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WILLIAM JAMES
Der Pragmatismus
Ein neuer Name für alte Denkmethoden
Volkstümliche philosophische Vorlesungen


3. Einige metaphysische Probleme
in pragmatischer Beleuchtung

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Vorwort des Übersetzers
1. Das Dilemma der Philosophie
2. Was will der Pragmatismus?

"Die Anhänger des extrem rationalistischen Typus werden kalt gestellt werden, ebenso wie der Höflingstypus in den Republiken und der Typus des ultramontanen Priesters in protestantischen Ländern kalt gestellt werden."

"Die absoluten, die letzten, die übergreifenden Dinge sind das, worum sich der wahre Philosoph kümmert; alle höher veranlagten Geister nehmen diese Dinge ernst und der Geist mit den nächsten Zielen ist eben der Geist des oberflächlichen, des seichten Menschen."
   

Es ist jetzt meine Aufgabe, Sie mit der pragmatischen Methode dadurch vertraut zu machen, daß ich sie auf spezielle Probleme anwende und dadurch Proben ihrer Brauchbarkeit gebe. Ich will mit dem trockensten Beispiel beginnen und das Problem  der Substanz  soll das erste sein, das ich vornehme. Jeder bedient sich der alten Unterscheidung von Substanz und Attribut, die ja im Bau der menschlichen Sprache, im Unterschied zwischen grammatischem Subjekt und Prädikat festgelegt ist. Hier ist ein Stück Tafelkreide. Seine Modi, Attribute, Eigenschaften, Akzidenzien, Affektionen - gebrauchen Sie, welchen Ausdruck Sie wollen - sind: Weiße, Sprödigkeit, zylindrische Gestalt, Unlöslichkeit im Wasser usw. Aber der Träger dieser Attribute ist ein Quantum Kalk, welches deshalb die Substanz genannt wird, der die oben genannten Attribute inhärieren [sozusagen "eigen" sind - wp]. Ebenso inhärieren die Attribute dieses Schreibtisches in der Substanz "Holz", die meines Rockes in der Substanz "Wolle". Kalk, Holz und Wolle zeigen trotz ihrer Verschiedenheiten gemeinsame Eigenschaften und insofern sind sie selbst wieder Modi einer noch primäreren Substanz,  der  Materie, deren Attribute Raumerfüllung und Undurchdringlichkeit sind. In ähnlicher Weise sind unsere Gedanken und Gefühle Affektionen oder Eigenschaften unserer Seelen, die Substanzen sind. Diese sind aber wieder nicht ganz eigenberechtigt, denn sie sind nur Modi der ursprünglicheren Substanz, die wir "Geist" nennen.

jaw3-04.html Nun hat man frühzeitig erkannt, daß alles, was wir vom Kalk wissen, nichts ist als seine Weiße, seine Sprödigkeit usw. und daß alles, was wir vom Holz wissen, die Brennbarkeit und die faserige Struktur ist. Jede Substanz kennen wir nur als eine Gruppe von Attributen; diese bilden für unsere tatsächliche Erfahrung den einzigen Barwert der Substanz. In jedem Fall wird die Substanz durch ihre Attribute erkannt; würden diese unserer Erkenntnis entzogen, so könnten wir niemals das Vorhandensein der Substanz vermuten. Und wenn Gott uns die Attribute in unveränderter Ordnung zugänglich machte und dabei durch ein Wunder in einem bestimmten Augenblick die Substanz vernichtete, so könnten wir diesen Augenblick niemals entdecken, denn unsere Erfahrungen würden unverändert bleiben. Die Nominalisten vertreten deshalb die Meinung, daß "Substanz" ein unterschobener Begriff ist, der aus der uralten menschlichen Gewohnheit stammt, Namen in Dinge zu verwandeln. Die Phänomene sind in Gruppen vereinigt, - die Kalkgruppe, die Holzgruppe und dergleichen - und jede Gruppe bekommt ihren Namen. Diesen Namen betrachten wir nun in gewissem Sinne als Träger dieser Gruppe von Phänomenen. Der niedrige Tachometerstand des heutigen Tages (1) z. B. kommt, so denkt man, von einem Etwas, das wir "Klima" nennen. Klima ist nun tatsächlich nur der Name für eine Reihe von Tagen, es wird aber so betrachtet, als befände es sich  hinter  diesen Tagen und wir verlegen in der Regel den Namen, als wäre er ein wirkliches Ding,  hinter  die Tatsachen, die er benennt. Aber, sagen die Nominalisten, die phänomenalen Eigenschaften der Dinge inhärieren gewiß nicht einem Namen und wenn sie keinem Namen inhärieren [innewohnen - wp], dann inhärieren sie überhaupt nicht. Sie adhärieren [anhaften - wp] und köhärieren [zusammenhängen - wp] vielmehr untereinander und der Begriff einer uns unzugänglichen Substanz, der dieses Kohärieren als sein Träger erklären soll - etwa wie eine Zementmasse die einzelnen Teile einer Mosaikarbeit zusammenhält - dieser Begriff einer Substanz muß aufgegeben werden. Die Nominalisten Der ganze Inhalt dieses Begriffs ist nichts anderes, als eben die Tatsache des Köhärierens. Hinter dieser Tatsache ist nichts.

Die Scholastik hat den Begriff der Substanz der gewöhnlichen Denkweise entnommen und ihn dann in fein gegliederte Formeln gebracht. Es gibt wenig Begriffe, die geringere pragmatische Bedeutung zu haben scheinen, als der Substanzbegriff, da wir von jeder wirklichen Berührung mit ihm ausgeschlossen sind. Nur in einem Fall hat die Scholastik die Wichtigkeit des Substanzbegriffes dargetan, indem sie denselben pragmatisch behandelte. Ich habe hier die Kontroversen über das Mysterium des Abendmahls im Auge. Hier scheint die Substanz einen bedeutsamen pragmatischen Wert zu haben. Da die Eigenschaften der Oblate sich beim Abendmahl nicht ändern und diese doch zum wirklichen Leib Christi geworden ist, so muß dieser Wandel in der Substanz selbst vor sich gegangen sein. Die Brotsubstanz muß verschwunden sein und die göttliche Substanz muß durch ein Wunder an ihre Stelle getreten sein, ohne daß sich die sinnlichen Eigenschaften geändert haben. Aber obgleich diese sich nicht ändern, hat sich doch ein gewaltiger Unterschied vollzogen, kein geringere als der, daß wir, die das Sakrament empfangen, uns jetzt von der göttlichen Substanz selbst nähren. Der Substanzbegriff tritt also mit gewaltiger Wirkung ins Leben, wenn man einmal zugibt, daß die Substanz sich von ihren Attributen trennen und diese verändern kann. Das ist die einzige pragmatische Anwendung des Substanzbegriffes, die ich kenne und es ist klar, daß dies nur von denjenigen ernst genommen wird, die aus anderen Gründen bereits an die wirkliche Gegenwart Christi in der Hostie glauben.

Die  materielle Substanz  ist von BERKELEY der Kritik unterzogen worden und zwar mit so durchschlagender Wirkung, daß sein Name auf die ganze spätere Philosophie mächtig gewirkt hat. BERKELEYs Behandlung des Begriffs der Materie ist so bekannt, daß man nur daran zu erinnern braucht. BERKELEY hat die äußere Welt, die wir kennen, keineswegs geleugnet, er hat ihr vielmehr einen festen Halt gegeben. Der scholastische Begriff einer uns unzugänglichen materialen Welt, die  hinter  der äußeren Welt ist, ursprünglicher und wirklicher als diese und unumgänglich notwendig als deren Träger, von diesem Begriff behauptete BERKELEY, daß er das wirksamste Mittel sei, um die äußere Welt als unwirklich hinzustellen. Vernichtet diese Substanz, sagte er, glaubet vielmehr, daß Gott, den ihr verstehen und dem ihr euch nähern könnt, für euch die unmittelbare Quelle der sinnlichen Welt ist und damit befestigt ihr sie und gebt ihr durch seine göttliche Autorität einen Halt. BERKELEYs Kritik der Materie war somit durchaus pragmatisch. Was wir von der Materie wissen, das sind unsere Wahrnehmungen von Farbe, Gestalt, Härte und dergleichen. Diese bilden den Barwert des Begriffes. Sein und Nichtsein der Materie bedeutet für uns keinen anderen Unterschied, als daß wir solche Wahrnehmungen erleben oder nicht erleben. Diese Wahrnehmungen machen die ganze Bedeutung der Materie aus. BERKELEY leugnet also die Materie nicht, er sagt uns nur, woraus sie besteht. Es ist eine richtige Bezeichnung für unsere Wahrnehmungsinhalte.

LOCKE und später HUME übten in ähnlicher Weise pragmatische Kritik am Begriff einer  geistigen Substanz. Ich will nur LOCKEs Darstellung der "persönlichen Identität" anführen. Er führte den Begriff sofort auf seinen pragmatischen Wert zurück, indem er die Sprache der Erfahrung redet. Persönliche Identität, sagt er, bedeutet so viel als Selbstbewußtsein, d. h. die Tatsache, daß wir in einem Augenblick des Lebens uns an andere Augenblicke erinnern und daß wir alle diese Augenblicke als Teile einer und derselben persönlichen Ereignisreihe empfinden. Der Rationalismus hat diese in unserem Leben praktisch wirksame Kontinuität durch die Einheit unserer Seelensubstanz erklärt. Aber LOCKE sagt: "Angenommen, Gott nähme das Bewußtsein weg, würde uns da das Seelenprinzip etwas nützen? Nehmen wir an, er knüpfe dasselbe Bewußtsein an verschiedene Seelen, würden wir dabei etwas verlieren?" In LOCKEs Tagen war die Seele hauptsächlich ein Gegenstand der Belohnung und der Strafe. Hören Sie nun, wie LOCKE, indem er die Frage von diesem Standpunkt aus erörtert, das Problem pragmatisch auffaßt: "Nehmen wir an", sagt er, "jemand fasse den Gedanken, daß seine Seele dieselbe ist, die einst NESTOR oder THERSITES war. Kann er etwa ihre Handlungen in höherem Grad als seine Kollegen vorstellen als diejenigen irgendeiner anderen Person, die jemals gelebt hat? Denken wir uns aber, er erlebt in seinem Bewußtsein irgend eine von NESTORs Taten, dann ist seine Person mit der NESTORs identisch. Auf diese persönliche Identität gründet sich das ganze Recht und die Gerechtigkeit in bezug auf Lohn und Strafe. Es ist gewiß vernünftig, zu glauben, daß niemand verantwortlich gemacht werden kann für das, wovon er nichts weiß, sondern daß er sein Urteil empfangen wird, je nachdem ihn sein Bewußtsein anklagt oder entlastet. Würde nun ein Mensch für das gestraft, was er in einem anderen Leben begangen hat, also für etwas, wovon er kein Bewußtsein haben kann, dann bedeutet ja diese Bestrafung für ihn nichts anderes, als daß er gleich bei der Geburt zur Verdammnis bestimmt war."

Unsere persönliche Identität besteht also für LOCKE einzig und allein in pragmatisch verifizierbaren Erlebnissen. Ob sie, abgesehen von diesen verifizierbaren Tatsachen, auch noch einer geistigen Substanz inhäriert, ist höchstens eine interessante Spekulation. LOCKE war ein Mann von Kompromissen und hat deshalb den Glauben an eine substantielle Seele, die hinter unserem Bewußtsein steht, passiv gelten lassen. Aber sein Nachfolger HUME und die meisten empirischen Pychologen nach ihm haben die Seele geleugnet und sie nur als Namen für verifizierbare Zusammenhänge in unserem Seelenleben gelten lassen. Sie steigen damit hinab in den Strom der Erfahrung und wechseln den Seelenbegriff gleichsam um in die kleine Münze der Vorstellungen und ihrer gegenseitigen Verbindungen. Der Seelenbegriff ist in diesem Umfang gut und wahr, aber nicht darüber hinaus, genau so, wie ich dies von BERKELEYs Materie gesagt habe.

Die Erwähnung der materiellen Substanz erinnert naturgemäß an die Lehre des "Materialismus". Allein der philosophische Materialismus ist durchaus nicht unlöslich verknüpft mit dem Glauben an die Materie als metaphysisches Prinzip. Man kann die Materie so entschieden leugnen wie BERKELEY, man kann Phänomenalist sein wie HUXLEY und dabei doch Materialist sein, in dem weiteren Sinn, daß man die höheren Phänomene durch die niederen erklärt und die Geschicke der Welt durch ihre blinden Teile und ihre blinden Kräfte bestimmen läßt. In diesem weiteren Sinn bildet der Materialismus einen Gegensatz zu Spiritualismus und Theismus. Die physikalischen Gesetze, sagt der Materialismus, sind es, die den Lauf der Welt bestimmen. Die höchsten Hervorbringungen des menschlichen Genius könnten von dem, der mit den Tatsachen vollständig bekannt wäre, aufgrund ihrer physiologischen Bedingungen ausgerechnet werden, ganz ohne Rücksicht darauf, ob die Natur, wie die Idealisten sagen, nur für unseren Geist da ist. Unser Geist müßte in jedem Fall die Natur darstellen, wie sie ist und konstatieren, daß nur die blinden physischen Kräfte in ihr wirksam sind. Das ist der wesentliche Charakterzug des heutigen Materialismus, der darum besser Naturalismus heißen sollte. Ihm gegenüber steht der Theismus oder was man im weiteren Sinne Spiritualismus nennen könnte. Der Spiritualismus sagt, daß der Geist nicht nur Zeuge und Berichterstatter des Weltlaufs ist, sondern daß er auch tätig in denselben eingreift, indem die Welt nicht durch ihr niedrigeres, sondern durch ihr höheres Element geleitet wird.

So wie die Frage oft behandelt wird, ist sie kaum mehr als ein Kampf zwischen ästhetischen Bevorzugungen. Die Materie ist grobschlächtig, plump, derb, schmutzig; der Geist ist rein, erhaben, vornehm. Da es nun der Würde des Universums mehr entspricht, die erste Rolle dem höheren Prinzip zuzuteilen, so muß eben der Geist das herrschende Prinzip sein. Der große Fehler des Rationalismus besteht darin, daß er abstrakte Prinzipien als ein Letztes ansieht, in dessen bewundernder Betrachtung unser Intellekt rührend verweilen mag. Der Spiritualisms ist oft nichts anderes, als ein Zustand der Bewunderung für die eine und ein Zustand der Abneigung für eine andere Art von Abstraktionen. Ich erinnere mich, wie ein angesehener Professor der Spiritualist war, den Materialismus eine Kot-Philosophie nannte und ihn damit widerlegt zu haben glaubte.

Auf einen derartigen Spiritualismus gibt es eine leichte Erwiderung und SPENCER gibt sie in wirkungsvoller Weise. Auf einigen gut beschriebenen Seiten um Ende des ersten Bandes seiner Psychologie zeigt er, daß eine Materie, die so unendlich kompliziert ist, die so unbegreiflich schnell und so feine Bewegungen vollzieht, wie sie die moderne Naturwissenschaft bei ihren Erklärungen voraussetzt, daß eine solche Materie nichts Grobschlächtiges mehr an sich hat. Er zeigt ferner, daß der Geistesbegriff, wie wir Menschen ihn bis jetzt gebildet haben, viel zu plump ist, als daß er den Naturtatsachen in ihrer so ausgesuchten Feinheit gerecht werden könnte. Beide Begriffe, sagt er, sind nur Symbole und weisen auf die eine unerkennbare Wirklichkeit hin, wo ihr Gegensatz aufhört.

Auf eine abstrakte Einwendung genügt eine abstrakte Erwiderung und insofern unser Widerstreben gegen den Materialismus aus unserer Verachtung der "derben" Materie entspringt, hat HERBERT SPENCER diesem Argument vollständig den Boden entzogen. Die Materie ist wirklich von unendlich und unglaublich feiner Struktur. Wer einmal in das Antlitz eines eben gestorbenen Kindes oder Vaters geblickt hat, für den sollte die Materie immer etwas Heiliges sein, weil sie auf eine Zeitlang diese wundervolle Gestalt hat annehmen können. Mag das Prinzip des Lebens selbst materiell oder immateriell sein, die Materie wirkt jedenfalls mit und hilft die Zwecke des Lebens erfüllen. Dieses fleischgewordene Wesen, das wir so liebten, es war doch auch eine mögliche Gestaltungsform der Materie.

Jetzt aber wollen wir, anstatt beim abgestandenen Verfahren der Intellektualisten stehen zu bleiben, die pragmatische Methode auf die Frage anwenden: Was verstehen wir unter Materie? Welche praktische Unterschied ergibt sich für uns daraus, daß der Weltlauf durch die Materie oder durch den Geist bestimmt wird? Ich glaube, das Problem bekommt durch diese Fragestellung einen ganz anderen Charakter.

Zunächst will ich Ihre Aufmerksamkeit auf eine interessante Tatsache hinlenken. Soweit die  Vergangenheit  der Welt in Betracht kommt, macht es nicht ein Jota Unterschied, ob wir sie als Werk der Materie betrachten oder ob wir glauben, daß ein göttlicher Geist ihr Urheber war.

Stellen Sie sich vor, der gesamte Inhalt der Welt sei ein für allemal gegeben. Stellen Sie sich vor, die Welt sei in diesem Augenblick zu Ende und habe keine Zukunft und nun lassen Sie einen Theisten und einen Materialisten ihre rivalisierenden Erklärungen auf ihre Geschichte anwenden.

Der Theist zeigt, wie ein Gott sie geschaffen hat und der Materialist zeigt, - wir wollen annehmen, mit gleichem Erfolg - wie die Welt das Ergebnis blinder physikalischer Kräfte ist. Dann soll der Pragmatist aufgefordert werden, zwischen den beiden Theorien zu wählen. Wie kann er seine Prüfungsmethode anwenden, wenn die Welt schon zu Ende ist? Begriffe sind für ihn dazu da, um mit ihrer Hilfe an die Erfahrung heranzutreten, sie sind dazu da, damit wir nach praktischen Unterschieden suchen. Aber nach unserer Voraussetzung soll es ja keine Erfahrung und keine praktischen Unterschiede mehr geben. Beide Theorien haben bereits gezeigt, was aus ihnen folgt und sind aufgrund der Voraussetzung, die wir machen, identisch. Der Pragmatist müßte folgerecht sagen, daß die beiden Theorien trotz ihrer so verschieden klingenden Namen genau dasselbe bedeuten und daß ihr Streit ein bloßer Wortstreit ist. (Ich setze natürlich voraus, daß beide Theorien in der Erklärung dessen, was ist, gleich erfolgreich waren.)

Erwägen Sie bitte die Sache einmal und sagen Sie ganz aufrichtig, was für einen  Wert  ein Gott hätte, wenn er da  wäre,  jetzt wo sein Werk vollendet und seine Welt abgelaufen ist. Er wäre genau soviel wert, als die Welt wert ist. Seine schöpferische Kraft konnte diese Summe von Ergebnissen mit all ihren Vorzügen und Mängeln erreichen, konnte aber keinen Schritt weiter gehen. Da es nun keine Zukunft geben soll, da der ganze Wert und die ganze Bedeutung der Welt in den Gefühlen, die den vergangenen Weltlauf und sein eben sich vollziehendes Ende begleiteten vollständig aufgegangen und verwirklicht wäre, da dieser Wert und diese Bedeutung durch die Aufgabe, etwas Kommendes vorzubereiten, keinerlei Erweiterung erfahren können, so müssen wir Gott mit dem Maßstab der vollendeten Welt messen. Er ist das Wesen, das ein für allemal dieses leisten konnte; und für soviel sind wir ihm dankbar, aber für nicht mehr. Wenn nun aufgrund der entgegengesetzten Hypothese die Teile der Materie, indem sie ihren Gesetzen folgten, diese Welt schaffen und ebensoviel leisten konnten, sollten wir ihnen nicht ebenso dankbar sein? Was würden wir verlieren, wenn wir Gott als Hypothese fallen ließen und die Materie allein verantwortlich machten? Wo wäre das Tote und das Derbe der Materie zu finden? Und wie könnte, wenn die Erfahrung einmal abgeschlossen ist, das Vorhandensein Gottes irgendetwas lebendiger und reicher erscheinen lassen?

Offen gestanden, es ist unmöglich, auf diese Frage zu antworten. Die Welt der wirklichen Erfahrung ist der Voraussetzung nach aufgrund beiden Hypothesen dieselbe, "dieselbe für unser Lob, für unseren Tadel", wie BROWNING sagt. Die Welt steht unwiderruflich da, ein Geschenk, das nicht zurückgenommen werden kann. Nennen wir die Ursache der Welt Materie, so nehmen wir ihr damit keinen einzigen ihrer Bestandteile und wir vermehren ihren Reichtum nicht, wenn wir ihre Ursache Gott nennen. Es ist der Gott oder es sind die Atome von eben dieser und keiner anderen Welt. Der Gott hat, wenn er da ist, ebenso viel geleistet, wie die Atome leisten können und hat ebenso viel Dank verdient, wie die Atome und nicht mehr. Wenn seine Gegenwart dem Schauspiel keine andere Wendung oder keinen anderen Ausgang geben kann, so kann sie auch dessen Erhabenheit nicht vermehren. Ebensowenig kann das Schauspiel an Erhabenheit verlieren, wenn Gott nicht da ist und wenn die Atome allein auf der Bühne agieren.

Wenn also für die Zukunft keine bestimmte Erfahrung oder Handlungsweise aus unseren Hypothesen abgeleitet werden kann, so wird der Streit zwischen Materialismus und Theismus ganz müßig und bedeutungslos. Materie und Gott bedeuten in diesem Fall genau dasselbe, nämlich nicht mehr und nicht weniger, als diejenige Macht, welche diese jetzt vollendete Welt schaffen konnte und der weise Mann ist derjenige, der in einem solchen Fall so überflüssigen Erörterungen den Rücken kehrt. Demgemäß wollen die meisten Menschen instinktiv - die Positivisten und Naturforscher mit vollem Bewußtsein - von philosophischen Streitigkeiten nichts wissen, aus denen sich keine Konsequenzen für die Zukunft zu ergeben scheinen. Der Vorwurf, daß die Philosophie nur eine inhaltlose Wortwissenschaft sei, ist einer, den wir nur zu oft hören. Wenn der Pragmatismus recht hat, so ist es ein durchaus gesunder Vorwurf, wenn sich nicht zeigen läßt, daß die im Streit befindlichen Theorien irgendwelche, wenn auch nur minimale und fernliegende praktische Konsequenzen haben. Der gemeine Mann und der Naturforscher sagen, sie könnten keine solchen Konsequenzen entdecken und wenn der Metaphysiker auch keine finden kann, so sind die andern gegen ihn entschieden im Recht. Seine Wissenschaft ist dann nichts als eine wichtigtuende Spielerei und die Systemisierung von Lehrstühlen für solche Individuen wäre eine Albernheit.

Jeder metaphysische Streit muß demnach irgendeine, wenn auch nur wahrscheinliche und fernliegend, aber doch vorhandene praktische Konsequenz in sich enthalten. Um das zu begreifen, wollen wir zu unserer Frage zurückkehren. Versetzen Sie sich jetzt in die Welt, in der wir leben, in die Welt, die eine  Zukunft hat,  die, während wir sprechen, noch nicht vollendet ist. In dieser noch nicht zu Ende gegangenen Welt bekommt die Alternative "Materialismus oder Theismus" eine eminent praktische Bedeutung. Es ist wohl der Mühe wert, wenn wir einige Minuten von unserer Stunde darauf verwenden, um das einzusehen.

Welcher Unterschied ergibt sich für unseren Lebensplan, je nachdem wir annehmen, daß die Tatsachen der Erfahrung zwecklose Gruppierungen blinder Atome sind, die sich nach ewigen Gesetzen bewegen oder glauben, daß diese Tatsachen auf die Vorsehung Gottes zurückzuführen sind. Soweit die Vergangenheit in Betracht kommt, ist kein Unterschied. Diese Tatsachen sind da, sind eingesackt und geborgen; das Gute, das sie enthalten, ist errungen, mögen nun die Atome oder mag Gott ihre Ursache sein. Deshalb versuchen viele Materialisten der Gegenwart, die die Zukunft und die praktische Seite der Frage ganz verkennen, das Odium [der Makel - wp], das sich an das Wort Materialismus knüpft und das Wort selbst zu eliminieren. Sie weisen darauf hin, daß die Materie, wenn sie all diese Errungenschaften hervorbringen konnte, funktionell betrachtet, ein ebenso göttliches Wesen ist wie Gott, daß sie tatsächlich mit Gott in eins verschmilzt, daß sie das ist, was wir unter Gott verstehen. Lassen wir also, so lautet ihr Vorschlag, diese beiden Ausdrücke mit ihren veralteten Gegensatz. Gebrauchen wir ein Wort, das einerseits keinen theologischen Beigeschmack hat, andererseits aber auch nicht den Grundgedanken der Grobschlächtigkeit, Plumpheit und Niedrigkeit nahe legt. Anstatt die Worte Gott oder Materie zu brauchen, wollen wir lieber von einem ersten Geheimnis, von einer unerkennbaren Energie, von der einen und einzigen Urkraft sprechen. Das ist der Weg, auf den SPENCER uns führt und wenn die Philosophie nur rückblickend wäre, so würde er sich damit als vortrefflicher Pragmatist dokumentieren.

Die Philosophie ist aber nicht nur rückblickend, sie schaut auch vorwärts. Nachdem sie herausgefunden hat, was die Welt war, was sie geleistet und was sie uns gegeben hat, stellt sie die weitere Frage: Was  verheißt  die Welt? Gebt uns eine Materie, die  Erfolg  verheißt, eine Materie, die durch ihre Gesetze gezwungen ist, die Welt der Vollendung immer näher zu bringen und jeder vernünftige Mensch wird diese Materie göttlich verehren, so wie SPENCER seine "unerkennbare Macht" verehrt. Diese Kraft hat nicht nur bisher für Rechtschaffenheit gewirkt, sondern wird auch weiter für Rechtschaffenheit wirken und das ist alles, was wir brauchen. Wenn die Materie praktisch alles leistet, was ein Gott leistet, dann ist sie mit Gott gleichwertig, ihre Funktion ist die Funktion eines Gottes. In einer solchen Welt wäre Gott überflüssig und niemand könnte darin einen Gott vermissen. "Kosmisches Gefühl" wäre dann der richtige Name für Religion.

Ist aber, so frage ich, die Materie, die Trägerin von SPENCERs Prozeß der Weltentwicklung, wirklich ein solches Prinzip, das ohne Ende der Vollkommenheit zustrebt? Das ist sie nicht; denn das künftige Ende jedes kosmisch entwickelten Dinges oder Systems von Dingen ist, so prophezeit die Naturwissenschaft, tragischer Tod. Und SPENCER, der nur die ästhetische und nicht die praktische Seite der Kontroverse berücksichtigt, hat nichts dazu beigetragen, uns von dieser traurigen Gewißheit zu befreien. Wenden wir nun unser Prinzip der praktischen Ergebnisse an und wir werden sehen, wie die Frage "Materialismus oder Theismus" sofort lebendige Bedeutung gewinnt.

Theismus und Materialismus machen zwar retrospektiv genommen [rückschauend betrachtet - wp] keinen Unterschied, weisen aber, wenn man vorwärtsschaut, auf ganz verschiedene Ausblicke der Erfahrung hin. Denn die Gesetze der Andersverteilung von Materie und Bewegung, denen wir alle guten Stunden, die unsere Organisation uns gegönnt hat und alle Ideale, die unser Geist bildet, zu danken haben, diese Gesetze müssen gemäß den Gesetzen der mechanischen Entwicklung mit Naturnotwendigkeit das, was sie geschaffen haben, wieder zerstören und alles, was sie entwickeln ließen, wieder vernichten. Sie kennen alle das Bild des Weltenendes, das die evolutionistische Naturwissenschaft vorhersieht. Ich kann es nicht besser schildern, als mit den Worten BALFOURs (2)

"Die Energien unseres Planetensystems werden vergehen, die Herrlichkeit der Sonne wird verdunkelt werden und die Erde, ohne Gezeiten und ohne Bewegung, wird das Geschlecht, das einen Augenblick lang ihre Einsamkeit gestört hat, nicht mehr tragen können. Der Mensch wird in die Grube fahren und alle seine Gedanken werden vergehen. Das unruhvolle Bewußtsein, das für eine kurze Zeit das zufriedene Schweigen des Universums gebrochen hat, wird zur Ruhe kommen. Die Materie wird sich selbst nicht mehr kennen. "Unvergängliche Denkmäler" und "unsterbliche Taten", ja selbst der Tod und die Liebe, die stärker ist als der Tod, werden sein, als wären sie nie gewesen. Und all das, was der Mensch durch seine Arbeit, sein Genie, seine Andacht und sein Leiden in unzähligen Altern hervorzubringen sich abmühte, all das wird nicht imstande sein, das, was dann sein wird, besser oder schlechter zu machen."

Ja, in dem gewaltigen Wettersturm der Welt mag sich wohl manch köstliches Gestade zeigen, manch zauberischer Wolkenberg mag vorüberziehen und lang verweilen, ehe er zerfließt - wie ja zu unserer Freude auch jetzt die Welt mit uns verweilt. Daß aber dann, wenn diese Erzeugnisse des Augenblicks vergangen sind, nichts, gar nichts davon zurückbleibt, nichts, woran diese besonderen Eigenschaften, nichts woran all das Köstliche haften könnte, das diese Erzeugnisse vielleicht in sich trugen, das ist das, was uns quält. Tot und verschwunden ist all das Hervorgebrachte, gänzlich verschwunden aus der Sphäre, aus dem Gebiet des Seienden: ohne Nachklang, ohne Erinnerung, ohne die Möglichkeit, auf das, was nachher kommt, einzuwirken, daß es dieselben Ideale pflege. Dieser endgültige Schiffbruch, dieser tragische Untergang gehört zum Wesen des naturwissenschaftlichen Materialismus, wie man ihn jetzt auffaßt. Im einzigen Entwicklungskreis, den wir klar übersehen können, sind es die niedrigeren und nicht die höheren Kräfte, die ewig bleiben und endgültig überleben. SPENCER glaubt dies ebenso, wie jeder andere, aber er hat keinen Grund, mit uns zu streiten, denn wir machen ja keine albernen ästhetischen Einwände gegen die "Grobschlächtigkeit" der Prinzipien seiner Philosophie, gegen "Materie und Bewegung". Das, was uns verstimmt, ist vielmehr die Trostlosigkeit seiner letzten praktischen Ergebnisse.

Der wahre Einwand gegen den Materialismus ist nicht ein positiver, sondern ein negativer. Es wäre lächerlich, sich heute über die Grobschlächtigkeit des Materialismus zu beklagen. Wir beklagen uns vielmehr über das, was er  nicht  bietet. Und das ist die Gewähr der Dauer für unsere idealen Interessen und die Erfüllung unserer letzten Hoffnungen.

Der Gottesbegriff nun kann sich zwar an Wahrheit mit den mathematischen Begriffen, wie sie der mechanistischen Philosophie geläufig sind, nicht messen, allein er hat vor ihnen den praktischen Vorzug voraus, daß er eine ideale Weltordnung gewährleistet, die dauernd erhalten bleiben soll. Eine Welt, in der ein Gott das letzte Wort zu sprechen hat, kann wohl auch verbrennen oder erfrieren, aber wir denken dann, daß  Er  auf die alten Ideale achtet und sie gewiß an irgendeinem anderen Ort zu Ehren bringen wird. Wo  Er  ist, da ist die Tragödie nur vorübergehend und nie vollständig, da sind Schiffbruch und Vernichtung nicht die unbedingt letzten Dinge. Das Bedürfnis nach einer ewigen sittlichen Weltordnung ist eines unserer tiefsten Herzensbedürfnisse. Dichter wie DANTE und WORDSWORTH, die in dem festen Glauben an eine solche Weltordnung leben, verdanken dieser Tatsache die Spannkraft und das Trostbringen in ihren Versen. Die wahre Bedeutung von Materialismus und Spiritualismus liegt also nicht in haarspalterischen Abstraktionen über das innere Wesen der Materie oder über die metaphysischen Attribute Gottes. Sie liegt vielmehr im beiderseits so ganz verschiedenen Appell an unser Gefühl und an unsere Handlungsweise, in der verschiedenen Gestaltung unserer Hoffnungen und Erwartungen und in all den fein verästelten Folgeerscheinungen, die diese Unterschiede mit sich bringen. Der Materialismus leugnet einfach, daß die sittliche Weltordnung ewig ist und schneidet unsere Hoffnungen ab, der Spiritualismus bejaht die ewige sittliche Weltordnung und gibt unseren Hoffnungen freien Spielraum. Für jeden, der ein Herz hat zu fühlen, liegt hier ein echtes Problem vor und so lange die Menschen Menschen sind, wird es Stoff geben zu ernster philosophischer Auseinandersetzung.

Aber vielleicht vereinigen sich trotzdem einige von Ihnen zur Verteidigung der Verächter der Philosophie. Man kann zugeben, daß der Materialismus und der Spiritualismus über die Zukunft der Welt verschiedene Aussagen machen, dabei aber doch über diesen Unterschied die Achsel zucken, da er sich auf etwas so weit Entferntes beziehe und für einen praktisch gesunden Geist ganz bedeutungslos sein. Das Wesen des gesunden Verstandes, so kann man behaupten, besteht darin, sich nähere Ziele zu setzen und sich um solche Chimären, wie das letzte Ende der Welt, nicht zu kümmern. Darauf kann ich nur antworten, daß, wer so spricht, der menschlichen Natur unrecht tut. Religiöse Melancholie ist nicht damit abgetan, daß man das Wort "Ungesund" hinausschmettert. Die absoluten, die letzten, die übergreifenden Dinge sind das, worum sich der wahre Philosoph kümmert; alle höher veranlagten Geister nehmen diese Dinge ernst und der Geist mit den nächsten Zielen ist eben der Geist des oberflächlichen, des seichten Menschen.

Die letzten Tatsachen, um die es sich bei diesem Streit handelt, werden freilich heute noch unklar genug vorgestellt. Allein der Glaube an geistige Wesen in all seinen Formen hat es immer mit einer Welt der  Verheißung  zu tun, während die Sonne des Materialismus in einem Meer der Enttäuschung untergeht. Erinnern Sie sich, was ich vom Absoluten sagte: Es gewährleistet moralische Ferien. Dies tut auch jede religiöse Anschauung. Sie regt uns nicht bloß an in den Momenten unserer Kraft, sondern läßt auch unsere frohmütigen, sorglosen, vertrauensseligen Augenblicke gelten und rechtfertigt sie. Der Hintergrund dieser Rechtfertigung bleibt dabei allerdings recht verschwommen. Die deutlichen Züge der erlösenden Zukunft, die unser Glaube an Gott uns in sichere Aussicht stellt, werden mit den unbegrenzten Methoden der Wissenschaften herausgearbeitet werden müssen; wir können Gott nur erforschen, indem wir seine Schöpfung erforschen.

Aber  genießen  können wir unseren Gott, wenn wir einen haben, auch ehe diese Forscherarbeit getan ist. Ich selbst glaube, daß der Beweis für Gott ursprünglich in inneren persönlichen Erfahrungen zu suchen ist. Wenn diese uns einmal unseren Gott gegeben haben, dann bedeutet sein Name zum mindesten die Wohltat moralischer Ferien. Sie erinnern sich, was ich gestern über die Art sagte, wie die Wahrheiten aneinander geraten, wie sie versuchen, einander "unterzukriegen". Die Wahrheit "Gott" muß mit allen unseren Wahrheiten und diese müssen sich an Gott erproben. Unsere endgültige Meinung über Gott kann erst festgestellt werden, wenn die Wahrheiten alle miteinander festgelegt sind. Wir wollen hoffen, daß sich ein modus vivendi herstellen läßt.

Lassen Sie mich zu einem verwandten Problem übergehen, zu der Frage nach dem  Zweck in der Natur.  Seit undenklichen Zeiten hat man daran festgehalten, daß die Existenz Gottes durch gewisse Tatsachen in der Natur bewiesen sei. Viele Tatsachen erscheinen so, als wären sie ausdrücklich für einander abgezweckt. Der Schnabel, die Zunge, die Füße, der Schweif des Spechtes sind wunderbar angepaßt für das Leben in einer Welt von Bäumen, in deren Rinde Raupen versteckt sind, von denen er sich nährt. Die Teile unseres Auges sind den Gesetzen des Lichts vollkommen angepaßt, das seine Strahlen zu einem deutlichen Bild auf unserer Netzhaut konzentriert. Solche gegenseitige Anpassung von Dingen verschiedenen Ursprungs ließ, so war man überzeugt, auf Abzweckung schließen. Und der Abzwecker wurde immer als eine menschenfreundliche Gottheit betrachtet.

Der erste Schritt in diesem Beweisverfahren war der, darzutun, daß die Abzweckung tatsächlich vorhanden war. Man forschte in der Natur nach Ergebnissen, die durch die gegenseitige Anpassung verschiedener Dinge erreicht wurden. Unsere Augen z. B. haben ihren Ursprung in der Dunkelheit des Mutterleibes und das Licht hat seinen Ursprung in der Sonne. Und doch, wie wunderbar sind beide einander angepaßt. Sie sind offenbar  für einander  geschaffen. Der Akt des Sehens ist der beabsichtigte Zweck, Licht und Auge die verschiedenen Mittel, die ausgedacht sind, um diesen Zweck zu verwirklichen.

Wenn man bedenkt, daß bei unseren Vorfahren in der Schätzung der Beweiskraft dieses Arguments volle Übereinstimmung herrschte, so berührt es eigentümlich, wenn wir sehen, wie es seit dem Triumpf der DARWINschen Theorie alle Geltung verloren hat. DARWIN hat unserem Geist die Macht des Zufalls erschlossen, der "Anpassungen" hervorbringt, wenn diese nur Zeit haben, sich zu summieren. Er wies auf die ungeheure Verschwendung der Natur hin, die Ergebnisse hervorbringt, die, weil sie nicht angepaßt sind, vernichtet werden. Er betonte auch die große Zahl der Anpassungen, die, wenn sie beabsichtigt wären, eher auf einen bösen, als auf einen guten Planmacher schließen lassen würden. Hier kommt es ganz auf den Standpunkt an. Die Raupe unter der Baumrinde würde aus der vollendeten Anpassung der Organe des Spechts, die ihn so geschickt macht, sie hervorzuziehen, zweifellos auf einen teuflischen Planmacher schließen.

Die Theologen haben heute ihre Denkweise so umgeformt, daß sie die Tatsachen DARWINs einbeziehen, dieselben aber doch so deuten, daß sich ein göttlicher Plan darin offenbart. Man pflegte die Frage zuzuspitzen: Zweck oder Mechanismus, das eine  oder  das andere. Es war so, als ob jemand sagte: "Meine Schuhe sind zweifellos in der Absicht gemacht worden, daß sie für meine Füße passen, also können sie nicht durch Maschinen hervorgebracht sein." Wir wissen, daß sie beides sind; sie sind durch mechanische Vorrichtungen erzeugt, die selbst in der Absicht erfunden wurden, passende Schuhe für die Füße zu produzieren. Die Theologen brauchen nur in ähnlicher Weise die Pläne Gottes zu erweitern. Das Ziel einer Partei im Fußballspiel ist nicht bloß, den Ball in ein bestimmtes Tor (goal) hineinzutreiben (wenn das so wäre, könnten sie ja in einer dunklen Nacht aufstehen und ihn hineinlegen), sondern in hineinzutreiben mittels eines festgelegten Mechanismus von Bedingungen, ich meine die Spielregeln und die Gegenpartei. Ebenso, könnten wir sagen, ist das Ziel Gottes nicht nur, die Menschen zu schaffen und zu erlösen, sondern er will, daß dies durch die Tätigkeit des ungeheuren Mechanismus der Natur sich von selbst vollziehe. Ohne die staunenswerten Gesetze und Gegenwirkungen der Natur wäre die Schöpfung und Vollendung des Menschen ein viel zu einfaches Vollbringen, als daß Gott es geplant haben könnte.

So läßt sich die Form des Zweckarguments aufrecht erhalten, indem man den oberflächlich antropomorphischen Inhalt desselben aufgibt. Der Urheber ist nicht mehr der alte Mann, dem der frühere Gott ähnlich sah. Seine Zwecke sind jetzt so ins Riesenhafte geweitet, daß sie für uns Menschen unfaßbar sind. Ihr Inhalt überwältigt uns derart, daß im Vergleich dazu das bloße Konstatieren eines Urhebers nur von geringer Bedeutung sein kann. Wir können nur schwer die Eigenart eines Weltgeistes erfassen, dessen Zwecke durch die seltsame Mischung von Gütern und Übeln, wie wir sie in der wirklichen Welt finden, vollständig offenbar werden sollen oder richtiger gesagt, es ist gar keine Möglichkeit vorhanden, diesen Weltgeist zu erfassen. Das bloße Wort "Zweck" hat keine Bedeutung und erklärt nichts. Es ist das inhaltsleerste aller Prinzipien. Die alte Frage, ob es einen Zweck gibt, ist müßig. Die wirkliche Frage lautet: "Was  ist  die Welt? mag sie nun einen Urheber haben oder nicht. Diese Frage kann aber nur durch die Erforschung der Natur im einzelnen beantwortet werden.

Bedenken Sie, daß, was auch immer die Natur hervorgebracht haben oder hervorbringen mag, die Mittel immer die entsprechenden, immer für diese Hervorbringung angepaßt gewesen sein müssen. Der Schluß von der Anpassung auf den Zweck würde sich immer anwenden lassen, wie immer das Hervorgebrachte geartet ist. Der Ausbruch des Mont-Pélée z. B., der unlängst stattfand, brauchte die ganze vorhergehende Geschichte, um eben diese Kombination von eingestürzten Häusern, menschlichen und tierischen Leichen, versunkenen Schiffen, vulkanischer Asche usw. in dieser schauervollen Vereinigung hervorzubringen. Frankreich mußte ein Staat sein und Martinique kolonisieren. Unser Land mußte da sein und unsere Schiffe hinsenden. Wenn Gott dieses Ergebnis beabsichtigte, dann ist die Art und Weise, wie die Jahrhunderte ihren Einfluß in dieser Richtung betätigt haben, ein Beweis besonders hoher Intelligenz. Und dasselbe gilt von jedem Zustand der Dinge, den wir in Natur und Geschichte tatsächlich verwirklicht finden. Denn die Teilvorgänge müssen immer ein bestimmtes Resultat ergeben, mag dieses nun chaotisch oder harmonisch sein. Wenn wir auf das hinblicken, was wirklich eingetreten ist, so muß es scheinen, als wären die Bedingungen vortrefflich ausgedacht, um dieses Ergebnis sicher zu stellen. Wir können es also in Bezug auf jede vorstellbare Welt, deren Beschaffenheit vorstellbar ist, als  möglich  hinstellen, daß der ganze kosmische Mechanismus zu dem Zweck ausgedacht ist, um eben diese Welt hervorzubringen.

Pragmatisch betrachtet ist also das abstrakte Wort "Zweck" eine leere Schablone. Es enthält keine Konsequenzen, es leistet keine Arbeit. Was für einen Zweck? uns was für ein Abzwecker? sind hier die einzigen ernst zu nehmenden Fragen und das Studium der Tatsachen ist die einzige Art, um auch nur annähernd richtige Antworten zu bekommen. Lassen wir aber diese langsam sich einstellenden Antworten aus den Tatsachen einstweilen auf sich beruhen, so können wir, wenn wir an einem planvollen Urheber festhalten und überzeugt sind, daß es ein göttlicher ist, dennoch durch den Begriff eine pragmatische Förderung gewinnen. Es ist tatsächlich dieselbe, die, wie wir gesehen haben, die Begriffe Gott, Geist, das Absolute uns bieten. Der Begriff "Zweck" ist zwar als bloß rationalistisches Prinzip, das über oder hinter den Dingen ruht, auf daß wir bewundernd zu ihm aufblicken, ganz wertlos; wenn aber unser Glaube den Zweck zu einem Gott verdichtet, so wird dieser Begriff ein Wort der  Verheißung.  Kehren wir damit zur Erfahrung zurück, so können wir vertrauensvoller in die Zukunft blicken. Wenn eine sehende und nicht eine blinde Kraft den Lauf der Welt bestimmt, so können wir vernünftigerweise einen besseren Endausgang erwarten. Dieses verschwommene Vertrauen auf die Zukunft ist die einzige pragmatische Bedeutung, die sich in den Begriffen Zweck und Abzwecker erkennen läßt. Wenn aber das Vertrauen zur Welt etwas Rechtes und nicht etwas Unrechtes, wenn es etwas Gutes und nicht etwas Schlechtes ist, so ist diese Bedeutung von hoher Wichtigkeit. Dieses Maß von Wahrheit werden also diese beiden Begriffe möglicherweise in sich enthalten.

Lassen Sie mich zu einer anderen, etwas verbrauchten Kontroverse, zum Problem des  freien Willens  übergehen. Die meisten Menschen, die an den sogenannten freien Willen glauben, tun dies nach der Art der Rationalisten. Der freie Wille soll ein Prinzip, ein reales Vermögen, eine Kraft sein, wodurch seine Würde in rätselhafter Weise erhöht wird. Aus diesem Grund  sollen  wir daran glauben. Die Deterministen, die den freien Willen leugnen, die behaupten, daß die einzelnen Menschen nichts ursprünglich aus sich hervorbringen, sondern nur der Zukunft übermitteln, was die Welt, von der sie nur ein kleiner Teil sind, in ihrer Vergangenheit an Kräften aufgespeichert hat, diese Deterministen machen den Menschen kleiner. Er ist weniger bewunderswert, wenn man ihn dieses schöpferischen Prinzips beraubt. Ich möchte meinen, daß mehr als die Hälfte von Ihnen unseren instinktiven Glauben an den freien Willen teilt und daß die Bewunderung der Willensfreiheit als eines Prinzips der Menschenwürde dabei eine große Rolle spielt.

Aber der freie Wille ist auch pragmatisch diskutiert worden, und seltsamerweise wurde ein und dieselbe pragmatische Interpretation von beiden Seiten für sich in Anspruch genommen. Sie wissen alle, welch große Rolle die Glaubwürdigkeit in ethischen Fragen spielt. Wenn man verschiedenen Leuten glauben soll, könnte man der Meinung sein, daß es die Ethik lediglich auf einen Kodex für Lohn und Strafe ankommt. Und so bleibt uns das alte gesetzliche und theologische Treibmittel, das Interesse am Verbrechen und der Sünde und der Bestrafung weiter treu. "Wen können wir verantwortlich machen? Wer ist zu bestrafen? Wen wird Gott strafen? - diese Ausschließlichkeiten hängen wie ein Alptraum über der Religionsgeschichte der Menschheit.

So haben die Anhänger des freien Willens gegen die Deterministen aufbegehrt und umgekehrt und sich gegenseitig Absurdität vorgeworfen, was anscheinend dazu führte, daß den jeweiligen Autoren weder gute noch schlechte Absichten angerechnet werden konnten. Verwirrend widersprüchlich das Ganze. Freier Wille bedeutet etwas noch nicht Dagewesenes, die Befreiung von einer Vergangenheit, die nunmehr nicht mehr gilt. Wären unsere Handlungen vorherbestimmt, würde lediglich eine Vorwärtsbewegung aus der Vergangenheit übertragen werden, wie könnten wir für das, was wir getan haben überhaupt gelobt oder getadelt werden, so die Anhänger des freien Willens? Wir sollten Handelnde sein, nicht nur Darsteller, damit uns unsere kostbare Zurechenbarkeit und Verantwortlichkeit erhalten bleibt.

Aber wo bleiben denn Zurechenbarkeit und Verantwortlichkeit, selbst wenn ein freier Wille zugestanden wird?, antworten die Deterministen. Wenn "freier Wille" eine absolute Neuheit bedeutet, dann kommt sie auch nicht von  mir, dem ursprünglichen Ich, sondern heftet sich aus dem Nichts an ein  neues Ich.  Wie kann dann das alte Ich verantwortlich sein? Wie kann ich dann einen permanenten Charakter haben, der lange genug besteht, um gelobt oder getadelt zu werden? Das Kette meiner Persönlichkeit löst sich auf in einen Wurf unverbundener Kügelchen, sobald einmal durch die verkehrte indeterministische Theorie der Faden der inneren Notwendigkeit herausgezogen ist. FULLERTON und McTAGGART haben unlängst mit diesem Argument tüchtig drauflos geschlagen.

Dieses Argument mag für den einzelnen Fall gute Dienste leisten, aber abgesehen davon ist es jämmerlich. Denn, ganz abgesehen von anderen Gründen frage ich Sie, ob nicht jeder Mann, jede Frau und jedes Kind, wenn sie nur irgendeinen Sinn für das Wirkliche haben, sich nicht schämen sollten, mit Prinzipien wie Würde und Zurechnung zu operieren. Das soziale Geschäft von Strafe und Lohn wird, darauf kann man sich verlassen, durch Instinkt und Nutzen trefflich besorgt. Wenn ein Mensch gut handelt, werden wir ihn loben, wenn er schlecht handelt, werden wir ihn strafen, ganz abgesehen von jeder theoretischen Ansicht, ob die Handlungen aus den Dispositionen entspringen, die früher in ihm vorhanden waren, oder ob sie etwas durchaus Neues sind. Es liegt eine erbärmliche Unwahrheit darin, wenn man unsere menschliche Ethik sich ganz um die Frage des "Verdienstes" drehen läßt. Gott allein kann unsere Verdienste kennen, wenn wir welche haben. Der wahre Grund, einen freien Willen anzunehmen, ist zwar pragmatisch, aber er hat nichts zu tun mit dem verächtlichen Recht zu strafen, das in früheren Erörterungen des Gegenstandes soviel Lärm gemacht hat. (3)

Pragmatisch betrachtet, bedeutet der freie Wille soviel als, daß in unserer Welt  Neues  entsteht, er bedeutet unser Recht zu erwarten, daß die Zukunft in ihren letzten Elementen sowohl als auch in den auf der Oberfläche liegenden Erscheinungen nicht eine bloße Wiederholung und Nachahmung der Vergangenheit sein wird. Nachahmung ist freilich, soweit die Masse in Betracht kommt, zweifellos vorhanden. Setzt doch jedes Naturgesetz die Gleichförmigkeit der Natur voraus. Aber vielleicht ist die Natur nur annäherungsweise gleichförmig. Wen die Kenntnis der Vergangenheit zum Pessimisten gemacht hat, wen Zweifel an der Güte der Welt beschleichen, Zweifel, die zu Gewißheiten werden müssen, wenn das Wesen der Welt ein für allemal festgelegt ist, der kann die Lehre von der Willensfreiheit willkommen heißen als eine  melioristische  [verbessernde - wp] Theorie. Aufgrund dieser Lehre ist ein Besserwerden zum mindesten möglich, während der Determinismus es als zweifellos hinstellt, daß der ganze Begriff der Möglichkeit nur der menschlichen Unwissenheit seine Entstehung verdankt und daß Notwendigkeit und Unmöglichkeit die einzigen Prinzipien sind, die das Geschick der Welt beherrschen.

Die Willensfreiheit ist demgemäß eine kosmologische Theorie der Verheißung, genau so, wie das Absolute, wie Gott, wie der Geist und der Zweckbegriff. Abstrakt genommen hat keiner dieser Begriffe einen inneren Gehalt, keiner gibt uns ein deutliches Bild. In einer Welt, die von Anfang an von zweifelloser Vollkommenheit wäre, hätte keiner dieser Begriffe irgendeinen pragmatischen Wert. Wäre die Welt nichts als ein Schlaraffenland voll Glückseligkeit, dann würde alles Interesse an solchen Spekulationen im reinen Entzücken über die Welt, im Wonnegefühl des Daseins vollständig aufgehen. Unser Interesse an einer religiösen Metaphysik entspringt der Tatsache, daß wir uns in Betreff unserer Zukunft unsicher fühlen und ein Bedürfnis nach höherer Gewährleistung haben. Wenn die Vergangenheit und die Gegenwart vollkommen gut wäre, wer könnte die Möglichkeit wünschen, daß ihnen die Zukunft nicht gleiche?

Wer könnte sich da nach einem freien Willen sehnen? Wer wollte da nicht mit HUXLEX sagen: "Man mag mich nur jeden Tag aufziehen, wie eine Uhr, die dann mit Naturnotwendigkeit gut geht und ich brauche keine andere Freiheit." In einer Welt, die schon vollkommen ist, würde "Freiheit" nichts anderes heißen, als die Freiheit,  schlechter  zu werden und wer könnte so verblendet sein, das zu wünschen? In der Welt des Optimismus würde die höchste Vollkommenheit darin bestehen, daß alles notwendigerweise das bleibt, was es ist und unmöglich etwas anderes werden kann. Die einzige Möglichkeit, die man vernünftigerweise verlangen kann, ist die Möglichkeit, daß die Dinge  besser  werden. Diese Möglichkeit zu wünschen, haben wir, ich brauche es wohl kaum zu sagen, in der Welt, wie sie wirklich ist, nur allzu reichlichen Grund.

Die Lehre von der Willensfreiheit hat also nur dann einen Sinn, wenn sie eine Theorie der Erlösung ist. Als solche hat sie ihren Platz bei den anderen religiösen Lehren. Diese bauen die alten Ruinen wieder auf und lassen die Wüste neu ergrünen.

Eingeschlossen in die Schranken der sinnlichen Erfahrung ruft unser Geist dem Türwächter Verstand zu: "Wächter, was ist die Nacht: bringt sie irgend eine Verheißung?" Und der Verstand gibt uns dann diese Worte der Verheißung.

Eine andere als diese praktische Bedeutung haben die Worte "Gott, Willensfreiheit, Zweck" überhaupt nicht. Intellektualistisch gefaßt sind sie an sich vollkommen dunkel, aber wenn wir sie in das Dickicht des Lebens hineintragen, so wird die Finsternis um uns zu hellem Licht. Wenn wir bei den Worten selbst und ihrer Definition stehen bleiben und diese als Schlußsteine des Gedankenbaues ansehen, wo sind wir dann? Wir stehen da in törichter Bewunderung einer anmaßenden Lüge. "Deus est ens, a se, extra et supra omne genus, necessarium, unum, infinite perfectum, simplex immutabile, immensum, aeternum, intelligens etc. [Gott ist ein Wesen, selbständig, außer und über jeder Gattung, notwendig, einzig, unendlich vollkommen, einfach, unveränderlich, unermeßlich, ewig, voll Einsicht usw.] Wo liegt das Belehrende einer solchen Definition? in ihrem pomphaften Kleid von Eigenschaftsworten bedeutet sie weniger als nichts. Nur der Pragmatismus kann einen positiven Sinn hineinlesen und um das zu können, will er vom intellektualistischen Standpunkt nichts wissen. "Gott ist in seinem Himmel", sagt er, "und so ist in der Welt alles in Ordnung." Das ist der wahre Kernpunkt unserer Theologie und dazu brauchen wir keine rationalistischen Definitionen.

Warum sollten wir nicht alle, Rationalisten und Pragmatisten, uns dazu bekennen? Der Pragmatismus hält keineswegs, wie man ihm vorwirft, seinen Blick nur auf den nächsten praktischen Vordergrund geheftet; er verweilt vielmehr ebenso gern bei den fernsten Perspektiven der Welt.

Sehen Sie nun, wie all diese letzten Fragen sich in den Angeln drehen. Anstatt rückwärts zu blicken auf Prinzipien, auf ein erkenntnistheoretisches Ich, einen Gott, ein Kausalitätsprinzip, einen Zweck, einen freien Willen und statt all diese Begriffe für sich selbst zu betrachten, als etwas Hohes, über die Tatsachen Erhabenes, verschiebt der Pragmatismus den Standpunkt und blickt nach vorwärts und schaut den Tatsachen selbst ins Gesicht. Die wirklich vitale Frage für uns ist die: Was will die Welt werden? Was kann das Leben aus sich machen? Der Schwerpunkt der Philosophie muß seinen Ort verändern. Unsere Erde, die von den Herrlichkeiten des Äthers da drüben so lang in den Schatten gestellt war, muß wieder zu ihrem Recht kommen. Die Verschiebung des Standpunktes in der Philosophie hat das zu bedeuten, daß von nun an philosophische Fragen von Geistern behandelt werden, die weniger zur Abstraktion neigen, von Geistern, die mehr naturwissenschaftlich und individualistisch gefärbt, aber dabei doch nicht irreligiös sind. Es wird dieses eine Änderung im "Sitz der Autorität" sein, die beinahe an die protestantische Reform erinnert.

Wie nun der Protestantismus in den Augen der Anhänger des Papsttums nichts anderes war, als Anarchie und Verwirrung, so wird der Pragmatismus den extrem rationalistischen Geistern eben so erscheinen. Man wird sagen, er sei, philosophisch betrachtet, nur ein leeres Geschwätz. Aber trotz alledem schwingt auch in protestantischen Ländern das Leben weiter und erreicht seine Ziele. Ich wage zu hoffen, daß auch dem philosophischen Protestantismus ein ähnliches Gedeihen bestimmt ist.
LITERATUR - William James, Der Pragmatismus, Leipzig 1908
    Anmerkungen
    1) Die Vorträge wurden im Dezember und Januar gehalten (siehe Vorwort des Verfassers). [Anmerkung des Übersetzers]
    2) BALFOUR, The Foundations of Belief (Die Grundlagen des Glaubens), Seite 30
    3) Diese in ihrer Kürze nicht ganz verständlichen Äußerungen über  ethische  Fragen sind wohl geeignet, Befremden hervorzurufen. Man kann aus diesen kurzen Bemerkungen nicht ersehen, wie der Verfasser über die ethischen Grundfragen denkt und könnte ihn leicht für einen ethischen Skeptiker oder für einen Verfechter der theologischen Ethik halten. Daß er keines von beiden ist, das beweist sein Aufsatz: "The moral Philosopher and the moral life" in seinem Buch "The will to believe", Seite 184f, das unter dem Titel "Der Wille zum Glauben" auch ins Deutsche übersetzt wurde. [Anmerkung des Übersetzers]


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