p-4cr-4W. WalzMFKG. W. CampbellM. PalágyiW. EnochG. K. Uphues    
 
HANS RUIN
Erlebnis und Wissen
[Kritischer Gang durch die englische Psychologie]
[2/6]

"Was wir unser Dasein nennen, wir in ein unbegreifliches Chaos von empfundenen Eindrücken aufgelöst - eine zwecklose Prozssion, wobei der Perzipierende sich selbst verliert. Das Vergangene, das Entfernte, das Zukünftige sind eitel Jllusionen. Dinge und Personen bezeichnen nur unverbundene und vorübergehende Empfindungen, ohne irgendein dauerndes Wesen, das sie empfindet. Dem Wort Identität fehlt jeder Sinn. Eine Person kann nicht etwas mehr sein als eine momentane Vorstellung. Ich fasse mich selbst nur in der Form einer fliehenden Vorstellung. Nur die gegenwärtige Empfindung existiert."


II. David Hume

In seiner Darstellung der Philosophie der neueren Zeit weist GROTENFELT darauf hin, daß HUME trotz seines extrem empirischen Standpunkts und seiner rücksichtslos kritischen Haltung seine Lehre auf Voraussetzungen gründete, die er ohne nähere Prüfung als unbedingt richtig auffaßte (1). Diese dogmatische Moment in HUMEs Philosophie haben auch andere aufgestochen. So z. B. THOMSEN, der u. a. die Äußerung fallen läßt:
    "Wohl werde ich mich nicht dazu verleiten lassen, den Versuch zu machen, aber ich könnte es schon übernehmen, das Lehrgebäude des reinen Empirismus bei Hume more geometrico aufzustellen, wie bei Spinoza mit Definitionen und Axiomen beginnend und von da weiter herab zu den Lehrsätzen, die hieraus folgen - oder folgen sollten." (2)
Das klingt übertrieben, ist es aber kaum. Als Ausgangspunkt für sein Denken bediente sich HUME tatsächlich einiger Dogmen, in deren Richtung gerade die Philosophie lag und liegen mußte, die bekannt ist als die DAVID HUMEs. Es sind vor allem zwei Sätze, die hierbei die entscheidende Rolle spielen.

Der eine besagt, daß alle Vorstellungen ohne Ausnahme von den Empfindungen herstammen, wobei sie eigentlich nur schwache Abbilder von ihnen sind. HUME gebraucht das Wort "impressions", womit er meint "alle unsere Empfindungen, Leidenschaften und Gefühle, wenn sie zuerst in der Seele erscheinen" (3) oder, wie er sich auch ausdrückt: "alle lebendigeren Wahrnehmungen, wenn wir hören oder sehen, fühlen oder lieben oder hassen oder wünschen oder wollen" (4). Der andere Stz wieder behauptet, das, was in der Analyse bei Dingen oder Seelenerscheinungen unterschieden werden kann, könnte unbedingt auch als für sich besonders existierend gedacht werden. Diese beiden Annahmen trifft man mehr oder weniger bei allen englischen Philosophen, deren Ahnen auf HOBBES zurückgehen. Doch hat keiner ihnen einen so radikalen Ausdruck verliehen wie HUME.

Der erste Satz sieht an und für sich ganz ungefährlich aus. Aber er kann mit Leichtigkeit auf eine besonders verhängnisvolle Weise formuliert werden: nur eine solche Vorstellung darf als etwas anderes als ein täuschendes Phantom betrachtet werden, die sich auf eine Empfindung berufen kann, von welcher sie herstammt. Dem Satz diese Formulierung zu geben, zögerte HUME durchaus nicht. (5) Und nachdem er dies einmal getan hatte, war die Zeit gekommen, einen Streifzug auf die Gefilde der Philosophie und Psychologie zu unternehmen. Es zeigte sich sofort, daß alle Erwartungen übertroffen wurden. Unendlich viel gab es zu zerstören, ja, die stolzen Gebäude der Philosophen wankten und fielen wie Kartenhäuser zusammen. Es war eine Lust zuzusehen: DAVID HUME, sein frisch geschmiedetes Schwert schwingend und rings um ihn erschlagene Feinde in Menge.

Der andere Satz war nicht weniger wirkungsvoll. Mit seiner Hilfe konnte HUME allerhand schwer lösbare Probleme verdunsten lassen, ungefähr wie Nebel vor einem frischen Lufthauch. Wenn er einmal erklärt hatte, das Seelenleben lasse sich ungestraft in eine Unzahl von Elementen auseinandernehmen, die sich als eine Art Substanzen in vornehmer Absonderung betrachten lassen, so lag es mehr als nahe, alles, was in dieser geometrischen Aufteilung keinen Platz findet, ganz einfach als nicht vorhanden aufzufassen. HUMEs Methode war einfach: so oft ein etwas dunkleres oder komplizierteres Phänomen im Seelenleben in Behandlung genommen wurde, ergriff HUME seine analytische Pinzette und fischte die greifbaren Momente des Phänomens heraus, worauf er sie auf den Präsentierteller legte und erklärte: dies ist alles!

Sehen wir uns jedoch diese für HUMEs Denken so schicksalsschweren Sätze etwas näher an:

Den ersten Satz bekam er fertig in seine Hand. Wir haben gesehen, daß ihm schon HOBBES einen deutlichen Ausdruck verliehen hat, und übrigens hatte ihn schon DESCARTES selbst gewissermaßen vorbereitet. Nich teinmal die spezielle Anwendung war HUMEs Erfindung. Die Technik lag fertig ausgebildet bei BERKELEY vor. Dieser hatte bei seiner Kritik von LOCKEs Abstraktionstheorie die Entdeckung gemacht, daß eine abstrakte Vorstellung nur insofern Existenz hat, als sie auf eine "particular idea" [einzelne Idee - wp] zurückgeführt werden kann. Kann sie es nicht, so hängt sie hilflos in der Luft und ist eine gefährliche Wahnvorstellung, die es mit aller Kraft zu bekämpfen gilt. Diese Überlegung gewinnt, wie natürlich ist, bei HUME einen lebhaften Widerhall. Nach ihm ist auch BERKELEYs Abstraktionstheorie eine der größten und wertvollsten Entdeckungen, die während der zuletzt verflossenen Jahre in der gelehrten Welt gemacht worden sind. (6)

HUME hatte es also nicht nötig, sich außerhalb jeglicher Beziehung zu den philosophischen Meistern seiner Zeit zu fühlen, als er mit seinem Satz an sein psychologisches Scharfrichteramt ging. Daß er sich jedoch so unbedingt auf den Satz verließ, beruthe auf seiner aprioristischen Auffassung von der Seele als etwas im Grunde Machtlosem und Unproduktivem, dessen gesamter Inhalt letztlich den Einflüssen der Außenwelt zugeschrieben werden muß. Gewiß ist es wahr, daß er eigentlich nicht zwischen einer äußeren und einer inneren Welt unterschied, indem er im Geiste BERKELEYs jedes Existenz außerhalb der Perzeptionen leugnete. (7) Aber wie bedeutungsvoll auch diese Abweisung des Gedankens an eine vom Subjekt unabhängige Wirklichkeit für gewisse charakteristische Manipulationen im Denken HUMEs sein mag, im tiefsten Grund blieb sie doch nur eine theoretische Geste, die sich belanglos zeigte, sobald die wirklichen Aufgaben in Angriff genommen wurden. Das wird nicht zum wenigsten durch die Anwendung bewiesen, die HUME für den obengenannten wichtigen Satz hatte.

Wenn er nämlich erklärte, daß nur die Vorstellung wirklich ist, die ihren Ursprung in einer bestimmten Empfindung hat, so lag dem die Überzeugung zugrunde, daß die Empfindungen im Gegensatz zu den Vorstellungen [hbergman4wahrn] einen Realitätsvorzug besitzen, wodurch sie zum Grund werden, auf den alles zurückgeführt werden soll. Dieser Vorzug kann jedoch nicht in der größeren Intensität allein liegen. Nehmen wir nur an, daß der Unterschied zwischen einer Vorstellung und einer Empfindung wirklich nur ein Intensitätsunterschied wäre, dann müßte jeder, der meint, er sei im Besitz einer umstrittenen Vorstellung und der nach HUME die ursprüngliche Empfindung anzugeben hat, sehr leicht ins Reine kommen. Er müßte antworten können, er habe seine Vorstellung nicht in einer intensiveren Form erleben können und deshalb muß sie als die gesuchte Empfindung betrachtet werden! Daß eine solche Antwort für HUME nicht in Betracht kam, beruhte darauf, daß die Empfindungen für ihn tatsächlich einen Wirklichkeitsvorzug besaßen, der keineswegs in und mit der größten Intensität verknüpft war. Dieser Vorzug war gerade die Abhängigkeit von einer außerhalb liegenden Wirklichkeit. Diesen Zug in HUMEs Psychologie kann man nicht übersehen, wie sorgfältig er auch hinter dunklen und verwirrenden Aussagen verborgen sein mag (8). Ein Zeugnis in seiner Art ist, daß der Weg von HUME direkt zu HARTLEY und PRIESTLEY führte.

Aber auch eine andere Sache trug dazu bei, daß der betreffende Satz mit so unbedingtem Zutrauen von HUME angeeignet wurde. Die Ursache liegt in einem Umstand, der bei den englischen Psychologen unmittelbar in die Augen fällt: ihr eigentümlich linearer Blick auf den Seelenverlauf. Sie stellten sich ihn als eine einfache Reihe von Daten vor, wo die verschiedenen Momente ungefähr wie die Schwingungen einer Lautwogenreihe aufeinander folgen. Jeder Moment hat seinen Platz für sich und füllt ihn in einsamer Herrlichkeit aus. Das Ganze gleicht - um ein später gebrauchtes Bild anzuwenden - einem Rosenkranz, wobei die Kugeln von den einzelnen Seelenerscheinungen gebildet werden. Man sieht leicht ein, daß HUMEs Haltung unter solchen Umständen gegeben war. Er konnte nicht anders als fordern, daß jede Vorstellung, die als etwas anderes denn ein leeres Wort aufgefaßt werden sollte, auf ein bestimmtes seelisches Erlebnis bezogen werden mußte, dessen Platz in der allgemeinen Reihe deutlich nachweisbar ist.

Daß die englischen Psychologen sich jedoch den Seelenverlauf auf diese charakteristische Weise vorstellten, beruhte zu allererst darauf, daß sie hauptsächlich nur die intellektuellen Momente im Seelenleben beachteten, die seelischen Bilder, deren scheinbar statischer, immobiler Charakter sie besonders geeignet machte, in einer solchen hypothetischen Reihe von Seelenerscheinungen zu paradieren. Man hatte ein für alle Mal eine passivistische Auffassung vom Seelenleben und übersah infolgedessen seinen synthetischen Charakter, dieses merkwürdige Faktum, daß in jedem Augenblick eine Mannigfaltigkeit von Elementen zu einer Einheit zusammengefaßt sind und daß diese Einheit eine intime Vereinigung von Gegenwärtigem und Verflossenem darstellt. Man übersah die Bewegung im Seelenleben, vor allem die Bewegung, die innerhalb des einzelnen Bildes stattfindet, es zu einem lebensvollen Organismus verwandelnd. Stattdessen ließ man zu, daß ein einziges voreiliges Element in der Physiognomie des Augenblicksbewußtseins es ganz und gar ausfüllte, alles andere zurückschiebend. Man hatte für jedes Moment des Seelenlebens ein Etikett zur Hand, und dann verfertigte man ein Etikettenregister, und das Register nannte man - Seele.

Dieses bedeutungsvolle Manöver wurd auf das wirksamste von dem Dogma unterstützt, das wir bei HUME als Dogma Nummer 2 charakterisiert haben und das lautet: das was unterschieden werden kann, kann auch als für sich besonders existierend gedacht werden. So wenig wurde von dem Gedanken angefochten, die Elemente könnten vielleicht doch nicht völlig unberührt von dem Zusammenhang sein, im dem sie auftreten, daß er ohne die geringste Diskussion seinen Satz als evident feststellte (9). Für HUMEs Psychologie bekam er auch eine unübersehbare Bedeutung, was aus folgendem Schlußsatz hervorgeht.
    "... da nun all unsere Wahrnehmung sich voneinander unterscheidet und auch von allem anderen im Universum, ist sie deutlich und trennbar und kann als getrennt existierend betrachtet werden und benötigt nichts anderes um ihre Existenz zu unterstützen. Sie ist deshalb stofflich, soweit diese Definition Stoffliches bestimmt." (10)
Die Analyse hatte unbegrenzte Vollmacht bekommen. Wo nur die geringste Distinktion gemacht, die leiseste Schattierung entdeckt werden kann, da hat man das Recht, von völlig isolierten und unabhängigen Einheiten zu sprechen. HUME sagt auch:
    "Ich habe schon gezeigt, daß wir keine klare (perfect) Vorstellung von einer Substanz haben, faßt man aber diese als etwas auf, was auf eigene Hand existieren kann, so ist es klar, daß jeder Seelenvorgang eine Substanz ist und jeder besondere Teil eines Seelenvorgang eine Substanz für sich." (11)
SPINOZAs berühmte Definition vom Substanzbegriff, für ihn ein zwingender Grund, der Substanz eine unendliche Dimension zuzuerteilen, wird von HUME als Stütze für einen unverhüllten psychischen Atomismus angeführt.

Sein Zerbröckeln des Seelenlebens betreibt HUME auf sehr einfache und praktische Weise. Er mach von seinem theoretischen Berkeleyanismus Gebrauch und erklärt: da ja die physische Welt nichts anderes als unsere Empfindungen ist, so folgt hieraus ohne Weiteres, daß die Atomisierung, die wir in der Außenwelt vornehmen können, auch für die Empfindungen ihre Gültigkeit haben muß. Es lag also keine Schwierigkeit für HUME vor, den Inhalt des Seelenlebens in die kleinsten Bestandteile zerfallen zu lassen, und er brauchte sich hierbei ganz und gar nicht von irgendwelchen Bedenken belästigt zu fühlen, denn die Richtigkeit der Sache war über allen Zweifel erhaben!

Mit anderen Worten: HUME nahm eine ebenso bewußte wie vollständige Verwechslung von Psychischem und Physischem vor; ohne Unterschied und Kritik wandte er psychische und physische Gesichtspunkte durcheinander auf dasselbe Problem an. Das eine Mal machte er die Psychologie zur Grundwissenschaft für alle anderen Wissenschaften, indem Mathematik, Naturwissenschaft, Erkenntnistheorie usw. als angewandte Psychologie erklärt wurden, das andere Mal brachte er sie vielmehr in eine abhängige Stellung, indem er den abgeleiteten Wissenschaften Methoden und Analogien entnahm, die gar nicht dazu geeignet waren, da Psychische zu seinem Recht kommen zu lassen.

Wie weit HUME in dieser Hinsicht gehen zu dürfen meinte, geht u. a. daraus hervor, daß er nicht bloß gewöhnlichen Empfindungen und Vorstellungen eine Behandlung angedeihen ließ, die in der physischen Welt zu Hause ist, sondern solches auch sämtlichen Phänomenen des Trieb- und Gefühlslebens widerfahren ließ. Ihm war z. B. folgender Gedankengang möglich:
    "Es ist klar, daß, wenn ein Gegenstand ein Gefühl erweckt, welches im Verhältnis zu seiner Quantität wechselt, dieses Gefühl kein einfacher Vorgang ist, sondern ein aus einer großen Anzahl schwächerer Gefühle zusammengesetzter, die alle von einer Betrachtung entsprechender einzelner Teile des Gegenstandes herrühren. Sonst wäre es ja unmöglich, daß das betreffende Gefühl gleichmäßig mit dem Gegenstand wachsen könnte. Somit hat ein Mann, der sich tausend Pfund wünscht, in Wirklichkeit tausend oder mehr Wünsche, die zusammen nur ein einziges Gefühl zu bilden scheinen." (12)
Das mag genug sein. Die Art von HUMEs Psychologie tritt schon in voller Deutlichkeit zutage. Sehen wir nun zu, wie er in Übereinstimmung mit seinen Grundsätzen ein Problem von entscheidender Bedeutung behandelt: das Problem des Ichs oder "personal identity".

HUME leitet seine Untersuchung mit der Feststellung ein:
    "Da jedes psychische Phänomen von anderen psychischen Phänomenen unterschieden und als besonders für sich existierend betrachtet werden kann, so folgt hieraus augenscheinlich, daß es keine Ungereimtheit ist, ein Einzelphänomen von der Seele (mind) abgetrennt zu denken, d. h. alle seine Verbindungen abzubrechen mit jenem Haufen von Seelenvorgängen, die ein denkendes Wesen bilden." (13)
Ohne Widerrede ist dies ein richtiger Schlußsatz aus den vorliegenden Prämissen. Und man kann nicht anders, als HUMEs folgerichtigen Gedankenganz anzuerkennen, wenn er sagt, Seelenvorgänge hätten gar nicht das Bedürfnis nach einer besonderen Unterlage, um zu existieren (14). Die Seele ist weiter nichts als ein "Bündel oder Ansammlung unterschiedlicher Wahrnehmungen". (15) Sie ist eine Art Theater, wo verschiedene Vorgänge nacheinander auftreten und verschwinden und wiederkommen und wechselnde Verbindungen miteinander eingehen. Von einer Seele, einem Ich, einer Substanz zu reden, hat keinen Sinn (16). Denn hätten wir eine klare Vorstellung von etwas derartigem, so müßten wir auch die Empfindung angeben können, in der sie ihre Wurzel hat. (17) Aber wo ist denn eine solche konstante und unveränderte Empfindung zu finden, die Urheberin sein könnte für "die Idee des Ich"? Durch unser Bewußtsein zieht ein unablässiger Zug von Empfindungen, Gefühlen und Vorstellungen, aber nichts davon bleibt, um einen festen Punkt in diesem bunten Wechsel zu bilden. Die Vorstellung eines "Ichs" kann somit nicht von daher herstammen. Sie ist nur eine Erfindung von Grüblern.

Die Angriffsmethode HUMEs, früher schon erprobt bei der Abfertigung der Annahme eines notwendigen Zusammenhangs zwischen Seelenvorgängen und bei der Verneinung der Vorstellung der Kraft (18), triumphiert. Aber noch ist eine Frage übrig: woher hat denn da die Wahnvorstellung von einem Ich ihren Ursprung?

HUME weist auf die Assoziation der Vorstellungen hin. Gewiß, das Seelenleben zerfällt in eine Unzahl Elemente, aber diese gehorchen gewissen Gesetzen, so daß das eine Element unmittelbar zum anderen überleitet. Dies bewirkt, daß der Übergang von einem Bewußtseinsinhalt zu einem anderen so unfreiwillig und schnell geht, daß es aussieht, als läge ein einziges kontinuierliches Objekt vor. Hierin liegt der Anlaß dazu, daß wir den Begriff Identität einführen, wo es sich nur um verschiedene Objekte handelt, die in eine zeitliche Beziehung zueinander gestellt sind. (19)

HUMEs Erklärung des Problems ist, wie man sieht, sehr einfach. Ausgezeichnet wird sie von CAMPBELL FRASER in folgenden Worten charakterisiert:
    "Was wir unser Dasein nennen, wir in ein unbegreifliches Chaos von empfundenen Eindrücken aufgelöst - eine zwecklose Prozssion, wobei der Perzipierende sich selbst verliert. Das Vergangene, das Entfernte, das Zukünftige sind eitel Jllusionen. Dinge und Personen bezeichnen nur unverbundene und vorübergehende Empfindungen, ohne irgendein dauerndes Wesen, das sie empfindet. Dem Wort Identität fehlt jeder Sinn. Eine Person kann nicht etwas mehr sein als eine momentane Vorstellung. Ich fasse mich selbst nur in der Form einer fliehenden Vorstellung. Nur die gegenwärtige Empfindung existiert." (20)
Konnte aber HUME mit einer so einfachen Erklärung auskommen? Im ersten Teil seines "Treatise" ging alles leidlich gut. Die Probleme wurden allerdings mehr als gebührlich vereinfacht, jedoch mit einer Konsequenz, die imponierte. Das kann dagegen vom zweiten Teil kaum gesagt werden, wo es galt, Vorgänge mit sicherem Halt im Einheitsgrund des Seelenlebens zu beachten.

Gleich im Anfang, bei der Behandlung der Gefühle, können wir lesen:
    "Es ist klar, daß Stolz und Demut, obwohl Gegensätze, doch dasselbe Objekt haben. Dieses Objekt ist das Ich oder jene Abfolge von aufeinander bezogenen Vorstellungen und Empfindungen, von denen wir eingehende Erinnerung und Bewußtsein haben ... Falls dieses Ich nicht in Betracht kommt, gibt es da keinen Platz weder für Stolz noch für Demut." (21)
Dies ist schon ganz bemerkenswert. Im vorhergehenden Teil hatte HUME mit großer Rücksichtslosigkeit eingeprägt, daß sogar das kleinste Glied im Bewußtseinsinhalt als etwas für sich besonders Existierendes aufgefaßt werden kann, und nun erklärt er unvermutet, daß Stolz und Demut nicht ohne dieses "self" als existierend gedacht werden können. Ohne Zweifel ein ernster Bruch mit der Konsequenz. Das ist jedoch nichts gegen das, was noch kommen sollte. Etwa 30 Seiten weiter in seinem Werk werden wir darüber aufgeklärt, daß
    "die Vorstellung, oder besser die Empfindung von uns selbst (impression of ourselves)" - der ausdrückliche Gebrauch des Wortes ist ein gar bemerkenswertes Zugeständnis - "immer intim zugegen ist, und daß unser Bewußtsein einen so lebhaften Begriff (conception) von unserer eigenen Person gibt, daß es unmöglich ist, sich etwas vorzustellen, was außerhalb ihrer fallen sollte." (22)
In dieser Aussage wird die früher verfochtene Ansicht umgestoßen. Daß es gerade hier geschehen sollte, als das Gefühlsleben zur Sprache kam, war nicht zu verwundern. HUME gibt selbst zu, daß unsere Gefühle mehr von uns selbst abhängen, von den inneren Operationen der Seele als die eigentlichen Empfindungen. (23) Konnte er hinsichtlich der letzteren noch den Schein aufrechterhalten, daß das Ich überflüssig ist, so war dies hinsichtlich der Gefühle unmöglich. Hier trat das Ich als eine Bedingung auf, eine Voraussetzung, die man nicht übersehen durfte. HUME war gezwungen, es in Gnaden wieder aufzunehmen und sich damit zu einer unbewußten Revision seiner ganzen Lehre führen zu lassen. Dem Ich wird im zweiten Teil von HUMEs Hauptwerk tatsächlich eine solche Bedeutung zugemessen, daß überhaupt kein Seelenvorgang, wie erklärt wird, darüber hinaus gehen kann (go beyond it). (24) Nach der früher verfochtenen Ansicht ist jedes Glied in der Kette des Seelenverlaufs eine unabhängige Größe, von deren Beziehungen man nichts anderes sagen kann, als daß etwas vorhergeht und etwas darauf folgt. Nun stellt HUME plötzlich als selbstverständliches Faktum fest, daß jeder Seelenvorgang in einer solchen Beziehung zur Kette in ihrer Ganzheit steht, daß er ohne sie nicht als existierend gedacht werden kann, und noch dazu, daß diese Kette unmittelbar bewußt ist als besondere Empfindung (impression) für sich.

Schon die erste Definition von "self" in Teil II ist Zeuge für den Umschlag in HUMEs Auffassung. Das Ich wird hier, wie wir sahen, definiert als "Abfolge von aufeinander bezogenen Vorstellungen, von denen wir eine eingehende Erinnerung und Bewußtsein haben." (25) HUME wiederholt in der ersten Hälfte der Definition den alten Satz, daß das Ich eine einfache Folge von aufeinander bezogenen Vorstellungen und Empfindungen ist, läßt es aber nicht länger dabei verbleiben. Das Ich, um das es sich jetzt handelt, soll Objekt eines Gefühls sein. Um aber Objekt sein zu können, muß es eine gewisse Einheit, eine gewisse Simultaneität aufweisen; das kann nicht nur Abfolge sein. Wenn dies nämlich der Fall wäre, so würde in jedem Augenblick nur ein Abfolgeglied im Bewußtsein vorhanden sein können, und jenes Gefühl selbst würde herausfallen. Deshalb mußte HUME einen Zusatz zu seiner Definition machen und sagen: das Ich ist die Abfolge von Vorstellungen und Empfindungen, von denen wir eine eingehende Erinnerung und Bewußtsein haben. Also diese eingehende Erinnerung und Bewußtsein sind es, die dem Ich die Einheit und Gleichzeitigkeit geben sollen, die erforderlich sind, damit es als Objekt auftreten kann.

Aber die Frage ist: wie ist es zu verstehen, daß eine Reihe Seelenmomente ihrer selbst bewußt ist, d. h. daß etwas Sukzessives sich als Einheit erfaßt, also Subjekt und Objekt zugleich ist? Wie dem auch sei, so viel ist gewiß, daß dieses "Bewußtsein" etwas zu der Reihe selber Hinzukommendes ist, denn die Behauptung, eine Reihe aufeinander folgender Zustände schließe bereits ein kollektives Bewußtsein ihrer selbst ein, ist um nichts bessesr als wenn jemand behaupten würde, daß eine Reihe von Bildern, die im Spiegel hintereinander gleiten, dennoch in ein und demselben Augenblick da sind. Aber für ein solches hinzutretendes "Bewußtsein" findet sich überhaupt kein Platz in HUMEs Psychologie. Daß die Einführung des Begriffs Erinnerung geeignet wäre, das Knäuel entwirren, ist nicht der Fall, denn nach ihm bedeutet dieser Begriff, wie er andernorts darlegt, nichts anderes als einzelne Vorstellungen mit einem besonderen Intensitätszeichen. Hiermit werden wir also schon wieder auf die bloße Sukzession hingewiesen. HUMEs Definition leidet kurz gesagt an einem Widerspruch, dem nicht abzuhelfen ist. Wenn er sagt, daß wir ein unmittelbares Bewußtsein von der Abfolge der Empfindungen haben und daß dieses Bewußtsein von der Art ist, daß die Seelenvorgänge erst in ihm und durch es das werden, was sie sind, dann gibt er auch zu, daß wir etwas anderes sind als nur eine Abfolge. Dafür muß HUME auch im Innersten eine Empfindung gehabt haben, denn wenn er fernerhin von einem Ich spricht, läßt er den Ausdruck Abfolge aus, der ja in seinen früheren Definitionen das Hauptstück war, und sagt stattdessen z. B.
    "die individuelle Person, von deren Handlungen und Gefühlen ein jeder von uns ein intimes Bewußtsein hat" oder "das Ich oder die identische Person, von deren Gedanken, Handlungen und Empfindungen wir ein intimes Bewußtsein haben." (26)
Damit erschüttert HUME den Grund für seine ganze Lehre. Man muß bedauern, daß er sich nicht Rechenschaft darüber gegeben hat, denn es wäre interessant gewesen zu sehen, wie er versucht hätte, alles wieder in Ordnung zu bringen. Überhaupt ist die Geschmeidigkeit bemerkenswert, mit der er über die Fragen hinwegzugleiten versteht, die für seine Psychologie weniger bequem sind. So z. B. was die Frage des Willens betrifft.

Er beschränkt sich hier auf die Aufklärung, unter Wille verstehe er nur "den inneren Eindruck, den wir fühlen und dessen wir bewußt sein, wenn wir wissentlich irgendeine neue Emotion aufsteigen lassen in unserem Körper, eine neue Wahrnehmung unseres Geistes." (27) Das ist alles, was er zu sagen hat, und er begründet seine Knappheit damit, daß die Willensempfindung unmöglich zu definieren und daß es unnötig ist zu versuchen, sie näher zu beschreiben. Damit hat er vielleicht recht, aber es kommt wohl auch kaum auf eine solche Definition an, sondern darauf, diese Willensempfindung in ihrem Verhältnis zu anderen Empfindungen zu betrachten. Dem weicht HUME jedoch aus und vermeidet es dadurch zu sehen, wie seine Lehre von der gegenseitigen Unabhängigkeit und Isolierung der Seelenmomente ernsthaft bedroht wird. Hätte er sich hier die Zeit zu einem gründlicheren Nachdenken gelassen, so würde er gezwungen worden sein, entweder der Konsequenz wegen zu leugnen, daß es eine Willensempfindung gibt - was mancher nach ihm Kommende ohne Bedenken getan hat - oder seine Psychologie neu zu begründen. Keins von beiden kam jedoch in Frage, denn HUME ging unmittelbar dazu über, die Frage der Willensfreiheit zu behandeln. Un in dieser konnte er soviel alten Staub, als er nur wollte, aufwirbeln und als Großaufräumer in eminenten Graden wirken.

Doch auch hier hapertes es in einer bekannten Frage: HUME macht gegen die Annahme eines freien Willens u. a. den Einwand, daß es in diesem Fall unmöglich wäre, den Menschen als verantwortlich für seinen Handlungen zu betrachten. Dieser Einwand hat, wie bekannt, eine alte Vorgeschichte in der Philosophie, schon seitdem EPIKUR dem Begriff der Willensfreiheit dadurch eine bestehende Prägung gab, daß er in ihn ein willkürliches Anfangen von neuen Kausalreihen hineinlegte. Doch derselbe Einwand kann mit gleich großem Recht gegen HUMEs eigene Theorie gewendet werden. Es ist nämlich schwer zu verstehen, warum sie uns ein größeres Recht geben sollte von einer verantwortlichen Person zu sprechen. HUMEs Ich-Begriff ist in diesem wie in allen anderen Fällen unanwendbar. Nehmen wir an, das Ich, die Person, wäre nichts anderes als die Abfolge von Seelenvorgängen, dann wäre ja auch die einzelne Handlung ein Abfolgeglied, das den Inhalt des Bewußtseins in einem gegebenen Augenblick ausfüllt. Die Handlung würde mit anderen Worten für sich selbst verantwortlich sein. HUME würde wahrscheinlich entgegnet haben, daß wir es ganz und gar vergessen, daß es immer ein vorhergehendes Glied gibt, das den Grund der Handlung bildet. Es ist jedoch schwer zu verstehen, warum dieses Glied unter allen anderen besser die Forderung nach einer verantwortlichen Person einlösen kann als die Handlung selbst. HUME ist tatsächlich nicht imstande, mit den Voraussetzungen, die seine Psychologie bietet, das Problem der Verantwortlichkeit zu lösen. Deshalb muß er nun ebenso wie früher auch eine Inkonsequenz begehen und mit einem Personbegriff arbeiten, der kein Heimatrecht in seiner Psychologie hat.

Das seelische Einheitsprinzip, dessen Überflüssigkeit zu beweisen HUME sich in den Kopf gesetzt hatte, wurde ihm doch zu stark. Er, sein größter Widersacher, bekam den Degen aus der Hand geschlagen.

Schon als HUME die Assoziation der Vorstellungen ins Auge faßte, wurde er seiner Lehre von der gegenseitigen Unabhängigkeit und Isolation der Seelenvorgänge gewissermaßen untreu. Es ist recht charakteristisch, daß er sich hier veranlaßt sieht von einem "vereinigenden Prinzip" (unifying principle) (28) zu reden. Wenn er weiter erklärte, es gäbe Vorstellungen auch von den Beziehungen (29) der psychischen Phänomene, beugte er offen und ehrlich die Knie vor der unbekannten Gottheit, die er mit seinen Lippen verleugnete. Denn erstens: wie ist es denkbar, daß eine Beziehung zwischen Objekten bestehen kann, von denen gesagt wird, daß das eine zu existieren aufgehört hat, bevor das andere eingetreten ist? Und zum zweiten: wie ist es möglich, daß eine Seele, die ausdrücklich nur als eine Folge von Empfindungen und Vorstellungen bezeichnet worden ist, den Vergleich (30) vollziehen könnte, der erforderlich ist, amit man zur Einsicht in die respektiven Beziehungen gelangt? Es geht eben nicht. Ist es da verwunderlich, daß er, wenn die Rede auf das Ich als Gegenstand eines Gefühls und auf seine Verantwortlichkeit kommt, das Gedankenknäuel für so verworren hält, daß er, sein ganzes System vergessend, in den Schoß des Satzes von der umfassenden Einheit der Seele springt?

Später, als HUME Abstand von seinem eigenen Werk gewann, war er auch willig, mehrere seiner Inkonsequenzen zuzugeben. In einem "Appendix" zur Originalauflage seines Hauptwerkes sagt er u. a.:
    "Wenn ich nun mit Aufmerksamkeit das Kapitel von der Identität der Persönlichkeit prüfe, finde ich mich in ein solches Labyrinth versetzt, daß ich gestehen muß: ich weiß nicht, wie ich meine früheren Ansichten berichtigen oder ihnen eine Konsequenz geben soll." (31)
Und weiter hinten, wenn er von der Assoziation der Vorstellungen spricht, gibt er zu, er könne es nicht begreiflich machen, wie Vorgänge, von denen ausdrücklich erklärt wurde, daß sie existieren getrennt voneinander, trotzdem zusammenhängen.
    "Ich kann keine Theorie entdecken, die mich in dieser Beziehung zufrieden stellen würde. ... Für meinen Teil muß ich auf das Privilegium hinweisen, ein Skeptiker zu sein, und zu erkennen, daß diese Schwierigkeit für meinen Verstand zu groß ist." (32)
Die Rückhaltlosigkeit in diesen Zugeständnissen wirft ein schönes Licht auf HUMEs Persönlichkeit. Wie selten sind doch die Schriftsteller, die es über sich bringen zu gestehen, daß ihnen die Aufgabe übermächtig wurde. Es ist deswegen recht eigentümlich, daß JOHN STUART MILL über HUME sagt: dieser besaß Talente bedeutsamster Art, doch Liebe zur Wahrheit hatte keinen Teil an seinem Charakter. MILL war ja doch selbst ein Mann, der sich nicht scheute, sein Unvermögen offen zu bekennen. Man hätte ein größeres Verständnis für einen Ebenbürtigen erwarten können.

Daß HUME die Kurve in seinem Denken beschreiben mußte, die hier gezeichnet wurde, ist klar. Die Lehre von der gegenseitigen Unabhängigkeit und Isolation der Seelenvorgänge bildet den Brennpunkt für alle sowohl bewußten wie unbewußten Voraussetzungen seiner Psychologie. HUME übersah, daß in jedem gegebenen Seelenmoment weit mehr als das spezielle Phänomen enthalten ist, das im Augenblick das Bewußtsein beherrscht, oder richtiger: er übersah, daß unser gesamtes Seelenleben an diesem Phänomen beteiligt ist, und daß es abgesehen davon eine Unmöglichkeit wäre. Er machte die einzelnen Seelenvorgänge zu freien Gebilden in der Luft, seltsam zwischen Himmel und Erde schwebend, machte sie zu leeren Abstraktionen. Es war nahezu eine Ironie des Schicksals, daß er, der Jünger GEORGE BERKELEYs, dies nicht entdeckte.

Natürlich sammeln sich die Fäden zu einer solchen Erscheinung wie DAVID HUME von weit auseinander liegenden Seiten. Wie alle Wege nach Rom führen, so kann man auch sagen, daß so gut wie jede Gedankenlinie, die in der Philosophie vor HUME in England angedeutet ist, nach seiner mächtigen Gestalt hinstrebt. Verfolgt man z. B. die erkenntniskritische Linie, so wird man sehen, wie sein Denken von der Kritik des Substanz- und Ursachenbegriffs bestimmt ist. Die Substanz war gewiß nach Verdienst von LOCKE und BERKELEY behandelt worden - obwohl sie schließlich doch innerhalb der psychischen Welt unangetastet blieb; den Ursachen-Begriff hatte jedoch niemand anzurühren gewagt. HUME tut es und schneidet ohne Bedenken das Band ab, welches das Universum für uns zusammenhält. Sein Ergebnis ist, um mit KUNO FISCHER zu reden, "ein heilloser Riß zwischen Leben und Denken", (33) und er läßt uns die nicht weniger schonungslose Kritik von kardinalen Vernunftprinzipien und Verstandesbegriffen in Gedanken vorwegnehmen, die JOHN STUART MILL hundert Jahre später vornahm. Die ganze Philosophie HUMEs schlummerte in der Analyse des Ursachen-Begriffs. Sie ergab sich als eine einfache Folge daraus.

Auf diese Weise kann auch der Entwicklungsgang im Denken HUMEs dargestellt werden. Sieht man aber so auf die Sache, dann schrumpft HUMEs Tat wesentlich zusammen und erhält hauptsächlich historische Bedeutung. Er erscheint als das vollendende Glied in einer Kette von Denkern, die alle Schlag auf Schlag daran gearbeitet haben, einen gemeinsamen Gedanken zuende zu führen. Er eröffnet keine Aussichten mehr; man meint, daß die englische Psychologie mit ihm auf einen Holzweg gerät, von dem sie nicht mehr aus eigenen Kräften wieder hinein ins freie Land gelangen kann. So sehen auch die meisten auf die Sache, und viele meinen sicherlich mit HÖFFDING:
"Von den Gesichtspunkten aus, die schon Bacon und Hobbes, besonders aber Locke geltend gemacht hatten, war man zu den letzten Konsequenzen gelangt, die gezogen werden konnten; der eingeschlagene Gedankengang war durch eine Arbeit zuende geführt, bei welcher der eine hervorragende Denker da einsetzte, wo der andere aufgehört hatte. Nur von ganz neuen Gesichtspunkten aus, die nicht innerhalb des Gesichtskreises der englischen Schule lagen, aber kommen mußten - und kamen - von einer anderen Seite, konnte die Entwicklung weiter geführt werden." (34)

Diese Auffassung kommt mir insofern nicht richtig vor, als sie vorauszusetzen scheint, daß HUME mit seiner Lehre auch ihr eigenes Dementi gebracht hätte. Das war jedoch keineswegs der Fall. Denn HUME ist in England niemals überwunden worden und noch heute arbeiten die Philosophen in aller Welt unter dem Druck seines Geistes. Unzählige haben ihn verneint, alle haben etwas auszusetzen gehabt, doch keiner hat vermocht, ganz aus dem Vorstellungskreis herauszugehen, dem er in seiner Philosophie einen so rücksichtslosen Ausdruck gab. Hier kann es nicht in Frage kommen, zu zeigen, in welcher Mannigfaltigkeit der Probleme seine Wirkungen deutlich zu spüren sind. Später soll es genügend geschehen. Und dann werden wir sehen, daß das Bleibende bei DAVID HUME weder die Ergebnisse waren, die er erreichte, noch selbst die Prinzipien, denen er folgte, wohl aber der Geist, aus dem sie geboren waren.
LITERATUR - Hans Ruin, Erlebnis und Wissen, Helsingfors 1921
    Anmerkungen
    1) ARVID GROTENFELT, Uudemman filosofian historia, Bd. 1, Seite 422
    2) THOMSEN, David Hume Seite 403
    3) HUME, A Treatise of Human Nature, Bd. 1, Seite 311
    4) HUME, An Inquiry concerning Human Understanding (Essays, Seite 317)
    5) siehe u. a. Inquiry, Seite 319.
    6) Treatise, Bd. 1, Seite 325
    7) Treatise, Bd.1, Seite 312, 317, 370-371, 479, 481.
    8) Ein zureichendes Zeugnis ist, daß HUME zwischen zwei Arten Empfindungen unterscheidet, "impressions of sensation" und "impressions of reflexion", eine Unterscheidung, die er direkt von LOCKE geliehen hat und die sich auf den Gegensatz von äußerer und innerer Welt gründet. - Es ist übrigens zu bemerken, daß HUME feststellt: "... die Impressionen der Reflexion sind nur den ihnen korrespondierenden Ideen vorhergehend; aber finden nach den Impressionen der Empfindung statt und sind von ihnen abgeleitet." (Treatise, Bd. 1, Seite 317)
    9) Treatise, Bd. 1, Seite 343
    10) Treatise, Bd. 1, Seite 518. - Es ist zu bemerken, daß der Ausdruck "perception" von HUME als allgemeine Bezeichnung für Seelenvorgänge bezeichnet wird.
    11) Treatise, Bd. 1, Seite 527.
    12) Treatise, Bd. 1, Seite 438
    13) Treatise, Bd. 1, Seite 495
    14) Treatise, Bd. 1, Seite 534
    15) Treatise, Bd. 1, Seite 534
    16) Treatise, Bd. 1, Seite 533, 536
    17) Treatise, Bd. 1, Seite 533
    18) Treatise, Bd. 1, Seite 379, 451, 455
    19) Treatise, Bd. 1, Seite 543
    20) THOMAS REID, Essays of the Active Powers of Man, Works II, Seite 39
    21) HUME, Treatise II, Seite 77
    22) Treatise II, Seite 112. Ähnliche Aussagen Seite 80, 113, 114.
    23) Man muß sich dessen erinnern, daß HUME auch die Gefühle als "impressions" auffaßt.
    24) Treatise II, Seite 112
    25) "... diese Sukzession von auf Impressionen bezogenen Ideen, von denen wir eine genaue Erinnerung und Bewußtsein haben." (Treatise II, Seite 77)
    26) Treatise II, Seite 84 und 121
    27) Treatise II, Seite 181
    28) Treatise I, Seite 319
    29) Treatise I, Seite 322, 372-373
    30) Treatise I, Seite 322, 372-373
    31) Treatise I, Seite 558
    32) Treatise I, Seite 559
    33) KUNO FISCHER, Francis Bacon und seine Nachfolger, Seite 773
    34) HARALD HÖFFDING, Den nyere Filosofis Historie, Bd. 1, Seite 411.