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Hat Papst Gregor VII. den Staat für ein Werk des Teufels und der Sünde erklärt?
Ähnlich wie GIERKE äußert sich Professor ULRICH STUTZ in der neuesten von JOSEF KOHLER herausgegebenen Ausgabe von HOLTZENDORFFs "Enzyklopädie der Rechtswissenschaft" (2) über das Papalsystem: Für die kirchliche Partei dagegen und für das von ihr geprägte kanonische Recht ergab das argumentum unitatis [Einheitsargument - wp] (3) die Überordnung der Kirche. Sie ist eben die Einheit, in die das weltliche Gemeinwesen, ansich das Werk des Teufels und der Sünde, sich einfügen muß, um als Teil der göttlichen Weltordnung gelten zu können." In der Anmerkung zu diesem Satz zitiert STUTZ die Worte GREGORs VII. aus der von GIERKE erwähnten Epist. 1. VIII. Nr. 21:
Sonderbar klingt schon die Behauptung GIERKEs, GREGOR VII. habe den Staat für ein Werk des Teufels erklärt nur, "um mit Nachdruck die Heiligung des Staates durch die von Gott gestiftete Kirche zu fordern." Das kann nur heißen, er habe diese Ansicht bloß zu dem Zweck aufgestellt oder erfunden, um die Heiligung des Staates durch die Kirche zu fordern. Ein solches Verhalten darf man doch dem gerechtigkeitsliebenden und heiligen Papst nicht ohne jeden Beweis unterschieben; GIERKE bringt aber für seine Unterstellung nichts vor, was einem Beweis auch nur ähnlich sähe. Noch befremdlicher mutet die Behauptung an, GREGOR habe nur zu dem Zweck den Staat für ein Teufelswerk erklärt, um dessen Heiligung durch die Kirche mit Nachdruck zu fordern. War den diese Erklärung etwa geeignet die Forderung der Heiligung des Staates durch die Kirche zu begründen? Keineswegs. Wenn der Staat nur das Werk des Teufels und der Sünde ist, dann muß man ihn abschaffen und beseitigen, denn er hat dann keine Daseinsberechtigung. Diese Folgerung hätte GREGOR wohl gezogen, wenn er überzeugt gewesen wäre, der Staat sei einfachhin das Werk des Teufels und der Sünde. Aber er zieht sie nicht, weil er sehr wohl wußte, was jedermann weiß, nämlich, das der Staat ansich eine dem Menschengeschlecht durchaus notwendig in der Natur des Menschen begründete Einrichtung und keineswegs das Werk des Teufels und der Sünde ist. Um seiner Meinung von der Stellung GREGORs VII. zum Staat Halt zu verleihen, zitiert GIERKE den hl. AUGUSTINUS, auf dessen Lehre die Ansicht GREGORs fußen soll. Schon in seinem Werk "Das deutsche Genossenschaftsrecht" (4) hatte er behauptet, AUGUSTINUS habe dem Staat ansich, insofern derselbe als bloß menschliche und natürliche Ordnung in sich selbst gegründet und beschlossen ist, jegliche Berechtigung abgesprochen. Im Gegensatz zur überirdischen Stiftung der Kirche stamme "die gesamte staatliche Ordnung aus irdischer und sündhafter Quelle"; AUGUSTINUS habe daraus die Konsequenz gezogen, daß die weltliche Gewalt lediglich durch die Vermittlung der Kirche die göttliche Sanktion empfängt und zur Trägerin einer göttlichen Vollmacht wird. Aber diese Erklärung der Lehre des großen Bischofs von Hippo ist nicht haltbar. Sie ist wahrscheinlich veranlaß worden durch die unrichtige Auffassung des Werkes "De civitas Dei". Wenn der hl. AUGUSTINUS der civitas Dei [Gottesstaat - wp] die civitas huius mundi [weltlichen Staat - wp] gegenüberstellt, so darf man nicht glauben, unter dem letzteren sei der Staat ansich zu verstehen, insofern er eine in der Natur des Menschen begründete Einrichtung ist. Die civitas Dei ist das große Heerlager Gottes, das durch die Kirche Christi dargestellt wird, welche die Bestimmung hat, alle Menschen durch den Glauben und die Liebe zu heiligen und zum übernatürlichen Ziel zu führen. Die civitas huius mundi aber ist das große Heerlager oder Reich Satans, als dessen Repräsentanten AUGUSTINUS nicht den Staat als solchen, sondern den heidnischen, der Abgötterei ergebenen und dem Christentum feindlichen Staat ansieht. Es ist deshalb ganz unrichtig, wenn man das, was er von der civitas huius mundi und dem gottfeindlichen heidnischen Staat sagt, einfach auf den Staat als solchen überträgt. Daß AUGUSTINUS den Staat ansich als eine in der Natur des Menschen begründete, der Erhaltung und dem Gedeihen der Menschheit notwendige Anstalt ansieht, geht aus unzähligen Stellen hervor. Er sagt: "Homo fertur quodammodo naturae suae legibus ad ineundam societatem" [Die Gesetze der Gemeinschaft sind ein Maß für die Natur des Menschen. - wp]. (5), und wiederumg "generale quippe pactum est societatis humane obedire regibus." [Es gibt eine allgemeine Übereinstimmung in der menschlichen Gesellschaft den Königen zu gehorchen. - wp] (6) Alle Gewalt der Mächte und der Könige kommt von Gott (7). Er nennt den Staat wiederholt societas hominum in quoddam vinculum redacta concordiae [menschliche Gemeinschaft mit verringerter Harmonie und Eintracht - wp] und wie CICERO definiert er den Staat als einen coetus multitudinis iuris consensu et utilitatis communione sociatus [von rechts wegen eine Interessengemeinschaft - wp] (8), der Zweck des Staates ist die Sicherung der Ordnung gegen Feinde im Innern durch Gesetzgebung und Richterspruch sowie die Verteidigung gegen äußere Feinde durch gerechte und notwendige Kriege; auch den schlechten heidnischen Herrschern, wie JULIAN dem ruchlosen Apostaten [Ablehner von Religion - wp], schulden die Christen Gehorsam und Treue in allem, was nicht gegen Gottes Gebot ist und zwar dienen sie dem zeitlichen Herrn wegen des ewigen (9). AUGUSTINUS hat also keineswegs dem Staat ansich jede Berechtigung abgesprochen. Daß aber der Staat nur ein Glied des großen Gottesreiches wird, wenn er sich dem christlichen Glauben unterwirft und ihm dient, das ist nur eine einleuchtende Folgerung aus dem Grundgedanken des Christentums. Denn: "es ist kein anderer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, wodurch wir selig werden sollen", (10) als den Namen Jesus. Doch ich gehe hier nicht näher auf die Ansicht des hl. AUGUSTINUS ein. Es ist von verschiedener Seite eingehend nachgewiesen worden, wie unrichtig die Auslegung ist, die GIERKE der Lehre des hl. AUGUSTINUS gibt (11); aber er hat trotzdem in der neuen Ausgabe seines Werkes über ALTHUSIUS die alten Behauptungen wiederholt. Wenden wir uns jetzt GREGOR VII. zu. Er soll nach GIERKE und STUTZ den Staat "für ein Werk des Teufels und der Sünde" erklärt haben. Man hätte wohl erwarten dürfen, daß sie diese Behauptung eingehend begründen würden; aber der einzige Grund, den sie vorbringen, ist der Hinweis auf die angeführte mißverständliche Stelle aus einem Brief des Papstes. Es ist nun klar, wenn der Papst wirklich den Staat ansich als ein Werk des Teufels und der Sünde angesehen hat, dann konnte er auch nicht glauben, die Staatsgewalt ansich komme von Gott; denn diese ist ja ein wesentlicher Teil des Staates und wenn der Staat selbst, dann ist auch die Staatsgewalt ansich das Werk des Teufels und damit hört sie eben auf, ein wahres Herrschaftsrecht zu sein, das von den Untergebenen um des Gewissens willen Gehorsam fordern darf. Sollte nun der große und gelehrte Papst nicht gewußt haben, daß die obrigkeitliche Gewalt ansich nach der hl. Schrift von Gott kommt und wir ihr deshalb im Gewissen Gehorsam schuldig sind? Auf die Frage, ob man dem heidnischen römischen Kaiser Steuern zahlen darf, antwortete Christus "Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist" und anerkannte damit das Recht des heidnischen Kaisers Steuern zu fordern und die Pflicht der Untertanen ihm Steuern zu bezahlen. (12) In seinem Brief an die Römer (13) ermahnt der hl. PAULUS die Christen zum Gehorsam gegen die damals noch heidnische Obrigkeit, da sie von Gott angeordnet und Dienerin Gottes zum Guten sei und man ihr deshalb nicht bloß um der Strafe, sondern auch um des Gewissens willen untertan sein soll. An Timotheus schreibt derselbe Apostel (14), die Christen sollten Bitten und Gebete darbringen für Könige und alle Obrigkeiten, damit wir ein ruhiges Leben in aller Gottseligkeit führen können. "Seid untertan jeder menschlichen Kreatur", mahnt der Apostel Petrus (15), "in Gottes willen, sei es dem König, welcher der höchste ist, oder den Statthaltern, welche von ihm abgeordnet sind zur Bestrafung der Übeltäter und zur Belobung des Rechtschaffenen." Schon im Alten Bund heißt es bei den Sprichtwörtern (16): "Durch mich herrschen die Fürsten und verordnen die Gesetzgeber, was recht ist." Und der Weise ermahnt die Könige (17),
Die Stelle findet sich in einem Brief vom 15. März 1081 an Bischof HERMANN von Metz. (18) Der Bischof hatte gefragt, was man denen antworten soll, welche behaupteten, der Papst habe nicht die Gewalt gehabt, den König HEINRICH zu exkommunizieren und die Untertanen vom Eid und Treue zu entbinden. In seiner Antwort weist der Papst auf die bekannten die päpstliche Obergewalt begründenden Stellen der hl. Schrift (19), ferner auf die Konzilien und auf das Beispiel seiner Vorgänger auf dem apostolischen Stuhl hin. GREGOR der Große z. B. habe alle Könige und Herzoge mit einem Bann belegt und ihrer Würde für verlustig erklärt, wenn sie es wagen sollten, die Vorrechte zu verletzen, die er einem Kloster verliehen hatte. Um wieviel mehr, fügt GREGOR VII. bei, durften wir den König HEINRICH, den Verächter der apostolischen Dekrete, der das ganze Reich und die Kirchen geplündert und verwüstet hat, absetzen und exkommunizieren. Soll denn die Würde, die auch von den Menschen, welche Gott nicht kennen, erfunden wurde, nicht der Würde unterstehen, welche die Vorsehung des allmächtigen Gottes erfunden und der Welt barmherzig verliehen hat? Und hat nicht Gottes Sohn, der Gott und Mensch zugleich, der oberste Priester und das Haupt aller Priester ist, die weltliche Königswürde, deretwegen die Kinder dieser Welt sich stolz erheben, verachtet und nun frei das Priestertum des Kreuzes übernommen? An dieses Wort schließt sich dann unmittelbar der von GIERKE und STUTZ angeführte Satz. Der Papst erkennt also zwei Würden, die eine ist auch von den Heiden erfunden worden, die andere hat die Vorsehung Gottes erfunden. Das Wort: Inventa oder invenit, darf hier nicht im üblichen Sinn gedeutet werden, da es ja auch von der kirchlichen Gewalt gebraucht wird. Es bedeutet also nur soviel wie eingesetzt oder aufgerichtet; die eine Würde kommt von Gott, die andere von den Menschen. Was will das bedeuten? Und wie kann GREGOR gleich hinzufügen:
Wer aber Inhaber oder Träger dieser Staatsgewalt ist oder sein soll, das ist durch die Natur nicht bestimmt; diese Bestimmung bleibt den Menschen und den Umständen, wie sie sich geschichtlich entwickeln, überlassen. Je nachdem das ganze Volk selbst oder eine bevorzugte Klasse von Bürgern oder ein Kollegium oder eine einzelne Person die oberste Gesetzgebung- und Regierungsgewalt besitzt, unterscheidet man verschiedene Staatsformen oder Verfassungen: Demokratien, Aristokratien, Monarchien usw. Wie kommt es nun, daß wir in den frühesten Zeiten fast überall die Staatsgewalt in den Händen von Einzelpersonen und zwar von absoluten Monarchen oder Despoten finden, die keine andere Grenze ihrer Herrschaft kennen, als die ihrer physischen Macht und allenfalls ihres Gewissens? Hier setzt nun die Ansicht ein, die GREGOR mit vielen Kirchenschriftstellern vor und nach ihm geteilt hat: Die ersten absoluten Herrscher sind meist durch List und Gewalt, Mord und Räuberei zu ihrer despotischen Stellung gelangt. Als Repräsentanten dieser allmächtigen Despoten galten NIMROD und NINUS, die Gründer des babylonischen und des assyrischen Reiches, die nicht ohne vielfaches und ungerechtes Blutvergießen ihren mächtigen Thron errichteten. Ihre Dynastien wurden aber bald von anderen Dynastien durch Mord und Krieg verdrängt, bis auch diese ähnlichen Faktoren weichen mußten. Die Geschichte der großen orientalischen Reiche ist nur eine zusammenhängende Kette von blutigen Zwisten und Kriegen um die Herrschaft, bei denen die Gerechtigkeit und Menschlichkeit selten zu ihrem Recht kamen. So wie im Orient war es in Europa. Ein Brudermörder war der Gründer des römischen Reiches. Die Geschichte der römischen Kaiser seit NERO ist vielfach eine ununterbrochene Kette von Mordtaten, Unterdrückungen, Bürgerkriegen, Ausschweifungen, Christenverfolgungen, und die darauffolgende jahrhundertelange Völkerwanderung war eine Zeit von unaufhörlichen Raubzügen und Bluttaten. Von diesem Standpunkt begreift man die Frage GREGORs: Wer wüßte nicht, daß die Könige und Herzöge von denen ihren Anfang genommen haben, die aus Herrschsucht durch Mord und Raum sich zu Despoten über die Völker aufwarfen und in ihrem Eigendünkel sich stolz über die Rechte und Freiheiten der Völker hinwegsetzten? Gerade diese stolzen Potentaten waren auch die ärgsten Gegner der Kirche, die sie in jeder Weise zu einem gefügigen Werkzeug ihrer Herrschsucht und Habsucht herabzudrücken suchten. Hauptsächlich durch diese Fürsten und Könige war zur Zeit GREGORs die Simonie [Verkauf kirchlicher Ämter und Reliquien - wp] und die Unenthaltsamkeit der Priester zu einem wahren Krebsschaden geworden, der die Kirche völlig zu vernichten drohte. Die Vergabe von Pfründen wurde eine reiche Einnahmequelle für die Fürsten und öffnete elenden Mietlingen das Tor zu allen kirchlichen Würden. Wer weiß, was aus der Kirche geworden wäre, wenn nicht die Vorsehung einen Mann von der Tatkraft und unbeugsamen Energie eines GREGOR zur rechten Zeit auf den päpstlichen Stuhl berufen hätte. Auch den Mächtigen der Erde stellte er sich ohne Menschenfurcht entgegen und lud deshalb den Haß aller Feinde der Kirche auf sich. Auf dem Sterbebett sagte er: "Ich habe die Gerechtigkeit geliebt und die Ruchlosigkeit gehaßt, deshalb sterbe ich in der Verbannung." Daß der Papst nicht im entferntesten daran dachte die Staatsgewalt ansich und ebenso die Könige ohne jeden Unterschied als jeder Berechtigung entbehrend hinzustellen, zeigen klar die weiteren Ausführungen des Briefes. Er verurteilt zwar als Anhänger des Teufels jene Fürsten, welche die Priester Christi ihrer Herrschaft unterwerfen wollen. Aber er fügt hinzu: Wer zweifelt daran, daß die Priester Christi die Väter und Lehrer der Könige und Fürsten und aller Gläubigen sind? Es ist aber unwürdig, wenn der Sohn den Vater und der Schüler den Lehrer seiner Herrschaft unterwerfen will. Dem Kaiser ANASTASIUS schrieb der Papst GELASIUS:
Wenn GREGOR die Könige tadelt, gilt das nur von den schlechten Königen, wie er auch die schlechten Bischöfe tadelt. "Das sage ich von den Königen und Kaisern, die sich ob der weltlichen Ehre aufblähen und nicht für Gott, sondern für sich selbst regieren." Da es nun zu unserem Amt gehört, fährt der Papst fort, einen jeden nach seinem Rang und Stand zu ermahnen, suchen wir auch den Königen Ratschläge und Mittel gegen den Stolz an die Hand zu geben. Sie sollen bedenken, wie gefährlich die königliche Würde ist und wieviele durch sie zugrunde gehen. Die Kirche lobt und verehrt zwar den Kaiser KONSTANTIN frommen Andenkens, den THEODISIUS, HONORIUS, KARL und LUDWIG, diese Liebhaber der Gerechtigkeit und Beschirmer der Kirche, aber auch diese sind nicht durch solche Wunder verherrlicht worden wie ein ANTONIUS, MARTINUS und BENEDIKTUS. Nur mit Furcht sollen die Könige regieren, weil sie über ebenso viele Menschen Gott werden Rechenschaft ablegen müssen als sie Untertanen gehabt haben. Seit Anfang der Welt, sagt GREGOR, findet man in den verschiedenen Ländern des Erdkreises unter den unzähligen Königen nur sehr wenige Heilige, während allein der Reihenfolge der römischen Bischöfe seit den Tagen des seligen PETRUS ungefähr 100 zu den größten Heiligen gezählt werden. Es hat also doch Heilige unter den Fürsten und Königen gegeben und das allein beweist, daß nach GREGOR die königliche Würde ansich nicht das Werk des Teufels sein kann. Warum aber werden so wenige Könige heilig? GREGOR antwortet: Wegen der Gefahren des Stolzes. Er weist auf das Beispiel des SAUL hin. "Durch seine Demut ist Saul zum König erhoben worden und durch seinen Stolz verworfen." Er ermahnt dann die Fürsten, an erster Stelle die Ehre Gottes zu suchen, die Gerechtigkeit zu umfassen und zu bewahren, indem sie jedem sein Recht erhalten, und die Kirche nicht wie eine Magd zu unterjochen. Wenn sie dies tun, die Liebe Gottes und des Nächsten bewahren und vertrauensvoll dem demütigen Heiland folgen, werden sie einst von einem dienenden und vergänglichen Königreich zum ewigen Königreich der Freiheit gelangen. Solche Ermahnungen hätten wirklich keinen Sinn, wenn GREGOR gemeint hätte, der Staat und mithin auch die Staatsgewalt und die königliche Würde ansich sei das Werk des Teufels und der Sünde. Bisher habe ich nur den Brief berücksichtigt, der die von GIERKE und STUTZ angeführte Stelle enthält. Eine unbefangene Durchsicht desselben zeigt klar, daß man dem Papst mit Unrecht die Ansicht zuschreibt, er habe den Staat für ein Werk des Teufels erklärt. Noch klarer ergibt sich dies aus anderen Briefen GREGORs VII. Dem König HARALD von Dänemark schreibt er (20), es gezieme sich, daß er seinem verstorbenen Vorgänger, der ihm als guter Vater das Erbe des irdischen Reiches hinterlassen hat, durch Gebete und gute Werke in der andern Welt zu Hilfe kommt.
In seinem Brief an den Herzog RUDOLF von Schwaben heißt es (21), die Eintracht zwischen dem sacerdotium et imperium [Priestertum und den weltlichen Herrschern - wp] dürfe nichts Erheucheltes, nur Lauterkeit enthalten.
"Es ist billig", schreibt GREGOR an einen Grafen (24), "daß du demjenigen, der eine so große Menge von Menschen deinem Wink unterworfen hat, wenigstens einen Menschen, nämlich dich selbst, mit reinem Gemüt und Herzen bewahrst." Merkwürdig ist, daß GREGOR dem König HEINRICH selbst vor dessen Absetzung als denjenigen anredet, "den Gott an die höchste Spitze der Regierung gestellt hat" (quem Deus in summo rerum posuit culmine) (25). Zum Schluß nur noch eine Stelle aus einem Brief GREGORs an König SVEN von Dänemark (26). Er bittet ihn, die ihm anvertraute oberste Regierungsgewalt (regni gubernacula) nach den Absichten Gottes (secundum Deum) zu verwalten, und mit dem Namen der hohen königlichen Würde (regalis excellentiae) die entsprechenden Tugenden zu üben, indem er zeigt, daß die Gerechtigkeit, vermöge deren er den Untergebenen gebiete, auch in seinem Herzen herrscht.
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1) dritte Auflage, Breslau 1913, Seite 62. 2) siebente Auflage, Bd. V, 1914, Seite 323 3) d. h. der concordia inter sacerdotium et regnum [Vertrag zwischen Priestertum und Königreich - wp] 4) Berlin 1868 - 1913, 4 Bde., Bd. III (1881), Seite 125. 5) AUGUSTINUS, De civitas Dei, l. 19 c. 12 6) AUGUSTINUS, Confessiones, l. 3 c. 8 7) De diversis quaestionibus, Migne P. L. I. 40 col. 76. 8) De civitas Dei l. 19 c. 23 9) Enarr. in ps. 124, 7; in ps. 55, 2; in ps. 118 sermo 31, 1. 10) Apostelgeschichte 4, 12 11) So z. B. von B. SEIDEL, Die Lehre vom Staat bei hl. Augustinus, 1909; J. MAUSBACH, Die Ethik des hl. Augustinus, 1909; und besonders O. SCHILLING, Die Staats- und Soziallehre des hl. Augustins, Freiburg 1910, und desselben Naturrecht und Staat nach der Lehre der alten Kirche, Paderborn 1914. 12) Matthäus 22, 18, 19. 13) Römer 13 14) 1. Timotheus 2. 15) 1. Petrus 2, 13, 14. 16) Prov. 8, 15. 17) Sap. 6, 2 18) Epist. 1, VIII, Nr. 21 bei JAFFÈ, Monum. Gregor. Berolisi 1865, Seite 60; bei Migne Patr. L. t. 148 col. 596; schon in einem früheren Brief an denselben Bischof vom Jahr 1076 hatte der Papbst die gleichen Lehren vorgetragen, JAFFÈ, ebd. Seite 241; Migne col. 453. 19) Johannes 21, 15f; Matthäus 16, 18, 19; 2. Korinther 10, 8. 20) Ep. 1, V n. 10, JAFFÉ, Seite 300; Migne Patr. L. t. 148 col. 496 21) Ep. 1, I n. 19, JAFFÉ, Seite 33; Migne col. 302. 22) Ep. 1, VII n. 6, JAFFÉ, Seite 385; Migne col. 550. 23) Ep. 1, VII n. 23, JAFFÉ, Seite 415; Migne col. 566. 24) Ep. 1, VIII n. 32, (l. IX, 9) JAFFÉ, Seite 483; Migne col. 614. 25) Ep. 1, III n. 7, JAFFÉ, Seite 212; Migne col. 455. 26) Ep. 1, II n. 51, JAFFÉ, Seite 167; Migne col. 403. |