p-4ra-1W. DiltheyH. EbbinghausW. BlumenfeldC. StumpfE. Laas    
 
JOHANN WOLFF
Das Bewußtsein und sein Objekt

"Die Existenz solcher Hypothesen, wie die, daß es Dinge gibt, daß es bestimmte Eigenschaften und Zustände derselben gibt, Raum, Bewegung und dgl., diese Hypothesen vorausgesetzt kann die Naturwissenschaft natürlich ihr Objekt selbständig, für sich erforschen, sowie es gerade in Erscheinung tritt."

"Bei Leibniz sind die unbewußten Vorstellungen so wichtige Faktoren und so mit seiner metaphysischen Lehre von der Kontinuität alles Seienden, Fortdauer der Seele, mit seiner Lehre vom angeborenen Intellekt verbunden, daß ihre Rolle nur um ein Winziges hinter der der bewußten Vorstellungen zurückbleibt und man sich nun nicht mehr zu wundern braucht, wenn in neueren Systemen das Unbewußte geradezu zur Erklärung des Bewußten, ja der ganzen Welt angerufen wird."


E i n l e i t u n g

Wie sehr auch die Klagen über die Unvollkommenheit unseres Wissens in Gebrauch sind, von anderer Seite betrachtet erscheinen doch unsere Erkenntnisse merkwürdig fertig. Ja, im Grunde beweisen gerade jene Klagen, daß wir doch an ein Wissen um Dinge und Ereignisse gewöhnt sind, daß wir Schatten sehen, eben weil wir auch Licht sehen. Auch das bekannte sokratische - freilich fingierte - Nichtwissen, supponierte [unterstellte - wp] doch eben recht vieles, dem es glaubte beigesellt zu sein; es sprach von einem ganzen Reichtum an Tatsachen, daß es sie nicht wüßte, sprach also doch davon, daß dieselben in irgendeiner Weise und zwar in einer bestimmten und für jeden Menschen ziemlich gleichen Weise geistiges Eigentum sind. An dieser Tatsache rüttelten selbst die extremsten Akademiker nicht. Eine ganze Welt, eine innere, eine äußere, tritt uns im Alter des Erwachsenen entgegen, mit allem Anschein zumindest, daß wir davon Kenntnis haben, d. h. sie begegnet uns doch mir nichts dir nichts als so und so beschaffene Welt. Wie wäre denn sonst auch die Sicherheit erklärbar, mit der wir im gewöhnlichen Leben eine Menge Handlungen in so kurzer Zeit vollbringen? Die Idee des Wissens hat eben hierin ihren Ursprung, und nachdem wir diese einmal haben, sorgt ein Drang nach weiteren Wissen dafür, daß wir inne werden, diese und jene Sachen, die wir wissen oder zu wissen glauben, ständen nicht im Einklang, unserem Wissen sei also ein relatives Nichtwissen, dem ein on ein eteron on [das andere Sein - wp], wie PLATO sagen würde, beigemischt.

Von einem Wissen, das wir haben oder zu haben glauben, dem Wissen von Etwas gehen wir immer aus, um auch das, was uns fehlt, in unseren Erkenntnisbereich zu ziehen. Das Ausgangswissen aber ist die ganze Welt, in der Bedeutung, wie sie jeder gewöhnliche Mann faßt. Alles, was wir zu erkennen begehren, muß also in irgendeinem Zusammenhang stehen mit dem, was wir, wirklich oder scheinbar, als geistiges Besitztum bereits vor uns haben, damit wir eben auf den Gedanken kommen, es wissen zu wollen (1). Somit ist alle Forschung das Suchen nach dem, was im Allgemeinen oder zum Teil bereits bekannt ist, in seiner konkreten Ganzheit aber noch nicht. Was als Teil oder als Ursache oder als Wirkung in der vorliegenden Erfahrung steckt, das eben suchen wir genauer kennenzulernen.

Allgemeiner und einfacher gesagt: Da auch der Teil eine Ursache des Ganzen ist, und in gewisser Weise, zumindest für manche Gebilde, das Ganze Ursache der Beschaffenheiten der Teile ist: Gründe suchen wir bei jeder Forschung. So gehen wir aus auf die Erkenntnis der einfachsten Teile auf physischem und psychischem Gebiet, also der Ursachen im eben bedeutenden Sinn als Ursachen des Bestandes der Dinge. Wir forschen dann nach den wirkenden Ursachen der Veränderungen; und schließlich spähen wir mit Vorliebe nach den Gattungen des Geschehens und der Veränderungen, nach allgemeinen Gesetzen. Auch sie sind Teil des Konkreten, d. h. der Einzelveränderungen, aber logische Teile. Sie stehen auch in einem gewissen ursächlichen Verhältnis zu ihnen. Nicht daß wir annehmen, daß die Gesetze die Ursache sind, daß dies so und so vor sich geht, sie sind, wie ein beliebter Ausdruck andeutet, eine Macht, die über die Veränderungen herrscht, nein, sie sind eben logische Ursachen, und zwar in analoger Weise, wie die physischen Teile Ursachen des Ganzen sind; sie setzen mit anderen, konkreten Eigenschaften, Ort, Zeit, Geschwindigkeit das Einzelphänomen der Veränderungen zusammen. Analog aber ist nur ihr ursächliches Verhältnis zu diesem, weil eben beide zu verschiedenen Kategorien gehören; dort, beim physischen Ganzen ist das Nebeneinander die Einheit der Teile im Ganzen, also die Einheit der Ursache und Wirkung im Raum; hier ist es, und damit weisen wir eine etwaige Mißdeutung zurück, hier ist es das Mitgedachtsein der Gattung im Speziellen und Individuellen. Weil wir, die wir für gewöhnlich von den Wirkungen und vom Ganzen ausgehen, die konkreten Veränderungen in vielen gleichartigen Exemplaren denken, denken wir auch darin die Gattungen mit, und können sie deshalb, allerdings durch eine eigenartige Kraft unseres Geistes, daraus entnehmen, zu ihnen auf- und niedersteigen. Bei diesem Geschäft suchen wir die logischen Teile und die logischen Ursachen' der Begebenheiten auf. Also auch die Aufstellung allgemeiner Gesetze folgt einem allgemeinen Forschungsgesetz, nach Gründen zu suchen.

Die Folgerung liegt nahe: alle Erkenntnisse, die wir in der wissenschaftlichen Forschung erwarten, erobern wir durch eine Analyse des Erfahrungsinhaltes; dies ist die fertige Welt, von der wir sprachen. Wir alle betrachten sie beim wissenschaftlichen Ausgang, so wie sie uns vorkommt, und nun geht die Untersuchung über zu den Teilen, den Gründen, den Wirkungen, dem Wechselverkehr der verschiedenen erfahrbaren Objekte untereinander. Auf diese Weise fand sich auf den verschiedenen Gebieten, die sich allmählich vom Ganzen losgetrennt haben, eine Menge Erkenntnisse, solche, nach denen man suchte, und solche, die der glückliche Zufall auf den Weg fallen ließ. Und immer wieder diente das Gewonnene, soweit es als sicher erschien, als Werkzeug, als Meißel, um neue Erkenntnisse auf demselben Gebiet, auf anderen Gebieten zu erwerben, und rückläufig auch dem hypothetischen Ausgangspunkt diejenige Gestalt zu geben, die nunmehr nach einer größeren Ausbreitung des Wissens die richtige schien. So stieg man tiefer und tiefer auf verschiedenen Feldern der Erkenntnis, baute auch Verbindungsgänge von einem zum anderen Schacht und fand, je tiefer man stieg umso mehr, welche Festigkeit, welche Sicherheit man der Oberfläche zuzuschreiben hatte, von der aus man hinabgestiegen war. Manche Stelle erschien nunmehr trügerisch und mußte durch ein solides Fundament unterstützt werden, der Schein durch eine Wahrheit. Aber zuletzt und spät, als man bereits manch wertvollen Schatz in diesem und jenem Einzelschaft gehoben hatte, stellte sich das Bedürfnis heraus, einmal nachzudenken darüber, was man selbst bei all den Arbeiten gewesen ist; die Selbstbesinnung wurde mit wissenschaftlicher Reflexion und Methode betrieben. Und so fand sich das Forschen nach der Welt im engeren Sinne einer anderen Wissenschaft gegenüber, der Geisteswissenschaft, und man erkannte bald, daß ihr Gebiet, für sich betrachtet schon, zumindest das gleiche theoretische Interesse wie jene Außenwelt beanspruchen darf. Wichtiger noch war aber die Entdeckung, die in verhältnismäßig später Arbeitsstunde gemacht wurde, daß jenes Wissen um das Subjekt direkt und indirekt das Material liefert für die letzte Wissenschaft, welche alle anderen Wissenschaften vollendet, die Metaphysik.

Harmloser war offenbar der erste Zweck, den man sich bei der Untersuchung des Gebietes der sogenannten inneren Erfahrung setzte: aus rein theoretischen Interesse ein Wissen um unsere Person selbst zu erlangen. Es ist deshalb auch die so motivierte Forschung auf dem Gebiet des Subjektiven historisch zuerst unternommen worden; keine Hintergedanken an eine praktische Verwertung für andere philosophische Disziplinen mischten sich der ersten Psychologen mit der einfachen Freude, die ihnen immerhin reichlich genug aus der Betrachtung des Seelenlebens für sich zufloß. Nicht nur die Wunderbarkeit des Sternenhimmels, auch die Herrlichkeit unseres Bewußtseins-"Raumes", wie ihn ein freilich wenig zutreffendes Gleichnis nennt, die Mannigfaltigkeit der Dinge, die sich darin "bewegen", die eigentümlichen Gesetze der Gravitation und psychisch-chemischen Affinität, die sich bei den Veränderungen der seelischen Erscheinungen zeigen, geben ansich dem Auge, das Neigung und Anlage zur inneren Beobachtung hat, Reizmittel genug, damit es an ihrer Betrachtung haften bleibt.

Mit anderen Absichten bearbeitet eine zweite Forschungsweise dasselbe Gebiet und befolgt demgemäß, zumindest in der Auswahl ihrer Materialien, zum Teil auch einen besonderen Weg. Indem sie jenes Wort: "Viel Gründe sind um dich herum, doch im eigenen Herzen ist der tiefste", - philosophisch natürlich gedeutet - gleichsam zur Maxime ihres Strebens macht, geht sie darauf aus, im Wissen um das Subjekt und seine Erlebnisse die letzten festen Punkt für das Gebäude der Gesamtwissenschaft zu finden. Die Berechtigung eines derartigen Gedankens liegt in diesen kurzen Überlegungen: Alle Naturwissenschaften, die Mathematik mit eingeschlossen, sind eigentlich nur hypothetische Wissenschaften. Sie gehen von Prämissen aus, die sie selbst nicht beweisen, die auch nicht alle unmittelbar einleuchten (2), die also provisorisch angenommen werden. Die Existenz solcher "Hypothesen", wie die, daß es Dinge gibt, daß es bestimmte Eigenschaften und Zustände derselben gibt, Raum, Bewegung und dgl., diese Hypothesen vorausgesetzt kann die Naturwissenschaft natürlich ihr Objekt selbständig, für sich erforschen, sowie es gerade in Erscheinung tritt. Die Analyse der allgemeinen Eigenschaften des Raums in der Mathematik, die Reduktion der physikalischen Zustände auf Bewegungen und ihre Gesetze, die Analyse und Synthese der Körper gemäß dem Affinitätsgesetz, das alles kann die Naturwissenschaft aus sich selbst heraus betreiben, ohne irgendeinen anderen Nutzen von der Philosophie zu erwarten, als den der logischen Schulung. Allein damit hat sie doch, wie eben angedeutet, nichts getan, als das Erscheinungsobjekt analysiert, insofern es Erscheinungen sind, unbekümmert, ob nun diesen in Wahrheit etwas entspricht, und einem solchen Wirklichen entspricht, das der Schein nicht Lügen straft. Das aber ist die Aufgabe der ersten Philosophie (prima philosophia), wie sie ARISTOTELES nannte, das Wirkliche aufsuchen, das hinter und in aller Erscheinung steckt, und seinen Zusammenhang mit dem Erscheinenden aufzudecken, zu erforschen, ob es ein Reales gibt, welches seine Arten und seine allgemeinen Beschaffenheiten, d. h. wie es gedacht werden muß, um jene Bedingungen zu erfüllen, die Erscheinungswelt in ihrer Mannigfaltigkeit in unserem Geist zu erzeugen. Hier also mündet alle Wissenschaft von der Natur, in einem Wissen um das, was die Welt in unserem Geist ist bezüglich ihrer Wahrheit und Wirklichkeit; die Erforschung dieses Inhaltes und der Funktionen, die ihn eben zum Inhalt machen, in erkenntnistheoretischer Absicht, ist gewiß die letzte Aufgabe, an die der Mensch historisch herangetreten ist, und bei der jetzt noch der von der äußeren Welt, also von der Oberfläche aus vordringende Geist anlangt; es ist aber ebenso sicher, und das ist ja damit schon ausgesprochen, das Fundament, von dem aus sich eine Weltwissenschaft bis zu ihren letzten Verzweigungen aufbaut. Wenn dieses hysteron pros emas [das Spätere für uns - wp] gleichsam zu einem proteron kat emas [das Spätere in uns - wp] geworden ist, wenn wir von diesen letzten Stützen aus das Weltgebäude erkennen, dann ist die Wissenschaft für Menschen vollendet. Dann ist das Weltbild, was anfänglich, wie wir sagten, jedem ohne Unterschied fertig vorliegt, in anderer Weise, auf dauerhaften Grundlagen wissenschaftlich wieder erbaut.

Wir vervollständigen diesen Schluß aber noch dadurch, daß wir auch von jener Wissenschaft der inneren Erfahrung, die ihr Objekt bloß um seiner selbst willen erforscht, behaupten, daß auch sie ganz genau so, wie die sogenannten Naturwissenschaften, von denen sie, in des Wortes weiterer Bedeutung, nur ein Zweig ist, eine hypothetische Wissenschaft ist, die zu ihrem Ausbau oder besser gesagt zur Fundamentlegung derselben letzten Arbeiten bedarf. Auch die Psychologie ist keine letzte Wissenschaft, wohl aber der erste menschliche Ausgangspunkt. Die Psychologie, welche die psychischen Erscheinungen, d. h. die Objekte der inneren Wahrnehmung betrachtet, wie die Mathematik, Physik etc. die Objekte der äußeren Wahrnehmung, die physische Erscheinungswwelt, nimmt ebenso, wie es von den letzteren Wissenschaften behauptet worden ist, die Erscheinungen so hin, wie sie sich eben darbieten; sie setzt dabei zunächst voraus, wie das ja nicht anders möglich ist, daß diese Erscheinungen überhaupt da sind und so sind, wie sie sich darbieten; sie setzt damit vor allem ihre Qualität als Erscheinungen voraus, d. h. als abhängiges Sein, und damit supponiert sie auch das Korrelat, das (relativ) unabhängige Sein oder die Substanz. Ohne die Annahme eines Wirklichen überhaupt, ohne die Annahme dieser beiden Arten des Wirklichen, mag nun auch diese Annahme hypothetisch sein, ist ferner auch keine psychologische Forschung möglich. Denn in diesen Weisen erscheint doch eben die innere und mittelbar die äußere Welt. Jede Forschung, jeder noch so winzige Satz der Psychologie, wie natürlich auch der physischen Wissenschaften, hat Metaphysik in sich, nimmt stillschweigend metaphysische Begriffe an. Eine andere Wissenschaft aber, die nicht mehr Psychologie ist, aber auf ihr fußt, hat nun diese hypothetische Metaphysik, die in jeder empirischen Psychologie stekct, gleichsam zur wirklichen zu machen; zu untersuchen, ob jene fertige Welt, die uns erscheint, wirklich so ist, wie wir sie uns denken. Die Lehre von der Wahrhaftigkeit unserer geistigen Funktionen im Hinblick auf ihre Objekte ist also notwendig eine erste Voraussetzung, der erste Teil jeder Metaphysik; einziger Teil ist sie nur für den absoluten Skeptiker, ja für den nicht einmal, wenn er konsequent sein will; denn er muß den Zweifel zumindest für etwas Wirkliches halten, und diesem Sein zumindest wird er einige Prädikate zu geben nicht umhin können, daß es z. B. Eines ist, daß es geworden oder nicht geworden ist, daß es einen Grund hat oder keinen; auch er wird bestimmen müssen, was nun Wirkliches und Existenz, Seiendes und Sein für einen Sinn hat, ob es Arten desselben gibt oder nicht. Eine wenn auch dürftige Metaphysik wird sich also auch ihm aufdrängen.

Jene Wahrhaftigkeit oder Tauglichkeit unseres Wissens um die innere, wie mittelbar um die äußere Welt muß sich aber ergeben aus der Erkenntnis der Art und Weise, wie jenes Wissen eigentlich beschaffen ist; in welchem Verhältnis es zu der doppelten Klasse seiner Objekte steht, vielleicht auch der Weise, wie es zustande kommt und wie es sich historisch bezüglich der Objekterfassung entwickelt. - Hiermit ist also der zweite Zweck psychologischen Forschens beleuchtet, für erkenntnistheoretische und mittelbar für metaphysische Probleme und ihre Lösung die nötige Unterlage zu schaffen.

Es mag nun vielleicht unzeitgemäß erscheinen, auch den anderen Gedanken hervorzuheben, der in der folgenden Arbeit praktisch zur Anerkennung gelangt ist, den nämlich, daß auch die Metaphysik ihrerseits imstande ist, auf Probleme der Psychologie, ich meine sogar der empirischen, ein Licht zu werfen. Ich bin also, trotzdem ich mich im Gegensatz zu einer bestimmten freilich jetzt schon wieder einmal wankend gewordenen Zielrichtung weiß, vor metaphysischen Betrachtungen in dieser psychologischen Arbeit, da wo ich sie für nötig hielt, nicht zurückgeschreckt. Ich meine hier nicht jene besprochene hypothetische Metaphysik, die Metaphysik des gesunden Menschenverstandes, die man zu den psychologischen Problemen hinzubringen muß, wenn man überhaupt eine Sprache und feste Begriffe haben will; nein, ich meine hier mehr: ich spreche hier von wissenschaftlich ausgebildeten metaphysischen Sätzen. Und dies ist nun unsere Behauptung: man kann auch keine empirische Psychologie treiben - die erklärende meine ich, nicht die einfach deskriptive - Phänomene analysieren und die Gesetze ihres Ablaufs aufstellen, ohne sich hier und da z. B. schlüssig zu werden über die Natur des psychischen Subjekts - das pflegt man ja gerade besonders als metaphysische Spekulation zu bezeichnen, von der jede Empirie frei und rein sein soll. Ohne besondere Mühe wird man sogleich an das Beharrungsgesetz der psychischen Phänomene denken - ob die Phänomene ihrer Natur nach, bei Wegfall der äußeren Veranlassung bleiben oder nicht, in welcher Weise sie bleiben und in welcher sie entsprechend wieder auftreten. Zu den genannten Überlegungen fordern auf die Erklärung und Begründung der Assoziationsgesetze; also das empirische Verständnis derselben erfordert eine fundamentale Spekulation; ich halte auch die psychologische Raumfrage für derart, daß ihre Entscheidung wesentlich abhängig ist von der Vorstellung, die man sich vom psychischen Subjekt macht, und faktisch haben alle Forscher bewußt oder unbewußt darauf rekurriert. Geht es vielleicht den Vertretern des psychologischen Unbewußten, jener so leichten und deshalb so verlockenden Lehre, etwa besser, wenn sie nicht enorm oberflächlich sein wollen? Ja, das einfache psycho-physische Gesetz hat zu derart metaphysischen Betrachtungen Anlaß gegeben mit dem ausgesprochenen Zweck, das Gesetz verstehen zu können. Um ein anderes Beispiel zu geben, das nicht direkt auf jene Subjektsfrage stößt: Vielleicht wird der, welche der Gesetze der Abfolge zwischen Begriffen und Willensakten studieren will, ebenfalls auf ein metaphysisches und zwar ontologisches Problem geführt werden, das zur Lösung seiner Frage nötig ist: welches Verhältnis denn zwischen Wirkungsweisen einer Substanz überhaupt besteht, ob sie real verschieden sind oder gleich oder wie sie sonst zueinander stehen.

Genug! jedem werden bei der empirischen Forschung auf dem Gebiet des Seelenlebens Fälle genug aufstoßen, wo er gestehen muß, daß Metaphysik nicht nur zur letzten Begründung der Phänomene, ihrer Veränderungen und deren Gesetze, die man ja allerdings für eine andere Wissenschaft beiseite legen könnte, sondern sogar zum Verständnis der Gesetze selbst und demzufolge zur Erklärung der Phänomene und ihres Ablaufs aus den Gesetzen, was ja Gegenstand der empirischen Psychologie ist, unentbehrlich ist. Wer also theoretisch gegen Metaphysik eifert, kann sich entweder eines Widerspruchs nicht erwehren, oder aber er läßt die Erscheinungen eben ungeklärt liegen; beschreibende Psychologie kann er wohl treiben, aber keine erklärende, worauf es uns doch vor allem ankommt.

Ich gehe hier nicht so vor, daß man mir den Vorwurf machen kann, ich gründe Metaphysik auf Psychologie und wieder Psychologie auf Metaphysik. Ein Zirkel wäre das ja nur, wenn ich dieselben Sätze der Metaphysik auf psychologische gründen würde, welche ihrerseits durch jene metaphysischen erklärt worden sind. Nun ist aber jede Wissenschaft eine Summe von Sätzen, von denen der eine mehr, der andere weniger einer direkten Beobachtung zugänglich ist. Von einigen oft ärmlichen Sätzen der psychischen oder der physischen Wissenschaft geht die Metaphysik aus, durch das Mittelglied der Erkenntnislehre. Sie kommt so zum Begriff des Seienden, seiner Arten etc., entwickelt die Begriffe weiter, bringt sie unter sich und mit den konktreten Erscheinungen in einen Zusammenhang und sieht, wie sie gedacht werden müssen, um untereinander und mit der Erfahrung vereinbar zu sein und um letztere erklären zu können. So gelangt sie zu neuen Wahrheiten. Warum sollten nun diese neuen Wahrheiten nicht wieder Erscheinungen der psychischen Welt erklären helfen können, solche nämlich, von denen sie selbst nicht ausgingen, d. h. abgeleitet sind, die aber derartige Phänomene sind, daß sie aus tiefen und weitverzweigten Wurzeln ihren Existenzgrund herleiten? Wenn die Physik das Gesetz der Endo- und Exosmose in den Wissenschaften der organischen Welt fand, dann weiter zu allgemeineren Betrachtungen sich erschwang, warum durfte sie hernach ihre allgemeinsten Gesetze nicht wieder auf andere Phänomene der Botanik z. B. anwenden? Wenn die Physik das Gravitationsgesetz am fallenden Apfel und den Gestirnen beobachtet hat und es nun der Chemie zur Verwendung leiht, warum sollten nun hernach Sätze der Chemie, die gerade mit Hilfe dieses Gesetzes gefunden sind, nicht dienlich sein, wieder physikalische Eigenschaften der Körper zu erklären? Und um zuletzt mit einem philosophischen Beispiel zu schließen, wenn ich sage: wissenschaftliche Ästhetik muß auf Psychologie basiert werden, darf ich dann niemals hernach ästhetische Sätze zur Erklärung rein psychologischer anwenden? Von Logik und ihrem Verhältnis zur Psychologie, das für diesen Punkt klar beweisend ist, will ich nur andeutungsweise reden. Ich wage sogar die Behauptung, daß die Gesamtheit der Wissenschaften einen kosmos darstellt, in dem jede mit allen andern wechselseitig (natürlich nicht bezüglich desselben Punktes) fördernde Beziehungen hat. Ein Zirkelverfahren ist also hier wie da nicht vorhanden.

Geben wir aber nun bezüglich der metaphysischen Wahrheiten zu, daß sie vielfach nur Postulate sind, d. h. Hypothesen, die zur Erklärung erfahrungsmäßiger Tatsachen angenommen werden, selbst aber durch keine direkte Beobachtung verifizierbar sind. Allein dieses Zugeständnis soll keineswegs auch ein Einverständnis mit etwaiger Behauptung involvieren, als hätten diese Postulate nur geringeren Wert bezüglich ihres Wahrheitsgehaltes. Nicht das Postulatsein, sondern die größere oder geringere Fähigkeit, gegebene Erscheinungen zu erklären, bestimmt die Wahrscheinlichkeit, also den Anteil an der Wahrheit. Daß sie aber nicht verifizierbar sind durch Beobachtung, teilen die metaphysischen Postulate mit physischen und psychologischen. Von Kräften der Körper, von Fähigkeiten, Anlagen, Dispositionen, Vermögen der Seele spricht man ungeniert, und doch sind es nur Postulate, sie sind nie beobachtbar. Den Lichtäther und körperliche Atome wird sich die Physik nicht rauben lassen wollen, auch wenn MILL sie für schlechte, weil unverifizierbare Hypothesen hält. Mit Recht werden die Naturforscher antworten können: was eben seiner Natur nach nicht beobachtet werden kann, bei dem bildet die Nichtbeobachtbarkeit keine Instanz gegen seine Annahme, wenn es zur Erklärung aller Tatsachen vollkommen genügt; umsomehr, wenn jedes Andere, das man als Hypothese an seine Stelle setzen würde, ebenfalls der Beobachtung und dem Experiment unerreichbar sein würde. Derart aber sind alle Endursachen in den einzelnen Gebieten.

Leicht schließt sich hier eine andere Bemerkung an, deren Inhalt man vielleicht schon erraten hat. Wenn im Folgenden von einer Seele gesprochen wird, so ist es mir Ernst damit, denn ich meine wirkliche eine "Seele", eine Substanz, ein Substrat, einen Träger, eine Ursache der psychischen Erscheinungen, nicht ein bloßes Phänomen und auch keine Summe von Phänomenen. Jeder muß am Anfang einer Untersuchung von einer Seele reden, wenn er von psychischen Erscheinungen spricht, und jeder ausnahmslos macht sich anfänglich auch die angegebene Vorstellung davon, daß sie nämlich das ist, welches die Erscheinungen hat. Also jeder, das ist nun einmal nicht anders möglich, antizipiert ein metaphysisches Problem; nachher erst, nachdem man die Phänomene, so weit es geht, studiert hat, kann man dann klar machen, wie man nun diese Seelensubstanz zu denken hat. Ich wollte damit einem Einwand antworten, der es für weniger vorurteilsvoll hält, wenn man von der Seele spricht und sich vorderhand nur einen Komplex von Erscheinungen darunter denkt, als wenn man von vornherein eine wirkliche Substanz, ein Subjekt von Erscheinungen in ihr sieht. Beides ist ja doch zu Beginn einer Untersuchung unerwiesen und insofern ein Vor-Urteil; nur diesen Unterschied zeigen beide "Vorurteile", daß das eine, die Annahme einer Substanz auf einer Denknotwendigkeit beruth, die andere aber dem gewöhnlichen Denken immer unverständlich sein wird. Das Prunken also mit einer besonderen Exaktitüde solcher Forschungen, die anfangs gar nicht von Seele sprechen oder nur Phänomene darunter verstehen wollen, halte ich für wertlos. Bleiben wir also dabei, nicht auf einem Seil unsere Arbeit zu beginnen, sondern auf dem gewöhnlichen Erdboden, auf dem alle unsere Menschenbrüder stehen; hernach wird sich ja zeigen, ob er solide ist und so ist, wie wir ihn uns denken. Exakt wird der Ausgang von dem so angenommenen hypothetischen Punkt mindestens so gut sein, wie vom anderen der Gegner, vorausgesetzt, daß wir Zirkel vermeiden, d. h. daß wir nicht aus der noch unerwiesenen Annahme Schlüsse ziehen auf Phänomene, und diese Phänomene dann zur Bekräftigung ebenderselben Annahme verwenden.

Auch die fernere Methode der Forschung verdient einige Aufmerksamkeit. Selten wohl fängt man eine schriftliche Arbeit mit den Gedanken an, die der faktische Ausgangspunkt des Nachdenkens waren. Auch mir stand ursprünglich nur das psychologische, zum Teil auch das erkenntnistheoretische Problem des fertigen Raumbildes als wissenschaftliche Aufgabe vor Augen, und das Nachdenken über diese Fragen führte mich von da aus weiter, ich will hoffen tiefer. Anders dagegen habe ich hier begonnen: zum großen Teil aufsteigend von den elementaren Bewußtseinsvorgängen zu den abhängigeren und verwickelteren. Unphilosophisch und unwissenschaftlich wird man dieses Verfahren, mit den einfachsten Daten zu beginnen, nicht nennen können; denn nicht a priori und ohne vorherige Prüfung nehmen wir dieselben als solche an, sondern wir suchen sie in ihren psycho-chemischen Verbindungen, wie sie die Erfahrung bietet, auf und befolgen dabei die Methode der psychologischen Analyse zu ihrer Bestimmung. Das nur ist die Eigenheit meines Verfahrens, daß ich nicht mit der Analyse der Phänomene der äußeren Wahrnehmung, sondern mit denen der inneren beginnen mit den Akten des Bewußtseins selbst, daß wir ihre Elemente bestimmen, und dann aufsteigen immer unter Zuhilfenahme der Erfahrung, zu den Phänomenen der äußeren. Es hat diese Methode ihre Vorteile; nachdem die ursprünglichsten Teile dessen, was wir jetzt Bewußtsein nennen, durch eine Analyse gefunden sind, und die Gesetze der Verbindungen und Veränderungen derselben durch Induktion aufgestellt, kann man, zum Teil wenigstens, Schlüsse ziehen darauf, wie die ferneren Daten wohl zu denken sind, damit sie mit den einfachen Erscheinungen, die ihnen zugrunde liegen und ihren Gesetzen harmonieren. Ganz deduktiv natürlich kann und darf der Fortgang nicht sein. Die Bausteine für jede Etage des Gebäudes müssen auf dem Feld der Erfahrung aufgesucht, ja oft aus einem gewachsenen Felsen zuerst ausgehauen werden. Aber die Fundamente werden doch zum Teil bestimmen, in welcher Weise die Steine zu verwerten sind, damit auf eben diesen bestimmten Grundlagen das ebenso erfahrungsmäßig Bestimmte, d. h. diese vor uns liegende Welt psychologisch daraus wird. Was wir hier zur Rechtfertigung dieser Art kombinierten Methode sagen, wird sich im Laufe der Arbeit klar stellen; Beispiele anzuführen, wäre eine unnötige Vorwegnahme, wenn sie selbst hier schon zur nötigen Klarheit kommen könnten.

Eine umfassende Beschreibung und Erklärung psychischer Tatsachen, also eine "Psychologie" zu schreiben, habe ich hier natürlich nicht vor; ich will hier nicht die entferntesten Gezweige des Baumes in ihrem Zusammenhang mit den Wurzeln darstellen. Aber auch keinen solchen Teil der Psychologie, wie ihn Tradition oder Tagesmode oder berechtigte Motive gern ausscheiden, nehme ich mir vor, keine Psychophysik oder über Gefühlstheorie oder psychologische Raumtheorie usw. Wie eine eben bezüglich der Methode gemachte Bemerkung andeutet, interessieren uns die Elemente vor allem, ich will bekräftigend sagen: die letzten Elemente als solche; von Wert ist uns dann der Fortschritt, den diese Urbestandteile in der Entwicklung machen, wie auf ihnen die höheren und entwickelteren Formen beruhen. Das würde nun mit manchen auch ganz anders gearteten Forschungen gleicher Gattung sein, ist also ohne die folgende nähere Bestimmung unverständlich: Ich beginne z. B. nicht mit Empfindungen, und lasse so gut oder schlecht es geht, das ganze Seelenleben daraus hervorgehen oder sich daran anschließen. Elemente fasse ich vielleicht in anderer Weise und suche sie als genau die nämlichen in den einfachen Empfindungen sowohl - die man ja, wie man oft sagt, nicht darstellen kann - wie in einem ganz entwickelten oder verwickelten Phänomen unseres Lebens. Nicht was materiell sozusagen im Seelenleben Element ist, d. h. was uns die kleinste Dosis Welt in Erscheinung bringt, sondern was an jedem Vorgang des Erscheinens, des Psychisch-Werdens, an der einfachen Perzeption wie an der Betrachtung des Weltganzen und der Reaktion darauf, formal betrachtet, Urbestandteil, was das gemeinsame Merkmal alles Psychischen ist, welche Seiten und Bestandteile dasselbe hat, und ob diese Seiten oder Formen sich überall finden oder nicht, wie sie unter verschiedenen Gestalten vielleicht auftreten, welche Wandlungen der eine oder andere Teil erleidet, das soll das Problem sein. Diese Analyse, weniger der vielen vorkommenden Formen und der Einzelerscheinungen des Seelenlebens als des Charakters derselben, nach zwei schon jetzt leicht erkennbaren Seiten, habe ich mit dem Titel "Das Bewußtsein und sein Objekt" belegt. In erster Linie kam es mir auf die psychologische Analyse an: Erklärung des Bewußtseinsphänomens, Auffindung des Ursprünglichen in ihm, Darstellung einer möglichen Entwicklung in demselben, oder aber die Angabe verschiedener Daseinsformen des Phänomens, die nicht aufeinander zurückführbar sind: diese psychologische Arbeit aus rein psychologischem Interesse zu leisten, war zunächst das Ziel. Denn, wie früher schon angedeutet wurde, ist die Erforschung des Seelenlebens an und für sich vom höchsten theoretischen und praktischen Interesse. Den Sinn dieser kleinen wundersamen Welt herauszufinden, der sich in ihren Formen und deren Ablauf, im Gesetz ihres Seins und ihrer Entwicklung kund tut, zu erforschen und dabei dann vor allem auch jene mahnenden Lehren in ihren Wurzeln zu sehen, das Seinsollen in seinem psychologischen Ursprung kennenzulernen, das ist gewiß ein an und für sich wertvolles Ziel der inneren Entdeckungsreise, erhaben über eine jede solche in der äußeren Welt. Wer nach solchen Dingen aber fragt, befragt notwendig sein Bewußtsein und deshalb ist, umgekehrt gesagt, die Frage nach dem Bewußtsein, seinem Inhalt, seinem Ausspruch, das Ausgehen auf Wissen auf jenem eben besprochenen Gebiet.

Allein doch nicht ganz ohne Nebeninteresse soll diese psychologische Analyse vor sich gehen. Es ist nun wahr, daß die zweite früher bestimmte Weise, Psychologie nämlich aus einem erkenntnistheoretischen Interesse heraus zu treiben, sich sehr leicht zum Schaden der reinen Psychologie mit dieser vermischt; denn schon das andere Interesse bewirkt zum Teil eine andere Auswahl der Materien, oder doch hie und da eine leise Unterdrückung für diesen Zweck scheinbar und direkt weniger wichtiger Sachen; und dieses erzeugt dann einmal die Losreißung eines Stoffes aus dem psychologischen Zusammenhang und hat dann oft die Unmöglichkeit einer richtigen psychologischen Reduktion oder Analyse bis zu elementaren Tatsachen - die Analyse eines zu Brennzwecken ausgeschnittenen Stück Holzes wird doch schwerlich ein Verständnis des Sinnes des Baumes ergeben - andernteils bewirkt jener entfernte Zweck sehr leicht eine Verwechslung des psychologisch und des erkenntnistheoretisch Wertvollen, und man sieht leicht, welche Nachteile dann für den psychologischen Teil, und dann indirekt natürlich auch für die Erkenntnislehre selbst daraus entspringen.

Diese möglichen Irrungen muß man sich gegenwärtig halten, und so ist es allerdings keineswegs ratsam, bei einer solchen Arbeit nach zwei Seiten zu blicken. Anders verhält es sich, wenn eine Mischung des Zielpunktes und der Fragen möglichst vermieden wird, und wenn man überhaupt anfangs gar nicht an eine weitere Verwendung der psychologischen Sätze, die man gefunden hat, denkt. Alsdann wird das spätere Zusehen, ob nun die vorurteilslos gewonnenen Resultate auf anderen Gebieten von wichtigen Folgen sind, kein Bedenken haben. (3)

Es schließt sich nämlich sehr leicht an die psychologische Frage nach dem Bewußtsein und seinem Objekt eine weitere an, deren Lösung die Ergebnisse recht eigentlich vertieft und zu fundamentalen, letzten, gesicherten macht, die Frage nämlmich: Wie ist es nun mit all dem über Bewußtsein und sein Objekt Gesagten? Ist das nun wirklich so? Sind das Tatsachen oder nicht? Und woran haben wir uns denn zu wenden, um einen rechtskräftigen Spruch in dieser Sache zu erlangen? Nun, die Antwort ist leicht: eben wieder an das Bewußtsein. Hier schließt sich die Reihe der Appellinstanzen, und merkwürdig, der Richter selbst gibt ein Urteil ab über sich, seine Wahrhaftigkeit und die aller vor ihm gefragten. Die Dinge da draußen sagen ja doch wahrhaftig nicht, was sie uns an Wahrheit geben, noch weniger zeigen sie uns an, was der Geist an sich selbst hat; ein Vergleich aber unseres Erkenntnis-"Bildes" mit dem, was in der Wirklichkeit ist, sei es in unserem Inneren oder draußen, führt ja zu dem bekannten Zirkel, daß man das Objekt, um es mit dem entsprechenden Erkenntnisinhalt vergleichen zu können, wissen müßte, ehe man es erkennen könnte. Genug also: das Bewußtsein selbst muß sagen können, wie weit man ihm trauen kann; und die Antwort auf diese Frage wird insofern die größtmögliche Vertiefung aller in der psychologischen Forschung erlangten Resultate enthalten. Die Gründe aber für den Wahrhaftigkeitsgrad des Bewußtseins gegenüber diesem und jenem Objekt können wieder nirgend wo anders hergenommen werden als aus der psychologischen Analyse und Bestimmung des Bewußtseins selbst, seinem Wesennach, nach dem Verhältnis zu seinen Objekten, vielleicht nach der Art der Entstehung, des Auftretens derselben entweder mit der ersten Funktion des Bewußtseins selbst oder im Laufe einer Entwicklung. Welche Motive wertvoll sein werden von den genannten, wird sich zu gegebener Zeit ergeben. So wird also die Frage nach der Wahrhaftigkeit des Bewußtseins in Anbetracht seiner selbst und seines Objektes, anders gesagt seines inneren und äußeren Objektes, den naturgemäßen und letzten Schlußstein bilden dürfen, mit den Kautelen [Vorbehalten - wp], die ich wiederhole, daß die psychologische Analyse möglichst wenig vorzeitig von der letzten Frage beeinflußt wird.


Der populäre, wie leider auch der wissenschaftliche Gebrauch des Bewußtseinsbegriffs läßt aber so wenig Klarheit und Übereinstimmung erkennen, daß man lange, ehe die Fragen eine Antwort erlangen, was nun das Bewußtsein in der Seele leistet, welchen Inhalt es zuführt, wie es entsteht, besteht und sich verändert oder verschwindet, zuerst wissen möchte, ob das, was wir mit einem besonderen Namen bezeichnen, wirklich etwas Besonderes ist; in welchem Verhältnis es zu den psychischen Akten, wie Empfinden, Fühlen, Denken, Wollen steht, obe es mit den Akten identisch ist oder nicht; ob es mag es nun identisch oder verschieden von den Akten sein, immer da ist, wo sich psychisches Leben zeigt, oder nicht, oder aber ob es etwas ist, das fehlen kann, ohne die Seele der Möglichkeit zu berauben, Kräfte ähnlicher Art oder verschiedener Art zu entfalten. Über alle diese Fragen, besonders über den Angelpunkt, das Verhältnis des sogenannten Bewußtseins zu den Akten, herrscht, wie gesagt, wenig Übereinstimmung. Hier ein flüchtiger Blick auf Volks- und Gelehrtenphilosophie zur Bestätigung.

Im gewöhnlichen Leben spricht man von Bewußtsein in einem ganz verschiedenen Sinn, ja meist ist es ein bequemes Wort für eine Sache, deren genaueren Inhalt man nicht kennt, oder der man durch Anwendung des Wortes einen vornehmeren Sinn zu geben glaubt; ich meine Ausdrücke wie religiöses Bewußtsein, Pflichtbewußtsein. Stellt man mit dieser populären wertlosen Anwendung die anderen Ausdrücke zusammen, "bei Bewußtsein sein" im Sinne einer klaren Sinnesperzeption, "sich noch bewußt sein" für sich erinnern, selbstbewußtsein, d. h. von seiner Person in nicht geringem Grad ein Wissen haben, nocht mehr die negativen Bezeichnungen, "bewußtlos" und vom Objekt gesagt, "unbewußt" sein, so leitet dies auf den Gedanken, daß Bewußtsein ein Allgemeinbegriff für mancherlei, oder vielleicht alle Arten des psychischen Geschehens sein könnte, nicht aber eine besondere Leistung der Seele, die ihr zukäme außer den bekannten und von niemand bestrittenen Arten psychischer Phänomene. Es muß jedenfalls auffallen, daß bis auf LEIBNIZ niemad das Bedürfnis fühlte, neben den aller Welt bekannten Tätigkeiten der Seele noch eine andere zu erfinden, allgemeineren Inhaltes wie es scheint die aber keine bloße Abstraktion aus den für jeden bemerkbaren Betätigungsweisen der Seele sein sollte, sondern die das Amt eines Oberaufsehers über die alltäglichen Funktionen begleiten und eine Kraft darstellen sollte, die jene für sich allein schon mit dem Charakter des Psychischen begabten Vorgang in der Seele doch erst eigentlich zu merkbaren, zu erscheinenden machte. LEIBNIZ selbst scheint zwar keine besondere Kraft für das Bewußtsein anzunehmen, wie spätere auch; er unterläßt es, für das Bewußtsein zumindest eine Erklärung zu geben und läßt uns im Unklaren, was nun eigentlich mit den Vorstellungen vor sich geht, wenn sie nach dem Kontinuitätsgesetz allmählich so deutlich, so merkbar werden, daß ihnen das Prädikat "bewußt" zukommt (4). In eine nahe Verbindung bringt er den Begriff wohl mit einem anderen psychischen Geschehen, doch so, daß man nicht weiß, ob man an eine Identität beider zu denken hat, oder daß das andere nur die Bedingung für die Erscheinung des Bewußtseins darstellen soll; man kann (a. a. O. II, IX, Seite 109, 116) vergleichen, wo er das Bewußtsein mit der Reflexion zusammenstellt; anderswo wieder wird die Aufmerksamkeit (a. a. O. Einleitung; II, I u. IX, Seite 85, 87, 109) und das Unterscheiden als die wesentliche Zutat betrachtet, die aus unbewußten Vorgängen bewußte macht (Seite 84, 108). Auf der einen Seite nämlich unterscheidet LEIBNIZ nicht nur Wahrnehmen, sondern auch Denken so sehr vom Bewußtsein, daß er das Denken für die Seele wesentlich hält, nicht aber das Bewußtsein; die Seele kann nicht ohne Denken, wohl aber ohne Bewußtsein existieren (Seite 84), also sind die Denkakte nicht das Bewußtsein selbst. Auf der anderen Seite gibt es nach LEIBNIZ im Denken wie im Fühlen eine stetige Reihe von der unbewußten Empfindung bis zur deutlichen Vernunftempfindung (Seite 185) und so wäre Bewußtsein nur ein Grad des Denkens, also doch nichts von den Denkakten Verschiedenes. In jedem Fall ist also, soweit die Sache bei LEIBNIZ zur Klarheit zu bringen ist, das Bewußtsein eine Art Qualität und zwar eine abtrennbare, nicht wesentliche Eigenschaft des psychischen Geschehens, die ihre Grade hat und abschließt mit der höchsten Vernunftidee, der Idee der Harmonie, wie ihr Gegenteil, das Unbewußte, sich durch Stufen ins Unsagbare verliert. Ja, jene unbewußten Vorstellungen sind im System LEIBNIZ' so wichtige Faktoren und so mit seiner metaphysischen Lehre von der Kontinuität alles Seienden, Fortdauer der Seele (II, IXI, Seite 144), mit seiner Lehre vom angeborenen Intellekt verbunden, daß ihre Rolle nur um ein Winziges hinter der der bewußten Vorstellungen zurückbleibt und man sich nun nicht mehr zu wundern braucht, wenn in neueren Systemen das Unbewußte geradezu zur Erklärung des Bewußten, ja der ganzen Welt angerufen wird.

Was den Königsberger Philosophen angeht, bei dem diese Frage keine so weittragende Bedeutung hat, so betont KANT allerdings, daß es ein großes Feld, das der "dunklen Vorstellungen" gibt, das bei weitem größer ist, als das der bewußten Erscheinungen, die nur einzelne glänzende Punkte auf der Karte unseres Gemüts darstellen; von der Existenz der unbewußten Seelenvorgänge, behauptet er mit LEIBNIZ, wissen wir durch Schließen. Durch eine Art "Jllumination" werden diese dunklen Seelengebilde auf einen solchen Intensitätsgrad gebracht, daß ihnen das Prädikat "bewußt" zukommt (Anthropologie, Seite 15f). Das Bewußtsein besteht also nach KANT in der Intensität der Vorstellungen oder, was KANT nicht klar unterschieden hat, ist eine Folge derselben, ist also eine unwesentliche abtrennbare Eigenschaft der psychischen Akte (5). Was nun aber die innere Ursache ist, daß diese Eigenschaft sich auf einmal mit den Akten verbindet, und was Vorstellungen ohne diese Eigenschaften noch für einen Sinn haben, darüber hat KANT sich nicht verbreitet; er hat weder gesagt, worin jene "Jllumination" besteht, noch auch ist es bei ihm über jeden Zweifel erhaben, ob jene Jllumination das Bewußtsein selbst ist, also das Bewußtsein in einem inneren Licht besteht, oder ob, wie wir eben als das Wahrscheinlichere annehmen, dieselbe den Charakter des Bewußtseins an den Empfindungen hervorbringt. Genug, Empfindungen etc. können bestehen ohne den Bewußtseinscharakter.

HERBART dämpft die Sache dann doch etwas. Zwar setzte jene Lehre von den Selbsterhaltungen voraus, daß eben schon Vorgänge in der Seele sind, ehe sie ddazu kommt, sich selbst zu erhalten, - zwar sind auch wieder die gänzlich gehemmten und verdrängten Vorstellungen immer noch Strebungen, aber sie sind doch als psychische Gebilde so unwirksam, "als ob sie gar nicht vorhanden wären", und es scheint demnach, als könnte man bei HERBART ganz vom Unbewußten absehen. Gleichwohl hatte er trotz dieser Aussage: die unbewußten Strebungen seien gleichsam nicht vorhanden, doch einmal die Ansicht, daß die verdrängte Vorstellung fortwährend ins Bewußtsein zu treten strebt und bei günstiger Gelegenheit, bei wegfallender Hemmung, dies auch zustande bringt, daß also bei all dem, daß sie soviel wie nichts und unwirksam sein soll, sie doch nicht aufhört, eine psychische Kraft zu bleiben, die in ihr Recht einzutreten stets gewillt ist, eine Kraft, die weder Sein, d. h. psychisch-Bewußtes Sein noch Nichtsein darstellt, sondern eben das dunkle Streben. Sieht man von diesen widerspruchsvollen Lehren ab, so findet man anderswo bei HERBART die Ansicht vertreten, daß alle wirklichen Vorstellungen bewußt sind; das Bewußtsein ist "die Gesamtheit alles gleichzeitigen wirklichen Vorstellens". Bewußtsein ist also keine besondere Kraft, die die Strebungen zu wirklichen Vorstellungen macht, ebensowenig ein zufälliges und abtrennbares Material der Vorstellungen, sondern immer mit ihnen verbunden. Aber wenn auch HERBART sagt, daß Bewußtsein an allem wirklichen Vorstellen vorkommt, so hat er damit nicht das Verhältnis zwischen beiden unzweideutig bestimmt. Keinesfalls hat er im Bewußtsein gerade den Charakter des Vorstellens gesehen und den Allgemeinbegriff für alle Vorstellungsindividuen. Dagegen spricht zumindest der Ausdruck "Bewußtsein ist die Gesamtheit der Vorstellungen"; der Begriff Mensch ist aber nie die Gesamtheit der Menschen. Es stehen damit auch die angedeuteten Lehren des Philosophen im Gegensatz; denn wenn auch die unterdrückten Vorstellungen noch so rudimentär sind, Vorstellungen bleiben sie doch; mag er sie auch "dunkle Strebungen" nennen, es sind doch Strebungen nach einem bestimmten Inhalt und somit ohne eine Art "Vorstellung" nicht denkbar. Also gibt es nach HERBART doch eine Art Vorstellungen, die das Bewußtsein nicht mit sich führen, Bewußtsein ist also kein allgemeiner und notwendiger Charakter des Vorstellens überhaupt. Damit fällt aber auch schon zugleich die Annahme, Bewußtsein sei, nach der Ansicht HERBARTs zumindest, das Wesentliche im "wirklichen Vorstellen". Denn da das wirkliche und rudimentäre Vorstellen doch zu einer Klasse psychischen Geschehens gehören müssen, so kann das, was dem einen fehlt, im andern doch kein Gattungsbegriff sein, der das Vorstellen als solches bezeichnet. Daß ein wirkliches, bewußtes Vorstellen immer bewußt ist, hat HERBART freilich ausgesprochen; aber wiewohl immer damit verbunden, kann das Bewußtsein doch bloß eine Eigenschaft des wirklichen Vorstellens sein, die, obwohl physisch unabtrennbar, doch nicht das Wesen desselben ausmacht; der Begriff des Vorstellens wäre denkbar ohne den des Bewußtseins, wie der Begriff des Körpers ohne den der Farbe. Dieses Verhältnis also einer denkbaren Separabilität des Bewußtseins, selbst vom wirklichen Vorstellen ist bei HERBART nicht ausgeschlossen, sondern vielmehr nach einer Betrachtung seiner Lehre von den verdrängten Vorstellungen, wie wir sie eben gepflogen haben, und freilich unter der Voraussetzung der Konsequenz des Philosophen, als sicher anzunehmen.

Den drei genannten Vertretern der Philosophie folgt in der Hauptansicht all dieser Philosophen, Leibnizianer, LOTZE auszunehmen, Herbartianer, Schopenhauerianer und auch manche Nachfolger KANTs; von mehr oder weniger unabhängigen deutschen Philosophen besonders IMMANUEL HERMANN FICHTE und ULRICI. Alle diese stimmen darin überein, daß Bewußtsein kein Allgemeinbegriff ist für die Arten psychischen Geschehens, sondern etwas in irgendeiner anderen als logischen Weise von ihnen Trennbares, sei es als Intensität, als Qualität, als besondere Kraft, als ein besonderer Akt der Seele, wie es besonders scharf bei ULRICI hervortritt.

Hören wir ziemlich das Gegenteil bei einer großen englischen Schulen, deren Haupt LOCKE ist. LOCKE sagt in seinem "Versuch über den menschlichen Verstand", Buch II, Kap. I, § 9: "Vorstellungen haben und sich etwas bewußt sein, ist dasselbe." (siehe § 11, §19):
    "Oder kann der Mensch denken, ohne sich dessen bewußt zu sein? So etwas würde man bei anderen Leuten für ein unverständliches Gewäsch halten. Wenn sie sagen: der Mensch denkt allezeit, aber er hat nicht immer ein Bewußtsein davon, so können sie mit eben demselben Recht sagen: Der menschliche Körper ist ausgedehnt, aber er hat keine Teile. Denn ein ausgedehnter Körper ohne Teile ist so denkbar, wie das Denken ohne Bewußtsein. Sie können, wenn es ihre Hypothese erfordert, mit ebensoviel Grund sagen: Der Mensch ist immer hungrig, aber er hat nicht immer ein Gefühl davon. Und doch besteht Hunger eben in diesem Gefühl, sowie das Denken in dem Bewußtsein, daß man denkt. ... Das Bewußtsein ist die Wahrnehmung dessen, was in eines jeden Menschen eigenem Gemüt vorgeht ... Was für durchdringende Augen müssen nicht diejenigen haben, welche untrüglich sehen wollen, daß ich denke, wenngleich mein Bewußtsein nichts davon weiß und meine eigene Erklärung dem widerspricht etc."
Das Bewußtsein ist dem Denken wesentlich, aber nicht der Seele; denn nach LOCKE denkt die Seele nicht immer, ohne aber in den Pausen des Denkens deshalb aufzuhören zu sein - also das Gegenteil der Lehre des LEIBNIZ.

Mit wünschenswerter Klarheit hat JAMES MILL in seiner "Analysis of the human Mind" I, Seite 170-172, zitiert bei JOHN STUART MILL "La philosophie de Hamilton" das Verhältnis bestimmt. JAMES MILL identifiziert das Bewußtsein mit den Ideen, d. h. Vorstellungen und mit jedem psychischen Akt und bedauert den Irrtum der Philosophen, die aus einem allgemeinen Ausdruck, der den gemeinsamen Charakter der verschiedenen psychischen Klassen (Vorstellungen, Urteile, Gefühle und Strebungen) aussprach und deshalb seinen logischen Wert hatte, eine eigene von den Einzelakten getrennte Funktion der Seele, ein Element der Akte machte. Derselben Ansicht sind BROWN, JOHN STUART MILL und HAMILTON. Das Bewußtsein ist der Akt, nur, fügt HAMILTON hinzu, mehr von der subjektiven Seite her betrachtet, in Bezug auf das Subjekt; der Ausdruck Bewußtsein hebt das Im-Subjektsein gegenüber dem "ein Objekt haben" mehr hervor.

Die Engländer sind also hierin den Gedanken ihres philosophischen Stammvaters und Landsmannes ebenso treu geblieben, wie die Deutschen noch heute vielfach mit LEIBNIZ ein mit den bewußten Akten homogenes Unbewußtes annehmen und folgerichtig die Meinung verfechten, es sei bei den bewußten Akten der Charakter des Bewußtseins nur ein accessorischer und in irgendeiner Weise von den Akten trennbarer. In dieser Frage findet auch eine Übereinstimmung statt zwischen den sonst sehr getrennten Schulen der Engländer und des ARISTOTELES, wie zum Teil seines großen Nachfolgers im Mittelalter THOMAS von AQUIN; letztere hatten freilich den mysteriösen Bewußtseinsbegriff noch nicht. In ihrer Sprache war das Problem und seine Lösung die, daß jeder Akt unmittelbar und ohne sich zu verdoppeln, sich selbst zum Objekt hat, wenn er etwas anderes wahrnimmt. Dies führt uns zu dem Vertreter der deutschen Psychologie, der von beiden Richtungen (ARISTOTELES und den Engländern) beeinflußt, der Bewußtseinslehre (BRENTANO, Psychologie vom empirischen Standpunkt) eine eingehende Erörterung widmet. Seine Lehre ist die bereits bezeichnet: Das Bewußtsein ist das Sichselbsterfassen des Aktes, das notwendig in jeder psychischen Erscheinung stattfindet, so daß ohne dasselbe der Akt nicht mehr denkbar ist. Der Akt also ist sein eigenes Objekt; er wird aber von sicht selbst sekundär, aber in demselben Akt mit dem primären Objekt, dem eigentlich so genannten Objekt, erfaßt. Alle Akte der Seele sind bewußt, weil das Bewußtsein nichts vom Akt Verschiedenes ist. Für BRENTANO hat das Unbewußte keine Stelle, weil er darunter unbewußte Akte versteht; ebenso entschieden behauptet JULIUS BERGMANN (Grundlinien einer Theorie des Bewußtseins) [ig/berg1bewu], daß jedes Empfinden nur durch Bewußtsein zu einem solchen wird, daß unbewußtes Wahrnehmen gar kein solches ist; aber das zu jeder Wahrnehmung nötige Bewußtsein, welches im Wahrnehmen des Aktes, in einem Sichselbsterfassen, Selbstidentifizieren des Ich besteht, ist nichts von diesem Akt Verschiedenes; das Sein dieser Zustände (Empfinden, Fühlen, Wollen) ist zugleich ihr Wahrgenommenwerden." (vgl. bes. a. a. O., Seite 38, 48, 52, 57, 61) (6)

So also stehen sich die Meinungen gegenüber. Im Lichtpunkt zeigt sich die Frage, wie sich Bewußtsein zu den Einzelakten verhält und daneben geht den Philosophen auch das Problem der Existenz eines Unbewußten im Sinne unbewußter psychischer Phänomene. Die gründlicheren Forscher rekurrieren aber zur Lösung dieser Fragen auf die Untersuchung des Wesens der Akte selbst, und danach entscheiden sie sich in der Bewußtseinsfrage. Es ist ja ganz einfach dieselbe Frage: nach dem Wesen des sogenannten "Bewußtseins" und seinem Verhältnis zu den Akten, und die nach dem allgemeinen Wesen der Akte und der Notwendigkeit oder Nichtnotwendigkeit des Bewußtseins für den Bestand dieses Wesens. Stellen wir uns auf diesen Forschungsweg, so sind wir also von vornherein schon vor die Analyse der psychischen Phänomene bezüglich ihrer Urelemente, im Sinne des allgemeinsten Charakters der letzten und ursprünglichsten Tatsache getreten. Sind es mehrere dieser Elemente, die mit jenem allgemeinsten funktionellen Element untrennbar verbunden sind, und das können wir ja schon sofort bejahen, so werden sich Fragen nach dem Verhältnis und dem Zusammenhalt dieser Teil ergeben. Gleichzeitig werden wir dann vielleicht erfahren, welcher Weiterentwicklung jene Urbestandteile fähig sind, sei es einer organischen mit Bewahrung der ursprünglichen Einheit, sei es, daß wir auch äußerlich damit verbundene lose Ein- und Anlagerungen bei der späteren Fortbildung im psychischen Leben entdecken. Diese Fragen sollen von vornherein psychologisches Interesse für uns haben und das wird ihnen niemand abstreiten. Es wird aber erlaubt sein, zuweilen auf die spätere erkenntnistheoretische Verwertung dieser Betrachtungen hinzuweisen. Damit ist im Allgemeinen unsere Aufgabe bestimmt.
LITERATUR - Johann Wolff, Das Bewußtsein und sein Objekt, Berlin 1889, Hamburg 1890
    Anmerkungen
    1) Die alte Sophistik deduzierte freilich, daß wir das, was wir nicht wissen, auch nicht lernen können, weil wir eben ein Nichts, von ihnen absolut genommen, auch nicht zum Objekt eines Strebens machen können.
    2) Und selbst, wenn sie unmittelbar einleuchten, wie die mathematischen Axiome, so lassen doch die Wissenschaften eben diese Motivierung der Annahme, das unmittelbare Einleuchten, theoretisch also insofern außer Acht, als sie Dasein und Grund der unmittelbaren Evidenz, und ihre Folge für die Zustimmung zu einem Satz, nicht in den Bereich ihrer Untersuchung aufnehmen. Für sie sind also auch die Axiome selbst nur Hypothesen.
    3) Ich erinnere zur Abwehr eines möglichen Einwurfs daran, wie ein Benutzen erkenntnistheoretischer und selbst metaphysischer Sätze in der rein psychologischen Arbeit selbst zu verstehen ist nach meinen früheren Worten (siehe oben).
    4) Am schärfsten spricht LEIBNIZ die Verschiedenheit von Bewußtsein und Wahrnehmung aus. (Nouveau Essays II, XIX, § 4, Übersetzung von SCHAARSCHMIDT, Seite 144)
    5) Die Frage nach dem Unbewußten vermischt sich bei den deutschen Denkern meist mit der nach dem Verhältnis zu den Akten, obwohl, wie es oben angedeutet ist und später ausgeführt wird, keineswegs mit der Existenz unbewußter Seelenphänomene, die Frage nach dem Verhältnis des Bewußtseins zu den bewußten Akten schon folgeweise bestimmt ist. Alle Arten Theorien über das Letztere sind verträglich mit der Annahme und Nichtannahme des Unbewußten, freilich kommt es auf die Auffassung des Unbewußten an.
    6) Wenn die Forscher sagen, der Akt nimmt sich selbst wahr, erfaßt sich selbst usw., so ist das natürliche eine Redefreiheit für den weiteren, schwerfälligen Ausdruck "die Seele erfaßt den Akt durch den Akt selbst". Eine solche Lizenz ist geläufig, kommt z. B. in dem sehr bekannten Ausdruck vor "der Wille ist frei". Wir werden nun sehr oft dieselbe Art zu reden für uns in Anspruch nehmen und machen hier besonders darauf aufmerksam, damit man uns nicht unnötigerweise einen Vorwurf macht.