ra-2Ch. BühlerM. J. EsslinP. SternM. NadeauJ. Volkelt    
 
SUZY GABLIK
Magritte und der Sprachgebrauch
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Magritte und das Objekt
Lebenslauf
Der Mann mit dem Bowler
Gesunder Menschenverstand
Magrittes Sprachgebrauch
Welt der Ähnlichkeit
Die Bildsprache Magrittes<

Magritte hat versucht, die Mehrdeutigkeit zu definieren, die zwischen einem realen Gegenstand, der geistigen Vorstellung davon und der gemalten Darstellung besteht.

Die Sprache ist ein Kommunikationssystem, das der empirischen Welt angepaßt ist; als konstruiertes Modell stimmt sie indessen, wie WITTGENSTEIN gezeigt hat, nicht notwendigerweise mit der Realität überein. Sie ist nicht eine statische, natürliche Eigenschaft des Universums, sondern umfaßt einen großen Bereich verschiedener Funktionen. Darüber hinaus scheinen Sprachfragmente, wenn sie den eigentlichen Verwendungssituationen entzogen sind, leblos. Der Sprachgebrauch ist auf anschauliche Weise mit den Problemen der Philosophie verwandt, insofern nämlich die Philosophie aus einer sehr allgemeinen Analyse der Fähigkeiten und Grenzen des menschlichen Denkens besteht. Wenn der Philosoph Ideen klären soll, muß er sowohl die Struktur von Begriffen verstehen wie auch das komplizierte Netzwerk von Regeln, das der Verwendungsweise von Wörtern zugrunde liegt.

WITTGENSTEIN betrachtete seine gesamte Philosophie als "einen Kampf gegen die Behebung unserer Intelligenz durch sprachliche Mittel". Mit seinen Darstellungen von Wörtern und Bildern versuchte MAGRITTE ebenfalls Licht in die Verwirrungen und groben Vereinfachungen zu bringen, die so tief in unseren Sprachgewohnheiten verwurzelt sind, daß sie nicht einmal mehr bemerkt werden. Wie die meisten seiner wichtigen Themen traten diese Untersuchungen bereits in den späten zwanziger Jahren auf.

Nicht-paradoxe Aussagen über die Realität sind bloß selektive Schlußfolgerungen, die proklamieren wollen, das Universum könne nur so oder so sein; diese Auffassung war mit MAGRITTEs Sicht unvereinbar. Was in gewissem Sinn unvermeidlich wahr erscheint, weil es durch den Verstand bestätigt wurde, ist eine stark vereinfachte und begrenzte Auffassung von den Möglichkeiten der Erfahrung, weil es nicht das ambivalente und paradoxe Wesen der Realität in Rechnung stellt. In MAGRITTEs Malerei ist alles auf eine spezifische Krise des Bewußtseins ausgerichtet, durch die der beschränkte Beweis der vernunftmäßigen Welt überschritten werden kann. Obwohl z. B. der Verstand die Präzision liebt, "verhindert die Intelligenz der Genauigkeit nicht das Vergnügen an der Ungenauigkeit".

Parallel zu seinen Untersuchungen metaphysischer Theorien über Realität und Illusion befaßte sich MAGRITTE in den dreißiger Jahren auch mit der Art und Weise, wie die Alltagssprache das Denken verhüllt. In der menschlichen Kommunikation wird auf zwei völlig unterschiedliche Arten auf Objekte Bezug genommen. Sie können entweder mit einem Namen bezeichnet werden, oder sie können durch ein Bild dargestellt werden, das einige Ähnlichkeit mit dem Objekt aufweist. Aber das Verhältnis zwischen dem Namen und dem benannten Ding ist ein willkürlich eingebürgertes, da die Beziehung zwischen jedem Wort und dem Ding, für das es steht, nur durch den semantischen Gebrauch existiert.

In der Reihe, die sich mit den Beziehungen zwischen Wörtern und Gegenständen oder zwischen linguistischen und bildlichen Darstellungssystemen beschäftigt, ist eines der Leitbilder "Der Schlüssel der Träume". Das Bild zeigt Bilder von vier nicht miteinander in Beziehung stehenden Objekten in einem Raster -, die Bilder sind mit Aufschriften versehen wie in einem Bilderbuch für Kinder. Die ersten drei Objekte sind unrichtig benannt; Bild und Aufschrift bezeichnen nicht den gleichen Gegenstand. Im vierten Fall stimmen das abgebildete Objekt und der Titel darunter überein. Zusammen mit dem gleichzeitigen "Sprachgebrauch I", das eine Pfeife mit der Aufschrift "Das ist keine Pfeife" zeigt, brachte "Der Schlüssel der Träume" eines der philosophisch signifikantesten und intellektuell schwierigsten Themen MAGRITTEs ans Licht. Hier beschäftigt er sich mit jenen Irrtümern, die aus der willkürlichen Sprachstruktur entstehen und so zu philosophischen Mißverständnissen führen. Diese Irrtümer wurzeln in Eigenschaften, die so sehr ein Teil des gewöhnlichen Denkens sind, daß sie, eben weil sie allgemein bekannt sind, völlig im Verborgenen leben. WITTGENSTEIN schrieb (aber diese Feststellung könnte ebensogut von MAGRITTE stammen), daß "die Aspekte jener Dinge, die für uns am wichtigsten sind, wegen ihrer Einfachheit und Gewöhnlichkeit verborgen sind. (Man ist nicht imstande etwas zu bemerken - weil es einem ständig vor Augen steht.) Das heißt, neue und ungewöhnliche Dinge werden bemerkt, gewöhnliche Ereignisse nicht.

Das gemalte Bild einer Pfeife, das uns mit solcher Präzision an eine Pfeife denken läßt, veranlaßt uns auch, durch einen bezeichnenden Mißbrauch der Sprache, zu sagen: "Das ist eine Pfeife." Aber ein Bild darf nach MAGRITTE nicht mit etwas Greifbarem verwechselt werden. Deshalb hat er unter das Bild einer Pfeife geschrieben: "Das ist keine Pfeife." (MAGRITTEs Leidenschaft für Genauigkeit hat ihn durch Jahre zum "bete noire" (schwarzen Schaft) gewisser Kritiker gemacht, die ihm Obskurantismus vorwarfen und ihn beschuldigten, daß er unser Vertrauen in das, was wir sehen, erschüttern wolle. Aber es ist die Sprache selbst, die eine solche Falle stellt. Wie WITTGENSTEIN beschäftigte sich auch MAGRITTE damit, wie man mittels Logik die Tyrannei der Wörter brechen und die Verwirrungen aufdecken könnte, die ihren Ursprung eben in den Formen unserer Sprache haben Verwirrungen, die niemals entdeckt würden, wenn niemand imstande wäre, die damit verbundenen philosophischen Probleme zu sehen. Das Wort "Hund" z.B. beißt nicht, wie WILLIAM JAMES einmal festgestellt hat. Noch liegt irgend etwas besonders Pfeifenartiges in dem Wort "Pfeife". Sowohl MAGRITTE als auch WITTGENSTEIN hatten gleichzeitig, aber ohne voneinander zu wissen, mit einer therapeutischen Analyse der spezifisch logischen Verwirrungen begonnen, die durch die Sprache hervorgerufen werden. MAGRITTE zog gewisse paradoxe Formulierungen, die sich aus den verborgenen Widersprüchen in der Struktur von Denken und Sprache ergeben, jenen Paradoxa (oder Widersprüchen) vor, die in festgefügten Systemen wie in der Logik oder in der Mathematik auftreten.

WITTGENSTEINs Behauptungen nahmen oft die Form des Unsinnigen an. Er wollte sie als Stufen einer Leiter verwendet sehen, die man wegwerfen konnte, sobald man sie erklettert hatte. Im "Sprachgebrauch I" hat MAGRITTE eine ähnlich unsinnige Vorgangsweise mit der Pfeife eingeschlagen: er bezeichnet mit einem Namen, was keinen Namen braucht (weil es schon bekannt ist), und er tut dies, indem er bestreitet, daß es das ist, was es ist. Nichtsdestoweniger ist die "Logik" unbestreitbar: diese Pfeife wird niemals geraucht werden. Üblicherweise stellt eine Beschriftung eine Assoziation zwischen den Objekten her, auf die sie sich bezieht, aber in diesem Fall entsteht eine charakteristisch paradoxe Situation. Es gibt nichts anderes als die Darstellung einer Pfeife, in einem unbestimmten und ungebundenen Raum, und dazu die Beschriftung. Obwohl das Bild und der Text nachweislich verwandt sind, ist es schwer zu sagen, daß die Behauptung im Text richtig oder falsch sei. Es ist weder ein Widerspruch, eine Tautologie, noch eine notwendige Wahrheit, weil nichts zu gleicher Zeit eine Pfeife sein und auch nicht sein kann.

In einer späteren Ausarbeitung derselben Idee, "Die Luft und das Lied", fährt MAGRITTE fort, denselben paradoxen "Irrtum" zu korrigieren: er zeichnet ein Bild, das niemals eine Pfeife sein kann (weil es nur eine Darstellung ist), und bestätigt, daß es keine Pfeife ist (ein Zen-Sprichwort sagt: Du kannst mit dem Finger auf den Mond zeigen, aber du mußt dabei aufpassen, den Finger nicht mit dem Mond zu verwechseln). Diesmal wurde die Pfeife sorgfältig in einen gerahmten Raum gesetzt, womit bezweckt wird, ihren Bildcharakter zu bestimmen. Auf den ersten Blick scheint das nichts anderes als ein einfacher Widerspruch zu sein, der dasselbe Grundgesetz der Logik verletzt. Wenn wir aber genauer untersuchen, was diesmal hier so klar durch den eher spaßhaften Rahmen als das Bild einer Pfeife definiert wurde, entdecken wir, daß MAGRITTE nun den Schritt über die paradoxe Formel hinaus getan hat. Die Pfeife wirft einen Schatten, als ob sie ein wirkliches dreidimensionales Objekt und nicht ein Bild wäre; und eine Rauchwolke, die aus der Pfeife kommt, schwebt über den Rahmen hinaus und legt damit nahe, daß es sich um wirklichen Rauch handelt! Aber Sein und Darstellung sind nicht dasselbe, ebensowenig wie ein Objekt dieselbe Funktion wie sein Bild hat.

Ein Bild ähnelt einem anderen Bild mehr als dem Ding, das es darstellt. (Ein Bild kann wohl eine Pfeife darstellen, aber die Pfeife stellt nicht das Bild dar.) Tatsächlich kann ein Bild alles und jedes darstellen, wie MAGRITTE im "Schlüssel der Träume" gezeigt hat. Seine bildlichen Darstellungen und seine verbalen Beschriftungen wurden willkürlich angeordnet, so daß sie einander nicht mehr in der üblichen Weise entsprechen. Das Bild eines Pferdes trägt die Aufschrift "Tür"; eine Uhr die Aufschrift "Der Wind". Normalerweise werden Objekte nach Wörtern wie "Baum" oder "Schuh" klassifiziert und ebenso nach Bildern, die sie darstellen. Je stereotyper diese Beschriftungen und ihre Verwendung sind, um so wahrscheinlicher ist es, daß das Dargestellte mit der Darstellung verwechselt wird. Die daraus resultierende Verwirrung bezeichnet man im allgemeinen als "Realismus": dort, wo er im höchsten Grad vorhanden ist, sind beide, nämlich Objekt und Darstellung, nicht mehr unterscheidbar.

Zu sagen, was ein Ding ist, beseitigt nach MAGRITTE nicht die Unfähigkeit, zu sagen, was ein Ding ist. Worte geben Objekte nicht wieder, sondern bleiben ihnen fremd und gleichgültig. (Auch JOHNs hat in seinen Bildern über Farben verschiedene Formen des darstellenden und verbalen Widerspruchs untersucht, wo z.B. das Wort "rot" in gelber Farbe angebracht ist, um einen blauen Fleck zu identifizieren.) Diese Gemälde zeigen, daß die Darstellung ein komplexer Prozeß ist, der mehr einschließt als ein bloßes Spiegelbild oder eine Nachahmung von Gegenständen. Sie ist vielmehr eine symbolische Beziehung, die sowohl relativ als auch variabel ist. Damit ein Bild ein Objekt darstellen kann, muß es Teil eines bekannten Systems der Darstellung sein, eines Systems, das die Objekte klassifiziert und nicht imitiert. MAGRITTE hat einen blendenden Aufsatz geschrieben, in dem er die Gefahr der bildlichen und sprachlichen Darstellungssysteme erläutert. Er wird hier wörtlich wiedergegeben:



Diese Abhandlung MAGRITTEs enthüllt das Wesen seiner Besessenheit von den Wort-und-Bildmalereien. Sie ist aber zugleich eine brillante Analyse der Unbestimmtheit und Mehrdeutigkeit der Sprache. (Diese Unbestimmtheit veranlaßt uns, Wörter zu sehen, deren Sinn wechselt wie Gestalten im Nebel). Sie ähnelt sehr WITTGENSTEINs Auffassung von der Sprache als einer Sammlung von Sprachspielen anstelle eines Bildes der Tatsachen, wobei er voraussetzt, daß es weniger bedeutet, in einer Sprache die Namen zu kennen, als zu lernen, wie man sie spricht, ebenso wie das Lernen der Namen von Spielkarten oder der Teile des Schachspieles noch nicht bedeutet, daß man Bridge oder Schach spielen kann. Ebenso hat ein Name ohne Kriterium für seine richtige Verwendung (d.h. wenn keine Regel dafür existiert) keine Bedeutung, es sei denn in einem Zusammenhang.

Der Sinn eines Satzes hängt davon ab, wie er gebraucht wird, und nicht so sehr davon, worauf er sich bezieht. So ist z. B. ein Satz ohne Anwendung, wie "rot ist fleißig", sinnlos. Wörter haben eine bestimmte Verwendung, und diese Verwendung ist weitgehend durch die Regeln der Sprache und die ganz bestimmten Bezüge der Wörter bestimmt. So ist etwa "Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung mit der Realität" etwas völlig Unterschiedliches in verschiedenen Sprachen. Nach WITTGENSTEINs Auffassung ist es irreführend, davon zu sprechen, daß Wörter "für Dinge stehen" oder "Bedeutungen haben", da alles nicht von den Wörtern selbst abhängt, sondern von der Art, wie wir sie verwenden.

MAGRITTEs Einstellung ist ähnlich, vor allem in Bildern wie "Der blaue Körper" und "Der eigentliche Sinn IV", wo geschriebene Wörter Dinge bezeichnen oder deren Platz einnehmen. Die Tatsache, daß z. B. die Worte "traurige Frau" das Bild einer traurigen Frau ersetzen können, beweist, daß die Ähnlichkeit nicht eine notwendige Bezugseigenschaft ist. Darstellungen sind Bilder, die ganz ähnlich funktionieren wie verbale Beschreibungen. Damit ein Bild einen Gegenstand darstellen kann, muß es ein Symbol für diesen Gegenstand sein und muß sich in irgendeiner Weise auf ihn beziehen; aber die Ähnlichkeit allein ist nicht genug, um eine Verwandtschaft der Bezüge herzustellen. Tatsächlich ist die Darstellung völlig unabhängig von der Ähnlichkeit, da fast alles für irgend etwas anderes stehen kann. Man kann jedem Objekt irgendeinen Namen geben (der Häuptling eines bestimmten afrikanischen Stammes hieß "Oxford University Press", und es gab Mädchen in Malawi, die "Frigidaire" hießen).

Oder ein Name kann, wie MAGRITTE gezeigt hat, das Bild eines Gegenstandes ersetzen. Ebenso kann fast alles als Zeichen verwendet werden, vorausgesetzt, daß es eine Übereinkunft hinsichtlich seiner Verwendung gibt; Zeichen haben keinen Sinn an sich. Ihr Sinn stammt aus der Übereinkunft über ihre Verwendung.

Alles das läßt uns nun denken, daß es wenig Beziehung zwischen einem realen Objekt und dem, was es darstellt, gibt. Nach MAGRITTE ist aber eine Ähnlichkeit allgemein sehr beliebt, auch wenn es gar keine gibt. Ein Porträt versucht, seinem Modell zu ähneln. Aber man könnte genausogut wünschen, daß das Modell versuchen sollte, seinem Porträt zu ähneln. (PICASSO soll einmal auf die Vorwürfe, daß sein Porträt von GERTRUDE STEIN ihr nicht ähnlich sähe, geantwortet haben: "Das macht nichts, es wird schon.") MAGRITTE hat selten Porträts gemalt; er dachte, es gäbe davon schon genug in der Welt. In dem einzig bekannten Selbstporträt malte er sich, wie er sein Essen mit vier Armen verzehrt.

Ähnlichkeit und Darstellung sind nicht dasselbe: Ein Objekt ähnelt sich, aber es stellt sich meist nicht dar. MAGRITTE drückt das so aus:
"Wir schreiben meist solchen Dingen Ähnlichkeit zu, die möglicherweise eine gemeinsame Beschaffenheit haben. Wir sagen "ähnlich wie ein Ei dem anderen", und wir sagen genauso leicht, daß eine Fälschung dem Original ähnelt. Diese sogenannte Ähnlichkeit besteht aus Vergleichsbezügen, deren Ähnlichkeiten wahrgenommen werden, wenn der Geist sie untersucht, bewertet und vergleicht ... Ähnlichkeit hat nichts mit Bejahung oder Verneinung der Vernunft zu tun, sondern nur mit dem spontanen Zusammensetzen von Gestalten aus der Welt der Erscheinungen in einer durch Inspiration vorgegebenen Ordnung.
In einem frühen Gemälde mit dem Titel "Der Unvorsichtige" sieht man ein Bild, das einer Person gleicht (mit dem Arm in der Schlinge), neben seinem Spiegelbild (wie in einem nichtverzerrenden Spiegel). Diese Person und ihr Spiegelbild befinden sich auf einer Terrasse, ein Berg und der Himmel bilden die Grenze des Gesichtsfeldes. Wenn ich dieses Bild "interpretieren soll", schrieb MAGRITTE, "würde ich (z. B.) sagen, daß die Erscheinung der Figur ihren geheimnisvollen Wert wieder entdeckt, wenn sie von ihrem Spiegelbild begleitet ist. In der Tat: eine auftretende Figur beschwört nicht ihr eigenes Mysterium, außer durch die Erscheinung ihrer Erscheinung." (Dies ruft wieder DUCHAMPs Theorien der Meta-Realität in Erinnerung, wo er vom Bild als "Sichtbarwerdung einer Erscheinung" spricht.)

Diese Frage nach Ähnlichkeit gegenüber der Identität, die durch die Bildvorstellung in MAGRITTEs "Unvorsichtigem" aufgeworfen wird, stellte auch RAUSCHENBERG im Jahre 1957, als er zwei völlig identische Bilder malte. ANDREW FORGE schreibt in seiner kürzlich erschienen Monographie über RAUSCHENBERG zu Faktum I und Faktum II:
"Charakteristischerweise drückt RAUSCHENBERG einen Widerspruch aus, dem er dann unmittelbar darauf widerspricht. Zwei Gemälde können einander so ähnlich sein, wie ein Ei dem anderen. Aber es gibt nicht zwei völlig identische Eier. Was bleibt - unter der Voraussetzung identischer Bestandteile - das dieses Bild zu eben diesem Bild macht und jenes zu jenem?"
Die Ähnlichkeit muß allerdings, zum Unterschied von der Darstellung, selbstbezüglich sein. In  The Shape of Time  behauptet GEORGE KUBLER, daß das Universum seine Form dadurch behält, daß es sich in sich selbst gleichenden Gestalten verewigt sonst wären unsere Wahrnehmungen chaotisch. Er schreibt allerdings:
"Es gibt keine zwei Dinge oder Handlungen, die als identisch angesehen werden können. Jede Handlung ist eine Erfindung. Trotzdem leugnet die gesamte Organisation des Denkens und der Sprache diese einfache Bestätigung der Nicht-Identität. Wir können das Universum nur so erfassen, daß wir es durch Identitätsvorstellungen nach Klassen, Typen und Kategorien vereinfachen, und dadurch, daß wir die unendliche Fortsetzung nicht-identischer Ereignisse in ein endliches System von Ähnlichkeiten umordnen. Es liegt in der Natur des Seins, daß sich kein Ereignis je wiederholt, aber es liegt auch in der Natur des Denkens, daß wir Ereignisse nur durch die Identität, die wir uns zwischen ihnen vorstellen, begreifen können."
Die Ähnlichkeit ist also kein Beweis der Identität; noch stellen ähnliche Objekte einander dar. Ein Symbol existiert kraft der Wiederholung, und seine Identität beruht darauf, daß einer bestimmten Form dieselbe Bedeutung durch verschiedene Benützer zugeschrieben wird. MAGRITTE hat die Fehlerhaftigkeit dieser Beziehungen auf verschiedene Weise demonstriert: Indem er amorphen Gestalten konkrete Bezeichnungen gab, oder indem er ein Etikett ("Nur zum äußeren Gebrauch"), das normalerweise mit Medikamenten in Verbindung gebracht wird, auf einem steifen Hut anbrachte, wie in "Der Pfropfen des Schreckens", und damit die übliche Bedeutung zerstörte. Schließlich hängt die Ähnlichkeit viel mehr von unseren geistigen Konstruktionen und Darstellungsweisen ab als von der tatsächlichen  Wahr scheinlichkeit - Bilder gleichen mehr der Weise, in der Natur dargestellt ist, als der Natur selbst.

Es ist allerdings richtig, daß unsere Darstellungsweisen meistens darauf abzielen, Ähnlichkeiten zu schaffen; sie sind in Wirklichkeit Codesysteme, um Grundsätze des Wiedererkennens festzulegen. Aber das ist eine Sache der Konvention, weil, wie WITTGENSTEIN hervorgehoben hat, die Sprache nicht ein "Bild" der Wirklichkeit ist, sondern ein vielfältig verwendbares Werkzeug. Eine Behauptung verstehen heißt wissen - nicht unbedingt, was sie schildert, sondern was sie tut, welche Funktion sie hat und welchem Zweck sie dient. "Man kann nicht erraten, wie ein Wort funktioniert", schrieb WITTGENSTEIN.
"Man muß seine Verwendung ansehen, um daraus zu lernen. Aber die Schwierigkeit liegt darin, die Vorurteile abzubauen, die dem im Wege stehen."
Auch dies könnten wir wieder als Beschreibung der Schwierigkeiten auffassen, die von MAGRITTE in seinen Wort-und-Bild-Gemälden dargelegt werden; nach MAGRITTE zeigt ein ähnliches Bild, was die Ähnlichkeit ist: nämlich eine Zusammenstellung von Formen, die überhaupt nichts bedeutet. Hier sagt er wieder genau dasselbe wie WITTGENSTEIN, nur kehrt er die Situation paradox um.
"Was auch immer die Striche, die Worte und die Farben, die auf einer Seite angeordnet sind, sein mögen, die resultierende Figur ist immer voll Bedeutung."
Und er fährt fort:
"Es interpretieren zu wollen - um irgendeine Art von Freiheit zu beweisen - heißt am Erkennen eines inspirierten Bildes vorbeigehen und es durch eine willkürliche Interpretation ersetzen, die ihrerseits wieder Gegenstand einer ganzen Reihe überflüssiger Interpretationen werden kann."
LITERATUR - Suzi Gablik, Magritte, München/Wien/Zürich 1971