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GUSTAV GERBER
(1820 - 1901)
Kritik der Sprache

Sprache und Erkennen
Die Sprache als Kunst
"Durch die Kunsteinheit der Sprache erzeugt sich die Einheit der Systeme..."

Wenn die Dinge durch ihre Vielnamigkeit nach und nach zu mehrseitiger, d.h. zu sicherer Anschauung und Betrachtung bei den Menschen gelangten, wenn die verschiedenen Umstände, in welche der usus die Worte bringt, deren bildliche Unbestimmtheit allmählich beschränkten, und sie so in ihrer Bedeutung befestigt zu sein schienen, dann übertragen sie sich so von Generation auf Generation, und verbinden diese zu einem langlebenden Individuum, dessen intellektuelle Entwicklung sie stützen und bewahren. Das Wort ist es, welches den politischen Parteien ihre Fahne gibt: Hie Welf, hie Waiblingen! die Phrasen, um welche sie sich sammeln: Ruhe und Ordnung! Freiheit und Gleichheit!

In gewissen Perioden bindet sich die geschichtliche Erscheinung der Religion an bloße Terminologie: Monophysiten, Monotheleten, Erleuchtung, Trinität, "das ist" und "das heißt" - und nicht minder der wissenschaftliche Eifer, wenn er mit Benennungen Keulenschläge zu führen meint: Atheist, Pantheist, Idealist, Realist. - Sehen wir zunächst ab von der inneren Berechtigung, mit welcher wir solche Begriffe als feste, stets mit derselben Bedeutung verbunden, ins Feld führen - wer aber weiß nicht, daß solches Feldgeschrei auf die Menschen wirkt, wie ein Trompetensignal auf das Schlachtross, daß die durch ihre Zahl herrschende Menge der ausgegebenen Parole folgt, blindlings, bis zum Tode, - und was wissen diese Begeisterten meist Näheres von der Sache? - daß aber ohne Parole sie gar nicht in Bewegung zu setzen ist?

HERDER sagt (Spruch und Bild in den Zerstreuten Blättern, Bd.21):
"Wie selten sind die eigentümlichen, ursprünglichen Denker unter den Menschen! Man folgt so gern anderer Rat, sieht, auch wenn man mit eigenen Augen zu sehen glaubt, so oft mit fremden Augen, und geht am Gängelwagen der Sprache!"
Bei SCHOPENHAUER (Welt als Wille und Vorstellung, Bd.2) heißt es:
"Man behilft sich mit einem Helldunkel, in welchem sich zu beruhigen man gern nach Worten greift, zumal nach solchen, die unbestimmte, sehr abstrakte, ungewöhnliche und schwer zu erklärende Begriffe bezeichnen, wie z.B. Unendliches und Endliches, Sinnliches und Übersinnliches, die Idee des Seins, Vernunft-Ideen, das Absolute, die Idee des Guten, das Göttliche, die sittliche Freiheit, Selbsterzeugungskraft, die absolute Idee, Subjekt-Objekt usw. Mit dergleichen werfen sie getrost um sich, meinen wirklich, das drücke Gedanken aus und muten jedem zu, sich damit zufrieden zu stellen: denn der höchste ihnen absehbare Gipfel der Weisheit ist eben, für jede mögliche Frage dergleichen fertige Worte in Bereitschaft zu haben. Dies unsägliche Genügen an Worten ist für die schlechten Köpfe durchaus charakteristisch."
Ebenso fehlt es nun der Sprache an eigenen, ursprünglichen Ausdrücken für abstrakt geistige Begriffe; es werden, um sie zu erhalten, den schon vorhandenen Wörtern andere Bedeutungen übertragen. Es geschieht dies weder absichtlich, noch sprungweise, ebensowenig, wie dies bei dem Übergange von sinnlicher Wahrnehmung zum abstrakten Denken der Fall ist. Es wird vielmehr dasselbe Wort allmählich anders gemeint, wobei denn, ja nach dem Bildungsgrade des Sprechenden, immer eine Differenz in der Auffassung bleibt, manches sogar gar nicht allgemein verstanden wird und so aus der Volkssprache herausfällt. Wörter z.B. wie wahrnehmen, empfinden, fühlen, vorstellen, denken, erkennen, Verstand, Vernunft, Glaube, Wissenschaft und dgl. haben nach Konvention zeitweise gewisse bestimmte Bedeutungen, welche die Volkssprache nur wenig angehen.

Aus solchen abstrakten Begriffen erbauen sich nun die Lehrgebäude der menschlichen Wissenschaft; vorzugsweise beruhen auf ihnen alle Systeme, welche im weitesten Sinne metaphysisch genannt werden mögen.

KANT stellt der Metaphysik, "dem Kampfplatz endloser Streitigkeiten", welche aber zu seiner Zeit "nur noch Überdruß und gänzlichen Indifferentismus" erweckte, seine "Kritik der reinen Vernunft" entgegen. Was er indes vorhersah (in den Prolog. zu jed. zuk. Metap.): "die Nachfreage nach Metaphysik würde sich doch niemals verlieren, weil das Interesse der allgemeinen Menschenvernunft mit ihr gar zu innigst verflochten ist", bewahrheitete sich weiter und hat in unseren Zeiten wider zum näheren Anschluß der Forschungen an das Naturgegebene geführt, zur Empirie.- Wie wir schon bemerkten, hat aber die Vernunft ihre empirische Existenz lediglich in der Sprache, so daß KANTs Kritik der reinen Vernunft sich heute zur Kritik der Sprache umgestalten wird.

Wir geben hier unsere Andeutungen, wie es der Kunstcharakter der Sprache ist, von dessen Anerkennung eine solche Kritik ausgehen müßte, um fruchtbar zu sein. Widerlegungen und neue Aufstellungen, lediglich von abstrakten Begriffen ausgehend, können zu nichts führen. Da wir in Bildern von Bildern denken, so kann, wenn wir uns in derselben Sphäre des Bildlichen zu halten bedacht sind, als System eine in sich abgeschlossene, sich nirgend widersprechende Allegorie zu stande kommen, welche als Gleichnis, als ein Produkt der Sprachkunst, ebenso in sich wahr und berechtigt sein kann, wie andere Kunstwerke der Poesie - nur daß die wegen ihrer rein didaktischen Tendenz sinnlichen Reiz nicht zu entwickeln vermögen. KANT sieht dies ebensowohl (Proleg. zu je. zuk. Metaph. §52b.):
"Man kann, sagt er, in der Metaphysik auf mancherlei Weise herumpfuschen, ohne eben zu besorgen, daß man auf Unwahrheit werde betreten werden. Denn, wenn man sich nur nicht selbst widerspricht, welches in synthetischen, obgleich gänzlich erdichteten Sätzen gar wohl möglich ist; so können wir in allen solchen Fällen, wo die Begriffe, die wir verknüpfen, bloße Ideen sind, die gar nicht - in der Erfahrung gegeben werden können, niemals durch Erfahrung widerlegt werden."
Es liegt das Anziehende bei solchen Systemen in der Architektonik der Komposition, welche immerhin den zu diesem Genusse Befähigten befriedigen und selbst entzücken kann. Neuerdings hat F.A. LANGE (Geschichte des Materialismus) den Kunstcharakter der Philosophie besonders betont. Er sagt:
"So lasse man denn auch die Philosophen gewähren, vorausgesetzt, daß sie uns hinfüro erbauen, statt uns mit dogmatischem Gezänk zu belästigen. Die Kunst ist frei, auch auf dem Gebiete der Begriffe."
ferner, wo er speziell von HEGEL spricht:
"Die Poesie der Begriffe hat für die Wissenschaft, wenn sie aus einer reichen und allseitigen Bildung hervorgeht, einen hohen Wert. Die Begriffe, welche der Philosoph dieses Schlages erzeugt, sind mehr als tote Rubriken für die Resultate der Forschung; sie haben eine Fülle von Beziehungen zum Wesen unserer Erkenntnis, und damit zum Wesen derjenigen Erfahrung, die uns allein möglich ist",
endlich:
In den Relationen der Wissenschaft haben wir Bruchstücke der Wahrheit, die sich beständig mehren, aber beständig Bruchstücke bleiben; in den Ideen der Philosophie und Religion haben wir ein Bild der Wahrheit, welches sie uns ganz vor Augen stellt, aber doch stets ein Bild bleibt, wechselnd in seiner Gestalt mit dem Standpunkt unserer Auffassung."
Die metaphysischen Systeme stellen, da sie das Absolute ergreifen wollen, das Kunstwerk einer mythologischen Allegorie auf. Die religiösen Gedichte der Hindu, HESIODs Theogonie, SPINOZAs All-Eins-Lehre, HEGELs Logik stehen auf gleicher Linie der Kunst, es unterscheidet sie nur das mehrgeübte, mehr kritische Bewußtsein, durch welches eine spätere Zeit vor unverhüllter Mythenbildung geschützt ist. Der Philosoph glaubt, Begriffe zu konstituieren, frei zu erzeugen, und man wird durch Sprachtechnik und Sprachkunst geleitet, welche dann zu Weltgesetzen erhoben werden.

So entstehen die metaphysischen Götter, und so entsteht auch Mythologie. JAKOBI (an FICHTE) sagt:

"Überhaupt ist in Absicht des Aberglaubens und des Götzendienstes meine Meinung, daß es ganz einerlei sei, ob ich mit Bildern aus Holz und Stein, ob ich mit Zeremonien, Wundergeschichten, Gebärden und Namen, oder ob ich mit philosophischen Durch-und-durch-Begriffen, kahlen Buchstabenwesen, leeren Einbildungsformen Abgötterei treibe."
MAX MÜLLER zeigt, wie vieles von dem, was bisher in dem Ursprung und in der Verbreitung der Mythen ein Rätsel geblieben ist, verständlich wird, wenn man es im Zusammenhange mit den frühen Entwicklungsphasen betrachtet, durch welche die Sprache und der Gedanke hindurch gehen müssen:
"Mythologisch ist in dem Sinne, in welchem ich es gebrauche, auf jede Gedankensphäre und auf jede Wortklasse anwendbar, obgleich die religiösen Ideen auf den mythologischen Ausdruck am leichtesten eingehen. So oft nun ein Wort, das zuerst metaphorisch gebraucht wurde, ohne eine ganz klare Auffassung der Schritte, welche von seiner ursprünglichen Bedeutung zur metaphorischen hinüberführten, gebraucht wird, so ist auch gleich Gefahr vorhanden, daß es mythologisch gebraucht werde; so oft diese Schritte vergessen und künstliche Schritte an ihre Stelle gesetzt werden, so hat man Mythologie, oder, wenn ich so sagen darf eine krank gewordene Sprache."
Man stellt sich nun vor, wie wir auch in den soeben mitgeteilten Ausführungen MAX MÜLLERs sahen, daß an den Mißerfolgen der metaphysischen Systeme lediglich die Unvorsichtigkeit Schuld sei, mit welcher man den Wörten metaphorische Bedeutungen beilege, ohne genau zu beachten, was man damit tue; man gebe ja doch, meint man, die bildliche Bedeutung der Worte auf, wenn man philosophiere, behandle sie als bloße Zeichen für den Gedanken, und sei so - wenn man nur aufpasse - davor geschützt, bloß Worte zu machen, während man doch eben denken wolle.

MAX MÜLLER führt einige gute Zitate (aus BACON, LOCKE, WILKINS, BROWN, HAMILTON) an, um zu zeigen, mit welcher Energie selbständige Denker sich stets gegen diesen ärgerlichen Despotismus der Sprache aufgelehnt haben, MAX MÜLLER fügt freilich an dieser Stelle hinzu: "und wie wenig er trotzdem erschüttert worden ist", aber dennoch schließt er sein Buch mit den Worten:

"Solange das Wort - als ein algebraisches X, als eine unbekannte Größe, gebraucht wird, kann es keinen Schaden tun, - Das Unheil hebt an, wenn die Sprache sich selbst vergißt und uns das Wort fälschlich für den Gegenstand, die Qualität für die Substanz, das Nomen für das Numen halten läßt."
Was empfehlen denn nun jene selbständigen Denker gegen "den ärgerlichen Despotismus der Sprache"? Sie empfinden ihre Macht sehr lebhaft, wie denn BROWN u.a. sagt:
"Der Erfinder des barbarischen Ausdrucks konnte einen wichtigeren Einfluß auf das Menschengeschlecht gewinnen, als der berüchtigste Eroberer mit einem langen Leben der Arbeit, Angst, Gefahr und Schuld."
Sie halten die Beseitigung des Sprach-Unheils für sehr wichtig; wie denn LOCKE hofft
"daß, wenn die Unvollkommenheiten der Sprache - gründlicher in Betracht gezogen würden, eine große Menge der Kontroversen, welche jetzt so viel Lärm in der Welt machen, von selbs aufhören würden".
BERKELEY in der Einleitung zu seinen "Principles of Human Knowledge" gibt vom Kapitel XVIII ab auch eine Kritik der Sprache, von der er sagt, daß, wenn es nicht etwas wie Sprache gäbe, niemals irgendwie an Abstraktion gedacht worden wäre. Es knüpfe sich aber keineswegs eine einzelne, genau bestimmte Bedeutung an irgend ein Wort. LOCKE habe vor dem falschen Gebrauch der Worte gewarnt, sich aber doch vor einem solchen nicht zu hüten vermocht; er, BERKELEY, wolle sich so ganz von ihnen lossagen, daß er seine Leser nur bitte, sie sich als Anlaß zu eigenem Denken dienen zu lassen und so in den Gedankengang des Schriftstellers sich hineinzufinden. Man sieht die Verzweiflung, mit der Sprache fertig zu werden, und wie sollten wohl BERKELEYs Leser in irgend einen Gedankengang kommen, wenn sie ihne nicht durch Worte sich sichern? -

Aber, um hierzu zu gelangen, weiß BACON nichts anzugeben, als daß durch genaue Definitionen der Wörter, ehe sie in Gebrauch genommen werden, deren Sinn festzustellen sei, und WILKINS und HAMILTON empfehlen eine bestimmte philosophische Nomenklatur, durch welche sich z.B. die deutsche Wissenschaft besonders auszeichne. Was aber die sichernden Definitionen anlangt, also würden diese doch wieder nur durch Worte erfolgen können, die einen so ärgerlichen Despotismus üben, und, wenn eine reiche Nomenklatur derart festgestellt ist, daß, wie MAX MÜLLER will, die Worte als algebraische X, als unbekannte Größen gebraucht werden, so können sie freilich so lange, als dies geschieht, einen Schaden nicht anrichten, weil es ihnen eben an Inhalt fehlt; das Unheil hebt aber an, wenn ihnen der Inhalt gegeben wird, denn an den Lautbildern jedenfalls ist jeder Begriff erwachsen, der ihnen gegeben werden kann.

In dieser Welt des Scheines mögen wir wohl vielfach stutzen, uns fragen, ob unsere Seele denn nicht nur eine Bilderwelt ist, ob es kein Mittel gibt, von den Erscheinungen aus vorzudringen bis zu dem, was wir die Dinge nennen - aber sind damit die Bilder beseitigt, wenn wir uns überzeugt halten, es seien Bilder?

Was also Bestimmtes als heilig und unantastbar von den Menschen gegründet wurde, alles dies unterliegt der Kritik; vor ihr zerbrechen die Säulen, auf denen Sitte, Recht und Staat ruhen, Religion und Wissenschaft; als diese Macht, welche unsere älteren Götzenbilder zertrümmert, kennt sie die Geschichte unter dem Namen: der Fortschritt. Die bestimmten Religionen hören auf zu bestehen, sobald der Fortschritt ihre Dogmen als Bilder aufweist, denn wir erkennen dann in dem Übernatürlichen unsere eigene Schöpfung; man verwirft die einzelne Religionsform erst dann, wenn man sie vollständig verstanden hat, denn die verstandene Religion ist kein Gegenstand des Glaubens mehr.

Wird im Gebiet der Naturwissenschaften wissenschaftlich fortgeschritten, so geschieht dies dadurch, daß man als Bild zeigt, was als Sache galt. Man wir die Imponderabilien los, indem man sie als nur sprachlich-mögliche Verknüpfung von Begriffen aufweist, LOTZE beseitigte die Lebenskraft, wie LAVOISIER das Phlogiston; gegen andere Namen, wie Atome, Äther zeigt sich die Wissenschaft zurückhaltend in Bezug auf die mit ihnen zu verbindenden Begriffe. Bild drängt sich an Bild, und wir vergessen bald, daß wir sie nicht anders zu nehmen haben. Schon BERKELEY erkennt die bildliche Bezeichnung in dem Worte "Attraktion" als des "großen mechanischen Prinzips". Könnte man, sagt er, nicht ebensowohl dieses Prinzip als "Impuls oder Fortstoßung" bezeichnen? Und was wissen wir denn heute von dieser actio in distans?

LOTZE sagt (Mikrokosmos):

"Wir wissen, wenn wir aufrichtig sein wollen, keinen Grund, warum die Anziehung in größerer Nähe nicht geringer sein sollte, da sie ja leicht in demselben Maße abnehmen könnte, in welchem sie bereits befriedigt ist."
Wir sprechen von einem magnetischen, einem elektrischen Strom und glauben damit die Natur eines Vorgangs in der Natur bezeichnet zu haben, ebenso von elektrischer Spannung - wir konstruieren, indem wir das Bild vom Strome übersetzen, "Rheomotoren", wir empfinden Schläge etc., und wir können eben nicht anders sprechen, d.h. nicht genauer auffassen und bestimmen.

Von den Naturwissenschaften entlehnt dann ferner z.B. die neuere Sprachwissenschaft eine Menge von Bildern, denn man redet vom Organismus der Sprache, von Sprossformen, Wurzeln, Stämmen, vom anatomischen Bau der Sprache, von ihrer Morphologie, den physiologischen Funktionen der Sprachteile, auch von Mutter- und Töchtersprache und dergleichen mehr.

Dabei fehlt es keineswegs an der Einsicht darüber, wie die Sprache uns bedingt. Wenn man bedenkt, was jetzt Psychologie ist, und was sie früher war, versteht man den humoristischen Erguß bei LANGE:

"Also nur ruhig eine Psychologie ohne Seele angenommen! Es ist doch der Name noch brauchbar, so lange es hier irgend noch etwas zu tun gibt, was nicht von einer anderen Wissenschaft vollständig mit besorgt wird. Freilich sind die Grenzen gegen die Physiologie nicht leicht zu ziehn" usw.
Über die durch die Namen von Kraft und Stoff in der Wissenschaft fixierten Gegensätze drückt sich Du BOIS REYMOND (Untersuchungen über tierische Elektrizität) so aus:
"Die Kraft (insofern sie als Ursache der Bewegung gedacht wird) ist nichts als eine versteckte Ausgeburt des unwiderstehlichen Hanges zur Personifikation, der uns eingeprägt ist; gleichsam ein rhetorischer Kunstgriff unseres Gehirns, das zur tropischen Wendung greift, weil ihm zum reinen Ausdruck der Klarheit die Vorstellung fehlt. In den Begriffen von Kraft und Materie sehen wir wiederkehren denselben Dualismus, der sich in den Vorstellungen von Gott und der Welt, von Seele und Leib hervordrängt. Es ist, nur verfeinert, dasselbe Bedürfnis, welches einst die Menschen trieb, Busch und Quell, Feld, Luft und Meer mit Geschöpfen ihrer Einbildungskraft zu bevölkern. Was ist gewonnen, wenn man sagt, es sei die gegenseitige Anziehungskraft, wodurch zwei Stoffteilchen sich einander nähern? Nicht der Schatten einer Einsicht in das Wesen des Vorgangs.

Aber, seltsam genug, es liegt für das innewohnende Trachten nach den Ursachen eine Art von Beruhigung in dem unwillkürlich vor unserm inneren Auge sich hinzeichnenden Bilde einer Hand, welche die träge Materie leise vor sich herschiebt, oder von unsichtbaren Polypenarmen, womit die Stoffteilchen sich umklammern, sich gegenseitig an sich zu reißen suchen, endlich in einen Knoten sich verstricken."
Würde nun der geistreiche Mann nicht auch seine Ausdrücke als versteckte Ausgeburten des Hanges zum Bilderwesen zu bezeichnen haben, wenn er sich etwa "die Ausgeburt des Hanges", "den reinen Ausdruck", das "innewohnende Trachten nach den Ursachen" u.a.m. naher ansehen wollte?

LANGE weist nach, daß die Notwendigkeit für uns, "Kraft und Stoff" einander gegenüber zu stellen, wie weit man auch die Begriffssphäre des Stoffs einschränkt und die der Kraft ausdehnt, darauf beruht, daß wir eben kein Prädikat ohne Subjekt, kein Subjekt ohne Prädikat denken und aussprechen können.

Namentlich ist es nun aber die Philosophie, welche mit stets treffender Kritik die Lehren ihrer Meister als Bilder aufweist und damit den Nachfolgenden Platz zum Aufstellen neuer Bilder verschafft. Dabei lassen sich zwei Richtungen unterscheiden, welche die Philosophen bei Konstruktion ihrer Systeme einschlagen, je nachdem sie mehr enthusiastische und auf das Erfassen und Darstellen des Allgemeinen gerichtete Naturen sind, begeistert zu Schöpfungen der Kunst, oder mehr reflektierender Art, welche scharfsinnig dem Einzelnen in seinen Beziehungen nachspüren.

Während die ersteren die Sprache mehr als freie Kunst handhaben, in Substantiven philosophieren, das Schöpfungsbild dann in den Farben der Adjektiva aufblühen, in Verben Duft und Glanz ausstrahlen lassen, operieren die anderen mehr mit Hilfe der konventionell befestigten Sprache, philosophieren mit denjenigen Sprachelementen, welche der Form des Lautkörpers angehören, mit Flexionen, Wortableitungen, Zusammensetzungen, Präpositionen, und welche die Satzgebäude als solche konstituieren, Satzkongruenzen, Konjunktionen und dergleichen mehr.

Es stützen sich also die Philosophen bald auf die Kunstschöpfungen der Sprache selbst, welches eben die Bilder sind, bald auf die Technik der Sprachkunst, nämlich auf die Grammatik. Diese Technik setzt dann die Bilder so in Beziehung, daß sie dem Menschen als ein unauflösliches Ganzes erscheinen, und er nimmt an, daß die geschaffenen Verbindungen ebenso dem Weltzusammenhange entsprechen, wie seine Wörter die Welt bedeuten. Durch die Kunsteinheit der Sprache erzeugt sich die Einheit der Systeme, aber es sind die so befestigten Systeme nicht sicherer, als jene schon oben von uns besprochene mythologische Art derselben: ARISTOTELES schloß die Philosophie so wenig ab, als PLATO.

In Bezug auf die zuletzt erwähnte, vorsichtigere Art des Philosophierens durch die Kunsttechnik der Sprache, also durch das Satzgewebe, erinnere man sich an die schon früher ausgeführte Bemerkung, daß die Sprache, was sie überhaupt zu leisten vermag, im wesentlichen schon von Anfang an leistet, und trotz alles Ausbildens nicht überschreitet. Die Wurzel ist schon der Satz, und dieser stellt darum, wie sie, nur einen Seelenmoment dar. Nur Bruchstücke sprechen wir aus, die indessen, weil es Bilder sind, den Eindruck eines Ganzen machen eines Ganzen der Kunst.

Mit solchen Sätzen, den Ausdrücken für Urteile, arbeitet der Philosoph, mit Bildern, welche einseitig entworfen, oder mit Begriffen, welche nach einer bestimmten Richtung hin entwickelt sind. Weiter nun geht der sprachliche Ausdruck niemals. Urteile können wohl aufeinander bezogen werden - jedes Subjekt kann zum Prädikat werden, und umgekehrt - sie können dann als Schlüsse aus anderen Begriffsentfaltungen erscheinen, aber für diese als solche fehlt eine sprachliche Form, und, wenn sie auch ein Gegenbild etwa in den Perioden des sprachlichen Ausdrucks finden, so ist doch das Zwingende des Schlusses durch nichts Besonderes bezeichnet; Neben- oder Unterordnung der Sätze bestimmt sich im zusammengesetzten Satze nicht nach logischen Gesichtspunkten; keine Form prägt den Schematismus aus, der doch im Schlußsatz nur gibt, was die Prämissen schon enthalten.

Ebenso erscheint das im Beweis Eroberte immer nur als Urteil, und die Sprache gibt so zu erkennen, daß die Sicherheit des Beweises eben nur scheinbar größer ist, als die des Begriffes selbst. SCHOPENHAUER sagt (Welt als Wille und Vorstellung, Bd.2):

"Worte durch Worte erklären, Begriffe mit Begriffen vergleichen, worin das meiste Philosophieren besteht, ist im Grund ein spielendes Hin- und Herschieben der Begriffssphären, um zu sehen, welche in die andere geht und welche nicht. Im glücklichsten Fall wird man dadurch zu Schlüssen gelangen: aber auch Schlüsse geben keine durchaus neue Erkenntnis, sondern zeigen uns nur, was alles in der schon vorhandenen lag und was davon etwa auf den jedesmaligen Fall anwendbar wäre."
Genauer ging man in den neueren Zeiten auf die Kritik der Sprache ein, und vornehmlich ist hier LOCKE zu nennen. Im dritten Buch seines: Essay Concerning Human Understanding, Kap.3, §20 heißt es:
"Die Menschen, indem sie abgesonderte Begriffe (abstract ideas) bilden und sie nebst den damit verknüpften Namen in ihrem Verstande festsetzen, machen sich dadurch fähig, die Dinge zu betrachten und zu besprechen, als wären sie gleichsam in Bündel zusammengefaßt, damit sie leichter und schneller ihre Erkenntnis erweitern und anderen mitteilen können."
Die Wörter sind aber so genau mit den Begriffen verbunden, daß der Mangel guter Erkenntnis mehr der Unvollkommenheit der Wörter als unserem vollkommenen Verstande beizumessen ist;
"sie setzen sich nämlich zum wenigsten so sehr zwischen unsern Verstand und die Wahrheit, die er betrachten und begreifen will, daß, gleich einem Medium, durch welches die Strahlen der sichtbaren Objekte gehn, ihre Dunkelheit und Verwirrung nicht selten uns einen Nebel vor die Augen rückt und unser Verständnis beeinträchtigt."
Deshalb ist also vor jeder philosophischen Untersuchung vornehmlich die Unvollkommenheit der Wörter zu prüfen. LOCKE unterscheidet nun zwischen Namenwesen und Sachwesen (the nominal essence, the real essence); vom Golde z.B. gäben die Eigenschaften der Farbe, Schwere, Schmelzbarkeit etc. den abstrakten Begriff "Gold", welchen der Name fixiere, ohne daß uns das Sachwesen bekannt würde, als welches in der Einrichtung der unsichtbaren Teile dieses Körpers zu suchen sei, von welcher die Eigenschaften des Goldes abhingen.

Während die Namenwesen beständig und unvergänglich seien (da sie nämlich in der Abstraktion sich bewegen, deren Erkenntnis uns wirklich zugänglich ist), sei das Sachwesen der Veränderung unterworfen. Es sei z.B. den einzelnen, wirklichen Menschen keine ihrer Eigenschaften wesentlich, aber dem Begriff "Mensch" - dem Namenwesen - sei z.B. die Vernunft wesentlich, wenn man nämlich im voraus sich vereinbart hat, die Vernunft mit zu den Teilen zu rechnen, aus denen der Begriff (Namen) "Mensch" zusammengesetzt ist.

LOCKE bezeichnet hiermit die in sich abgeschlossene Welt der Sprache, welche den Menschen in ihre Abstraktionen einspinnt, denen Wirklichkeit nicht zuzukommen braucht. Hiermit stimmt HERDER (Ideen zur Gesch. Bd.I):

"Keine Sprache drückt Sachen aus, sondern nur Namen: auch keine menschliche Vernunft also erkennt Sachen, sondern sie hat nur Merkmale von ihnen, die sie mit Worten bezeichnet."
Solche Namen nun, welche ursprünglich, von Natur, sich darboten, also die Namen der einfachen Begriffe, lassen eine Erklärung gar nicht zu, und die Metaphysik macht nichts als Gewäsch, wenn sie eine solche versucht z.B bei dem Begriff der Bewegung, Licht, rot; nur zusammengesetzte Begriffe können durch Zurückführung auf ihre Bestandteile erklärt werden, z.B. Säulenbild, Regenbogen; die einfachen Begriffe sind an sich klar durch Wahrnehmung und Erfahrung, denn sie beziehen sich auf Wirkliches; zusammengesetzte, wie Ehebruch, Kirchenraub etc. sind nur ein Werk des Verstandes, bei denen, wie z.B. Blutsverwandtenmord, Blutschande etc. die Zusammensetzung zuweilen ganz willkürlich ist, und denen also auch Wirklichkeit gar nicht zuzukommen braucht. Solche Zusammensetzungen nimmt die Sprache durch Vereinbarung in sich auf, was man auch daran sieht, daß die Wörter verschiedener Sprachen sich nicht decken; nur der Name also erhält solche Wesenheiten und verschafft ihnen Dauer.

Hat vielleicht Herr von MEDING im preussischen Herrenhaus 6. Sitzung, 4. Sept.1866) an LOCKE gedacht, als er sich gegen die Abschaffung der "Wuchergesetze" erklärte, weil sonst auch der Name "Wucher" weggehe, also der Schimpf von der Sache entfernt werden würde, der sie bis jetzt noch habe verhüten helfen? - In der Tat kehrt "Wucher" nach Abschaffung der Wuchergesetze nur zu seiner früheren Bedeutung zurück: Zuwachs, Ertrag, ohne schlimmen Nebensinn.

Da Begriffe wie Prozession, Gerechtigkeit, Dankbarkeit, nur für uns und durch uns sind, so sind sie sowohl Namenwesen, wie auch Sachwesen- bei ihnen geschehe es meist, daß man füher die Namen kennen lerne, als die Begriffe. - Auf bloßen Namenwesen beruht denn auch alle Einteilung in Gattungen und Arten; denn das Ordnen der Dinge unter verschiedenen Namen erfolgt nach den zusammengesetzten Begriffen (complex ideas), in uns, nicht aber nach den Sachwesen, welche wir nicht kennen. Es sind deshalb auch Ausdrücke, wie sie von lächerlichen Pedanten erdacht sind, wie animalitas, humanitas, corporeitas etc., welche sich den Anschein geben, als könnten sie das Sachwesen der Substanzen bezeichnen, niemals gangbar geworden, worin ein Zeignis des Menschengeschlechts liegt, daß man von den Sachen einen Begriff und Namen nicht habe.
LITERATUR, Gustav Gerber, Sprache als Kunst, Berlin 1886