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Immanuel Kants Erkenntnistheorie [nach ihren Grundprinzipien analysiert] [ 3 / 4 ]
Zweiter Abschnitt Kants exklusiver Subjektivismus 1. Kants Verwechslung der erkenntnistheoretischen Kluft zwischen Vorstellen und Ding-ansich mit der metaphysischen. Die erkenntnistheoretische Kluft zwischen Vorstellen und Ding-ansich darf nicht mit der metaphysischen verwechselt werden. Wer die Unerkennbarkeit des Dings-ansich behauptet, muß sich hüten, in die metaphysische Behauptung hinüberzugleiten, daß unser Vorstellen mit dem Ding-ansich nichts gemein hat, die Beschaffenheit beider Gebiete eine absolut entgegengesetzte ist. Auf beiden Standpunkten gilt der Satz: wir dürfen unsere Vorstellungen in keiner Weise auf das Ding-ansich anwenden. In der Auffassung und Begründung dieses Satzes jedoch gehen sie weit auseinander. Der erste Standpunkt hält daran fest, daß sich beide Gebiete in absolut heterogener Weise zum Erkennen verhalten, daß die Kluft zwischen dem Vorstellen und dem transsubjektiven Gebiet für das Erkennen unüberwindbar ist. Der zweite dagegen behauptet, daß die Beschaffenheit beider Gebiete ansich eine absolut heterogene ist, indem das Ding-ansich die Beschaffenheit des Vorstellens in keiner Beziehung besitzt. So leugnet also der zweite Standpunkt die Möglichkeit jedes positiven Wissens vom Ding-ansich darum, weil er ein ganz bestimmtes negatives Wissen vom Ding ansich zu besitzen vorgibt. Diese Unterscheidung ist keine unfruchtbare Subtilität [Spitzfindigkeit - wp], sondern es handelt sich dabei um die beiden grundverschiedenen Weltanschauungen des absoluten Skeptizismus und der allerschroffsten Gestaltung des metaphysischen Dualismus. Bei KANT finden sich diese beiden Standpunkte durchgehend verwechselt. Wenn er von der Unerkennbarkeit des Dings-ansich spricht, so schiebt sich ihm unwillkürlich der Gedanke unter, daß die Unerkennbarkeit darin liegt, daß das Ding-ansich absolut anders beschaffen ist als unsere Vorstellungen. Damit verträgt sich bei ihm ganz wohl der Gedanke des absoluten Skeptizismus: die Unerkennbarkeit des Dings-ansich habe darin ihren Grund, weil wir über unser Vorstellen in keiner Weise theoretisch hinausgreifen können. Der erste Abschnitt zeigte, daß dieses Prinzip bei KANT in Form einer mehr oder weniger dunklen, halbbewußten Triebfeder wirkt. Eben deswegen kommt er nie dazu, aus diesem Prinzip ausdrücklich die scharfe Konsequenz zu ziehen, daß wir auch nichts Negatives vom Ding-ansich wissen können. - Ehe wir nun genauer nach den Gründen fragen, wodurch bei KANT eine solche Verwechslung möglich wurde, wollen wir diese aus seiner Philosophie belegen. In der transzendentalen Ästhetik kommt KANT zu dem Resultat, daß der Raum (und dasselbe gilt von der Zeit) keine Bestimmung der Dinge ansich darstellt, sondern daß er Nichts ist, sobald wir die subjektiven Bedingungen der Sinne aufheben, daß er also "nur in uns existieren kann" (Kr. d. r. V. 36f, 49). Er behauptet also nicht etwa nur, daß wir den Raum lediglich als unsere apriorische Vorstellung kennen und immer nur als solche zu kennen in der Lage sein werden, und daß es daher fraglich bleibt, ob dem Ding-ansich die Form des Raums zukomt; sondern er behauptet geradezu die exklusive Subjektivität des Raums, das Nichtgelten desselben vom Ding-ansich. Es ist ihm ganz selbstverständlich, daß dem Ding-ansich nichts zur sinnlichen Anschauung Gehöriges zukommt (Kr. d. r. V., B 744), daß es demnach "weder ausgedehnt, noch undurchdringlich, noch zusammengesetzt" ist (Kr. d. r. V. A, 288). Die transzendentale Ästhetik spricht dieses exklusiv subjektivistische Resultat ganz plötzlich, ohne jede Vermittlung und Begründung, aus. In den vorangehenden Bestimmungen vom Raum ist von der exklusiven Subjektivität absolut nichts enthalten. Zunächst hören wir, daß der Raum kein empirischer, von äußeren Erfahrungen abgezogener Begriff, sondern eine die äußere Erfahrung selbst er möglich machende Vorstellung ist (Kr. d. r. V. 34f). Hiermit ist gesagt, daß der Raum, insofern er unsere Vorstellung ist, aus dem Subjekt stammt; keineswegs, daß es überhaupt keinen Raum außerhalb des Subjekts geben kann. Ganz dasselbe liegt in den beiden weiteren Bestimmungen, daß der Raum eine "notwendige Vorstellung a priori" und daß er eine "Anschauung a priori" ist (Kr. d. r. V. 34f). Und ebensowenig wie die "metaphysische", enthält die nun folgende "transzendentale" Erörterung des Raumbegriffs einen Beweis für die ausschließlich subjektive Existenzform des Raumes. In diesem Abschnitt findet KANT, daß der Raum de "Form des äußeren Sinns" ist. Damit ist aber noch keineswegs, wie COHEN glaubt, nachgewiesen, daß der Raum nur subjektiv ist. Dieser KANT-Forscher macht einen übereilten Schluß, wenn er meint, daß darum, weil das kantische Apriori als formale Beschaffenheit des Subjekts die Objekte "erzeugt", "konstruiert", die Subjektivität des Raums eine ausschließende sein muß (1). Denn wenn auch der Raum, in welchem uns die Objekte erscheinen, durch die formale Beschaffenheit des Subjekts "konstruiert" ist, warum soll es nicht zugleich eine den Dingen ansich anhaftende Form des Raums geben? Mit all diesen Bestimmungen ist also nur gesagt, daß die Vorstellung des Raumes nicht von außen in das Subjekt hinein gelangt, sondern aus dem Subjekt selbst herstammt. Dagegen ist damit noch gar nicht entschieden, ob der Raum etwas für die Dinge-ansich bedeutet. Ja, KANT hätte konsequenterweise hinzusetzen müssen, daß sich dies niemals wird entscheiden lassen. Sagt er doch im unmittelbaren Zusammenhang mit jenen exklusiv subjektivistischen Bestimmungen, daß wir nur unsere eigentümliche Art, die Dinge wahrzunehmen, kennen, die Dinge ansich abeer uns "gänzlich unbekannt" bleiben (Kr. d. r. V. 49). Statt nun also zu sagen: es werde uns eben infolge dieses fundamentalen Satzes auch immer "gänzlich unbekannt" bleiben, ob die Dinge-ansich Räumlichkeit besitzen, geht er zu der bestimmten Behauptung weiter, daß die Dinge-ansich nichts an Räumlichkeit an sich haben. Und zwar geht er zu dieser Behauptung fort ohne das Bewußtsein, daß damit etwas ganz Neues, Unbewiesenes, oder gar etwas Unbeweisbars gesagt ist. Nachdem vorher die Raumvorstellung immer nur als apriorisch, als dem Subjekt ursprünglich bezeichnet ist, findet sich plötzlich gegen das Ende der transzendentalen Erörterung vor dem Ausdruck, welcher den subjektiven Ursprung der Raumanschauung bezeichnen soll, wie selbstverständlich das Wörtchen "bloß" ein. KANT erklärt hier die Raumanschauung für eine Form des äußeren Sinnes, und damit fällt ihm unmittelbar zusammen, daß sie bloß im "Subjekt" vorhanden ist (Kr. d. r. V., B 713). Gleich darauf, in den "Schlüssen", die er aus den beiden "Erörterungen" zieht, wird, wiederum ohne daß auch nur mit einem Wort dessen, daß hier ein neues Problem in Frage kommt, gedacht wird, die Räumlichkeit in der schon angeführten ausdrücklichen Weise dem Ding-ansich abgesprochen. - KANT bringt es also erstens nicht zum Bewußtsein, daß die Behauptung der Nichträumlichkeit des Dings-ansich der Behauptung seiner Unerkennbarkeit direkt ins Gesicht schlägt, daß er vielmehr konsequenterweise sagen müßte: die Räumlichkeit des Dings-ansich kann weder als notwendig, noch als unmöglich, ja auch weder als wahrscheinlich, noch als unwahrscheinlich jemals dargelegt werden. Wenn er nun aber einmal so inkonsequent war, über das Verhältnis des Dings-ansich zum Raum eine bestimmte, wenn auch nur negative Behauptung aufzustellen, so hätte er dann auch die verschiedenen Möglichkeiten, die sich in Bezug auf die Räumlichkeit für das Ding-ansich ergeben, gründlich untersuchen sollen, wobei er freilich das rationalistische Erkenntnisprinzip hätte anwenden müssen. Und da wäre vor Allem die Möglichkeit einer gründlichen Untersuchung zu unterziehen gewesen, ob der Raum dem Ding-ansich nicht gerade so ursprünglich zukommen kann wie dem Vorstellen selbst, ob also der ursprünglichen Raumfunktion des Subjekts nicht ein ebenso ursprünglicher objektiver Raum entsprechen könnte. Die Notwendigkeit einer solchen Untersuchung ist das Zweite, was KANT sich in der transzendentalen Ästhetik nicht zu Bewußtsein bringt, wiewohl diese Untersuchung, sobald er einmal das Verhältnis des Dings-ansich zum Raum zu bestimmen unternommen hat, dringend geboten war. Er behauptet aber vom Ding-ansich nicht nur die Unräumlichkeit (und Unzeitlichkeit), sondern auch, daß seine Beschaffenheit nichts von den Kategorien an sich trägt. So heißt es in den Prolegomena, daß die Kategorien nur dazu dienen, um Erscheinungen zu buchstabieren, daß sie aber "weiter hinaus willkürliche Verbindungen ohne objektive Realität" sind (Werke III, 76). Hiermit ist ausgesprochen, nicht nur etwa, daß wir niemals wissen können, ob die Kategorien vom Ding-ansich gelten, sondern vielmehr, daß sie, objektiv betrachtet, für dasselbe keine Geltung haben. Und mit derselben Bestimmtheit sagen dies manch andere Stellen: beim Noumenon höre alle Bedeutung der Kategorien völlig auf (Kr. d. r. V., B 784), ohne Data der Erfahrung haben sie keine objektive Gültigkeit (ebd. 199), ohne Anschauung gebe es nichts, noch könne es etwas geben, worauf die Kategorien angewandt werden können (Kr. d. r. V., B 742), usw. Doch ist zu bemerken, daß KANTs Ausdrücke über diesen Punkt meist so gehalten sind, daß man sie sowohl im Sinn eines absoluten Skeptizismus, als auch im Sinn eines exklusiven Subjektivismus deuten kann. So sagt er z. B., daß die Kategorien ohne sinnliche Anschauung "leere Begriffe von Objekten sind, von denen, ob sie nur einmal möglich sind oder nicht, wir durch jene gar nicht urteilen können", daß sie also "bloße Gedankenformen ohne objektive Realität" sind (Kr. d. r. V., B 744). Die letzten Worte scheinen das objektive Vorhandensein der Kategorienformen im Gebiet des Dings-ansich auf das Bestimmteste zu verneinen; dagegen wird ihnen durch die vorangehenden Worte, wonach wir es nicht entscheiden können, ob ihnen etwas objektiv Wirkliches entspricht, der Anschein verliehen, als ob sie nur für uns, für unser Erkennen und Wissen, niemals vom Ding-ansich Geltung gewinnen würden, dagegen ansich, abgesehen von unserem Wissen, sie ganz wohl besitzen könnten. In KANTs Denken ist es ben zu keiner klaren Scheidung beider Standpunkte gekommen. Das Prinzip des exklusiven Subjektivismus gehört nicht zu den reinen, fundamentalen Erkenntnisprinzipien, wie etwa der Grundsatz des absoluten Skeptizismus. Vielmehr sind in ihm zwei fundamentale Erkenntnisprinzipien in eigentümlicher Weise verbunden. Erstens nämlich ist in dem Satz, daß Vorstellen und Ding-ansich eine absolut heterogene Beschaffenheit haben, der absolute Skeptizismus als wesentliches Moment enthalten. Denn dieser Satz verbietet uns, unser Vorstellen irgendwie auf das transsubjektive Gebiet anzuwenden. Zweitens aber enthält derselbe zugleich einen rationalistischen Faktor (2) in sich. Denn es findet sich in ihm die Erkenntnis ausdrücklich ausgesprochen, daß das Ding-ansich an bestimmten Beschaffenheiten keinen Teil hat. Genauer verhält sich die Sache so: Der exklusive Subjektivismus erklärt: weil wir es als logisch unmöglich denken müssen, daß das transsubjektive Gebiet irgendeine Beschaffenheit des Vorstellens an sich trägt, darum sind auch beide Gebiete in Wirklichkeit absolut heterogen. Man sieht: dieser Standpunkt beruth darauf, daß die Notwendigkeit des Denkens unmittelbar die Notwendigkeit des Seins anzeigt. Ihm liegt sonach das rationalistische Erkenntnisprinzip als bestimmender Faktor zugrunden. - Nun haben wir unsere Aufmerksamkeit auf den Inhalt jenes Denknotwendigen, das zugleich die Seinsnotwendigkeit in sich enthält. Dieser Inhalt lautet: "Bedeutungslosigkeit des sämtlichen Vorstellens und seines Inhaltes für das Ding-ansich." Da nun auch das Bewußtsein der Denknotwendigkeit und ihrer Bedeutung selbstverständlich zum Vorstellen gehört, so wird durch die Beschaffenheit des Inhalts jener Denknotwendigkeit eben diese selbst für völlig bedeutungslos und nichtig erklärt. Der Inhalt: "Bedeutungslosigkeit allen Vorstellens für das transsubjektive Gebiet" darf demnach nicht, wie der exklusive Skeptizismus tut, zum Inhalt der objektiv genommenen Denknotwendigkeit, zum Inhalt eines rationalistischen Erkenntnisprinzips gemacht werden. Die Voraussetzung, daß alles zum Vorstellen Gehörige für das Ding-ansich ohne irgendeine Geltung ist, macht es absolut unmöglich, irgendeine Übereinstimmung zwischen Denken und Ding-ansich - mag diese sich auch auf eine im Ding-ansich vorhandene Unmöglichkeit beziehen - zu behaupten. Wenn die Bedeutungslosigkeit alles zum Vorstellen Gehörigen für das Ding-ansich einmal aufrecht erhalten werden soll, so läßt sie sich nur als Konsequenz des absolut skeptischen Prinzips, als Konsequenz des Satzes, daß das Vorstellen in keiner Weise theoretisch über sich hinausgreifen kann, aufrecht erhalten. Wer da ausspricht, daß das Vorstellen in keiner Weise auf das Ding-ansich angewendet werden darf, bekennt sich in Wahrheit zu einer unmittelbaren Konsequenz des absolut skeptischen Erkenntnisprinzips, und nur mittels einer contradictio in adjecto [Widerspruch in sich - wp] ist es möglich, jenem Satz eine Wendung im Sinne des Rationalismus zu geben. Der exklusive Subjektivismus ist sonach eine widerspruchsvolle Verbindung des absoluten Skeptizismus und des Rationalismus. Er entspringt daraus, daß das absolut skeptische Prinzip in den Dienst des rationalistischen Prinzips hineingezwungen wird. - Daß nun diese rationalistische Mißdeutung gerade bei KANT eintritt, ist kein Wunder, bei ihm wirkt, wie wir wissen, das skeptische Prinzip fast nur in Gestalt einer dunklen, halb unbewußten Triebfeder. So kann es leicht geschehen, daß diese Triebfeder unmittelbar in ihrem Wirken falsch aufgefaßt und gewendet wird. Wenn man also frägt, worin die Vermischung zwischen absolutem Skeptizismus und exklusivem Subjektivismus bei KANT ihren allgemeinen Grund hat, so ist darauf hinzuweisen, daß der Grundsatz des erstgenannten Standpunktes in seinem Denken in Form einer dunkel und unbestimmt erfaßten Triebfeder wirkt, und daß andererseits die innige und sich in den Vordergrund drängende Verwandtschaft, die zwischen beiden Standpunkten besteht, den Unterschied zwischen denselben nur für ein scharf aufmerksames Auge erkennbar macht. Dazu hat man noch zu bedenken, daß KANT, wie der nächste Abschnitt ausführlich darlegen wird, das Bestreben hat, das Ding ansich, soweit es sich nur annähernd mit seinen sonstigen Grundsätzen verträgt, rationalistisch zu bestimmen. Es geschieht daher umso leichter, daß sein Skeptizismus sich ihm unwillkürlich in jener widerspruchsvoll rationalistischen Weise verschiebt. Dieser ganze Zusammenhang kann in KANT natürlich nur ohne sein Bewußtsein wirksam gewesen sein. Das Bewußtsein von diesem allgemeinen Grund würde ja die Vermischung zwischen den beiden Standpunkten sofort aufgehoben haben. Bei ihm tritt der exklusive Subjektivismus zunächst wie etwas Selbstverständliches auf, doch vermittelt er sich in seinem Bewußtsein auch durch gewisse spezielle Gründe. Diese haben wir nun zu betrachten. exklusiven Subjektivismus bei Kant Zunächst will ich auf eine formale Gedankenoperation bei KANT hinweisen, infolge welcher ihm das Ding-ansich als dem Vorstellen absolut heterogen erscheint. In der entgegengesetzten Annahme findet er einen formal-logischen Widerspruch. KANT findet, daß wir uns selbst widersprechen, wenn wir annehmen, daß die Gegenstände in Raum und Zeit auch ansich, also ohne unseren Gedanken von Raum und Zeit, räumlich und zeitlich existieren. Es ist "offenbar widersprechend, zu sagen, daß eine bloße Vorstellungsart auch außerhalb unserer Vorstellung existiert." Es ist also "der Begriff einer für sich existierenden Sinnenwelt in sich widersprechend." Wenn man den Gegenständen der Sinne eine eigene für sich bestehende Existenz geben wollte, so wäre dies nichts Geringeres, als sich vorzustellen, "Erfahrung sei auch ohne Erfahrung wirklich" (Werke III, 112f). Hier gründet also KANT die exklusive Subjektivität unserer Vorstellungs-, speziell unserer Anschauungsformen darauf, daß in der entgegengesetzten Annahme ein formaler Widerspruch enthalten sein soll. Wer Raum und Ziet dem Ding-ansich zuschreibt, nimmt an, daß eine bloße Vorstellungsart auch außerhalb unserer Vorstellung, daß die Erfahrung auch ohne Erfahrung existiert; und dies soll "offenbar widersprechend" sein. KANT hält also jene Annahme für einen Verstoß gegen das Prinzip der formalen Identität. Hierbei aber liegt die Inkorrektheit seines Denkens auf der Hand. Offenbar wäre es in sich widersprechend, anzunehmen, daß meine Vorstellung eben als diese meine Vorstellung auch außerhalb meiner selbst existiert. Allein ziehe ich von meiner Vorstellung, die z. B. den Inhalt "Quadrat" haben mag, ab, daß sie gerade meine Vorstellung ist, so ist es kein Widerspruch mehr, anzunehmen, daß die Vorstellung "Quadrat" auch außerhalb meiner selbst vorkommt.. Es ist möglich, daß der Inhalt "Quadrat" auch von anderen Subjekten vorgestellt wird. Ich kann nun noch weiter gehen und mir von meiner Vorstellung "Quadrat" abgezogen denken, daß sie überhaupt eine Vorstellung ist. Wenn ich sie so ihres Vorstellungscharakters überhaupt entkleidet habe, bleibt - begrifflich nämlich - noch etwas übrig: der Inhalt "Quadrat". Es wäre ja nun möglich, daß dieser begrifflich übrig bleibende "Inhalt" faktisch nicht anders als in Vorstellungsform existiert. Es wäre aber ebenso gut möglich, daß der Inhalt "Quadrat" auch in einer anderen Form, in einem anderen Existenzmedium, in dem außerhalb aller vorstellenden Subjekte gelegenen Ding-ansich, existieren könnte. Dies ist eine Frage, die sachlich untersucht werden muß, die sich aber nach dem Prinzip der formalen Identität und des formalen Widerspruchs nicht entscheiden läßt. Wenn man sich an dieses Prinzip allein hält, so muß man beide Möglichkeiten zugeben. KANT allerdings glaubt auf Grundlage dieses formalen Prinzips die Entscheidung treffen zu können. Allein dies kommt, wie wir nun deutlich sehen, daher, weil er die als Ganzes genommene Vorstellung und den nach Abzug der Vorstellungsform (zunächst allerdings nur begrifflich) übrig bleibenden Inhalt der Vorstellung miteinander verwechselt. Es handelt sich nicht darum, ob "eine bloße Vorstellungsart auch außerhalb unserer Vorstellung existieren kann", sondern darum, ob dem nach Abzug der Vorstellungsform übrig bleibenden Inhalt eine solche Existenz "außerhalb unserer Vorstellung" zukommen kann. Übrigens findet sich dieselbe Inkorrektheit des Denkens bei BERKELEY. Auch nach der Ansicht dieses Philosophen enthält es einen "offenbaren Widerspruch", anzunehmen, daß die sinnlichen Objekte eine reale, von ihrem Perzipiertwerden verschiedene Existenz haben. Denn die sinnlichen Objekte: Häuser, Berge, Flüsse, Socken usw. sind doch nichts Anderes als "unsere eigenen Ideen oder Sinnesempfindungen." Es ist aber doch wohl ein vollkommener Widerspruch, daß eine Idee oder Sinnesempfindung unperzipiert existiert! - Hiermit vergleiche man den kantischen Satz, daß es "offenbar widersprechend sei, zu sagen, daß eine bloße Vorstellungsart auch außerhalb unserer Vorstellung existiert", und es springt in die Augen, daß beide sich desselben fehlerhaften Arguments zum Beweis der exklusiven Subjektivität der sinnlichen Dinge bedienen. Allerdings ist es - dies gilt sowohl mit Bezug auf BERKELEY, als auf KANT - ganz selbstverständlich, daß das Vorstellungsbild eines Berges, insofern es mein oder eines Anderen Vorstellungsbild ist, nicht unperzipiert existieren kann. Allein darum handelt es sich gar nicht, sondern die Frage geht, dahin, ob der nach Abzug der Vorstellungsform begrifflich übrig bleibende Inhalt des Vorstellungsbildes auch unperzipiert existieren kann. Und dies eben verneinen Beide aus dem fehlerhaften Grund, weil sie die dem Vorstellungsbild als solchem selbstverständlicherweise zukommende Eigenschaft, Vorstellung zu sein, in unwillkürlicher Verwechslung auch als unabtrennbare Eigenschaft des Inhaltes, den die Vorstellung enthält, ansehen. BERKELEY findet, daß uns alle sinnlichen Dinge als Perzipiertwerden gegeben sind, und da nun alles Perzipiertwerden von den Subjekten unabtrennbar ist, so erklärt er es für unverständlich, wie sinnliche Objekt eine Existenz ansich oder außerhalb des Geistes haben sollen (3). Hier dürfte vielleicht der Einwand laut werden, daß es doch kaum begreiflich ist, wie sich KANT eine so auf der Hand liegende Inkorrektheit des Denkens habe zuschulden kommen lassen können. In der Tat, es wäre dies unbegreiflich, wenn nicht noch mehrere andere spezielle Faktoren sein Denken zu der Annahme, daß das Ding-ansich die Beschaffenheit unserer Vorstellungen in keiner Weise besitzt, hingetrieben hätten. Zunächst will ich einen metaphysischen Gesichtspunkt anführen. des kantischen exklusiven Subjektivismus Wir halten uns, um diesen metaphysischen Gesichtspunkt recht deutlich zu erfassen, an KANTs schon früher angeführten Brief an Marcus Herz vom 21. Februar 1772. Er fragt sich hier, wie es denn kommt, daß zwischen den Begriffen, die sich der Verstand a priori von den Dingen bildet, und diesen Dingen selbst Übereinstimmung herrscht. Wie er sich diese Frage beantwortet denkt, sagt er hier nicht geradezu. Wohl aber weist er eine Art der Beantwortung ab als "das Ungereimteste, was man nur wählen kann". Dieses "Ungereimteste" aber findet er darin, daß man jene Übereinstimmung zwischen den Verstandesbegriffen und den Dingen daraus ableitet, daß Gott gewisse Begriffe schon so, wie sie sein müssen, um mit den Dingen zu harmonieren, in die menschlichen Seelen gepflanzt hat. Dies heißt, sich in der Bestimmung des Ursprungs und der Gültigkeit unserer Erkenntnisse auf einen "deus ex machina" [Gott als Bühnentrick - wp] berufen (Werke XIa, 27) KANT kann sich hiernach das Parallellaufen unserer ursprünglichen Begriffe mit den ursprünglichen Formen der Dinge ansich nicht anders vorstellen, denn als die künstliche, willkürliche Einrichtung eines übernatürlich eingreifenden Gottes. Dies liegt offenbar in jenem "deus ex machina". Wir freilich werden sagen, die Berufung auf einen übernatürlich eingreifenden Gott ist gar nicht nötig, um sich jenen Parallelismus zwischen Vorstellen und Ding ansich begreiflich zu machen. In der Tat, alles Künstliche, Willkürliche, Übernatürliche fällt weg, wenn man sich die Welt als eine innerlich einheitliche Entwicklung denkt, als die Entwicklung eines in aller Mannigfaltigkeit sich mit sich identisch erhaltenden Urprinzips. Sobald man auf dem Standpunkt des idealistischen Monismus steht und die verschiedenen Gebiete der Welt auffaßt als Äußerungen eines die Welt mit innerer Notwendigkeit aus sich herausbewegenden, ideellen Mittelpunkts, dann ist es ein ganz natürlicher Erfolg, daß die ursprünglichen Bewußtseinsformen mit den ebenso ursprünglichen Formen der Naturdinge übereinstimmen. Denn es ist ja ein und dasselbe ideelle Prinzip, das sich einerseits zum Element der Äußerlichkeit (Natur) und andererseits zum Element der Innerlichkeit (Bewußtsein) entwickelt, und es ist nur die naturgemäße Selbstbetätigung dieser im Unterschied sich mit sich identisch erhaltenden ideellen Einheit, daß die allgemeinsten Formen und Gesetze der Innerlichkeit mit denen der Äußerlichkeit übereinstimmen. Eben dieser Standpunkt der die Unterschiede überwindenden und zur Einheit aufhebenden Immanenz und Innerlichkeit ist nun aber dem Denken KANTs vollständig heterogen [ungleichartig - wp]. Aus allen Teilen seiner Philosophie lassen sich Beispiele dafür anführen, wie er überall bei dem schroff dualistischen Auseinanderhalten der Unterschiede und dem nur äußerlichen Hin- und Herbeziehen derselben aufeinander stehen bleibt und den Gedanken stets beiseite läßt, daß das eine Extrem sich schon seinem Begriff und Wesen nach im anderen geltend macht. Doch unterlasse ich es, für diesen metaphysisch dualistischen Faktor seines Denkens einzelne Belege zu bringen, damit der Zusammenhang nicht allzusehr unterbrochen wird. Hiermit haben wir dann sicherlich einen Hauptgrund dafür gewonnen, daß KANT sich nirgends auf eine genaue Prüfung und gründliche Widerlegung jener Ansicht einläßt, wonach Raum, Zeit und die Kategorien sowohl ursprüngliche Formen des Subjekts, als auch ursprüngliche Formen der Dinge ansich sind. Sein Denken ist durchaus nicht auf eine immanente, ideell einheitliche Auffassung der Dinge angelegt, und es muß ihm daher die Annahme von vornherein als widersinnig und ungereimt erscheinen, daß Vorstellen und Ding-ansich in den Prolegomena an einer Stelle, wo es sich um die transzendentale Idealität des Raumes handelt: man sehe gar nicht ein, wie Dinge notwendig mit dem Bild, das wir uns selbst und im Voraus von ihnen machen, übereinstimmen müßten (Werke III, 43). Er setzt es als selbstverständlich voraus, daß die Sphäre des Vorstellens mit der objektiven Realität nur äußerlich dualistisch zusammenhängt; der Standpunkt des idealistischen Monismus kommt ihm gar nicht in den Sinn. Indem er sich so die ursprüngliche Übereinstimmung beider Seiten auf Grundlage eines äußerlichen dualistischen Gegenüberstehens derselben vorzustellen sucht, muß sie ihm natürlich als willürlich, als übernatürlich herbeigeführt, also als widersinnig erscheinen. Eben darum nun, weil KANT die Ungereimtheit einer ursprünglichen Übereinstimmung der Vorstellungsformen mit den Formen des Dings-ansich für selbstverständlich gilt, läßt er sich nirgends, und auch an den Stellen nicht, wo er von jener Ungereimtheit spricht, auf eine Würdigung oder genaue Widerlegung jener Übereinstimmung ein. Ja, es wird aus demselben Grund begreiflich, daß er selbst von jener Ungereimtheit nur selten spricht und den möglichen Fall einer Übereinstimmung zwischen den Vorstellungsformen und den Formen des Dings-ansich meistens ganz ignoriert, auch wo man, wie bei der Aufzählung der Fälle, wie ein Erkennen von Gegenständen zustande kommen kann, die Erwähnung dieser Möglichkeit dringend erwartet. Zum Beleg für dieses Ignorieren will ich einige wichtige Stellen anführen. In der Deduktion der reinen Verstandsbegriffe (Seite 88) heißt es: es seien nur zwei Fälle möglich, unter denen die Vorstellung und ihr Gegenstand zusammentreffen und gleichsam einander begegnen können: "entweder, wenn der Gegenstand die Vorstellung, oder diese den Gegenstand allein möglich macht." Der erstere Fall findet da statt, wo die Vorstellung nichts Apriorisches enthält und die Beziehung der Vorstellung auf den Gegenstand "nur empirisch" ist. Dies ist aber der Fall "in Anbetracht dessen, was an den Erscheinungen zur Empfindung gehört." Es gibt also, so setze ich hinzu, einen Vorstellungsinhalt, welcher durch die Empfindung "möglich gemacht wird"; und da der Empfindungsinhalt, wie wir im nächsten Abschnitt sehen werden, daher stammt, weil unsere Sinnlichkeit durch das unbekannte Ding-ansich "affiziert" wird, so können wir auch sagen: wenn KANT von Vorstellungen spricht, die "der Gegenstand möglich macht", so ist unter diesem Gegenstand letzten Endes das Ding-ansich gemeint. Die empirischen Vorstellungen entstehen dadurch, daß in das Subjekt etwas, wovon es ursprünglich nichts besitzt, vom Ding-ansich aus hineinkommt. Das Ding-ansich gibt hier dem Subjekt einen in jeder Beziehung neuen Vorstellungsinhalt, und zwar mittels der Empfindung. Dies ist der erste Fall. - Der zweite Fall nun besteht darin, daß "in unserem Gemüt" gewisse apriorische Form "zugrunde liegen", nach denen sich Alles richten muß, was Gegenstand unseres Erkennens werden will. Hier gibt also das Subjekt seinerseits den Empfindungen, als dem vom Ding ansich Herstammenden, eine Form, welche sowohl den bloßen Empfindungen, wie auch dem Ding ansich schlechterdings fremd ist. Nachdem ich so die kantische Alternative, ohne sie damit inhaltlich irgendwie zu verändern, durch eine Beziehung ihrer Ausdrücke auf den scharfen, unzweideutigen Fundamentalunterschied von Vorstellung und Ding-ansich deutlicher gemacht habe, ist sonnenklar, daß dabei ein dritter Fall ignoriert wird, jene Möglichkeit nämlich, daß Vorstellung und Ding-ansich vermöge einer übereinstimmenden ursprünglichen Organisation beider "zusammentreffen". In ähnlicher Weise äußert sich KANT auch in § 37 der Prolegomena. Ihn beschäftigt hier der Gedanke, daß die "oberste Gesetzgebung der Natur in uns selbst, in unserem Verstand liegt." Diesen Gedanken begründet er in folgender Weise: Es steht ihm unzweifelhaft fest, daß es eine apriorische Erkenntnis der Naturgesetze gibt, daß also zwischen unseren Verstandesbegriffen und den Naturgesetzen eine Übereinstimmung stattfindet. Nun sagt er weiter: diese
Auch aus dieser Stelle erhellt sich, daß KANT jene schon oft erwähnte ursprüngliche Übereinstimmung zwischen den Formen des Denkens und denen des Dings-ansich als dritte Möglichkeit vollständig übersehen hat. Zunächst weist er es als unmöglich zurück, daß wir die Erkenntnis der allgemeinsten Naturgesetze empirisch gewinnen. Mit anderen Worten: es scheint ihm unmöglich, daß die Begriffe, die wir uns von den Naturgesetzen machen, sich nach dem uns empirisch Gegebenen, nach dem Empfindungsstoff richten, also schließlich auf das Ding-ansich zurückzuführen sind. Hieraus nun folgert er ohne Weiteres, daß die Gesetzmäßigkeit der Natur lediglich in unserem Verstand ihren Ursprung hat. Diese Folgerung läßt sich nur daraus erklären, weil er es von vornherein und ganz selbstverständlich für widersinnig hält, daß unser Verstand und das Ding-ansich die allgemeinsten Gesetze und Formen in ursprünglicher Weise gemeinsam haben. (4) Schließlich weise ich noch auf eine Stelle hin, die mir schon in einem anderen Zusammenhang wichtig war. In der Vorrede zur zweiten Auflage der Kr. d. r. V. hebt KANT wiederholt hervor, daß, während man bisher angenommen habe, "alle unsere Erkenntnis müsse sich nach den Gegenständen richten", er nun umgekehrt annehmen wolle, daß "sich die Gegenstände nach unserer Erkenntnis richten müssen (Kr. d. r. V., B 670). Auch hier übersieht er die "dritte Möglichkeit", daß gewisse Grundformen oder Grundgesetze sowohl dem Vorstellen, als auch dem Ding-ansich in gleich ursprünglicher Weise zukommen können. In diesem Fall könnte mit Bezug auf jene Grundbegriffe weder gesagt werden, daß sich das Erkennen nach den Gegenständen richtet, noch auch, daß sich die Gegenstände nach den Formen unseres Erkennens richten. Es dürfte hier eben von einem Sich-Richten der einen Seite nach der andern überhaupt nicht die Rede sein. Beide Seiten wären dann in gewissen Grundformen ursprünglich auf Übereinstimmung hin organisiert. Auch diese Stelle rechtfertigt sonach den Vorwurf, daß KANT die verschiedenen Möglichkeiten des Verhältnisses der Vorstellung zum Ding-ansich fast gar nicht prüft, sondern sich einer bestimmten Ansicht über jene (daß nämlich Ding-ansich und Vorstellung in einem äußerlichen, nicht immanenten Verhältnis zueinander stehen) wie einer selbstverständlich feststehenden Voraussetzung hingibt, aufgrund dieser ungeprüften, ja unausgesprochenen Voraussetzung die Möglichkeit einer ursprünglichen Übereinstimmung der Grundformen unseres Vorstellens und der Grundformen des Dings-ansich, also jene "dritte Möglichkeit", bald als etwas selbstverständlicherweise Widersinniges abweist, bald sogar gänzlich ignoriert und sich so ohne Weiteres zum Standpunkt des exklusiven Subjektivismus bekennt. Andererseits freilich macht der ganze Zusammenhang seines Denkens diese Lücke notwendig. Hätte er sich auf eine genauer Erörterung jener "dritten Möglichkeit", also der Frage eingelassen, ob die allgemeinen ursprünglichen Formen des Vorstellens dem Ding ansich in ebenso ursprünglicher Weise zukommen können, so hätte er sich genau damit beschäftigen müssen, wie das Ding-ansich und sein Verhalten zum Vorstellen nach den Forderungen der Logik zu denken sind. Hierbei aber wäre es ihm unfehlbar zu Bewußtsein gekommen, daß er die Geltung unserer Verstandesbegriffe, die ihm doch nur als subjektive Funktionen unzweifelhaft feststehen, ohne Weiteres auf das Ding-ansich ausdehnt, daß er also seinen absoluten Skeptizismus direkt aufhebt. Da dieser Standpunkt eimal einen wesentlichen Faktor seines Denkens bildet, so können sich Bestimmungen über das, was ihm als Ding-ansich gilt, in seinem Denken nur unter der Bedingung festsetzen, daß sie sich ihm als ganz selbstverständlich aufdrängen. Nur so kann ihm die in der Sache liegende Notwendigkeit, den einen der beiden Standpunkte aufzugeben, unbemerkt bleiben. Um diese eben besprochene dritte Möglichkeit drehte sich die bekannte in den sechziger Jahren zwischen KUNO FISCHER und TRENDELENBURG geführte Kontroverse. TRENDELENBURG fragt: hat KANT bewiesen, daß die Formen von Raum und Zeit nur subjektiv sind, daß sie nicht subjektiv und objektiv zugleich sein können? Und er beantwortet diese Frage, indem er auf das Bestimmteste in Abrede stellt, daß KANT diesen Beweis gegeben, ja auch nur
Doch muß ich TRENDELENBURG noch einen weiteren und schwereren Vorwurf machen. Jene "Lücke" bei KANT behandelt er nämlich viel zu isoliert, viel zu wenig aus der Einheit des kantischen Denkens heraus. Er hätte jenes kantische Ignorieren des schon so oft erwähnten Sowohl-Alsauch nicht bloß mit Rücksicht auf die Anschauungsformen des Raums und der Zeit, sondern mit Rücksicht auf alle apriorischen Vorstellungsformen erörtern sollen. Dieser Mangel läßt sich tiefer auch so aussprechen: TRENDELENBURG hätte jene "Lücke" im Zusammenhang mit KANTs exklusivem Subjektivismus und seine metaphysischen Dualisms behandeln müssen. Das Übersehen jenes Sowohl-Alsauch ist, wie meine ganze Erörterung gezeigt hat, von diesen beiden Faktoren nicht zu trennen. Ferner aber ist es für die Enge des Horizontes, innerhalb dessen die Behandlung jener Frage von ihm gehalten wurde, charakteristisch, daß er von KANT die Berücksichtigung jenes Sowohl-Alsauch fordern konnte, ohne dabei an seinen skeptischen Grundsatz von der absoluten Unerkennbarkeit des Dings-ansich zu denken. Und doch läßt es sich nur dann vollständig begreifen und würdigen, daß KANT die verschiedenen möglichen Beschaffenheiten des Dings-ansich nicht erörtert, sondern eine bestimtmte Beschaffenheit desselben wie selbstverständlich angenommen hat, wenn man jene erkenntnistheoretische Kluft bei ihm wesentlich mit in Rechnung zieht. Übrigens wußte schon SCHULZE im Aenesidemus, daß jene dritte Möglichkeit durch KANT nicht beseitigt ist. Zwar beschäftigt er sich nicht mit der Frage, ob und wieweit KANT diese Möglichkeit in den Bereich seiner Betrachtungen gezogen hat. Doch hebt er auf das Bestimmteste hervor, daß auf einem kantischen Standpunkt, wo die Natur ansich, ihre Zwecke und Mittel absolut unbekannt sind, die Hypothese einer "präformierten Harmonie der Wirkungen unseres Erkenntnisvermögens mit den objektiven Beschaffenheiten der Sachen außerhalb von uns" durchaus nichts Absurdes enthält. (9) ![]()
1) Hermann Cohen, Kants Theorie der Erfahrung, Berlin 1871, Seite 48f. 2) Der dritte und vierte Abschnitt werden sich mit dem rationalistischen Erkenntnisprinzip ausführlich beschäftigen. Vorläufig hat schon das erste Kapitel des ersten Abschnitts auf dasselbe hingewiesen. 3) Berkeleys "Treatise concerning the Principles of Human Knowledge", § 4f (in der Ausgabe seiner Werke von 'Fraser (1871), Bd. 1, Seite 157f) - Vgl. § 23 (Bd. 1, Seite 167), wo er denselben "offenbaren Widerspruch" anders formuliert. Es sei in sich widersprechend, sich vorzustellen, daß die Dinge unvorgestellt existieren; denn dann sind ja eben die Dinge in unserer Vorstellung vorhanden. Auch hier liegt der Fehlschluß auf der Hand. Wenn wir uns vorstellen, daß die Dinge unvorgestellt existieren, so hat unser Vorstellen folgenden Inhalt: "das unvorgestellte Existieren der Dinge". Insofern daher dieser Inhalt in der Form unserer Vorstellung existiert, dürfen wir das Vorgestelltwerden selbstverständlich von ihm nicht verneinen. Allein in jener von Berkeley bekämpften Behauptung wird ja das Vorgestelltwerden gar nicht von jenem Inhalt als einem von uns vorgestellten Gedanken verneint. Sondern das, wovon das Vorgestelltwerden verneint wird, sind hier die Dinge als ein von der Form unseres Vorstellens abgetrennt gedachter Inhalt. - Auch bei Schopenhauer findet sich diese fehlerhafte Argumentationsweise (z. B. *Die Welt als Wille und Vorstellung*, dritte Auflage, Leipzig 1859, Bd. 1, Seite 114; Bd. 2, Seite 217). 4) Man vergleiche noch Seite 757 B der Vernunftkritik und eine Stelle aus seiner weit späteren Schrift über die "Fortschritte der Metaphysik" (Werke I, Seite 506). Das Entweder-Oder, das er an beiden Stellen ausspricht, läuft auf dasselbe hinaus, wie die in den beiden oben behandelten Stellen ausgesprochene Alternative. An der ersteren Stelle übrigens fügt er, nachdem er das bekannte Entweder-Oder ausdrücklich für die beiden einzigen Wege erklärt hat, auf denen eine notwendige Übereinstimmung der Erfahrung und unserer Begriffe zustande kommen kann, noch nachträglich (und dies eben ist charakteristisch) hinzu, daß vielleicht Jemand auf den Gedanken kommen könnte, einen Mittelweg vorzuschlagen. Diesen Mittelweg, den er als jenen beiden anderen Möglichkeiten keineswegs ebenbürtig behandelt, bezeichnet er als "eine Art von Präformationssystem der reinen Vernunft", und der scheint damit nichts Anderes zu meinen, als jene von mir schon so oft genannte "dritte Möglichkeit". 5) Adolf Trendelenburg, "Über eine Lücke in Kants Beweis von der ausschließenden Subjektivität des Raumes und der Zeit", Historische Beiträge zur Philosophie, Bd. III, Berlin 1867, Seite 225f. 6) Kuno Fischer, System der Logik und Metaphysik, zweite Auflage, Heidelberg 1865, Seite 175. Ebenso in seiner "Geschichte der neueren Philosophie", Bd. III, Seite VI und in seinem "Anti-Trendelenburg", zweite Auflage Jena 1870, Seite 48f. 7) Trendelenburg, Logische Untersuchungen, Bd. 1, zweite Auflage, Leipzig 1862, Seite 163f. 8) von Hartmann, Kritische Grundlegung des transzendentalen Realismus, Seite 121. Dagegen tut Windelband Trendelenburg Unrecht, wenn er an dessen Einwurf nichts Wahres anerkennt und ihn als "erschrecklich seicht und unvorsichtig" bezeichnet ("Über die verschiedenen Phasen der kantischen Lehre vom Ding ansich", Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, 1877, Heft II, Seite 242). Trendelenburgs Einwurf ist allerdings erstens zu weit getrieben und zweitens zu wenig im großen Zusammenhang aufgefaßt. 9) Ernst Gottlob Schulze (Aenesidemus), "Über die Fundamente der Elementarphilosophie", Seite 149f. |