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WILHELM WIRTH
[mit NS-Vergangenheit]
Zur Orientierung der Philosophie
am Bewußtseinsbegriff

[Grundlinien einer systematischen Einführung]
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"Wenn aber nicht noch etwas ganz Neues, völlig Andersartiges hinzutritt, wird man mit dem Wesen jeder Gesetzmäßigkeit eine gelegentliche Abweichung prinzipiell für vereinbar halten, also den Gedanken einer absoluten Ausnahmslosigkeit gar nicht fassen. Dieses Neue kann nun gar nichts anderes sein als die selbständige Überzeugung, daß die Welt sowohl im Ganzen als auch in ihren einzelnen Teilen, die erschöpfend analysierbar sind und in der Wirklichkeit tatsächlich als Ausgangspunkt neuer Erwartungen wiederkehren, prinzipiell gesetzmäßig ist, daß also sowohl die Vergangenheit als auch die Zukunft und die außerbewußte Wirklichkeit beim Auftreten bestimmter Bedingungen stets dieselbe Folge mit sich bringt. Eine apriorische Überzeugung von dieser Tragweite kann keinem unklaren Instinkt oder einer bloßen Gewöhnung, sondern nur einer willkürlichen Tat entspringen, bei der man sie in einem durchaus evidenten Erlebnis als klares Ziel vor Augen hat. Daß aber ein solcher klarer Wille wirklich Erfolg haben kann, ist eben die besondere psychologische Tatsache des willkürlichen Glaubens. Dieser ist bei einem klaren Bewußtsein von seinem Wesen und seiner Entstehung der Autosuggestion verwandt."


II. DER GLAUBE AN DIE WISSENSCHAFT
UND SEIN UNTERSCHIED VOM PRAGMATISMUS

1. Allgemeine Gesetze als Voraussetzung der Erkennbarkeit nicht evidenter Tatsachen. Alles, was bisher über das evidente Urteil gesagt wurde, gilt einstweilen nur für die völlig individuellen Einzeltatsachen bestimmter Bewußtseinserlebnisse. An und für sich könnte sich natürlich der Gesamtbestand auf solche Individualbegriffe beschränken, wobei diese Einzelheiten (nach dem oben Gesagten) nicht einmal als "Bewußtseinsinhalte" betrachtet zu werden brauchen. Eine gewisse Annäherung hieran mögen die aufmerksame Beobachtung oder die beschauliche, liebevolle Versenkung in das rein Individuelle beim Naturgenuß, in der Kunst und im persönlichen Verkehr veranschaulichen. Es sind jedenfalls erst ganz besondere, uns freilich zur anderen Natur gewordene Motive dazu erforderlich, daß wir ausdrücklich die allgemeinen Merkmale als solche ins Auge fassen, die mehreren einzelnen Inhalten gemeinsam sind: Der Verlauf des Bewußtseins ist nämlich einerseits kein solches Idyll, daß man mit dessen jeweiliger Gegenwart so restlos zufrieden wäre, wie ein Kind mit den einzelnen Phasen eines angenehmen Farbenspiels, andererseits wird er aber auch durch seine unfreundlichen Seiten nicht einfach zur Schicksalstragödie. Unser Denken ist vielmehr nicht auf die Evidenz der gegenwärtigen Bewußtseinsinhalte beschränkt, sondern reicht weit darüber hinaus, so daß auch unser Wollen zweckmäßig in den Lauf der Ereignisse eingreifen kann. Der glückliche Ausgang der dramatischen Entwicklung, mit der VOLKELT die Befriedigung rein wissenschaftlicher Interessen so anschaulich verglichen hat (9) kennt, nach denen man die Zukunft von der Gegenwart aus richtig vorauszusehen und willkürlich zu beeinflussen vermag.

2. Evidente und a priori erkennbare Gesetzmäßigkeiten. - Da ist es dann fürs Erste von besonderer Bedeutung, daß es schon im Bereich der jeweils gegenwärtigen Inhalte selbst solche allgemeine Gesetze gibt und daß diese an ihnen auch teilweise evident werden können. Da diese Evidenz die klare und deutliche Übersicht über alle einzelnen Tatsachen ist, die unter ein solches Gesetz fallen, so handelt es sich bei der Abgrenzung ihres Bereiches stets um eine psychologische Frage. So weit aber die Tatsachen selbst einer bestimmten Einzelwissenschaft zugehören, muß diese natürlich das Material für die Untersuchung ihrer Evidenz darbieten.

In unserer kurzen Betrachtung sind nur einige Andeutungen darüber möglich, wie die hierher gehörigen Begriffe und Schlagworte zu einer Bewußtseinsanalyse in Beziehung zu setzen sind. Zum Beweis dafür, daß es überhaupt evidente Gesetze gibt, empfehlen sich von jeher die sogenannten "Vernunftwahrheiten" aus der formalen Logik, insbesondere die Lehre vom Syllogismus, und der Arithmetik. Denn die Gegenstände beider Wissensgebiete enthalten keine anderen Merkmale an sich, als die Gliederung eines Ganzen überhaupt, die nach dem vorigen Abschnitt bei entsprechender Klarheit und Deutlichkeit das evidente Urteil schafft.

Die Syllogistik oder Lehre vom deduktiven Schluß betrachtet die Gesetze, die sich aus dem Wesen eines Allgemeinbegriffs und seinem Verhältnis zu den ihm untergeordneten Artbegriffen ergeben. Die beiden Seiten, die an den Allgemeinbegriffen in Betracht kommen, beruhen direkt auf je einem Grundschema der Gliederung eines Bewußtseinsbestandes überhaupt: der sogenannte Inhalt eines Begriffs besteht aus den Prädikaten, die miteinander an mehreren Individuen in gleicher Weise erkennbar sind, und sein Umfang ist der Gesamtbestand dieser Individuen, der sich in einem Urteilsgefüge auch zunächst in Unterarten mit speziellerem Inhalt gliedern kann. Die Evidenz der Schlußlehre beruth nun darauf, daß sie ausschließlich die allgemeinen Formen dieser Gliederungen der Begriffsumfänge als solcher, ohne Rücksicht auf die Qualität der Individuen, ins Auge faßt. Diese können aber jedenfalls bis zu einem hier nicht näher zu bestimmenden Grad der Verwicklung in allen Teilen zugleich klar und deutlich sein, wie z. B. der Schluß nach dem ersten Modus der ersten Figur, wonach alle Individuen einer Unterart den Inhalt eines übergeordneten Gattungsbegriffs an sich tragen.

Die Subjekte der arithmetischen Urteile aber sind die als Zahlen bezeichneten Aggregate oder Summen, deren elementare Glieder kein anderes inhaltliches Merkmal besitzen, als die Einheit des Subjekts überhaupt (siehe oben), und daher unter sich absolut gleich sind. Ein lebendiges Urteilsgefüge aus solchen völlig abstrakten mit "Eins" bezeichneten Teilsubjekten heißt bekanntlich Rechnung. Auch sie muß bis zu einer gewissen Anzahl der letzten entscheidenden Glieder evident sein können, weshalb sie dann auch vom Intuitionismus eines CARTESIUS, SPINOZA (10), LOCKE, LEIBNIZ u. a. von jeher als Lieblingsbeispiel benützt wurde. Daß 6 sich in 2 x 3 oder in 3 x 2, in 4 + 2 usw. gliedert, ist wohl für jedes normal entwickelte Bewußtsein evident.

Wir lassen jedoch hier dahingestellt, ob die komplizierteren Gesetze auf diesen Gebieten, die sich z. B. auch in der Syllogistik bei einer Erweiterung der Schlußketten wie bei der Zahlenlehre ins Unbegrenzte ableiten lassen, durch irgendwelche Kunstgriffe der Beweisführung ebenfalls in unserem strengen Sinn evident gemacht werden können, oder ob sie nur durch die Zuhilfenahme der Erinnerung und der Aufzeichnung früherer Evidenzerlebnisse zu einem Grad der Sicherheit zu bringen sind, der so groß ist wie unser Vertrauen auf die Treue der Erinnerung an das jüngst Vergangene und auf die Unveränderlichkeit der Schriftzeichen. Auch die schwierige Frage nach der Möglichkeit einer strengen Evidenz der geometrischen Lehrsätze müssen wir hier zurückstellen. Nur soviel sei bemerkt, daß die hierbei vorausgesetzte Gleichwertigkeit aller Elemente des stereometrischen Volumens vor allem eine Eigenschaft des bewußten Bestandes der Raumvorstellung sein muß; denn wir kennen diese Extension unmittelbar nur aus unserem Bewußtsein. Allgemeine Sätze hierüber ergeben sich aber natürlich erst wieder durch eine Gliederung dieses Ganzen. Dabei ist es für die geometrische Gewißheit entscheidend, daß die Flächen, Linien und Punkte zu der gegliederten Extension selbst gar nichts Neues hinzubringen, sondern in ihrem Wesen als Grenzen von Raumteilen nur in dieser Sonderung erfaßt werden können, die die Grundlage des evidenten Urteils im Sinne des vorigen Abschnittes bildet.

Ganz allgemein läßt sich aber schließlich über die Gewißheit aller Vernunftwahrheiten überhaupt noch sagen, daß an ihrer sogenannten Apriorität die einfache Tatsache der Bewußtheit bestimmter Inhalte einen entscheidenden Anteil haben muß. Denn was auch immer der weiter zurückliegende Grund dieser Apriorität ist, so muß doch sein Endeffekt immer darin bestehen, daß der ganze Begriffsumfang eines allgemeinen Satzes "Alle A sind B" erschöpfend und klar und deutlich ins Bewußtsein gebracht wird, mag dies nun in einem Augenblick, also mit Evidenz, oder diskursiv geschehen. Erst von dem Moment an, in dem dies, gleichgültig durch welche Mittel, möglich wird, ist die Wissenschaft von weiteren Erfahrungen über Einzelfälle ihrer Gesetze unabhängig geworden.

Praktisch besonders wichtig ist natürlich die Möglichkeit einer evidenten Apriorität von Bestimmungen für die praktische Lebensbetätigung selbst, nämlich die Evidenz des einzelnen eigenen Entschlusses und der willkürlichen Gesetzgebung und Unterordnung unter Gesetze, auf der sich das Kulturleben aufbaut. Für die Praxis der Erkenntnis kommt dabei hauptsächlich die Evidenz der Definitionen sprachlicher und anderer Symbole in Betracht, auf der die gemeinsame wissenschaftliche Arbeit und alle geistige Gemeinschaft der Menschen überhaupt beruth. Die psychologischen Gesetze jedoch, nach denen eine solche evidente Zielbewußtheit entsteht, gehören mit den übrigen Gesetzmäßigkeiten zusammen, nach denen sich der zeitliche Verlauf des Geschehens in der Natur und Geisteswelt regelt und um die es sich uns im Folgenden allein noch handelt.

3. Die Unvollständigkeit unserer Erkenntnis der Verlaufsgesetze der inneren und äußeren Welt. - Auf diesem weiten Gebiet des konkreten Geschehens der inneren und äußeren Welt ist es aber nun freilich naturgemäß ausgeschlossen, daß wir jemas einen weiterhin apriorisch wirksamen Überblick über alle Einzelfälle erlangen. Gehören doch zu diesen Fällen auch all die zukünftigen mit ihren individuellen Merkmalen hinzu, deren Zusammenhang mit der Gegenwart aus keinem logischen, arithmetischen oder geometrischen Gesetz zu entnehmen ist. Wenn also KANT auch auf dem Gebiet des Naturgeschehens von einem in unserem Verstand liegenden Begriff der Gesetzmäßigkeit eine apriorische Kausalerkenntnis hervorbringen ließ, so war dies ein ähnlicher "Dogmatismus", wie er ihn für die vermeintliche Erkenntnis anderer die Erfahrung überschreitender Glaubenssätze mit Erfolg widerlegt hatte. Bezüglich dieser Kausalerkenntnis hatte HUMEs psychologische Analyse der natürlichen, auf geübten Assoziationen beruhenden Erwartungen das letzte Wort gesprochen: Es gibt keine absolute Sicherheit solcher Erwartungen aufgrund allgemeiner Gesetze über die zeitliche Aufeinanderfolge bestimmter Bewußtseinsinhalte oder außerbewußter Tatsachen. Kein deduktiver Schluß vom Allgemeinen auf das Besondere kann dem Inhalt der Erwartung des zukünftigen Ereignisses die Evidenz des gegenwärtigen Bewußtseinsinhaltes verschaffen, nicht einmal, wenn wir die Macht hätten, die Zukunft tatsächlich völlig nach unserem jetzigen Wunsch zu gestalten.

4. Das Verhältnis der Erinnerungsgewißheit und Selbstgewißheit im weiteren Sinn der Evidenz. - Es kommt aber noch dazu, daß auch die früheren erinnerten und aufgezeichneten Tatsachen, aus denen allein wir die speziellen Regeln eines Gebietes nach dem Kausalprinzip entnehmen können, ihrerseits natürlich ebensowenig gegenwärtige Bewußtseinsinhalte sind und daher selbst erst aus der Voraussetzung der Treue bestimmter Erinnerungen und der Konstanz von Aufzeichnungen erschlossen werden können. Mit Recht hebt allerdings VOLKELT hervor, daß bei der subjektiv gewissen Erinnerung die Richtigkeit der tausendfältig erprobte Normalfall ist, dem gegenüber die Ausnahmefälle, als psychologisches Mißgeschick, als psychologischer böser Zufall, als psychologische Tücke" (11) gelten können. Auch steht VOLKELTs Zusammenfassung der Erinnerungsgewißheit mit der "Selbstgewißheit" wohl kaum zu ihrer hier betonten Verwandtschaft mit der Erwartung im Widerspruch, da VOLKELTs "Selbstgewißheit" mit unserer "Evidenz" nicht gleichbedeutend ist. Kommt es doch für VOLKELT in seinem Zusammenhang gar nicht in erster Linie darauf an, innerhalb des Gebietes der Selbstbeobachtung im weiteren Sinne, der die Erinnerung an die eigenen Erlebnisse einschließt, noch besondere Unterschiede herauszuarbeiten, sondern dieses ganze Gebiet des individuellen Bewußtseins dem transsubjektiven Sein gegenüberzustellen, eine prinzipielle Unterscheidung, die augenscheinlich an der kantischen Gegenüberstellung der Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteile orientiert ist. So rückt also die Selbstgewißheit schon deshalb in nächste Nachbarschaft mit der "Erinnerungsgewißheit", weil sie alle Ergebnisse der Selbstbeobachtung bezüglich des jeweils gegenwärtigen Gesamtbestandes umfaßt, die auf eine wissenschaftliche Verwertung Anspruch erheben können. Auch sie sind bei unklaren und undeutlichen Inhalten wirklich ebensowenig unfehlbar wie die subjektiv gewisse Erinnerung, worauf sich dann auch VOLKELT selbst ausdrücklich berufen hat. Deshalb ist es auch kein Einwand gegen ihn, daß sogar die sichere Erwartung zumindest der allernächsten Zukunft in vieler Hinsicht praktisch ebenso untrüglich sein kann, wenn sie sich wirklich nur auf sorgfältig ermittelte Gesetze und eine genaue Analyse der jeweiligen Situation gründet.

5. Die erkenntnistheoretische Zusammengehörigkeit aller nicht evidenten Tatsachen. - Bei unserem Vergleich mit dem evidenten Urteil, als dem klarsten Tatbestand der Selbstgewißheit, rückt hingegen umgekehrt die gesamte übrige Erkenntnis früherer und zukünftiger Bewußtseinsinhalte einschließlich der völlig außerbewußten Tatsachen in ein einziges großes Gebiet zusammen, das erst unter der Voraussetzung der Gesetzmäßigkeit der Welt seine feste Stütze erhält. Da das Bewußtsein nach unserer festen Terminologie den Gesamtbestand der Inhalte bedeutet, die in einem bestimmten Augenblick erlebt werden, so können natürlich die in ihm als früher und als später gedachten Erlebnisse selbst so wenig als Bewußtseinsinhalte bezeichnet werden, wie ein Gegenstand der Außenwelt, z. B. ein Haus, das man wahrnimmt. Ein solches Wissen von etwas, das nicht selbst einen Teil des Bewußtseins bildet, heißt aber gewöhnlich auch "Meinen", und für die Bewußtseinsinhalte, durch die wir uns das frühere oder spätere Erlebnnis bzw. den außerbewußten Gegenstand "vergegenwärtigen", dürfte der Name der "Vorstellung" am geeignetsten sein. Eine solche Vorstellung von etwas nicht Gegenwärtigem tritt vor allem zum Icherlebnis jedes zielbewußten Wollens hinzu. Denn das Ziel wird natürlich noch nicht genau so, wie es vom Strebenden "gemeint" ist, fertig wahrgenommen, da man sich ja sonst gar nicht mehr um seine Verwirklichung zu bemühen brauchte. Daher kam es wohl, daß man auch das einfache Dasein der Vorstellung des gemeinten Zieles wieder auf besondere Icherlebnisse zurückzuführen suchte. Diese Tendenz bildet aber offenbar nur eine Abart des schon weiter oben genannten "logischen Egoismus". Sie liegt wohl häufig auch in der speziellen Bezeichnung solcher Vorstellungserlebnisse als "Akte" im engeren Sinne oder als "intentionaler Akte" enthalten. Ja manche glauben hierdurch vielleicht die scheinbare Paradoxie der Bewußtheit nicht gegenwärtig erlebter Tatsachen mildern zu müssen, indem sie durch eine solche mehr oder weniger im Dunkeln bleibende "Tätigkeit" des Ich eine direktere Verbindung mit dem "gemeinten" Gegenstand selbst erreichbar denken, as sie im einfachen Dasein seine Vorstellung bereits besteht. Andere meinen etwa gar das Nicht-Ich selbst erst durch solche "Akte" schaffen zu müssen. In Wirklichkeit kann es sich aber natürlich auch hier nur darum handeln, bestimmte Teilinhalte aufzuzeigen, die zu ihrem Dasein im Bewußtsei keiner Unterstützung durch irgendwelche andere gleichzeitige Inhalte wie Icherlebnisse oder Beziehungen zu solchen bedürfen. Der Schlüssel zum Verständnis liegt dabei wohl erst in einer genügenden Analyse des Wesens der abstrakten Merkmale. Denn solche Merkmale können nicht nur den als früher oder später gedachten Bewußtseinsinhalten mit den jetzigen Vorstellungen von ihnen, sondern sogar wirklich auch den außerbewußten Tatsachen mit den Bewußtseinsinhalten gemeinsam sein. Die Unvollständigkeit dieser abstrakten Vorstellung nicht gegenwärtiger Tatsachen braucht aber beim Erlebnis des "Meinens" keineswegs immer ganz klar und bewußt zu sein.

6. Die Abstraktion bei der Vorstellung "gemeinter" Tatsachen. Bei der Erinnerung und Erwartung besteht das abstrakte Merkmal, das die früheren oder späteren Inhalt im Bewußtsein vertritt, in den Qualitäten, die der reproduktiven Vorstellung trotz ihrer geringeren "Lebhaftigkeit und Frische" mit der direkten Wahrnehmung selbst gemeinsam sind. Die Zeitlage aber wird durch eine ähnliche Perspektive vorgestellt, wie sie uns in jedem Augenblick auch die extensive Gliederung des Raumes zum Bewußtsein bringt. Daneben wird hier freilich die Unvollständigkeit des gegenwärtigen Bewußtseinsinhaltes hinsichtlich der Lebhaftigkeit und Frische von der Grenze der evidenten Gegenwart an, auf die wir hier nicht weiter eingehen wollen, schnell immer auffälliger, zumals sie zu den anderen gleichzeitigen Sinneswahrnehmungen, Gefühlen und Willensakten im Kontrast steht. Alles was wir aber über die nicht gegenwärtigen Erlebnisse urteilen, ist, wie schon öfter gesagt, im augenblicklichen Gesamtbestand durch irgendein fertiges inhaltliches Merkmal unmittelbar vertreten.

Ganz Analoges gilt schließlich auch von dem, was wir als sogenannte Außenwelt und somit als völlig außerbewußt vorstellen. Eine solche außerbewußte Tatsache kann für unsere Vorstellung natürlich immer nur insofern in Betracht kommen, als sie eine mittelbare oder unmittelbare Ursache von Bewußtseinsinhalte ist. An der Evidenz ihrer Folgen in irgendeinem Zeitpunkt stellt man also auch das "Dasein" dieser im Übrigen völlig unbewußten Ursache vor, weil Ursache und Folge eine allgemein bekannte Einheit bilden, die aus allen völlig im Bewußtsein liegenden Verbindungen von Grund und Folge abstrahiert werden kann (12). Daneben ist sich freilich nur die kritisch geläuterte Auffassung dessen klar bewußt, daß die Ursache selbst konkret oder im Ganzen außerhalb des Gesamtbestandes liegt, wenngleich sie außer dem Dasein überhaupt noch andere abstrakte Merkmale, wie eine Zeitlage und eine gewisse Anordnung ihrer Elemente, mit ihrer Wirkung im Bewußtsein gemeinsam haben mag. Auf dieses Problem der Vorstellung des außerbewußten Objektes kommen wir aber erst im nächsten Abschnitt ausführlicher zu sprechen. Hier interessiert sie uns nur als eine Unterart der Vorstellung von nicht Gegenwärtigem überhaupt. Ja, man würde sich auch alles, was über die Gewißheit der Gesetzmäßigkeit des realen Geschehens im allgemeinen zu sagen ist, ganz unabhängig von diesem Problem der Außenwelt schon an den rein innerpsychischen Kausalzusammenhängen der Erwartung zukünftiger Bewußtseinsinhalte klar machen zu können.

7. Die Überzeugung von der Gesetzmäßigkeit allen Geschehens. - Der kritische Wendepunkt oder die Überwindung eines "toten Punktes" liegt also bereits bei der Überschreitung der Grenze des evidenten Daseins der gegenwärtigen Bewußtseinsinhalte und beim Übergang zur Vorstellung von der ganzen übrigen Wirklichkeit, deren Gewißheit sich auf das Kausalprinzip gründet. In seiner vollen Bedeutung kann dieser Übergang nur von der kritischen Betrachtung dieser Sicherheit, also der Erkenntnistheorie erfaßt werden. Zunächst wird allerdings schon jede Enttäuschung einer bestimmten Erwartung, die von einem gefundenen Mechanismus des Vorstellungslebens getragen war, aufgrund desselben Mechanismus in ähnlichen späteren Fällen den Zweifel begünstigen. Aber erst der evidente Einblick in den Unterschied der Erwartung einer Evidenz läßt erkannen, daß ein solcher Zweifel an und für sich bei jeder Erwartung möglich ist. Ja, dies gilt für jede Tatsache, die nicht selbst ein gegenwärtiger klarer Bewußtseinsinhalt ist, sondern nur irgendwie aufgrund des bisherigen Erfahrungsmaterials (einschließlich der augenblicklichen Gegenwart) als wirklich vorgestellt, also erschlossen wird. Die vor allem von JOHN STUART MILL (13) betonte Erfahrung von der Kausalität im allgemeinen, die sich aus der tatsächlichen Kenntnis vieler einzelner Naturgesetze abstrahieren läßt, kommt zwar in der Tat nicht nur psychologisch, sondern auch erkenntnistheoretisch als weitere Erfahrungstatsache neben allen einzelnen Regelmäßigkeiten in Anschlag. Wenn aber nicht noch etwas ganz Neues, völlig Andersartiges hinzutritt, wird man mit dem Wesen jeder Gesetzmäßigkeit eine gelegentliche Abweichung prinzipiell für vereinbar halten und dies z. B. auch bei der Beurteilung fremder Zeugnisse in Rechnung stellen, also den Gedanken einer absoluten Ausnahmslosigkeit gar nicht fassen. Dieses Neue kann nun gar nichts anderes sein als die selbständige Überzeugung, daß die Welt sowohl im Ganzen als auch in ihren einzelnen Teilen, die erschöpfend analysierbar sind und in der Wirklichkeit tatsächlich als Ausgangspunkt neuer Erwartungen wiederkehren, prinzipiell gesetzmäßig ist, daß also sowohl die Vergangenheit als auch die Zukunft und die außerbewußte Wirklichkeit beim Auftreten bestimmter Bedingungen stets dieselbe Folge mit sich bringt. Eine apriorische Überzeugung von dieser Tragweite kann keinem unklaren Instinkt oder einer bloßen Gewöhnung, sondern nur einer willkürlichen Tat entspringen, bei der man sie in einem durchaus evidenten Erlebnis als klares Ziel vor Augen hat. Daß aber ein solcher klarer Wille wirklich Erfolg haben kann, ist eben die besondere psychologische Tatsache des willkürlichen Glaubens. Diese ist bei einem klaren Bewußtsein von seinem Wesen und seiner Entstehung der "Autosuggestion" verwandt, soll aber nicht ebenso genannt werden, weil "Suggestion" immer eine Täuschung, d. h. eine Erzeugung von Glauben wider besseres Wissen bedeutet. Auch mit einer bloßen "Fiktion" ist dieser Glaube niemals zu verwechseln, weil bei ihr die positive Überzeugung fehlt und auch gar nicht angestrebte wird.

Wenn man also den bisherigen Erfahrungen auf die Erwartung auch nur soviel Einfluß sichern will, als es dem Grad der in ihnen bereits tatsächlich vorgefundenen Gesetzmäßigkeit entspricht, so muß man jeden Zweifel an der prinzipiellen Gleichheit aller Tatsachengebiete und Zeiträume in dieser Hinsicht absichtlich zurückdrängen. Nur von diesem Standpunkt aus wird man dann auch die volle Kraft einsetzen, um auf solchen Gebieten, in dene die Gesetze des Geschehens durch das Ineinandergreifen vieler ansich regelmäßiger Faktoren nicht so leicht zu überblicken sind, diese verwickeltere Ordnung endlich doch herauszufinden.

Insbesondere fällt aber auch jede Hypothesenbildung mit dem Recht und der Pflicht zur Überzeugung von der ausnahmslosen Gesetzmäßigkeit der Wet, denn die Hypothese ist die Erschließung außerbewußter oder zumindest nicht evidenter Tatsachen aus evidenten Inhalten oder aus anderweitigen bereits als bekannt vorausgesetzten Tatsachen nach dem Prinzip von Ursache und Wirkung. Wer es jedoch fertig bringt, sich mit der Vorstellung eines auch nur irgendwie regellosen Geschehens abzufinden, könnte sich schließlich auch mit der Evidenz der jeweils gegenwärtigen Bewußtseinsinhalte allein zufrieden geben. Mit Recht findet dann auch VOLKELT die endgültige Entscheidung für die Ablehnung einer solchen Selbstbeschränkung des Denkens in der Überzeugung von der Gesetzmäßigkeit der Welt überhaupt: "Wenn man so hartnäckig ist, der Gültigkeit dieser Forderung eines Transsubjektiven keinen Glauben zu schenken, so bleibt nichts übrig, als im Seienden das Gegenteil von Ordnung und Zusammenhang zu erblicken, sich bei der Vorstellung eines wahnwitzigen Chaos zu beruhigen und einen absurden Zufall oder ein albernes Wunder als Weltherrscher anzunehmen". (14) Dieser Glaube kann aber natürlich durch die fortgesetzte Beobachtung der einzelnen Naturgesetze und die Kontrolle der Hypothesen fortwährend von Neuem bestätigt werden, so daß das Willensmoment der Überzeugung durch den unwillkürlichen Vorstellungsmechanismus immer nachhaltiger unterstützt wird und somit immer weniger Arbeit zu leisten braucht, wenn es auch naturgemäß niemals vollständig durch ihn ersetzt werden kann. Je mehr man sich des Zusammenhangs aller wissenschaftlichen Tatsachen bewußt wird, umso mehr behält der Gedanken an die Berechtigung einer willkürlichen Unterstützung der Überzeugung von der Gesetzmäßigkeit der Welt nur noch eine rein theoretische Bedeutung.

8. Die Verkennung des Wesens der Evidenz als erster Fehler des Pragmatismus. - Die Anerkennung, daß für unsere wissenschaftlichen Überzeugungen bei einer klaren Erkenntniskritik ein solcher Willensfaktor als Nachhilfe des unwillkürlichen Glaubens in Betracht kommt, darf jedoch nicht in einen sogenannten "Pragmatismus" ausarten. Dieses Extrem einer uralten Richtung will alle Axiome überhaupt als "Postulate" erweisen, wie es bekanntlich F. C. S. SCHILLER im Anschluß an WILLIAM JAMES u. a. unter dem eigenen, irreführenden Titel des "Humanismus" (15) ausführlicher versucht hat. Auch soll es sich dabei immer um eine Überzeugung mit derselben Motivierung handeln, wobei bestimmte Tatsachen um eines Gemütsbedürfnisses willen geglaubt werden.

Demgegenüber ist aber nun fürs Erste auf das ganze Evidenzgebiet zu verweisen, das nicht nur das Dasein einzelner klarer Bewußtseinsgliederungen als solcher, sondern vor allem auch allgemeine Tatsachen dieser Art, also gesetzmäßigkeiten umfaßt. SCHILLER will allerdings sogar das Urteil 2 + 2 = 4 als willensmäßige Ablehnung eines anderes Resultates darstellen (16), weil wir bei unserem System arithmetischer Annahmen bleiben wollen und uns entschließen, zu rechnen. Weiterhin erklärt er dies aber doch wieder so, daß er sagt: "niemand muß 2 + 2 = 4 addieren, wenn er nicht so addieren will, weil er die Arithmetik braucht". Hierbei ist aber doch die arithmetische Erkenntnis nicht selbst wiederum als Ergebnis einer Willenstätigkeit aufgefaßt, sondern als etwas, as wir als ein von unserem Wollen unabhängig bestehendes System nur anwenden, indem wir an diese Tatsache denken. Das Wollen aber, das unser Denken an die Tatsachen, vor allem bei so abstrakten Beziehungen, einschließt, wurde schon oben bei der Ablehnung des "logischen Egoismus" (Seite 14f) vom Dasein des Urteilsinhaltes selbst ausdrücklich unterschieden. Man kann also SCHILLER höchstens so viel zugeben, daß der Name der "Denknotwendigkeit" für die Sicherheit bzw. Evidenz der "Vernunftwahrheiten" mißverstanden werden kann. Er bedeutet nicht, daß wir "genötigt" sind, etwas Bestimmtes zu denken, oder daß wir uns genötigt fühlen, wenn wir etwas ihnen gemäß denken. Deshalb ist aber die Evidenz selbst noch lange nicht etwas Willkürliches. Die "Notwendigkeit" ist hier vielmehr nur ein anderer Ausdruck dafür, daß eine speziellere Tatsache unter eine allgemeinere Gesetzmäßigkeit fällt. Wenn man nicht besondere metaphysische Hypothesen über Willensvorgänge in allen Dingen einführt, in denen man gewissermaßen die Kausalität "von innen zu sehen" meint, hat die Notwendigkeit in diesem Sinne mit Willensvorgängen überhaupt nichts zu tun, weder in aktiver noch passiver Beziehung. Das sogenannte "apodiktische" Urteil "etwas muß so sein", heißt dann nur soviel wie "es ist aus bestimmten Gründen so". Die Allgemeinheit der Gliederung der Vierzahl, wonach 2 + 2 = 4 ist, kann aber wohl überhaupt nicht besser von innen gesehen werden, als es uns in der Evidenz dieser Gliederung gegenwärtig ist, und dasselbe gilt von sicher bewiesenen geometrischen Sätzen. Deshalb wollte ja SPINOZA ein Wollen nach Art des unsrigen von der wahren Substanz völlig fernhalten, weil er sich alle gesetzmäßigen Zusammenhänge more geometrico dachte. Doch kann natürlich die Vorstellung eines Gesetzes von einem Gefühl der Nötigung begleitet sein, wenn die speziellen Voraussetzungen dafür erfüllt sind, daß man sich innerlich dagegen auflehnen kann. Hierzu muß man sich aber einen anderen Tatbestand als Gegenstand eines solchen Wunsches vorstellen können. Einer "Vernunftwahrheit" gegenüber ist dies jedoch immer nur symbolisch, d. h. in Worten und Zeichen möglich, und zwar eben nur solange, als man diese Gesetzmäßigkeit auch nur symbolisch kennt, aber sie noch nicht evident erfaßt oder klar bewiesen hat. Denn hier handelt es sich um ein Gesetz, das auch unsere Phantasievorstellung selbst bestimmt, auf die sich ein anschaulicher Wunsch aufbauen müßte. Bei einem klaren Einblick in die Tatsache wird also der Wunsch, daß es anders sein soll, zugleich mit der Erkenntnis, daß es so ist, psychologisch unmöglich.

Anders verhält es sich dagegen bei der Erkenntnis realer Tatsachen. Während nämlich die Phantasievorstellung einer Vierzahl oder eines Dreiecks im Rahmen der mathematischen Gesetzmäßigkeit zumindest im Einzelnen willkürlich gebildet werden kann, ist die Vorstellung der realen Wirklichkeit bis ins Einzelne vom Wollen unabhängig, soweit sie überhaupt sicher ist. Trotzdem kann man ihr gegenüber auch bei der bestmöglichen, klarsten Erkenntnis in der Tat ein Gefühl der Nötigung erleben, soweit es sich nicht ebenfalls um klar erkannte mathematische Beziehungen in ihr, sondern nur um ihren faktischen Betsand oder die "tatsächliche Wahrheiit" handelt. Denn man kann sich dafür andere "Möglichkeiten" vorstellen und daher auch klar und deutlich wünschen, daß die Wirklichkeit anders sein möchte. Gerade weil aber dieser Wunsch an der Vorstellung der Wirklichkeit selbst nichts ändern kann, ergibt sich aus der Freiheit des Vorstellens die Möglichkeit einer inneren Spannung, die bei der klaren Vorstellung der Vernunftwahrheiten fehlt.

Soweit aber schließlich unser Wollen selbst nach dem oben Gesagten zur Festigung der Überzeugung von der Gesetzmäßigkeit des Weltlaufes beizutragen hat, kann freilich ein Bewußtsein der Nötigung überhaupt nur insofern in Frage kommen, als dies auch bei unseren eigenen Willensentscheidungen möglich ist, also z. B. wenn wir uns zu einer solchen Überzeugung moralisch verpflichtet fühlen.

9. Zur Unterscheidung des "Glaubens an die Wissenschaft" vom außerwissenschaftlichen, insbesondere vom überwissenschaftlichen Glauben. - Der zweite Fehler des Pragmatismus besteht darin, daß er den psychologischen Prozeß der Überzeugung von der Allgemeingültigkeit des Kausalprinzips von anderen ebenfalls willkürlichen Glaubenshandlungen nicht genügend unterscheidet. Gewiß hat jedes Wollen eine Befriedigung zum Ziel und geschieht somit aus einem "Gemütsbedürfnis" heraus. Aber dieses ist bei der Überzeugung von der Gesetzmäßigkeit ein spezifisch intellektuelles, wissenschaftliches, so daß sie auch als "Glaube an die Wissenschaft" allen anderen Überzeugungen völlig selbständig an die Seite tritt. Wie schon gesagt, kann das Kausalprinzip an der bisherigen und an allen neuen, an seiner Hand richtig vorherbestimmten Erfahrungen bestätigt werden, und eine große Zahl von Fehlschlägen der Voraussicht mit allem daraus folgenden Unglück läßt sich durch neue Überlegungen darauf zurückführen, daß es an Vorkenntnissen zur fachgemäßen Anwendung des Prinzips gemangelt hat. Das Glück, das wir vom rechten Glauben an die Gesetzmäßigkeit erwarten, denken wir also nicht an einen bestimmten Vorstellungsinhalt gebunden, sondern immer rein formal durch die Erlangung des richtigen Weltbildes vermittelt, das sich im weiteren Verlauf der Dinge bestätig und zu einem zweckmäßigen Verhalten befähigt. Wir wollen die Gesetzmäßigkeit also immer nur um der Erkennbarkeit der Welt willen, oder deshalb, damit wir durch die methodische Verarbeitung der Erfahrungen nach den aus dieser Überzeugung folgenden Prinzipien, d. h. eben durch die Wissenschaft glücklich werden. Wir wollen dabei nur glücklich sein, soweit wir etwas wissen. Das Unglück aber, das wir dadurch vermeiden wollen, denken wir dabei immer als Folge nachweisbar falscher Vorstellungen. Zu diesen gehören insbesondere auch alle "Autosuggestionen" hinzu, durch die sich jemand im Bereich möglicher Erfahrungen in trügerische Hoffnungen einwiegt, statt der greifbaren Wirklichkeit durch aufmerksame Beobachtungen und umsichtige Schlüsse ruhig ins Gesicht zu sehen. Da nun die so gefundenen Einzelgesetze in ihrer Gesamtheit die Wissenschaft selbst ausmachen, so kann man diesen "Glauben an die Wissenschaft" auch als einen "innerwissenschaftlichen" bezeichnen. Ich frage ausdrücklich nicht "wissenschaftlichen" schlechthin, da dies ein allgemeinerer Begriffe ist, der als ein Ganzes dem unwissenschaftlichen oder ausdrücklich wissenschaftsfeindlichen Glauben gegenübersteht. Im Hinblick auf die Beschränktheit aller Erfahrung einerseits und die Fähigkeit, im Glauben noch ergänzend über sie hinauszugreifen, läßt sich ja auch vom wissenschaftlichen Standpunkt aus ein außerwissenschaftlicher Glaube als erkenntnistheoretisch zulässig, psychologisch möglich und sogar pflichtgemäß nachweisen. Dies gilt insbesondere von dessen edelster Form, die sich auf die höchsten Fragen bezieht und daher ins Gebiet der Religion gehört, deren Begriff mit einer rein wissenschaftlichen Motivierung des Glaubens verträglich bleibt, wenn sein Inhalt von der ihn motivierenden Wissenschaft unterschieden wird. Man darf diesen Teil des außerwissenschaftlichen Glaubens wohl speziell als "überwissenschaftlichen" bezeichnen. Doch nenne ich ihn nich "übersinnlich", da sein Inhalt naturgemäß niemals über eine freie Kombination der Elemente unserer sinnlichen Erfahrung hinausgelangen kann und mit dieser stets in Zusammenhang bleibt. KANT hat offenbar eine ganz unnötige Komplikation in diese Frage hereingebracht, indem er seinen Begriff des "Dings-ansich" in sie einführte, der entweder aus dem Bereich der Anschauung, d. h. unseres Bewußtseins, völlig hinauszufallen droht oder bestenfalls eben mit "außerbewußten Tatsachen" zusammenfällt, wie wir sie auch jeder äußeren Sinneswahrnehmung zugrunde legen. Ein überwissenschaftliches Vorstellungsgebiet gibt es auch dann, wenn sich unser Denken sogar bei größter "Abstraktheit" immer in inhaltlichen Merkmalen unserer äußeren Sinneswahrnehmung und unseres eigenen Fühlens und Wollens bewegen muß. Denn in der Reihe der Ursachen und Wirkungen, die wir aus unseren Sinneswahrnehmungen und Bewußtseinsinhalten überhaupt erschließen, kommen wir immer an den Begriff einer ersten Ursache und eines letzten Endzieles des Weltprozesses, die über alle jemals erreichbare Erfahrungen hinausliegen oder höchstens in unabsehbar ferner Zukunft in sie hineinfallen. Was wir von diesen letzten Dingen glauben, ist der wissenschaftlichen Fragestellung des "wahr" und "falsch" prinzipiell überhoben, ja kaum von einer Vermutung mit einiger Wahrscheinlichkeit erreichbar. Daher gewinnt hier der größtmögliche Wert bestimmter Vorstellungsinhalte als solcher berechtigten Einfluß auf die Überzeugung. Selbst wenn also der Weltlauf für alle bekannten fühlenden Wesen als der denkbar unglücklichste erscheinen würde, so daß man ihn nach Wahrscheinlichkeitsgesichtspunkten auf ein böses oder unvernünftiges Prinzip zurückzuführen versucht sein könnte, so bliebe doch stets der Glaube möglich und daher sittlich geboten, daß sich alles bei der Erfüllung unserer Pflicht aus noch tiefer liegenden Gründen endlich einmal zum Besten wenden wird.

Im Bereich der wissenschaftlichen Erfahrung selbst darf jedoch kein Inhalt als solcher um seines Gefühlswertes willen "unbedingt" bevorzugt werden, sondern alles ist nach dem Kausalprinzip rein "formal" oder ganz abstrakt als gesetzmäßige Ordnung überhaupt festgelegt. Das Einzelne als solches ist hier, gleichgültig, welche Folgen sich daran anschließen, immer nur ein Glied dieser ganzen Ordnung. Dieses formale Prinzip des Verlaufes der Welt, auf dem ihre Erkennbarkeit und ihre allmähliche Erlösung durch die Geistesarbeit beruth, ist also in dem Bereich der Erfahrung selbst ein selbständiger Wert schlechthin, der daher seinerseits auch in der ethischen Gestaltung des überwissenschaftlichen Glaubens an erster Stelle berücksichtigt werden muß. So kann selbst ein gewisses "Ökonomieprinzip" der Einfachheit der Welt von einem höheren Gesichtspunkt aus nahegelegt werden, insofern die Gesetzmäßigkeit der Welt für uns wertlos bleibt, wenn sie über alle unsere Begriffe kompliziert wäre. Indessen muß man sich wiederum sehr hüten, aus diesem Prinzip irgendeine spezielle inhaltliche Konsequenz in der Richtung zu ziehen, daß man irgendeinen absoluten Grad der Einfachheit einer Annahme als einen Beweis für ihre Richtigkeit ansieht. Denn wie kompliziert die Welt wirklich ist, können wir niemals wissen, bevor wir nicht die tatsächlichen Gesetze gefunden haben. Die "Notwendigkeit", über die hinaus die Hypothesen nach OCKHAMs bekanntem Prinzip nicht zu vermehren sind, kann also nur in der tatsächlichen Erfahrung selbst gefunden werden. Wir dürfen daher diese Erfahrung niemals einfacher beschreiben wollen als sie ist, sondern müssen eben nur die wirklich in ihr enthaltene Ordnung und Einfachheit aufzeigen. Jenes berechtigte Ökonomieprinzip soll uns also nur im allgemeinen erhoffen lassen, daß die an der ganzen Weltentwicklung beteiligten Kräfte den noch ungelösten Problemen gewachsen sind.

Ja, man kann fragen, daß die Einfachheit rein als solche nicht einmal in der außer, bzw. überwissenschaftlichen Überzeugung eine Berechtigung besitzt, solange der Erhöhung der Komplikation im Gebiet der höchsten Prinzipien noch eine Wertsteigerung parallel geht! So ist bei vorurteilsloser Prüfung wohl auch das Wertvolle an der reicheren Differenzierung der christlichen Gottesvorstellung anzuerkennen, die unter dem Einfluß der aristotelischen, arabischen und jüdischen Form des Monotheismus beim Übergang vom Mittelalter zur neueren Zeit preisgegeben, und wie DILTHEY meint, seitdem von keinem Philosophen im Ernst erneuert wurde (17). Denn soweit eine über alles Niedrige erhabene Gemeinschaft mehrerer Personen (also nicht die gerade ganz unpsychologische Personifikation einzelner Seelenvermögen!) auch in der Gottheit selbst psychologisch und allgemein metaphysisch zulässig erscheint, bildet sie ein religiöses Ideal, das an und für sich und in seiner sittlichen Rückwirkung auf das Leben des Gläubigen geradezu unersetzlich ist, nicht zuletzt auch als Korrektiv gegen jede mystische Tendenz, die das eigene endliche Bewußtsein zu einem Ersatz dieser Gemeinschaft emporzuschrauben sucht. Man nehme die tertullianische Grundformel von der una substantia nur ganz "wörtlich", und man wird sie mit der Mehrheit von Personen in gar keinem so unphilosophischen Widerspruch finden, wie man jetzt in den Kreisen der Gebildeten als absolut ausgemacht anzusehen scheint. Gerade der "Monismus" sollte die Modernen hierin wieder gerechter urteilen lassen, da er die Widerspruchslosigkeit zwischen der Einheit und der Mannigfaltigkeit zum Prinzip erhebt. Gesteht man doch mit Spinoza schon im Bereich unserer Erfahrung der Mehrheit der Bewußtseinsindividuen die Einheit der Substanz unbedenklich zu, obgleich doch hier die Unvollkommenheit für eine harmonische geistige Gemeinschaft viel ungünstiger ist als wir es im vollkommensten, göttlichen Teil der Wirklichkeit anzunehmen berechtigt sind. In dem engen Rahmen dieser Abhandlung kann aber freilich auf diese Frage des Glaubens an eine Mehrheit göttlicher Personen nicht weiter eingegangen werden.

Die Lückenhaftigkeit des tatsächlichen Wissens zieht aber natürlich auch innerhalb des Gebietes möglicher Erfahrungen fortwährend rein zufällig bedingte Grenzen, die zumindest für eine bestimmte Zeitstrecke, in der der Einzelne oder eine Gruppe von Menschen zu keinem wissenschaftlichen Schluß gelangen kann, den äußersten Grenzen nach den höchsten metaphysischen Fragen hin in ihrem Effekt völlig gleichkommen. Sie geben uns völlig den Gemütsbedürfnissen preis und machen einen Glauben möglich, der seiner psychologischen Natur nach als eine "Enklave" des außerwissenschaftlichen Glaubens betrachtet werden muß. Eine normative Entscheidung könnte daher auch wieder vom sittlichen Wert des speziellen Inhaltes einer solchen Überzeugung abhängig gemacht werden. Dieser Eingriff in ein Gebiet, das seiner Natur nach im Laufe der Zeit doch einmal von der Erfahrung und der Wissenschaft angebaut werden kann, hat aber eben zunächst das Minderwertige an sich, daß er sich auch bei den edelsten Motiven nachträglich als falsch erweisen kann. Außerdem ist es auch möglich, daß man dabei in seinen Anstrengungen zur objektiven Erforschung der Verhältnisse nachläßt. Deshalb wird es sich auch sehr fragen, ob ein solcher ins Gebiet der möglichen Erfahrung eingreifender Glaube jemals wirklich sittlich zulässig, geschweige denn gar pflichtgemäß sein kann. Bei hinreichender Stärke einer moralisch hochstehenden überwissenschaftlichen Überzeugung fallen ja auch alle Hemmungen und Beunruhigungen ganz von selbst fort, infolge deren sich der "Kleingläubige" im Bereich seiner Erfahrung an irgendwelche unsachliche Hoffnungen klammern muß, wenn er alle verfügbaren Kräfte in den Dienst der guten Sache stellen soll.


III. DER KORREKTE BEGRIFF DER AUSSENWELT
ALS NEUSCHÖPFUNG DER KRITISCHEN REFLEXION

1. Die außerbewußte Wirklichkeit im allgemeinen. - Nachdem einmal die "dramatische Entwicklung" in dem Sinne gelöst ist, daß wir uns dem Glauben an die Gesetzmäßigkeit der Welt ungestört hingeben und an seiner Hand die Grenzen der unmittelbaren Gegenwart beliebig überschreiten dürfen, erscheint auch die Beantwortung des speziellen Problems, ob der Glaube an die Existenz von Tatsachen außerhalb unseres eigenen Bewußtseins und speziell der sogenannten Außenwelt berechtigt ist, eigentlich nur noch als einer der selbstverständlichsten Nebenerfolge, die in einem Schauspiel mit glücklichem Ausgang zum Schlußeffekt beizutragen pflegen. An und für sich wäre es ja nicht undenkbar, daß die Forschung nach den Gestzen des ganzen zeitlichen Verlaufs die Grenzen des eigenen Bewußtseins nicht zu überschreiten braucht. Ob dies aber wirklich durchführbar ist, hängt nach der Entscheidug des vorigen Abschnitts nicht mehr vom guten Willen, bzw. dem gesunden natürlichen Instinkt ab, sondern es handelt sich lediglich um die Tatsachenfrage: Läßt sich der Verlauf des Bewußtseins, so wie ihn etwa die durch zufällige Bewußtseinshypothesen unterstützte Erinnerung möglichst vollständig rekonstruieren könnte, wirklich aus sich allein heraus erklären, oder haben wir den Tatbestand durch die Hypothese wirksamer Faktore zu ergänzen, die völlig außerhalb des Bewußtseins selbst liegen? Diese Untersuchung bezieht sich also auf die allgemeinen und besonderen Eigenschaften des Seienden und gehört somit ins Gebiet der Metaphysik und der Einzelwissenschaften, wobei die Erkenntnislehre nur zu prüfe hat, ob die beigebrachten Tatsachen wirklich die gezogenen Schlüsse rechtfertigen. Wir kehren hiermit zu den Streitfragen zurück, auf die der Nominalismus und der Intuitionismus der Cartesianer seinen neuen erkenntnistheoretischen Apparat vor allem anzuwenden suchte.

2. Die Seele im wissenschaftlichen Sinn. - Der nächste kausale Nachbar des Bewußtseins ist allerdings nicht die sogenannte "Außenwelt", sondern das einheitliche System seiner unbewußten Dispositione, das mit ihm zusammen die Seele in einem wissenschaftlichen Sinn bildet. Die ehemalige Entstellung des Begriffs eines außerbewußten Seins durch seine Identifikation mit einer völlig unveränderlichen "Substanz", mit der heutzutage nicht einmal mehr die Physik auskommen kann, schreckt indessen auch jetzt noch die verdientesten Seelenforscher davor zurück, die Psychologie, wie es schließlich doch einmal wieder geschehen muß, als die Wissenschaft von der Seele, nicht nur vom Bewußtsein, zu definieren. Denn sie fürchten eine schädliche Rückwirkung dieser Problemstellung auf die Analyse des Bewußtseins, als ob dieses durch die enge Verbindung mit einer "Substanz" seines prozessualen Charakters beraubt erscheinen könnte. Indessen sollte man von vornherein eher umgekehrt verlangen, daß der wissenschaftliche Begriff des außerbewußten Seins dieses prozessualen Charakters seines evidenten Urbildes, des Bewußtseins, höchstens im Grenzfall verlustig geht, und am wenigsten in dessen unmittelbarer Nachbarschaft, im System der seelischen Dispositionen.

3. Die Außenwelt. - Durch die Eindeutigkeit, mit der dieses System, einschließlich des physiologischen Sinnesorgans, die Reizwirkungen der Außenwelt auf das Bewußtsein weiterleitet, lassen aber nun die bewußten Sinneswahrnehmungen in weitem Umfang sogleich einen direkten Rückschluß auf diese jenseits des Organes gelegene "Außenwelt" zu, ja von hier aus auch sogleich auf fremde Bewußtseinsindividuen; denn deren Leib verbürgt das Dasein einer Seele mit der Gewißheit , von höheren Gesichtspunkten aus gesicherten Analogieschlusses. Die Gewißheit des fremden Bewußtseins kann deshalb auch eine unerläßliche Voraussetzung zur Annahme einer Außenwelt überhaupt bilden (18), wenn auch unsere völlig selbständig erlangte Anschauung tatsächlich nur einen recht kleinen Ausschnitt von der Welt im Ganzen zu bilden pflegt. Nachdem aber einmal der Zusammenhang unseres Bewußtsein mit einem speziellen Teil der wahrnehmbaren Außenwelt, dem lebendigen Organismus unseres Leibes, erkannt ist, wird die Existenz und Funktion dieser biologischen Grundlage natürlich nicht nur aus den Sinneswahrnehmungen des Anatomen und Physiologen, sondern aus dem Bewußtsein im Ganzen erschlossen werden können. Doch ist bei diesem allgemeinen psychophysischen Rückschluß auf das Zentralnervensystem immer schon vorausgesetzt, daß dieser Teil der Außenwelt aus seiner direkten Beobachtung "von außen" bereits bekannt ist. Die ursprüngliche Bedeutung der außerbewußten Außenwelt bleibt also in jeder Richtung die Eigenschaft als "Reiz" für irgendeie direkte Sinneswahrnehmung. Die Grundform dieser Rückschlüsse auf außerbewußte Tatsachen ist aber überall dieselbe: Wir dürfen z. B. nicht die Sinneswahrnehmung des Blitzes oder irgendeinen anderen Bewußtseinsinhalt für die Ursache des Donners, bzw. seiner Wahrnehmung halten, sondern nur die außerbewußte Tatsache des "wirklichen" Blitzes. Der Donner kann ja auch auftreten, wenn keinerlei Wahrnehmung eines Blitzes vorherging. Wir können den klaren Ausführungen VOLKELTs über die erkenntnistheoretische Berechtigung dieses Rückschlusses auf die Außenwelt (19) nur vollständig beipflichten und würden mit diesem Hinweis unsere Betrachtungen beschließen können, wenn nicht von sehr beachtenswerter Seite ein prinzipieller Einwand dagegen erhoben worden wäre.

4. Die Formulierung eines prinzipiellen Einwandes gegen unsere Problemstellung. - In seiner Stellungnahme zu dem von HUSSERL entfachten Streit über den Psychologismus hat nämlich WUNDT in einer weitergreifenden Prüfung der erkenntnistheoretischen Standpunkte auch diesen ganzen Berechtigungsnachweis für die Annahme einer Außenwelt als unzulässig erklärt (20). Nicht als ob er ihm innere Widersprüche nachzuweisen versuchte. Aber betrachtet die ganze Fragestellung für unberechtigt, da sie voraussetzt, daß "die Überzeugung von der Existenz einer Außenwelt auf einem Erkenntnisprozeß beruth, aufgrund dessen erst unsere subjektiven Empfindungen auf Objekte außerhalb von uns bezogen oder als solche gedeutet werden". (21) In Wirklichkeit kennt der naive vorwissenschaftliche Standpunkt keine rein subjektiven Sinnesempfindungen, die einer solchen Projektion bedürfen. Der "vorausgesetzte" Erkenntnisprozeß existiert also gar nicht, "weil das, was er hervorbringen soll, die Existenz einer ausgedehnten, in verschiedene Objekte sich gliedernden Welt, zu deren Inhalt auch unser eigener Körper mit den an ihn gebundenen Bewußtseinsinhalten gehört, von Anfang an da ist", sodaß also jener von uns eingeführte Erkenntnisprozeß "zu spät kommt", die ihm zugemutete Arbeit "schon getan findet".

5. Die Unabhängigkeit unserer erkenntnistheoretischen Fragestellung von der genetischen. - Indessen handelt es sich bei uns ja gar nicht um ein genetisches Problem, sondern um die Frage nach der Richtigkeit einer jedenfalls unter dem Einfluß der Reflexion gebildeten Anschauung vom Wesen der Außenwelt, zwei Fragestellungen, die auch WUNDT bei der Formulierung der Aufgabe der Erkenntnistheorie scharf auseinander hält (a. a. O., Seite 617). Wie weit unser fertiger Standpunkt vom naiven abweicht, kann uns selbst eigentlich ganz gleichgültig sein, da er die Kriterien seiner Richtigkeit, nämlich die Evidenz der bewußten Sinneswahrnehmung und die Allgemeingültigkeit der Gesetzmäßigkeit des Geschehens, als Grundlagen des Schlusses auf eine außerbewußte Außenwelt "autonom" in sich selbst trägt. Selbst wenn also derselbe Begriff, d. h. eine vom Bewußtsein verschiedene Ursache der Sinneswahrnehmungen, schon auf dem vorwissenschaftlichen Standpunkt gedacht würde, so müßte seine Berechtigung durch dieselben Gründe erwiesen werden. Der einfache Hinweis auf das Dasein einer Vorstellung in irgendeinem Entwicklungsstadium könnte nur dann jeder weiteren kritischen Frage den Boden entziehen, wenn das Objekt nicht etwas Außerbewußtes, sondern eben der Bewußtseinsinhalt jener Vorstellung wäre. Bei einer Evidenz im Sinne unseres ersten Abschnittes wäre allerdings jede weitere Frage unberechtigt, weil überflüssig.

6. Wundts Einbeziehung der genetischen Frage. - Die Hauptdifferenz zwischen dem Standpunkt WUNDTs und dem meinigen entsteht also dadurch, daß nicht für mich, wohl aber für WUNDT selbst beim Außenweltproblem der genetische Gesichtspunkt für die quaestio juris entscheidenem class=mono>selbst
beim Außenweltproblem der genetische Gesichtspunkt für die quaestio juris entscheidend in Betracht kommt. Denn wie vor allem schon aus seinem "System der Philosophie" (Bd. 1, dritte Auflage, 1907, Seite 91f) und der wichtigen Abhandlung "Über naiven und kritischen Realismus" (Kleine Schriften I, Seite 342f) bekannt ist, traut WUNDT dem Schluß vom Bewußtseinsinhalt als solchen auf die Existenz einer außerbewußten Außenwelt gar keine Kraft zu. Er ist der Meinung, daß man das außerbewußte Objekt niemals durch einen Kausalitätsschluß ermitteln kann, wenn man es nicht schon der "primären Erfahrung" des naiven Standpunkts zuerkennt: "die primäre Erfahrung ist nicht das im, sondern das außerhalb des Bewußtseins gelegene Objekt" (Kleine Schriften). Die Erkenntnistheorie hat nicht "objektive Elemente zu schaffen aus Elementen, die selbst solche noch nicht enthalten, sondern objektive Realitäten zu bewahren, wo sie vorhanden sind". Auch hier gilt die Regel: "Aus nichts wird nichts." Wo keine Wirklichkeit ist, läßt sich "mit allen Kräften logischen Scharfsinns keine zu Wege bringen". Die ganze Entwicklung der Theorie hat sich also nach der Forderung zu richten, "daß das gegebene Vorstellungsobjekt solange in seiner unmittelbaren Wirklichkeit anzuerkennen ist, als dies nicht zu Widersprüchen führt, die vom Denken ausgelöst werden müssen. (System der Philosophie, a. a. O.; vgl. auch "Kleine Schriften" I, Seite 279).

7. Die Zuverlässigkeit und Unersetzlichkeit unseres Verfahrens. - Von unserem reflektierten Standpunkt hätte man nun sicher eine falsche Vorstellung, wenn man es für ihn als entscheidend ansehen würde, daß er sich dieser Ehrenrettung des vorwissenschaftlichen Objektbegriffs nicht ganz anschließen kann. Denn die Ansicht, daß nur (klare) Bewußtseinsinhalte evident sind, also keine weitere Existenzfrage zulassen, und daß die Gewißheit jeder außerbewußten aus ihnen zu erschließen ist, setzt doch auf keinen Fall voraus, daß wir erst alle Begriffe des naiven Denkens auf solche von Bewußtseinsinhalten reduzieren, also eine bereits vorgestellte außerbewußte Realität zerstören müßten. In klarer Form wird sich aber der korrekte Begriff der außerbewußten Außenwelt in diesem Stadieum schon deshalb nicht vermuten lassen, weil noch kein klarer Begriff vom Bewußtsein vorhanden ist, der alles als Glied des individuellen Gesamtbestandes auffassen läßt, was wirklich zu dieser Einheit gehört. Hierin stimmen wir ja gerade mit WUNDT völlig überein, der die Erkenntnis, daß "dieses äußere Objekt überhaupt im Bewußtsein vorgestellt wird", erst einer späteren Reflexion zuschreibt (Kleine Schriften I, Seite 342). Wie dem aber auch sei, so wird unser Ausgangspunkt doch auch auf jedem reflektierten Standpunkt eingenommen werden können, in dem man in unserer Weise bereits alle sekundären und primären Qualitäten der Wahrnehmung, also insbesondere die Raum- und Zeitvorstellung, als Bewußtseinsinhalt betrachtet, daneben aber auch nach unserer Meinung zweifellos die Existenz einer außerbewußten Außenwelt als ihre Teilursache annimmt. Wir haben dann zur Gewinnung des erkenntnistheoretischen Ausgangspunktes nichts zu zerstören, sondern wir abstrahieren zunächst einfach wie bei der Nachprüfung irgendeiner Ansicht einstweilen von unserer Gewißheit derselben und suchen nach ihren gesetzmäßigen Zusammenhängen mit anderen Tatsachen, die wir nicht mehr zu beweisen brauchen. Nun sind die Wahrnehmungsinhalte als solche evident und außerdem bildet das allgemeine Prinzip der Gesetzmäßigkeit, sowie die Unerklärlichkeit des Eintritts der Wahrnehmung aus dem Verlauf des Bewußtseins je einen neuen von jener Existenz unabhängigen, gewissen Obersatz. Daher scheint mir WUNDTs Bedenken gegen die Kraft meines Schlusses auf die Existenz einer außerbewußten Außenwelt nicht begründet. Was könnte eine festere Grundlage des Schlusses auf die Existenz irgendeiner neuen Teilursache abgeben, als die Evidenz ihrer sonst unerklärlichen Folge, die hierbei als "Erkenntnisgrund" funktioniert. Auch für WUNDT ist doch gewiß die außerbewußte Außenwelt zumindest zum Teil erschlossen, wobei die Existenz der noch so mittelbar erkannten Dinge natürlich keine andere sein kann, als jenes Ideal, das wir im ersten Abschnitt über die Evidenz der Bewußtseinsinhalte als solcher betrachteten. Auch wird die Kraft dieser Schlüsse nicht erst daher stammen, daß hierbei meistens von einem außerweltlichen Objekt auf ein anderes geschlossen wird. Vielmehr könnte sie durch die geringere Gewißheit des Ausgangspunktes, die hinter der Evidenz des Bewußtseins immer zurückbleiben muß, nur verlieren.

Beim Charakter der außerbewußten Wirklichkeit haben wir aber auch gar keine andere Möglichkeit, zu einer Gewißheit von ihr zu gelangen. Es gibt eben nur eine Art der unmittelbaren Gewißtheit, und das ist die Evidenz der Bewußtseinsinhalte selbst. Alles, was in einer so unmittelbaren, primären Erfahrung existieren würde, wäre eben nichts Außerbewußtes, sondern ebenfalls ein Glied in der individuellen Einheit all dieser unmittelbar erlebten Inhalte, die wir Bewußtsein nennen. Wenn also wirklich schon in der primären Erfahrung der Begriff eines außerbewußten Objekts auch nur unklar gedacht werden sollte, so müßte mit den äußeren Sinneswahrnehmungen eine zwar unklare, aber immerhin bewußte Erkenntnis einhergehen, daß ihr Auftreten aus den Inhalten, die tatsächlich zum Bewußtsein gehören (wenn sie auch noch nicht als solche betrachtet werden), nicht erklärt werden können.
8. Der naive Konszientialismus oder Impressionismus. - Indessen glaube ich, daß wir dem vorwissenschaftlichen Denken eine solche Leistung gar nicht zuzumuten brauchen, zumal sie auch für den Menschen vorläufig noch gar keinen praktischen Wert hätte. Für seine Orientierung innerhalb der Außenwelt und für die Zweckmäßigkeit seiner Reaktionen auf ihre Einflüsse ist der tatsächliche Begriff von etwas, das außerhalb seines Bewußtseins existiert, schlechterdings unnötig. Er kommt weiter, wenn er ganz innerhalb der tatsächlichen Ausdehnung seines Bewußtseins lebt, dessen Raumvorstellung die aus unserem entwickelten Zustand bekannte dreidimensionale Innenwelt bildet. Man darf sich nur von der sogenannten objektiven Seite des Bewußtseins keine zu geringe Vorstellung machen, indem man jenen räumlich und zeitlich gegliederten Teil unserer evidenten Innenwelt von ihr losreißt, um ihn der "Außenwelt" zuzurechnen. Alles, was WUNDT von jener Welt der primären Erfahrung sagt, daß sie ausgedehnt ist und sich in verschiedene Elemente gliedert (siehe oben) kommt schon dieser zum Bewußtsein selbst gehörigen Extension zu. Sie begrenzt sich nur durch ihren eigenen Inhalt und kann sich daher auch das Unermeßliche in gewissem Sinn "anschaulich" machen.

Jedenfalls steht diese objektive Seite innerhalb der bewußten Innenwelt anderen Inhalten schon rein extensiv als etwas Äußeres gegenüber, und außerdem unterscheiden sich die direkten Sinneswahrnehmungen infolge unserer Passivität bei ihrem Auftreten noch einmal besonders von allen ihren mehr oder weniger willkürlichen oder triebartigen Nachbildungen als innere "Außenwelt", auf die wir nur durch besondere Impulse zurückwirken können. Warum sollte also dieser aus dem System der übrigen Inhalte in so wesentlichen Punkte herausfallende Teil der Innenwelt nicht wirklich genau das sein, was man auf einem naiven Standpunkt mit der Außenwelt meint? Wenn eben der Begriff des Bewußtseins noch ein so enger ist, daß er die Raum- und Zeitvorstellung noch nicht in ihrer ganzen unmittelbar erlebten Extension umfaßt, so kann diese im Vergleich zu ihm als "Außenwelt" erscheinen und als solche bezeichnet werden. Dabei kann sie auch als Ursache des subjektiven Wahrnehmungsprozesses gelten. Denn dieser Prozeß läßt sich schon auf diesem Standpunkt von einem "verweltlichten" Wahrnehmungsinhalt selbst unterscheiden, weil dieser Inhalt in der vollen Lebhaftigkeit und Frische des sogenannten Empfindungscharakters als Außenwelt betrachtet wird. Der Prozeß des Wahrnehmens erscheint also gewissermaßen wie eine direkte Freilegung des vollkommenen Objekts nach dem Ich hin, durch die dieses Objekt wirklich in unserem Sinne evident wird.

Die Weltanschauung dieses naiven Standpunktes ist also in Wirklichkeit eine Form des "idealistischen Monismus", da die verweltlichten Wesen tatsächlich Bewußtseinsinhalte (conscia oder conscientialia) sind. Man kann daher von einem "naiven Konszientalismus" sprechen (22) oder, da speziell Sinneseindrücke (impressiones) als Außenwelt gelten, von einem "naiven Impressionismus", der freilich mit dem künstlerischen nicht zu verwechseln ist. Man sieht aber auch, wie leicht von hier aus der naive Materialismus zu erreichen ist, weil eben alle Bewußtseinsinhalte den verweltlichten wesensverwandt sind und vor allem die Erinnerungs-, Phantasie- und Traumvorstellungen als Restbestände mit dem Bewußtsein im Akt der Sinneswahrnehmung erscheinen können.

Für die Beurteilung unseres eigenen Standpunktes kommt es allerdings, wie schon gesagt, nicht darauf an, ob dieser psychologisch wohl mögliche Zustand der allgemein primäre Standpunkt ist. Ich glaube aber meinerseits "die Brücke" nicht vollständig hinter dem Übergang zur Reflexion "abgebrochen zu haben" (vgl. WUNDT, System I, dritte Auflage, Seite 82), sondern außer der Zeit wissenschaftlicher psychologischer Reflexion sogar fortwährend diesem primären Zustand nahe zu bleiben. Das hierbei Erlebte scheint mir aber seinem Grundcharakter nach in der obigen Weise beschrieben werden zu können.

Dieser Grundzug braucht aber vor allem nicht einmal der logischen Bearbeitung der naturwissenschaftlichen Erfahrungen zu weichen, solange sie nicht über das Bewußtsein selbst nachdenkt, sondern nur die inneren Verhältnisse der Sinneswahrnehmungen ins Auge faßt. Dies gilt zunächst von der Entlarvung aller möglichen Sinnestäuschungen. Denn auch das bessere Wissen von den Objekten besteht stets aus reproduktiven Vorstellungen, denen die Sinneswahrnehmung, die man unter günstigeren Auffassungsbedingungen erwartet, in bestimmter Hinsicht gleichen würde. Aber auch die ganze Reduktion der vermeintlich außerbewußten Wirklichkeit auf die sogenannten primären Qualitäten der zeit-räumlichen Natur wird tatsächlich immer noch die entsprechenden Formen der Raum- und Zeitvorstellung selbst als Außenwelt auffassen können, und nicht etwas ihnen nur kausal zugrunde Liegendes.

Da nun WUNDT die Erlangung des korrekten Begriffs der Außenwelt ganz nach dem Schema der Korrektur von Täuschungen der Sinne und der Ausscheidung sogenannter "sekundärer" Qualitäten aus dem naiven konkreten Objektbegriff beschreibt (23), bei dem in der Tat kein ganz neuer Begriff gebildet zu werden braucht, so dürfte sein eigener Standpunkt im Wesentlichen die Eigentümlichkeit jenes Konszientalismus beibehalten haben, bei dem in der Tat kein ganz neuer Begriff gebildet zu werden braucht, so dürfte sein eigener Standpunkt im Wesentlichen die Eigentümlichkeit jenes Konszientalismus beibehalten haben, bei dem das von ihm Außenwelt genannte Objekt selbst in Wirklichkeit der objektiven, in sich ausgedehnten Seite des Bewußtseins zugehört. Dies würde auch mit allen Konsequenzen zusammenstimmen, die er selbst aus seinem Standpunkt gezogen hat: die Forderung der evidenzartigen, nicht erschlossenen Gewißheit der außerweltlichen Realität wurde schon erwähnt. Ebenso hat er in der Kritik des energetischen Weltbildes die "Anschaulichkeit" als ein letztes Kriterium für die Richtigkeit eines physikalischen Systems aufgestellt (24) und z. B. auch in der Einleitung des "Grundrisses der Psychologie" den Gegenstand der naturwissenschaftlichen dem der psychologischen Betrachtung sehr nahe gerückt (25), ohne in der Verteidigung gegen einen Einwand MEUMANNs hieran etwas prinzipiell zu ändern (26). Das Hauptergebnis dieses Standpunkts ist aber bekanntlich der Versuch seines "Systems der Philosophie" (Bd. 2, a. a. O., Seite 145f), die idealistische Weltanschauung im Gegensatz zu KANT doch wieder rein intellektuell in einer wissenschaftlichen Ontologie zu begründen. Die Annahme, daß die Außenwelt vom Geist nicht erst erschlossen zu werden braucht, ist für ihn das erste Argument dafür, daß die Außenwelt im letzten Grund selbst aus geistigen Faktoren besteht. In der transzendenten Vernunftidee des "reinen Wilens" geht dann freilich auch WUNDT selbst über den Konszientalismus hinaus, da dieser Wille nicht im Bewußtsein verwirklicht sein soll. Doch trifft diese Operation das Bewußtsein im Ganzen und hat für seine Unterscheidung von der Außenwelt keine Bedeutung mehr.

9. Die Einordnung des wissenschaftlichen Begriffs der Außenwelt in die allgemeine Philosophie. - Der korrekte Begriff der Außenwelt kann jedenfalls nur ein Korrelat des vollkommenen Bewußtseinsbegriffs sein, in den alles hineingenommen ist, was in einem bestimmten Augenblick die tatsächliche, reale Einheit bildet, an deren Existenz in ihr selbst kein Zweifel möglich ist. Dazu gehören also alle primären Eigenschaften ebenso wie die sekundären, alle endgültigen Vorstellungen von der Welt ebenso wie die durchschauten Täuschungen. Die außerbewußte Außenwelt aber ist, vom Standpunkt der wissenschaftlichen Erfahrung aus betrachtet, weiter nichts als ein gesetzmäßig geordnetes System von Teilbedingungen für das Auftreten von Sinneswahrnehmungen im Wachzustand. Gewiß kann auch bei dieser Bildung ihres Begriffs durch einen Rückschluß aus Bewußtseinstatsachen niemals der völlig leere und sinnlose Begriff eines gänzlich beziehungslosen "Dinges-ansich herauskommen, gegen den WUNDT an anderen Stellen mit Recht polemisiert (Kleine Schriften I, Seite 190 in der Abhandlung "Was soll uns Kant nicht sein?). Dass System der Ursachen muß insbesondere selbst eine Mannigfaltigkeit von Elementarbedingungen bilden, die mit derjenigen der Sinneswahrnehmungen in gewissen Verhältnissen der Quantität und Ordnung übereinstimmen, wenn es den Verlauf des Bewußtseins wirklich eindeutig zu einem gesetzmäßigen Weltgeschehen ergänzen soll. Ja, bezüglich der zeitlichen Anordnung der Auslösungsbedingungen muß sogar ein völliger Parallelismus bestehen, da es hier für alles Geschehen überhaupt nur eine Dimension gibt. Dennoch reicht das alles zu einer anschaulichen Vorstellung nicht aus, die hier prinzipiell ausgeschlossen ist, wenn man sich auf dasjenige beschränkt, was aus dem Verlauf der Sinneswahrnehmungen bezüglich ihrer außerbewußten Teilbedingungen, unter Voraussetzung der Gesetzmäßigkeit der Welt, direkt erschlossen werden kann. Dieses System der Ursachen könnte also in seiner Eigenart, abgesehen von den genannten inneren Proprotionen, mit dem Bewußtsein völlig unvergleichbar sein. Die innere Freiheit des kritischen Standpunktes in dieser Hinsicht zeigt wohl am deutlichsten, daß die Philosophie mit der Bildung des Begriffs einer Außenwelt wirklich etwas Neues schafft und nicht nur eine vom naiven Bewußtsein längst vollbrachte Leistung wiederholt. Freilich erkennt sie darüber hinaus ausdrücklich an, daß eine idealistische Metaphysik möglich ist, die sich dem naiven Bewußtsein in seiner speziellen Hypothese wieder annähern kann. Doch darf die erschlossene Außenwelt hierbei natürlich nicht mit den eigenen Bewußtseinsinhalten, die der Naive unmittelbar für die äußersten Tatsachen hält, identifiziert werden. Aber man könnte sich eine aus Wahrnehmungsinhalten bestehende Welt, wie es der Empfindungsmonismus CZOLBEs, MACHs u. a. versuchte, wenigstens als eine selbständige Realität denken, so ähnlich wie wir uns ein fremdes Bewußtsein vorstellen. Nur müßte diese Realität freilich auch von jedem anderen unserer Erfahrung zugänglichen Bewußtsein unabhängig und ununterbrochen wirkungsfähig sein. Indessen muß man sich darüber im Klaren bleiben, daß es sich bei dieser anschaulichen Ausgestaltung des außerbewußten Gegenstandes um ein außerwissenschaftliches Glauben und nicht um ein Wissen handelt, so daß hier nur ganz neue Motive der ethischen Wertung die Entscheidung bringen können (27). Wer aber die Welt als einen geschlossenen Kausalzusammenhang betrachtet, braucht von diesem Glauben höchstens so viel unbedingt zu verlangen, daß er in einem klaren "Theismus" die an das Bewußtsein gebundenen Werte dem letzten Weltgrund, diesem aber auch in vollkommenster Form, zuerkennt. Keineswegs ist aber für alle Durchgangspunkte seines Wirkens auf die endlichen Wesen etwas Eindeutiges auszumachen, zu denen die nächste Ursache unserer Sinneswahrnehmung hinzugehört. Die außerwissenschaftliche Veranschaulichung dessen, was zunächst wissenschaftlich als Begriff der Außenwelt nur unanschaulich zu konzipieren ist, hat also nicht einmal einen ersichtlichen moralischen Wert. Wer sich bei diesem unnatürlichen und in gewissem Sinne ungesunden Abstraktionsprozeß unbehaglich fühlt, hat ja die Freiheit, immer wieder zum Urzustan des naiven Konszientalismus oder Impressionismus zurückzukehren, der bei dem unserem Bewußtsein von Natur verliehenen Umfang ganz gewiß nichts Unwürdiges an sich hat. Wer sich an ihm einmal in der Welt orientiert hat, kann durch das Hinausgehen zu einem abstrakten Begriff des Außerbewußten unter Umständen nur ganz unnötig gestört werden, so ähnlich wie HEINRICH von KLEIST in einem Brief an seine Braut die Wirkung der kantischen Erkenntnistheorie auf sein Gemüt schildert, die die er "sich tief in seinem heiligsten Innern verwundet fühlte" (28). Ist es doch mit der Vorstellung von der Außenwelt gerade umgekehrt wie mit der Erkenntnis, daß auch unser Wollen ein reales Glied in der Kette des gesetzmäßigen Weltgeschehens ist. Dieses bildet zunächst den Grundstock zur Bildung des Bewußtseinsbegriffs und wird erst später zwar nicht zur Außenwelt selbst gerechnet, aber doch in einem kausalen Zusammenhang mit ihr erkannt. Dabei soll man sich aber hüten, den Zustand, in dem es zunächst nur als völlig individueller Bewußtseinsinhalt betrachtet wird, zu früh und unvorsichtig aufzuheben. Denn sonst kann auch aus dieser begrifflichen Neubildung eine hier sogar sittlich höchst gefährliche Verwirrung entstehen. Die Vorstellung der allgemeinen Gesetzmäßigkeit droht sich im sogenannten "faulen Sophisma" wie Meltau [Honigtau, Ausscheidungsprodukt von Läusen - wp] über die Entschließungen zu legen, bis der mehrfache Zusammenhant zwischen Sittlichkeit und Gesetzmäßigkeit klar erfaßt wird. Der extensive Bewußtseinsinhalt dessen aber, was uns zunächst als Außenwelt erscheint, muß seinerseits vielmehr umgekehrt dem willkürlichen Schwanken der Triebe, Gefühle und Phantasien möglichst entrück erscheinen, wenn es dem naiven Bewußtsein nicht schwindlig werden soll. Erst der Einblick in die Gesetzmäßigkeit der Wechselwirkung zwischen Bewußtsein und Außenwelt und die Verankerung dieses ganzen Gesetzesglaubens im sittlichen Wollen selbst (vgl. weiter oben) gibt dem Schwankenden die Ruhe und Sicherheit zurück und rettet ihn am Ariadnefaden der Philosophie aus den "Labyrinthen" jener beiden Probleme der Willensfreiheit und außerbewußten Außenwelt mit ungebrochener Willenskraft auf festen Boden. Dieser einheitliche Überblick über den Weltzusammenhang und unsere Einordnung in ihn ist ja auch schon im antiken Ideal der "Episteme" klar enthalten. "Episteme" heißt in wörtlicher Übersetzung bekanntlich Verständnis, so daß also auch ihre Gleichsetzung mit der Tugend in dem bekannten Satz, daß die Tugend ein "Wissen" ist, ganz ungenügend übersetzt erscheint. Man könnte vielmehr geradezu "Vernunft" in der höchsten Bedeutung dieses Wortes sagen oder zumindest "Wissenschaft", in die man aber vor allem auch die Philosophie selbst einzuschließen hat.

Immerhin mußten wir auch ihrer antiken Gegenspielerin, der "Doxa", zu der wohl jeder naive, vorwissenschaftliche Standpunkt in irgendeiner Frage gehört, in unserem Zusammenhang einen nicht geringen praktischen Wert zugestehen. Der "naive Konszientialist", der ein geläutertes Ideal seiner "primren" Vostellungsqualitäten für die Außenwelt selbst nimmt, kann nicht nur ein vollkommener Physiker sein, sondern auch die elementaren Fragen der Psychophysik über die Beziehungen zwischen den primären und sekundären Qualitäten in weitem Umfang korrekt darstellen. Denn die "anschaulichen" Bewußtseinsinhalte der Erfahrung, zu denen die Außenwelt als Teilsursache hinzugedacht wird, bilden eben nach unserem ersten Abschnitt den entscheidenden, evidenten Bestandteil auch der naturwissenschaftlichen Begriffe. Dennoch wird man jenen ganz abstrakten Begriff der außerbewußten Welt nicht für wertlos halten, weil er eben das notwendige Korrelat der Klärung des Bewußtseinsbegriffs bildet, ohne den nun einmal eine sichere Begründung der Geisteswissenschaften und der Philosophie unmöglich ist. Auch die Psychophysik kann bei jenen elementaren Aufgaben nicht stehen bleiben, sondern muß ihre Problemstellung dahin ergänzen, daß sie die Gesetze der Wechselwirkung des ganzen Bewußtseins mit seiner Umgebung möglichst genau und quantitativ zu ermitteln sucht. (29) Hierdurch erweitert sich aber auch ihr Gesichtskreis zur exakten Grundlegung einer allgemeinen Philosophie, deren Autonomie unter der gerechten Monarchie der Bewußtseinsanalyse vor jeder Einseitigkeit bewahrt bleibt.
LITERATUR - Wilhelm Wirth, Zur Orientierung der Philosophie am Bewußtseinsbegriff, Sonderdruck aus der "Festschrift Johannes Volkelt", München 1919
    Anmerkungen
    9) VOLKELT, Die Quellen der menschlichen Gewißheit, 1906, Seite 19
    10) An diesen Beispielen hat dann bekanntlich auch SPINOZA die höchste Stufe der intuitiven und adäquaten Erkenntnis allgemeiner Gesetze erläutert, die aber als allgemeine Erkenntnis nur ein spezieller Fall unserer Evidenz ist (Abhandlung über die Verbesserung des Verstandes und Ethik II Lehrsatz 41).
    11) VOLKELT, Gewißheit a. a. O., Seite 14f.
    12) Um Mißverständnisse zu vermeiden, sei noch ausdrücklich hinzugefügt, daß es sich hier einstweilen nur um die Vorstellung einer Außenwelt im allgemeinen handelt, wie sie auch im Traum und bei einer Phantasievorstellung von ihr vorliegt, noch nicht um das von der Erkenntnis eines bestimmten Kausalzusammenhanggs getragene Wissen von der im Wachzustand lebhaft und frisch wahrnehmbaren "wirklichen" Außenwelt.
    13) MILL, Logik, a. a. O., 3 Kap. 21 (GOMPERZ, Bd. 2, Seite 294f).
    14) VOLKELT, a. a. O., Seite 44f.
    15) FERDINAND CANNING SCOTT SCHILLER, Humanismus, Beiträge zu einer pragmatischen Philosophie (deutsch von RUDOLF EISLER, 1911, Seite 16f.
    16) F. C. S. SCHILLER, a. a. O., Seite 37 Anmerkung.
    17) WILHELM DILTHEYs Schriften, hg. von GEORG MISCH, Bd. 1914, Seite 144 (Das natürliche System der Geisteswissenschaften im 17. Jahrhundert): "Und auch diese Dogmen hat in ihrem wörtlichen Verstand nach der sozzinianischen Kritik kein aufrichtiger und klarer Denker zu erneuern versucht".
    18) Vgl. hierzu die überzeugeden Darlegungen WUNDTs in seiner Kritik der "immanenten Philosophie", Kleine Schriften, Bd. I, 1910, Seite 308f (Über naiven und kritischen Realismus, 1896
    19) VOLKELT, a. a. O. Seite 48f (Das transsubjektive Minimum: b) Das kontinuierliche Bestehen transsubjektiver Wesenheiten und c) Die gesetzmäßige Verknüpfung der transsubjektiven Wesenheiten).
    20) WUNDT, Psychologismus und Logizismus, Kleine Schriften, Bd. 1, 1910, Seite 615
    21) VOLKELT wird von WUNDT allerdings nicht zu den Philosophen gerechnet, die "zum Kausalprinzip ihre Zuflucht nehmen, mögen sie nun dieses als eine a priori in uns liegende oder als ene selbst empirisch bestimmte Funktion betrachten", sondern zu einer zweiten Gruppe, bei der der Ursprung der Vorstellung einer Außenwelt in eine selbständige Tätigkeit des Bewußtseins verlegt wird, "wobei diese ... als eine spezifische, in dieser Funktion ausschließlich sich äußernde aufgefaßt wird". Für die Verteidigung unserer eigenen Auffassung gegen WUNDTs Einwand wäre diese genauere Abgrenzug von VOLKELTs Standpunkt allerdings unnötig, zumal WUNDT beide Gruppen in seinem Angriff zusammennimmt. Da wir uns jedoch in diesem Hauptpunkt ausdrücklich auf die Übereinstimmung mit VOLKELT bezogen haben, so kann WUNDTs Einordnung seines Standpunktes hier nicht unberücksichtigt bleiben. VOLKELT erwähnt freilich gelegentlich, daß man die Gewißheit des Transsubjektiven nicht etwa selbst "als ein kausales Entwicklungsergebnis aus anderen Bewußtseinsvorgängen" betrachten darf (a. a. O., Seite 79). Aber hiermit wendet er sich ja mittelbar nur gegen eine "psychologistische" Ableitung des Satzes vom Grunde, nicht aber dagegen, daß die Denknotwendigkeit, mit der das Transsubjektive anerkannt wird, ihrem eigenen Inhalt nach mit dem Satz vom Grunde in Verbindung gebracht wird. Im Gegenteil sagt er schon früher: "Das Bewußtsein sachlicher Notwendigkeit ist für mein Erkennen ... das Mittel der Hinausbeförderung aus meinem Bewußtseinsumkreis" (a. a. O. Seite 30) und diese sachliche Notwendigkeit ist kurz zuvor noch weiter zurückgeführt: "Wo auch immer aus dem Bewußtsein sachlicher Notwendigkeit heraus eine Erkenntnis erwächst, handelt es sich um ein Erschließen (nur hier gesperrt) von Nichterfahrenem ..." Auf Seite 34 heißt es dann noch ausführlicher: "Wollte ich den Sinn des Denkens noch weiter verfolgen, so würde ich auf den Satz vom Grunde stoßen. Etwas denknotwendig verknüpfen, heißt es nach Grund und Folge verknüpfen ... Nicht der Satz der Identität und des Widerspruchs, sondern der Satz vom Grund ist das die Natur des Denkens ausdrückende Gesetz." Bei VOLKELTs Verhältnis zur Philosophie SCHOPENHAUERs lag ja auch gerade ihm diese Anerkennung des berechtigten Kerns aus dessen Dissertation besonders nahe. Man könnte sich also höchstens noch fragen, ob nach VOLKELT für das Verhältnis zwischen Außenwelt und Sinneswahrnehmung wirklich die gewöhlich als Kausalität im engeren Sinn bezeichnete Form jenes Satzes in Frage kommt. Nach seinen näheren Ausführungen scheint mir auch hierüber kaum ein Zweifel möglich. (Die besondere Stellung, die bei VOLKELT, ähnlich wie bei KANTs Begriff des Erfahrungsurteils, die Gewißheit des fremden Bewußtseins einnimmt, kann hier wohl außer Betracht bleiben.)
    22) Der Begriff des naiven "Realismus" erscheint mit dagegen zu unbestimmt, nachdem einmal auch der individuelle Bewußtseinsvorgang, nicht zuletzt durch WUNDTs Verdienst, immer mehr als vollwertige Realität anerkannt wird, die auch in dem großen Kausalzusammenhang der Wirklichkeit den übrigen realen Gliedern zumindest gleichwertig ist. Sogar im Solipsismus würde also in diesem Sinne etwas für real gehalten. Eine bestimmte, freilich ganz spezielle Bedeutung kann das Wort "Realismus" höchstens noch als Namen für HERBARTs Theorie von den "Realen" beanspruchen, die aber dem obigen Zusammenhang fernliegt.
    23) WUNDT, Kleine Schriften, Bd. 1, Seite 343. Die wissenschaftliche Reflexion "hebt zwar den ursprünglichen Tatbestand" nach seiner Meinung nicht auf, "ergänzt ihn" aber dahin, "daß die Wahrnehmung ein auf das Objekt hinweisendes Symbol ist, aus dem sich das reale Objekt selbst ergibt, sobald man all die Eigenschaften in Abzug bringt, die sich durch die Vergleichung der objektiven Erfahrungen als subjektiv herausstellen."
    24) WUNDT, System der Philosophie II, a. a. O., Seite 57f; Grundzüge der Physiologischen Psychologie III, sechste Auflage, 1911, Seite 694.
    25) WUNDT, Grundriß der Psychologie, 10. Auflage, 1911, Seite 2f. Noch am meisten scheint es unserem Standpunkt zu entsprechen, wenn er an dieser Stelle des Grundrisses den Standpunkt der Psychologie weiterhin als den der unmittelbaren Erfahrung, den Standpunkt der Naturwissenschaft aber als den der mittelbaren Erfahrung bezeichnet. Denn alles Erschlossene ist im Unterschied von den (unmittelbar) evidenten Bewußtseinsinhalten mittelbar gewiß. Indessen wird unter dieser Mittelbarkeit von WUNDT selbst ausdrücklich wieder nur die Abstraktion vom Subjektiven der primären Erfahrung verstanden.
    26) WUNDT, Empirische und metaphysische Psychologie, Kleine Schriften II, 1911, Seite 338f, insbesondere Seite 344f.
    27) Die kritische Andeutung dieser Möglichkeit eines reinen Idealismus findet sich in der neueren Philosophie zum ersten Mal wohl in LOCKE's Essay IV, 10, 19. BERKELEYs Ausführung der Theorie bildet dem gegenüber schon wieder einen Rückfall ins Dogmatische.
    28) Vgl. die biografische Einleitung von ADOLF WILBRANDT zu Kleists Werken, Bd. 1, Seite 20
    29) Vgl. Psychophysik, 1912, Seite 26.