tb-2E. LaasH. CohenE. FranzW. WindelbandO. ZieglerSchopenhauer    
 
ERNST LAAS
Kants Analogien der Erfahrung
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"Warum heißt ein diskursiver Satz, wie der von der notwendigen Korrelation von Ursache und Wirkung Analogie? Von Neuem tritt uns der Gegensatz von Philosophie und Mathematik entgegen: In der Philosophie bedeuten Analogien etwas sehr Verschiedenes von dem, was sie in der Mathematik vorstellen. Erstens nicht die Gleichheit zweier quantitativer, sondern zweier qualitativer Verhältnisse; eine Gleichheit, eine Identität allerdings, aber nicht wie man das Wort gemeinhein nimmt, eine unvollkommene Ähnlichkeit zweier Dinge, sondern eine vollkommene Ähnlichkeit zweier Verhältnisse zwischen ganz unähnlichen Dingen."

"Wenn ich sage: wir sind genötigt, die Welt so anzusehen, als ob sie das Werk eines höchsten Verstandes und Willens ist, so sage ich wirklich nicht mehr als: wie sich eine Uhr zum Uhrmacher verhält, so die Sinnenwelt oder alles was die Grundlage dieses Inbegriffs von Erscheinungen ausmacht, zu dem Unbekannten, das ich also hierdurch zwar nicht nach dem, was es ansich ist, aber doch nach dem, was es für mich ist, nämlich in Anbetracht der Welt, deren ich ein Teil bin, erkenne."

"Unbeschadet der wirklichen Existenz äußerer Dinge kann man von einer Menge ihrer Prädikate sagen: sie gehören nicht zu diesen Dingen ansich, sondern nur zu ihren Erscheinungen und haben, außer unserer Vorstellung, keine eigene Existenz. Das ist etwas, was schon lange vor Lockes Zeiten, am meisten aber nach diesen allgemein angenommen und zugestanden ist. Dahin gehören die Wärme, die Farbe, der Geschmack, etc. Ich aber zähle noch überdies hinaus aus wichtigen Ursachen, die übrigen Qualitäten der Körper, die man primarias nennt, die Ausdehnung, den Ort, und überhaupt den Raum, mit Allem, was ihm anhängig ist (Undurchdringlichkeit oder Materialität, Gestalt etc.), auch mit zu bloßen Erscheinungen."


ERSTER TEIL
Bedeutung und Umfang, Quelle und Wert der
Analogien der Erfahrung. Allgemeine Bedenken.

3. Obwohl auch SCHOPENHAUER unsere Partie der Kritik der reinen Vernunft besonders hervorhebt, ja obwohl er sie zu den "eigentlich tiefsinnigen Kapiteln" der kantischen Schriften rechnet, zu den Kapiteln, deren Lektüre "man sich dem ganzen traumartigen Dasein, in welches wir versenkt sind, auf wundersame Weise entrückt und entfremdet fühlt" (13) (Werke V, Seite 183f): KANTs bedeutendste Leistung findet er in ihr nicht. Nach ihm liegen die Leistungen, die KANTs Namen zu "verewigen" berufen sind, weil sie "unumstößliche" wissenschaftliche Erinnerungen darstellen, in der transzendentalen Ästhetik, sowie in der Lehre vom intelligiblen Charakter. Dagegen wird auf den ganzen Abschnitt, welchem die Analogien der Erfahrung angehören: auf die transzendentale Analytik wird wiederholt und wortreich der Tadel der stilistischen und gedanklichen Unklarheit, Unsicherheit und Unhaltbarkeit geheftet; was freilich zu dem vorher zitierten überschwänglichen Lob nicht sonderlich stimmen will.

Inzwischen ist in Bezug auf die in der transzendentalen Ästhetik vorgetragene Lehre von der Subjektivität und Apriorität der Anschauungsformen Raum und Zeit" zu bemerken, daß sie von derjenigen Seite, welche sie für SCHOPENHAUER, vorzüglich wertvoll macht, indem sie seinen Fundamentalsatz: "die Welt ist Vorstellung" begründet, KANT ausschließlich zugehört, daß sie, wie SCHOPENHAUER selbst sehr wohl weiß, zumindest was den Raum und alles was in ihm ist, betrifft, schon BERKELEY (14), "gegen dessen Verdienst Kant nicht gerecht ist", mit aller Klarheit und Entschiedenheit vertreten hat; und daß sie von der anderen Seite, von der, welche den universalen, apodiktischen und zugleich synthetischen Charakter der mathematischen Axiome und Lehrsätze begründen soll, bis auf eine geringfügige Lücke (15), schon in der Inauguraldissertation entwickelt ist. Handelte es sich nun in dem für die kantische Erkenntnislehre grundlegenden Werk, der "Kritik" vom Jahr 1781, nur um die Lehre von der Subjektivität der sogenannten sekundären wie primären Qualitäten und von der Apriorität und transzendentalen Idealität des Raumes und der Zeit, so hätte KANT jedenfalls die 11 Jahre mühsamer und schweigsamer Denkarbeit nicht nötig gehabt, um von der Schrift über die Prinzipien der sinnlichen und intelligiblen Welt zu jener Kritik vorzudringen. In dieser Lehre liegt das Neue und Originelle nicht, was 1781 ans Licht trat (vgl. Anm. 6).

Neu nun freilich, originell, und wir können dies SCHOPENHAUER (Preisschrift über die Freiheit, a. a. O., Seite 95) und Anderen zugestehen, auch sehr "schön" und "tiefsinnig" ist dasjenige, was KANT vom Verhältnis zwischen empirischem und intelligiblen Charakter in der Kr. d. r. V. vorgetragen und nachher in den Prolegomenen (§ 53) und in der "Kritik der praktischen Vernunft" wiederholt hat. Auch zeigt der Charakter des Stils wie die aus dieser Doktrin vom Autor gezogenen Konsequenz, daß wir es mit einem Gedankenbild zu tun haben, an welchem dem Philosophen selbst gewaltig viel gelegen ist, mit dem es ihm heiliger Ernst ist, das eine, ich möchte sagen vitale Bedeutung für ihn hat; bildet es doch, nach seinem Ausdruck ("Fortschritte in der Metaphysik", a. a. O., I, Seite 554) mit der Lehre der transzendentalen Ästhetik zusammen die "zwei Angeln", um welche sich die von der Vernunftkritik in Disziplin gehaltene Metaphysik dreht; und während jene "auf das Übersinnliche, aber für uns Unerkennbaren bloß hinweist", ist die Lehre von der Realität des Freiheitsbegriffs "Begriff eines erkennbaren Übersinnlichen". Und doch wird für denjenigen, welcher nicht, wie KANT es einmal von sich sagt, das Schicksal hat in Metaphysik "verliebt zu sein", auch zu einem Mystizismus SCHELLING-SCHOPENHAUERischer Art weder Anlage noch Temperament besitzt, der bei aller Anstrengung vergeblich auslaufende Versucht, den Kardinalbegriff jener Lehre: einen zeitlosen, absoluten Anfang einer Kausalreihe, der doch den sinnlich-mechanischen Kausalnexus nicht alterieren soll, ich sage nicht vorzustellen, nein sogar nur zu denken, wirklich zu denken, ganz auszudenken, gerade vom Erfolg begleitet zu sein, sich von der kantischen Metaphysik zu den Prinzipien seiner Erkenntnistheorie zurückzuwenden, wovon dann hier zunächst auch allein die Rede sein soll. Mag Metaphysik sich einstellen, wenn sie aus wissenschaftlichen Motiven notwendig wird.

4. Betrachten wir zuerst einmal, welche Bedeutung KANT selbst den Analogien der Erfahrung innerhalb seiner Erkenntnislehre beimißt.

Die Analogien gehören zu den "synthetischen Grundsätzen", zu den Sätzen, die im Prädikat einen Zuwachs zu dem im Subjekt liegenden Erkenntnisbesitz beibringen, und zwar a priori, mit dem Anspruch auf Notwendigkeit. KANT beschäftigt sich mit der Frage, woher das Recht auf einen solchen Zuwachs wohl kommt.

In § 27 der Prolegomena erinnert er an die in der "Kritik" vorgetragene Ableitung dieser Grundsätze aus den Unterschieden der logischen Urteilsformen, an die sogenannte "metaphysische Deduktion", sowie an den Nachweis, daß sie nur auf Gegenstände der Erfahrung, nicht auf das Übersinnliche eine Anwendung finden und bemerkt danach:
    "Am meisten aber muß der Leser auf die Beweisart der Grundsätze, die unter den Namen der Analogien der Erfahrung vorkommen, aufmerksam sein."
Stecke er nämlich etwa in der "langen Gewohnheit" mit dem Empiristen HUME Erfahrung für eine "bloß empirische Zusammensetzung", ein "bloßes Aggregat von Wahrnehmungen" zu halten, so werde er hier den Unterschied der Erfahrung von seinem solchen "Aggregat" dargelegt finden; er möge auf ihn "wohl Acht haben" (vgl. Fortschritte der Metaphysik, I, 507f).

Prolegomena § 36 wird der "höchste Punkt" bezeichnet, den die Transzendentalphilosophie "nur immer berühren mag", ihre "Grenze und Vollendung"; sie liegt in der Antwort auf die Frage: wie ist Natur nöglich? Diese Frage enthält neben der "materiellen" Seite, welche unter "Natur" Raum und Zeit mit ihren Inhalten versteht, und welche, wie KANT a. a. O. bemerkt, in der transzendentalen Ästhetik, und wie wir hinzufügen können, schon in der Inauguraldissertation ihre Erledigung gefunden hat, eine "formelle" Seite. Auf dieser Seite wird ähnlich wie in Anm. 6 zitierten Brief an HERZ nach der Möglichkeit des Inbegriffs von Regeln, von "reinen und allgemeinen Naturgesetzen" gefragt, unter denen alle Erscheinungen stehen müssen. Die eigentümlich kantische, von ihm selbst als "anfangs befremdlich" bezeichnete Antwort ist bekanntlich: Sie sind "möglich", sie haben nicht bloß einen apriorischen Ursprung, sondern auch eine apriorische Gültigkeit, weil "der Verstand seine Gesetze (a priori) nicht aus der Natur schöpft, sondern sie dieser vorschreibt", weil "Natur und mögliche Erfahrung ganz und gar einerlei ist". (16); weil jene Gesetze die "Bedingungen der notwendigen Vereinigung aller Wahrnehmung in einer Erfahrung" enthalten, "ohne welche wir ganz und gar keinen Gegenstand der Sinnenwelt erkennen könnten". Mit dieser höchsten Aufgabe der Transzendentalphilosophie nun stehen unsere Analogien in einem unauflöslichen Zusammenhang; und damit zugleich mit all den schwierigen Meditationen, welche KANT seit der Veröffentlichung seiner Inauguraldissertation abgesponnen hatte. Wie sollte es auch anders sein? befindet sich doch unter ihnen gerade der "Satz vom Grunde", desse Apriorität HUME so scharfsinnig bezweifelt hatte! was denn "eben dasjenige" war, was KANTs "dogmatischen Schlummer" einst unterbrochen und seinen spekulativen Untersuchungen die kritische, transzendentale Richtung gegeben hatte (17).

Der Zusammenhang tritt auch äußerlich hervor. KANT sagt, auf seinen Beweis für die Apriorität der Analogien zurückblickend (Kr. d. r. V., II, Seite 181f):
    "Unsere Analogien stellen also eigentlich die Natureinheit im Zusammenhang aller Erscheinungen unter gewissen Exponenten (18) dar ... Zusammen sagen sie: alle Erscheinungen liegen in einer Natur (19) und müssen darin liegen, weil ohne diese Einheit a priori keine Einheit der Erfahrung ... möglich wäre." (20)
KANT in der Vorrede der zweiten Auflage der "Kritik" das Grundapercu seiner Erkenntnislehre mit der kopernikanischen Erklärung der scheinbaren Planetenbewegungen in einen merkwürdigen, bekannten Vergleich gesetzt. Er fand jenes so revolutionär wie diese, hier wie dort die landläufige Auffassungsart geradezu auf den Kopf gestellt. Wie KOPERNIKUS Bewegung und Ruhe ganz im Gegensatz zum bisherigen Gebrauch "auf eine widersinnige aber doch wahre Art" an Sterne und Zuschauer verteilte, so wollte KANT "zwecks der verlangten Möglichkeit einer Erkenntnis a priori, die über die Gegenstände, ehe sie uns gegeben werden, etwas festsetzen soll, zumindest zum Versuch einmal annehmen, die Gegenstände (als Objekt der Sinne) müßten sich nach unserer Erkenntnis richten" - und nicht umgekehrt, was man bisher glaubte. Und in der Vorrede auf diese Weise nur als Hypothese vorgetragene "Umänderung der Denkart" wird dann in der "Kritik" selbst "aus der Beschaffenheit unserer Vorstellungen von Raum und Zeit und den Elementarbegriffen des Verstandes" wie der Autor meint, "apodiktisch bewiesen": was, wenn die Analogie mit der Erklärung der himmlischen Bewegungen weiter geführt werden sollte, allerdings, wie KANT andeutet, der Leistung NEWTONs für die Gravitationslehre entsprechen würde.

Eine solche Position in Bezug auf die "Begriffe der Größen" anzunehmen, war ihm schon in der Inauguraldissertation, so wie in diesem Brief an HERZ (Anm. 6) nicht schwer gefallen:
    "In der Mathematik geht dieses an, weil die Objekte vor uns nur dadurch Größen sind und als Größen können vorgestellt werden, daß wir ihre Vorstellungen erzeugen können, indem wir Eines etliche Mal nehmen". (21)
Er erinnert in der Stelle jener Vorrede an diesen Anfang seiner gleichsam kopernikanischen "Umänderung der Denkart", indem er die oben zitierte "verlangte Möglichkeit" in Bezug auf die "Anschauung" nunmehr "ganz wohl" aus der "Beschaffenheit unseres Anschauungsvermögens" erklärbar findet. Aber was die Beziehung der Anschauungen als Vorstellungen auf irgendetwas als Gegenstand und die Neubestimmung dieses durch jene angeht, so formuliert er von Neuem eine Alternative, die die alten Skrupel ins Gedächtnis ruft. Er streift noch einmal das Bedenken, ob nicht die Verstandesbegriffe, wodurch ich die Bestimmung des Gegenstandes zustande bringe, von diesem Gegenstand selbst abhängig sind; aber er hat es jetzt, wie er glaubt, siegreich überwünden: "ich würde auf diese Weise nichts hiervon a priori wissen". Ein solches Wissen aber ist ihm "wirklich und gegeben" (Prolegomena, a. a. O., Seite 27). Also muß auch in Bezug auf die Verstandesgesetze, die wir in der Natur ausgeprägt finden, wie in Bezug auf die Gesetze von Größen und Anschauungen, der erkenntnistheoretische Kopernikanismus gelten, die Lehre, "daß wir von den Dingen nur das a priori wissen, was wir selbst in sie legen."
    "Zu aller Erfahrung und deren Möglichkeit gehört Verstand und das Erste, was er dazu tut, ist nicht: daß er die Vorstellung der Gegenstände deutlich macht, sondern daß er die Vorstellung eines Gegenstandes überhaupt möglich macht."
Auf diese zweite Hälfte des Kopernikanismus werden wir nun im Anschluß gerade an die Analogien von unserem Philosophen wiederum ganz besonders aufmerksam gemacht, wie denn gleich das letzte Zitat diesem Kontext entlehnt war. Eine Stelle, die sich wenige Seiten voher findet, ist für unsere Zwecke noch belehrender. Nachdem von der zweiten Analogie, dem Gesetz, daß die objektiven Erscheinungen nach einer Regel aufeinander folgen, gezeigt ist, daß es die Bedingung ist, unter welcher "ich meine subjektive Synthesis (der Apprehension) objektiv mache", zu einem objektiven Ergebnis einer wirklichen Begebenheit mache, wird fortgefahren:
    "Zwar scheint es, als widerspreche dieses allen Bemerkungen, die man jeder Zeit über den Gang unseres Verstandesgebrauchs gemacht hat, nach welchem wir nur allererst durch die wahrgenommenen und verglichenen übereinstimmenden Folgen vieler Begebenheiten auf vorhergehende Erscheinungen, eine Regel zu entdecken geleitet wurden, der gemäß gewisse Begebenheiten auf gewisse Erscheinungen jederzeit folgen und dadurch zuerst veranlaßt wurden, uns den Begriff einer Ursache zu machen. (22) Auf einen solchen Fuß würde dieser Begriff bloß empirisch sein ... Seine Allgemeinheit und Notwendigkeit wären alsdann nur angedichtet ... weil sie nur auf Induktion gegründet wären. Es geht aber hiermit so, wie mit anderen reinen Vorstellungen a priori (z. B. Raum und Zeit), die wir darum allein aus der Erfahrung als klare Begriffe herausziehen können, weil wir sie in die Erfahrung gelegt hatten" usw. (23)
Die Worte zeigen auf das deutlichste wie sehr diese zweite Hälfte der revolutionären Theorie ganz nach dem Muster der ersten konzipiert ist und wieviel des Gewichts dieser zweiten Seite auf die bedeutsamste der Analogien fällt.

Daß in der neuen Erkenntnislehre die bisherige Denkart in befremdlicher Weise auf den Kopf gestellt ist, wird auch in einer die dritte Analogie und ein auf sie bezügliches Korollar [Zugabe - wp] betreffenden Anmerkung recht deutlich hervorgehoben. Die Analogie ist der "synthetische" Satz von der Wechselwirkung oder Gemeinschaft (commercium) aller Substanzen, das Korollar der Satz von der "Einheit des Weltganzen, in welchem alle Erscheinungen verknüpft sein sollen" (nach KANT nämlich "offenbar eine Folgerung des Grundsatzes der Gemeinschaft aller Substanzen, die zugleich sind", der dritten Analogie). DIeser Satz galt auch, bemerkt KANT, vor der "Kritik"; aber wie wollte man ihn beweisen? Man konnte doch die "Wechselwirkung des Mannigfaltigen", "ein reales Verhältnis", nicht etwa aus dem lokalen Zugleichsein, der communio spatii, "einem bloß idealen Verhältnis" mit Grund erschließen wollen? Nein: es geht eben nur umgekehrt! Die Gemeinschaft der Substanzen ist "eigentlich der Grund der Möglichkeit der Koexistenz" und "man schließt also eigentlich nur aus dieser auf jene, als ihre Bedingung zurück."

Und in Beziehung auf alle drei Analogien wird die originelle Position des Autors folgendermaßen deutlich gemacht. Die Analogien gelten ihm von vornherein als in sich selbst gewiß, tatsächlich wirklich und unbestritten, gerade so wie die himmlischen Phänomene; bei der Erklärung der letzteren gerieten die Ptolemäer in die Verlegenheiten des Epizyklengewirrs; in größere Verlegenheit und Ungeheuerlichkeit war nach KANT der bisherige Rationalismus mit seinen Beweisen für jene Sätze geraten; z. B. für den Satz vom zureichenden Grund, "daß jede Begebenheit etwas im vorigen Zustand voraussetzt, worauf sie nach einer Regel folgt". Es forderte dieser Ausgang eine radikale Änderung der Beweisart. KANT macht über seine eigentümliche Beweisart, auf die Acht zu haben er, wie wir sahen, den Leser besonders ermahnt, folgende "Anmerkung":
    "Hätten wir diese Analogien dogmatisch, d. h. aus Begriffen beweisen wollen, so wäre alle Bemühung gänzlich vergeblich gewesen. Denn man kann von einem Gegenstand und dessen Dasein auf das Dasein des andern oder seine Art zu existieren, durch bloße Begriffe dieser Dinge gar nicht kommen, man mag dieselben zergliedern wie man will" -
wie KANT aus HUME gelernt hatte (24). "Was blieb uns nun übrig?" Ja, was blieb übrig, wenn die Zergliederungskunst so "vortrefflicher Analysten", wie sie die wolffische Schule gezeitigt hatte, vor den Zweifeln des Empirismus erlag? was blieb übrig, wenn man den Rationalismus "retten" wollte? Wie es KANT schien, nichts als der Rekurs auf die "Möglichkeit der Erfahrung", als die "Methode", nach der, wie wir sehen werden, die Analogien wirklich "apodiktisch bewiesen" sein sollen.

Der Bedeutsamkeit und Wichtigkeit gerade dieser "transzendentalen Naturgesetze" entsprechend, hat KANT auch überall da, wo es darauf ankam für "intellektuelle und zugleich synthetische Sätze a priori" Beispiele zu bezeichnen, jedesmal an erster Stelle oder allein die Analogien der Erfahrung, vorzüglich die erste und zweite herausgehoben (25). Und auch bei Berichterstattern über die kantische Erkenntnislehre macht sich meist ungesucht der Vorrang der Analogien gerade so geltend wie wie es oben schon bei SCHOPENHAUER sahen (26).

SCHOPENHAUER bezeichnete freilich die Erörterungen über diese Analogien zugleich als unklar, unsicher und unhaltbar. Ob sie und inwiefern sie haltbar sind: das ist gerade die Frage, die uns beschäftigt. Und sollten die Beweise, die KANT uns bietet, an Unklarheiten und Unbestimmtheiten leiden, so wird man sich bei der eminenten Bedeutung, die der Philosoph nachgewiesenermaßen dem Gegenstand beilegt, um eine möglichste Klärung und Festigung seiner Ansicht bemühen müssen.

5. Die erklärende Tätigkeit findet sich zunächst beim Namen aufgehalten. Warum heißen Sätze von so universalem und prinzipiellem Charakter wie das Kausalgesetz "Analogien"? warum nicht Axiome, wie der Brief an HERZ (Anm. 6, Werke XI, Seite 26) solche Grundsätze nennt und wie die erste Klasse der synthetischen Sätze in der "Kritik" wirklich genannt wird? Oder warum nicht "Antizipationen", wie die zweite Klasse, deren Grundsatz: In allen Erscheinungen hat das Reale eine intensive Größe, d. h. einen Grad, "alle Wahrnehmungen als solche antizipiert"? Warum nicht Antizipationen, da man doch nach KANT "alle Erkenntnis, wodurch ich dasjenige, was zur empirischen Erkenntnis gehört, a priori erkennen und bestimmen kann, eine Antizipation nennen kann." Der Satz, daß jede Veränderung ihre Ursache haben muß, enthält doch eine solche Bestimmung über Empirisches im Voraus! Und stoßen wir doch bei KANT selbst gelegentlich auf eine Fassung desselben, die alles was geschieht, jederzeit als durch eine Ursache nach beständigen Gesetzen vorher bestimmt bezeichnet! Warum heißen also nicht alle Grundsätze Antizipationen? Auch nach Werke II, Seite 204 besteht ja ihre Leistung gerade darin, "die Form einer möglichen Erfahrung überhaupt zu antizipieren." Und was insbesondere unsere Analogien angeht so heißt es (Seite 182) in Bezug auf sie, daß es Regeln der synthetischen Einheit a priori sind, "mittels deren wir die Erfahrung antizipieren" können.

Wenn man dies alles zusammenhält, so würde, da unser wissenschaftlicher Sprachgebrauch für Sätze, die mögliche Erfahrungen in universalster Weise vorher bestimmen, wie etwa das Trägheitsaxiom GALILEIs, den Terminus Antizipation nicht anzuwenden pflegt, jedenfalls nichts im Wege stehen, die "Analogien" KANTs, beispielsweise den Satz von der gesetzmäßigen Abfolge aller Erscheinungen, als Axiom zu bezeichnen; und KANTs Wechsel der Terminologie scheint nur ein Luxus oder eine scholastische Spielerei zu sein. So wenig geleugnet werden soll und kann, daß etwas davon hier vorliegt, ja daß der große Philosoph auch sonst mehrfach diese Schwäche zeigt, so ist es doch billig und zur Klärung der Sache notwendig, das tatsächliche Motiv für diese fremdartige Namensgebung kennenzulernen.

Weshalb er keinen "diskursiven" Satz, wie: Alles, was geschieht, hat seine Ursache, weshalb er keinen "synthetischen Satz der reinen und transzendentalen Vernunft", überhaupt keinen Grundsatz in der Philosophie für die Bezeichnung Axiom geschickt erachtet, setzt er des Weiteren in dem Abschnitt der "Kritik", welcher "die Disziplin der reinen Vernunft im dogmatischen Gebrauch" überschrieben ist, auseinander. Axiome sind ihm nur "unmittelbar gewisse", "evidente", "augenscheinliche" Sätze, wie: "daß zweimal zwei vier geben", "daß drei Punkte jederzeit in einer Ebene liegen"; kurz, Axiome gehören der Mathematik an. Solche Sätze lassen sich durch Konstruktion in der Anschauung unmittelbar als richtig erweisen und begreifen; philosophische, diskursive Grundsätze aber "erfordern jederzeit noch eine Deduktion", und können "nicht direkt unmittelbar aus den Begriffen allein" erkannt werden.

Und warum heißt ein "diskursiver" Satz, wie der von der notwendigen Korrelation von Ursache und Wirkung "Analogie"? Von Neuem tritt uns der Gegensatz von Philosophie und Mathematik entgegen, wie er keimartig zuerst im Brief an MARCUS HERZ (Anm. 6) zum Vorschein kam: "In der Philosophie bedeuten Analogien etwas sehr Verschiedenes von dem, was sie in der Mathematik vorstellen." Erstens nicht die Gleichheit zweier quantitativer, sondern zweier qualitativer Verhältnisse; eine Gleichheit, eine Identität allerdings, aber nicht wie man das Wort gemeinhein nimmt, eine unvollkommene Ähnlichkeit zweier Dinge, sondern eine vollkommene Ähnlichkeit zweier Verhältnisse zwischen ganz unähnlichen Dingen." Zweitens läßt sich hier, wenn drei Glieder einer Proportion gegeben sind, nur das Verhältnis zu einem vierten, nicht aber dieses vierte Glied selbst erkennen und a priori bestimmen. "So ist eine Analogie zwischen dem rechtlichen Verhältnis menschlicher Handlungen und dem mechanischen der bewegenden Kräfte" dem Gesetz von NEWTONs Mechanik: actioni contrariam semper et aequalem esse reactionem [bei der Wechselwirkung zwischen zwei Körpern erzeugt jede Aktion gleichzeitig eine gleich große Reaktion - wp] entspricht auf dem "ganz unähnlichen" Gebiet des Rechts eine "vollkommen ähnliche" Verhältnisbestimmung: "Ich kann gegen einen Anderen niemals etwas tun, ohne ihm ein Recht zu geben, unter denselben Bedingungen eben dasselbe gegen mich zu tun.

Wenn das dritte Glied der Proportion mit dem ersten zur selben Gattung gehört, kann ich antizipatorische Bestimmungen über das vierte Glied selbst treffen; wenn das nicht der Fall ist, nur über das Verhältnis zum dritten. (Kritik der Urteilskraft, a. a. O., Seite 370, Anm.) Ich kann z. B. zwar die Proportion ansetzen: wie sch die Beförderung des Glücks der Kinder zur Liebe der Eltern verhält, so die Wohlfahrt des menschlichen Geschlechts zu dem in Gott, was wir Liebe nennen; aber diese Liebe selbst bleibt ein Unbekanntes, empfängt aus der menschlichen Neigung keine Bestimmung.
    "Wenn ich sage: wir sind genötigt, die Welt so anzusehen, als ob sie das Werk eines höchsten Verstandes und Willens ist, so sage ich wirklich nicht mehr als: wie sich eine Uhr zum Uhrmacher verhält, so die Sinnenwelt oder alles was die Grundlage dieses Inbegriffs von Erscheinungen ausmacht, (27) zu dem Unbekannten, das ich also hierdurch zwar nicht nach dem, was es ansich ist, aber doch nach dem, was es für mich ist, nämlich in Anbetracht der Welt, deren ich ein Teil bin, erkenne."
Ich bestimme nur das Verhältnis der obersten Ursache zu einer mir bekannten Wirkung, der Weltordnung, und sage:
    "Die Kausalität der obersten Ursache ist dasjenige in Anbetracht der Welt, was menschliche Vernunft in Anbetracht ihrer Kunstwerke ist" ... "ohne darum eben dasselbe, was ich am Menschen unter diesem Ausdruck verstehe (28), oder sonst etwas mir Bekanntes ihr als ihre Eigenschaft beizulegen".
Auch hat der Begriff der Ursache hierbei gar nichts mit Sinnlichkeit, nichts mit Zeitfolge zu tun.

Diese mit echt kantischer Subtilität und Reserve verklausulierten und dabei übrigens doch nicht rundweg sich resignierenden (29) metaphysischen Erklärungen genügen (30), um von den Motiven für die Benennung unserer erkenntnistheoretischen Grundsätze die richtige Vorstellung zu gewinnen. Halten wir uns zur näheren Verdeutlichung an den wichtigsten der drei Sätze: das Kausalitätsaxiom! Es heißt in der Fassung der ersten Auflage: Alles was geschieht (anhebt zu sein) setzt etwas voraus, worauf es nach einer Regel folgt. Das Verhältnis, welches vorliegt, trat uns auch in der letztzitierten metaphysisch auslaufenden Analogie entgegen; es ist das zwischen Ursache und Wirkung. Wir haben nach dem Obigen zu fragen: Zu welcher philosophischen Proportion ist es zu ergänzen? welches ist das Verhältnis, mit dem das kausale in "vollkommener Ähnlichkeit" gedacht wird? warum läßt sich das vierte Glied selbst nicht herausrechnen?

Die Antwort auf diese Fragen ist in einem kantischen Sinn folgende: Das reale Verhältnis von Ursache und Wirkung, übrigens für uns nur in einem Zeitschema vorstellbar und auf Erscheinungen anwendbar, ist analog der in den hypothetischen Urteilen durch keine seinhafte Bedingung restringiert auftretenden Verstandesrelation von Grund und Folge. Es ist absolut notwendig, daß wie jeder Grund seine Folge, hat auch jedes Ereignis seine Wirkung; welches aber diese Wirkung sein wird, läßt sich a priori nicht sagen. Jede Veränderung hat ihre Ursache; aber welches jedesmal diese Ursache ist, kann sich erst a posteriori in der Wahrnehmung darstellen. HUME hatte völlig recht, wenn er die Möglichkeit, die besondere Natur der Wirkung aus der Ursache zu deduzieren, leugnete. Gewiß kann man nicht - auch Adam konnte vor der Trübung seiner Erkenntniskräfte durch den Sündenfall nicht aus der Durchsichtigkeit und Flüssigkeit des Wassers a priori schließen, daß es ihn eventuell ersticken könnte - gewiß vermag man nicht einzusehen, warum der Schnee nicht wie Salz schmecken oder wie Feuer brennen soll. Alles richtig. Die Natur des vierten Gliedes der Proportion ist eben nicht zu erschließen. HUME hätte nur aufgrund dieses Sachverhalts nicht weiter behaupten sollen, daß auch das Verhältnis zwischen dem dritten und vierten Glied nicht a priori gilt, daß das Kausalitätsverhältnis selbst auch nur ein empirisch bestimmbares ist, daß man es erst abwarten muß, ob überal und zu jederzeit die Ereignisse causaliter, also durch Gesetze verknüpft sind. Sein Fehler war - so kann man es im Sinne KANTs ausdrücken - daß er die Konzeption einer "Analogie der Erfahrung" nicht traf. Eine Analogie der Erfahrung ist eine "Regel", das vierte Glied der Proportion zwischen einem logischen und einem realen Verhältnis "in der Erfahrung zu suchen und ein Merkmal es in derselben aufzufinden"; sie gilt "als Grundsatz von den Gegenständen (den Erscheinungen) nicht konstitutiv, sondern bloß regulativ". (31) (Kr. d. r. V., Werke II, Seite 155)

6. Die Fassung kann, wenn man sich des sonstigen Gebrauchs der Terminie "konstitutiv" und "regulativ" bei KANT erinnert, ein Mißverständnis hervorrufen, das sich oft genug eingestellt hat und in Reflexionen und Ansichten etwa folgender Beschaffenheit mündet: Es ist ein unabweisbares Bedürfnis des Verstandes, ja ein notwendiger Trieb jeder animalischen Intelligenz, für jede Veränderung eine gesetzmäßige Ursache anzunehmen und nach dieser Maxime eine solche zu suchen.
    "Es geschieht durch den Kausalbegriff, daß der Affe hierin, wie es scheint, menschlich organisiert (32), mit der Pfote hinter den Spiegel greift oder das neckische Gerät umdreht, um die Ursache der Erscheinung seines Doppelgängers zu sehen." (F. A. Lange, Geschichte des Materialismus, zweite Auflage, Bd. II, Seite 46f)
Dem angeborenen Trieb, jede Veränderung auf eine Ursache zurückzuführen, folgen wir Animalia schon sogleich, wenn wir die veränderlichen Empfindungszustände unseres Selbst, ansich nur "ärmliche Dinge", ein "roher Stoff" (SCHOPENHAUER, Vierfache Wurzel, § 20, Werke I, Seite 52f), als Ursachen, als Objekte in den a priori zur Verfügung stehenen Raum "projizieren". Und in einer solchermaßen entstandenen Welt setzen wir unserem kausalen Trieb gemäß voraus, daß wiederum alles seine Ursache haben muß. Wäre es auch anders, hätte der Weltlauf keine gesetzmäßige durch einen Kausalnexus determinierte Gangart, die uns vertrauenswerte und erfolgreiche Prämeditationen gestattet: wir können nicht einen Momen leben. Das Kausalitätsgesetz ist etwas, was nur der Verstand versteht; es ist ein apriorisches Besitztum unserer animalischen Natur, ein Vehikel für den Aufbau einer objektiven Welt, ein Postulat für eine sichere Lebensleitung; es ist eine Maxime unwissenschaftlicher Neugierde und wissenschaftlicher Forschung; ein unentbehrliches Regulativ aller theoretischen und praktischen Reflexion.
    "Das Gesetz vom zureichenden Grund ist nichts anderes als die Forderung alles begreifen zu wollen, als der Trieb unseres Verstandes, alle unsere Wahrnehmungen seiner eigenen Herrschaft zu unterwerfen, kein Naturgesetz; mit seinem induktiven Beweis sieht es sehr mißlich aus." (Helmholtz, Über die Erhaltung der Kraft, Seite 3; Physiologische Optik, Seite 453f)
Ich sehe davon ab, diese in kantischen Farben schillernden Vorstellungen und Räsonnements [Argumentationen - wp] - welche aber zumeist nur etwa so weit kantisch sind, als das "Analogon kantischer Vorstellungsart", womit einst GOETHE die Kantianer zu "lächelnder Verwunderung reizte (33) - hier zu widerlegen oder nach dem Maß der Wahrheit, das ihnen inne wohnt, zu modifizieren. Die ganze Abhandlung ist der Aufgabe gewidmet, über diese Dinge meine Ansicht zu entwickeln. Nicht einmal auf die Abscheidung alles Nichtkantischen kommt es mir hier an. Nur das Verführerische will ich beseitigen, was in KANTs Ausdrücken: "Regel, das vierte Glied ... in der Erfahrung zu suchen", "nicht konstitutiver, sondern bloß regulativer Grundsatz", liegt und leicht Mißverständnisse hervorrufen kann, die schließlich in der eben mitgeteilten Weise auslaufen. In dieser Beziehung soll erst einmal feststehen, was echt kantisch ist.

7. In der Kritik der Urteilskraft (Einleitung, Seite IVf und § 60) sowie in der von SIGISMUND BECK redigierten Abhandlung: Über Philosophie überhaupt handelt KANT von Gesetzen, deren Charakteristik der eben mitgeteilten erkenntnistheoretischen Auffassung besser entspricht, als das Kausalitätsgesetz, obwohl sie von ihm und seinen Verwandten prinzipiell und radikal unterschieden werden. An ihnen kann man sich über den korrekten Sinn und Inhalt der kantischen Analogien am besten orientieren.

Diese Gesetze werden auf folgende Weise eingeführt: Wir suchen anhand reiner Verstandesgesetze, wie des Kausalitätsaxioms, uns die Erscheinungen zurechtzulegen, zu begreifen. Unter jenen apriorischen Gesetzen stehen empirische; das Kausalitätsgesetz z. B. umfaßt alle die partiellen Regelmäßigkeiten, welche die allgemeine Gesetzmäßigkeit des Naturlaufs zusammensetzen. Wie, wenn diese partiellen Regelmäßigkeiten so unübersichtlich, wenn sie vielleicht gar "unendlich mannigfaltig" (KANT, Werke IV, Seite 22) wären, so daß für unser Gedächtnis und unsere Vorstellungskraft jede Möglichkeit des Behaltens und Zusammenfassens schwände! wenn
    "die spezifische Verschiedenheit der empirischen Gesetze der Natur samit ihren Wirkungen, so groß würde, daß es für unseren Verstand unmöglich wäre, in ihr eine faßliche Ordnung zu entdecken, ihre Produkte in Gattungen und Arten einzuteilen!"
Würden wir imstande sein, "aus einem für uns so verworrenen, unserer Fassungskraft nicht angemessenen Stoff eine zusammenhängende Erfahrung zu machen" (Seite 25), die Natur zu begreifen? würden wir uns in ihr auch nur praktisch zurecht zu finden, die Zukunft zu beherrschen, unser Leben zu erhalten vermögen?

So entsteht unserem Verstand das "Bedürfnis" (a. a. O., Seite 23), aller Reflexion über die Natur als "Prinzip a priori" die "Maxime" zugrunde zu legen, "vorauszusetzen", "anzunehmen", daß nach den empirischen Gesetzen, die den allgemeinen Verstandesgesetzen subordiniert sind, "eine erkennbare Ordnung der Natur "eine erkennbare Ordnung der Natur möglich ist", "daß es in ihr eine für uns faßliche Unterordnung von Gattungen und Arten gibt", daß die verschiedenen Arten der Kausalität "unter einer geringen Anzahl von Prinzipien stehen mögen, mit deren Aufsuchung wir uns zu beschäftigen haben" usw. (Seite 24); kurz: daß der materiale Gehalt der Natur nach einem Prinzip der Zweckmäßigkeit für unser Erkenntnisvermögen "zur Faßlichkeit für die menschliche Urteilskraft" nach einem "Gesetz der Spezifikation" und "systematischen Einheit" zugerichtet ist.
    "Wenn wir eine solche systematische Einheit antreffen", so freuen wir uns, "eines Bedürfnisses entledigt", "obgleich wir notwendig annehmen mußten, es sei eine solche Einheit, ohne daß wir sie doch zu beweisen vermögen." (34)
Das klingt durchaus an die Art an, wie wir oben, namentlich von HELMHOLTZ, die kantische Apriorität des Kausalitätsgesetzes, sollen wir sagen, verstanden oder umgebildet sahen; aber gerade die zum Teil bis zu völliger Kongruenz sich steigernde Verwandtschaft, welche diese Auffassung mit dem kantischen Gesetz der Spezifikation zeigt, beweist, wie unkantisch sie selbst ist (35). Denn KANT statuiert zwischen diesem mitsamt seinen Verwandten und jenem einen radikalen unüberbrückbaren Unterschied. Nämlich folgenden:

Das Kausalitätsgesetz, wie die beiden anderen Analogien der Erfahrung, alle synthetischen Sätze a prior sind nach KANT als solche objektiv gültige, allgemeine Naturgesetze, Vorschriften des reinen Verstandes an die Natur, die sie immer und überall zu bewähren hat, weil sie selbst der Grund der Möglichkeit der Natur sind (vgl. § 4). Prolegomena, § 37: "Der Verstand schöpft seine Gesetze (a priori) nicht aus der Natur, sondern schreibt sie dieser vor." Durch das Gesetz der Spezifikation aber, wie nach HELMHOLTZ durch das Kausalitätsgesetz,
    "schreibt man weder der Natur ein Gesetz vor, noch lernt man eins von ihr durch Beobachtung (obgleich jenes Prinzip durch diese bestätigt werden kann)".
Es betrifft nur unsere Reflexion über die Natur; es ist eine Forschungsmaxime, ein Leitfaden; man will damit nur, daß man nach diesem Prinzip den empirischen Naturgesetzen nachspürt, weil wir nur soweit als jenes stattfindet, mit dem Gebrauch unseres Verstandes in der Erfahrung fortkommen und Erkenntnis erwerben, begreifen können.
    "Die allgemeinen Gesetze des Verstandes, welche zugleich Gesetze der Natur sind, sind derselben ebenso notwendig ..., als die Bewegungsgesetze der Materie ... Allein, daß die Ordnung der Natur nach ihren besonderen Gesetzen bei all unserer Fassungskraft übersteigenden wenigstens möglichen Mannigfaltigkeit ... doch dieser wirklich angemessen ist, ist, soviel wir einsehen können, zufällig." (a. a. O., Seite 26)
Kurzum: die Analogie der Erfahrung, insbesonders das Kausalitätsgesetz, ist nach KANT bloß regulativ zwar für die Auffindung des "Was" der Verknüpfung und Relation; aber in Bezug auf das "Daß" ist sie konstitutiv. Wir haben nach ihm ein unzweifelhaftes Recht, von vornherein zu behaupten, daß jede mögliche Erfahrung, daß die gesamte objektive Wirklichkeit, die ganze Natur unter diesen Gesetzen stehen muß: es sind die höchsten und allgemeinsten, unbestritten gültigen "Naturgesetze", "obgleich aus Spontaneität entsprungen" (Werke IV, Seite 26).

Es fragt sich, wie KANT das beweisen will.
LITERATUR: Ernst Laas, Kants Analogien der Erfahrung, Berlin 1876
    Anmerkungen
    13) vgl. "Vierfache Wurzel", § 23, I, Seite 85: "Die Darlegung der Allgemeingültigkeit des Gesetzes der Kausalität für alle Erfahrung ... und seiner ... Beschränkung auf die Möglichkeit der Erfahrung ist ein Hauptgegenstand der Kritik der reinen Vernunft."
    14) Vgl. KANTs Prolegomena, § 13, Anm. 2, Werke III, Seite 46: "Daß man unbeschadet der wirklichen Existenz äußerer Dinge von einer Menge ihrer Prädikate sagen kann: sie gehörten nicht zu diesen Dingen ansich, sondern nur zu ihren Erscheinungen und hätten, außer unserer Vorstellung, keine eigene Existenz, ist Etwas, was schon lange vor LOCKEs Zeiten, am meisten aber nach diesen allgemein angenommen und zugestanden ist. Dahin gehören die Wärme, die Farbe, der Geschmack, etc. Ich aber noch überdies hinaus aus wichtigen Ursachen, die übrigen Qualitäten der Körper, die man primarias nennt, die Ausdehnung, den Ort, und überhaupt den Raum, mit Allem, was ihm anhängig ist (Undurchdringlichkeit oder Materialität, Gestalt etc.), auch mit zu bloßen Erscheinungen zähle", usw. Ganz ebenso war BERKELEY "aus wichtigen Ursachen", die in den Principles of human knowledge (§ 9f) entwickelt sind, über LOCKE hinaus und zur Leugnung der transzendenten Realität der primären Qualitäten fortgeschritten; und wenn er als Ursache der Erscheinungen in "uns" kurzerhand Gott ansetzte, so war das jedenfalls kein schlimmerer Überschritt in eine Aussage über das, was nicht perzipiert werden kann, als wenn KANT gelegentlich, wie auch hier zunächst das "Ansich" als "Dinge" bezeichnete und dann für diese noch weiter eine "oberste Ursache" (Prolegomena, Seite 135, Anm.), in Anspruch nahm.
    15) vgl. dazu COHEN, Die systematischen Begriffe, Seite 53f
    16) Weshalb an der oben angeführten Parallelstelle aus den "Fortschritten etc." (I, Seite 507) "die höchste Aufgabe der Transzendentalphilosophie" auch lautet: "wie ist Erfahrung möglich?"
    17) vgl. den Versuch den Begriff der negativen Größen in die Weltweisheit einzuführen, Allgemeine Anmerkung, I, Seite 157f.
    18) Zur Erläuterung des Ausdrucks vgl. Seite 204, wo von allen Grundsätzen des reinen Verstandes gesagt wird: sie "sind bloß Prinzipien der Exposition der Erscheinungen".
    19) ebd: "Unter Natur ... verstehen wir den Zusammenhang der Erscheinungen ihrem Dasein nach, nach notwendigen Regeln, d. h. nach Gesetzen."
    20) Hier wird alle "Wirklichkeit" abhängig gemacht von einem "Zusammenhang mit irgendeiner wirklichen Wahrnehmung nach den Analogien der Erfahrung, welche alle reale Verknüpfung in einer Erfahrung überhaupt darlegen".
    21) Wir sehen schon jetzt davon ab, ob die erkenntnistheoretische Grundlage der Mathematik hiermit richtig bezeichnet ist. Nur dies möchte wohl ohne Weiteres einleuchten, daß jenes "Eine", das wir etliche Mal zu nehmen haben sollen, um Größen zu erzeugen, falls damit Raumgrößen gemeint sind, eine von dieser "Erzeugung" unabhängige, eine gegebene Größe ist (vgl. die Bemerkung von HOBBES und LEIBNIZ bei BAUMANN, Philosophie als Orientierung über die Welt, 1872, Seite 305).
    22) Diese Charakteristik stimmt genau zu den Überzeugungen auch des heutigen Empirismus (vgl. JOHN STUART MILLs Logik, III, 5, § 1 und 2): "Der Begriff der Ursache ist ein Begriff den man aus der Erfahrung gewinnen kann. Das Gesetz der Ursächlichkeit ist nur die alltägliche Wahrheit, daß man erfahrungsmäßig ... antrifft. Auf gewisse Tatsachen folgen gewisse andere Tatsachen immer; und werden dies, wie wir glauben, immer tun: denn diese Wahrheit ist von gleichem Umfang mit der menschlichen Erfahrung."
    23) vgl. hierzu die ganz unzutreffenden Bemerkungen SCHOPENHAUERs, Vierfache Wurzel, Werke I, Seite 81
    24) vgl. Werke I, Seite 157f.
    25) vgl. z. B. Kr. d. r. V., zweite Auflage, Werke II, Seite 776f; Prolegomena § 15, Seite 54; vgl. Fortschritt der Metaphysik, Werke I, Seite 507 und 560. - SCHOPENHAUER behauptet fälschlich, daß KANTs Beispiele "sich fast jedesmal nur auf die Kausalität beziehen" (Werke II, Seite 529).
    26) vgl. z. B. ALFRED HÖLDER, Darstellung der kantischen Erkenntnislehre, 1874, Seite 109. Übrigens hält SCHOPENHAUER etwas ganz anderes für die Hauptaufgabe der Erkenntnistheorie als KANT, nämlich die "Erklärung der Anschauung der Außenwelt" (Werke II, Seite 523). Wozu z. B. zu vgl. KANT, Prolegomena, § 5 und § 22.
    27) vgl. Prolegomena, §§ 33, 45, 57.
    28) Beim Biber nennen wir das Analogon der Vernunft, das sich in seinen Kunsthandlungen zeigt, um den spezifischen Unterschied anzuzeigen, Instinkt (Kritik der Urteilskraft, Werke IV, Seite 369, Anm.).
    29) Ein Nichtkantianer empfindet z. B. wahrscheinlicherweise gar kein Bedürfnis über die "Grundlage des Inbegriffs von Erscheinungen", zumal wenn er mit KANT etwa gar Natur und Leistungsfähigkeit dieser "Grundlage" für absolut unbekannt hält, noch weiter nach einer "Ursache" dieser Grundlage auszuschauen. Vgl. aber was KANT als wissenschaftliche Nötigung, "zu der Idee eines höchsten Wesens hinauszusehen" (Prolegomena, § 57-59), beibringt.
    30) Sonst vgl. noch "Kritik der Urteilskraft", § 60 und Einleitung, Seite IV und V (Werke IV, Seite 239f; 17f)
    31) Vgl. Werke II, Seite 552f und 558: "Transzendentale Sätze enthalten bloß die Regel, nach der eine gewisse synthetische Einheit desjenigen, was nicht a priori anschaulich vorgestellt werden kann ... empirisch gesucht werden soll." Seite 559, Anm.: "Mittels des Begriffs der Ursache gehe ich wirklich aus dem empirischen Begriff von einer Begebenheit ... heraus, aber nicht zu dem der Anschauung, die den Begriff der Ursache in concreto darstellt, sondern zu den Zeitbedingungen überhaupt, die in der Erfahrung dem Begriff der Ursache gemäß gefunden werden möchten."
    32) Nach SCHOPENHAUER wohnt dieser menschliche Zug auch Hunden bei, ja geht sogar bis auf die untersten Tiere, selbst bis auf den Wasserpolypen hinab. (vgl. "Vierfache Wurzel", § 20, Werke I, Seite 76)
    33) Einwirkung der neuern Philosophie, Goethes Werke (Ausgabe in 6 Bänden, Cotta, 1860, Bd. VI, Seite 505.
    34) Vgl. AUGUST STADLER, Kants Teleologie, 1874, Seite 29f, 32 nennt er mit Recht das Spezifikationsgesetz die "Hypothese von der Begreiflichkeit der Natur".
    35) Für COHEN freilich (Kants Theorie der Erfahrung, Seite 203) ist noch folgender Satz von HELMHOLTZ kantisch: "Das Kausalgestz trägt den Charakter eines rein logischen Gesetzes (!) auch darin ansich, daß die aus ihm gezogenen Folgerungen nicht die wirkliche Erfahrung betreffen, sondern deren Verständnis und daß es deshalb durch keine mögliche Erfahrung je widerlegt werden kann." Das soll dann so viel sein, als wenn KANT sagt, das Kausalitätsgesetz beherrscht darum jede wirkliche Erfahrung, weil auf ihm die Möglichkeit der Erfahrung beruth! weil es überhaupt Erfahrung, objektive Realität möglich macht! - Ein anderer Versuch, HELMHOLTZ zum Kantianer zu machen, ist weitläufig widerlegt bei WILHLEM TOBIAS, a. a. O., Seite 82 (vgl. Anm. 6)