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Untersuchungen zur Gegenstandstheorie des Messens [ 1 / 2 ]
Einleitung § 1. Der Begriff der Gegenstandstheorie des Messens Auf den Namen der Theorie des Messens scheint zunächst die Lehre vom Messen Anspruch zu haben, also ein Wissenszweig, dessen Gegenstand das Messen wäre. Messen ist nun ein Bestimmen eines Gegenstandes hinsichtlich seiner Größe; es ist im wesentlichen ein psychischer Vorgang, auf eine Erkenntnis abzielend - darum ein Gegenstand psychologischer und erkenntnistheoretischer Forschung. So gewiß indessen Psychologie und Erkenntnistheorie am Ausbau einer vollständigen Lehre vom Messen beteiligt sind, so wenig sind sie allein imstande ihn zu leisten. Denn dem psychischen Vorgang des Messens und der durch ihn zu gewinnenden Erkenntnis steht noch zweierlei gegenüber, das nicht - oder doch nicht notwendig - psychisch und im besonderen kein Erkennen ist: das sind einerseits die Gegenstände, die gemessen werden und andererseits die Tatsachen, die durch das Messen erkannt werden oder doch erkannt werden sollen. Jene Gegenstände des Messens zu beschreiben und diese durch Messen zu erkennenden Tatsachen systematisch anzuführen und nach Möglichkeit zu erklären, ist die Aufgabe einer Disziplin, die sich als Gegenstandstheorie des Messens bezeichnen läßt. Was durch Messen zunächst erfaßt werden soll, ist irgendeine Tatsache, z. B. daß a = 2b ist. Eine solche Tatsache bildet also den nächsten Gegenstand der Messung; nicht in dem Sinne natürlich, als ob sie gemessen würde, sondern als dasjenige, worauf die im Messen zu gewinnende Erkenntnis und damit auch der psychische Vorgang des Messens gerichtet ist, dessen Verlauf in eben dieser Erkenntnis seinen natürliche Abschluß findet. Eine solche durch Messen zu erfassende Tatsache heiße ein Messungsobjektiv. - Jede Messung findet an etwas statt; dieses etwas, das gemessen wird, ist das Objekt des Messens oder Messungsobjekt. Auch ist dasjenige, wodurch eine Messung ihr Objekt bestimmt, (die Anzahl der Maßeinheiten) ein Objekt; es heiße bestimmendes Objekt im Messungsobjektiv. Faßt man die Messungsobjektive, die Messungsobjekte und die bestimmenden Objekte in Messungsobjektiven unter dem Namen der Messungsgegenstände zusammen, so ergibt sich für die hier in Angriff zu nehmende Theorie die Bestimmung: Gegenstandstheorie des Messens ist die Lehre von den Messungsgegenständen. Sie könnte also wohl auch Theorie der Messungsgegenstände heißen. Indessen habe ich für die gegenwärtige Arbeit einen Titel vorgezogen, der sie sofort als einen Beitrag zur Gegenstandstheorie erkennen läßt und sich so eine allgemeine Charakteristik der Natur und Methode dieser Untersuchung erübrigt. Die Messungsgegenstände sind vorläufig psychologisch bestimmt worde, nämlich durch ihre Relation zum psychischen Vorgang des Messens. Damit ist festgelegt, wovon im folgenden gehandelt werden soll. Die Messungsgegenstände gegenständlich zu bestimmen, kann, soweit es möglich ist, nur Ziel einer gegenstandstheoretischen Untersuchung von der Art der vorliegenden sein. Bei dieser wesentlich gegenstandstheoretischen Aufgabenstellung sollen Probleme der Psychologie und der Erkenntnistheorie des Messens nicht prinzipiell vermieden, Hilfsmittel, die diese Wissenschaften bieten, wenn nötig, aufgesucht werden. des Messens zur Mathematik Gemessen werden Gegenstände, die Größe haben. Solche Gegenstände werden wegen ihrer Eigenschaft, Größe zu haben wohl auch selbst "Größen" genannt. In diesem Sinne sind also die Objekte des Messens "Größen". Sie gehören daher in das Gebiet der Mathematik, die ja geradezu als "Wissenschaft von den Größen" definiert wird. Die Mathematik handelt aber nicht nur von den "Größen" selbst, sondern noch viel mehr von den Beziehungen zwischen "Größen", also von jener Klasse von Gegenständen, die oben mit dem Namen Messungsobjektive bezeichnet worden sind. So scheinen alle Messungsgegenstände schon in der Mathematik ihre theoretische Bearbeitung zu finden und es stellt sich das Bedürfnis nach reinlicher Scheidung zwischen dieser Wissenschaft und der Gegenstandstheorie des Messens heraus. - Eine solche Scheidung wird sich im Laufe der weiteren Untersuchung hoffentlich mit genügender Schärfe vollziehen lassen. Vorläufig soll nur gezeigt werden, daß Mathematik und Gegenstandstheorie des Messens verschiedene Wissenschaften sind und zwar ihrem Gegenstand nach und besonders nach der Behandlungsweise ihrer Gegenstände. In der Mathematik werden Gegenstände, die Größe haben, fingiert, d. h. angenommen und dann jene Beziehungen zwischen ihnen untersucht, die sich aus der Größennatur und aus irgendwelchen weiteren Voraussetzungen über die Größenverhältnisse der angenommenen Objekte ergeben. Ein Objekt der rechnenden Mathematik kommt also nur seiner Größe nach oder nur als Quantum in Betracht. Von allen anderen Eigenschaften des Objektes wird abstrahiert; ja, auch die dem Quantum wesentliche Eigenschaft, seine Größe, bleibt ununtersucht. Es wird nicht gefragt, was denn die Größe sei und ob sie etwa in anderen Beschaffenheiten des Objekts ihren Grund habe; es genügt zu Beginn der mathematischen Untersuchung durch Angabe eines Kriteriums festzusetzen, was mit einer "Größe" oder einem Quantum gemeint ist, um weiterhin davon handeln zu können. Dem gegenüber verhält sich die Geometrie insofern anders, als sie einerseits nicht Quanta schlechthin, sondern räumliche Quanta und andererseits nicht nur räumliche Quanta, sondern auch Gestalten des Raumes betrachtet. Während also die Mathematik, soweit sie tatsächlich "Größenlehre" ist, nur Quanta schlechthin und daneben nur noch Raumquanta zu Objekten hat, handelt die Gegenstandstheorie des Messens nicht nur von Quantis, sofern sie Quanta sind, d. h. nur ihrer Größe nach, - sondern von allen jenen Objekten, die zugleich Quanta sind, auch ihren anderen Eigenschaften nach. In der Mathematik werden die Objekte, seien es Quanta oder Raumgestalten, innerhalb gewisser Grenzen frei fingiert, um an ihnen gesetzmäßige Beziehungen zu betrachten. Diese müssen dann in gleicher Weise an allen Gegenständen bestehen, die - gleichviel wie sie sonst beschaffen sein mögen - nur die angenommenen Größen oder Gestalten aufweisen. Dagegen sucht die Gegenstandstheorie des Messens aus der Gesamtheit der Gegenstände - sie mögen übrigens sein oder nicht sein - jene hervorzuheben, die Größe haben. Sie untersucht, welche andere Eigenschaften etwa ein Gegenstand haben müsse, damit ihm Größe zukomme; sie fragt nach dem Wesen der Größe; sie macht schließlich jene Tatsachen, welche Mathematik als Objektive an ihren Objekten ermittelt hat, ihrerseits zum Gegenstand weiterer, allgemeiner Gedanken. Die Theorie der Messungsgegenstände ist als ein Teil der Gegenstandstheorie ein Stück Philosophie. Dagegen ist Mathematik keine philosophische Disziplin. Das zeigt schon die Gegenüberstellung von Mathematik und Philosophie der Mathematik. Was nun die Mathematik aus der engeren Gruppe der philosophischen Wissenschaften, trotz unverkennbarer Ähnlichkeiten mit diesen, ausschließt, unterscheidet sicher auch die Mathematik von der Gegenstandstheorie des Messens. Gelegenheit, es nachzuweisen, wird sich im folgenden noch bieten. Die Eigenart gegenstandstheoretischer Forschung bringt es mit sich, daß auch ein spezielleres Gebiet der Gegenstandstheorie nicht anders zu behandeln und darzustellen ist, als von den allgemeinsten zugänglichen Gesichtspunkten, daher unter Voraussetzung der wichtigsten Tatsachen der allgemeinen Gegenstandstheorie. Beim gegenwärtigen Stand dieser Wissenschaft erwuchs daraus für den Bearbeiter eines solchen Spezialgebietes die Aufgabe, das Erforderliche an allgemeiner Gegenstandstheorie von Grund auf auch darzustellen, da eine solche Darstellung zur Zeit der Abfassung dieser Arbeit der Öffentlichkeit noch nicht vorgelegen hat. Dieser Aufgabe nach Kräften zu genügen, habe ich den messungstheoretischen Untersuchungen die "allgemeinen Feststellungen" des ersten Kapitels vorangeschickt. Allgemeine Feststellungen § 3. Über Gegenstände im allgemeinen. Objekt und Objektiv. Alles, was etwas ist, heißt ein Gegenstand.(1) - Das Gebiet der Gegenstände umfaßt also schlechthin alles, ohne Rücksicht darauf, ob es gedacht oder nicht gedacht oder ob es überhaupt denkbar ist. Insbesondere ist es auch nicht eine Bestimmung des Gegenstandes, daß er ist, also existiert oder besteht. Jeder Gegenstand ist etwas, aber nicht jedes Etwas ist. Jeder Gegenstand ist entweder oder er ist nicht. Aber jeder Gegenstand ist irgendwie beschaffen. Es hat also jeder Gegenstand, gleichviel ob seiend oder nicht seiend, ein Sosein. Das Sosein eines Gegenstandes ist unabhängig von dessen Sein. - Ein allwissender Mensch z. B. ist allwissen, auch wenn er nicht existiert; die Gerade ist die Linie konstanter Richtung. (2) auch wenn sie nicht existiert; Gleichheit zwischen zwei Brüdern ist Gleichheit und irgendwie beschaffen, so daß sie sich von Verschiedenheit, Ähnlichkeit und allem anderen unterscheidet, auch wenn sie nicht besteht. Das Sosein ist (wie jeder Gegenstand) ein Gegenstand, auch wenn es nicht besteht (d. h. ist). Diese Unabhängigkeit vom Sein hat es mit allen anderen gemein. Auch das Sein irgendeines Gegenstandes ist ein Gegenstand, unabhängig davon, ob dieser Gegenstand und damit auch das Sein selbst ist, d. h. tatsächlich ist oder nicht. Neben dieser allgemeinen Unabhängigkeit der Gegenstandsnatur oder des Gegenstandseins (Etwas-seins) vom Sein hat aber das Sosein noch die besondere Unabhängigkeit, daß es sein kann, obwohl sein Gegenstand nicht ist. Dadurch unterscheidet es sich wesentlich vom Sein eines Gegenstandes. Dieser Gegensatz zwischen Sein und Sosein läßt sich folgendermaßen formulieren: Das Sein eines Gegenstandes ist, wenn der Gegenstand ist; das Sosein eines Gegenstandes ist in seinem Sein vom Sein des Gegenstandes unabhängig. Die Unabhängigkeitsbeziehung zwischen Sosein und Sein ist nicht rein umkehrbar: Das Sein eines Gegenstandes ist von dessen Sosein nicht unabhängig. Es genügt zum Erweis die Tatsache zu konstatieren, daß etwas eventuell nicht sein kann, weil es ein Sosein hat, das sein Sein ausschließt. Das ist bei jedem Gegenstand mit widersprechenden Bestimmungen der Fall. Das "runde Viereck" ist nicht, weil es rund und viereckig ist. Sein und Sosein werden von MEINONG (3) als Objektive bezeichnet und allen anderen Gegenständen als Objekten im engeren Sinne gegenübergestellt. Jeder Gegenstand, der nicht Objektiv, d. h. Sein oder Sosein ist, ist also ein Objekt im engeren Sinne. Dagegen können alle Gegenstände überhaupt als Objekte im weiteren Sinne bezeichnet werden. Ein Gegenstand, der ist, ist das Objekt seines Seins; ein Gegenstand, der nicht ist, das Objekt seines Nichtseins. (4) Ein Gegenstand, der irgendwie ist oder der so ist, ist das Objekt seines Sosein. - Als Objekti eines Seins oder eines Soseins kann auch ein Objektiv auftreten. Wenn z. B. das Sein des A ist, so ist das Sein des A das Objekt eines Seinsobjektivs. Wenn das Sosein des A ist oder besteht, so ist das Sosein des A das Objekt eines Seinsobjektives. Aber das Sein ist auch als Objekt eines (anderen) Objektives gleichwohl ein Sein, also ein Objektiv, ebenso das Sosein auch als Objekt eines (anderen) Objektives ein Sosein, also ein Objektiv. Ein Objektiv als Objekt eines anderen Objektives heiße ein "Objektiv in Objektstellung." (5) Ein Sosein, dessen Bestand (Sein) das Sein seines Objektes ausschließt, heißt ein widersprechendes Sosein. Aus der Bestimmung des widersprechenden Soseins ergibt sich, daß ein Gegenstand mit widersprechendem Sosein nicht sein kann. Ein solcher Gegenstand heiße ein unmöglicher Gegenstand. Ein unmöglicher Gegenstand ist z. B. ein rundes Viereck. Es kann nicht sein, weil es rund und viereckig ist; sein Sosein schließt also sein Sein aus, es ist widersprechend. Jeder Gegenstand, dessen Sosein sein Sein nicht ausschließt, kann sein; er heiße darum ein möglicher Gegenstand. Möglich sind also alle Gegenstände mit nicht widersprechendem Sosein. Ein Sosein ist - wie irgendein anderer Gegenstand - unmöglich, wenn es ein Sosein hat, dessen Bestand sein Sein ausschließt (also wenn es ein widersprechendes Sosein hat). Ein widersprechendes Sosein eines Soseins ist: einen Gegenstand zu haben, der nicht so ist. So ist das Rundsein eines Viereckigen, d. h. eines Gegenstandes, der viereckig ist, ein unmögliches Sosein. Denn es hat seinerseits das widersprechende Sosein: das Rundsein von etwas zu sein, das nicht rund ist. Das Rundsein des Viereckigen ist, als ein unmögliches Sosein, vom Rund- und Viereckigsein des "runden Vierecks" wohl zu unterscheiden. Denn dieses letztere ist zwar ein widersprechendes, aber kein unmögliches Sosein. Unmöglich ist nur, daß ein Viereck rund sei, dagegen ist nicht unmöglich, sondern vielmehr notwendig, daß ein rundes Viereck rund und viereckig sei. - Mit dem Sosein des unmöglichen Gegenstandes dürfen ferner auch seine Qualitäten nicht verwechselt werden. (6) Am unmöglichen Gegenstand, der selbst nicht besteht, bestehen auch seine Qualitäten nicht. Es besteht zwar, daß das runde Viereck rund und viereckig ist (d. h. sein Sosein); allein die Qualität der Kreisgestalt und die Qualität der Vierecksgestalt besteht an diesem Gegenstand nicht und die Gesamtqualität des unmöglichen Gegenstandes, die man etwa "Viereckig-Rundheit" nennen könnte, besteht überhaupt nicht. Es gibt zwei charakteristisch verschiedene Arten des Seins, die von MEINONG unter den Bezeichnungen "Existenz" und "Bestand" auseinandergehalten werden. (7) Zu ihrer Unterscheidung lassen sich nicht direkte Merkmale anführen. Indessen sind sie dadurch indirekt gekennzeichnet, daß Existenz nur aposteriorischer Erkenntnis (durch Erfahrung), Bestand apriorischer Erkenntnis zugänglich ist. Nach der Art des Seins, dessen ein Gegenstand fähig ist, können die Gegenstände in reale und ideale eingeteilt werden. Von den möglichen Gegenständen sind alle, die existieren können, real. Real ist also alles, dessen Sosein seine Existenz nicht ausschließt. Daher zunächst alles Wirkliche: ein Haus, das existiert, ein Gefühl, das existiert, irgendein Vorgang, der sich "wirklich" ereignet. Real ist aber auch dasjenige Nichtwirkliche, das seiner Natur nach, d. h. seinem Sosein nach, existieren (oder wirklich sein) könnte: z. B. der "goldene Berg". Von den möglichen Gegenständen sind alle, die nicht existieren können, ideal. Ideale Gegenstände bestehen entweder oder können bestehen. Ideal ist also alles, dessen Sosein seine Existenz (nicht aber seinen Bestand) ausschließt. Das Möglichsein eines idealen Gegenstandes ist die Fähigkeit zu bestehen. - Verschiedenheit, Ähnlichkeit, die Tatsache, daß 3 + 2 = 5 ist, können ihrer Natur nach nicht existieren; aber Verschiedenheit und Ähnlichkeit kann bestehen und die Tatsache, daß 3 + 2 = 5 ist, besteht notwendig. Ebenso besteht notwendig Verschiedenheit zwischen Blau und Gründ, Ähnlichkeit zwischen denselben Gegenständen. Die hier nur auf die möglichen Gegenstände eingeschränkten Bestimmungen der Realität und Idealität ließen sich mit geringen Modifikationen auch auf die unmöglichen ausdehnen. Da sich jedoch zu jeder, noch so allgemeinen Gesetzmäßigkeit immer eine unendliche Anzahl unmöglicher Gegenstände finden läßt, die sich ihr nicht fügen, scheint mir eine Einbeziehung der unmöglichen Gegenstände in ihrer Gesamtheit nur von geringem Wert zu sein. Sein als Bestimmung. (8) Das Soseinsobjektiv hat einen Gegenstand, den es bestimmt. Der Gegenstand, den ein Soseinsobjektiv bestimmt, heiße sein Objekt oder sein Bestimmungsgegenstand. Jedes Soseinobjektiv bestimmt sein Objekt durch einen Gegenstand, welcher der bestimmende Gegenstand des Objektives heiße. Das Sosein selbst kann auch als Bestimmung seines Objektes bezeichnet werden. - Im Soseinsobjektiv, das durch das Urteil oder die Annahme "dieses Ding ist ein Hebel" erfaßt wird, ist der als "dieses Ding" bezeichnete Gegenstand der Bestimmungsgegenstand, Hebel der bestimmende Gegenstand, das Hebelsein dieses "Dinges" seine Bestimmung. Im Soseinsobjektiv: "der Himmel ist blau", ist Himmel der Bestimmungsgegenstand, blau der bestimmende Gegenstand, das Blausein des Himmels seine Bestimmung. Der bestimmende Gegenstand steht dem Sosein in charakteristisch anderer Weise gegenüber als der Bestimmungsgegenstand. Er befindet sich nicht in Objektsposition zum Sosein und kann darum auch nicht "Objekt" oder "Gegenstand" des Soseins genannt werden. Er macht vielmehr gleichsam einen Teil des Soseins aus und steht im Objektiv dem Bestimmungsgegenstand (oder dem Objekt des Objektivs) gegenüber. (9) Der bestimmende Gegenstand im Sosein kann darum, sofern er ein Objekt (d. h. kein Objektiv) ist, als ein "Objekt in Objektivstellung" bezeichnet werden und bildet so ein Gegenstück zum Objektiv, das als Gegenstand eines (anderen) Objektivs oben (10) "Objektiv in Objektstellung" genannt wurde. Das Sosein (oder die Bestimmung) ist eine Eigenschaft des Gegenstandes, den es bestimmt. Der durch sein Sosein bestimmte Gegenstand heiße der Eigenschaftsgegenstand des Soseins. - Der Eigenschaftsgegenstand ist seinem Bestimmungsgegenstand gegenüber (relativ) bestimmt (er ist der Bestimmungsgegenstand mit der Eigenschaft des Soseins); der Bestimmungsgegenstand ist seinem Eigenschaftsgegenstand gegenüber (relativ) unbestimmt (ihm fehlt noch die Bestimmung des Soseins). Zum Beispiel: Dieses Ding ist ein Hebel. Das Hebelsein ist eine Eigenschaft dieses Dings. Dieses Ding das ein Hebel ist, ist der Eigenschaftsgegenstand der Bestimmung Hebelsein. Es ist gegenüber dem Gegenstand "dieses Ding" (relativ) bestimmt; das letztere, als der Bestimmungsgegenstand, ihm gegenüber (relativ) unbestimmt. Bestimmungsgegenstand kann jeder Gegenstand sein, insbesondere auch ein Gegenstand, der Eigenschaftsgegenstand (eines anderen Soseins) ist. Ein A, das B ist, ist ein Eigenschaftsgegenstand. Derselbe Gegenstand kann nun Bestimmungsgegenstand in einem Soseinsobjektiv sein: A, das B ist, ist C, usw. ohne Ende. Da also der Eigenschaftsgegenstand eines Soseins außer der Bestimmung durch dieses Sosein (in dem eben charakterisierten Fall) noch mehrere Eigenschaften haben kann, so heiße die Bestimmung, deren Eigenschaftsgegenstand er ist, seine Haupteigenschaft (zum Unterschied von den übrigen Eigenschaften). Zum Beispiel: Dieses Ding, das ein Hebel ist, ist schwer. Das Schwersein ist Haupteigenschaft ihres Eigenschaftsgegenstandes: "hebelseiendes Ding, das schwer ist". Haupteigenschaft des Eigenschaftsgegenstandes "dieses Ding, das ein Hebel ist" ist dagegen das Hebelsein. Eine Bestimmung, deren Bestimmungsgegenstand vollständig unbestimmt ist, heiße eine reine Bestimmung. (11) Ein Eigenschaftsgegenstand, dessen Bestimmungsgegenstand vollständig unbestimmt ist, heiße ein reiner Eigenschaftsgegenstand. Eine Bestimmung, deren Bestimmungsgegenstand ein irgendwie bestimmter Gegenstand (12) ist, heiße eine determinierte Bestimmung. Ihr Eigenschaftsgegenstand ist ein determinierter Eigenschaftsgegenstand. Die Bestimmung eines reinen Eigenschaftsgegenstandes (die seine Haupteigenschaft ist) heiße (insbesondere) eine Grundeigenschaft. Eine reine Bestimmung ist z. B.: "daß etwas B ist" oder das "B-sein von etwas" oder "B-sein" schlechthin. (13) Ein reiner Eigenschaftsgegenstand ist "etwas, das B ist", z. B. "etwas, das rot ist" oder "etwas Rotes". Determinierte Bestimmungen sind: "daß A B ist" oder das B-sein des A", z. B. "daß dieser Körper eine Kugel ist" oder das Rundsein dieses Körpers. Ein determinierter Eigenschaftsgegenstand ist: "A welches B ist", z. B. "dieser Körper, der eine Kugel ist." Bestimmungsgegenstand, bestimmender Gegenstand und Eigenschaftsgegenstand sollen unter der Bezeichnung der "Momente am Seinsobjektiv" zusammengefaßt werden. Auch das Sein kann Bestimmung eines Gegenstandes und insofern, im weitesten Sinnes des Wortes, eine Eigenschaft sein. Als Bestimmung des durch das Sein bestimmten Eigenschaftsgegenstandes ist es vom (tatsächlichen) Sein des Bestimmungsgegenstandes unabhängig. Durch das Objektiv "A ist" ist der Eigenschaftsgegenstand "A, welches ist" oder "seiendes A" gegeben. Wenn auch A (der Bestimmungsgegenstand) tatsächlich nicht ist, so ist doch tautologisch feststehend, daß das Sein des Eigenschaftsgegenstandes "seiendes A" besteht. Durch ein Urteil: "das seiene A ist" ist über das (tatsächliche) Sein oder Nichtsein von A (des Bestimmungsgegenstandes) ebensowenig geurteilt wie durch das hypothetische Urteil: "wenn A ist, so ist es". - Es besteht eine Analogie zwischen Sein und Sosein als Bestimmungen. Das Sein des nichtseienden A ist ein unmögliches Objektiv oder eine unmögliche Bestimmung wie das Rundsein des Nichtrunden oder des Viereckigen. Aber das "Sein und Nichtsein" des "A, welches ist und nicht ist" besteht, ebenso wie das "Rund- und Viereckigsein des "A, welches rund und viereckig ist." Eben weil das A ein seiendes und nichtseiendes A ist, ist es ein unmöglicher Gegenstand. Das Sein und Nichtsein des "A, welches ist und nicht ist" ist zwar eine widersprechende, aber keine unmögliche Bestimmung - so wie das Rund- und Viereckigsein des "runden Vierecks". Es gilt demnach allgemein (für Seins- und Soseinsobjektive): Die Bestimmung des Eigenschaftsgegenstandes besteht. (14) A, welches ist, ist: das Sein des seienden A besteht; B ist ist B: das B-sein des B-seienden A besteht; A, welches ist und nicht ist, ist und ist nicht: das "Sein- und Nichtsein" des "A, welches ist und nicht ist" besteht; A, welches B und nicht-B ist, ist B und nicht-B: das "B- und nicht B-sein" des "A, welches B und nicht-B ist" besteht. Der Satz, daß die Bestimmung des Eigenschaftsgegenstandes besteht, ist tautologisch. Ist die Bestimmung widersprechend, so ist der Eigenschaftsgegenstand unmöglich; seine Haupteigenschaft ist ein unmögliches Objektiv am Bestimmungsgegenstand. Ein "A, welches ist und nicht ist" ist unmöglich; seine Haupteigenschaft, "das es ist und nicht ist", ist ein unmögliches Objektiv am Bestimmungsgegenstand A (aber ein bestehendes am Eigenschaftsgegenstand "A, welches ist und nicht ist"). Für den Fall des Soseins gelten die analogen Beispiele. (15) Von der Tatsache, daß auch eine widersprechende Bestimmung an ihrem Eigenschaftsgegenstand besteht, sein Sein aber ausschließt, da sie einem bestehenden Bestimmungsgegenstand gegenüber selbst ein unmöglicher Gegenstand ist, mach die Erkenntnis häufigen und wichtigen Gebrauch. In vielen Untersuchungen - z. B. in mathematischen, bei Überprüfung wissenschaftlicher Hypothesen - z. B. in mathematischen, bei Überprüfung wissenschaftlicher Hypothesen auf ihre "innere" Haltbarkeit, usw. - ist die Frage zu beantworten, ob ein Gegenstand, der gegebenen Bedingungen genügt, d. h. ein Eigenschaftsgegenstand von gegebener Haupteigenschaft, bestehe oder nicht. Der Widerspruch in der Bestimmung ist häufig nicht direkt erkennbar. In solchen Fällen wird von der gegebenen Haupteigenschaft des in Frage stehenden Gegenstandes auf andere, notwendig mitgegebene Bestimmungen, d. h. aus dem Bestand der ersteren auf den Bestand der letzteren geschlossen. Wird nun das Widersprechende (oder die Widerspruchslosigkeit) der Bestimmung evident, so ist auch die Unmöglichkeit (oder die Möglichkeit) des Eigenschaftsgegenstandes erwiesen. Ist andererseits von einem Gegenstand A bekannt, daß er besteht und es handelt sich darum, diesen Gegenstand (a priori) näher zu bestimmen (z. B. die Wurzeln einer Gleichung, von der es ihrer Natur nach mögliche Lösungen geben muß, nach ihrem Vorzeichen und dgl.), so geschieht dies häufig in folgender Form: "Wäre A B, so wäre A auch C usf. Dann wäre A auch X; wenn aber A X wäre, so wäre es unmöglich. Nun ist A möglich: also ist A nicht B." Die Bestimmung, daß A nicht B ist, genügt nun häufig (z. B. im oben herangezogenen Fall der Frage nach dem Vorzeichen einer Zahl). Oder es wird geschlossen: "Wäre A nicht B, so wäre es M ... Dann wäre es auch Y; wenn aber A Y wäre, so wäre es unmöglich usw.: also ist A tatsächlich B." Der "Irrealis" dieser hypothetischen Schlüsse drückt aus, daß dem gemeinten Gegenstand A die angenommenen Bestimmungen (B, bzw. nicht B zu sein) nicht tatsächlich (also urteilsweise) zugeschrieben werden. (16) Gegenständlich aber liegt die Tatsache vor, daß ein Eigenschaftsgegenstand A mit der Bestimmung B, (bzw. nicht B) zu sein, unmöglich, daher nicht der gemeinte bestehende Gegenstand A ist: an diesem bestehenden A ist die fragliche Bestimmung unmöglich, daher ihr kontradiktorisches Gegenteil notwendig. - Die Wichtigkeit des "indirekten Beweises" ist ein Zeugnis, daß die unmöglichen Gegenstände nicht nur für die Gegenstandstheorie, sondern auch für die Praxis der Erkenntnis von ganz bedeutendem Interesse sein können. ![]()
1) Die Bedeutung des Wortes "Gegenstand", die obiger Definition zugrundeliegt, ist auch von MEINONG (in seinem Erkenntnistheoriekolleg des Wintersemesters 1903/4) hervorgehoben worden. 2) Vgl. ALOIS HÖFLER, Zur Analyse der Vorstellungen von Abstand und Richtung. Zeitschrift für Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane, Bd. X, Seite 230 3) ALEXIUS MEINONG, Über Annahmen, Kapitel VII 4) Das Nichtsein ist wie das Sein ein Seinsobjektiv. 5) Wesentlich Übereinstimmendes in MEINONGs schon erwähntem Erkenntnistheoriekolleg. 6) Näheres darüber in § 9. Vorläufig genügt zur Unterscheidung das Beispiel. 7) Vgl. zu diesem § MEINONG, Über Gegenstände höherer Ordnung etc., Zeitschrift für Psychologie, Bd. XXI, insbesondere Seite 198f 8) In diesem und den nächstfolgenden Paragraphen sollen einige allgemeine Gruppen von Gegenständen nach ihrem Wesen und nach ihren wichtigsteen Beziehungen charakterisiert werden. Mit Rücksicht auf diese Aufgabe und auf die wesentlichen Vereinfachungen, die sich aus ihrer allgemeinen Bearbeitung für die spätere Behandlung speziellerer Probleme ergeben, mag auch die Menge von definitorischen und termionologischen Festsetzungen in diesen Abschnitten entschuldigt werden. 9) Im Objektiv "A ist B" steht das "ist B" (oder das B-sein) und darin auch das B dem A so gegenüber, wie im Seinsobjektiv "A ist" das "ist" (oder das Sein). 10) § 3 11) Der Bestimmungsgegenstand einer reinen Bestimmung ist selbst nicht Eigenschaftsgegenstand - und zwar, wie mir Rücksicht auf Festsetzungen in § 8 gleich bemerkt werden mag, weder expliziter, noch auch impliziter Eigenschaftsgegenstand. 12) Also expliziter oder impliziter Eigenschaftsgegenstand (vgl. unten § 8). 13) Ebenso auch "Sein von etwas" und "Sein" schlechthin. (vgl. weiter unten). 14) Der oben, in § 3, bemerkte Gegensatz zwischen Sein und Sosein bezüglich der Abhängigkeit vom Sein des Gegenstandes besteht gleichwohl. Denn das Sosein eines unmöglichen, daher nichtseienden Gegenstandes besteht; das Sein eines unmöglichen oder nichtseienden Gegenstandes besteht nicht, denn es ist selbst unmöglich. 15) Eine Anwendung dieser wohl leicht unfruchtbar erscheinenden Feststellungen wird sich später, z. B. in Kapitel V, § 29 ergeben. 16) Vgl. MEINONG, Über Annahmen, § 20 |