ra-3von RümelinE. JonakK. KniesM. DrobischA. QueteletA. Wagner    
 
WILHELM LEXIS
Statistik

"Die sogenannte Göttingische Schule charakterisiert sich überhaupt durch die Auffassung der Statistik als einer historischen und empirischen Staatslehre. Nur aus diesem Gesichtspunkt ist die Heftigkeit des Streites zu verstehen, der im Anfang dieses Jahrhunderts von den Vertretern dieser Schule gegen die Tabellenknechte,  die gemeinen Zahlenstatistiker, geführt wurde. Die Auffassung der Statistik als einer Buchführung über die persönlichen und materiellen Hilfsmittel des Staates galt vom Standpunkt der höheren Statistiker als materialistisch und gewissermaßen unsittlich, da die Kräfte des Staates und das Heil der Völker nicht einfach nach dem Augenfälligen oder nach toten Massen bemessen werden dürfen."

1.  Wesen und Aufgabe der Statistik.  Statistik nennt man nach dem gegenwärtig allgemein geltenden Sprachgebrauch jede Auskunft über Zustände oder Vorgänge, die darauf beruth, daß beobachtete Einzelfälle unter Abstraktion von ihren Verschiedenheiten als gleichartig gezählt und zu Gruppen vereinigt werden. So gibt es eine Statistik der Gewitter, Sonnenflecke und anderer Naturerscheinungen. Im engeren Sinne aber versteht man unter Statistik die Anwendung dieser Darstellungs- und Untersuchungsmethode auf den in  Staat und Gesellschaft lebenden Menschen,  und im folgenden fassen wir sie nur in diesem Sinne auf, also kurz gesagt, als die zahlenmäßige Untersuchung des gesellschaftlichen Menschenlebens. Für die Erforschung der Natur bietet die statistische Methode in der Regel nur eine Vorbereitung, über die die Wissenschaft bald hinauskommt, indem sie den inneren Zusammenhang der anfangs einfach koordinierten Einzelerscheinungen entdeckt und disen nicht selten durch exakte einfache Grundformeln ausdrücken lernt. Die Einzelheiten des Menschenlebens aber weisen mit zunehmender Kultur eine immer größer und verwickelter werdende Mannigfaltigkeit auf, sie gehen von mehr oder weniger selbständigen Individualitäten aus, hängen von gänzlich unberechenbaren subjektiven Neigungen und Motiven ab und können daher noch weniger als Wind und Wetter auf einfache Formeln gebracht werden. Soweit sie einen durchaus individuellen Charakter tragen, sind sie  historischer  Natur und daher auch auf die historische Darstellungsweise angewiesen. Wille man jedoch die nichthistorischen, aber die Grundlagen des menschlichen Gesellschafts- und Gattungslebens bildenden Erscheinungen überhaupt einer wissenschaftlichen Betrachtung unterwerfen, so bietet die Statistik dazu das einzige Hilfsmittel. Da man nicht alle Verschiedenheiten der Einzelerscheinungen festhalten, noch weniger die inneren Beziehungen derselben erkennen kann, so bleibt eben nichts übrig, als sie nach gewissen besonders wichtigen Merkmalen zu klassifizieren, die numerische Stärke der so entstehenden Gruppen festzustellen und wenigstens die äußeren Beziehungen derselben unter sich durch eine Berechnung von Verhältniszahlen zu ermitteln. Handelt es sich um eine gewissermaßen  statische  Darstellung, den statistischen Ausdruck eines bestimmten gegebenen Zustandes, z. B. der Verteilung der Bevölkerung eines Landes zu einer gegebenen Zeit nach Geschlecht, Altersklassen und Familienstand, so sind die entstehenden Gruppen ein für allemal fest umgrenzt; führt man ein neues Unterscheidungsmerkmal ein, z. B. den Beruf oder die Konfession, so wird möglicherweise wieder jede Gruppe in mehrere Teilgruppen zerlegt, und so werden die Elementargruppen mit zunehmender Zahl der Unterscheidungen qualitativ immer konkreter und individueller, zugleich aber immer weniger besetzt. Man darf also nicht zuweit in den Unterscheidungen gehen, weil man sonst den Zweck verfehlt, über die individuellen Mannigfaltigkeiten hinaus zu einem Überblick des Wesentlichen zu gelangen. Handelt es sich um die Darstellung eines gewissermaßen  dynamischen  Vorgangs, z. B. bestimmter, in der Zeit fortschreitender Zustandsänderungen einer Bevölkerung, so ist durch angemessene Zeitabgrenzungen gleichsam ein Netzwerk aufzustellen, dessen Maschen nach und nach durch die Beachtungsobjekte ausgefüllt werden.

Diese eigentümliche Untersuchungsmethode durch numerische Gruppenbildung setzt ansich nicht notwendig voraus, daß die Gesamtzahl der Beobachtungsobjekt eine große ist, daß es sich also um eine sogenannte  Massenerscheinung  handelt. Aber bei kleinen Gesamtheiten von Einzelerscheinungen treten die spezifischen Eigentümlichkeiten der statistischen Methode immer mehr zurück, je kleiner die Gruppen werden, und man kommt schließlich einfach zu einer individuellen Untersuchung des Einzelnen. Auch weisen kleine Gruppen nicht die annähernd stabilen Verhältniszahlen auf, die erfahrungsmäßig in vielen Fällen bei der Beobachtung großer Gesamtheiten bemerkbar werden und den Gegenstand besonderer weiterer Untersuchungen bilden. Die Statistik befaßt sich daher im allgemeinen nur mit  Massenerscheinungen  des staatlichen und gesellschaftlichen Lebens, wenn auch die Art ihrer Gruppenbildung es mit sich bringt, daß sie in die gleiche Linie mit sehr großen oft auch sehr kleine Zahlen stellt. Eine statistische Beobachtung der bedeutsamen Massenerscheinungen innerhalb eines ganzen Staates oder wenigstens eines größeren Bevölkerungskreises läßt sich aber mit den Hilfsmitteln eines Einzelnen und selbst mit Hilfe einer privaten Vereinstätigkeit höchstens in einzelnen Punkten befriedigend ausführen; im allgemeinen ist dazu ein organisierter Verwaltungsapparat erforderlich, wie ihn die amtlichen staatlichen und städtischen statistischen Büros darbieten. Diese sind also die eigentlichen statistischen Produktionsstätten, und die Statistik als Wissenschaft hat zu bestimmen, welche Erhebungen durch diese Organe zu machen sind und in welcher Art der erhobene Stoff zu gruppieren und zu ordnen ist. Das Wissenschaftliche in dieser Aufgabe aber besteht eben darin, daß die wirklich bedeutsamen statistischen und gesellschaftlichen Erscheinungen richtig erkannt werden, daß die einzelnen Gruppen nach den wirklich charakteristischen Merkmalen abgegrenzt werden, daß das resultierende abstrakte Zahlenbild zugleich den größtmöglichen konkreten Inhalt bewahrt, daß bei Bewegungserscheinungen die zeitlichen Bestimmungen so gewählt werden, daß die fortlaufende Beobachtung  derselben Gesamtheit  möglich wird (siehe den Artikel "Bevölkerungswechsel", Bd. II, Seite 689). Die Erfüllung dieser Forderungen ist keineswegs leicht; sie setzt vor allem umfassenden Kenntnisse der  Einzelheiten  der Erscheinungen voraus. Denn wenn diese Einzelheiten auch in den Schlußzahlen verschwinden, so ist doch ohne Kenntnis derselben eine richtige Klassifikation der Gesamtheit der Beobachtungen nicht möglich. Daher werden bei der Aufstellung des Programms für besonders schwierige Erhebungen, z. B. Gewerbezählungen, häufig auch noch besondere Sachverständige zu Rate gezogen.

Die Grundlehre der Statistik als Wissenschaft ist also einfach die Theorie der von den statistischen Büros geübten praktischen Tätigkeit. Die letzteren sind nach einem Ausdruck ENGELs die statistischen Produzenten und sie liefern den Stoff schon in einem dem allgemeinen Bedürfnis entsprechenden Grad von Verarbeitung ab. Die wissenschaftlichen "Konsumenten" der Statistik übernehmen ihn nur teils als bloßes Material zur erfahrungsmäßigen Begründung der Lehren anderer Wissenschaften, wie der Volkswirtschaftslehre, der Finanzwissenschaft, der Soziallehre, der Hygiene, teils aber auch zu dem Zweck, ihn an und für sich einer weiteren genaueren Untersuchung zu unterwerfen. Letzteres findet statt auf dem Gebiet der Bevölkerungs- und der Moralstatistik, weil sich hier eigentümliche Regelmäßigkeiten in den Zahlenverhältnissen gewisser Massenerscheinungen herausstellen, die vorläufig nicht weiter erklärt werden können, sondern einfach als Tatsachen hingenommen werden müssen. Hier handelt es sich vor allem darum, den  Grad  der Stabilität solcher empirischer Verhältniszahlen zu bestimmen, was in rationeller Weise nur mit Hilfe der Wahrscheinlichkeitsrechnung geschehen kann (siehe den Artikel "Gesetz", Bd. IV, Seite 234). Man wird im allgemeinen finden, daß jene Stabilität nach den Gesichtspunkten der Wahrscheinlichkeitsrechnung bemessen durchweg trotz des oft frappierenden äußeren Scheins nur eine geringe ist, daß solche Verhältniszahlen keine selbständige, primäre, gewissermaßen naturgesetzliche Bedeutung haben, daß ihr Wert vielmehr umgekehrt darin besteht, daß sie sehr empfindliche Gradmesser für gewisse Zustände sind und jede wesentliche Änderung der Grundlagen derselben in ihren Schwankungen abspiegeln. Bestimmte Beziehungen zwischen den Zustandsänderungen und den Schwankungsgrößen lassen sich häufig nachweisen, jedoch nicht immer, weil die ersteren sehr zusammengesetzter Art zu sein pflegen und oft verschiedene, im entgegengesetzten Sinn auf das beobachtete Zahlenverhältnis einwirkende Ursachen zu gleicher Zeit tätig sind. Diese sekundäre Verarbeitung der Ergebnisse der statistischen Beobachtung bildet den höchsten Ausläufer des theoretischen Teils der Statistik, darf aber in ihrer gewissermaßen naturwissenschaftlichen Bedeutung nicht überschätzt werden.

Die meisten staatlichen statistischen Ämter liefern in der Form von Jahrbüchern oder ähnlichen Veröffentlichungen auch übersichtliche Zusammenfassungen der wichtigsten Ergebnisse auf allen Gebieten der amtlichen Statistik, die also für eine bestimmte Zeit eine in charakteristischen Zahlenbildern ausgedrückte Darstellung der jeweils bestehenden staatlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Zustände geben. Solche namentlich auch für den praktischen Gebrauch in weiteren Kreisen bestimmte Zusammenfassungen bilden die letzte Stufe der Stoffverarbeitung, bis zu der die statistischen Ämter vorzugehen pflegen. Es mag aber dem Bedürfnis des größeren Publikums entsprechen, daß jene bloßen Zahlenbilder durch Erläuterungen namentlich auch aus der wirtschaftlichen und sozialen Gesetzgebung vervollständigt, daß auch die geographischen und staatsrechtlichen Verhältnisse des betreffenden Landes mit in die Darstellung gezogen werden, und in allem auch die geschichtliche Entwicklung berücksichtigt wird. So entsteht eine  Staatsbeschreibung,  nicht als eine besondere Wissenschaft, sondern als ein durch einen besonderen Zweck verbundener Wissenskreis, zu dem auch die Statistik im heutigen Sinne mehr oder weniger Beiträge liefert. Es hat sich nun unglücklicherweise so getroffen, daß das schlecht gebildete, hybride Wort  Statistik  (vom neulateinischen  status  im Sinne von Staat, durch Vermittlung des Wortes  statista,  nicht aber von  status  im Sinne von Zustand abgeleitet) im vorigen Jahrhundert zuerst auf jene Staatsbeschreibung angewandt worden ist, und da nun später allmählich eine Verschiebung der Bedeutung dieser Bezeichnung zu ihrem heutigen Sinn eintrat, so entstanden dadurch endlose und überflüssige Streitigkeiten über den "Begriff der Statistik".

2.  Geschichtliche Entwicklung.  Solche Staatsbeschreibungen gab es schon im Altertum - es sei nur an die  Politien  des ARISTOTELES erinnert; am Eingang der neueren Zeit beschrieb AENEAS SILVIUS PICCOLOMINI die Zustände Deutschlands, MACCHIAVELLI die Deutschlands und Frankreichs; aus dem 16. und 17. Jahrhundert seien erwähnt die Staatsbeschreibungen SANSOVINOs (1562), die  Relazioni universali  BOTEROs (1544), die  Kosmographie  SEBASTIAN MÜNSTERs (1544), die Weltbeschreibung des Franzosen d'AVITY (1614, mehrfach fortgesetzt), die von J. van LAET († 1649) in zahlreichen Bändchen herausgegebenen  Respublicae Elzeverianae.  In Deutschland führte CONRING († 1681) in Helmstedt seit 1660 diese bis dahin nur populär behandelte Staats- oder Staatenkunde als akademischen Lehrzweig ein und suchte ihr daher einen streng wissenschaftlichen Anstrich zu geben, indem er sie nach scholastischen Grundsätzen in ein System brachte. Seitdem wurden an manchen deutschen Universitäten mehr oder weniger regelmäßig "Collegia statistica" gehalten, so z. B. bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts von BOSE, G. SCHUBART, SCHMEITZEL, WALCH in Jena, von GUNDLING in Halle, von BECKMANN in Frankfurt / Oder, von J. D. KÖHLER in Altdorf und Göttingen. Wenn gleichwohl ACHENWALL (siehe den Artikel in Bd. I, Seite 26) häufig als "Vater der Statistik" (d. h. der Staatsbeschreibung als akademischen Lehrfachs) bezeichnet wird, so verdankt er dies dem Umstand, daß er den Namen  Statistik  als Substantiv (während bis dahin nur das Adkektiv "statistisch" gebraucht worden war) für diesen Lehrzweig einführte und seinem ansich recht dürftigem Kompendium über die "Staatsverfassung der vornehmsten europäischen Reiche" eine Einleitung voranschickte, in der er den Begriff und die Aufgabe der Statistik in seinem älteren Sinn festzustellen suchte. Er definierte die "Staatsverfassung" als den "Inbegriff der wirklichen Merkwürdigkeiten eines Staates" und die Statistik als die Lehre von der Verfassung eines oder mehrerer Staaten in diesem Sinne. Man könne sie auch als historische Staatslehre im Gegensatz zur philosophischen Staatslehre bezeichnen, und ihr Zweck sei die Erlangung der Staatskenntnis. Zahlen, das eigentliche Element der Statistik im heutigen Sinn, kommen im ACHENWALLschen Buch überhaupt nicht vor, und sie spielen auch in allen oben genannten Werken keine Rolle. Erst gegen Ende des vorigen Jahrhunderts, als das Zahlenmaterial reichlicher vorhanden und leichter zugänglich geworden war, nahm es auch in den für den praktischen Gebrauch bestimmten Staatsbeschreibungen einen größeren Raum ein, wobei sich zugleich der Unterschied von Staatskunde und politischer Geographie allmählich immer mehr verwischte. BÜSCHING wurde als Begründer einer besonderen Art der Statistik, nämlich der vergleichenden, angesehen, der man die ACHENWALLsche als die ethnographische oder auch die Universitätsstatistik gegenüberstellte. ACHENWALLs Nachfolger in Göttingen, SCHLÖZER (siehe den Artikel in Bd. VI, Seite 591), blieb im wesentlichen auf dem Standpunkt seines Vorgängers, und die sogenannte Göttingische Schule charakterisiert sich überhaupt durch die Auffassung der Statistik als einer historischen und empirischen  Staatslehre.  Nur aus diesem Gesichtspunkt ist die Heftigkeit des Streites zu verstehen, der im Anfang dieses Jahrhunderts von den Vertretern dieser Schule gegen die "Tabellenknechte", die "gemeinen" Zahlenstatistiker, geführt wurde; und so erklärt sich auch die eigentümliche Verzweiflung, in der LÜDER in seiner "Kritik der Statistik und Politik" der Statistik den Absagebrief schrieb. Die Auffassung der Statistik als einer Buchführung über die persönlichen und materiellen Hilfsmittel des Staates galt vom Standpunkt der "höheren Statistiker" als materialistisch und gewissermaßen unsittlich, da die Kräfte des Staates und das Heil der Völker nicht einfach nach dem Augenfälligen oder nach "toten Massen" bemessen werden dürfen. LÜDER findet aber, daß die "höheren" Statistiker schließlich doch noch wenige geleistet hätten als die von ihnen verachteten "gemeinen"; es sei überhaupt nicht möglich, den gegenwärtigen Zustand eines Volkes, seine Macht und sein Glück zu bestimmen; wer das versucht, steigt hinab in die Tiefen der Unendlichkeit; wie bei den Winden des Firmaments verstummt auch dort die Rede, und im kleinen dunklen Menschengehirn ist für die unendlichen Vorstellungen keine Stelle zu finden; man will das Glück der Völker bestimmen und kann nie einig werden über den Begriff der Glückseligkeit etc. Diese tragischen Worte werden offenbar bedeutungslos, wenn man unter Statistik nicht eine alles umfassende soziologische Staatslehre versteht, sondern einfach das, was sie seit der Ausbildung ihrer amtlichen Pflegestätten tatsächlich ist, die exakte Erforschung derjenigen Seiten des Staats- und Gesellschaftslebens, die einer zahlenmäßigen Behandlung zugänglich sind. Sie liefert vor allem ein wissenschaftliches zuverlässiges Material und sie kann es anderen Wissenschaften überlassen, dasselbe zur Beantwortung wirtschaftlicher, sozialer, politischer, ethischer und anderer Fragen zu verwerten. Die von den "höheren" angegriffenen "gemeinen" Statistiker waren die Verfasser von Kompendien der Staatskunde, deren Unvollkommenheit nicht in einem Übermaß, sondern in der Unzulänglichkeit ihres Zahlenmaterials lag. Noch im 18. Jahrhundert wurden in den meisten Staaten die Ergebnisse der amtlichen Erhebungen geheim gehalten; in England jedoch führte das höher entwickelte politische Leben schon seit dem Ende des 17. Jahrhunderts mehr und mehr zu umfassenden Veröffentlichungen von statistischem Material in einem modernen Sinn. Erst im vorigen Jahrhundert fand dieses Beispiel allgemeine Nachahmung, und nunmehr wurde auch die wirklich statistische Grundlage der Staatskunde immer breiter und sicherer. Das praktische Bedürfnis nach zuverlässigen, dem Stand der Gegenwart entsprechenden Staatsbeschreibungen war dauernd vorhanden, und so erschienen dann ich in den letzten siebzig Jahren nicht wenige Werke, um es zu befriedigen, und unter diesen auch manche von wissenschaftlichem Wert, wie SCHUBERTs "Handbuch der allgemeinen Staatskunde von Europa", von VIEBAHNs "Statistik des Zollvereins", HAINs "Statistik des österreichischen Kaiserstaates", Mac CULLOCHs "Statistical Account of the British Empire", M. BLOCKs "Statistique de la France" etc. Auch andere Kompendien, wie KOLBs vergleichende Statistik und BRACHELLIs "Staaten Europas" sind nicht ohne Verdienst. Aber immer handelt es sich in diesen Werken nur um eine Anwendung und Verwertung der Statistik, nicht um die Statistik ansich als selbständige Wissenschaft. Das wurde auch durch die 1850 erschienene Schrift von KNIES zur allgemeinen Anerkennung gebracht. Die eigentlich selbständige Aufgabe der Statistik sah KNIES in den von der sogenannten politischen Arithmetik ausgehenden exakten zahlenmäßigen Untersuchungen der Erscheinungen der menschlichen Gesellschaft. Diese Untersuchungen haben ihren Ursprung in England genommen, und an ihrer Spitze steht die merkwürdige Schrift GRAUNTs (siehe den Artikel Bd. IV, Seite 774) über die Sterblichkeitslisten (1662). PETTY (siehe den Artikel Bd. VI, Seite 66) führte die Bezeichnung "politische Arithmetik" für diese und ähnliche Untersuchungen ein, legte aber freilich in Ermangelung von positivem Material seinen Rechnungen vielfach willkürliche Schätzungen zugrunde. Die erste wirkliche Sterblichkeitstabelle, von HALLEY aus dem von C. NEUMANN gelieferten Breslauer Material berechnet, fällt ebenfalls noch in das 17. Jahrhundert. Sterblichkeits-, Versicherungs- und Rentenrechnungen bildeten auch im 18. Jahrhundert den Hauptteil der politischen Arithmetik, und sie gaben auch zuerst Anlaß zur Anwendung der Wahrscheinlichkeitsrechnung auf die menschlichen Erscheinungen. KERSSEBOOM, DEPARCIEUX, MESSANCE, MOHEAU, PRICE gehören zu den politischen Arithmetikern in diesem Sinn. In Deutschland erhob sich SÜSSMILCH zu einer allgemeineren Auffassung der bevölkerungsstatistischen Tatsache, indem er eine durchgreifenden Gesetzmäßigkeit oder, wie er sie als Theologe nannte, eine göttliche Ordnung in den "Veränderungen des menschlichen Geschlechts, der Geburt, dem Tod und der Fortpflanzung desselben" nachzuweisen suchte. Obwohl SÜSSMILCHs Buch mehrere Auflagen erlebte, fanden sich doch lange Zeit keine Nachfolger in der von ihm angebahnten Richtung, wenn auch die mathematische Seite der Statistik von Mathematikern ersten Ranges, wie LAPLACE, FOURIER, POISSON mancherlei Förderung erhielt. So blieb es QUETELET (siehe den Artikel, Bd. VI, Seite 293) vorbehalten, wieder eine neue Wendung in der Auffassung der letzten Ziele der Statistik herbeizuführen, indem er in der Sprache der modernen Naturwissenschaft ähnliche Grundsätze aufstellte, wie sie SÜSSMILCH in theologischer Fassung ausgesprochen hatte. Es sollte auf exaktem Weg eine Physik oder Physiologie der menschlichen Gesellschaft geschaffen werden, und die beobachteten Regelmäßigkeiten in den statistischen Zahlenverhältnissen wurden wie Ausdrücke von Naturgesetzen betrachtet. Namentlich trat die Moralstatistik (siehe den Artikel Bd. V, Seite 865) jetzt in den Vordergrund des allgemeinen Interesses, da sich an sie philosophische Fragen von höchster Tragweite knüpften. Das Buch ADOLPH WAGNERs über die "scheinbar willkürlichen" Handlungen und die Moralstatistik A. von ÖTTINGENs zeigen, wie ernsthaft man sich noch ein Menschenalter nach dem Erscheinen des QUETELETschen Hauptwerkes in Deutschland mit diesen Problemen beschäftigte, zumal nachdem kurz vorher BUCKLE die QUETELETsche Naturgesetzlichkeit des menschlichen Gesellschaftslebens in der schärfsten, wenn auch wenig sachverständigen Weise hervorgehoben hatte. Das besondere Gebiet der Untersuchung der Sterblickeit fand mehrere verdienstliche Bearbeiter, wie L. MOSER, Ph. FISCHER, HEYM, Ad. BERTILLON; volle wissenschaftliche Strenge aber wurde in diese Untersuchungen erst durch die Arbeiten von BECKER, KNAPP, ZEUNER u. a. gebracht. Die Theorie der Statistik von H. WESTERGAARD, der auch ein größeres Werk über Mortalität und Morbidität veröffentlich hat, beschäftigt sich namentlich auch mit der Anwendung der Wahrscheinlichkeitsrechnung auf die Statistik. Eine übersichtliche Zusammenfassung des Materials gab WAPPÄUS in seiner Bevölkerungsstatistik, ebenso von FIRCKS für die neueste Zeit. Mit eindringlicher Systematik behandelt GEORG von MAYR die Bevölkerungsstatistik im zweiten Teil seiner Statistik und Gesellschaftslehre, deren erster Teil die theoretische Statistik enthält. Das große Werk von LEVASSEUR über die französische Bevölkerung, das diese nach allen Seiten und in ihrer geschichtlichen Entwicklung darstellt, gibt zugleich bevölkerungsstatistische Übersichten für die wichtigsten übrigen Staaten. So dankenswert aber auch alle solche feineren, auf die Ermittlung gesellschaftlicher Regel- oder Gesetzmäßigkeiten gerichtete Verarbeitungen des statistischen Materials sein mögen, so bleibt doch die wissenschaftlich behandelte praktische Statistik der Hauptteil der statistischen Wissenschaft. Die Anfänge der zu staatlichen Zwecken vorgenommenen statistischen Erhebungen reichen weit in das Altertum zurück, und der römische Zensus stellt bereits eine hochausgebildete ständige Einrichtung zu praktischen statistischen Zwecken dar. Im Mittelalter finden wir im "Doomsday Book" WILHELMs des Eroberers, im "Erdbuch" WALDEMARs II. und ähnlichen Landbüchern amtlich-statistische Leistungen; dazu kommen Volksaufnahmen, namentlich in Städten, die aber wieder nur praktischen Bedürfnissen entsprechen und daher nur gewisse Kategorien der Bevölkerung betreffen. Später kam noch die regelmäßige kirchliche Buchführung über die Geburten, Todesfälle und Trauungen hinzu, die den Grund zu der in der Folgezeit so wichtig gewordenen Statistik der Bewegung der Bevölkerung legte. Je mehr sich dann das moderne polizeistaatliche Verwaltungssystem ausbildete, umso unumgänglicher wurde es für die Behörden, sich durch Listen und Tabellen eine übersichtliche Kenntnis der Zustände und Dinge zu verschaffen, die sie zu überwachen und in ihrem Gedeihen zu fördern hatten. So wurden in Preußen schon unter FRIEDRICH WILHELM I. ein höchst detailliertes Programm der amtlichen Statistik aufgestellt, dessen Ausführung freilich unvollkommen blieb. Wissenschaftliche Absichten lagen dieser älteren statistischen Praxis gänzlich fern; ihr Verfahren ergab sich unmittelbar aus den Bedürfnissen der Verwaltung, und zu methodologischen Untersuchungen lag kein Anlaß vor. Amtliche Veröffentlichungen statistischer Ergebnisse fanden außerhalb Englands nicht statt, höchstens gelangten durch bevorzugte Privatpersonen einzelne Mitteilungen an die Öffentlichkeit.

Erst seit dem Anfang dieses Jahrhunderts drang der wissenschaftliche Geist nach und nach in die amtliche praktische Statistik ein, und zwar hing dies mit der Gründung der statistischen Büros zusammen, die nunmehr als spezielle Organe der statistischen Erhebungen auftraten und als solche zu einer spezialisierten Technik und Methodik und durch deren Anwendung auf ein spezielles Untersuchungsgebiet auch zu der Erkenntnis besonderer wissenschaftlicher Aufgaben gelangten. Der wisenschaftliche Charakter der zu einer Spezialität gewordenen amtlichen Statistik trat in Deutschland bald darin hervor, daß viele Leiter von statistischen Büros zugleich mit den deutschen Hochschulen in Verbindung standen und sich eines anerkannten Rufes als Gelehrte erfreuten.

3.  Einteilung.  Betrachten wir schließlich noch kurz die Einteilung des Gesamtgebietes der Statistik, so bietet sich als zweckmäßigster leitender Gesichtspunkt die Unterscheidung an, ob die menschliche Persönlichkeit oder das menschliche Handeln selbst oder ob irgendwelche  sachlichen  Gegenstände, die als Erzeugnisse seiner Tätigkeit oder auf andere Art zum Menschen in Beziehung stehen, die Objekte der statistischen Beobachtung bilden. Man kann also hiernach personalstatistische und realstatistische Beobachtungen unterscheiden.

Die menschliche Persönlichkeit erscheint nun zunächst als ein  biologisches  Objekt. Geburt und Tod der Individuen sind die letzten Elemente der gesellschaftlichen Massenerscheinungen; die Eheschließung als die normale gesellschaftliche und sittliche Vorbedingung der Fortpflanzung gehört ebenfalls noch in diese menschliche Biologie, und andererseits kann man ihr auch noch die auf das medizinisch-naturwissenschaftliche Gebiet hinübergreifende Krankheitsstatistik anschließen. So gelangen wir zu einem wohlbegrenzten Kreis personalstatistischer Untersuchungen, den man in Deutschland als  Bevölkerungs statistik, in Frankreich und anderen Ländern aber in der neueren Zeit (nach dem Voranschreiten GUILLARDs) als  Demographie  (1) zu bezeichnen pflegt. Sie umfaßt also alle von den Geburten, Sterbefällen und Eheschließungen abhängigen statistischen Tatsachen, also auch die durch die Ereignisse bedingten  Zustände  der beobachteten Gesamtheit, wie sie durch die Volkszahl, die Altersverteilung der gleichzeitig Lebenden, die Zahl der bestehenden Ehen etc. charakterisiert werden. Zur Vervollständigung des Stoffes müssen auch die durch Aus- und Einwanderung entstehenden Veränderungen der Bevölkerung mit berücksichtigt weden. Die Hinzunahme der Krankheiten rechtfertigt sich durch die nahe Beziehung derselben zur Sterblichkeit. Die  Anthropometrie,  die den Menschen wesentlich nur als Naturobjekt und nicht als gesellschaftliches Wesen betrachtet, bildet eine naturwissenschaftliche Verwertung der statististischen Methode und gehört nicht mehr zur Demographie. Ebensowenig ist andererseits die  Moralstatistik  mit der Demographie zu vereinigen. Sie bildet vielmehr ebenfalls ein selbständiges Gebiet der Personalstatistik, in dem der Mensch nicht als den biologischen Prozessen unterliegendes Wesen, sondern als bewußte und mit moralischer Verantwortlichkeit handelnde Persönlichkeit zum Gegenstand der Beobachtung wird. Die Ehestatistik und die Statistik der unehelichen Geburten kann allerdings auch zur Moralstatistik gezogen werden, jedoch dürfte es im Ganzen angemessener sein, diesen Kapiteln ihren Platz in der Demographie zu belassen. Die Statistik der Religionsbekenntnisse und der Betätigung des religiösen Lebens (z. B. der kirchlichen Trauungen, Taufen etc.) kann ebenfalls zur Moralstatistik gerechnet werden, ebenso auch die im Ganzen noch wenig ausgebildete statistische Beobachtung des intellektuellen Lebens, das zur moralischen Entwicklung immer in naher Beziehung steht.

Demographie und Moralistatistik sind Zweige der Wissenschaft von großer Selbständigkeit, die für sich und unabhängig von anderen Wissenschaften gepflegt werden können. Von der  Statistik des wirtschaftlichen Lebens  läßt sich nicht das gleiche sagen; sie erscheint wesentlich als Hilfswissenschaft für die Volkswirtschaftslehre und Sozialpolitik. Ihre Aufgabe ist, möglichst eingehende Zahlenangaben über die Produktion, die Verteilung und die Konsumtion der Güter zu liefern, und sie hat zu diesem Zweck sowohl personalstatistische wie realstatistische Untersuchungen anzustellen. Das allgemeine Verhältnis der Personen zur  Produktion  wird durch die  Berufsstatistik  ermittelt, wobei sich zugleich die wirtschaftlich-soziale Gliederung der Gesellschaft ergibt. Die Verteilung der Produktionskraft auf die einzelnen Unternehmungen untersucht die  landwirtschaftliche  und gewerbliche Betriebsstatistik, die aus einem personalstatistischen und einem realstatistischen Teil besteht. Denn die Betriebe werden in erster Linie durch das dazu gehörende Personal repräsentiert, das wieder in zahlreiche Kategorien zu zerlegen ist. Nach diesen Kategorien wäre auch die Arbeitszeit in den einzelnen Betrieben sowie die durch die Art des Betriebes bedingten regelmäßigen Arbeitsstockungen oder Arbeitsbeschränkungen zu ermitteln. Auch über die freiwilligen Arbeitseinstellungen ist genau Buch zu führen, endlich wären auch fortlaufende Erhebungen über die Zahl der überhaupt vorhandenen Arbeitslosen anzustellen. Ferner aber sich auch wichtige realstatistische Fragen zu beantworten, so namentlich die, welche materiellen Produktionsmittel den einzelnen Betrieben zur Verfügung stehen, also z. B. welches die Größe der bewirtschafteten Fläche ist, mit Unterscheidung des gepachteten Landes, welches die Art, Zahl und Stärke der angewendeten Motoren ist, etc. Sehr erwünscht, wenn auch nicht leicht durchführbar, jedoch im amerikanischen Zensus mehrfach vorgenommen, ist die Erhebung des in jedem Betrieb angelegten Gesamtkapitals der jährlich an Löhnen bezahlten sowie auch der für Roh- und Hilfsstoffe verausgabten Summen. Die letztere Angabe führt zur eigentlichen  Produktionsstatistik,  die bisher im Ganzen noch ungenügend ausgebildet ist, jetzt jedoch im Deutschen Reich in umfassender Weise in Angriff genommen ist. Im übrigen beschränken sich die staatlichen Erhebungen dieser Art meistens nur auf die Ernteergebnisse, die Erzeugnisse des Bergbaus und der Hüttenbetriebe und die einer inneren Besteuerung unterworfenen Verbrauchsgegenstände. Für einzelne größere Industriezweige wird die Produktion von den Beteiligten selbst ermittelt, bei der Mehrzahl der Gewerbe aber ist man lediglich auf unsichere Schätzungen angewiesen. Die im amerikanischen Zensus für alle Gewerbe angegebenen Produktionszahlen bieten keine genügende Sicherheit für ihre Zuverlässigkeit und beziehen sich übrigens nur auf den Wert der Erzeugnisse, während das Hauptinteresse in der Feststellung der  Quantität  der erzeugten Produkte liegt. Weit befriedigender ist die  Statistik des Transportwesens  entwickelt, wenigstens soweit es sich um Schiffahrt und Eisenbahnen handelt. Dasselbe gilt von der  Statistik des auswärtigen Handels,  soweit die  Quantitäten  der ein- und ausgeführten Waren in Frage kommen, während die Wertangaben noch immer mit großer Unsicherheit behaftet sind, mögen sie nun auf Deklarationen oder auf Berechnung beruhen. Die amtliche  Statistik des Bank- und Geldwesens  ist in den Vereinigten Staaten in hohem Grad ausgebildet. In Europa beschränkt sie sich auf das Notwendigste, doch kann durch eine private Bearbeitung des in den Berichten der Aktiengesellschaften und ähnlichen Veröffentlichungen vorliegenden oder durch Umfragen erlangten Materials einigermaßen Ersatz geschaffen werden, wie das Beispiel des englischen "Economist" und auch deutscher Fachblätter zeigt. Als Gegenstück zur Betriebsstatistik darf aber auch die Statistik des Untergangs unhaltbar gewordener Betriebe nicht fehlen, also insbesondere die Statistik der Konkurse mit den nötigen Einzelheiten.

Die  Statistik der Verteilung  der Güter hat vor allem eine soziale Bedeutung; denn die Ungleichheiten des Vermögensbesitzes und der Einkommensverteilung sind ja die eigentliche Quelle der ganzen sozialen Frage. Personalstatistisch wäre also festzustellen, wieviele Personen ein Einkommen zwischen bestimmten Grenzen in einer genügend großen Zahl von Stufen, wieviele ein ertragbringendes Vermögen in seinen verschiedenen Formen, ebenfalls nach angemessenen Stufen abgegrenzt, besitzen; aber auch die Qualität des Einkommens kann weiter unterschieden werden: wieviele Personen leben ausschließlich von Lohn, wieviele ausschließlich von Gehältern, von Pensionen oder von Grundbesitz oder sonstigem Vermögen? Wieviele werden durch die Arbeiterversicherung, durch die Armenpflege oder private Wohltätigkeit unterhalten? Die realstatistische Untersuchung andererseits erstreckt sich auf die Gesamtsummen des Einkommens in seinen verschiedenen Stufen und Quellen und des Vermögens in seinen verschiedenen Formen, mit einer Berechnung der durchschnittlichen Kopfanteile; auf die Gesamtsummen und Durchschnittsgrößen der jährlich frei werdenden Erbschaften, die jährlich für Versicherung, gemeinnützige Zwecke, Armenpflege aufgewendeten Summen etc. Die Hauptquelle für die Beantwortung dieser und ähnlicher Fragen sind die Steuerlisten, und man wird z. B. jetzt in Preussen aufgrund der verbesserten Einkommenssteuer und der neuen Vermögenssteuer zu verhältnismäßig zuverlässigen Resultaten gelangen können. Wichtig ist namentlich auch die Verfolgung der Veränderungen der Einkommens- und Vermögensverteilung in der Zeit, da nur auf diese Art die Entscheidung der Frage möglich ist, ob der Gegensatz von Arm und Reich sich immer mehr verschärft oder ob die Schicht der mittleren und mäßigen Einkommen, wenn auch vielleicht aus anderen Quellen entspringend als früher, im Zunehmen begriffen ist.

Auch die Statistik der  Konsumtion  hat vorzugsweise eine soziale Bedeutung. Sie ist wesentlich Realstatistik und zeigt, wie die vorhandenen Einkommen zur Beschaffung von Konsumtionsgütern oder auch zur Vermehrung der Produktions- oder Erwerbsmittel verwendet werden. Die Statistik der Sparsamkeit, die auf einer absichtlichen Bestreitung der Konsumtion beruth, ist wohl eben deswegen am naturgemäßesten mit der Konsumtionsstatistik zu verbinden. In der letzteren spiegelt sich sowohl der übertriebene Luxus der Reichen ab, wie auch die unzulängliche Versorgung der Masse der Bevölkerung nicht nur mit wünschenswerten Kulturgütern, sondern teilweise mit den Mitteln zur Befriedigung der elementaren Bedürfnisse (Nahrung, Kleidung, Wohnung). Als ein Hauptziel der Konsumtionsstatistik ist die Aufstellung typischer Haushaltsbudgets für alle gesellschaftlichen Stufen zu betrachten, eine Aufgabe, zu deren Lösung die privatstatistische Untersuchung vielleicht besser geeignet ist als die amtliche.

Ein weiteres großes Gebiet bildet die  Statistik der Verwaltung in Staat und Gemeinde.  Hier handelt es sich nicht um die Untersuchung von Massenerscheinungen aus verhältnismäßig frei veränderlichen Elementen, sondern vielmehr um die zahlenmäßige Beschreibung fester in gegebenen Bahnen arbeitender Organisationen und deren Wirksamkeit. Welches sind die statistisch nachweisbaren Leistungen der verschiedenen Verwaltungszweige des Staates? Wieviele persönliche Kräfte werden in diesem Zweig verwendet und in welcher Gliederung und lokalen Verteilung? Welche finanziellen Mittel werden für diese Zwecke aufgewendet? Die Finanzstatistik bildet überhaupt den wichtigsten Teil der Statistik der Verwaltung. Sie beantwortet nicht nur die eben gestellte Frage für die übrigen Verwaltungszweige, sondern sie gibt auch selbständige Aufschlüsse über die wichtigsten, das Verhältnis des Staates zur Gesellschaft betreffenden Fragen, wie z. B. über die Belastung der verschiedenen Klassen der Bevölkerung, über das sozialpolitisch höchst wichtige Staatsschuldenwesen, über die zum privatwirtschaftlichen Erwerb bestimmten Staatsbetriebe. Alle diese Fragen treten auch in der Verwaltungsstatistik der großen Städte und meistens in noch konkreterer Weise hervor. Auch das  öffentliche Unterrichtswesen  bildet einen Zweig sowohl der Staats- wie der Gemeindeverwaltung, der von der Statistik nicht vernachlässigt werden darf. Daneben sind aber auch die privaten Unterrichtsanstalten zu berücksichtigen, namentlich wenn diese, wie in Frankreich, unter einem System der "Unterrichtsfreiheit" mit den öffentlichen in einem lebhaften Wettbewerb stehen. - Man kann hier endlich auch noch die  politische Statistik  anschließen, deren Hauptquelle die Wahlergebnisse und deren Hauptinhalt die periodisch erneuerte Verzeichnung der Stärke der verschiedenen Parteien bildet. Auch die Statistik der Zahl und eine Verbreitung der die verschiedenen Parteien vertretenen Zeitungen und Zeitschriften würde hierher gehören.
LITERATUR: Wilhelm Lexis, Statistik, Handwörterbuch der Staatswissenschaften, Bd. 6, Jena 1901
    Anmerkungen
    1) RÜMELIN hatte diese Bezeichnung für die Staatskunde im oben besprochenen Sinn vorgeschlagen, jedoch ist dieser Vorschlag ohne Folgen geblieben. MESSEDAGLIA und ENGEL haben die höchste Stufe der statistischen Soziologie als  Demologie  bezeichnet.