ra-2H. H. GossenJ. SchumpeterW. Mohrmann    
 
MICHAEL TUGAN-BARANOWSKY
Soziale Theorie der Verteilung

"Um die Gesetze der Preisbildung zu verstehen, muß man sich auf einen individualistischen Gesichtspunkt stellen. Der Preis beruth ja auf Schätzungen des Individuums, und der einzig mögliche Ausgangspunkt einer wissenschaftlichen Preistheorie kann nur die Analyse der psychischen Prozesse des Individuums sein, die im Werturteil zum Ausdruck kommen. Das Gegenteil gilt für die Verteilungstheorie. Ihren Ausgangspunkt können in keinem Fall individualistische Werturteile abgeben, denn die Verteilung ist ein soziales Phänomen, das das Zusammenwirken mehrerer gesellschaftlicher Gruppen zur Voraussetzung hat."

"Die soziale Gleichheit der Kontrahenten eines Tauschaktes ist eine notwendige Vorbedingung, damit die Werte der ausgetauschten Waren mit den in ihnen kristallisierten Arbeitsmengen zusammenfallen. Ist aber eine Partei in diesem Tauschakt als sozial stärkere zu betrachten, so muß das auch im Austauschverhältnis der Waren seinen Ausdruck finden und den Austausch nach Arbeitswerten unmöglich machen."


Vorwort

In dieser kleinen Schrift habe ich den Versuch gemacht, eine Verteilungstheorie darzulegen, die sich von der herrschenden unterscheidet. Diese Theorie habe ich als soziale bezeichnet, weil ihre Eigentümlichkeit in der Hervorhebung der sozialen Faktoren der Einkommensbildung besteht.

Die nationalökonomischen Theoretiker zerfallen im Großen und Ganzen gegenwärtig in zwei Richtungen: die Vertreter der Grenznutzenschule und des Marxismus. Ich kann mich weder zur einen noch zur anderen Richtung zählen. Was die Grenznutzenschule betrifft, so scheidet mich von dieser eine andersartige Auffassung des Verteilungsproblems, das aufgrund der individualistisch-psychologischen Methode dieser Schule nicht zu lösen ist. Aber auch die Verteilungstheorie von MARX scheint mir mangelhaft und trotz ihrer sozialen Grundlage mit individualistischen Elementen durchsetzt zu sein. Der gemeinsame Grundfehler beider Theorien besteht meiner Ansicht nach darin, daß sie die Verteilungsphänomene als Wertphänomene betrachten.

Zugleich aber habe ich in theoretischer Hinsicht viel Gemeinsames sowohl mit der Grenznutzenschule als auch mit dem Marxismus. In der Grenznutzenlehre erblicke ich die wissenschaftliche Theorie des wirtschaftlichen Güterwerts; im Marxismus scheint mir von größter Bedeutung seine Lehre der sozialen Grundlage der ökonomischen Erscheinungen der kapitalistischen Gesellschaft. So finde ich viel Richtiges und Brauchbares in beiden miteinander streitenden Systemen, und ich erblicke die wichtigste Aufgabe der ökonomischen Wissenschaft unserer Zeit in der Synthese beider.

St. Petersburg, im März 1913



Einleitung

In der Geschichte des ökonomischen Denkens spielte vor kurzem noch der Streit der Theoretiker mit den die Arbeiterinteressen vertretenden Praktikern über die Möglichkeit der Beeinflussung der durchschnittlichen Lohnhöhe durch die Gewerschaften eine eigenartige Rolle. Bekannt ist es, daß die hervorragendsten Nationalökonomen Englands bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, als die Trade-Unions schon zu einer gewaltigen Entfaltung gelangt waren, einen solchen Einfluß für unmöglich erklärten. In diesem Streit sind, wie heute allgemein anerkannt ist, nicht die Gelehrten, sondern die Wortführer der Arbeiter-Organisationen Sieger geblieben.

Die Entwicklung der ökonomischen Theorie ist auch in diesem Fall dem Lauf des realen Lebens gefolgt. Die früher allgemein herrschende Lohnfondstheorie wurde von ihren eifrigsten Vertretern verlassen und findet heute kaum noch vereinzelte Zustimmung in der Wissenschaft. Aber man kann darum nicht behaupten, daß die Ausbildung der Theorie den Ansprüchen des praktischen Lebens Genüge geleistet hat. Vielmehr ist die Lage diese: früher besaß die Nationalökonomie eine Lohntheorie, welche allgemein anerkannt wurde und ein einheitliches logisches System bildete; jetzt aber fehlt es an irgendeiner gültigen Lohntheorie, und in diesem Teil der ökonomischen Wissenschaft gewann der prinzipienlose Eklektizismus die Oberhand. Nehmen wir z. B. das bedeutendste Werk über die Arbeiterbewegung, welches in den letzten zwei Jahrzehnten erschienen ist: die "Industrial Democracy" von SIDNEY und BEATRICE WEBB. Das Werk enthält eine staunenswerte Fülle von systematisch geordnetem empirischem Material. Aber wie schwach und unbedeutend ist sein theoretischer Teil! Der dritte Teil des umfassenden Werkes wird als "Theorie des Trade-Unionismus" bezeichnet. Er beginnt mit dem Kapitel, welches der Lohntheorie gewidmet ist, weil notwendig die Theorie des Trade-Unionismus eine Lohntheorie zur Grundlage haben muß. Fragen wir aber, welcher Lohntheorie die Autoren der "Industrial Democracy" huldigen, so ist das nicht leicht zu beantworten. Das eine ist klar, daß sie nicht Anhänger der Lohnfondstheorie sind, deren Widerlegung viele Seiten ihrer Schrift gewidmet sind. Aber es ist höchst charakteristisch, daß die besten Kenner der englischen Arbeiterbewegung den größten Teil ihrer theoretischen Erörterungen mit Argumenten gegen eine Theorie füllen, die nach ihrer eigenen Ansicht veraltet ist und so gut wie keine Anhänger mehr zählt. Bei diesem Mangel einer positiven Lohntheorie mußten sich die WEBBs damit begnügen, die falschen theoretischen Erklärungen des Lohns zu bekämpfen. Zwar haben sie ausführlich bewiesen, daß die Trade-Unions auf die Lohnhöhe einwirken können, aber welche Lohntheorie sich aus dieser Anerkennung ergibt, das haben sie vielleicht angedeutet, aber weder systematisch entwickelt noch klar formuliert. Als ihre höchste Forderung in sozialpolitischer Hinsicht stellen sie das Prinzip des "nationalen Minimums" auf. Der Staat solle das Minimum der Existenzbedingungen jedem seiner Bürger sichern. Aber ist ein solches Ziel bei der Beibehaltung der kapitalistischen Wirtschaftsordnung zu erreichen? Ist die Lohnhöhe durch Staatsgesetze regulierbar oder hängt jene vielmehr von den elementaren Mächten der kapitalistischen Wirtschaft ab, welche durch die Gesetzgebung nicht beherrscht werden können? Alle diese Fragen sind nur aufgrund einer allgemeinen Lohntheorie zu beantworten, und gerade dieser notwendige theoretische Ausgangspunkt fehlt den Verfassern der "Industrial Democracy".

All das beweist die Unentbehrlichkeit einer Lohntheorie vom Standpunkt der praktischen Interessen der Sozialpolitik. Und das umso mehr, als die ökonomische Wissenschaft in der letzten Zeit einer entgegengesetzten Richtung zu folgen scheint. Es wird nämlich als deren letztes Wort eine neue Lohn- oder allgemeine Verteilungstheorie verkündet, welche den Forderungen der Arbeiter gegenüber gerade dieselbe Stellung einnimmt wie die alte Lohnfondtheorie. Diese neue Theorie behauptet, daß die Verteilung der gesellschaftlichen Einkommen in der kapitalistischen Gesellschaft ihren eigenen unabänderlichen Gesetzen folgt, und jeder Versucht, die eine Einkommensart auf Kosten einer anderen zu steigern, unbedingt scheitern muß. Vom Standpunkt dieser Theorie ist die ganze neuere Richtung der Sozialpolitik eine verkehrte, da sie sich unerreichbare Ziele setzt.

Wir haben hier verschiedene Versuche aus der letzten Zeit im Auge, eine Verteilungstheorie auf Grundlage der Grenznutzenlehre auszubilden. Diese Versuche gewinnen umso mehr Bedeutung, weil die Grenznutzenlehre mehr und mehr Anerkennung in den Reihen der Nationalökonomen findet. Sogar die Gegner der österreichischen Schule müssen anerkennen, daß die Grenznutzentheorie eine ausschlaggebende Wirkung ausgeübt hat. Es gibt nur eine wissenschaftliche Richtung, die bis heute dem Einfluß der neuen Werttheorie fremd geblieben ist, das ist der Marxismus.

Sehen wir von letzterem ab, so ist nicht zu leugnen, daß die moderne ökonomische Theorie im Zeichen der Grenznutzentheorie steht. Die Zahl ihrer Gegner wird immer geringer, während zu den Anhängern fast alle bedeutenderen Vertreter des ökonomischen Denkens unserer Zeit gehören. Das neue Aufblühen des Interesses an der ökonomischen Theorie ist ohne Zweifel mit der epochalen Leistung MENGERs und seiner Schule in Verbindung zu setzen.

Vor mehr als einem halben Jahrhundert hat JOHN STUART MILL die Meinung ausgesprochen, daß in den Lehren der RICARDO'schen Schule die Werttheorie zu einer endgültigen Vollendung geführt worden ist. Das war eine höchst unglückliche Prophezeiung. Gerade auf diesem Gebiet hat die spätere Entwicklung der Wissenschaft die größte Umwälzung mit sich gebracht. Heute aber können wir mit viel größerem Recht die MILLsche Vorhersage in einem anderen Sinn wiederholen: es können diese oder jene Einzelheiten und speziellen Deduktionen der modernen Werttheorie durch künftige Fortschritte des menschlichen Wissens als veraltet verworfen und durch andere ersetzt werden, aber die Grundlage der Werttheorie steht heute für immer fest. Die Lehre vom Grenznutzen ist als  ktema es aie  [Wissen auf ewig - wp] der Wissenschaft zu betrachten.

Dieser gewaltige Fortschritt macht es begreiflich, daß die Verkünder der genannten Lehre in der neuen Doktrin ein Mittel erblickten, die gesamte ökonomische Wissenschaft zu reformieren und auch eine neue Verteilungstheorie zu konstruieren.

Es ist aber höchst charakteristisch, daß, während auf dem Gebiet der Werttheorie die größte Übereinstimmung zwischen den verschiedenen Vertretern der neuen Richtung herrscht - die Wertlehre von MENGER ist in allen wesentlichen Punkten dieselbe wie die von GOSSEN, JEVONS, WALRAS, CLARK (von den MENGER-Schülern BÖHM-BAWERK, WIESER etc. ganz zu schweigen) - ist auf dem Gebiet der Verteilungstheorie ein scharfer Gegensatz vorhanden. Fast jeder bedeutendere Vertreter der neuen Schule hat seine eigene Theorie der Verteilung, welche durch andere verworfen wird. So hat die MENGERsche Zinstheorie nichts Gemeinsames mit der seines hervorragendsten Schülers BÖHM-BAWERK; und dessen Zinstheorie ist von der ihm sonst so verwandten WIESERs ganz verschieden.

Dieser Mangel an Übereinstimmung auf dem Gebiet der Verteilungstheorie zwischen den Vertretern derselben wissenschaftlichen Schule beweist am auffallendsten die besondere Schwierigkeit des betreffenden Problems.

Zwar scheint das Phänomen der Einkommensverteilung nicht anderes zu sein als ein Preisphänomen. Der Prozeß der Verteilung vollzieht sich durch Tauschakte und beruth auf Schätzungen. Ist denn nicht der Arbeitslohn der Preis einer bestimmten Ware - der Arbeitskraft? Und ist es möglich die Wertnatur des Kapitalzinses und der Grundrente zu leugnen? Ist also das Problem der Einkommensverteilung etwas anderes als eine spezielle Frage der allgemeinen Wert- und Preistheorie? Der Schluß scheint zwingend zu sein. Und doch sind alle Versuche, eine wissenschaftliche Theorie der Verteilung auf Grundlage der neuen Wertlehre zu bilden, bisher so wenig glücklich gewesen, daß sich kein einziger derselben einer weit verbreiteten Anerkennung erfreut.

Ich glaube, daß die Ursache dieses Mißerfolges etwas tiefer, als es etwa scheinen möchte, liegt - nicht in den äußeren zufälligen Umständen, wie etwa im Mangel an Einsicht seitens der einzelnen Forscher, sondern in der Natur des Problems selbst. Alle Bemühungen, die Verteilungstheorie als eine spezielle Lehre der allgemeinen Werttheorie zu entwickeln, müssen darum scheitern, weil das Verteilungsproblem seiner inneren Natur nach kein Wertproblem ist.

Die Verteilungstheorie ist seit mehr als einem Jahrhundert zum unentbehrlichen Bestandteil des Systems der ökonomischen Wissenschaft geworden. In unserem heutigen Sinn wurde der Ausdruck "Verteilung" als terminus technicus schon durch TURGOT in die Volkswirtschaftslehre eingeführt, (die Anfänge der Verteilungstheorie, als eines von der Werttheorie besonderen Problems sind viel früher - schon bei ARISTOTELES - zu finden). Aber trotzdem ergab sich bisher durchaus nicht klar, worin eigentlich das Verteilungsproblem besteht, und welchen systematischen Platz es im Ausbau der ökonomischen Wissenschaft einnehmen soll.

Zunächst ist es auffallend, daß die Verteilungstheorie, wie sie tatsächlich gestaltet ist, sich nicht mit allen Arten der Einkommensbildung beschäftigt. In ihrer historisch gegebenen Form betrachtet sie nur die Entstehung von drei Einkommensarten: des Arbeitslohns, des Kapitalprofits und der Grundrente. Aber mit diesen werden keineswegs alle Arten des gesellschaftlichen Einkommens erschöpft. Es genügt, auf die Einkommen selbständig arbeitender Handwerker oder Bauern hinzuweisen. Warum bleiben diese Arbeitseinkommen durch die herrschende Verteilungstheorie unberücksichtigt?

Diese Frage hat eine innere Verwandtschaft mit einer anderen: worin besteht eigentlich die Einkommensverteilung als ein selbständiger und von anderen ökonomischen Phänomenen verschiedener wirtschaftlicher Prozeß? Wird doch durch Produktion und Austausch der gesamte wirtschaftliche Prozeß erschöpft, da dieser mit dem Austausch zu Ende kommt, der Konsum des produzierten und ausgetauschten Produktes bildet doch keine wirtschaftliche Tätigkeit. Wollen wir aber auch die Konsumtion als wirtschaftliche Tätigkeit betrachten (was nach meiner Meinung ganz irreführend ist), so wird allerdings klar, daß im wirtschaftlichen Prozeß als einer Gesamtheit kein Platz für die Verteilung zu finden ist. Und doch nimmt die Verteilungstheorie im System der ökonomischen Wissenschaft eine besondere Stelle neben den Theorien der Produktion und des Austausches ein.

Vielleicht ist es ein traditioneller methodologischer Fehler? Zu diesem Schluß kommen die meisten modernen Theoretiker, die der betreffenden Frage eine spezielle Aufmerksamkeit schenkten. So ist für den hervorrangendsten amerikanischen Nationalökonomen unserer Zeit, JOHN BATES CLARK, "die Werttheorie und die Theorie der Verteilung des Werts zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen ein und dieselbe Theorie" (1). Auch für MENGER, BÖHM-BAWERK und MARSHALL gibt es kein besonderes Verteilungsproblem. Auf demselben Standpunkt stehen LEHR, MITHOFF, FÖLDES, SIDGWICK, NICHOLSON, SCHUMPETER usw. usw. Man kann sogar sagen, daß, so groß die Verschiedenheit der Meinungen über den positiven Inhalt der Verteilungslehre ist, ebenso vollkommene Übereinstimmung zwischen den neueren Nationalökonomen besteht, daß diese Lehre mit der allgemeinen Austauschlehre zusammenfällt.

Die herrschende Ansicht ist so zu formulieren: die Einkommensbildung ist ein spezieller Fall der Preisbildung. Darum ist in die allgemeine Preislehre auch die Verteilungstheorie einzubeziehen. Ein besonderes Verteilungsproblem, neben dem Wert- und Preisproblem, besteht nicht.

Nun erscheint mir aber diese Lösung der schwierigen methodologischen Frage unzutreffend. Die ältere Nationalökonomie, die die Verteilungstheorie als eine besondere, mit der Preistheorie nicht zusammenfallende Lehre betrachtete, hatte nach meiner Meinung vollkommen Recht. Zwar kümmerten sich ältere Nationalökonomen sehr wenig um methodologische Fragen. Wenn z. B. RICARDO seine Überzeugung dahin formulierte, "in jedem Fall müssen die großen Fragen über die Rente, Arbeitslohn und Profit durch die Proportionen erklärt werden, in denen das gesellschaftliche Produkt zwischen den Landbesitzern, Kapitalisten und Arbeitern verteilt wird, und die mit der Wertlehre nicht ihrem Wesen nach verbunden sind" (2), so folgte er einem richtigen wissenschaftlichen Instinkt, nicht aber einer klaren methodologischen Einsicht in die logische Natur des wissenschaftlichen Problems. Aber in jedem Fall bewies RICARDO durch den zitierten Satz, daß die Unmöglichkeit, das Verteilungsproblem als ein Wertproblem zu betrachten, ihm klar war.


Erstes Kapitel
Zur Methodologie des
Verteilungsproblems


I.

Das Problem der Verteilung bedarf einer methodologischen Vertiefung. Worin besteht das Verteilungsproblem, und ist es vom Austauschproblem zu sondern, eventuell wie?

Zuerst ist methodologisch die "Einseitigkeit" der herrschenden Verteilungslehre zu rechtfertigen, ihre Vernachlässigung aller Einkommensarten außer den drei, die mit dem kapitalistischen Wirtschaftsprozeß als solchem innerlich verbunden sind, dem Arbeitslohn, Profit und Grundrente.

Die Antwort ist nicht schwer. Die Arbeitseinkommen der selbständig arbeitenden Produzenten können keinen Gegenstand für eine besondere ökonomische Lehre bilden, da alle Bedingungen und Faktoren, die diese Einkommen bestimmen, von der ökonomischen Wissenschaft in einem anderen Zusammenhang ausführlich behandelt werden. Wovon hängt denn die Größe dieser Einkommen ab? Von der Masse und Qualität durch den betreffenden Produzenten produzierter Güter, deren Kosten und deren Preis. Aber ökonomische Produktionsbedingungen bilden ja den Gegenstand der Lehre von der Produktion, und die Bedingungen der Preisbildung werden in der Preislehre behandelt.

Zwar hängt die Größe der Einkommen der kleinen Produzenten von der Verteilung der Produktionsmittel zwischen ihnen ab. Die Einkommen der Bauern werden z. B. durch die Größe ihres Grundbesitzes bestimmt usw. Die abstrakte Lehre von der Produktion gibt gewiß keine Erklärung für die konkrete Gestaltung der Besitzverhältnisse in diesem oder jenem Land.

Eine der wichtigsten Ursachen des elenden Zustandes der irischen Pächter vor der letzten Bodenreform bestand in einem hohen Pachtzins, den sie zu zahlen hatten -, also darin, daß die irischen Landproduzenten des Bodens beraubt waren, der einer anderen sozialen Klasse gehörte. Wie es sich ereignete, daß irische Bauern ihren Boden verloren haben, das ist gewiß keine Frage der allgemeinen Theorie der Produktion, sondern der Geschichte Irlands, worin außer der ökonomischen auch nichtökonomische Faktoren mit berücksichtigt werden müssen.

Die Verteilung der Produktionsmittel zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen, (was mit der Scheidung der Gesellschaft in verschiedene soziale Klassen identisch ist), ist ein sehr komplizierter sozialer Prozeß, der die Wechselwirkung verschiedener, ökonomischer und nichtökonomischer, Faktoren zur Voraussetzung hat, und dessen Erklärung darum über das Gebiet der Volkswirtschaftslehre weit hinausgreift.

Die Volkswirtschaftslehre stellt sich nicht zur Aufgabe, allgemeine Gesetze der sozialen Klassenbildung in der Geschichte festzustellen, oder konkrete Besitzverhältnisse in diesem oder jenem Land zu erklären. Sie setzt solche vielmehr als ihren notwendigen Ausgangspunkt voraus; und sie in ihrer Entwicklung zu verfolgen, überläßt sie der allgemeinen Geschichte und der Soziologie.

So erblickt die ökonomische Wissenschaft in der Einkommensbildung kleiner selbständiger Produzenten kein neues Problem, das etwa abgesondert von der allgemeinen Lehre über Produktion und Austausch behandelt werden könnte. Und wären alle Einkommensarten der heutigen Gesellschaft von derselben Natur wie die Einkommen der Handwerker oder Bauern, so wäre eine besondere Verteilungstheorie unmöglich.

Nun aber gibt es zwischen verschiedenen Einkommensarten in der kapitalistischen Gesellschaft eine Gruppe, die ganz eigentümlichen Charakter hat. Das ist die Gruppe der genannten drei die kapitalistische Gesellschaftsordnung kennzeichnenden Einkommensarten, des Arbeitslohns, des Profits und der Grundrente.

Ihre Eigentümlichkeit besteht nämlich darin, daß sie ihrem Wesen nach eng miteinander verknüpft sind und ein unzertrennliches Ganzes bilden. Arbeitslohn setzt Profit voraus wie Profit Arbeitslohn. Grundrente wird auch durch den Begriff der kapitalistischen Produktion vorausgesetzt.

Alle diese Einkommensarten bilden Teile, in die das gesellschaftliche Gesamtprodukt der kapitalistisch organisierten Gesellschaft zerfällt.

Worauf beruth aber das enge Band zwischen den drei genannten Einkommensarten? Die kapitalistische Wirtschaftsweise setzt voraus, daß am Prozeß des Schaffens des gesellschaftlichen Produkts drei soziale Klassen teilnehmen - Lohnarbeiter, Kapitalisten und Grundbesitzer. Denn in der kapitalistischen Gesellschaft besitzt der Arbeiter seine Produktionsmittel nicht; diese gehören zwei anderen Klassen, den Kapitalisten und den Grundbesitzern. Da aber Produktion ohne Produktionsmittel unmöglich ist, müssen sich zur Ermöglichung der kapitalistischen Produktion drei verschiedene soziale Klassen vereinigen: Arbeiter, Kapitalisten und Grundbesitzer.

Aus diesem Zusammenhang der durch die kapitalistische Wirtschaftsweise verknüpften sozialen Klassen geht der Zusammenhang der entsprechenden gesellschaftlichen Einkommen hervor, die zusammen einen nicht aufzulösenden Knoten bilden. Das Verständnis der Bildungsbedingungen eines dieser Einkommen ist ohne Verständnis der Bildungsbedingungen der zwei übrigen unmöglich.

Diese Verbindung in ihre Elemente aufzulösen, darin besteht die spezifische Aufgabe der Verteilungstheorie. Das Problem der Verteilung ist also ein Problem  sui generis  [eigener Art - wp], das mit den Problemen der Produktion und des Austausches nicht zusammenfällt. Die Einkommen kleiner selbständiger Produzenten stehen außerhalb der genannten Verbindung, und darum gibt es für sie keinen Platz in der Verteilungstheorie.

In einem weiteren Sinn umfaßt die Lehre der Verteilung alle Einkommen, zwischen welchen nach ihren wirtschaftlichen Entstehungsbedingungen ein inneres Band besteht. So können in der vorkapitalistischen Wirtschaft der Wucherzins und der Handelsgewinn eine Frage der Verteilungslehre bilden, da Wucherzins und Handelsgewinn nur im Zusammenhang mit den Einkommen anderer Klassen begriffen werden können.

Der Zusammenhang zwischen verschiedenen Einkommen der kapitalistischen Wirtschaft wird noch komplizierter infolge der kapitalistischen Austauschbedingungen. Der Kapitalist nimmt nämlich durch sein Kapital nicht nur an der Produktion teil, sondern auch am Austausch; das Handelskapital ist eine ebenso unentbehrliche Bedingung des Schaffens des gesellschaftlichen Produkts wie das Produktionskapital. Darum kann man das Problem der Verteilung definieren als  das Problem der Abhängigkeitsverhältnisse zwischen den Einkommen derjenigen sozialen Klassen, die durch die Bedingungen der kapitalistischen Produktion und des Austausches miteinander verknüpft sind. 

Unser Analyse macht es zugleich klar, daß die Phänomene der Verteilung vom Gebiet der kapitalistischen Produktion und des Austauschs nicht zu scheiden sind. Die Verteilungsphänomene sind keine besonderen und selbständigen ökonomischen Tatsachen, sondern derselbe Prozeß der kapitalistischen Produktion und des Austausches, von einem bestimmten Standpunkt aus betrachtet. Die kapitalistische Produktion setzt das Mieten der Lohnarbeiter voraus. Worin besteht das Mieten eines Arbeiters? In der Überlassung eines bestimmten Lohns an den Arbeiter im Austausch für seine Arbeit - also in einem Verteilungsverhältnis. Die kapitalistische Produktioin ist daher undenkbar ohne Verteilungsverhältnisse; zugleich sind die Verteilungsphänomene, in ihrem spezifischen Sinn, nur in der kapitalistischen Wirtschaft gegeben.

Verteilungsprobleme bilden also nur eine bestimmte Seite der kapitalistischen Produktion und des Austauschs. Aber welche Seite? Im Prozeß der kapitalistischen Produktion und des Austausches entstehen gewisse Werte und sie werden übertragen, wobei an diesem Prozeß drei soziale klassen in einem verschiedenen Sinn teilnehmen: Lohnarbeiter, Kapitalisten und Grundbesitzer. Indem wir über die Phänomene der Produktion und des Austausches sprechen, haben wir den Prozeß selbst im Auge; unter den Verteilungsphänomenen verstehen wir aber das Schlußergebnis desselben Prozesses.


II.

Obwohl die Verteilungsphänomene mit den Produktions- und Tauschphänomenen zusammenfallen, bedürfen sie zu ihrer Analyse einer anderen logischen Methode. Um die Gesetze der Preisbildung zu verstehen, muß man sich auf einen individualistischen Gesichtspunkt stellen. Der Preis beruth ja auf Schätzungen des Individuums, und der einzig mögliche Ausgangspunkt einer wissenschaftlichen Preistheorie kann nur die Analyse der psychischen Prozesse des Individuums sein, die im Werturteil zum Ausdruck kommen.

Das Gegenteil gilt für die Verteilungstheorie. Ihren Ausgangspunkt können in keinem Fall individualistische Werturteile abgeben, denn die Verteilung ist ein soziales Phänomen, das das Zusammenwirken mehrerer gesellschaftlicher Gruppen zur Voraussetzung hat. Wollen wir den Zusammenhang mehrerer mitwirkender Faktoren verstehen, so können wir offenbar nicht von diesem Zusammenhang abstrahieren. Das Wertphänomen ist eine logische Kategorie der Wirtschaft und ist auch bei der isolierten Wirtschaft eines einzigen Individuums zu beobachten, da die Wirtschaft ohne Werturteile unmöglich ist. Die Verteilung ist aber eine historische Kategorie der sozialen Wirtschaft und ist nur in der Gesellschaft einer bestimmten historischen Struktur möglich.

Es ist also methodologisch ganz falsch, die Verteilungstheorie in die Werttheorie einzuschließen. Denn der Zusammenhang verschiedener Einkommensarten beruth keineswegs auf individuellen Wertschätzungen. Die Sache steht nämlich nicht so, daß das Individuum etwa wählen könnte: Arbeiter, Kapitalist oder Grundbesitzer zu werden und auf dem Markt seine Arbeitskraft, sein Kapital oder seinen Grundbesitz zu verwerten, sondern die Rolle jedes Teilnehmers im sozialen Verteilungsprozeß ist durch seine soziale Lage bestimmt, durch seine Zugehörigkeit zu dieser oder jener Klasse, was nicht vom individuellen Willen abhängt.

Zwar ist der Tauschakt auch ein sozialer Prozeß. Aber das hindert die Preistheorie nicht, einen individualistischen Charakter zu haben. Zwischen dem Tauschphänomen und dem Verteilungsphänomen besteht nämlich folgender Unterschied:

Im Tauschakt begegnen sich zwei Individuen, die nicht notwendig verschiedenen sozialen Klassen angehören müssen. Darum gehen die beiden in der heutigen Wissenschaft konkurrierenden Werttheorien - Grenznutzentheorie und die Arbeitstheorie von MARX - von der Voraussetzung der sozialen Gleichheit der im Austausch sich begegnenden Individuen aus. Und dieses Verfahren der Werttheorie ist methodologisch zu rechtfertigen. Denn um was handelt es sich in der Preistheorie? Um die Bestimmung der Bedingungen, die den Preis einer Wahre um so und so viel höher oder niedriger als den einer anderen gestalten. Alle Waren müüssen als durch die Vertreter derselben sozialen Klasse verwertet betrachtet werden. Die ökonomische Wissenschaft analysiert die entwickelte kapitalistische Wirtschaft, worin alle Waren kapitalistisch hergestellt werden. Jede Ware wird durch den Kapitalisten auf dem Markt veräußert -, und wir haben kein methodologisches Recht, den Verkäufer der einen Ware als den sozial Stärkeren oder Schwächeren im Vergleich mit dem Verkäufer einer anderen Ware zu betrachten.

Darum beruth die Preistheorie auf der Voraussetzung der sozialen Gleichheit der Teilnehmer des Tauschaktes. Setzen wir aber die Teilnehmer des Tauschaktes als sozial gleich, so abstrahieren wir von der inneren Struktur der Gesellschaft, in der sich der Tauschakt vollzieht.

Auf diese Weise bewahrt die Preistheorie einen ebenso individualistischen Charakter wie die Werttheorie, obschon der Tauschakt ein sozialer Prozeß ist.

Jede Ware hat ihren besonderen Preis, und gerade in der Bestimmung dieser individuellen Preisunterschiede besteht die Aufgabe der Preistheorie.

Die Warenpreise machen zusammen kein einheitliches Ganzes aus, und der Begriff der Summe der Warenpreise hat keinen bestimmten ökonomischen Sinn.

Ganz anders die Verteilungsphänomene. Vorerst ist klar, daß die Parteien im Akt der Verteilung nicht nur sozial ungleich sind, sondern eben in der Ungleichheit das Wesen des betreffenden Phänomens besteht. Im Akt der Verteilung begegnen sich die Vertreter verschiedener sozialer Klassen. Der Arbeiter als solcher gehört zu einer anderen sozialen Klasse, als der Kapitalist oder der Grundherr.

Auf dem Gebiet des Warenaustausches sind die Rollen der Käufer und Verkäufer hinsichtlich einer bestimmten Waren nicht festgestellt - jeder Verkäufer einer bestimmten Ware kann zum Käufer derselben werden, da die Käufer und Verkäufer zu derselben sozialen Klasse gehören. Ein Kapitalist kann heute eine Baumwollspinnerei besitzen und Spinnmaschinen kaufen; morgen aber kann er seine Spinnerei veräußern, eine Maschinenfabrik erwerben und zum Verkäufer der Maschinen werden.

Wenn aber der Kapitalist einen Arbeiter mietet, so sind die Rollen des Käufers und Verkäufers nicht umzukehren: der Verkäufer der Arbeitskraft kann nicht zum Käufer derselben werden, da er dazu aus der Arbeiterklasse in die Kapitalistenklasse übergehen müßte, was als allgemeiner Fall unmöglich ist. Verschiedene soziale Klassen sind aber sozial ungleich, da eben diese Ungleichheit die Natur der sozialen Klasse ausmacht.

Während die Preistheorie Preisunterschiede verschiedener Waren zu erklären sucht, bewegt sich die Verteilungstheorie in ganz anderen Bahnen. Nicht der Arbeitslohn in diesem oder jenem Industriezweig interessiert sie, sondern vor allem der durchschnittliche Lohn, als die Summe der Arbeitslöhne in allen Industriezweigen durch die Summe aller Vertreter der gesamten Arbeiterklasse dividiert.

Die Summe der Preise der gesamten Masse aller Waren zu bestimmen, steht außerhalb der Aufgaben der Preistheorie -, ihr Interesse ist im Gegenteil auf Relationen  innerhalb dieser Masse  gerichtet. Aber eine der wichtigsten Aufgaben der Verteilungstheorie besteht gerade in der Bestimmung der  Relationen  der gesamten Summe der Arbeitslöhne, der Gewinne und der Grundrenten zueinander in einer bestimmten Gesellschaft. Es war ein durchaus richtiges methodologisches Verfahren von RODBERTUS, wenn er die gesamten Arbeiter, Kapitalisten und Grundherren der Gesellschaft, in der Absicht, eine wissenschaftliche Verteilungstheorie zu konstruieren, als einen einzigen kollektiven Arbeiter, Kapitalisten und Grundherrn, betrachtete.

Im realen Leben werden die Größen des Arbeislohns, des Gewinns und der Grundrente durch vereinzelte Individuen bestimmt, aufgrund der Verabredungen zwischen den einzelnen Personen.

Eine jede von diesen Verabredungen ist ein Tauschakt und ist von individuellen Wertschätzungen seitens der individuellen Kontrahenten abhängig. Darum werden diese Verabredungen seitens der Mehrzahl der Nationalökonomen als ein spezieller Fall der allgemeinen Preisbildung betrachtet. Aber die individualistischen Verteilungstheorien verkennen das am meisten Charakteristische des Verteilungsprozesses: die soziale Ungleichheit der Kontrahenten, die Ungleichheit, die von individuellen Wertschätzungen ganz unabhängig und nicht individuellen, sondern sozialen Ursprungs ist.

Der Arbeiter verwertet auf dem Markt seine Arbeitskraft wie der kapitalistische Besitzer einer Spinnerei sein Garn. Beide wollen die betreffenden Waren für einen möglichst hohen Preis veräußern, die Käufer aber werden durch entgegengesetzte Motive geleitet. In diesem wie im anderen Fall sehen wir eine Preisbildung, die sich formell auf demselben Boden der individuellen Wertschätzung entwickelt.

Trotzdem besteht zwischen diesen beiden Fällen der Preisbildung der größte Unterschied, der es unmöglich macht, beide unter eine gemeinsame Theorie zu subsumieren. Der Unterschied besteht nämlich, wie oben gezeigt wurde, darin, daß der Spinner imstande ist, falls er den Preis, den der Käufer ihm für sein Garn vorschlägt, zu niedrig findet, mit der Produktion dieser Ware aufzuhören, und aus dem Verkäufer dieser Ware zum Käufer derselben zu werden. Darum sind beide Kontrahenten im betreffenden Vertrag sozial gleich, und wir abstrahieren bei der Frage der Bestimmungsgründe der Preishöhe von der sozialen Lage der beiden Kontrahenten und betrachten den Preis als von den individuellen Wertschätzungen der Kontrahenten abhängig. Der individualistische Ausgangspunkt der entsprechenden Theorie ist ganz gerechtfertigt.

Ganz anders im anderen Fall: beim Verkauf seiner Arbeitskraft durch den Arbeiter. Der Arbeiter, falls er den Preis seiner Ware zu niedrig findet, kann nicht aufhören, dieselbe zu veräußern. Seine Lage als Verkäufer der Arbeitskraft ist von seiner individuellen Willkür ganz unabhängig, sondern durch seine Angehörigkeit zur Arbeiterklasse bestimmt. Historische Bedingungen der kapitalistischen Wirtschaft haben den Arbeiter mit dem Kapitalisten zu einem wirtschaftlichen Ganzen verknüpft, und in diesem Ganzen ist die Stellung jeder Partei vorausbestimmt. Von der sozialen Gebundenheit zu abstrahieren, heißt in diesem Fall das ganze Problem verkennen. Und darum, trotz der Preisform des Arbeitslohns, ist es unmöglich, den Arbeitslohn als ein Preisphänomen zu begreifen. Zwar ist er ein Preisphänomen, aber noch etwas mehr. Und eben das, was außerhalb der Preisbildung steht, macht das Wesen der betreffenden sozialen Erscheinung aus -, weil die fundamentale soziale Ungleichheit der Kontrahenten, soziale Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse, am wirksamsten das Resultat des Vertrags beeinflussen.

Es steht also fest, daß jede individualistische Verteilungstheorie, d. h. eine solche Theorie, die Verteilungsphänomene als auf individuellen Wertschätungen beruhend betrachtet, aus rein methodologischen Rücksichten verworfen werden muß. Nun aber besitzen diesen Charakter alle Verteilungstheorien, die heute so zahlreich sind und den Vertretern der Grenznutzenschule angehören. Zwar hat die Grenznutzenlehre die Werttheorie von Grund auf reformiert und derselben die einzig mögliche wissenschaftliche Basis gegeben. Aber auf dem Gebiet der Verteilungsphänomene versagt sie vollkommen -, nicht in dem Sinne daß die Preisform der Verteilungsphänomene der Grenznutzenlehre widerspricht, sondern in dem Sinne, daß der tiefere Inhalt der Phänomene der Verteilung nichts mit irgendwelchen Erscheinungen der Preisbildung gemeinsam hat.


Zweites Kapitel
Das Verteilungsprobelem bei den Vertretern
der Grenznutzenschule und bei Marx


I.

Das Verteilungsproblem ist kein Wertproblem. Zwar erhalten die Anteile der verschiedenen sozialen Klassen am gesellschaftlichen Produkt die Form des Preises, aber was in dieser Preisform erscheint, wird nicht durch die Bedingungen der Preisbildung bestimmt. Nicht deren Bedingungen haben die Arbeiter und die Kapitalisten in verschiedene soziale Klassen verwandelt und sie sozial ungleich gemacht, und ebensowenig haben sie die sozialen Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse geschaffen.

Indem wir das Verteilungsproblem nicht als Wertproblem bezeichnen, geraten wir beinahe zu allen Vertretern der heutigen ökonomischen Wissenschaft in den schärfsten Gegensatz, welcher Richtung sie angehören mögen. Nicht nur die Grenznutzler betrachten die Verteilung als einen speziellen Fall der Wertbildung, sondern auf demselben Standpunkt stehen auch die Marxisten. Die beiden konkurrierenden Werttheorien der Gegenwart - Grenznutzen- und Arbeitswerttheorie - sind sich in dieser Hinsicht einig.

Was die Grenznutzentheorie anbetrifft, so bedarf das keiner Rechtfertigung. Aber dasselbe gilt auch für die MARXsche Theorie. Denn MARX strebt nicht minder wie die Grenznutzler danach, sich der Phänomene der Verteilung mit Hilfe einer bestimmten Werttheorie zu bemächtigen, und gerade das hat MARX verhindert, eine wirklich wissenschaftliche, objektive Verteilungstheorie zu geben.

Die schwierigste Frage beim Verteilungsproblem für die Grenznutzentheorie ist die Erklärung des Profits. Der Wert der Güter höherer Ordnungen - der Produktionsmittel, des Kapitals - muß, nach dieser Theorie, durch den Wert der Güter der ersten Ordnung, der Konsumtionsmittel, bestimmt werden. Warum übersteigt aber der Wert des Produktes den Wert des gesamten bei seiner Produktion verausgabten Kapitals (Arbeitslohn inbegriffen)?

Eben dieser Wertzuwachs bildet den Profit, aber die Erklärung dieses Phänomens ist der genannten Schule trotz zahlreicher Versuche durchaus nicht gelungen. Der Arbeitslohn erklärt sich vom Standpunkt der Grenznutzentheorie ohne Schwierigkeit: ist doch die Arbeitskraft ein Gut höherer Ordnung, dessen Wert durch den Wert seines Produktes bestimmt werden muß. Ebenso stößt die Grenznutzentheorie auf keine Schwierigkeiten bei der Erklärung des Wertes des Kapitals (oder des Bodens). Aber der Profit muß dieser Theorie als etwas anormales erscheinen - als ein Phänomen, das im statischen Zustand der Gesellschaft keinen Platz finden kann. Zu diesem Schluß muß die Grenznutzentheorie kommen, und sie ist schon dazu gekommen in der Person eines ihrer besten Vertreter, JOSEPH SCHUMPETERs, der in seiner interessanten Schrift: "Das Wesen und der Hauptinhalt der theoretischen Nationalökonomie" (1908), die Unmöglichkeit des Bestehens des Kapitalprofits in einer statischen Gesellschaft als eine Art wissenschaftlicher Entdeckung proklamiert. Ein solches Resultat der fleißigen Untersuchung von SCHUMPETER ist in der Tat wichtig und lehrreich, als ein Zeichen des Beginns der richtigen Erkenntnis seitens der Grenznutzler, daß sie das Verteilungsproblem mit ihren Mitteln nicht bewältigen können.


II.

Als einen Gegensatz zur Verteilungstheorie der österreichisch-amerikanischen Schule hat man die MARXsche Verteilungstheorie zu betrachten. Den Kapitalprofit erklärt sie als eine Aneignung des durch den Arbeiter geschaffenen Mehrwerts durch den Kapitalisten. Indem die MARXsche Theorie die soziale Grundlage der arbeitslosen Einkommen berücksichtigt, und im Kapitalzins keine bloße Werterscheinung, sondern ein soziales Phänomen erblickt, das seine Wurzeln nicht in den individuellen Wertschätzungen, sondern in der Klassenzusammensetzung der kapitalistischen Gesellschaft hat, ist sie als soziale Verteilungstheorie zu betrachten und vom Fehler der Grenznutzentheorie, in den Verteilungsphänomenen nichts als Wert- oder Preisphänomene zu sehen, frei. Aber auch die MARXsche Verteilungstheorie leidet an der ungenügenden Unterscheidung der Wertform der Verteilungsphänomene von ihrem sozialen Inhalt. Dieser Mangel an Unterscheidung hat viele Fehlgriffe von MARX auf dem Gebiet der Profittheorie verursacht (es genügt auf die bekannte MARXsche Entdeckung des vermeintlichen "Gesetzes des tendenziellen Fallens der Profitrate" hinzuweisen, das MARX als eines der fundamentalsten Gesetze der Entwicklung des kapitalistischen Systems betrachtete; in Wirklichkeit ist dieses Gesetz aber nichts anderes als ein falscher Schluß von MARX aus der Arbeitswerttheorie). Am meisten hat MARX die Verwechslung der Wertform und des sozialen INhalts der Verteilungsphänomene auf dem Gebiet der Arbeitslohntheorie geschadet. Was MARX hier geleistet hat, ist fast ebenso schwach, wie die Leistung der Grenznutzenschule auf dem Gebiet der Profittheorie.

MARX wie die Grenznutzler betrachten die Arbeitskraft als eine Ware wie alle anderen und den Arbeitslohn als den Wert (Preis) der Ware - Arbeitskraft. Die Grenznutzenschule kann von ihrem Standpunkt eine erschöpfende Theorie des Arbeitslohns nicht geben, da sie von der sozialen Grundlage des Arbeitslohnes abstrahiert. Trotzdem kann sie viel Richtiges über den Arbeitslohn sagen: die Lohnhöhe hängt, nach Auffassung der Theoretiker dieser Schule, vom Produkt, das der Arbeiter produziert, ab. Zwar ist es, wie wir unten sehen werden, nicht die ganze Wahrheit, aber doch ein großer Teil der Wahrheit. Es ist von vornherein klar, daß der Arbeiter in keinem Fall mehr erhalten kann als sein Arbeitsprodukt; andererseits muß man gestehen, daß die Erhöhung der Arbeitsproduktivität eine steigende Tendenz der Löhne erzeugt.

Dagegen bildet für die MARXsche Theorie gerade der Arbeitslohn das schwierigste Problem. Denn nach der MARXschen Werttheorie ist der Wert jeder Ware nichts anderes als ein in ihr kristallisiertes Quantum gesellschaftlich notwendiger Arbeitszeit. Welchen Wert aber hat die Arbeit selbst? Wieviel Arbeitsstunden sind in einer Arbeitsstunde enthalten? Offenbar eben diese Arbeitstunde. Mit anderen Worten: die Frage über den Wert der Arbeit hat vom Standpunkt der Theorie von MARX gar keinen Sinn.

Das versteht MARX sehr gut und will die Schwierigkeit mit seiner üblichen Gewandtheit umgehen. Zwar erkennt er vollkommen an, daß die Arbeit nach seiner Theorie keinen Wert haben kann. Aber im Arbeitslohn, sagt er, kommt nicht der Wert der Arbeit zum Ausdruck, sondern der Wert der Arbeitskraft. Durch diese Unterscheidung, (der übrigens keine ernste logische Bedeutung beizumessen ist), glaubt MARX das genannte Hindernis überwinden und eine Theorie des Arbeitslohns auf der Grundlage seiner Arbeitswerttheorie möglich machen zu können.

Die Arbeitskraft sei eine Ware wie jede andere, und als solche besitze sie einen Wert, der durch die zu ihrer Herstellung notwendige gesellschaftliche Arbeitszeit bestimmt wird. Was sind aber die Herstellungskosten der Arbeitskraft? Nichts anderes, als die Subsistenzmittel des Arbeiters. Und so kommt MARX zu seiner Arbeitslohntheorie, die mit der Theorie der klassischen Schule beinahe zusammenfällt - der Theorie, nach der das Minimum der Subsistenzmittel, die unentbehrlich sind, damit der Arbeitsmarkt mit einer genügenden Masse Arbeit versorgt wird, die Höhe des Arbeitslohnes festsetzt. In dem berühmten "ehernen Lohngesetz" von LASSALLE hat diese Theorie den krassesten Ausdruck gefunden.

Zwar haben die meisten Vertreter dieser Theorie das Minimum der Subsistenzmittel nicht in dem Sinne verstanden, als ob der Arbeiter etwa auf der Grenze des Hungertodes stehen müsse. Nicht das physiologische, sondern das Kulturminimum kann man dabei im Auge haben. RICARDO z. B. verneinte bei weitem nicht die Verschiedenheit dieses Minimums in verschiedenen Ländern im Hinblick auf die verschiedenen Kulturansprüche der Arbeiter in diesen Ländern. Auch erkannte er die Möglichkeit einer Hebung des  Standards of life  des Arbeiters n infolge des Kulturfortschritts der Gesellschaft. Das Minimum der Subsistenzmittel, nach dem der Arbeitslohn gravitieren müsse, da dasselbe den Wert der Ware Arbeitskraft darstellt, ist also nichts Starres und Unbewegliches, sondern etwas, was sich mit den Veränderungen der Kulturbedingungen des gesellschaftlichen Lebens verändern kann.

Diese Fassung der "Standard-of-life-Theorie" ist heute die herrschende bei den Marxisten, da die Tatsache der Hebung der Lebensbedingungen der arbeitenden Klassen im letzten halben Jahrhundert zu offenkundig ist, um geleugnet zu werden. Aber man kann nicht behaupten, daß MARX selbst immer in diesem Sinn das "eherne Lohngesetz" verstanden hat. Er äußerte sich zu dieser Frage in seinen verschiedenen Schriften zu verschiedenen Zeiten durchaus nicht identisch und schwankte offenbar zwischen den zwei genannten Deutungen der Doktrin vom Standard-of-life, wobei seine vorherrschende Ansicht die war, daß er das Minimum der Subsistenzmittel als physiologisches Minimum auffaßte. Jede unbefangene Kritik muß zugeben, daß MARX nicht nur kein Gegner der Verelendungstheorie (in ihrer krassesten Form) war, sondern vielmehr dieser fast immer huldigte, und nur hier und da finden wir in den Schriften von MARX Stellen, die einen anderen Geist atmen.

Nun sind beide Deutungen der Theorie des Minimums der Subsistenzmittel von keinem wissenschaftlichen Wert. Was die erstere, die physiologische Deutung anbetrifft, so befindet sie sich im schroffen Gegensatz zu den realen Tatsachen des gesellschaftlichen Lebens. Wäre sie richtig, so müßte der Arbeitslohn in allen Ländern beinahe derselbe sein, da das physiologische Minimum der Subsistenzmittel in allen Ländern sich nur wenig unterscheiden kann. Aber jedermann weiß, daß durchschnittliche Löhne in verschiedenen Ländern höchst verschieden sind, daß sie in Amerika z. B. viel höher sind als in Europa, in Europa in England höher als in Deutschland und in Deutschland höher als in Rußland. Die Hebung der durchschnittlichen Löhne ist auch mit dieser Theorie unvereinbar. Darum zählt heute die erstere Deutung, der MARX meistenteils huldigte, fast keine Anhänger. Aber auch die feinere Deutung ist durchaus unfähig, die wahren Ursachen der Lohnhöhe aufzudecken. Zwar widerspricht sie den realen Tatsachen nicht, aber das wird nur durch die völlige Absage dieser Theorie an irgendeinen bestimmten logischen Inhalt erreicht. Bei ihrem Mangel an Inhalt kann sie nicht den Tatsachen widersprechen.

Was besagt eigentlich die Standard-of-life-Theorie, falls wir annehmen, daß Standard-of-life keine starre Größe ist, sondern daß sie sich mit dem Fortschritt der Kultur verändert? Es gilt, die Faktoren, welche die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse bestimmen, festzustellen. Und was für eine Antwort gibt die genannte Theorie auf diese Frage? Sie behauptet, daß die Lebensbedingungen der Arbeiter, ihr realer Lohn, durch ihren Standard-of-life bestimmt wird, also durch - ihre gewöhnlichen Lebensbedingungen. Ist das nicht eine platte Tautologie?

Die genannte Theorie ist schuld an einer vollkommenen Verdrehung des wirlichen Ursachenzusammenhangs. Sie erblickt im Arbeitslohn eine Folge der Lebensbedingungen des Arbeiters; nun aber sind in Wirklichkeit die Lebensbedingungen des Arbeiters eine Folge des von ihm erhaltenen Lohnes. Warum ist der Lohn des englischen Arbeiters um soviel höher als der des russischen? Darum - antwortet die Theorie - weil der englische Arbeiter sich in besseren Arbeitsbedingungen befindet, Fleisch ißt, Tee trinkt, in einer guten Wohnung wohnt, gute Kleider trägt, während der russische Arbeiter schlecht ernährt, schlecht gekleidet ist usw.; der höhere Lohn des englischen Arbeiters muß die höhere Lebenshaltung bezahlen. Ist es aber nicht klar, daß der wirkliche Ursachenzusammenhang der umgekehrte ist? Nicht deshalb erhält der englische Arbeiter einen hohen Lohn, weil er eine gute Wohnung hat und gut ißt, sondern er kann gut essen, weil er einen hohen Lohn erhält. Es hat eine Zeit gegeben, wo der englische Arbeiter auch nicht in besseren Lebensbedingungen existierte als gegenwärtig der russische Arbeiter und sich mit Kartoffeln ernährte, und wenn seine Lebenshaltung seitdem so gestiegen ist, so ist das eine Folge des Steigens seines Lohnes. Das Steigen der Lebenshaltung des Arbeiters ist eine Folge des Steigens seines Lohnes, und nicht umgekehrt das Steigens des Arbeitslohnes eine Folge des Steigens der Lebenshaltung des Arbeiters. Denn es ist für den Arbeiter unmöglich, seine Lebenshaltung zu heben, falls sein Lohn keine Erhöhung erfährt.

Ebenso ist es klar, warum die Kulturansprüche eines russischen Arbeiters so niedrig sind und er sich mit so elenden Daseinsbedingungen begnügt: weil er so niedrigen Lohn erhält, kann er das Leben seines englischen oder deutschen Genossen nicht führen, so hoch er auch die Vorteile eins Kulturlebens schätzen mag.

Als Schlußergebnis kommen wir zu der Feststellung der völligen Unhaltbarkeit der MARXschen Arbeitslohntheore. Der Arbeitslohn ist ebensowenig durch die Arbeitswerttheorie zu erklären, wie der Kapitalprofit durch die Grenznutzentheorie.

Beide konkurrierenden Werttheorien versagen, sobald sie die Phänomene der Verteilung als Wertphänomene begreifen wollen. Und die Ursache dieses Mißerfolgs liegt in der Natur der Sache selbst.

Die Arbeitswerttheorie nämlich, nicht minder wie die Grenznutzentheorie, beruth auf der Abstraktion von der sozialen Ungleichheit der Personen, zwischen denen ein Wertverhältnis entsteht. Die soziale Gleichheit der Kontrahenten eines Tauschaktes ist eine notwendige Vorbedingung, damit die Werte der ausgetauschten Waren mit den in ihnen kristallisierten Arbeitsmengen zusammenfallen. Ist aber eine Partei in diesem Tauschakt als sozial stärkere zu betrachten, so muß das auch im Austauschverhältnis der Waren seinen Ausdruck finden und den Austausch nach Arbeitswerten unmöglich machen.

Die gesamte logische Konstruktion der MARXschen Werttheorie beruth auf dem Vordersatz der sozialen Gleichheit der ihre Waren austauschenden Personen. Und man kann gegen diesen Satz von rein methodologischer Seite nichts einwenden, solange er von wirklichen Warenwerten handelt. MARX geht in seiner Untersuchung von der Voraussetzung eines entwickelten kapitalistischen Systems aus. In diesem System werden alle Waren kapitalistisch hergestellt, und es gibt keinen Grund den Kapitalisten sozial stärker als den anderen anzunehmen. Der Rock wie die Leinwand werden im bekannten MARXschen Beispiel kapitalistisch produziert; die Verkäufer dieser beiden Waren sind Kapitalisten, gehören derselben gesellschaftlichen Klasse an, und wir haben keinen Anlaß, den Verkäufer der Ware  Röcke  oder den Verkäufer der Ware  Leinwand  als als sozial stärker oder schwächer anzunehmen. Sind sie aber sozial gleich, so wird das Austauschverhältnis ihrer Waren durch die Herstellungskosten bedingt, denn ist das nicht der Fall, so wird eine Partei im Austauschakt mehr gewinnen als die andere, und das muß zur Übertragung des Kapitals in gewinnbringendere Produktionszweige führen. Das Gesetz der gleichen Profitrate ist die Grundlage der gesamten MARXschen Konstruktion; die Gleichheit der Profitrate setzt aber voraus, daß verschiedene Kapitalisten gleich frei sind in der Anlegung ihrer Kapitalien.

So liegt die tiefere Ursache der Mangelhaftigkeit der MARX'schen Lohntheorie eben darin, daß er diese Theorie als einen speziellen Fall seiner allgemeinen Werttheorie konstruieren wollte. Nicht in einem solchen Grad, aber doch sehr erheblich hat aus demselben Grund auch seine Profittheorie gelitten.

Zuerst fällt es in die Augen, daß die ganze Konstruktion der MARXschen Profittheorie einen individualistischen Charakter hat. Wie verfährt er in jenen berühmten Kapiteln seines "Kapitals" wo er seine Mehrwerttheorie zuerst entwickelt hat? Er untersucht die Profitbildung in einer Baumwollspinnerei, also in einer einzigen kapitalistischen Unternehmung. Seine Fragestellung ist gerade dieselbe wie bei BÖHM-BAWERK: Warum übersteigt der Wert des Baumwollgarns, das in einer Fabrik gesponnen wird, den Wert des gesamten dazu verausgabten Kapitals? Das Profitproblem ist auch für MARX vor allem ein Wertproblem.

Und in der Tat, stellen wir uns, wie MARX, auf den Standpunkt eines einzelnen Unternehmers, so muß der Profit als ein Wertphänomen erscheinen. Denn die Elemente der Auslagen in einer einzelnen Fabrik und das in ihr produzierte Produkt sind materiell inkommensurabel und lassen nur als Werte einen Vergleich zu. Darum kommt MARX ganz konsequent von seinem individualistischen Ausgangspunkt - dem eines einzelnen kapitalistischen Unternehmers - zur Anerkennung des Profitproblems als einem Wertproblem. So wird seine Werttheorie zur Grundlage seines ganzen ökonomischen Systems.

Aber dieses Resultat ist nur eine Folge des individualistischen Ausgangspunkts der MARXschen Untersuchung. Stellen wir uns auf den Standpunkt der gesellschaftlichen Wirtschaft als Ganzes, so verschwindet die Notwendigkeit, den kapitalistischen Profit als ein Wertphänomen anzusehen. Zwar sind in einer einzelnen Fabrik die Produktionselemente Dinge ganz anderer Natur, als das Produkt -, Kohle, Maschinen, Konsumtionsmittel der Arbeiter sind in einer Baumwollspinnerei ganz andere materielle Dinge als Baumwollgespinnst. Aber indem wir die gesamte gesellschaftliche Wirtschaft ins Auge fassen, verschwindet dieser Unterschied. Die Gesellschaft verwendet und erzeugt im großen und ganzen dieselben materiellen Dinge. Sie verwendet Eisen, Kohlen, Holz, Konsumgegenstände usw. und erzeugt eben dieselben Eisen, Kohlen, Holz, Konsumgegenstände usw.

Die Profitbildung kommt, vom Standpunkt des Ganzen der Gesellschaft, nicht darin zum Ausdruck, daß ein Wertzuwachs in den Händen der Kapitalisten da ist, sondern im Übergang eines Teils des gesellschaftlichen Produktes in den Besitz der Kapitalistenklasse. Das Rätsel der Steigerung des Wertes des Kapitals im Prozeß der kapitalistischen Produktion, das vom individualistischen Standpunkt so schwer aufzulösen ist, erscheint in einem ganz anderen Licht, wenn wir uns auf einen sozialen Standpunkt stellen.

Der Wertzuwachs des Kapitals ist von diesem Standpunkt aus eine notwendige Folge der sozialen Erscheinung, daß ein Teil des gesellschaftlichen Produktes in den Besitz der Kapitalistenklasse übergeht. Für die Möglichkeit eines solchen Übergangs sind offenbar zwei Vorbedingungen nötig. Zuerst muß ein Überschuß an Produkten da sein; es müssen mehr Produkte in einer Gesellschaft erzeugt werden als es für die Erhaltung der gesellschaftlichen Produktion nötig ist. Der Mehrwert ist offenbar eine Folge des Mehrproduktes. Zweitens, es müssen soziale Bedingungen da sein, die dieses Mehrprodukt in den Besitz der Kapitalistenklasse überführen.

So muß die soziale Theorie der Verteilung bei der Erklärung des Profitproblems verfahren; sie darf sich aber nicht auf den Standpunkt des einzelnen Kapitalisten stellen und im Profit eine Werterscheinung erblicken, wie es MARX tut.

Die Absicht liegt mir fern, die Verdienste von MARX auf dem Gebiet der ökonomischen Wissenschaft zu leugnen. Seine epochale Leistung bestand gerade darin, daß er im "Kapital" soziale Prozesse, die hinter den ökonomischen Phänomenen der kapitalistischen Welt stecken, so meisterhaft analysiert hat. Aber MARX konnte sich nicht von der individualistischen Schale lösen, - und diese kommt zum Ausdruck gerade in den fundamentalen Zügen seines ganzen Systems, dem Streben, die Verteilungstheorie auf der Grundlage einer Werttheorie aufzubauen. Das hat MARX in zwei Hinsichten geschadet. Einmal hat es ihn verhindert, eine wirklich wissenschaftliche Werttheorie zu geben. Ist doch die MARXsche Werttheorie eben deshalb so einseitig und künstlich konstruiert, weil sie Ziele verfolgt, welche außerhalb der Kompetenz einer richtigen Werttheorie liegen. Sie soll nämlich die Grundlage der sozialen Theorie der Verteilung werden, während eine wirklich wissenschaftliche Theorie des wirtschaftlichen Wertes ganz anderen Zwecken dienen muß: vor allem der Erklärung der Ursachen der Verschiedenheit der Warenpreise.

Sodann hat die Verbindung mit der Werttheorie auch soziale Gedanken der MARXschen Verteilungstheorie mit individualistischen Zügen durchsetzt. Indem MARX das Verteilungsphänomen als Wertphänomen auffaßte, stand er auf demselben wissenschaftlichen Boden wie seine späteren Gegner: die Vertreter der Grenznutzenschule.

Beide Richtungen der heutigen ökonomischen Wissenschaft haben sich also gleich unfähig erwiesen, das Verteilungsproblem zu lösen - und aus demselben Grund.  Die Verteilungsphänomene sind, nach ihrer innersten Natur, keine Wertphänomene, obwohl sie in Wertform erscheinen.  Dieser Satz sollte die Grundlage einer wirklich wissenschaftlichen sozialen Theorie der Verteilung werden.


Drittes Kapitel
Die Grundrente vom Standpunkt der
sozialen Theorie der Verteilung


I.

Arbeitslohn, Profit und Grundrente bilden die Gesamtheit der Einkommen innerhalb des kapitalistischen Systems. Aber die Grundrente spielt darin eine eigentümliche Rolle. Zwar ist sie sozialen Ursprungs wie die beiden anderen Einkommensarten, aber in einem anderen Sinn. Die soziale Quelle der Grundrente kommt dadurch zum Ausdruck, daß sie eine besondere Art des arbeitslosen Einkommens, eine Folge des Großgrundbesitzes, ist. Das Privateigentum an Grund und Boden schafft ansich nicht diese Art arbeitslosen Einkommens: bearbeiten die Grundbesitzer ihren Boden mit ihren eigenen Händen, wirtschaften sie nicht kapitalistisch, so hat ihr Einkommen einen Arbeitscharakter und nimmt nicht die Form der Grundrente an. Ist doch das Bauerneinkommen keine arbeitslose Grundrente.

Nur indem der Grundbesitz einen solchen Umfang erhält, daß der Bezug eines arbeitslosen Einkommens für den Grundbesitzer möglich ist, entsteht die Grundrente. Die Grundrente setzt nicht notwendig die kapitalistische Produktionsweise voraus: der landwirtschaftliche Betrieb kann klein sein und keinen kapitalistischen Charakter haben, aber falls landwirtschaftliche Produzenten des Bodens beraubt sind und auf fremden Boden, als Pächter, wirtschaften, entsteht die Grundrente als das arbeitslose Einkommen der Grundbesitzer, deren Boden den kleinen Produzenten verpachtet wird.

Der soziale Ursprung der Grundrente ist also ganz klar: er besteht in der Aneignung des größeren oder kleineren Teils des nationalen Territoriums durch die soziale Klasse der Großgrundbesitzer. Und zwar ist diese Aneignung, wie die Geschichte zeigt, nicht auf ökonomischen, sondern auf politischem Boden entstanden: Könige, Herzöge, Fürsten, Adel, Geistlichkeit werden Großgrundbesitzer, indem sie ihre politische und soziale Überlegenheit dazu benutzten, um den Boden dem Besitz der sie bearbeitenden kleinen Produzenten zu entziehen und den Boden samt den Produzenten in ihr Eigentum zu verwandeln. So entsteht der Großgrundbesitz, auf krasser politischer Gewalt beruhend, und in einer solchen Eigenschaft erscheint die Grundrente als eine soziale, historische Kategorie des modernen Wirtschaftssystems par excellence.

Aber dieser gewaltsame Ursprung des Großgrundbesitzes bestimmt nicht im mindesten den ökonomischen Charakter der Grundrente in der heutigen Wirtschaft. Die Höhe der Grundrente wird nicht durch den sozialen Kampf der gesellschaftlichen Klassen bestimmt, sondern durch Gesetze ganz anderer Art. Die RICARDOsche Theorie dier differenziellen Grundrente (wie sie RODBERTUS treffend bezeichnet hat) hat diese Gesetze endgültig festgestellt.

Die Höhe der Grundrente hängt nämlich nach der RICARDOschen Theorie von bestimmten Naturbedingungen der landwirtschaftlichen Produktion ab. Die geographische Lage des betreffenden Bodenstücks (seine Entfernung vom Absatzmarkt), die Intensität der Bebauung und natürliche Verschiedenheit der Fruchtbarkeit der verschiedenen Bodenstücke - diese äußeren Bedingungen bestimmen die Höhe der Grundrente, die von sozialen Machtverhältnissen also in einem gewissen Sinn unabhängig ist.

Zwar kann der soziale Klassenkampf auf die Höhe der Grundrente eine große Wirkung ausüben; aber nur indem neue Bedingungen der landwirtschaftlichen Produktion geschaffen werden. Der Kampf um die Grundrente spielt eine sehr große Rolle in der politischen Geschichte unserer Zeit. Es genügt, auf die Getreidezölle und die damit verbundene agrarische Bewegung in vielen europäischen Ländern hinzuweisen. Getreidezölle können gewiß den größten Einfluß auf die Höhe der nationalen Grundrente haben: indem die Getreidezölle die Konkurrenz des ausländischen Getreides mit dem einheimischen beschränken, vermehren sie die Nachfrage nach den Produkten der nationalen Getreideproduktioin und rufen auf diese Weise eine intensivere Ausnutzung der nationalen landwirtschaftlichen Bodenfläche hervor, was die Steigerung der Grundrente zur Folge haben muß.

Aber hier wird die Höhe der Grundrente nur auf indirektem Weg durch einen sozialen Klassenkampf beeinflußt. Eine direkte Wirkung übt der Klassenkampf auf die Grundrente nie aus, weil in der Bodenrente eben die Abhängigkeit der menschlichen Wirtschaft von der äußeren Natur zum Ausdruck kommt.

Auf dem Gebiet der Bodenverhältnisse sehen wir die Bedeutung der außersozialen Mächte, der äußeren Natur für die gesellschaftliche Wirtschaft. Insofern der Mensch in seiner wirtschaftlichen Tätigkeit der äußeren, durch seine eigene Arbeit ungeänderten Natur gegenübersteht, ist seine Tätigkeit den natürlichen Bedingungen seiner Arbeit unterworfen; aber diese natürlichen Bedingungen der wirtschaftlichen Arbeit in verschiedenen Produktionssphären sind höchst verschieden. Die Unterschiede der natürlichen Produktionsbedingungen führen zu Unterschieden in der Arbeitsproduktivität; wo natürliche Produktionsbedingungen günstiger sind, da wird die Arbeit produktiver - und umgekehrt.

Nun müssen diese Unterschiede der Arbeitsproduktivität zu den Unterschieden in den Einkommen führen: im Bereich der größeren Arbeitsproduktivität schafft die Arbeit größere Produktmassen und überschüssige Einkommen im Vergleich mit den Punkten geringerer Produktivität.

So entsteht auf einer Grundlage der Unterschiede der natürlichen Bedingungen der landwirtschaftlichen Produktion die Grundrente, deren Höhe von diesen Unterschieden abhängig und in keinem direkten Zusammenhang von sozialen Machtverhältnissen innerhalb der Gesellschaft ist.

Es ist also methodologisch ganz richtig, die Grundrente als etwas außerhalb des Prozesses der sozialen Verteilung zu betrachten, und von derselben in der Untersuchung dieses Prozesses zu abstrahieren. Die Grundrente ist ihre eigenen Gesetzen unterworfen, und diese Gesetze stehen in einem gewissen Sinne außerhalb des sozialen Kampfes. Die Grundherren brauchen nicht im mindesten ihre Macht zu entfalten, um ihren Teil des gesellschaftlichen Produkts zu erhalten. Daraus folgt die besondere Sicherheit des aus dem Grundbesitz stammenden Einkommens. Kein Einkommen erfordert so wenig Mühe, um erhalten zu werden, und keins besitzt in gleichem Maß die Fähigkeit sich ohne irgendeine Teilnahme ihres Erhalters zu verändern mit der Veränderung der allgemeinen Wirtschaftsbedingungen der Gesellschaft.
LITERATUR Michael Tugan-Baranowsky, Soziale Theorie der Verteilung, Annalen für soziale Politik und Gesetzgebung, Bd. 2, Heft 5 und 6, Berlin 1913
    Anmerkungen
    1) J. B. CLARK, The Distribution of Wealth, 1899, Seite 24
    2) Letters of David Ricardo to John Ramsay Macculloch, 1895, Seite 72