenntnisbeziehung zwischen Bewußtseinssubjekt einerseits und Umwelt andererseits ist äußerst verwickelt, weil bei ihr unzählig viele, nicht unmittelbar durchsichtige und vor allem variable Faktoren in Frage kommen. Die Gewinnung der Wirklichkeitserkenntnis zerspaltet sich somit in mannigfach sich durchkreuzende und wechselseitig einander beeinflussende Einzelprozesse. Vollständig gerecht kann unser Forschen der Wirklichkeit nur werden, wenn es die komplizierte Bedingtheit und Veränderlichkeit der einzelnen Faktoren sorgfältig im Auge behält und die darin enthaltenen Hemmnisse für die Gewinnung allgemeingültiger Erkenntnisse durch eine stete Orientierung am überindividuellen, den Strom der Erfahrung überragenden Invariantensystem (vgl. PLATOs Ideen) zu überwinden trachtet. Wie die Analyse des Erkenntnissubjekts (I) dem empirischen "Ich" das "reine" Ich, dem Subjektivismus die Autonomie als Norm und Ideal gegenüberstellte, so hat die Analyse der Beziehungen, in die das empirische Subjekt sich verwickelt findet (II), dem Einzelsubjekt die Umwelt mit vielen gleichgearteten Subjekten und der Relativität der konkreten Wechselverhältnisse und Wechselwirkungen die absolute Reinheit des idealen Grundgerüstes von Beziehungen entgegengesetzt und dieses ideale Invariantensystem zugleich als einzig zuverlässige Basis aller Erkenntnisbetätigung erwiesen. Die Idealität dieses Systems allgemeingültiger Beziehungen bringt es in einen besonders engen Zusammenhang, ja, in ein Abhängigkeitsverhältnis zum autonomen, "reinen" Ich, da "ideale Geltung" immer "Geltung für ein Subjekt" besagt. So schließt sich das Ergebnis des ersten und des zweiten Abschnitts zu einer inneren Einheit zusammen. ![]()
1) Den "Invarianten"-Begriff hat Aloys Müller in seiner trefflichen Abhandlung Wahrheit und Wirklichkeit, Untersuchungen zum realistischen Wahrheitsproblem (Bonn 1913) in ansprechender Weise zur Erläuterung der realistischen Wahrheitserkenntnis verwendet. Seine Forschungsergebnisse streben übrigens einem dem meinigen analogen Ziel zu, worin ich, da Müllers und meine Forschungen im Wesentlichen gleichzeitig und unabhängig voneinander angestellt wurden, bei aller Verschiedenheit im Einzelnen, eine willkommene Bestätigung meiner Ausführungen erblicken kann. 2) Vgl. Benno Erdmann, Erkennen und Verstehen (Sitzungsberichte der Berliner Akademie der Wissenschaften, 1912, Bd. 53, Seite 1240f). |