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Die Bedeutung der Suggestion im sozialen Leben [2/3]
II. Bestimmung des Suggestionsbegriffes Das Wesen der Suggestion besteht offenbar nicht in irgendwelchen äußeren Besonderheiten, sondern beruth auf der besonderen Art des Verhaltens des Suggerierten zum "Ich" des Subjekts bei der Aufnahme und Verwirklichung der Suggestion. Suggestion ist im allgemeinen eines von vielen Mitteln der Einwirkung von Mensch auf Mensch, das mit oder ohne Absicht ausgeübt wird an Personen, die die Wirkung entweder bewußt oder ohne es zu bemerken in sich aufnehmen. Zum näheren Verständnis dessen, was man "Suggestion" nennt, ist zu beachten, daß unsere Perzeptionstätigkeit sich in eine aktive und passive unterscheidet. Im ersten Fall beteiligt sich notwendig das "Ich" des Subjekts, das ne nach dem Verlauf unserer Gedanken und je nach den äußeren Umständen die Aufmerksamkeit auf diese oder jene äußere Eindrücke hinlenkt, die nun, indem sie unter Beteiligung der Willensaufmerksamkeit in die Psyche hineintreten und mittels Nachdenken und Überlegung zur Assimilation gelangen, dauernd dem persönlichen Bewußtsein oder unserem "Ich" einverleibt werden. Diese Art Perzeption, die also zur Bereicherung unseres persönlichen Bewußtseins führt, liegt unseren Anschauungen und Überzeugungen zugrunde, da als nächstes Ergebnis aktiver Perzeption eine Gedankenarbeit einsetzt, die zur Bildung mehr oder weniger bestimmter Überzeugungen führt. Letztere können, ehe sie zum Besitz unseres persönlichen Bewußtseins werden, sich zeitweilig im sogenannten Unterbewußtsein verbergen, so jedoch, daß sie jeden Augenblick auf Wunsch des "Ich" unter Reproduktion bestimmter erlebter Vorstellungen erweckbar sind. Im Gegensatz zu dieser aktiven Perzeption nehmen wir aber vieles aus der Umgebung passiv auf ohne jegliche Beteiligung des "Ich", wenn unsere Aufmerksamkeit nach irgendeiner Richtung hin abgelenkt ist, sich z. B. auf einen bestimmten Gedanken konzentriert oder wenn sie aus dem einen oder andern Grund herabgesetzt ist, was z. B. in Zustände sogenannter Zerstreutheit vorkommt. In keinem von diesen beiden Fällen kommt der Gegenstand der Perzeption in das persönliche Bewußtsein, sondern gelang in andere Gebiete unserer Psyche, die man als Gemeinbewußtsein bezeichnen darf. Dieses erscheint bis zu einem gewissen Grad unabhängig vom persönlichen Bewußtsein, weshalb alles, was im Allgemeinbewußtsein auftaucht, von uns nicht nach Belieben dem persönlichen Bewußtsein zugeführt werden kann. Dennoch gelangen Produkte des Allgemeinbewußtseins unter Umständen zur Sphäre des persönlichen Bewußtseins, ohne daß dieses immer ihre ursprüngliche Herkunft zu erkennen vermöchte. Eine ganze Reihe verschiedenartiger Eindrücke, die bei passiver Perzeption ohne jegliche Beteiligung der Aufmerksamkeit der Psyche zufließen und die an unserem "Ich" vorbeit direkt zum Allgemeinbewußtsein vordringen, bilden jene uns selbst unfaßbaren Einwirkungen der Außenwelt, die unserem Gemeingefühl sich aufprägen, ihm nicht selten einen bestimmten Gefühlston verleihen, und die zugleich die Grundlage jener unklaren Motive und Triebe darstellen, wie wir sie so oft in bestimmten Fällen an uns selbst erfahren. Das Gemeinbewußtsein spielt in jeder Hinsicht eine hervorragende Rolle im Seelenleben des Individuums. Hin und wieder gelangt ein passiv aufgenommener Eindruck infolge einer zufälligen Ideenverkettung in die Sphäre des persönlichen Bewußtseins als ein geistiges Gebilde, dessen Neuheit uns bestürzt. In einzelnen Fällen gestaltet sich dieses Bild unter Entwicklung plastischer Formen zu einer besonderen inneren Stimme, die an eine Zwangsidee erinnert, ja es kann zu einem Traumbild oder selbst zu einer wirklichen Halluzination werden, deren Ursprung ja sonst im Gemeinbewußtsein liegt. Tritt das persönliche Bewußtsein zurück, wie das im Schlaf oder in tiefer Hypnose der Fall ist, dann gelangt die Tätigkeit des Gemeinbewußtseins in den Vordergrund, die weder mit unseren Anschauungen, noch mit den Wirkungsbedingungen des persönlichen Bewußtseins rechnet, weshalb im Traum und in tiefer Hypnose Dinge durchführbar und möglich erscheinen, an die wir bei vollem persönlichen Bewußtsein nicht einmal zu denken wagen. Man muß also, um die Mittel und Wege der Suggestion kennen zu lernen, von der Unterscheidung unserer Psyche in ein persönliches und ein Gemeinbewußtsein ausgehen. Das persönliche Bewußtsein, das sogenannte "Ich" beherrscht mit Hilfe von Willen und Aufmerksamkeit in hohem Gad die Aufnahme äußerer Eindrücke, reguliert den Verlauf unserer Vorstellungen und wirkt bestimmend auf die Ausführung unserer willkürlichen Handlungen. Alles, was das persönliche Bewußtsein der Seelensphäre übermittelt, unterliegt gewöhnlich einer bestimmten Kritik und Umarbeitung, die zur Entstehung unserer Anschauungen und Überzeugungen führt. Diese Art Einwirkung der Außenwelt auf unsere Psyche ist der Weg "logischer Überzeugung". Denn als Endergebnis jener inneren Aufarbeitung von Eindrücken erscheint stets die Überzeugung: "dies ist wahr, jenes nützlich, unvermeidlich usw." und das können wir uns innerlich sagen, wenn jene Aufarbeitung der unter Beteiligung des persönlichen Bewußtseins aufgenommenen Eindrücke sich in uns vollzogen hat. Wie schon erwähnt, gelangen daher in unsere Psyche mannigfaltige Eindrücke, auch ohne daß wir sie beachten, also in Zuständen von Zerstreutheit, wenn unsere willkürliche Aufmerksamkeit von irgendetwas anderem absorbiert ist. In solchen Fällen geht der äußere Eindruck an unserem persönlichen Bewußtsein vorbei und erreicht somit ohne unser "Ich" zu berühren die Sphäre der Psyche. Nicht durch den Haupteingang, sondern sozusagen von der Hintertreppe aus gelangt er in diesem Fall unmittelbar in die inneren Gemächer der Seele. Das nun ist der Weg der Suggestion. Suggestion ist also unmittelbare Überimpfung bestimmter Seelenzustände von Person auf Person. Mit anderen Worten: Suggestion ist Eindringen oder Überimpfen einer fremden Idee in das Bewußtsein ohne direkte unmittelbare Beteiligung des "Ich" des Subjekts, wobei letzteres in der Mehrzahl der Fälle ganz oder so gut wie ganz unfähig erscheint, sie abzulehnen und dem Bewußtsein fernzuhalten, selbst wenn es das Unhaltbare des Suggerierten anerkennt. Da sie ohne aktive Teilnahme des "Ich" in das Bewußtsein kommt, bleibt die Suggestion außerhalb der Grenzen des persönlichen Bewußtseins, alle ihre weiteren Konsequenzen vollziehen sich daher ohne Kontrolle des "Ich" und ohne entsprechende Hemmung. So führt Suggestion zur Entwicklung bestimmter Zwangsideen, zu positiven und negativen Halluzinationen, zu psychisch bedingten Krämpfen, Kontrakturen, Lähmungen und dgl. mehr. Die Suggestivwirkungen gehören wohl unzweifelhaft gerade zu jenen psychischen Einflüssen, die mit Umgehung unseres "Ich" erfolgen und sich direkt dem allgemeinen Bewußtsein mitteilen. Soll eine ganz kurze Definition des Begriffs gegeben werden, dann möchte ich hier wiederholen, was schon in meiner Schrift "Suggestion und ihre soziale Bedeutung" (St. Petersburg 1898, Leipzig 1899, Seite 3) betont wurde: "Suggestion" beruth auf unmittelbarer Überimpfung bestimmter Seelenzustände von Person auf Person mit Umgebung des Willens (und der Aufmerksamkeit), ja nicht selten auch des Bewußtseins des aufnehmenden Individuums. In dieser Begriffsbestimmung ist offenbar bereits ein wesentlicher Gegensatz ausgedrückt zwischen Suggestion als Mittel direkter psychischer Einwirkung von Person auf Person und Überzeugung, welche nie anders wirksam wird, als unter Zuhilfenahme von Aufmerksamkeit und logischem Nachdenken und bei Beteiligung des persönlichen Bewußtseins. Alles was in das Gebiet des persönlichen Bewußtseins tritt, gelangt in eine Beziehung zu unserem "Ich", und da im persönlichen Bewußtsein sich alles in strenger Korrespondenz und Koordination mit dem "Ich" befindet, welche Koordination die Einheit der Persönlichkeit zum Ausdruck bringt, so muß offenbar alles, was in die Sphäre des persönlichen Bewußtseins eintritt, einer entsprechenden Kritik und Verarbeitung von Seiten des "Ich" unterliegen. Ebenso klar ist, daß außer dieser Wirkungsweise, die durch Vermittlung des persönlichen Bewußtseins vor sich geht, eine andere WIrkungsweise sich in Form von Suggestion darstellt, die auf die Psyche einwirkt vermöge einer direkten Überimpfung seelischer Zustände, d. h. von Ideen, Gefühlen und Empfindungen, ohne an eine Beteiligung des persönlichen Bewußtseins und der Logik gebunden zu sein. Suggestion im Gegensatz zu Überzeugung dringt also in die Sphäre der Psyche ein unabhängig vom persönlichen Bewußtsein, gelangt ohne besondere Verarbeitung direkt in das Gemeinbewußtsein und befestigt sich hier wie jedes andere Objekt passiver Perzeption. Wenn jemand auf eine Suggestion hin einen Krampf im Arm bekommt, oder ihm der Arm völlig gelähmt wird, so ist die Frage, was führte hier zur Verwirklichung der Suggestion? Offenbar dies, daß die suggerierte Idee unmittelbar in das mit dem "Ich" des Subjekts nicht koordinierte Gemeinbewußtsein hineindrang, das wegen seines Verhaltens zum "Ich" keine Macht hat über die Suggestion und ihr nicht widerstehen kann. Aber was ist es, was das "Ich" mit seiner Willensaufmerksamkeit verhindert, die Suggestion in das Gemeinbewußtsein eintreten zu lassen? Warum führt es sie unter jenen Bedingungen nicht der Sphäre des persönlichen Bewußtseins zu? Aus dem einfachen Grund, weil der Wille gelähmt wird durch den Glauben an die Kraft der Hypnose und Suggestion oder weil das Subjekt nicht seine Willensaufmerksamkeit auf die Suggestion konzentrieren kann. Die Suggestion wird daher nicht dem persönlichen, sondern dem Gemeinbewußtsein überliefert und dadurch bis zu einem gewissen Grad für Automatismus Raum geschafft. Wenn wir aber unter Suggestion jede beliebige direkte Beeinflussung eines Menschen jenseits seines "Ich" oder seines persönlichen Bewußtseins verstehen wollten, so könnten wir diese Art der Einwirkung äußerer Bedingungen auf uns identifizieren mit jener Form passiver Perzeption, die ohne jede Beteiligung des "Ich" vonstatten geht. Aber unter Suggestion versteht man gewöhnlich nicht eine Einwirkung der Gesamtheit der Außenbedingungen, sondern eine solche von Person auf Person, die durch passive Perzeption vor sich geht, also unabhängig von der Beteiligung des persönlichen Bewußtseins oder des "Ich" des Subjekts zum Unterschied von jener anderen Art von Wirkungen, die sich unter Vermittlung aktiver Aufmerksamkeit und Beteiligung des persönlichen Bewußtseins vollziehen und die in logischer Überzeugung mit sich daraus ergebender Entwicklung bestimmter Anschauungen besteht. LÖWENFELD betont einen begrifflichen Unterschied zwischen dem eigentlichen Prozeß des "Suggerierens" und seinem Erfolg, den man "Suggestion" schlechthin nennt. Aber unter Suggestion versteht man gewöhnlich nicht eine Einwirkung der Gesamtheit der Außenbedingungen, sondern eine solche von Person auf Person, die durch passive Perzeption vor sich geht, also unabhängig von der Beteiligung des persönlichen Bewußtseins oder des "Ich" des Subjekts zum Unterschied von jener anderen Art von Wirkungen, die unter Vermittlung aktiver Aufmerksamkeit und Beteiligung des persönlichen Bewußtseins sich vollziehen und die in logischer Überzeugung mit sich daraus ergebender Entwicklung bestimmter Anschauungen besteht. LÖWENFELD betont einen begrifflichen Unterschied zwischen dem eigentlichen Prozeß des "Suggerierens" und seinem Erfolg, den man "Suggestion" schlechtweg nennt. Selbstverständlich sind das zwei verschiedene Prozesse, die nicht miteinander verwechselt werden dürfen. Indessen möchte, wie mir scheint, als zutreffender und richtiger eine Definition anzuerkennen sein, die sowohl die charakteristische Wirkungsweise des Suggerierens, als auch das Resultat dieser Wirkung in sich umfaßt. Denn für Suggestion charakteristisch ist nicht allein der Vorgang selbst oder die Art der psychischen Beeinflussung, sondern auch der Erfolg dieser Rückwirkung. Deshalb verstehe ich unter "Suggerieren" nicht allein eine bestimmte Art und Weise der Einwirkung auf einen Menschen, sondern zugleich auch das eventuelle Ergebnis davon, und unter "Suggestion" nicht bloß ein bestimmtes psychisches Resultat, sondern bis zu einem gewissen Grad auch die Art, wie dieses Resultat erzielt wurde. Wie schon erwähnt, erscheint als wesentliches Element des Suggestionsbegriffes vor allem eine ausgesprochene Unmittelbarkeit der Einwirkung. Ob eine Suggestion durch Worte oder Einflüsse oder aber durch irgenwelche Eindrücke oder Handlungen geschieht, ob also eine verbale oder eine konkrete Suggestion vorliegt, bedingt hier insofern keinen Unterschied, als ihre Wirkung nie durch eine logische Überzeugung erreicht wird, sondern immer direkt auf die Psychie gerichtet ist unter Umgehung des persönlichen Bewußtseins oder mindestens ohne vorherige Verarbeitung durch das "Ich" des Subjekts. Es kommt hier also zu einer wirklichen Überimpfung von Ideen, Gefühlen, Emotionen oder sonstigen psychphysischen Zuständen. Ebenso entstehen jene Zustände, die als Autosuggestion bekannt sind und die keine äußere Einwirkung erfordern, gewöhnlich unmittelbar in der Psyche selbst. So ist es z. B., wenn irgendeine Vorstellung in das Bewußtsein drang als etwas Fertiges, sei es in Form eines plötzlich auftretenden Gedankens, der das Bewußtsein überraschte, oder in Gestalt eines Traumbildes, eines vorgekommenen Beispieles und dgl. In allen diesen Fällen werden psychische Einwirkungen, die ohne fremdes Hinzutun entstanden sind, ebenfalls unmittelbar der Psyche überimpft unter Umgehung der Ichkritik und des Ichbewußtseins oder dessen, was wir persönliches Bewußtsein nennen. "Suggerieren" heißt also: in die Psyche einer dritten Person Ideen, Gefühle, Emotionen und andere psychische Zustände mehr oder weniger unmittelbar überimpfen, bzw. so auf sie einwirken, daß möglichst für Kritik und Überlegung kein Platz übrig bleibt: unter "Suggestion" dagegen ist zu verstehen eine derartige direkte Überimpfung von Ideen, Gefühlen, Emotionen und anderen psychophysischen Zuständen in die Psyche eines Individuums, die an seinem "Ich", an seinem individuellen Selbstbewußtsein und an seiner Kritik vorbeigeht. Hin und wieder, besonders bei den französischen Autoren, wird man außer "Suggestion" den Ausdruck "psychisches Contagium [Ansteckungsstoff - wp]" finden, worunter aber nichts weiter als unwillkürliche Nachahmung zu verstehen ist (vgl. A. VIGOUROUX und P. JUQUELIER, La contagio mentale, Paris 1905). Faßt man jedoch den Begriff Suggestion in einem weiteren Sinn auf und berücksichtigt man die Möglichkeit von unwillkürlicher Suggestion auf dem Weg von Beispiel und Nachahmung, dann wird man finden, daß die Begriffe Suggestion und psychisches Contagium auf das engste miteinander zusammenhängen und weitaus nicht immer von einander gut abgrenzbar sind. Jedenfalls ist festzuhalten, daß eine strenge Grenze zwischen psychischem Contagium und Suggestion nicht immer vorhanden ist, wie VIGOUROUX und JUQUELIER in ihrer Schrift (Seite 16) mit Recht hervorheben. Suggestion und Überzeugung Suggestion und Überzeugung sind also, wie sich aus dem bisherigen ergibt, zwei verschiedene Grundformen der Einwirkung von Individuum auf Individuum. Unter den Mitteln psychischer Beeinflussung hat man, außer Überzeugung und Suggestion noch zu unterscheiden: Befehl, sodann Beispiel als Erreger von Nachahmung, ferner Rat, Wunsch und dgl. Aber Befehl und Beispiel wirken bis zu einem gewissen Grad unzweifelhaft ganz wie Suggestion, ja es ist eine Grenze in dieser Hinsicht kaum durchführbar, während im übrigen Befehl und Beispiel, soweit sie auf den Verstand wirken, vollkommene Analoga vernunftmäßiger Überzeugung darstellen. Befehl wirkt vor allem vermöge der Furcht vor den etwaigen Folgen des Ungehorsams durch das Bewußtsein der Notwendigkeit der Befehlserfüllung, durch das Vernunftgemäße des sich unterordnens in einem bestimmten Fall usw. In dieser Beziehung wirkt Befehl vollkommen wie Überzeugung. Aber unabhängig davon kann ein Befehl in gewissen Fällen auch direkt auf die Psyche so einwirken, wie eine vollendete Suggestion. Der klarste Fall, wo Befehl als Suggestion wirkt, ist das Kommando. Dieses, eine besondere Form des Befehls, wirkt, wie jeder weiß, nicht nur durch Furcht vor den Folgen des Ungehorsams, sondern auch durch Suggestion und Überimpfung einer bestimmten Idee. Andererseits kann auch das Beispiel außer seinem Einfluß auf den Verstand durch die Überzeugung von der Nützlichkeit bestimmter Handlungen ebenfalls wie eine Art psychische Ansteckung wirken, suggestiv vermöge einfacher Nachahmung. Jedermann kennt die ansteckende Wirkung öffentlicher Hinrichtungen und Morde. Es gibt auch Hinweise auf das Vorkommen epidemischer Verbreitung von Mord. (1) Ansteckend ist auch das Beispiel des Selbstmordes. Sogar Selbstverstümmelung ist in ganzen Epidemien beobachtet worden. (2) Noch banaler ist das Beispiel des Gähnens und seiner ansteckenden Wirkung, des Lachens, Weinens usw. Allbekannt ist endlich die Übertragung von Krämpfen von Person auf Person. Es wirken also Befehl und Beispiel, sofern es Nachahmung findet, in gewissen Fällen auf dem Wege der Überzeugung, in anderen Fällen durch Suggestion; am häufigsten ist aber ihre Wirkung überzeugend und suggestiv zugleich. Aus diesem Grund können sie nicht neben Überzeugung und Suggestion als selbständige Mittel psychischer Beeinflussung betrachtet werden. Auch Rat, Wunsch und dgl. Formen psychischer Beeinflussung können entweder suggestiv wirken oder auf dem Weg der Überzeugung, je nach dem Verhalten des Individuums gegenüber diesen Agentien. Im Gegensatz zur wörtlichen Überzeugung, deren Mittel gewöhnlich in logischer Darstellung und klarer Beweisführung bestehen, wirkt demnach Suggestion kraft einer unmittelbaren Überimpfung seelischer Zustände, Ideen, Gefühle und Empfindungen, und zwar mit Hintansetzung aller Beweise und ohne Mithilfe von Logik. Sie richtet sich direkt und unvermittelt gegen die Psyche einer dritten Person, sie es durch Befehl oder Zureden, sie es mit mehr oder weniger hinreißenden erregten Worten, durch Gesten, durch mimische oder sonstige Mittel. Man sieht daraus, daß für suggestie Übertragung psychischer Zustände sehr viel zahlreichere und mannigfaltigere Wege offen stehen, als für Gedankenübertragung mittels Überzeugung. Letzterer gegenüber hat Suggestion eine weit größere Verbreitung als wirksames Agens. Überzeugung führt meist nur dort zum Ziel, wo sie sich an einen gesunden und starken Verstand wendet. Suggestion ist nicht nur gegenüber einem entwickelten Verstand wirksam, sondern ihre Erfolge sind am auffallendsten gerade bei geringer logischer Entwicklung, bei Kindern und im einfachen Volk. Es fällt daher der Suggestion als Überimpfung psychischer Zustände auf dem Gebiet der individuellen Erziehung eine nicht zu unterschätzende Rolle zu, und das zumindest so lange, als sich der logische Apparat noch nicht zu einer Stufe entfaltet hat, auf der das Kind sich zu selbständiger logischer Geistesarbeit anschickt, anstatt wie früher fertige Geistesprodukte dritter Personen durch mechanisches Erlernen oder Nachahmen in sich aufzunehmen, wobei ja Suggestion oder psychische Impfung seitens der Erzieher und der sonstigen Umgebung keine geringe Rolle spielt. Groß ist auch die Bedeutung suggestier Agentien beim einfachen Volk für die Weltanschauung des Einzelnen sowohl, wie ganzer Klassen und Gruppen. Wer viel mit dem Volk verkehrt und darüber eigene Erfahrungen hat, kennt den Wert logischer Überredung, die hier im besten Fall nur eine sehr langsame Wirkung hat, während Suggestion durch Zureden oder Befehl hier fast immer schnell und sicher zum Ziel führt, natürlich falls man nicht gerade tiefwurzelnden Überzeugungen damit entgegentritt. Auch das militärische Kommandowort gipfelt, wie schon erwähnt, vorwiegend in Suggestion, die hier ebenfalls stärker wirkt, als alles Zureden. Indessen ist auch der intelligente Mensch mit seinen vollentwickelten logischen Apparat unter gewissen Umständen, soweit sich das mit seiner einmal bestehenden Weltanschauung verträgt, suggestiven Insulten nicht minder zugänglich als Kinder und Leute aus dem gemeinen Volk. Ist nun Suggestion nichts anderes als Einwirkung von Person auf Person durch direkte Überimpfung von Ideen, Gefühlen, Emotionen und anderen psychophysischen Zuständen, ohne Anteilnahme des persönlichen Bewußtseins dessen, dem etwas suggeriert werden soll, dann ist offenbar, daß eine Suggestion am leichtesten in dem Fall zu verwirklichen sein wird, wenn sie in die Psyche entweder unmerklich, schleichend gelangt, bei Mangel eines Widerstandes seitens des "Ich" oder zumindest bei passivem Verhalten des "Ich" zum Gegenstand der Suggestion, oder aber wenn sie das psychische "Ich" unvermittelt unterdrückt und jeden Widerstand seitens desselben von vornherein ausschaltet. Die Erfahrung bestätigt dies in der Tat, denn eine Suggestion kann in die Psyche entweder allmählich durch fortwährendes Wiederholen eines und des Nämlichen, oder auch plötzlich, wie im Falle eines Befehls hineintreten. Hypnotische Suggestion Das alles möchte geeignet erscheinen, den hier behandelten Gegenstand hinreichend zu umgrenzen, aber an vollkommen klaren Vorstellungen von der Wirkungs- und Verbreitungsweise psychischer Infektionen fehlte es so lange, bis die Bedingungen näher erforscht waren, unter denen suggestive Faktoren wirksam sind und sich psychische Infektionen ausbreiten. Ein Einblick in die Natur dieser Bedingungen ist in neuerer Zeit ermöglicht worden durch die Entwicklung der Lehre von der beabsichtigten Suggestion, wie sie in der Hypnose ausgeführt wird. Wie über die Verbreitung physischer Infektionen noch bis in die neueste Zeit hinein die allerverworrensten Anschauungen herrschten, bis es gelang, Mikroben in Reinkulturen zu züchten und damit zu künstlichen Impfungen zu schreiten, so gab es auch auf dem Gebiet der Suggestion und der psychischen Kontagien eine Reihe unklarer und wesenloser Vorstellungen, bevor man die Bedingungen kannte, die eine Überimpfung bestimmter Seelenzustände mittels beabsichtigter Suggestion ermöglichen. Der Versuch hat gezeigt, daß solche vorsätzliche psychische Impfungen in der Regel am besten durchführbar sind bei einem besonderen Zustand des Bewußtseins, den man Hypnose nennt und der meiner Ansicht nach nur eine durch besondere Mittel hervorgerufene Varietät des normalen Schlafes vorstellt. (3) Es gelingen in der Hypnose bekanntlich mit Leichtigkeit die verschiedensten Suggestionen. Ob es möglich ist, einem Hypnotisierten alles zu suggerieren, was wir wollen, steht freilich noch dahin. Manche glauben, daß es überhaupt keine Einschränkung für Suggestivwirkungen gibt, während andere daran festhalten, daß in der Hypnose nur das suggeriert werden kann, was der psychischen Natur des betreffenden Individuums entspricht. Praktisch handelt es sich dabei im wesentlichen um die Möglichkeit des Suggerierens bestimmter verbrecherischer Handlungen. Es hieß, daß Hypnotisierte auf suggestivem Weg zu jedem beliebigen Verbrechen veranlaßt werden können. Diesen Satz sind aber andere geneigt, auf eine allzuweit gehende Verallgemeinerung von hypnotischen Laboratoriumsverbrechen zurückzuführen, in der richtigen Erwägung, daß Hypnotisierte sich nicht in völliger Bewußtlosigkeit befinden; wenn jemandem in der Hypnose ein Verbrechen suggeriert wird, dann merkt er sehr wohl, daß es sich um keinen Ernstfall, sondern um ein eingebildets Verbrechen handelt, und das alles nur geschieht, um ihn zu prüfen; er begeht dabei das Verbrechen, ohne Widerstand, wie einen unschuldigen Scherz. Ich selbst vermag mich nach eigenen Erfahrungen allerdings nicht denen anzuschließen, die für hypnotische Suggestionen den Wert eines übermächtigen Agens beanspruchen, mit dem sich in der Hypnose alles Erdenkliche machen läßt. Die Wirksamkeit der Suggestion steht hier, wie in allen anderen Fällen nicht allein in Abhängigkeit von ihrer richtigen Handhabung und Aufrechterhaltung, sondern auch in Abhängigkeit vom Boden, auf den sie fällt, also von den psychischen Eigenschaften des der Suggestion sich unterwerfenden Individuums. Der psychische Widerstand, der einer Suggestion im Zustand der Hypnose entgegentritt, hängt wesentlich von der Tiefe der Hypnose, sowie davon ab, inwiefern das zu Suggerierende sich im Widerspruch befindet mit dem Ideengang, mit den Neigungen und Überzeugungen des betreffenden Individuums. Ist ein solcher Widerspruch nicht vorhanden, dann wirkt Suggestion ausgiebig und prompt, dagegen kann sie sich gegenüber einer starken Natur mit entgegengesetzten Anschauungen unter Umständen als machtlos erweisen. Das verringert jedoch in keiner Weise die Bedeutung der Suggestion als psychisches Agens. Naturen mit starkem Charakter und unwandelbaren Ansichten findet man ja durchaus nicht allzuhäufig. Wie groß dagegen ist die Zahl jener moralischen Krüppel, die sich vom Verbrechen, von Unsittlichkeit, von Diebstahl nur durch die Furcht vor dem Gesetz abhalten lassen! Genügt es nicht bei solchen Menschen, in der Hypnose jene Furcht vor der gesetzlichen Ahndung einzuschläfern, ihnen die Möglichkeit einer eventuellen Straflosigkeit zu suggerieren und zugleich ihrer Phantasie die Vorteile einer bestimmten verbrecherischen Handlung vorzuspiegeln, um sie zur Ausführung von Vergehen zu bewegen, zu denen sie sich sonst nie entschlossen hätten? Jedoch würde ein näheres Eingehen auf diese Frage und auf die praktische Seite des hypnotischen Verbrechens uns hier zu weit führen. Es handelt sich ja im vorliegenden Fall nicht bloß umd die praktische Bedeutung des Hypnotismus, sondern um jene Aufschlüsse, welche uns die Hypnose bezüglich der günstigen Vorbedingungen suggestiver Beeinflussung zu gewähren vermag. Wie erklären sich die auffallenden Erfolge der Suggestion im Zustand der Hypnose? Man könnte sagen, die Hypnose als ein dem normalen Schlaf nahe verwandter Zustand begünstige an und für sich die Wirksamkeit der Suggestion. Aber der Versuch bezeugt, daß der Grad der Suggestibilität nicht immer Hand in Hand geht mit der Tiefe des Schlafes. Erweisen sich soch gewisse sehr tiefe Stufen der Hypnose; wie CHARCOTs lethargische Phasen für Suggestionen völlig unzugänglich, während auf der anderen Seite manchmal schon oberflächliche hypnotische Zustände eine außerordentliche Empfindlichkeit gegen suggestive Eingriffe hervortreten lassen. Auch ist bekannt, daß der gewöhnliche Schlaf der Suggestion meist nicht günstig ist, obwohl sich in gewissen besonderen Zuständen des natürlichen Schlafes Suggestivwirkungen mit gleichem Erfolg, wie in der Hypnose erzielen lassen. Es wird also der Grad der Suggestionsempfänglichkeit nicht bestimmt durch Hypnose ansich oder durch Schlaf als solchen, sondern durch jene besonderen Zustände des Bewußtseins oder der Seelentätigkeit, die den Hypnotisierten und manchmal auch den Schlafenden auszeichnen. Diese in der Hypnose vorhandenen, der Suggestion günstigen Bedingungen bestehen nun darin, daß bei jener Veränderung des normalen Bewußtseins, wobei das "Ich" mehr oder weniger eingeschläfert und der Verkehr mit der Außenwelt oder wenigstens mit dem Hypnotisator noch nicht aufgehoben ist, die ausgeübte Suggestion unmittelbar in die Sphäre der Psyche eindringt, unabhängig vom persönlichen Bewußtsein des Hypnotisierten, mit Umgehung seines "Ich". In jenen Tiefen der Seele, die man häufig als "unbewußte" oder unterbewußte bezeichnet und die zutreffender Gemeinbewußtsein heißen sollten, faßt die suggerierte Idee Wurzel, wird später spontan zu einem Element des persönlichen Bewußtseins und vermag sich letzteres, da ihr Ursprung aus dem persönlichen Bewußtsein hier verborgen bleibt und sie nicht als fremde Eingebung erkannt wird, mehr oder weniger unterzuordnen. Beim Hypnotisierten tritt also - und darauf gründet sich das eigentliche Wesen der hypnotischen Suggestion - ein besonderer Zustand von Passivität ein, demzufolge die Suggestion hier einen so unwiderstehlichen Einfluß auszuüben vermag. Dieser Zustand psychischer Passivität bildet jedoch zweifellos nur eine von jenen Bedingungen, die für den Eintritt suggestiver Elemente in den Bereich des Unbewußten am günstigsten sind. Er schafft nur den geeigneten Boden für die Suggestion, indem er das Eingreifen des persönlichen Bewußtseins mehr oder weniger hintanhält. Da jedoch dieser passive Zustand keineswegs der Teife des Schlafes entspricht, sondern sich sehr wesentlich auch von den jeweiligen individuellen Bedingungen in Abhängigkeit befindet, so besteht auch zwischen dem Grad der Suggestibilität und der Tiefe der Hypnose keine direkte Korrelation. Suggestion im Wachen Der Versuch bezeugt ferner, daß es Personen gibt, bei denen der Wachzustand des Bewußtseins einen fast ebenso günstigen Boden für Suggestion bildet, wie die Hypnose. Bei solchen Personen gelingt jede beliebige Suggestion auch bei völligem Wachsein, also bei Vorhandensein des Willens, sie sind im Wachzustand ebenso leicht und ohne weiteres suggestionsempfänglich, wie andere im Zustand der Hypnose. Damit eine Suggestion auf ein derartiges Individuum wirksam ist, braucht der Betreffende nichts zu tun, als aufzumerken und sich nicht zu sträuben; setzt er irgendeinen Widerstand entgegen, dann braucht man, um Erfolg zu haben, die Suggestion nur zu steigern und ihm, falls das nicht genügt, zu suggerieren, daß ein Widerstand umsonst ist und die Suggestion ungehindert vor sich gehen wird. Das Besondere der Psyche dieser Art Leute, gewöhnlich Träger psychopathischer Auflagen, besteht darin, daß ihre Individualität und ihr Wille leicht zu unterdrücken sind und daß sie eine fremde Idee passiv in ihr Bewußtsein aufnehmen, ohne mit ihrem "Ich" das Wesen dieser Idee zu beurteilen, sie also ohne aktive Aufmerksamkeit in ihr Bewußtsein eintreten lassen, wie man das gelegentlich in Zuständen sogenannter Zerstreutheit tut. Jeder weiß, daß wir in Augenblicken von Zerstreutheit und Unaufmerksamkeit auf eine gestellte Frage unter Umständen eine ganz unpassende Antwort gehen können und manchmal Dinge zugestehen, die wir bei aufmerksamen Verhalten unzweifelhaft zurückgewiesen hätten; häufig wissen wir nicht einmal etwas von der ganzen Sache, wir waren also in einem Zustand wirklicher Amnesie. Bei abgelenkter Aufmerksamkeit entgehen uns nicht selten bestimmte Empfindungen, starker Schmerz und dgl. mehr. In anderen Fällen haben wir ohne erkennbaren Grund ein Gefühl von unerklärlicher Traurigkeit, Seelenschmerz und dgl. oder es kann sich uns unbemerkt ein bestimmtes Motiv aufdrängen, eine Idee überimpfen usw. Kurz, in Augenblicken sogenannter Zerstreutheit und in Fällen von Ablenkung unseres "Ich" nach irgendeiner Richtung kommen wir zu einem Zustand, der für Suggestionen günstig ist in einem Grad, daß sie an unserem "Ich" vorbei und zumindest ohne aktive Anteilnahme des "Ich", ohne entsprechende Kritik und innere Aufarbeitung in das Gebiet unserer Psyche gelangen können. Es unterliegt demnach keinem Zweifel, daß eine gesteigerte Suggestibilität zuweilen auch in nomalen psychischen Zuständen vorhanden ist, ja bei manchen Menschen ist sie auch sonst gesteigert, falls sie im Glauben an die besondere Kraft der Suggestion und unfähig, ihr einen psychischen Widerstand entgegenzusetzen, sich ihr völlig passiv unterwerfen. Unter solchen Verhältnissen dringen suggestive Agentien mit Umgehung unseres "Ich" und an unserem persönlichen Bewußtsein vorbei ohne weiteres zur Psyche vor. Die Suggestion wird unmittelbar sozusagen in das Innerste der Seele "hineingeimpft", ohne jegliches Zutun des Willens, und wirkt mit der gleichen Unwiderstehlichkeit, wie im Zustand der Hypnose. Als Heilmittel hat Wachsuggestion bei solchen Individuen natürlich die gleich Wirkung wie eine Suggestion in Hypnose. Von der Wirksamkeit der Wachsuggestionen zeugt folgender von mir klinisch beobachteter Fall. Im Herbst 1896 wurde ein junger Mann in unsere Klinik auf genommen, der an schweren hysterischen Krampfanfällen und an totaler Lähmung der Beine litt, die während eines solchen Anfalls aufgetreten war. Die Lähmung bestand bereits 1 ½ Monate, ohne irgendwelchen therapeuthischen Maßnahmen zu weichen, und drohte daher in eine jener chronischen Paralysen überzugehen, die durch Jahre anhaltend schließlich keiner Heilung zugänglich sind. Während der im Beisein des klinischen Ärztepersonals vorgenommenen Untersuchung wurden nun dem Kranken beide Augen geschlossen und sodann durch Suggestion eine Heilung der Lähmung herbeigeführt. Noch im Zustand der Hypnose begann er zu gehen. Als man ihn weckte, sah er zu seinem Erstaunen, daß er sicher auf den Beinen stehen und sich frei bewegen konnte. Freudig überrascht begab sich der Kranke ohne Unterstützung in seine Abteilung und brachte hier alle in Verwunderung, die ihn noch vor wenigen Minuten, als er im Fahrstuhl fortgeführt wurde, im Zustand völliger Lähmung gesehen hatten. Seitdem behielt der Kranke nur noch seine hysterisch-epileptischen Anfälle, die sich ziemlich häufig wiederholten und manchmal auch andauernd waren, wenn nicht eine rechtzeitige suggestive Behandlung eintrat. Bevor ich ihn meinen Zuhörern demonstrierte, untersuchte ich den Kranken nochmals genauer und überzeugte mich, daß er im Wachzustand völlig suggestionsempfindlich war. Sogleich wurde ihm im Wachen ein Aufhören der Krampfanfälle und Genesung suggeriert. Diese Suggestion hatte den Erfolg, daß der Kranke sich völlig erholte und die Anfälle verschwanden. Am folgenden Tag konnten ihm während der klinischen Vorlesung in vollständig wachem Zustand die verschiedenartigsten Krämpfe, Kontrakturen, Lähmungen, Jllusionen und Halluzinationen, kurz alles nur Erdenkliche mit Erfolg suggeriert werden. Wiederholt habe ich den Kranken befragt, wie er sich die Suggestionswirkungen im Wachen erkläre. Aber er, wie die übrigen Anwesenden äußerten nur ihr Erstaunen über den Hergang. Bei diesem Kranken sind mit der Zeit bei besonderen Anlässen noch zwei oder drei schwache hysterische Anfälle vorgekommen, doch waren diese ganz vereinzelt und wiederholten sich nach erneuter Suggestion nicht wieder. Ein Setzer mit ausgesprochener Bleivergiftugn hatte neben rechtseitiger Hemianästhesie [halbseitige Lähmung - wp] und Schmerzen in der linken Kopfhälfte, Hemichorea auf der rechten Seite, besonders lebhaft in der rechten Hand. Er mußte sie fortwährend mit der Linken festhalten, da sie beständig in Krämpfen war, die bei jeder Erregung, bei der Untersuchung usw. sich noch mehr steigerten. Der Kranke war dadurch schon viele Monate ohne Einnahmen und vollkommen hilflos. Nun wurde ihm, ohne Anwendung von Hypnose, ein einziges Mal suggeriert, daß seine Krämpfe aufgehört haben und daß er seine Hand jetzt frei gebrauchen kann; das genügte, um die Krämpfe ganz zum Verschwinden zu bringen. Man konnte seitdem bei diesem Kranken zu jeder Zeit durch eine einfache Suggestion willkürlich Krämpfe hervorrufen und sie auf ebenso einfache Weise wieder beseitigen. Dasselbe war mit seinen Schmerzen und seiner Hemianästhesie der Fall, die auf eine einzige Suggestion hin aufhörten und im Wachen beliebig oft wieder hervorgerufen werden konnten. Nach seiner Wiederherstellung reproduzierte der Kranke unter Suggestion alle seine Störungen (u. a. auch während der klinischen Vorlesung) und konnte gleich darauf wieder auf suggestivem Weg davon befreit werden. Unser klinisches und poliklinisches Material lieferte mir zahlreiche Fälle, wo im Wachen die allerverschiedensten Suggestionen, wie Jllusionen, Halluzinationen und dgl., ebenfalls leicht verwirklicht werden konnten und wo eine Heilung verschiedenartiger nervöser Anfälle im Wachzustand keinerlei Schwierigkeiten hatte. In den Vorlesungen über Hypnose, die ich alljährlich abhalte, demonstriere ich meinen Zuhörern ganze Reihen von Kranken mit vollendeter Wachsuggestibilität. Diese Beispiele, zu denen ich noch viele andere ähnliche hinzufügen könnte, beweisen zur Evidenz, daß Wachsuggestionen in gewissen Fällen der hypnotischen Suggestion an Einfachheit des Verfahrens und an Wirksamkeit nicht nachstehen. Aber selbst in den Fällen, wo eine derartige Suggestibilität im Wachzustand nicht vorhanden ist, erscheint die Wirkung der Suggestion keinesfalls vom Schlaf bedingungslos abhängig. Von Bedeutung ist nur der Glaube an die Kraft der Suggestion und möglichst eine volle Konzentration der Gedanken auf die Verwirklichung des zu Suggerierenden. Es bedarf also der vollen Hingabe des Individuums an den Einfluß der Suggestion. Sind diese Vorbedingungen im Wachzustand vorhanden, dann kann die suggestive Behandlung auch ohne hypnotischen Schlaf eingeleitet werden. In manchen Fällen ist ja die Hypnose dem Erfolg der Suggestion direkt hinderlich, so z. B. bei Kranken, die nur an hypnotische Suggestionen glauben, dabei aber nicht bis zu ausreichender Tiefe eingeschläfert werden können. Zum Suggerieren braucht man also im Grunde weder Schlaf noch Unterordnung des Willens. Alles kann bleiben wie gewöhnlich, und trotzdem kann eine suggerierte Idee, indem sie ohne Zutun des persönlichen Bewußtseins oder des "Ich" in die Sphäre der Seele hineintritt, wie mit magischer Gewalt einwirken und alles andere unterdrücken. Man braucht hierzu keine speziellen Belege aus dem engeren Gebiet der Pathologie, da ganz ähnliche oder noch viel prägnantere Fälle auch außerhalb der Kliniken beobachtet werden können. Bekannt sind die magischen Wirkungen der Zauberheilkünstler, die in manchen Fällen Blutungen momentan zum Stillstand bringen. Berühmt sind auch die Heilerfolge der sympathetischen Kuren, die besonders in früherer Zeit, als der Glaube an diese Mittel noch weit verbreitet war, so auffallende Triumphe feierten. Auf Suggestion im Wachen beruth die bekannte Heilwirkung der königlichen Hand, beruth der therapeuthische Erfolg der Brotpillen, beruth ferner die MATTHEIsche Behandlung mit gelbem und rotem elektrischem Licht, die seiner Zeit in Petersburg vielbesprochene Heilmethode des Baron WREWSKY mit einfachem Nevawasser und sonstigen indifferenten Dingen, die Zaubereien des Abbé FARIA, der mit einem einzigen Wort Kranke heilte, die in Paris allgemein bekannte Heilung Paralytischer durch bloße befehlende Gesten eines Zuaven usw. Ein vorzügliches Beispiel von Massensuggestion im Wachzustand bieten uns die bekannten mesmeristischen Séancen, wie sie in der Blütezeit ihres Urhebers an der Tagesordnung waren. MESMER hatte sich ein besonderes Recken eingerichtet, an dem gleichzeitig 30 Personen magnetisiert werden konnten. Die Kranken standen in mehreren Reihen um das Becken herum an beweglichen Gummigriffen, die sie festhielten, und bildeten entweder mit den Händen eine Kette oder wurden durch eine um den Körper geschlungene Schnur miteinander verbunden. Dann standen sie da in Erwartung der Dinge, die kommen sollten. Es herrschte vollkommene Stille, nur aus dem Nachbarzimmer ertönte gewöhnlich eine Harmonika, ein Klavier oder der Gesang einer menschlichen Stimme. Die Erscheinungen, die an den Kranken auftraten und die man durch besondere magnetische Ströme erklärte, bestanden, wie BAILLY als Augenzeuge erklärt, in folgendem:
Es fanden sich freilich darunter auch Leute, die um den Zustand zu bekämpfen, sich miteinander beschäftigten, affektiert plauderten, lachten usw., wobei es ihnen natürlich gelang, die Krisis abzuwenden. Wer aber dem Magnetiseur voll gehorchte, ergab sich schnell der vermeintlichen Einschläferung, und seine Stimme, seine Gesten, ja sein Blick brachte sie zu sich. Bei der Beständigkeit dieser Erscheinungen kann man nicht umhin die psychische Macht zu bemerken, die die Kranken beherrscht und die gewissermaßen vom Magnetiseur ausgeht. Der konvulsivische Zustand wurde Krisis genannt. Man bemerkte, daß zumeist Frauen, selten Männer, die Krisis bekamen, die in 1 - 2 Stunden auftrat und wenn sie erst bei einem vorhanden war, sich nach einiger Zeit auch bei allen übrigen einstellte. (4) Ähnliche Dinge kommen ja noch jetzt vor. Unlängst beschäftigten sich die Berliner Behörden lebhaft mit einem dort verbreiteten Okkultismus, der sich unter anderem auch in eigentümlichen Heilmethoden auch in eigentümlichen Heilmethoden äußerte. Wie es in den Zeitungen hieß, hatten damals zwei Lehrerinnen der englischen Sprache an einem weiblichen Lyzeum eine Art Klinik gegründet, wo sie ohne Medikamente ausschließlich mit geheimen Beschwörungen Krankheiten behandelten. Die Beschwörungen sollten auf den Kranken "das heilende Wehen geheimer Kräfte" richten, das selbst Ungläubige genesen machte. Zahlreiche Damen der höchsten Kreise glaubten an die geheime Kraft der Engländerinnen, deren Erfolg an Ruhm und Einnahmen gleich groß war.
1) AUBY, Contagion du meurtre. Vgl. auch CORRE, Crime et suicide, Seite 228. 2) Annales médico-psychologiques 1848, Seite 4363 3) Wladimir Bechterew, "Die Hypnose und ihre Bedeutung als Heilmittel" in "Nervenkrankheiten in Einzelbeobachtungen", Kasan 1894 4) BINET et FÉRÉ, Der tierische Magnetismus, 1890 |