Gide/Ristvon BelowR. Liefmann | |||
[Antisemit] Kritische Geschichte der Nationalökonomie
E i n l e i t u n g 1. Das Folgende ist eine historische Gedankenforschung auf dem Gebiet der politischen Ökonomie im weitesten Sinne dieses Wortes. Es bildet zusammen mit der systematischen Darstellung des heutigen Inhalts dieses Wissensbereiches einen Gesamtkursus; denn unser Kursus der National- und Sozialökonomie ist derartig eingerichtet, daß er auf eine nähere Ausführung geschichtlich vorangegangener Lehren verzichtet. Eben darum aber ist er auch nur ein Teil der erforderlichen Gesamtinstruktion. Wie nämlich die Dinge heute noch liegen, gibt es kein durchweg anerkanntes System, ja nicht einmal einen Stamm von Einsichten, der ohne Einschränkung gemeinverbindlich wäre. Unter diesen Verhältnissen bildet die Kenntnis der verschiedenen Systeme und Richtungen noch immer ein unentbehrliches Inventarstück der vollständigen Wissenschaft. Letztere muß die Gedankengeschichte ergründen und vorführen, weil häufig genug nichts anderes Lehrbares vorhanden ist. Stände es auf dem Gebiet der Ökonomie auch nur annähernd einigermaßen ähnlich wie in der Mathematik, dann ließe sich allenfalls die Geschichte der Aufstellungen und Sätze entbehren. Sie hätte zwar auch dann an sich noch einen Reiz, aber sie gehörte nicht mehr in das Gegenwartsinventar systematischer Art. So aber ist sie selbst ein Stück Wissen, ohne welches man sich in den gegenwärtig umlaufenden Ansichten nicht zurechtfinden kann. Die verschiedenen Systeme wirken nämlich mehr oder minder noch heute praktisch oder, wenn man will, auch unpraktisch fort, dergestalt, daß eine anerkannte Einheit der Lehre und ein Stamm wirklich überall maßgebenden Wissens tatsächlich fehlen. Sind auch gerade wir der Ansicht, daß genug sicheres Wissen vorhanden ist, wenn man es nur aussondern, prüfen und als solches anerkennen will, so fehlt es doch noch gar sehr teils an der Fähigkeit, teils am guten Willen, diese Anerkennung zu vollziehen. Auf diese Weise bleibt auch das beste System zunächst ein individuelles und privates, nämlich dessen Anwendungs- und Tragweite eine durch den Kreis von Personen beschränkte, durch die es mehr oder minder verstanden, angeeignet und angewendet wird. Nimmt man dagegen auch seine Vorgänger historisch in den Kreis des wirksamen Wissens oder der für Wissen gehaltenen Vorstellungen auf, so hat man alles beisammen, was für die Gegenwart und nächste Zukunft in Frage kommen kann. Es ist eben das Schicksal noch unfertiger und teilweise unsicherer, jedenfalls aber in wesentlichen Punkten noch bestritten bleibender Wissenschaften, daß sie sich historisch einrichten und mit der Gedanken- und Theoriengeschichte die Blößen decken müssen, die der Mangel eines vollendeten und unangefochtenen Systems aufweist. Wie sicher auch die Wahrheiten an sich sein mögen, schon der bloße Umstand, daß sie nicht allgemeinen Kurs haben und eine umlaufende Münze von geltendem Gepräge sind, nimmt ihnen ihre natürliche Kraft und das ihnen gebührende Recht. Mindestens wird letzteres verkümmert und müssen sie sich darein finden, von Gegenteilen oder mindestens von querlaufenden Vorstellungen, kurz von einer bunten Überlieferung begleitet und beschattet zu werden. Gegen diesen Übelstand besteht das Gegengift nicht in der bloßen Gedankengeschichte, sondern in deren allseitig kritischer Haltung. Die sichtende und unterscheidende Theoriegeschichte grenzt also ab und macht durch ihre negative Funktion ein heutiges System erst vollständig zu dem, was es sein soll. Die Sorge für die materiellen Interessen ist an Naturgesetze des menschlichen Verhaltens gebunden. Dies schließt aber nicht aus, daß sie sich in freien Kunstgebilden gesellschaftlichen Zusammenwirkens betätige. Für die Erfindungen von Maschinen ist es kein Hindernis, daß die Gesetze der Mechanik und Physik zugrunde gelegt werden müssen. Ebenso steht trotz aller Naturgesetzmäßigkeit des menschlichen Interessenspiels nichts entgegen, daß verschiedene Gestalten und Wege gefunden werden, diese Interessen zweckmäßig zu vereinigen. Das Getriebe der individuellen Bestrebungen, auch wenn es durch besondere persönliche Einsicht in jedem Einzelnen gut geleitet wird, genügt nicht, um die materiellen Bedürfnisse der Gesamtheit auf die beste Art zu befriedigen. Zum wirtschaftlichen Einzeltun muß noch ein planmäßiges Zusammenwirken hinzukommen. Vorgängige Verständigung und Beschaffung von leitenden Organen sind demnach auch für das Wirtschaftsgebiet die Mittel, um zu einem gesellschaftlich zusammenhängenden Ganzen zu gelangen. Auch sind es sogar die Naturgesetze des menschlichen Verhaltens selbst, welche zur Entwicklung eines immer kunstvolleren gesellschaftlichen Zusammenhangs antreiben. Die Vereinzelung des Menschen in der Sorge für seine materiellen Interessen ist nur der rohe Anfang der Geschichte und das Zeichen der noch mangelnden Kultut. Im weiteren Verlauf werden gute oder schlechte, verständige oder törichte, jedenfalls aber irgendwelche Einrichtungen getroffen, durch die sich jene Vereinzelung mehr und mehr in Verbindung umwandelt. Soweit von einer eigentlichen Wissenschaft der materiellen Interessen bisher die Rede sein konnte, bestand sie vornehmlich in der Nachweisung einiger Naturgesetze, nach deren Maßgabe sich diese Interessen betätigen und kreuzen. Von den Kunstmitteln der gesellschaftlichen Vereinigung handelte sie nur wenig oder gar nicht, ja schloß diese zunächst gänzlich aus. Im Gegensatz zu dieser Verfahrensart der wissenschaftlichen Volkswirtschaftslehre, die im 18. Jahrhundert ihre Basis hatte, erwuchst ein Inbegriff von Bestrebungen, den man in seinen theoretischen Vorstellungen als Sozialistik bezeichnen kann. In diesem Bereich wurde der Gedanke von kollektiven Kunstmitteln der wirtschaftlichen Versorgung in völlig Trennung von den Naturgesetzen des Einzelverhaltens gehegt und gepflegt. Diese Isolierung führte zunächst zu Phantastik und ließ auch im weiteren Verlauf keine haltbaren Schemata gewinnen. Die Kluft zwischen wissenschaftlicher Volkswirtschaftslehre und bloßer Sozialistik erweiterte sich, weil die eine den Kunstgebilden des gesellschaftlichen Zusammenhangs keine Aufmerksamkeit widmete, die ander aber, unbekümmert um die Naturgesetze des menschlichen Verhaltens, sich in gesellschaftlicher Maschinomanie oder gar Utopistik erging. Zu dieser Doppelströnung der Ideen kam noch hinzu, daß auch die wissenschaftliche Volkswirtschaftslehre in besonderen Systemen stark variierte. Diese Abweichungen rührten ebenfalls daher, daß nicht alle Vertreter von Systemen und Richtungen sich von den altpolitischen Kunstmitteln der Wirtschaftsleitung trennen konnten. In Ermangelung neuer, dem modernen Geist huldigender Wendungen wurden alte Überlieferungen, wie namentlich die des Zollschutzes, eingemischt. Dies gab den fraglichen Systemen das Aussehen einer größeren Abweichung, als rein theoretisch vorhanden war. Allerdings fand sich auch die freie und rein wissenschaftliche Theorie in einzelnen Grundlehren erheblich umgestaltet; aber diese Differenzen, die sich im Verlauf von ein paar Menschenaltern entwickelten, wären an sich nur geeignet gewesen, die Wissenschaft zu befestigen. Was dagegen den Anschein des Chaos und einer kompromittierenden Unsicherheit mit sich brachte, war der Mangel jeder festen Orientierung über den Sinn, in welchem sich Kunstmittel mit den Naturgesetzen der individuellen Interessen vereinigen ließen. Aus diesem Mangel erklärt sich die bunte Beschaffenheit und die starke Zerklüftung, welcher die rein wissenschaftliche Volkswirtschaftslehre nach ihrer modernen, durch den Schotten SMITH vollzogenen Formulierung anheimgefallen ist. LIST und CAREY repräsentieren den so entstandenen Übergangszustand. Bevölkerungsfragen, Beleuchtungen der Bodenrente und Zollschutz sind hier die ablenkenden und trotz aller sonstigen Fortschritte, Verwirrung anrichtenden Gesichtspunkte gewesen. Zur Seite dieser Variationen auf die eigentliche Volkswirtschaftslehre des 18. Jahrhunderts sogenannte System mehr oder minder gestaltloser Sozialistik, die von den Naturgesetzen der Volkswirtschaftslehre wenig oder nichts wußten und wissen wollten, - das war bisher die im 19. Jahrhundert geschaffene Lage der Theorie. Die Praxis ist womöglich noch schwankender gewesen und gegenwärtig völlig zerfahren. die altstaatlichen Künste, die dem Prinzip der Verkehrsfesslung und Unfreiheit jeder Art entsprechen, drängen sich mit ihren Restaurationsgelüsten vor, während die Trümmer der verfehlten Sozialistik für die Blasiertheit auch auf diesem Gebiet platzmachen. Sozialistische Abgebrauchtheit und Verworrenheit suchen durch Heuchelei zu ersetzen, was ihnen an Überzeugung und Begeisterung abgeht. Ein SAINT SIMON hatte doch wenigstens noch ein paar Antriebe aufrichtiger Art in sich. Auch PROUDHON hatte bei seiner anarchischen Auflösung der alten Ideen noch einige Überzeugung und sogar etwas Gerechtigkeitssinn. Weiterhin und bis zum Ende des Jahrhunderts ergeht sich aber im Vordergrund eine völlige Verstümperung, Verhunzung und Verschlunzung des sozialökonomischen Trachtens und Denkens, die natürlich ein wenig geeigneter Boden war, um das wirklich Bessere an Errungenschaften schaffenden Nachdenkens und kritischer Forschung gehörig aufkommen zu lassen. Ein Zeichen der Zeit und ihres Verfalls wurde vielmehr der in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts in der Welt sporadisch stärker hervortretende Anarchismus, dessen allenfalls noch greifbarer Sinn eigentlich nur der eines Gegengiftes gegen falsche Verstaatelung und namentlich gegen sozialdemokratelnde Autoritätelei und Freiheitswidrigkeit zu sein vermag, in allem darüber hinaus sich aber prinzipiell und tatsächlich je länger desto mehr als hirnlosester Unsinn gezeigt und betätigt hat, ja selber der verlehrtesten Autoritätskrämerei anheimgefallen ist. 2. Die Geschichte eines Wissensgebietes läßt sich nur dann zureichend auffassen und darstellen, wenn der Geschichtsschreiber am eigenen Wissen ein Maß für die Sichtung des Gelungenen und des Verfehlten zur Verfügung hat. Wissenschaftsgeschichte läßt sich kritisch nur insoweit schreiben, als die Wissenschaft, deren Schicksale vorgeführt werden sollen, selbst schon in verläßlicher und überzeugender Weise existiert. Nur wo Letzteres der Fall ist, kann auch danach gefragt werden, wie die einzelnen Wahrheiten entstanden, vermehrt und in Zusammenhang gebracht worden sind. Ein System der Wissenschaft ist also die unumgängliche Vorbedingung zur Darstellung der zugehörigen Wissensgeschichte. Ist aber eine Wissenschaft noch in dem Zustand, daß in ihr nur erst persönliche Systeme anzutreffen sind, so muß auch der Geschichtsdarstellen, wenn er nicht kompasslos umherirren soll, einem dieser System mit Überzeugung folgen und am besten trifft es sich, wenn dasjenige, aus dessen Gesichtspunkt er die überlieferten Wissenssätze und Vorstellungen ordnet, sein eigenes ist. In diesem Falle wird er die Kritik am unabhängigsten und sichersten handhaben und überdies imstande sein, aus dem systematischen Inhalt und der Geschichte der Wissenschaft zwei einander erläuternde und ergänzende Teile zu machen, deren Vereinigung einen völlig gleichartigen Charakter aufweist. Die vorliegende wissensgeschichtliche Arbeit steht, wie schon Anfangs erwähnt, zu meinem Kursus der National- und Sozialökonomie im eben angegebenen Verhältnis. Mein System der reformatorischen Volkswirtschaftslehre, welches ich im Unterschied von denen der bisherigen Nationalökonomie und des bisherigen Sozialismus jetzt mit einem von beiden absehenden Beiwort, nämlich als personalistisches, zu bezeichnen pflege, hat die sonstige Trennung von wissenschaftlicher Wirtschaftslehre und mehr oder minder unwissenschaftlicher Sozialistik hinter sich und ist daher geeignet, in beiden Richtungen Kritik zu üben. Es hat mit der besten Art überlieferter Volkswirtschaftslehre das Ausgehen von Naturgesetzen des menschlichen Interessenspiels, das Vordringen zu den individuellen und sozusagen gesellschaftlich atomistischen Tätigkeiten und im Praktischen das Streben nach der freien, auf die Souveränität der Individuen und auf die persönlichen Unterschiede gegrüngeten Gesellschaft gemein. Es zieht in allen diesen Richtungen die Konsequenzen der wirtschaftlichen Wahrheit und Freiheit nur noch entschiedener und vollständiger, als es das in dieser Richtung am weitesten gelangte 18. Jahrhundert durch Reprsentanten wie HUME und SMITH getan hat. Was aber die gesellschaftlichen und politischen Kunstmittel der wirtschaftlichen Vereinigung betrifft, so hat es in diesem Bereich gegen alle willkürliche Sozialistik sein positives Prinzip der freien Gesellung geltend gemacht, anstelle des bisherigen Gewaltstaats die zur individuellen Freiheit emanzipierte Gesellschaft mit Gegenseitigkeitsgarantien als Ziel vorgezeichnet und die natürliche, auf der durch die Kultur gereiften Erkenntnis beruhende Gerechtigkeit zum Maß aller bisherigen Satzungen und künftigen Einrichtungen gemacht. Der umschaffende Geist, wie er gegen Ende des 18. Jahrhunderts in der großen, französischen Revolutionskundgebung einen Ausdruck fand, ist in weiter tragender Konsequenz auch derjenige des personalistischen Systems. Die Verirrungen und Korruptheiten der Sozialistik, die zu einem großen Teil darauf hinauslaufen, den Anspruch auf Freiheit um den Köder von etwas cäsaristisch dargereichtem Futter fahren zu lassen, - diese nicht etwa bloß in der Praxis der Volksführung und eigentlichen Demagogie naheliegenden, sondern auch in den schlechten Theorien verkörperten Neigungen gelten dem personalistischen System einfach als verallgemeinerte Knechtswünsche. Es sieht hier das Hündische der Sache und macht an einem solchen autoritätlerischen sogenannten Sozialismus oder Kommunismus den darin steckenden Bestialismus gehörig sichtbar. Es geht davon aus, daß die wirtschaftlichen Wirkungen persönlicher und politischer Unterwerfungsverhältnisse on erster Ordnung sind, während die politischen Rückwirkungen bereits vorhandener ökonomischer Herrschaft erst in zweiter Linie und demgemäß bloß als sekundäre Folgen eines tieferwurzelnden rein politischen Grundes in Frage kommen können. Hierdurch unterscheidet sich das personalistische System am augenfälligsten sowohl von der früheren Volkswirtschaftslehre als von der ihr in diesem Punkt unwillkürlich nachhinkenden Sozialistik der brutalen Art. Dieser Unterschied ist aber nicht bloß für die theoretische Auffassung der bisherigen Zustände, sondern auch für die praktische Gestaltung der ferneren Lebens- und Wirtschaftsformen von der höchsten Bedeutung. Nur indem das allgemeine Recht der Einzelnen zur gesellschaftlichen Wirtschaft zur Verwirklichung gelangt, kann die freie Verbindung das schaffen, was an Organen des materiellen Gemeinlebens erforderlich ist, um die Dreiviertelssklaverei der heutigen, die Arbeit entwürdigenden Ablohnungswirtschaft zu beseitigen. Es sind aber einfach nur neue Rechtswege der personalistischen Eigentumsbildung und der Abschaffung aller wirtschaftlichen Privilegien und Freiheitshemmungen erforderlich, um die heutige Wirtschaftsart in diejenige der freien und politisch souveränen Gesellschaft umzuwandeln. Die autoritätlerische, diktaturspielende und staatsanbetende Sozialisterei und Kommunisterei will aber im Gegenteil den Gewaltstaat und dessen schlechteste Seiten auf eigene Rechnung zu übernehmen und restaurieren, um mit diesem Werkzeug den Raub zu verwalten, durch den sie alles ins Gleiche bringen zu können vorgibt. Die allgemeine und gleiche Knechtschaft cäsaristischer Art wäre aber das Endes dieses Weges und wer die Futterfrage in dieser Weise lösen will, muß auch alle edleren Antriebe, einschließlich jedes politischen und gesellschaftlichen Freiheitsbedürfnisses begraben wollen. Das personalistische System will keine Sättigung mit Unfreiheit, keine cäsaristelnde Abfütterung und keine Verschlechterung der an sich schon schlechten Ablohnungsarbeit in gleissnerisch kommunistelnde Gefängnisarbeit. Es will die wirklich freie Gesellschaft und der Weg zu dieser ist nicht eine mit dem Staat, der Vielregiererei und den Polizeikünsten kokettierende Reaktion gegen die bessere und gesunde Volkswirtschaftslehre des 18. Jahrhunderts, sondern gerade im Gegenteil eine Vollendung derselben in der Richtung auf die positiven Aufgaben der Gesellschaft. 3. Das Vorgeben von sogenannter Geschichtlichkeit ist nicht mit dem berechtigten Interesse an wirklicher Wissensgeschichte zu verwechseln. Gemeiniglich hat der besondere Anspruch auf Geschichtlichkeit nur den Sinn gehabt, den Mangel jedes Systems zu verdecken und die Rückläufigkeiten einzukleiden, die gegen den freieren Geist des 18. Jahrhunderts und gegen alle echten Umschaffungsbestrebungen politischer und gesellschaftlicher Art aufgetischt wurden. Der einzige Fall, in welchem geschichtliche Ausgangspunkte mit einem überwiegend freien Streben und mit selbständiger Haltung im Urteil verbunden waren, ist derjenige von FRIEDRICH LIST gewesen. Aber auch hier ist der bessere Teil des Systems nicht durch die Geschichtlichkeit, sondern trotz derselben zustande gekommen und wo neuerdings die Erbschaft des schlechteren Bestandteils angetreten worden ist, ist dies von Seiten der wirtschaftlichen Reaktion geschehen, - ein Zeichen, daß die wahren Verdienste eines Mannes weit weniger Chancen der Anerkennung haben, als seine für eine Partei oder Richtung gerade verwertbaren Schwächen. Die Geschichtlichkeit von FRIEDRICH LIST ragt aber noch hoch und ganz unvergleichbar empor über den sich urteilslos von Abfällen nährenden Professorenhistorismus, der in Deutschland den Grundzug der Professorenökonomie gebildet hat. Das vorliegende Buch war schon durch zwei Auflagen gegangen, als jene falsche sogenannte Geschichtlichkeit professoraler Art in der Person des Leipziger Professors, des Herrn WILHELM ROSCHER, der schon Jahrzehnte lang unter dem Beifall seiner reaktionär geschichtelnden Kollegen von geschichtlicher Methode geredet, aber nur eine wirre, sich durch Kritiklosigkeit auszeichnende Lehrbuchkompilation zu Markte gebracht hatte, endlich dazu gelangte, auch eine sogenannte Geschichte der Nationalökonomie zusammenzuflicken. Trotz des in Deutschland noch immer herrschenden Professorenrespekts ist denn aber doch dieses Flickwerk eine zu starke Zumutung an das Publikum gewesen und besagtes Scholarchenautoritätchen hat den schon begonnenen Verfall seines außeruniversitären Kredits durch jene Leistung entschieden beschleunigt. Sogar im Bereich der Universitäten selbst sind zum Teil andere Arten von wissenschaftlichem Mischmasch Mode geworden und so widerwärtig auch immerhin diese Gemengselvorbringungen sein mögen, so hat meine seit den sechziger Jahren geübte Kritik des Pseudohistorismus und meine Einführung neuer Elemente in die Volkswirtschaftslehre doch wenigstens dahin gewirkt, auch dem Schlendrian des universitären Schultreibens einige Regungen abzunötigen und einige veränderte Wendungen einzuverleiben. In aller Stille und ohne sich merken zu lassen, habe es die Professoren und Verlehrten der Nationalökonomie versucht, nachhinkend in einige meiner Fußstapfen zu treten. Die sogenannte Geschichtlichkeit ist ihnen zu einem guten Teil abhandengekomen oder hat sich wenigstens um einige Grade modernisiert. Doch interessiert das so entstandene Ragout im Besonderen nicht weiter. Es war hier nur erforderlich, an jene Geschichtlichkeit zu erinnern, die mit Wissensgeschichte nichts gemein hat und es äußerstenfalls nur zur Zusammentragung einiger Meinungsabfälle bringt. Die Geschichte der Gedanken und wissenschaftlichen Sätze über die ökonomischen Tatsachen steht höher als die Geschichte dieser Tatsachen selbst. Die Erzählung, wie man praktisch gewirtschaftet hat, ist etwas anderes, als die Rechenschaft von den Einsichten, zu denen man durch wissenschaftliche Überlegungen und Nachforschungen gelangt ist. Die Geschichte der Volkswirtschaft als eines Inbegriffs von ökonomischen Ereignissen und Veränderungen ist ein Stück der allgemeinen Tatsachengeschichte. Die Geschichte der Volkswirtschaftslehre ist aber in erster Linie eine Darstellung der gewonnenen Wahrheiten und an zweiter Stelle ein Bericht über einflußreiche, wenn auch unrichtige Meinungen. Da nun die praktischen Tatsachen nicht alle unwillkürlich erwachsen, sondern mit der steigenden Kultur immer mehr von Einsichten und Ansichten gelenkt und gestaltet werden, so läßt sich die Wissensgeschichte nicht ganz von der Rücksicht auf die äußere Tatsachengeschichte trennen. Völlig fehlgreifend aber wäre es, den von den Elementarkräften der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung geschaffenen Tatsachen auch nur entfernt eine ähnliche Bedeutung zuschreiben zu wollen, wie dem Zuwachs an Einsicht und Wissenschaft. Noch verkehrter geriet aber die Geschichtlichkeit philosophelnder Art, welche durch eine willkürliche Konstruktion der äußeren Ereignisse über den Mangel eines Systems gesetzter Wissenschaft hinwegtäuschen und alles in eine brutale Selbstenwicklung auflösen wollte, bei weilcher der wissenschaftliche Verstand nur das Nachsehen hätte. Diese sich auch als geschichtlich gebende Manier der Tatsachenverwirrung, des Systembankrotts und der wissenschaftlichen Blasiertheit hat als Überbleibsel einer verworrenen Dialektik einen Nachsommer von Hegeljargon aufgeführt und sich dabei sozialdemokratelnd angestellt. Eine Unterscheidung von Wissensgeschichte und Tatsachengeschichte blieb diesem chaotischen Durcheinander, wie überhaupt alle gesetzte und redliche wissenschaftliche Wahrheit fremd. Von diesen Korruptionserscheinungen wird am gehörigen Ort als von Hindernissen wirklicher Einsicht noch einiges zu sagen sein. Hier genügte es, die Heimsuchung es echt wissenschaftlichen Gebietes mit diesen Verworrenheits- und Trugmanieren eben nur als Tatsache zu signalisieren. Das Gesamtergebnis besteht überall darin, daß die sogenannte Geschichtlichkeit, welcher Art sie auch sei und gleichviel, ob sie ihren Notizenkram ohne oder mit einer Karikatur von Dialektik servier, stets der Reaktion Vorschub leistet und von wirklicher Wissenschaftsgeschichte weiter als jede andere Benehmungsart entfernt bleibt. Ein bloßer Anhänger der SMITHschen Lehre kann, trotz der Beengtheit dieses Standpunkts, doch mehr wahre Wissenschaftsgeschichte produzieren, als ein Geschichtler der gekennzeichneten Arten. Der angeblich ungeschichtliche ADAM SMITH selbst hat hundertmal mehr für die Auffassung der erst keimenden Geschichte seiner Wissenschaft getan, als die neuesten Geschichtler trotz des angewachsenen Materials. Aber freilich ist die ehrliche Besonnenheit und gesunde Wissenschaftlichkeit jenes Schotten nicht mit dem Gebaren konfuser und fälschender Geschichtler vom übertägigen Typus zu vergleichen. Auch ist es ein verwirrenden und wissenschaftvernichtender Aberglaube, es gäbe keine absoluten Wahrheiten, sondern nur Vorstellungen, die zu einzelnen historischen Tatsachenzuständen passen. 4. In aller Geschichte uns so auch in der Wissensgeschichte sind es stets einzelne und nur in sehr geringer Anzahl vorhandene Personen, in denen und durch die sich die Fortschritte und Umschaffungen vollziehen. Die elementare Vielheit der gelehrten Erscheinungen liefert nur das Fußgestell. Die für die Wissenschaftsgeschichte entscheidenden Köpfe sind nicht diejenigen, welche von der Epoche gemacht werden, sondern die, welche Epoche machen. In der wissenschaftlichen Produktion hört die Produktivität der Person eben da auf, wo das Produkt an ihr beginnt. Die Erzeuger im höchsten Sinne des Wortes sind für das, was sie völlig eigentümlich schaffen und was allein einen entscheidenden Wert hat, auch wirklich die einzigen Ursachen. Am anderen Ende der Stufenleiter befinden sich die bloßen Kreaturen und die Mitte wird von denen ausgefüllt, die den geschäftlichen Vertrieb der Wissenschaft mit mehr oder minder Handwerksroutine besorgen. Für eine Gedankengeschichte, in welcher die Auffindungen wissenschaftlicher Sätze die Hauptangelegenheit bilden, sind nun der gelehrte Kleinhandel und die gemeine literarische Nahrung der Schulen gleichgültig. Das Gewühl des Marktes mit seinen jedesmaligen Saisonartikeln kommt hier positiv nicht in Betracht. Die Fortleitung und Vermehrung des besten Wissens vermittelt sich durch schöpferische Naturen, die in den Jahrhunderten spärlich gesät sind. Diese Naturen müssen gekennzeichnet und ihre Leistungen verständlich gemacht werden. Daneben mag allenfalls auch die Originalität im Irrtum oder das Monströse und Korrupte insoweit berücksichtigt und erläutert werden, als es zur Abgrenzung der wissenschaftlichen Wahrheit und zur Erklärung der Hindernisse erforderlich ist, mit denen die gesetzte, gediegene und schöpferische Wissenschaft zu kämpfen hat. Es gibt aber noch einen anderen Grund, warum in der Geschichte der Wirtschafts- und Gesellschaftslehre die persönlichen Urheber der System und Wendungen in den Vordergrund treten müssen. Eine unpersönliche Gesamtlehre oder, mit anderen Worten, ein vom Name abgelöstes System ist hier noch nicht gefunden oder durchgesetzt. Das Unfertige und Kontrastierende, welches sich bis zu den Grundgedanken erstreckt, würde mit einem falschen Schein von Abgeschlossenheit und Einheitlichkeit umgeben werden, wenn man jene enge Verknüpfung des Sachlichen mit dem Persönlichen uncharakterisiert ließe. Es ist also mehr als die bloße Rücksicht auf die Verdienste der Einzelnen, was ein Eingehen auf die persönliche Beschaffenheit der Urheber bedeutender Wendungen erforderlich macht. Nur wenn man Bestrebungen und Denkweise der Person kennt, wird man auch deren Behandlungsart der Sache gehörig zu sichten vermögen. Noch mehr als die Wirtschaftslehre hängt die umfassende Gesellschaftslehre, die weit über die materiellen Interessen hinausreicht, mit dem Charakter der menschlichen Verhaltensart und der Grundsätze der einzelnen Wissenschaftspfleger zusammen. So bekundet sich beispielsweise in HUMEs und SMITHs Arbeiten außer dem allgemeinen wissenschaftlichen Gehalt auch der Sinn für eine geordnete und gesetzte Privathaushaltung und Geschäftsführung. Wenn nun schon in der gewöhnlichen Wirtschaftslehre solche Eigenschaften der Schriftsteller ersten Ranges von Einfluß auf die Behandlung des Gegenstandes sind, so müssen in Fragen der Gesellschaftsreform oder gar der Gesellschaftsumschaffung die individuellen Charaktere und Sitten der sich mit solchen Entwürfen befassenden Personen von noch größerem Einfluß werden. Die nach allen Richtungen verzweigte moralische Kritik ist hier am Platze. Es nimmt sich wunderlich aus, wenn ein liederlicher und schamloser Schriftsteller, welcher noch nicht einmal dem geringen sittlichen Fonds der alten Gesellschaft zu genügen vermochte, seine Korruptheit zur Norm einer neuen Gesellschaft erheben will. Die besseren Bestandteile der bisherigen Sozialistik erstreckten sich ein wenig über das materielle Gebiet hinaus und blieben so wenigstens dem Wahn fern, als wenn irgendeine bloß wirtschaftliche Ordnung, wie sie auch beschaffen sein möge, zureichend sein könne, den eigentlich gesellschaftlichen Zielen zu genügen. Ein mehr befriedigenes Zusammenleben bedarf noch anderer Stützen als des materiellen Piedestals [Postament - wp] und so wichtig das letztere auch als Fußpunkt ist, so bleibt denn doch die Gestalt menschlichen Lebens, die sich auf den Unterbau der menschlichen Existenz beziehen und will nichts von jener falschen Idealisierung wissen, die das Gemeine mit dem Schein des Edleren umgibt. Dagegen faßt es die weiteren Lebensziele edlerer Menschlichkeit als die höchste Aufgabe ernsthafter Sozialität ins Auge. Nun kann allerdings in der bloßen Geschichtsdarstellung hiervon nicht allzu viel hervortreten; denn die bisherigen Gedankenkreise, mochten sie nun der engeren Volkswirtschaftslehre oder auch der schweifenden Sozialistik angehören, haben sich mit den verschiedenen Zweigen des Rechts und der Sitte immer nur nebenher befaßt und den wirtschaftlichen Gesichtspunkt, wo nicht zum ausschließlichen, so doch zum herrschenden und maßgebenden gemacht. Das reformatorische und umschaffende Streben kann aber in diesen bisherigen Schranken nicht festgehalten werden und so stellt sich die Notwendigkeit heraus, in der Kritik der geschichtlichen Erscheinungen wenigstens die Mängel zu signalisieren, die sich in den gesellschaftlichen Entwürfen aus der Unvollständigkeit der Gesichtspunkte erklären. Überdies ist es schwierig, die höheren Betrachtungen mit den rein wirtschaftlichen in einem einzigen, in sich gleichartigen Wissenschaftszweige zu vereinigen. Eben weil die Gesellschaftslehre in vielen Richtungen ganz und gar aus dem Rahmen der Wirtschaftslehre herauszutreten hat, darf sie auch nicht zu einem bloßen Beiwerk derselben herabgesetzt werden. Fragen über die Ordnung des Geschlechtslebens haben z. B. eine wichtige wirtschaftliche Seite, stehen aber an sich in ihren Grundmotiven höher als alle bloßen Wirtschaftsrücksichten. Wo daher die Ehe innerhalb der Sozialistik erörtert worden ist, sind diese Erörterungen darauf anzusehen, was sie in der wirtschaftlichen und was sie in der allgemein menschlichen Beziehung leisteten. Wo man, um andere Beispiele zu erwähnen, den Unterricht und die Militärverfassung streifte, ist die Veranschlagung des Kostenpunkts etwas durchaus anderes, als die Erwägung der allgemeinen menschlichen Zweckmäßigkeit der auf Sicherheit und Belehrung abzielenden Einrichtungen. Auch am Kriminalrecht würde es sich recht deutlich zeigen lassen, daß ein Sozialitätssystem von unvergleichlich umfassenderen Antrieben ausgehen muß, als eine bloße, wenn auch personalistisch gestaltete Wirtschaftslehre. Indessen kommt so etwas für die geschichtliche Kritik nur ganz im Allgemeinen in Frage und es mag daher genug sein, auf den universell verzweigten Sinn der Sozialität hingewiesen zu haben. Indem ich mich auf das berufe, was ich in anderen Schriften, namentlich in der Wirklichkeitsphilosophie, für die weiter reichenden und höher belegenen menschlichen Interessen ausgeführt habe, kann ich die Aufmerksamkeit im Zusammenhang dieses Buchs auf das konzentrieren, wozu die bisherigen Gestaltungen der Wirtschaftslehre und Sozialistik selbst veranlassen. Der weitere Ausblick wird dadurch nicht verschränkt, wenn nur jedesmal da, wo sich der Mangel fühlbar macht, an das Höhere und Weitertragende erinnert wird, wodurch sich das Zusammenleben der Menschen mittels gesellschaftlicher Gegenseitigkeit in jeglicher und nicht bloß in wirtschaftlicher Beziehung zu veredeln hat. |