cr-4C. GrubeW. WalzW. EnochE. KönigMFKH. RuinJ. Klein    
 
GEORGE BERKELEY
(1685-1753)
Abhandlung über die Prinzipien
der menschlichen Erkenntnis

[4/5]

"Es wird für eine gar ungereimte Ansicht gehalten, daß sich, wenn ich meine Augen schließe, alle sichtbaren Objekte in meiner Umgebung auf nichts reduzieren sollen, und ist es nicht doch eben dies, was die Philosophen durchgängig zugeben, indem sie allseitig darin übereinkommen, daß Licht und Farben, die einzigen eigentlichen und unmittelbaren Objekte des Sehens, bloß sinnliche Empfindungen sind, die nicht länger existieren, als sie perzipiert werden?"

"In dem Maß, wie der Sinn schärfer wird, perzipiert er eine größere Zahl von Teilen im Objekt, d. h. das Objekt erscheint größer und seine Gestalt ändert sich, da die Teile an seinen Enden, welche zuvor unwahrnehmbar waren, jetzt es in Linien und Winkeln begrenzen, die sehr verschieden von den früher durch den stumpferen Sinn wahrgenommen sind. Und zuletzt muß, nach verschiedenen Änderungen der Größe und Gestalt, wenn der Sinn unendlich scharf wird, der Körper als unendlich erscheinen. Während all dieser Vorgänge findet keine Änderung im Körper statt, sondern nur in dem demselben wahrnehmenden Sinn. Demnach ist jeder Körper, ansich betrachtet, unendlich ausgedehnt. Demnach ist jeder Körper, ansich betrachtet, unendlich ausgedehnt und demzufolge ohne alle Gestalt oder Figur."

"Wir sind zu sehr gefährlichen Irrtümern verleitet worden durch die Voraussetzung einer zweifachen Existenz der Sinnesobjekte, einer intelligiblen im Geist und einer realen außerhalb des Geistes, wobei angenommen wurde, daß undenkende Dinge ein natürliche Existenz ansich haben, die verschieden ist von ihrem Perzipiertwerden durch Geister. Dies, was, wenn ich mich nicht ganz täusche, als eine durchaus grundlose und ungereimte Vorstellung erwiesen worden ist, ist der gerade Weg zum Skeptizismus; denn solange man dafür hielt, daß reale Dinge außerhalb des Geistes existieren, und daß der Erkenntnis derselben nur insofern Realität zukommt, als sie realen Dingen konform ist, mußte folgen, daß es uns nicht gewiß sein kann, daß wir überhaupt irgendeine reale Erkenntnis besitzen. Denn wie kann erkannt werden, daß die Dinge, welche perzipiert werden, jenen anderen konform sind, welche nicht perzipiert werden oder außerhalb des Geistes existieren?"

§ 40 Vielleicht aber erwidert jemand, was wir auch immer sagen mögen, er wolle seinen Sinnen glauben und nicht zugeben, daß Argumente irgendwelcher Art, wie plausibel dieselben auch sind, mehr gelten als die sinnliche Gewißheit. Dem sei so, behauptet, so sehr ihr mögt, die Zuverlässigkeit der Sinne, wir sind ganz damit einverstanden. Das, was ich sehe, höre und fühle, existiert d. h. es wird durch mich perzipiert; daran zweifle ich ebensowenig wie an meinem eigenen Sein. Aber ich sehe nicht, wie das Zeugnis des Sinnes als ein Beweis der Existenz eines Dings angeführt werden kann, welches nicht durch den Sinn perzipiert wird. Wir wollen nicht, daß irgendjemand ein Zweifler wird und seinen Sinnen mißtraut; wir gestehen denselben im Gegenteil alle denkbare Kraft und Zuverlässigkeit zu; auch gibt es keine Prinzipien, welche dem Skeptizismus mehr widerstreiten als die von uns dargelegten, wie hernach klar gezeigt werden wird.

§ 41. Zweitens wird eingewandt werden, es sei ein großer Unterschied zwischen wirklichem Feuer z. B. und der Idee eines Feuers, zwischen dem Traum oder der Einbildung, man habe sich verbrannt und dem wirklichen Verletztsein durch Feuer; dies und Ähnliches mag zur Bekämpfung unserer Thesen vorgebracht werden. Die Antwort auf all dies ergibt sich klar aus dem schon Gesagten, und ich darf hier nur beifügen, daß wenn wirkliches Feuer sehr verschieden von der Idee Feuer ist, ebenso auch der wirkliche Schmerz, den es verursacht, sehr verschieden von der Idee des nämlichen Schmerzes ist, und es hat doch noch niemand behauptet, daß nur die Idee des Schmerzes im Geist ist, wirklicher Schmerz aber in einem nicht perzipierenden Ding oder außerhalb des Geistes ist oder sein kann.

§ 42. Drittens wird eingewandt werden, daß wir Objekte tatsächlich außerhalb von uns oder in einer Entfernung von uns erblicken, und daß dieselben demgemäß nicht im Geist existieren, da die Annahme ungereimt ist, daß die Dinge, welche in der Entfernung von einigen Meilen gesehen werden, uns so nah sind wie unsere eigenen Gedanken. Hierauf antworte ich, man möge doch in Betracht ziehen, daß wir im Traum oft Dinge so perzipieren, als existierten sie in einer großen Entfernung von uns, und daß ungeachtet dessen anerkannt wird, daß diese Dinge ihre Existenz nur im Geist haben.

§ 43. Um aber hierüber volle Klarheit zu gewinnen, mag es der Mühe wert sein, in Betracht zu ziehen, wie es geschieht, daß wir durch den Gesichtssinn Entfernungen und von uns entfernte Dinge wahrnehmen. Denn wenn wir in Wahrheit einen außer uns liegenden Raum und wirklich in ihm existierende Körper, die einen in größerer Nähe, die anderen in weiterer Entfernung von uns wahrnehmen können, so scheint dies einigermaßen dem oben Gesagten, daß sie nirgendwo außerhalb des Geistes existieren, zu widerstreiten. Die Erwägung dieser Schwierigkeit war das, was meinen "Versuch einer neuen Theorie des Sehens" veranlaßte, der vor nicht langer Zeit veröffentlich worden ist. Hierin wird gezeigt, daß Entfernung oder Draußensein vermöge des Gesichtssinnes nicht unmittelbar durch sich selbst perzipiert wird, und daß sie auch nicht aufgrund von Linien und Winkeln oder irgendetwas damit in einer notwendigen Verbindung Stehendem aufgefaßt oder beurteilt wird, sondern vielmehr uns zum Bewußtsein durch gewisse sichtbare Ideen und das Sehen begleitende Wahrnehmungen gelangt, welche ansich keine Ähnlichkeit mit oder eine Beziehung zur Entfernung und entfernten Dingen haben, vermöge einer Verbindung aber, welche wir durch Erfahrung kennen lernen, uns zu Zeichen für Entfernung und entfernte Dinge werden und uns diese ins Bewußtsein rufen, in derselben Weise, wie Worte irgendeiner Sprache die Ideen, zu deren Vertretung sie gebildet worden sind, ins Bewußtsein rufen. So erklärt es sich, daß ein Blindgeborener, der später zum Sehen befähigt wird, anfänglich nicht glaubt, daß die Dinge, die er sieht, außerhalb seines Geistes oder in irgendeiner Entfernung von ihm selbst sind. Siehe § 36 der erwähnten Abhandlung.

§ 44. Die Ideen des Gesichts- und des Tastsinns machen zwei ganz verschiedene und unähnliche Spezies aus. Die ersteren sind Zeichen und Prognostika der letzteren. Daß die eigentümlichen Objekte des Gesichtssinns weder außerhalb des Geistes existieren, noch Bilder von äußeren Dingen sind, haben wir auch in jener Abhandlung gezeigt, obgleich in derselben vorausgesetzt wird, daß das Gegenteil von den tastbaren Objekten gilt, nicht als ob die Zustimmung zu diesem vulgären Irrtum erforderlich wäre, um die dort aufgestellten Ansichten zu begründen, sondern nur weil es außerhalb meines Planes lag, denselben in einer Abhandlung über das Sehen zu prüfen und zu widerlegen. Streng genommen ist demnach von den Gesichtswahrnehmungen, wenn wir durch sie eine Entfernung und entfernte Dinge auffassen, zu sagen, daß sie uns nicht Dinge, die gegenwärtig in einer Entfernung existieren, bekunden oder zum Bewußtsein bringen, sondern uns nur darauf aufmerksam machen, welche Tastideen in unserem Geist entstehen werden nach bestimmten Zeitabschnitten und infolge bestimmter Handlungen. Es ist, sage ich, offenbar nach dem, was in den früheren Teilen dieser Schrift gesagt worden ist, wie auch in § 147 und an anderen Stellen des "Versuchs über das Sehen", daß sichtbare Ideen die Sprache sind, wodurch der herrschende Geist, von dem wir abhängig sind, uns belehrt, was für tastbare Ideen er uns einzuprägen in Begriff steht, falls wir diese oder jene Bewegung in unserem eigenen Körper hervorrufen. Wer jedoch eine vollständigere Belehrung über diesen Punkt sucht, den verweise ich auf den "Versuch" selbst.

§ 45. Viertens wird eingewandt werden, es folge aus den obigen Prinzipien, daß die Dinge in jedem Augenblick vernichtet und neugeschaffen werden. Die sinnlichen Dinge existieren nur, wenn sie perzipiert werden, die Bäume sind also im Garten oder die Stühle nicht länger im Zimmer, als jemand da ist, der sie wahrnimmt. Schließe ich meine Augen, so wird alles, was sich auf der Straße befindet, auf nichts reduziert, und wenn ich nur dieselben öffne, so wird es von Neuem geschaffen. Zur Antwort auf all das verweise ich den Leser auf das, was in § 3, 4 und folgende gesagt worden ist, und wünsche, er möge erwägen, ob er unter der wirklichen Existenz einer Idee etwas versteht, was von ihrem Perzipiertwerden verschieden ist. Ich meinesteils bin nach der genauesten Untersuchung, die ich anstellen konnte, nicht imstande gewesen, irgendetwas anderes zu entdecken, was diese Worte bedeuten. Und ich bitte noch einmal den Leser, seine eigenen Gedanken zu erforschen und sich nicht durch Worte täuschen zu lassen. Wenn er es als möglich denken kann, daß entweder seine Ideen oder deren Urbilder existieren, ohne perzipiert zu werden, dann verteidige ich meinen Satz nicht mehr; kann er dies aber nicht, so muß er zugeben, daß er nicht vernunftgemäß verfährt, indem er sich zum Verteidiger von - er weiß nicht was - aufwirft und mir als eine Ungereimtheit vorwirft, daß ich Sätzen nicht beistimme, die im Grunde sinnlos sind.

§ 46. Es darf nicht unbemerkt bleiben, in welchem Maß sich den herrschenden philosophischen Prinzipien selbst die vorgeblichen Ungereimtheiten vorwerfen lasen. Es wird für eine gar ungereimte Ansicht gehalten, daß sich, wenn ich meine Augen schließe, alle sichtbaren Objekte in meiner Umgebung auf nichts reduzieren sollen, und ist es nicht doch eben dies, was die Philosophen durchgängig zugeben, indem sie allseitig darin übereinkommen, daß Licht und Farben, die einzigen eigentlichen und unmittelbaren Objekte des Sehens, bloß sinnliche Empfindungen sind, die nicht länger existieren, als sie perzipiert werden? Ferner mag es Einigen vielleicht sehr unglaublich scheinen, daß die Dinge jeden Augenblick erschaffen werden; aber eben dieser Satz ist die gewöhnliche Lehre der Schulen. Denn die Schulphilosophen sind, obgleich sie die Existenz der Materie anerkennen und annehmen, daß das ganze Weltgebäude aus ihr gebildet ist, nichtsdestoweniger der Ansicht, daß dieselbe nicht ohne die göttliche Erhaltung bestehen kann, die von ihnen für ein fortwährendes Schaffen erklärt wird.

§ 47. Ferner wird einiges Nachdenken uns zeigen, daß wenn schon die Existenz der Materie oder körperlichen Substanz zugegeben wird, doch unabweisbar aus den Prinzipien, die jetzt allgemein anerkannt sind, folgt, daß die einzelnen Körper, von welcher Art dieselben auch sein mögen, sämtlich nicht existieren, solange sie nicht perzipiert werden. Denn aus § 11f geht hervor, daß die Materie, deren Existenz die Philosophen behaupten, ein unbegreifliches Etwas ist, welches keine solchen Eigenschaften hat, durch welche die unseren Sinnen wahrnehmbaren Körper sich voneinander unterscheiden. Um dies aber genauer zu erklären, muß ich bemerken, daß die unendliche Teilbarkeit der Materie jetzt allgemein angenommen wird, zumindest von den anerkanntesten und ausgezeichnetsten Philosophen, die aufgrund der angenommenen Grundlehren dieselbe unwiderleglich aufzeigen. Hieraus folgt, daß unendlich viele Teile in jedem Teil der Materie sind, die nicht sinnlich wahrgenommen werden. Demgemäß ist der Grund, weshalb irgendein einzelner Körper von einer begrenzten Größe zu sein scheint oder nur eine endliche Zahl von Teilen den Sinnen zeigt, nicht der, daß er nicht mehr Teile enthält, da er ja ansich eine unendliche Zahl von Teilen enthalten soll, sondern der, daß der Sinn nicht scharf genug ist, dieselben zu unterscheiden. In dem Maße, wie der Sinn schärfer wird, perzipiert er demnach eine größere Zahl von Teilen im Objekt, d. h. das Objekt erscheint größer und seine Gestalt ändert sich, da die Teile an seinen Enden, welche zuvor unwahrnehmbar waren, jetzt es in Linien und Winkeln begrenzen, die sehr verschieden von den früher durch den stumpferen Sinn wahrgenommen sind. Und zuletzt muß, nach verschiedenen Änderungen der Größe und Gestalt, wenn der Sinn unendlich scharf wird, der Körper als unendlich erscheinen. Während all dieser Vorgänge findet keine Änderung im Körper statt, sondern nur in dem demselben wahrnehmenden Sinn. Demnach ist jeder Körper, ansich betrachtet, unendlich ausgedehnt. Demnach ist jeder Körper, ansich betrachtet, unendlich ausgedehnt und demzufolge ohne alle Gestalt oder Figur. Hieraus ergibt sich, daß, wenn schon die Existenz der Materie als noch so gewiß zugegeben würde, es doch ebenso gewiß ist, daß die Materialisten selbst durch ihre eigenen Prinzipien genötigt sind anzuerkennen, daß weder die einzelnen sinnlich wahrgenommenen Körper, noch irgendetwas, das denselben ähnlich wäre, außerhalb des Geistes existiert. Die Materie, sage ich, und jedes Teilchen von ihr ist nach der Konsequenz ihrer Prinzipien unendlich und gestaltlos, und der Geist ist es, der all die Mannigfaltigkeit von Körpern gestaltet, welche die sichtbare Welt ausmachen, und von welchen jeder beliebige nicht länger existiert, als er perzipiert wird.

§ 48. Sehen wir genauer zu, so zeigt sich, daß der in § 45 vorgetragene Einwurf nicht mit Recht gegen unsere oben aufgestellten Prinzipien gerichtet wird, und daß er überhaupt nicht irgendwie als ein Einwurf gegen dieselben gelten kann. Denn obschon wir in der Tat die Sinnesobjekte für nichts anderes halten als für Ideen, die nicht unperzipiert existieren können, so dürfen wir doch hieraus nicht schließen, daß sie nur solange eine Existenz haben, als die durch uns perzipiert werden, weil ein anderer Geist existieren kann, der sie perzipiert, wenn auch wir dies nicht tun. Wird gesagt, Körper existieren nicht außerhalb des Geistes, so darf dies nicht so verstanden werden, als wäre dieser oder jener einzelne Geist gemeint, sondern alle Geister, welche sie auch immer sind. Demgemäß folgt nicht aus den vorstehenden Prinzipien, daß die Körper in jedem Augenblick vernichtet und geschaffen werden oder überhaupt gar nicht während der Intervalle zwischen unseren Perzeptionen existieren.

§ 49. Fünftens wird vielleicht eingewandt werden, wenn Ausdehnung und Figur nur im Geist existieren, so folgt, daß der Geist ausgedehnt und gestaltet ist; denn Ausdehnung ist ein Modus und ein Attribut, das (um in der Schulsprache zu reden) vom Subjekt (Substrat), in welchem es existiert, prädiziert wird. Ich antworte: diese Qualitäten sind im Geist nur insofern, als sie durch ihn perzipiert werden, d. h. nicht in der Weise eines Modus oder Attributs, sondern nur in der Weise einer Idee, und es folgt ebensowenig, daß die Seele oder der Geist ausgedehnt ist, weil Ausdehnung in ihm existiert, wie daß er rot oder blau ist, weil diese Farben, wie allseitig zugegeben wird, in ihm und nirgendwo sonst existieren. Was die Philosophen über Subjekt (Substrat) und Modus sagen, das scheint sehr grundlos und unverständlich zu sein. Sie wollen z. B., daß in dem Satz: "ein Würfel ist hart, ausgedehnt und eckig" das Wort Würfel ein Subjekt oder eine Substanz bezeichnet, die von der Härte, Ausdehnung und Figur, welche davon ausgesagt werden und darin existieren, verschieden ist. Dies kann ich nicht verstehen; mir scheint ein Würfel nichts von dem, was als seine Modi oder Akzidentien [Nebensächlichkeiten - wp] bezeichnet wird, Verschiedenes zu sein. Sagt man: ein Würfel ist hart, ausgedehnt und eckig, so heißt das nicht, daß man diese Eigenschaften einem von ihnen verschiedenen Subjekt, das sie trägt, zuschreibt, sondern es ist nur eine Erklärung dessen, was man unter dem Wort Würfel versteht.

Sechstens werdet ihr sagen, es sei sehr vieles durch Materie und Bewegung erklärt worden; wer diese wegnimmt, zerstört die ganze Korpuskular-Philosophie und untergräbt jene mechanischen Prinzipien, die mit so beträchtlichem Erfolg zur Erklärung der Erscheinungen angewandt worden sind. Alle Fortschritte, die in der Naturforschung durch alte oder neuere Philosophen gemacht worden sind, fließen alle aus der Voraussetzung, daß die körperliche Substanz oder Materie wirklich existiert. Hierauf antworte ich, daß nicht eine einzige Erscheinung durch diese Voraussetzung erklärt wird, die nicht ebenso gut ohne dieselbe erklärt werden könnte, wie dies leicht durch eine (induktive) Zusammenstellung des Einzelnen gezeigt werden kann. Die Phänomene erklären heißt dasselbe, wie zeigen, warum wir bei bestimmten Anlässen mit bestimmten Ideen affiziert werden. Aber wie Materie auf einen Geist wirken oder irgendeine Idee in ihm hervorbringen mag, das zu erklären, wird sich kein Philosoph bereit erklären. Demgemäß ist offenbar, daß die Annahme einer Materie von keinem Nutzen in der Naturlehre ist. Auch gründen die, welche die Dinge erklären wollen, ihre Erklärungsversuch nicht auf die körperliche Substanz, sondern auf Figur, Bewegung und andere Eigenschaften, die in Wahrheit bloße Ideen sind und demgemäß nicht die Ursache von irgendetwas sein können, wie schon gezeigt worden ist. (siehe § 2)

§ 51. Siebentens wird hierbei gefragt werden, ob es nicht ungereimt zu sein scheint, mit der Aufhebung von Naturursachen jegliches der unmittelbaren Wirkung von Geistern zuzuschreiben. Wir müssen diesen Prinzipien gemäß nicht mehr sagen, daß Feuer heiß macht, Wasser kühlt, sondern daß der Geist heiß macht usw. Würde nicht jemand, der sich in dieser Weise ausdrücken wollte, gebührend verlacht werden? Ich antworte: Ja, er würde es werden. In solchen Dingen müssen wir denken mit den Gelehrten und sprechen mit dem Volk. Die, welche durch Beweisführung von der Wahrheit des kopernikanischen Systems überzeugt worden sind, sagen nichtsdestoweniger: die Sonne geht auf, geht unter, erreicht den Meridian, und erkünstelten sie eine entgegengesetzte Ausdrucksweise in der gewöhnlichen Rede, so würde das ohne Zweifel als sehr lächerlich erscheinen. Ein wenig Nachdenken über das hier Gesagte wird zeigen, daß der gemeine Sprachgebrauch in einer Art eine Änderung oder Störung durch die Annahme unserer Prinzipien erfahren würde.

§ 52. In den gewöhnlichen Angelegenheiten des Lebens mögen übliche Ausdrücke so lange beibehalten werden, als sie uns die geeigneten Empfindungen oder Zustände hervorrufen, vermöge deren wir so handeln, wie es für unser Wohlsein erforderlich ist, so falsch sie auch immer sein mögen, wenn sie in einem streng theoretischen Sinn genommen werden. Ja, dieses Verhältnis ist unvermeidlich, da der eigentliche Sinn der Ausdrücke durch den Gebrauch bestimmt wird und die Sprache sich daher den herrschenden Meinungen anschließt, welche nicht immer die wahrsten sind. Hiernach ist es unmöglich selbst in den strengsten philosophischen Betrachtungen, niemals durch eine Abweichung von der Tendenz und dem Geist der Sprache, in der wir reden, Spitzfindlern Anlaß zu geben, angebliche Schwierigkeiten und Widersprüche bei uns zu finden. Aber ein wohlgesinnter und einsichtiger Leser wird den Sinn aus dem Ziel und Fortgang und Zusammenhang eines Vortrags entnehmen und die ungenauen Redeweisen gestatten, welche der Sprachgebrauch unvermeidlich macht.

§ 53. Was die Ansicht betrifft, daß es keine körperlichen Ursachen gibt, so ist diese schon früher durch einige Scholastierk vertreten worden, wie neuerdings durch einige der modernen Philosophen, welche, obschon sie annehmen, daß Materie existiert, doch wollen, daß Gott allein die unmittelbar wirkende Ursache von Allem ist. Diese Männer haben richtig erkant, daß unter allen Sinnesobjekten keine sind, die irgendeine Kraft besitzen oder eine Tätigkeit zu üben vermöchten, und daß demgemäß das Gleiche von allen Körpern, deren Existenz sie außerhalb des Geistes voraussetzen, ebenso gilt wie von den unmittelbaren Sinnesobjekten. Aber wenn sie nun annehmen, daß es eine unzählige Menge geschaffener Dinge gibt, die doch nach ihrer eigenen Ansicht nicht fähig sind, irgendeine Wirkung in der Natur hervorzubringen, und die daher zu gar keinem Zweck geschaffen sind, da Gott jegliches ebensogut auch ohne dieselben hätte bewirken können: so ist dies, meine ich, auch wenn es als möglich zugegeben würde, doch gewiß eine sehr vernunftwidrige und ausschweifende Annahme.

§ 54. Achtens. Die allgemeine einmütige Anerkennung der Menschen mag von Einigen für ein unüberwindliches Argument zugunsten der Materie oder der Existenz äußerer Dinge gehalten werden. Sollen wir annehmen, daß alle Welt im Irrtum ist, und wenn dem so ist, welche Ursache kann dann angegeben werden für einen so weit verbreiteten und herrschenden Irrtum? Ich antworte: Erstens. Durch eine genaue Untersuchung wird vielleicht gefunden werden, daß nicht so Viele, wie man sich vorstellt, wirklich an die Existenz von Materie oder Dingen außerhalb des Geistes glauben. Streng genommen ist es unmöglich, an das zu glauben, was einen Widerspruch in sich schließt oder sinnlos ist, und ob die vorerwähnten Ausdrücke von dieser Art sind oder nicht, gebe ich der unparteiischen Prüfung des Lesers anheim. In einem Sinn kann in der Tat gesagt werden, daß die Menschen an die Existenz der Materie glauben, d. h. sie handeln so, als ob die unmittelbare Ursache ihrer Wahrnehmungen, welche sie in jedem Augenblick affiziert und ihnen so nahe und gegenwärtig ist, ein empfindungsloses undenkendes Wesen wäre. Aber es ist mir undenkbar, daß sie irgendeinen klaren Sinn mit diesen Worten verknüpfen und daraus eine bestimmte theoretische Ansicht bilden sollten. Es ist dies nicht der einzige Fall einer Selbsttäuschung der Menschen vermöge der Einbildung, daß sie Sätze glaubten, die sie oft gehört haben, obgleich sie im Grunde keinen bestimmten Gedanken damit verknüpfen.

§ 55.Ich antworte aber zweitens: daß, wenn auch zugestanden werden muß, daß einer Vorstellung eine sehr allgemeine und entschiedene Zustimmung zuteil wird, hierin doch nur ein schwaches Argument ihrer Wahrheit für einen Jeden liegt, der in Betracht zieht, welch großer Zahl von Vorurteilen und falschen Meinungen mit der äußersten Zähigkeit der nicht reflektierende Teil der Menschheit (welcher der weitaus größere ist) anhängt. Es gab eine Zeit, zu welcher die Gegenfüßler und die Erdbewegung als monströse Ungereimtheiten selbst von Gelehrten betrachtet wurden, und wenn wir erwägen, welch geringen Teil diese von der gesamten Menschheit ausmachen, so werden wir finden, daß bis auf den heutigen Tag diese Begriffe nur noch sehr wenig in der Welt festen Fuß gefaßt haben.

§ 56. Aber man fordert, wir sollen eine Ursache dieses Vorurteils angeben und seine Verbreitung in der Welt erklären. Ich anworte hierauf, daß die Menschen, da sie wissen, daß sie manche Ideen perzipieren, deren Urheber sie nicht selbst sind, da dieselben nicht von innen her angeregt werden, noch auch von ihren eigenen Willensakten abhängen, infolge hiervon annehmen, diese Ideen oder Objekte der Wahrnehmung hätten eine vom Geist unabhängige Existenz außerhalb derselben, ohne daß sie es sich jemals auch nur im Traum in den Sinn kommen lassen, daß in diesen Worten ein Widerspruch liegt. Da aber Philosophen klar erkannt hatten, daß die unmittelbaren Objekte der Wahrnehmung nicht außerhalb des Geistes existieren, so korrigierten sie in gewissem Maß den Irrtum der Menge, fielen aber gleichzeitig in einen anderen, der nicht weniger ungereimt scheint, nämlich, daß es gewisse Objekte gibt, die wirklich außerhalb des Geistes sind oder eine von ihrem Perzipiertwerden verschiedene Subsistenz haben, Objekte, von welchen unsere Ideen nur Bilder oder Ähnlichkeiten sind, die durch diese Dinge dem Geist eingeprägt werden. Diese Vorstellung der Philosophen verdankt ihren Ursprung derselben Ursache, wie die vorhin erwähnte, nämlich dem Bewußtsein, daß sie nicht selbst die Urheber ihrer eigenen Wahrnehmung sind, von denen sie mit Evidenz erkennen, daß sie ihnen von außen eingeprägt sind, und die demnach eine von den Geistern, denen sie eingeprägt sind, verschiedene Ursache haben müssen.

§ 57. Warum sie aber annehmen, die sinnlichen Ideen würden von Dingen, die denselben ähnlich sind hervorgerufen und nicht lieber auf einen Geist rekurrieren, der doch allein wirken kann, davon mag der Grund darin liegen
    1) daß sie nicht den Widerspruch bemerken, welcher ebensowohl in der Voraussetzung liegt, daß es außerhalb des Geistes existierende Dinge gibt, die unseren Ideen ähnlich sind, als auch in der Annahme, daß diesen Kraft oder Tätigkeit zukommen;

    2) daß der höchste Geist, der jene Ideen in unseren Geistern hervorruft, unserem Blick nicht bezeichnet und begrenzt wird durch irgendeine einzelne beschränkte Gruppe sinnlicher Ideen, wie menschliche wirkende Wesen uns bezeichnet werden durch ihre Größe, ihr Aussehen, ihre Glieder und Bewegungen;

    3) daß seine Wirkungen regelmäßig und gleichförmig sind; denn jedesmal, wenn der Lauf der Natur durch ein Wunder unterbrochen wird, sind die Menschen bereit, die Gegenwart eines höheren wirkenden Wesens anzuerkennen; sehen wir aber die Dinge ihren gewöhnlichen Verlauf nehmen, dann regen sie uns nicht zum Nachdenken an; ihre Ordnung und Verkettung ist zwar in der Tat ein Beweis der größten Weisheit, Macht und Güte ihres Schöpfers, ist aber so beständig und uns etwas so gewöhnliches, daß wir sie nicht als die unmittelbaren Wirkungen eines freien Geistes denken, besonders weil Unbeständigkeit und Veränderlichkeit beim Handeln, obwohl diese in der Tat eine Unvollkommenheit sind, uns doch als ein Zeichen von Freiheit zu gelten pflegen.
§ 58. Zehntens wird eingewandt werden, daß die von uns aufgestellten Begriffe nicht mit gewissen wohlbegründeten Wahrheiten in der Philosophie und Mathematik zusammenbestehen können. So ist z. B. jetzt die Bewegung der Erde von den Astronomen allgemein als eine auf die klarsten und überzeugendsten Beweise gegründete Wahrheit anerkannt; aber nach den obigen Prinzipien kann es etwas derartiges gar nicht geben. Denn da Bewegung nur eine Idee ist, so folgt, daß dieselbe, wenn sie nicht wahrgenommen wird, nicht existieren; die Erdbewegung aber wird nicht sinnlich wahrgenommen. Ich antworte: man wird finden, daß jene Annahme, wenn sie recht verstanden wird, den oben dargelegten Prinzipien nicht widerstreitet; denn die Frage, ob die Erde in Bewegung ist oder nicht, läuft in Wahrheit nur darauf hinaus, ob wir Grund haben, aus den astronomischen Beobachtungen zu schließen, daß, wenn wir unter gewissen Verhältnissen auf einem gewissen Standpunkt in einer bestimmten Entfernung von der Erde und Sonne ständen, wir die Erde inmitten des Chors der Planeten sich bewegen und in jeder Hinsicht als einen derselben erscheinen sehen würden, und dies wird nach den festgestellten Naturgesetzen, denen wir nicht Ursache haben zu mißtrauen, vernunftgemäß aus den Erscheinungen geschlossen.

§ 59. Wir können oft nach der Erfahrung, die wir vom Lauf und der Aufeinanderfolge unserer Ideen gemacht haben, nicht nur ungewisse Vermutungen, sondern sichere und wohlbegründete Voraussagen über die Ideen machen, die wir infolge einer großen Menge von Handlungen haben werden, und wir können imstande sein richtiger darüber zu urteilen, was uns erschienen sein würde, für den Fall, daß wir in Lagen wären, welche sehr verschieden von denjenigen sind, in welchen wir uns gegenwärtig befinden. Hierin besteht die Naturerkenntnis, die ihren Nutzen und ihre Gewißheit in sehr guter Übereinstimmung mit dem oben Gesagten behalten kann. Es wird leicht sein, dies auf alle Einwürfe gleicher Art anzuwenden, welche auch immer es sind, die man aus der Größe der Sterne oder irgendwelchen anderen Entdeckungen in der Astronomie und der Naturwissenschaft überhaupt entnehmen kann.

§ 60. Elftens wird gefragt werden, wozu die merkwürdige Organisation der Pflanzen und der bewunderungswürdige Mechanismus in den Teilen der Tiere dient. Könnten nicht Pflanzen wachsen und Blätter und Blüten treiben, und Tiere all ihre Bewegungen vollziehen, auch ohne daß sie versehen wären mit all jenen mannigfachen inneren Teilen, die so hübsch eingerichtet und zusammengefügt sind, und die, wenn sie Ideen sind, keine Kraft oder Wirksamkeit in sich haben in keiner notwendigen Verbindung mit den Wirkungen stehen, die ihnen zugeschrieben werden? Bringt ein Geist unmittelbar durch ein "Fiat" [es werde - wp] oder einen Akt des Willens jegliche Wirkung hervor, so müssen wir annehmen, daß alles Feine und Kunstvolle in den Werken der Menschen und der Natur zwecklos ist. Nach dieser Lehre müßte ein Künstler, obgleich er Feder und Räder und das ganze Getriebe einer Uhr gemacht und alles in solcher Art eingerichtet hätte, wie er wußte, daß dadurch die beabsichtigten Bewegungen bewirkt werden, doch glauben, daß dies alles zu nichts dient und daß eine Intelligenz den Zeiger richtet und gemäß der Tagesstunde stellt. Ist es so, warum sollte dann nicht die Intelligenz dies tun, ohne daß der Künstler sich die Mühe macht das Getriebe anzufertigen und zusammenzustellen? Warum ist nicht ein leeres Gehäuse ausreichend? Und wie geschieht es, daß, wenn irgendein Fehler im Gang der Uhr ist, eine entsprechende Unordnung im Getriebe gefunden wird, und daß, nachdem eine geschickte Hand die Reparatur vollzogen hat, alles wieder in Ordnung ist? Das Gleiche kann gesagt werden von einem Uhrwerk der Natur, das großenteils so wundervoll fein und zart ist, daß es kaum durch das beste Mikroskop zu erkennen ist. Kurz, es wird gefragt werden, wie nach unseren Prinzipien in irgendeiner erträglichen Art Rechenschaft gegeben oder ein Zweck bezeichnet werden kann von der Existenz unzähliger Körper und Maschinen, die mit der ausgesuchtesten Kunst gebildet sind, und die doch nach der gewöhnlichen philosophischen Theorie eine sehr angemessene Verwendung finden und eine Fülle von Erscheinungen zu erklären dienen.

§ 61. Auf all das antworte ich erstens, daß, wenn auch in Bezug auf das Verfahren der Vorsehung und die Zwecke, die sie einigen Teilen der Natur gesetzt hat, einige Schwierigkeiten übrig bleiben, die ich nicht durch die vorstehenden Prinzipien zu lösen vermöchte, dennoch dieser Einwurf von geringem Gewicht sein würde, gegen die Wahrheit und Gewißheit von Dingen, die mit der größten Evidenz a priori bewiesen werden können. Zweitens sind aber auch die herrschenden Prinzipien nicht frei von den gleichen Schwierigkeiten; denn es kann dabei ebensowohl die Frage aufgeworfen werden, zu welchem Zweck Gott jenen Umweg einschlägt, durch Instrumente und Maschinen Dinge zu bewirken, die er, wie Niemand sonst leugnen kann, durch das bloße Gebot seines Willens ohne jenen Apparat hätte bewirken können; ja, wenn wir näher die Sache betrachten, so werden wir finden, daß der Einwurf mit großer Kraft gegen die zurückgewendet werden kann, welche annehmen, daß jene Maschinen außerhalb des Geistes bestehen, denn es ist überzeugend nachgewiesen worden, daß Solidität, Größe, Figur, Bewegung und ähnliches keine Aktivität oder Wirkungskraft in sich tragen, wodurch sie fähig wären irgendeine Wirkung in der Natur hervorzubringen. (siehe § 25) Wer also annimmt, daß sie unwahrgenommen existieren (die Möglichkeit hiervon zugegeben), tut dies offenbar zwecklos, da der einzige Zweck, der ihnen in ihrer unwahrgenommenen Existenz zugeschrieben wird, der ist, jene wahrnehmbaren Erfolge hervorzubringen, die in Wahrheit nur einem Geist zugeschrieben werden können.

§ 62. Um aber die Schwierigkeit näher ins Auge zu fassen, muß bemerkt werden, daß, mag auch die Produktion aller jener Teile und Organe nicht durchaus notwendig zur Hervorbringung irgendeiner Wirkung sein, sie doch dazu erforderlich ist, in einer konstanten, regelmäßigen Weise den Naturgesetzen gemäß die Dinge hervorzubringen. Es gibt gewisse allgemeine Gesetze, die durch die ganze Kette von Naturerfolgen hindurchgehen; diese lernt man durch Beobachtung und Studium der Natur kennen und wendet sie ebensowohl zur Bildung von Kunstprodukten zum Zweck des Nutzens und Schmuckes des Lebens an, wie auch zur Erklärung der verschiedenen Phänomene; diese Erklärung besteht nur darin, daß man die Übereinstimmung nachweist, in welcher irgendeine einzelne Erscheinung mit den allgemeinen Gesetzen der Natur steht, oder, was dasselbe ist, daß man die Gleichmäßigkeit entdeckt, mit welcher die natürlichen Wirkungen erfolgen; dies wird jedem einleuchten, der auh die verschiedenen Fälle achtet, in welchen Philosophen von Naturerscheinungen Rechenschaft zu geben behaupten. Daß ein großer Nutzen in diesesn regelmäßigen, konstanten Weisen des Handelns liegt, welche der höchste Wirkende beobachtet, ist in § 31 gezeigt worden. Auch ist es nicht weniger einleuchtend, daß eine einzelne Größe, Figur, Bewegung und Anordnung von Teilen erforderlich ist obgleich nicht absoulut zur Hervorbringung irgendeiner Wirkung, doch zur Hervorbringung derselben gemäß den beständigen mechanischen Gesetzen der Natur. So kann es z. B. nicht geleugnet werden, daß Gott oder die höchste Intelligenz, welche den geordneten Lauf der Dinge aufrechterhält und beherrscht, falls er ein Wunder tun wollte, alle die Bewegungen, die über dem Zifferblatt einer Uhr erfolgen, hervorbringen könnte, auch wenn niemand das Getriebe bearbeitet und eingefügt hätte; will er aber gemäß den Gesetzen des Mechanismus handeln, die von ihm zu weisen Zwecken bei der Schöpfung begründet sind und aufrechterhalten werden, so ist es notwendig, daß jene Handlungen des Uhrmachers, die Anfertigung und angemessene Einrichtung des Getriebes, der Hervorbringung der erwähnten Bewegungen vorausgehen, ebenso wie auch, daß irgendeine Unregelmäßigkeit in diesen Bewegungen verbunden ist mit der Wahrnehmung irgendeiner Unordnung im Getriebe, nach deren Beseitigung alles wieder in Ordnung ist.

§ 63. Es kann in der Tat bei gewissen Anlässen erforderlich sein, daß der Urheber der Natur seine oberherrliche Macht durch die Hervorbringung irgendeiner Erscheinung außerhalb der geordneten Reihe der Dinge bekundet. Solche Ausnahmen von den allgemeinen Gesetzen der Natur sind geeignet zu überraschen und die Menschen zur ehrerbietigen Anerkennung des Daseins Gottes zu bringen; aber dann darf von diesem Mittel nur selten Gebrauch gemacht werden, weil andernfalls zu erwarten steht, daß es seine Wirkung verfehlt. Zudem will Gott, so scheint es, lieber unsere Vernunft von seinen Eigenschaften durch die Werke der Natur überzeugen, die so viel Harmonie und Kunst in ihrem Bau bekunden und so deutlich die Weisheit und Güte ihres Urhebers bezeugen, als uns durch Erregung von Erstaunen mittels außerordentlicher und überraschender Ereignisse zum Glauben an sein Dasein bringen.

§ 64. Um diesen Gegenstand in ein noch helleres Licht zu setzen, bemerke ich, daß das, was in § 60 eingeworfen worden ist, in der Tat nur auf Folgendes hinausläuft. Ideen werden nicht auf irgeneine beliebige Art und ordnungslos erzeugt; es ist zwischen ihnen eine bestimmte Ordnung und Verbindung gleich der zwischen Ursache und Wirkung; es gibt auch verschiedene in einer sehr regelmäßigen und künstlichen Weise gebildete Ideengruppen, die wie Instrumente in der Hand der Natur erscheinen, welche, gleichsam hinter der Szene verborgen, eine geheime Wirkung bei der Produktion der Erscheinungen haben, die auf dem Schauplatz der Welt gesehen werden, während sie selbst nur dem nachspürenden Auge des Forschers erkennbar sind. Aber da eine Idee nicht die Ursache einer andern sein kann, wozu dient denn diese Verbindung? Und da diese Instrumente als bloße unwirksame Perzeptionen im Geist nicht zur Hervorbringung natürlicher Wirkungen dienen, so wird gefragt, warum sie gebildet werden oder mit anderen Worten, was für ein Grund angeführt werden kann, warum Gott uns bei sorgsamen Betrachtung seiner Werke eine so große Mannigfaltigkeit von so kunstvoll und so gesetzmäßig miteinander verknüpften Ideen zeigt, da es doch nicht glaubhat ist, daß er (sozusagen) den Aufwand all dieser Kunst und Regelmäßigkeit zwecklos macht.

§ 65. Auf all das ist meine Antwort, erstens: daß die Verbindung der Ideen nicht das Verhältnis von Ursache und Wirkung in sich schließt, sondern nur das Verhältnis eines Merkmals oder Zeichens zum bezeichneten Objekt. Das Feuer, welches ich sehe, ist nicht die Ursache des Schmerzes, den ich empfinde, wenn ich mich ihm nähere, sondern das Merkmal, welches mich davor warnt. In gleicher Art ist das Geräusch, das ich höre, nicht die Wirkung dieser oder jener Bewegung oder des Zusammenstoßes von Körpern in unserer Umgebung, sondern nur das Zeichen davon. Zweitens: der Grund, warum Ideen zu Maschinen gestaltet sind, d. h. zu künstlichen und regelmäßigen Verbindungen, ist derselbe, wie der Grund der Verbindung von Buchstaben zu Worten. Damit einige wenige primitive Ideen dazu verwendet werden können, eine große Zahl von Wirkungen und Handlungen zu bezeichnen, ist erforderlich, daß sie mannigfach miteinander kombiniert werden und damit ihr Nutzen ein beständiger und allgemeiner ist, müssen diese Kombinationen nach Gesetzen und planmäßig gemacht werden. Auf diese Weise wird uns eine Fülle an Belehrung gegeben über das, was wir von bestimmten Handlungen zu erwarten haben und welches Verfahren jedesmal einzuhalten ist, um bestimmte Ideen hervorzurufen, und dies ist in der Tat alles, was ich als klaren Sinn der Aussage erkenne, daß wir durch die Erkenntnis der Figur, der Zusammenfügung und des Mechanismus der inneren Teile von natürlichen oder künstlichen Körpern dahin gelangen könenn, verschiedene davon abhängige Erfolge und Eigenschaften oder die Natur des Dings zu erkennen.

§ 66. Hieraus ist offenbar, daß die Dinge, welche unter dem Begriff einer mitwirkenden oder zur Hervorbringung von Wirkungen beitragenden Ursache gänzlich unerklärbar sind und uns in große Ungereimtheiten verwickeln, sich sehr naturgemäß erklären lassen und einen eigentümlichen und naheliegenden Nutzen bekunden, wenn sie nur als Merkmale oder Zeichen, die zu unserer Belehrung dienen, betrachtet werden. Und eben darin sollte die Aufgabe des Naturforschers bestehen, diese durch den Urheber der Natur begründeten Zeichen aufzusuchen und nach dem Verständnis derselben zu streben; sie liegt nicht in der Erklärung von Vorgängen durch körperliche Ursachen, welche Lehre so sehr den Geist der Menschen von jenem aktiven Prinzip, jenem höchsten und weisen Geist abgelenkt zu haben scheint, "in dem wir leben, weben und sind".

§ 67. Zwölftens wird vielleicht eingewandt werden, daß, wenn schon aus dem Bisherigen klar ist, es könne so etwas, wie eine untätige, unempfindliche, ausgedehnte, solide, gestaltete, bewegliche Substanz, die außerhalb des Geistes existiert, wie von Philosophen die Materie beschrieben wird, nicht geben, doch nicht einleuchtet, daß nicht möglicherweise eine Materie existiert, wenn dieses Wort so verstanden wird, daß man daraus die positiven Ideen Ausdehnung, Figur, Solidität und Bewegung wegläßt und darunter nur eine untätige unempfindliche Substanz versteht, die außerhalb des Geistes oder unperzipiert existiert und die Ursache unserer Ideen ist oder bei deren Gegenwart es Gott gefällt, Ideen in uns hervorzurufen. Hierauf antworte ich erstens: daß es nicht weniger ungereimt zu sein scheint, eine Substanz ohne Akzidentien, wie Akzidentien ohne eine Substanz vorauszusetzen. Aber zweitens: auch wenn wir zugäben, daß diese unbekannte Substanz möglicherweise existiert, so fragt sich doch, wo sie denn etwa sein könnte. Daß sie nicht im Geist existiert, ist zugegeben, und daß sie nicht an einem Ort ist, ist nicht weniger gewiß ist, da alle Ausdehnung nur im Geist existiert, wie schon bewiesen worden ist. Es bleibt also übrig, daß sie überhapt nirgendwo existiert.

§ 68. Laßt uns ein wenig die Beschreibung prüfen, die uns hier von der Materie gegeben wird. Diese ist weder wirkend noch perzipierend, noch wird sie perzipiert; denn nur eben dies ist gemeint, wenn gesagt wird, sie sei eine träge, unempfindliche, unbekannte Substanz; diese Definition besteht ganz aus Negationen, nur mit Ausnahme des relativen Begriffs des Darunterstehens oder Tragens; es muß dann aber bemerkt werden, daß die Materie überhaupt nichts trägt, und wie nahe dies der Beschreibung eines Nichtseienden kommt, möge doch erwogen werden. Aber, sagt ihr, sie ist die unbekannte Veranlassung, bei deren Gegenwart Ideen in uns durch den Willen Gottes hervorgerufen werden. Nun möchte ich gern wissen, wie irgendetwas uns gegenwärtig sein kann, das weder durch sinnliche, noch durch eine innere Wahrnehmung perzipierbar, noch auch fähig ist, irgendeine IDee in uns hervorzubringen, noch auch ausgedehnt ist, noch auch irgendeine Form hat, noch auch an irgendeiner Stelle existiert. Die Worte gegenwärtig sein müssen, wenn sie so angewandt werden, notwendig in irgendeinem abstrakten und seltsamen Sinn genommen werden, den ich nicht fähig bin zu verstehen.

§ 69. Laßt uns ferner prüfen, was unter Veranlassung verstanden werden soll. So viel ich aus dem gewöhnlichen Sprachgebrauch entnehmen kann, bezeichnet dieses Wort entweder das Wirkende, das irgendeinen Erfolg hervorbringt, oder anderfalls etwas, das im gewöhnlichen Lauf der Dinge als den Erfolg begleitend oder demselben vorausgehend beobachtet wird. Wird aber das Wort auf die Materie, wie diese eben beschrieben worden ist, angewandt, so kann es in keiner von diesen Bedeutungen genommen werden. Denn da die Materie passiv und untätig sein soll, so kann sie nicht etwas Wirkendes oder eine hervorbringende Ursache sein; da sie aber auch unperzipierbar ist, indem ihr alle sinnlich wahrnehmbaren Qualitäten fehlen, so kann sie nicht die Veranlassung unserer Perzeptionen im letzteren Sinn sein, wie wenn gesagt wird, daß ich mir den Finger verbrannt habe, sei die Veranlassung des Schmerzes, den ich daran empfinde. Was kann demnach gemeint sein, wenn jede Materie eine Veranlassung genannt wird? Dieser Terminus wird dann entweder überhaupt in keinem Sinn gebraucht oder in einem solchen, der von seiner üblichen Bedeutung weit absteht.

§ 70. Vielleicht werdet ihr sagen, die Materie wird, wenn schon nicht durch uns perzipiert, doch perzipiert durch Gott, für den sie die Veranlassung ist, Ideen in unseren Geistern hervorzurufen. Denn, sagt ihr, da wir beobachten, daß unsere Sinneswahrnehmungen in einer geordneten und sich gleich bleibenden Weise hervorgerufen werden, so ist es nur vernunftgemäß vorauszusetzen, daß bestimmte sich gleichbleibende und regelmäßige Veranlassungen zu ihrem Hervorgebrachtwerden bestehen. Das besagt, daß es bestimmte beharrliche und voneinander unterschiedene Teile der Materie gibt, die unseren Ideen entsprechen, und die, obgleich sie dieselben nicht in unseren Geistern hervorrufen oder uns irgendwie unmittelbar affizieren, da sie durchaus passiv und uns unperzipierbar sind, nichtsdestoweniger für Gott, durch den sie perzipiert werden, gleichsam ebensoviele Anlässe sind ihn zu erinnern, wann Ideen und was für Ideen unseren Geistern einzuprägens sind, damit so die Dinge in einer beständigen und gleichmäßigen Weise geschehen.

§ 71. Zur Antwort hierauf bemerke ich, daß wie hier der Begriff der Materie gefaßt ist, die Frage nicht länger die Existenz eines von Geist und Idee, vom Perzipierenden und Perzipiertwerdenden verschiedenen Dings betrifft, sondern darauf geht, ob es nicht gewisse Ideen von ich weiß nicht was für einer Art in Gottes Geist gibt, welche ebenso viele Merkmale oder Zeichen sind, die ihn dazu leiten, Sinnesempfindungen in unseren Geistern nach einer sich gleichbleibenden und regelmäßigen Methode hervorzurufen, zum guten Teil in derselben Weise, wie ein Musiker durch die Musiknoten bei der Erzeugung jener harmonischen Folge und Verbindung von Tönen geleitet wird, die ein Tonstück genannt wird, obgleich die, welche die Musik hören, die Noten nicht wahrnehmen und vielleicht gar nichts von ihnen wissen. Aber dieser Begriff der Materie scheint zu ausschweifend zu sein, um eine Widerlegung zu verdienen. Zudem bildet derselbe in der Tat keinen Einwurf gegen das von uns Behauptete, daß es nämlich keine empfindungslose unperzipierte Substanz gibt.

§ 72. Folgen wir dem Licht der Vernunft, so werden wir aus der beständigen gleichförmigen Weise unserer Sinneswahrnehmungen auf die Güte und Weisheit des Geistes schließen, der dieselben in uns hervorruft. Aber dies ist alles, was ich vernünftigerweise daraus schließen kann. Mir, sage ich, ist es einleuchtend, daß das Sein eines unendlich weisen, guten und mächtigen Geistes völlig zureichend ist, alle Erscheinungen der Natur zu erklären. Mit einer untätigen empfindungslosen Materie aber hat nichts von dem, was ich begreife, das Mindeste zu tun, nichts leitet meine Gedanken darauf hin. Und ich möchte gern sehen, wie jemand auch nur die geringste Naturerscheinung dadurch erklärt oder irgendeinen Grund aufzeigt, möge derselbe auch nur den geringsten Grad an Wahrscheinlichkeit besitzen, warum er die Existenz derselben annimmt, oder daß auch nur dieser Annahme in irgendeiner erträglichen Weise ein Sinn oder eine Bedeutung gegeben wird. Denn wird gesagt, jene Materie sei eine Veranlassung, so haben wir, denke ich, deutlich gezeigt, daß dieselbe für uns dies nicht ist; sie müßte also für Gott die Veranlassung sein, Ideen in uns hervorzurufen, und worauf dies hinausläuft, hat sich uns jetzt eben gezeigt.

§ 73. Es ist der Mühe wert, ein wenig über die Motive nachzudenken, welche die Menschen bewogen haben, die Existenz einer materiellen Substanz anzunehmen, so daß wir, nachdem wir das stufenweise Hinschwinden und den Untergang dieser Motive oder Gründe beobachtet haben, im gleichen Verhältnis die Zustimmung aufheben können, welche auf dieselben gegründet worden war. Zuerst also glaubte man, daß Farbe, Figur, Bewegung und die übrigen sinnlichen Qualitäten oder Akzidentien wirklich außerhalb des Geistes existieren, und aus diesem Grund schien es erforderlich, ein gewisses nicht denkendes Substrat oder eine Substanz vorauszusetzen, worin sie Existenz haben, da sie nicht als ansich existierend gedacht werden können. Als hernach, im Fortgang der Zeit, man sich überzeugte, daß Farben, Töne und die übrigen "sekundären Qualitäten" nicht außerhalb des Geistes existieren, streifte man diesem Substrat oder der materiellen Substanz jene Qualitäten ab und ließ ihm nur die primären übrig: Figur, Bewegung und ähnliche, von denen man immer noch annahm, daß sie außerhalb des Geistes existieren und demgemäß eines materiellen Trägers bedürfen. Da nun aber gezeigt worden ist, daß auch von diesen Eigenschaften keine anders, als in einem Geist oder einer Seele, wodurch sie perzipiert wird, existieren kann, so folgt, daß wir nicht länger irgendeinen Grund haben, das Dasein einer Materie vorauszusetzen, ja daß es durchaus unmöglich ist, daß etwas Derartiges existiert, solange dieses Wort in dem Sinn genommen wird, worin es ein undenkendes Substrat von Eigenschaften oder Akzidenzien bezeichnet, in welchem diese außerhalb des Geistes existieren.

§ 74. Aber obgleich es von den Materialisten selbst zugegeben wird, daß die Materie nur zu dem Zweck, als Trägerin von Akzidentien zu dienen, angenommen wird, und obschon man erwarten dürfte, daß, da der Grund ganz wegfällt, der Geist natürlich auch, und zwar ohne irgendeine Widerstreben, den Glauben an das, was ausschließlich auf denselben gebaut war, aufgeben wird, so ist doch das Vorurteilt so tief in unserem Denken eingedrungen, daß wir uns schwer mit ihm abfinden können und demgemäß geneigt sind, da die Sache selbst unhaltbar ist, zumindest den Namen beizubehalten, den wir dann auch ich weiß nicht was für abstrakte und unbestimmte Begriffe eines Seienden oder einer Veranlassung anwenden, obgleich ohne irgendeinen auch nur anscheinenden Grund, soviel ich zumindest sehen kann. Denn was für einen Anhaltspunkt haben wir, oder was perzipieren wir unter allen Ideen, Sinneswahrnehmungen, Begriffen, welche unserem Geist durch die Sinne oder durch die Selbstbetrachtung eingeprägt sind, woraus sich die Existenz einer trägen, gedankenlosen, unperzipierten Veranlassung erschließen ließe? Und andererseits, was kann es bei einem allgenugsamen Geist geben, das uns glauben oder auch nur vermuten ließe, derselbe werden durch ein träges Ding geleitet, das für ihn die Veranlassung ist, Ideen in unserem Geist hervorzurufen?

§ 75. Es ist ein sehr auffälliger Beweis der Stärke des Vorurteils und etwas sehr Beklagenswertes, daß der Geist der Menschen trotz aller Vernunftevidenz eine so große Vorliebe für ein stupides gedankenloses Etwas behält, durch dessen Einschiebung er sich, wenn ich so sagen darf, gegen die göttliche Vorsehung decken und Gott weiter von den Angelegenheiten der Welt entfernen möchte. Aber mögen wir auch das Äußerste tun, was wir können, um den Glauben an eine Materie zu sichern, mögen wir auch versuchen, wenn Vernunftgründe uns im Stich lassen, unsere Meinung auf die bloße Möglichkeit des Dings zu grünen, und mögen wir dabei auch, um diese bloße Möglichkeit herauszubringen, unserer Phantasie den vollen Spielraum gestatten, den sie findet, wenn sie nicht durch die Vernunft geleitet wird, so ist doch das Endresultat nur, daß es gewisse unbekannte Ideen im Geiste Gottes gibt; denn dies, wenn überhaupt irgendetwas, ist alles, was ich als den Sinn von Veranlassung in Bezug auf Gott zu verstehen vermag. Und dies heißt im Grunde nicht länger für die Sache, sondern für den Namen kämpfen.

§ 76. Ob es nun solche Ideen im Geiste Gottes gibt, und ob sie durch den Namen Materie zu bezeichnen sind, darüber werde ich nicht streiten. Aber wenn ihr festhaltet am Begriff einer undenkenden Substanz oder eines Trägers von Ausdehnung, Bewegung und anderen sinnlich wahrnehmbaren Eigenschaften, dann finde ich es offenbar unmöglich, daß ein solches Ding existiert, denn es ist ein voller Widerspruch, daß jene Eigenschaften in einer nicht perzipierenden Substanz existieren oder durch eine solche getragen werden.

§ 77. Aber, sagt ihr, mag es auch zuzugeben sein, daß es keinen nicht denkenden Träger von Ausdehnung und den anderen Qualitäten oder Akzidentien gibt, die wir perzipieren, so gibt es doch vielleicht ein gewisse träge nicht perzipierende Substanz oder ein Substrat gewisser anderer Qualitäten, welche uns eben so unerkennbar sind, wie einem Blindgeborenen die Farben, weil wir keinen auf sie gerichteten Sinn haben. Hätten wir aber einen neuen Sinn, so würden wir dann wohl ebensowenig an ihrer Existenz zweifeln, als ein Blinder, nachdem er sehend geworden ist, an der Existenz von Licht und Farben zweifelt. Ich antworte, erstens: wenn das, was ihr unter dem Wort Materie versteht, nur der unbekannte Träger unbekannter Qualitäten ist, so ist es gleichgültig, ob ein solches Ding existiert oder nicht, da es uns nichts angeht, und ich sehe nicht, welchen Nutzen eine Disputation über etwas, wovon wir nicht wissen, was, noch warum es ist, gewähren kann.

§ 78. Zweitens aber, hätten wir einen neuen Sinn, so könnte derselbe uns nur mit neuen IDeen oder Sinnesempfindungen versehen, und wir hätten dann denselben Grund gegen ihre Existenz in einer nicht perzipierenden Substanz, der bereits in Bezug auf Gestalt, Bewegung, Farbe etc. vorgebracht worden ist. Qualitäten sind, wie gezeigt worden ist, nichts anderes, als Sinneswahrnehmungen oder Ideen, welche nur in einem Geist existieren, der sie perzipiert, und dies gilt nicht nur von den Ideen, die wir zur Zeit besitzen, sondern gleichermaßen von allen möglichen Ideen, von welcher Art auch immer dieselben sein mögen.

§ 79. Doch werdet ihr behaupten, wenn sich auch der Glaube an die Existenz der Materie auf keinen Grund stützen, wenn sich auch kein Zweck der Materie angeben und nichts durch sie erklärt läßt, wenn selbst sich nicht der Sinn dieses Worts begreifen läßt, so ist es doch kein Widerspruch zu sagen, daß Materie existiert und daß diese Materie eine Substanz im Allgemeinen oder eine Veranlassung von Ideen ist, obgleich in der Tat der Fortgang zur Entwicklung dieser Meinung oder die Zustimmung zu irgendeiner besonderen Erklärung jener Worte mit großen Schwierigkeiten verbunden sein mag. Ich antworte: wenn Worte ohne Sinn gebraucht werden, dann könnt ihr dieselben nach Belieben zusammenstellen, ohne Gefahr, in einen Widerspruch zu verfallen. Ihr dürft z. B. sagen, daß zweimal zwei gleich sieben ist, solange ihr erklärt, daß ihr nicht die Worte dieses Satzes in ihrem üblichen Sinn nehmt, sondern als Zeichen für etwas, wovon ihr nicht wißt, was es ist. In derselben Art dürft ihr sagen, es gebe eine träge gedankenlose Substanz ohne Akzidentien, welche die Veranlassung zu unseren Ideen ist. Wir werden durch den einen Satz gerade ebenso belehrt werden, wie durch den anderen.

§ 80. Zuletzt werdet ihr sagen: wie aber, wenn wir die Behauptung, es existiere eine materielle Substanz, aufgeben, und unter der Materie ein unbekanntes Etwas verstehen, das weder Substanz, noch Akzidens, weder Geist noch Idee, träg, gedankenlos, urteilbar, unbeweglich, unausgedehnt ist und an keinem Ort existiert? Denn, sagt ihr, was auch immer gegen Substanz oder Veranlassung oder irgendeinen anderen positiven oder Relationsbegriff von Materie eingewandt werden mag, findet gar keine Anwendung mehr, solange diese negative Definition der Materie festgehalten wird. Ich antworte: ihr mögt, wenn euch das gut dünkt, das Wort Materie in demselben Sinn gebrauchen, worin Andere das Wort Nichts gebrauchen, so daß beide Worte nach eurer Redeweise miteinander vertauscht werden können. Denn dies scheint mir, nach allem, das Ergebnis dieser Definition zu sein; wenn ich mit Aufmerksamkeit die Teile derselben insgesamt oder einzeln betrachte, so finde ich nicht, daß dadurch irgendeine Wirkung auf meinen Geist gemacht würde, die verschieden wäre von der, welche das Wort Nichts hervorruft.

§ 81. Vielleicht werdet ihr entgegnen, es liege in der vorstehenden Definition etwas, was einen ausreichenden Unterschied von einem Nichts begründet, nämlich die positive abstrakte Idee der Wesenheit, des Seins oder der Existenz. In der Tat, ich erkenne an, daß die, welche sich die Fähigkeit zuschreiben, abstrakte allgemeine Ideen zu bilden, so reden, als hätten sie eine solche Idee, welche, wie sie sagen, der abstrakteste und allgemeinste von allen Begriffen ist, d. h. für mich der unbegreiflichste von allen. Ich sehe keinen Grund zu leugnen, daß es eine große Mannigfaltigkeit von Geistern verschiedenen Rangs und verschiedener Befähigung gibt, die eine weit größere Zahl von Kräften und weit umfassendere Kräfte besitzen, als die, welche der Urheber meines Seins mir verliehen hat. Und wollte ich mich bereit erklären, nach meinen eigenen geringen, eingeschränkten, nicht weit reichenden Perzeptionsweisen zu bestimmen, was für Ideen die unerschöpfliche Macht des höchsten Geistes ihnen einprägt, so wäre dies gewiß die äußerste Torheit und Anmaßung. Denn es kann, soweit ich darüber zu urteilen vermag, unzählige Arten von Ideen oder Sinnesempfindungen geben, die eben so verschieden voneinander und von allem, was ich perzipiert habe, sind, wie Farben von Tönen. Wie sehr ich aber auch bereit bin, die Beschränktheit meiner Erkenntniskraft im Hinblick auf die endlose Mannigfaltigkeit von Geistern und Ideen, welche möglicherweise existieren, anzuerkennen, so ist es doch, fürchte ich, ein völliger Widerspruch, daß irgendeiner dieser Geister einen Begriff eines Seins oder einer Existenz haben könnte, wobei von Geist und Idee, Perzipieren und Perzipiertwerden abstrahiert wäre. - Nun bleibt uns noch übrig, die Einwürfe zu erwägen, welche möglicherweise im Namen der Religion erhoben werden.

§ 82. Es gibt Personen, welche dafür halten, daß wenn schon zugegeben werden muß, die aus der Vernunft entnommenen Argumete für die wirkliche Existenz von Körpern seien nicht beweiskräftigf, doch die heilige Schrift über diesen Punkt so klar ist, daß dies ausreicht, jeden guten Christen davon zu überzeugen, daß Körper in Wirklichkeit existieren und etwas mehr sind, als bloße Ideen, da ja in der Bibel unzählige Tatsachen erzählt werden, welche offenbar die Realität von Holz und Stein, Bergen und Flüssen, Städten und menschlichen Leibern voraussetzen. Hierauf antworte ich: daß keine Art von Schriften, seien es heilige oder profane, welche diese und derartige Worte in ihrer gewöhnlichen Bedeutung gebrauchen oder doch so, daß ein Sinn darin liegt, in die Gefahr kommt, daß ihre Wahrheit durch unsere Lehre in Frage gestellt wird. Daß all jene Dinge wirklich existieren, daß es Körper gibt, selbst körperliche Substanzen, falls dieses Wort im vulgären Sinn gebraucht wird, stimmt, wie bewiesen worden ist, mit unseren Prinzipien zusammen, und der Unterschied zwischen Dingen und Ideen, Realitäten und Chimären [Trugbilder - wp] ist deutlich erklärt worden (§ 29, 30, 33, 36 etc). Und ich denke, daß weder das, was die Philosophen Materie nennen, noch die Existenz von Objekten außerhalb des Geistes irgendwo in der Schrift erwähnt wir.

§ 83. Ferner, mag es äußere Dinge geben oder nicht, so wird doch allseitig anerkannt, daß der eigentliche Zweck der Worte darin besteht, unsere Begriffe zu bezeichnen, oder die Dinge nur so zu bezeichnen, wie sie uns bekannt und von uns aufgefaßt sind. Hieraus folgt offenbar, daß in den oben dargelegten Sätzen nichts ist, was mit dem richtigen Gebraucht und der Bedeutung der Sprache nicht zusammen bestände und daß jede Ausdrucksweise, von welcher Art sie auch ist, sofern sie einen verständlichen Sinn hat, unangegriffen bleibt. Jedoch scheint dies alles nach dem, was früher schon auseinandergesetzt worden ist, so handgreiflich zu sein, daß es nicht nötig ist, länger dabei zu verweilen.

§ 84. Doch es wird eingewandt werden, daß die Wunder zumindest viel von ihrer Wichtigkeit und Bedeutung durch unsere Prinzipien verlieren. Was müssen wir vom Stab des MOSES denken, wurde derselbe nicht wirklich in eine Schlange verwandelt, und fand nur ein Wechsel von Ideen in den Geistern der Zuschauer statt? Und darf man annehmen, daß unser Erlöser auf der Hochzeit zu Kanaa nicht mehr tat, als auf Gesicht, Geruch und Geschmack der Gäste so einwirken, daß er in ihnen die Erscheinung oder Idee Wein erschuf Dassellbe kann von allen anderen Wundern gesagt werden, die, den vorstehenden Prinzipien zufolge, als ebenso viele Täuschungen oder Jllusionen der Phantasie angesehen werden müssen. Hierauf antworte ich, daß der Stab in eine wirkliche Schlange und das Wasser in wirklichen Wein verwandelt wurde. Daß dies nicht im Mindesten dem, was ich anderswo gesagt habe, widerstreitet, wird aus § 34 und 35 einleuchten. Aber dies, wie es um reell und imaginär steht, ist schon so deutlich und vollständig erklärt, es ist so oft darauf Bezug genommen worden und die aufgeworfenen Zweifel lassen sich so leicht lösen, daß es den Verstand des Lesers beleidigen hieße, wenn an dieser Stelle die Erklärung auf's Neue vorgebracht werden sollte. Ich will nur bemerken, daß, wenn bei Tisch alle Anwesenden Wein sehen und riechen und schmecken und trinken, und die Wirkungen desselben vorfinden, nach mir kein Zweifel an der Realität desselben bestehen kann, so daß im Grunde der die Realität der Wunder betreffende Zweifel nicht unsere, sondern nur die herrschenden Prinzipien betrifft und folglich eher für als gegen das Gesagte spricht.

§ 85. Nachdem wir uns mit den Einwürfen abgefunden haben, die ich in das hellste Lich zu stellen und denen ich alle mögliche Kraft und Stärke zu geben versuchte, gehen wir zunächst dazu fort, einen Blick auf die Konsequenzen unserer Sätze zu werfen. Einige von diesen springen sofort in die Augen. Mehrere schwierige und dunkle Probleme, an welche ein Übermaß an Spekulation verschwendet worden ist, werden gänzlich aus der Philosophie verbannt. Kann eine körperliche Substanz empfinden? Ist die Materie bis ins Unendliche teilbar? Und wie wirkt sie auf den Geist? Mit diesen und ähnlichen Untersuchungen haben sich Philosophen zu allen Zeiten unablässig unterhalten. Da dieselben aber durch die Existenz der Materie bedingt sind, so können sie nach unseren Prinzipien nicht mehr stattfinden. Es gibt sowohl im Hinblick auf die Religion, als auch der Wissenschaften noch manch andere Vorurteile, die leicht ein jeder aus dem Vorstehenden entnehmen kann. Doch dies wird im Folgenden deutlicher werden.

§ 86. Aus den vorgetragenen Prinzipien folgt, daß die menschliche Erkenntnis naturgemäß in zwei Hauptklassen eingeteilt werden kann, nämlich in die Erkenntnis von Ideen und die von Geistern. Von einer jeden derselben werde ich ordnungsgemäß handeln. Was zuerst die Ideen oder undenkenden Dinge betrifft, so ist unsere Erkenntnis derselben sehr verdunkelt und verwirrt und wir sind zu sehr gefährlichen Irrtümern verleitet worden durch die Voraussetzung einer zweifachen Existenz der Sinnesobjekte, einer intelligiblen im Geist und einer realen außerhalb des Geistes, wobei angenommen wurde, daß undenkende Dinge ein natürliche Existenz ansich haben, die verschieden ist von ihrem Perzipiertwerden durch Geister. Dies, was, wenn ich mich nicht ganz täusche, als eine durchaus grundlose und ungereimte Vorstellung erwiesen worden ist, ist der gerade Weg zum Skeptizismus; denn solange man dafür hielt, daß reale Dinge außerhalb des Geistes existieren, und daß der Erkenntnis derselben nur insofern Realität zukommt, als sie realen Dingen konform ist, mußte folgen, daß es uns nicht gewiß sein kann, daß wir überhaupt irgendeine reale Erkenntnis besitzen. Denn wie kann erkannt werden, daß die Dinge, welche perzipiert werden, jenen anderen konform sind, welche nicht perzipiert werden oder außerhalb des Geistes existieren?

§ 87. Farbe, Gestalt, Bewegung, Ausdehnung etc. sind, sofern wir sie nur als ebenso viele sinnliche Wahrnehmungen im Geist betrachten, volkommen bekannt, da nichts in ihnen ist, was nicht perzipiert wird. Werden sie aber als Merkmale oder Bilder betrachtet, die in einer Beziehung stehen zu Dingen oder Urbildern, welche außerhalb des Geistes existieren, sind wir in einen Skeptizismus verwickelt. Wir sehen nur die Erscheinungen und nicht die realen Qualitäten der Dinge. Was Ausdehnung, Figur oder Bewegung irgendeines Dings wirklich und absolut oder ansich sind, ist uns unmöglich zu erkennen; wir erkennen nur das Verhältnis oder die Beziehung, worin sie zu unseren Sinnen stehen. Während die Dinge unverändert bleiben, wechseln unsere Ideen, und welche von diesen die wirklichen im Ding existierende wahre Qualität repräsentieren, oder ob irgendeine derselben überhaupt diese repräsentieren, ist eine uns nicht erreichbare Erkenntnis, so daß, so weit wir darüber zu urteilen vermögen, alles, was wir sehen, hören und fühlen, ein bloßes Phantom und eine eitle Chimäre sein und nicht im mindesten mit den wirklichen Dingen, welche in rerum natura [in der Natur der Dinge - wp] existieren, übereinstimmen mag. Alle diese Anzweiflung folgt aus der Voraussetzung, daß ein Unterschied zwischen Dingen und Ideen besteht, und daß die ersteren ein Bestehen außerhalb des Geistes oder unwahrgenommen haben. Es wäre leicht, ausführlich über dieses Thema zu handeln und zu zeigen, wie die von den Skeptikern zu allen Zeiten vorgebrachten Argumente von der Voraussetzung äußerer Objekte abhängen.

§ 88. Solange wir undenkenden Dingen [unthinking things - wp] eine wirkliche Existenz zuschreiben, welche von ihrem Perzipiertwerden verschieden ist, ist es uns nicht bloß unmöglich, mit Evidenz die Natur irgendeines wirklichen undenkenden Dings zu erkennen, sondern auch nur dies, daß ein solches existiert. Daher geschieht es, daß wir gewisse Philosophen ihren Sinnen mißtrauen und an der Existenz von Himmel und Erde, von jeglichem Ding, das sie sehen und fühlen, selbst von ihrem eigenen Körper zweifeln sehen. Und nach all ihrer mühevollen Gedankenarbeit sind sie genötigt einzugestehen, daß wir gar keine ansich evidente oder durch einen Beweis gesicherte Erkenntnis von der Existenz sinnlicher Dinge zu erlangen vermögen. Aber all diese Ungewißheit, die so sehr den Geist irre führt und verwirrt und die Philosophie lächerlich macht in den Augen der Welt, verschwindet, wenn wir einen Sinn mit unseren Worten verknüpfen und uns nicht selbst durch die Termini absolut, äußerlich, existieren und ähnliche täuschen lassen, welche etwas bezeichnen, wovon wir nicht wissen, was es ist. Ich kann ebensowohl an meinem eigenen Sein zweifeln, wie am Sein jener Dinge, die ich tatsächlich durch den Sinn wahrnehme, da es ein offenbarer Widerspruch wäre, daß irgendein sinnliches Ding unmittelbar durch das Gesicht oder Getast wahrgenommen wird und doch gleichzeitig keine wirkliche Existenz hat, da die wirkliche Existenz eines undenkenden Dinges gerade in seinem Perzipiert werden besteht.
LITERATUR - Berkeleys Prinzipien der menschlichen Erkenntnis, Kirchmanns "Philosophische Bibliothek", Bd. 12, Berlin 1869