Gerber-Runze-Müller | ||||
(1820 - 1901) Die Sprache und das Erkennen
"Aber wie es keine Sprache gibt ohne Sprechende, so gibt es keine Erkenntnis ohne einen Erkennenden. Immer wieder muß auch die als fertig erscheindende Sprache innerlich gesprochen werden, immer wieder muß der Laut sich als von innerlicher Natur erweisen, als eine geistige Wesenheit wirken, damit Erkenntnis wirklich sei." Die im Laute gleichsam gebundene Kraft der Erregung wird dann frei, und wieder erregt sie die Seele zum Schaffen des Erkennens. Es liegt nahe, dies als ein bloßes Nachschaffen zu bezeichnen, und in der Tat bewegt es sich in jener Richtung, nach welcher der mit dem Laut abgeschlossene bestimmte Vorstellungsakt, also die Bedeutung des Wortes, hinweist, so daß es scheint, als erneuere der Wortlaut in der Seele nur eben das ursprüngliche Vorstellungsbild. Aber so ist es nicht. Die Erregung, welche von dem Lautbild ausgeht, ist von mehr geistiger Art, als diejenige, welche vom Universum unmittelbar gewirkt wurde, auch wenn sie nach derselben Richtung hin die Seele bewegt; zwar erregt sie nicht anders, als die Natur, aber es ist nunmehr eine menschliche Natur, welche wirkt, indem sie spricht. Nicht mehr der einst von dem Sprache schaffenden Individuum angeschaute "Baum" wird vorgestellt, wenn der Laut dieses Wortes zum Schaffen einer vorstellenden Erkenntnis anregt, sondern der Begriff "Baum" kommt uns als ein gedachter zum Bewußtsein, und das vorstellende Schaffen wird zu einem Schaffen des Denkens, das Erkennen selbst ein Denkendes. Diese fertige Sprache, deren Wörter uns die Dinge bezeichnen, spricht von nicht wirklichen Dingen, d.h. sie spricht nicht so von ihnen, wie sie erscheinen, wann sie unmittelbar auf unsere Empfindung wirken. Den Dingen der denkenden Erkenntnis kommt nur eine ideale Existenz zu, ein Sein, welches unserm Erkennen nach im Universum wirklich sein soll, da es bei uns wirklich ist. Der Satz ergibt sich als Ausdruck des vollendeten Denkakts dem Erkenntnis schaffenden Individuum, welches im Besitz der fertigen Sprache ist d.h. im Besitz eines Reichtums von Erkenntnissen, nicht mehr unmittelbar. Man arbeitet da mit Begriffen, und es fehlt den einzelnenWörtern, in denen die Begriffe sich ausdrücken, an jener lebendigen Kraft der Realität, an den Wirkungen der realen Dinge auf uns, welche immer mit deren Erscheinen verbunden sind, und welche verursachen, daß jedes vorstellende Erkennen durch eine verbale Aussage zum Ausdruck gelangt, so daß ja selbst die Namen der Dinge - der scheinbar selbständig für sich abgeschlossenen, festen Existenzen - sich vor der Sprachwissenschaft als Prädikate erweisen. Wenn also erkannt wird innerhalb der Sprachwelt, welche durch das Zusammenwirken der Seelen für unser Denken an die Stelle der realen Welt getreten ist, so muß, da jener das natürliche Leben fehlt, da die Bildekraft des Universums den künstlichen Lautsymbolen unserer Begriffe abgeht, der menschliche Wille an deren Stelle die menschliche Bildekraft bewegen, und die dem Menschen allein unter den Lebewesen eigene Denkbewegung muß die Verknüpfung der Wortdinge herbeiführen, welche das reale Leben an den Dingen durch sich selbst beständig verwirklichkt. Für eine solche in seinem Wollen begründete Verbindung der vorhandenen Lautbilder zum Satz fühlt nun der Erkennende sich verantwortlich; die Verbindung soll in sich gerechtfertigt sein d.h. der Satz soll Wahrheit enthalten. Und so wird, wie wir sehen werden, der Erkennende auf einer höheren Stufe abermals sprachschaffend aus dem Material der Sprache selbst, und der Satz des denkenden Erkennens erweist sich als die Form für unsere Urteile, wie er sie ist für unsere Vorstellungen. Daß es die Sprache ist, durch welche dieses Schaffen, das denkende Erkennen zustande kommt, sah oder fühlte schon WILHELM von HUMBOLDT. Er sagt: "Die Sprachen sind nicht eigentlich Mittel, die schon erkannte Wahrheit darzustellen, sondern weit mehr, die vorher unerkannte zu entdecken." "Gerade da, wo die Forschung die höchsten und tiefsten Punkte berührt, findet sich der - mechanische und logische Verstandesgebrauch am Ende seiner Wirksamkeit, und es tritt ein Verfahren der inneren Wahrnehmung und Schöpfung ein, von dem bloß soviel deutlich wird, daß die objektive Wahrheit aus der ganzen Kraft der subjektiven Individualität hervorgeht. Die ist nur mit und durch Sprache möglich." Beim Erkennen wird sich das Subjekt seiner selbst, wie es für sich ist, bewußt im Gegensatz zu einem Objekt, und das Schaffen des Erkennens erscheint insofern an ein von ihm Unabhängiges gebunden, als unfrei. Aber diese Unfreiheit ist nur für das denkende Bewußtsein vorhanden, welches sein Schaffen auf die objektive Welt bezieht; an sich, als ein Schaffen von Sprache, welche lediglich unsere eigenen Seelenakte verkörptert, hat das Schaffen des Erkennens den Charakter des Kunstschaffens, zunächst eines instinktiven, weiterhin des bewußten. Durch das Schaffen der Lautbilder treten Symbole unserer Vorstellungen an Stelle der realen Vorgänge, auf welche das Bewußtsein sich bezieht, d.h. es wird geschaffen eine Erkennen menschlicher Realität statt der objektiven, so jedoch, daß die menschliche Natur sich nur insofern enthüllt, als von der objektiven auf sie gewirkt wird. Dieses Wirken aber hört nie und nirgends auf, und die unaufhörlich sich fortsetzende Verifikation unserer Empfindungen, Wahrnehmungen, Vorstellungen, wie sie aus der Erfahrung der Gattung sich ergibt, wendet sich kritisch gegen die Verwendung unserer Lautbilder als Vertreter der objektiven Realität, und es wird dadurch verhindert, daß in unserem Bewußtsein der Gegensatz zwischen Subjekt und Objekt und damit das Schaffen des Erkennens jemals erlösche. Wie nun der Kunstcharakter der Sprache unserem Erkennen aufgeprägt bleibt bis zu den letzten Fragen, zur Bearbeitung des Ideengebiets, zu welcher die Sprache selbst die Anregung gibt, wird aus den folgenden Betrachtungen erhellen. Die Sprache ist es, welche das Wesen des Menschen im Verhältnis zum Universum offenbart. In der Tat wird der Zusammenhang der Denkakte mit dem Sprechen so unabweislich empfunden, daß man von je her sie zu Einem Vorgang zusammenzufassen suchte. Logos war den Griechen "Seele" und "Körper" Einer Wesenheit, Vernunft und Sprache, und so sagt PLATO, Gedanke und Rede seien dasselbe, nur so, daß jener dessen innerliche Seite darstelle, diese die äußere. Wolle die Seele erkennen, so führe sie mit sich selber ein Gespräch, wenn auch unter Zurückhaltung der Stimme. Man führte jedoch diese Ansicht nicht durch, man trennte Sprache vom erkennenden Denken, und ging endlich bis zu völliger Entgegensetzung fort. Freilich boten sich hierfür gewichtige Gründe. Denn das erkennende Denken will die Wahrheit, aber die Sprache folgt diesem Wollen nicht immer und erscheint so nicht als Verwirklichung des Denkens, sondern nur als mehr oder weniger zufälliges Mittel, es darzustellen. ARISTOTELES sagte z.B. Beweise richteten sich nicht auf die äußere Rede, sondern auf die in der Seele, die erstere lasse immer, die letztere nicht immer Einwände zu. So unterscheiden auch die Stoiker zwischen dem Gedanken und dessen lautlicher Äußerung, jener göttlichen Art, diese auch den unvernünftigen Geschöpfen nicht versagt. Diese Entgegensetzung ist von den Neueren immer stärker betont worden. BERKELEY z.B. redet von solchen (LOCKE), die den Rat geben, überhaupt beim Forschen nicht auf die Worte zu achten, da diese täuschen; und er selbst bittet den Leser, seine Gedanken rein als solche, ohne die entstellende Hülle der Worte aufzufassen. HAMANN spricht von einem "Schlangenbetrug der Sprache", obwohl er andererseits "dreimal wiederholen muß: Vernunft ist Sprache, logos. Die Männer des Erkennens haben es denn auch an Lehren nicht fehlen lassen, wie man sich bei den Arbeiten des Erkennens vor dem unrichtigen Gebrauch der Sprachmittel zu hüten habe. ARISTOTELES z.B. wendet sich in einer Schrift besonders gegen die Trugschlüsse, welch durch unzulässige Verwendung der Wörter herbeigeführt werden, LOCKEs zehntes Kapitel des dritten Buches seines "Essay concerning human understanding" handelt in 34§ von dem Mißbrauch der Worte, und das elfte in 27 von den Mitteln, die hergegen anzuwenden seien, und LEIBNIZ "Nouveaux essais sur l'entendement humain" begleiten diese Ausführungen an den entsprechenden Stellen mit ihren Bemerkungen. Locke ist anfänglich, wie er sagt, ohne Arg an die Untersuchung des Erkennens gegangen, hat aber später gefunden, daß er notwendig vorher sich über das Wesen der Sprache und die demselben anhaftenden Vollkommenheiten orientieren müsse, da das Erkennen es immer mit Sätzen zu tun hat, wenn es mit der Wahrheitsforschung sich beschäftigt. So wurde denn auch gegen KANTs "Kritik der reinen Vernunft", also eine solche (Vorrede der ersten Auflage): "des Vernunftvermögens überhaupt in Ansehung aller Erkenntnisse, zu denen sie, unabhängig von aller Erfahrung, streben mag", die Sprache entgegengehalten, als welche notwendig in Ansatz zu bringen sei. HAMANN (Metakritik über den Purismus der reinen Vernunft) bemerkt: "Die erste Reinigung der Philosophie bestand in dem - Versuch, die Vernunft von aller Überlieferung, Tradition und Glauben daran unabhängig zu machen. Die zweite (KANT) ist noch transzendenter, und läuft auf nichts weniger als eine Unabhängigkeit von der Erfahrung - hinaus." "Der dritte, höchste und gleichsam empirische Purismus betrifft also noch die Sprache, das einzige, erste und letzte Organon und Kriterium der Vernunft." JAKOBI sagt (Allwills Briefsammlung): "Werde ich es sagen, endlich laut sagen dürfen, daß sich mir die Geschichte der Philosophie je länger desto mehr als ein Drama entwickelte, worin Vernunft und Sprache die Menächmen? spielen?" "Mehrere behaupten, es sei nun, (nach KANT) das Ende (dieses Dramas) schon gefunden und bekannt. Vielleicht mit Recht. Und es fehlte nur noch an einer Kritik der Sprache, die eine Metakritik der Vernunft sein würde, um uns alle über Metaphysik eines Sinnes werden zu lassen." HERDER sagt (Metakritik zur Kritik der reinen Vernunft): "Der Bau menschlicher Sprache von ihrem Grunde aus vernichtet grundaus das Spielwerk eines gegenstandslosen Verstandes a priori." Er fragt in Beziehung auf KANTs "Paralogismen der reinen Vernunft": "Konnte ja mußte die Vernunft ihrer Natur nach, unvermeidlich fehlschließen; womit verbürgt der dialektische Kritiker sich, daß nicht auch Er paralogisiere?" Er führt dann aus, daß die Sprache es sei, durch welche solche Paralogismen entständen, "die höchst unreine, dialektische Zank- und Kathedervernunft, die auf jedes Wort ein Gegenwort hat." Die kritische Philosophie besonders habe irreleitende "Wortschälle" eingeführt... Es ist etwas Richtiges daran, wenn COMTE annahm, daß die Geschichte des menschlichen Geistes zeigt, wie das Erkennen sich durcharbeitet durch die theologischen zur metaphysischen, von der metaphysischen zur positiven Auffassung der Dinge, aber man irrt, wenn man glaubt, daß es abzuschließen vermöge mit Resultaten von Experimentationen. Die Betrachtung der Sprache - die Sprache geleitet uns durch alle Stadien der Entwicklung - lehrt, daß, wenn wir immer größere Erfolge erringen im Positiven, wenn wir uns genötigt sehen, immer mehr Wert auf ein genaues Kennen zu legen, denn dies ist die Grundlage von Wissenschaft und fördernder Praxis, doch weder die Theologie noch die Metaphysik dadurch aus unserm Erkennen entfernt werden kann. "Kraft", "Stoff" sind nicht weniger Götter vor dem Erkennen, als Ormuzd und Ahriman, "Atome" und "Anziehung der Körper, nicht weniger Metaphysik, als LEIBNIZ' Monaden. Die Sprache an sich hat jenes an sich, was man als Mythologie und Metaphysik bezeichnet; es sind dies Namen, durch welche angezeigt wird, wie das Erkennen sich rein abzuheben sucht vom Kennen, um, losgelöst von demselben, unser Verhältnis zum Universum als eine Einheit der Glieder desselben zu fassen, die Wahrheit als absolute. Notwendig haben diese Erhebungen in die Sphäre der Wahrheit auch die Natur des Irrtums an sich, im allgemeinen schon deshalb, weil sie eben ein Losgelöstes, Absolutes, für erreicht halten, während im Erkennen und Sprache nur das Weilen in einem Verhältnis gestatten. Diejenigen, welche ein besonderes Übersinnliches als Gegenstand des Forschens annehmen, entschließen sich leicht, Mangel und Unvollkommenheit der Sprache hierbei zuzugeben, da sie sinnlicher Art sei, das Erkennen jedoch halten sie für an sich mächtiger, denn sie fühlen nach jedem Gesprochenen in sich immer noch ein Überschüssiges, die quellende Bildekraft, welche im weiteren jeden Irrtum des einstweilen zur Darstellung Gekommenen berichtigen, alles Unvollständige zu ergänzen imstande sein würde, wenn die Umstände für ihr Kennen und Erkennen günstig lägen. In der Tat fühlen wir so, denn das Fühlen ist Ausdruck unseres inneren Seins in seiner Totalität, welches seine Einheit mit dem universalen Sein im Erkennen hervorbringen will. Aber diese faktische Einheit des individuellen Seins mit dem des Universums ist eben nur eine gefühlte, sie ist keine erkannte, denn sie geht so nicht ein in die Form unseres Bewußtseins und darum auch nicht in die der Sprache. Wir leben in dieser gefühlten Einheit am innigsten in der Musik, im Ton, der mit dem Erzittern des Stofflichen dessen Natur uns offenbart, aber dieser Ton ist eben nicht von uns artikuliert, es fehlt ihm die Bestimmtheit, welche das Erkennen das verlangt. Nicht, was wir fühlen, erkennen wir, (und wir fühlen uns eben mächtiger bei diesem Inhalt, als wir uns erkennend bewähren, weil dort das Universum, hier das Individuum sich vernimmt), aber das Fühlen, wie weit es Gegenstand des Bewußtseins werden kann, erkennen wir nicht minder, als wir in dem Sein außer uns die Beziehungen erkennen und darzustellen vermögen, welche uns dessen Lebensakte offenbaren. Wie aber unser Erkennen immer nur ein Verhältnis erfasst, unsere Wahrheit das Irren in sich schließt, sehen wir leicht, wenn wir die Natur der Sprache in Betracht ziehen. Denn das Mittel, durch welches wir die Natur der Sprache in Betracht ziehen. Denn das Mittel, durch welches wir die Akte unseres Erkennens zum Stehen bringen und ihnen so eine Wirklichkeit schaffen, welche wenigstens von der Zufälligkeit des Moments und von dem einzelnen Individuum ablösbar und unabhängig ist, ist der Laut, welchen wir formen, biegen, gliedern, glätten, damit er diese Arbeit verrichten kann. Der Laut aber, wie immer wir ihm auch die Züge unseres Wesens aufdrücken mögen, um ein uns darstellendes und so unmittelbar verständliches Sein zu erhalten, er bleibt doch immer Symbol, zeigt das Erkannte im Bilde, als Gleichnis; es wird durch ihn nur wieder ein Streben erweckt im Hörenden, den Gedanken wiederzuerzeugen, welcher aus dem Streben des Sprechenden hervorging, ihn zu erzeugen... Daß Mitteilung durch die Sprache erfolgt, ist Folge ihres Wesens, Betätigung ihres Gattungscharakters, aber keineswegs ist damit ihr Wesen erschöpft. Auch die Naturlaute der Tiere dienen der Mitteilung, aber die Sprache teilt Erkenntnis mit, und zwar ausschließlich. Anders als in ihr ist Erkanntes, als solches gar nicht vorhanden; durch sie wird es ein Wirkliches und eine, freilich immer wieder hervorzubringende, Bestimmtheit, ein Besitz des menschlichen Geistes. Ebensowohl wie Erkennen ohne Sprache, könnte Musik ohne Töne möglich scheinen. Denn Musik ist nicht nur das Tönende; ihre innerliche Seite, die Bewegung der Empfindungen, des Gefühls ließen sich ja wohl etwa auch durch Mimik ausdrücken und mitteilen. So sind auch Denkbewegungen für sich noch kein Erkennen; sie müssen zu einer gewissen Bestimmtheit gekommen sein, in feste Form sich zu fassen, und so muß der Mensch sie fühlen. Dann artikuliert er dieselben in einer Lautschöpfung, zu welcher seine Eigennatur ihn befähigt ebensowohl, als zwingt. Die eigene Bildekraft besondert in der Artikulation den von der Bildekraft des Universums gegebenen Laut. Denkbewegungen, welche zu einem derartigen Abschluß in Darstellung einer lautlichen Formierung nicht gelangen, dringen eben bis zum Erkennen nicht durch, verdrängen unaufhörlich ihre haltlosen Bildungen durch neue oder belassen sie in schwankenden und undeutlichen Umrissen. Gerade die Befähigung zu einem solchen Abschluß des Denkaktes durch den zugehörigen Sprachakt ist die sichere Grenze zwischen dem Denken des Menschen und dem des Tieres; beruht doch auf dem Besitz der Sprache auch wesentlich die Fähigkeit geschichtlicher Entwicklung für das Menschengeschlecht. Denn der Einzelne stirbt, und die Arbeit des Erkennens würde mit ihm verwehen, wenn die Sprache sie nicht bewahrte. Sprache und Erkenntnis gehören der Gattung an, deren vorübergehende Repräsentanten die Einzelnen sind. Die von den Einzelnen hervorgebrachten Lautbilder werden nur dadurch zur Sprache, daß sie von weiten Kreisen der Menschen als treffende Symbole von Vorstellungen empfunden und anerkannt werden. Geschaffen, umgeschaffen, umgedeutet von einzelnen, hat doch der Laut nur Geltung als Sprachlaut, wenn er zum allgemeinen Besitz geworden ist, zum allgemeinen mit der Maßgabe, daß sich Sprache unter dem Einfluß von naturgegebenen Bedingungen und von geschichtlichen Vorgängen an verschiedenen Orten verschieden gestaltet. der Schatz der Erkenntnis, an dem alle teilhaben, vererbt sic so in der Sprache von Geschlecht zu Geschlecht, und zugleich hat jedes Individuum eine bedingte Freiheit und Macht, seinerseits Sprache und Erkenntnis zu fördern. Das Denken des Individuums beginnt seine Arbeit nicht sogleich in der Helligkeit, welche die sprachliche Form voraussetzt, aber je klarer es sich wird, desto bestimmter bieten sich Lautbilder, um ihm Gestalt zu geben, desto eifriger suchen wir das befreiende Wort, und der Denkakt ist abgeschlossen, sobald wir es gefunden oder, wie richtiger zu sagen ist, sobald wir es für unsere Gedanken wieder hervorgebracht haben. Wenn man dies so erklärt, daß die Seele des Lautes bedürfe als eines Zeichens, an welches sie sich halte, um operieren zu können, so genügt das nicht. Ein Halt und ein Zeichen wird der Laut erst infolge der Sicherheit, welche er im Denken erreicht hat, so daß die Vorstellung ihr Bild in ihm ausprägen konnte durch Artikulation. Der Denkakt zeigt durch seine Verleiblichung im Laut den Fortschritt, daß sein Inhalt für die Seele zum Objekt geworden ist, daß sie seiner als des ihrigen, von ihr gesetzten, sich bewußt geworden. Man kann also wohl ein Inneres und Äußeres unterscheiden, wenn man von Akten des Erkennens spricht, aber wie wollten wir diese erfassen, als wie sie in Wirklichkeit sind, d.h. in der Sprache? Darum werden wir die Bedingungen, unter denen Erkennen zustande kommt, die Formen seiner Wirklichkeit, aus der Sprache zu entwickeln haben. Von jeher schon hat man unbewußt unter der Leitung der Sprache die Akte unseres Erkennens untersucht. Ein berühmtes Beispiel haben wir an ARISTOTELES Behandlung der Kategorienlehre, durch welche er zu einer Rubrizierung aller realen Begriffe gelangen will. Da schwebte ihm eben das Schema des grammatischen Satzes vorm wie es spätere Zeiten erst im einzelnen zergliederten und die Bestandteile feststellten. Freilich glaubte er, daß von den Lautbildern die Dinge selbst dargestellt würden, sie bedeuten ihm das Seiende, drücken ihm das Kennen aus. Es ist dies die Verwechslung, zu welcher die Auffassung der Sprache als Mitteilung veranlaßt, denn die Mitteilung verlangt, daß das Lautbild von dem Hörenden als objektiv angesehen werde, um verstanden zu werden, als Repräsentant, nicht als Symbol, und die Seelen-laut-bilder-welt bedeutet für die Mitteilung ohne weiteres die "wirkliche". Unsere Kritik der Sprache, indem sie dem Unterschied der sprachlichen Setzung von demjenigen, was das Kennen bietet, nachgeht, gelangt so zum Verständnis der Sprachformen und damit zur Erfassung des dem Menschen eigentümlichen Erkennens.Man sieht, daß die Bedeutungen der isolierten Wörter so vorgestellt werden müssen, wie ihnen in der Wahrnehmung nichts entspricht; sie gründen sich lediglich auf unsere Sprachlaute und haben nur an diesen den Boden für ihr Dasein. Wir haben an ihnen recht eigentlich Wortbegriffe, die als solche sämtlich in nominaler Form gedacht werden, weil die Bedeutung der Wörter, an welche sie gebunden sind, einer umschriebenen, definierten Vorstellung, einer Bestimmtheit zustrebt, welche im Urteilssatz sich vollendet. Diese Begrenzung und Verselbständigung des Begriffs ist eben Folge der Isolierung des Wortes, welches dadurch die Vorstellung einer Substanz erregt, die als Subjekt gesetzt werden kann, um in einem Urteil ihr Wesen, in welches das Gattungs-Ich sich versetzt, für die Sprachgenossen gültig auszusagen. Denkt man z.B. in dem Wahrnehmungssatze "der Hund bellt" die Wörter isoliert, so wird nicht bloß die Bedeutung von Hund eine begriffliche, allgemeine, sondern, da "bellt" seine Beziehung auf ein Subjekt verliert (wir können hier von der Personalendung absehen), und für sich allein etwas bedeutet, so rückt es seinen Sinn in die selbständige nominale Form des Infinitivs und wird als "das Bellen" zum Begriff; wie, wenn das Prädikat adjektivisch wäre: "Der Hund ist gierig", das isolierte "gierig" seine prädikative Form aufgeben und als "Gier" sich zum nomen substantivum verselbständigen würde. Demnach bezeichnen wir als Begriff der noch nicht im Urteilssatz verbundenen isolierten Wörter eine Teil-Vorstellung, welche dadurch erweitert ist, daß sie ihre ursprüngliche Beziehung auf einen bestimmten Ort und den Zeitmoment einer Wahrnehmung - das Hier und Jetzt aufgegeben hat, und welche hierdurch zugleich frei geworden ist von den infolge dieser Beziehung ihr beigemischten Vorstellungen anderer Art. Der Begriff der isolierten Wörter erhebt demnach den Anspruch, für alle Satzverbindungen, in denen ihn die Sprachgenossen verwenden mögen, also innerhalb der Gattungssprache, als derselbe zu gelten und definiert zu sein. Um das Einzelne genügend zu bezeichnen, dazu bedarf das Lautbild der Ergänzung z.B. durch Gebärde, durch die Wahrnehmung, durch Kenntnis der Umstände, unter denen es gehört wird. Es kann eben nur als Symbol verstanden werden, und Symbole, wie z.B. das Bild eines Palmzweigs, eines Ankers, des Kreuzes, bezeichnen nur unbestimmt. Aber gerade diese Schwäche des Lautes dem Erkennen gegenüber macht ihn zu dessen vorzüglichem Begleiter während seiner Fortentwicklung. Innerhalb der Sphäre, in welche ihn die durch die Kunst des Sprechens gegebene Artikulation versetzt hat, läßt das Wort gar verschiedene Bedeutungen zu. Mensch kann Mann, Weib, Kind, Greis, Weißer, Neger, Kretin und ARISTOTELES im bestimmten Falle bedeuten, aber auch nichts von dem Allen. LITERATUR, Siegfried J. Schmidt (Hrsg), Philosophie als Sprachkritik im 19. Jahrhundert, Textauswahl Band II, Stuttgart-Bad Cannstadt 1971 |