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GILBERT WHITNEY CAMPBELL
Fiktives in der Lehre
von den Empfindungen

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"Vielleicht ist kein Punkt in Vaihingers Lehre wichtiger als der, daß, was wir gewöhnlich Wirklichkeit nennen, schon voll ist von künstlichen Hilfsannahmen, die ansich gar nicht zur Wirklichkeit gehören und von den Menschen erst künstlich in das ihnen ursprüngliche Gegebene hinein gewebt worden sind. Mit andreen Worten: was wir Wirklichkeit nennen, ist bei niemandem deutlicher als bei Vaihinger unser eigenes Machwerk."

"Vaihinger macht ernst damit, daß die Wirklichkeit gemacht wird und zwar vom Menschen; und er zeigt uns, wie sie gemacht wird. Sie entsteht aus einer Durchsetzung des unmittelbar Gegebenen mit Hilfsannahmen, die auf Wirklichkeit keinerlei Anspruch machen. Das Eigentümliche ist aber, daß diese Hilfsannahmen gemacht werden, um bestimmte Forderungen des Verstandes, des Gemütes oder des Willens zu erfüllen."


G e l e i t w o r t
[von Hans Vaihinger]

Im Oktober 1913 kam Herr CAMPBELL nach Halle mit einer Empfehlung seines seiner amerikanischen Lehre, um hier bei mir die "Philosophie des Als Ob" an der Quelle zu studieren und womöglich über dieselbe hier eine Arbeit zu machen. Er wußte nicht, daß ein schweres Augenleiden mich genötigt hatte, meine Lehrtätigkeit einzustellen, und so wären er und ich in großer Verlegenheit gewesen, wenn nicht ein günstiger Zufall es gefügt hätte, daß mein Kollege FELIX KRUEGER, welcher kurze Zeit vorher als "Austauschprofessor" in den Vereinigten Staaten gewesen war, die Angelegenheit statt meiner freundlich in die Hand genommen hätte. Dies war ein umso günstigerer Zufall, als Professor KRUEGER die "Philosophie des Als Ob" schon genau kannte, und außerdem wußte, daß und warum sie gerade in Amerika ein besonderes Interesse erweckte.

In Amerika hatte Professor GÜNTHER JACOBY während der 2 Jahre seines dortigen Aufenthalts durch mehrere Vorträge auf die "Philosophie des Als Ob" aufmerksam gemacht. Dabei hatte er besonders darauf hingewiesen, daß die "Philosophie des Als Ob" zu dem in den Vereinigten Staaten verbreiteten und viel diskutierten Pragmatismus eine wesentliche Ergänzung, bzw. Korrektur darstellt. Der Pragmatismus lehrt, daß das Kriterium der Wahrheit einer Annahme in deren Bedeutung für das Leben, in deren praktischer Brauchbarkeit zu suchen ist. Die "Philosophie des Als Ob" lehrt, daß die praktische Brauchbarkeit einer Annahme zwar nicht deren Richtigkeit, deren "Wahrheit" verbürgt, wohl aber uns veranlassen oder zwingen kann, die betreffende Annahme als Hilfsannahme zu verwenden, deren Falschheit uns zwar bewußt ist, deren Nützlichkeit uns aber trotzdem berechtigt, ja verpflichtet sie festzuhalten und zu gebrauchen.

Ich berufe mich hierüber auf den ausführlichen Artikel von GÜNTHER JACOBY, "Der amerikanische Pragmatismus und die Philosophie des Als Ob" in der Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, Bd. 147, Heft 2, 1912. Vielleicht darf ich aus dieser instruktiven Abhandlung einige Sätze anführen.
    "Die Philosophie des Als Ob ist keine bloße Bestätigung des amerikanischen Pragmatismus. Sie geht teilweise andere Wege, und in diesen anderen Wegen geht sie über den amerikanischen Betrieb des Pragmatismus hinaus. Diesen Unterschied möchte ich dahin kennzeichnen: der amerikanische Pragmatismus ist allgemeine Psychologie und allgemeine Logik und leitet Sätze aus den allgemeinsten Voraussetzungen der Psychologie und Logik ab. Dagegen ist die Philosophie des Als Ob eine Untersuchung über die Verfahrensweisen der Wissenschaften im Einzelnen und zieht von da aus ihre Schlüsse. Der amerikanische Pragmatismus arbeitet also auf einem verhältnismäßig schulmäßigen engen und unbestimmten Gebiet, die Philosophie des Als Ob auf einem weiten, dem wirklichen Leben angehörigen und bestimmten Gebiet. Mit diesem Verfahren wird der Pragmatismus von Vaihinger sehr viel pragmatischer behandelt als von den amerikanischen Pragmatisten. Denn die amerikanischen Pragmatisten haben ausdrücklich wieder und wieder betont, daß es das Wesen des Pragmatismus ist, von den Allgemeinheiten zum Einzelnen herabzusteigen. Selbst aber haben sie den Pragmatismus nur ausnahmsweise an Einzelfällen nachgeprüft und sich für gewöhnlich in durchaus unpragmatisch allgemeinen Bahnen gehalten. Dagegen prüft Vaihinger nun den Pragmatismus an einem riesigen Beweisstoff von Einzelheiten nach. Vielmehr: dieser ganze Beweisstoff ist der Inhalt seiner Philosophie selbst, und die Buchauffschrift Philosophie des Als Ob und System der Fiktionen ist nur ein zusammenfassender Ausdruck für die Menge des Beweisstoffes selbst" (Seite 176)

    "Die Philosophie des Als Ob ist kein Lehrgebäude aus bloßer Begriffszergliederung, sondern die Zusammenfassung einer überall wirklich vorhandenen eigentümlichen Erkenntnisweise der Menschheit in der Wissenschaft und im täglichen Leben." (Seite 178)

    "Es wird unter diesen Umständen vielleicht besser sein, die Philosophie des Als Ob nicht selbst Pragmatismus zu nennen."
JACOBY unterscheidet dann weiterhin zwischen zwei verschiedenen Arten des amerikanischen Pragmatismus: den Common Sense - Pragmatisten, welche zu den sogenannten Neurealisten hinüberführen und den idealistischen Pragmatisten.
    "Für die Philosophie des Als Ob ist der idealistische Pragmatismus die bei weitem wichtigere Erscheinung, denn die als Als-Ob-Lehre enthält die Formel, in der sich der amerikanische Pragmatismus mit dem amerikanischen Idealismus zu verbinden vermag. Die Philosophie des Als Ob führt nach dieser Hinsicht in die Richtung der bekannten Lehre von William James über den Willen zum Glauben: nur daß auch hier die Als-Ob-Lehre unverhältnismäßig viel tiefer dringt. Philosophie als Weltanschauung bedeutet den Aufbau einer vom Weltbild des Alltags und des Common sense verschiedenen Wirklichkeit. Weltanschauung entspringt aus dem Innewerden der Tatsache, daß die unmittelbar vorgefundene Alltagswirklichkeit nicht imstande ist, allen Verstandes-, Gemüts- und Willensforderungen des Menschen gerecht zu werden. Niemand unter den amerikanischen Philosophen der Neuzeit hatte das tiefer empfunden als der verstorbene William James. Aber zu einer völligen Klarheit über das Recht dieser Forderungen auf eine Wirklichkeit im pragmatischen Sinne ist er nie gelangt. Aus dieser Unklarheit entsprang seine Lehre vom Willen zum Glauben: jene schon auf den ersten Anblick ungeschlachte Behauptung, durch die Gott zu einer Arbeitsannahme wird, aber nicht im Sinne einer Fiktion, sondern im Sinne einer working hypothesis. Das heißt: James hatte noch nicht den von Vaihinger so glänzend aufgewiesenen Unterschied zwischen Vermutung (Hypothese) und Annahme (Fiktion) gemacht." (Seite 180)
Die Fiktionen sind Hilfsannahmen, von deren Falschheit wir zwar überzeugt sind oder zumindest überzeugt sein sollten, mit denen wir aber das Gegebene durchsetzen und durchflechten, um dieses Gegebene besser fassen und berechnen zu können. Ich fahre wieder mit JACOBYs Worten fort:
    "Vielleicht ist kein Punkt in Vaihingers Lehre wichtiger als der, daß, was wir gewöhnlich Wirklichkeit nennen, schon voll ist von künstlichen Hilfsannahmen, die ansich gar nicht zur Wirklichkeit gehören und von den Menschen erst künstlich in das ihnen ursprüngliche Gegebene hinein gewebt worden sind. Mit andreen Worten: was wir Wirklichkeit nennen, ist bei niemandem deutlicher als bei Vaihinger unser eigenes Machwerk." (Seite 175)

    "Vaihinger macht ernst damit, daß die Wirklichkeit ... gemacht wird und zwar vom Menschen; und er zeigt uns, wie sie gemacht wird. Sie entsteht aus einer Durchsetzung des unmittelbar Gegebenen mit Hilfsannahmen, die auf Wirklichkeit keinerlei Anspruch machen. Das Eigentümliche ist aber, daß diese Hilfsannahmen gemacht werden, um bestimmte Forderungen des Verstandes, des Gemütes oder des Willens zu erfüllen."

    "Diese verschiedenen Hilfsannahmen sind untereinander schwerlich verträglich. Aber das schadet auch gar nichts, solange sie nur als Hilfsannahmen erkannt werden." (Seite 181)
Die Lehre von den bewußt-falschen, aber nichtsdestoweniger zweckmäßigen und notwendigen Hilfsannahmen oder Fiktionen bildet nun einen wichtigen Teil der Methodologie verschiedener Wissenschaften, nicht bloß der Mathematik, sondern auch der Naturwissenschaften, z. B. der Mechanik, der Physik und der Chemie. Auch die Psychoogie, mag man sie nun als Naturwissenschaft betrachten oder nicht, bedarf vielleicht solcher Hilfsannahmen und Hilfsmethoden. Diese Frage habe ich schon selbst in meiner "Philosophie des Als Ob" aufgeworfen und in einem eigenen Kapitel behandelt (Seite 359f, vgl. auch Seite 374f) Was ich darüber sagte und sagen konnte, ist freilich vom Standpunkt derjenigen Psychologie aus geschrieben, welche vor 30 bis 40 Jahren von den damals maßgebenden Psychologen vertreten wurde. Unterdessen aber hat die Psychologie Vieles, sehr Vieles hinzugelernt, und so war es ein wichtiges und dankbares Problem, diese Fragen vom Standpunkt der gegenwärtigen Psychologie aus zum Gegenstand einer eigenen Monographie zu machen.

Diese Aufgabe nun hat sich der Verfasser der vorliegenden Abhandlung, Herr GILBERT W. CAMPBELL gestellt, oder vielmehr: diese Aufgabe stellte ihm mein verehrter Kollege, Herr Professor Dr. FELIX KRUEGER. Herr CAMPBELL hatte dabei einen doppelten Vorteil. Erstens hatte er sich schon in seiner Heimat an der Yale Unisversität eingehend mit Psychologie beschäftigt und war daselbst ein Jahr lang Assistent an dem von den Professoren ANGIER und CAMERON geleiteten Institut für experimentelle Psychologie gewesen. Zweitens hatte er den ebenso großen Vorteil, in Professor KRUEGER einen ausgezeichneten Führer zu finden in das Forschungsgebiet und in die Methoden der modernen Psychologie. Professor KRUEGER war eben damit beschäftigt, die Grundlinien seiner neuen "genetischen" Psychologie auszuarbeiten, welche jetzt soeben unter dem Titel "Über Entwicklungspsychologie, ihre sachliche und geschichtliche Notwendigkeit" als erstes Heft der von ihm herausgegebenen "Arbeiten zur Entwicklungspsychologie" in Leipzig erschienen sind. In dieser bedeutsamen programmatischen Schrift hat KRUEGER in grundlegender Weise die Ziele und die Mittel einer neuen Betrachtungs- und Behandlungsweise der psychischen Phänomene gelegt, insbesondere weist er überall darauf hin, daß die bisherige Psychologie den Fehler gemacht hat, die Ergebnisse einer nur vorläufigen "methodischen Abstraktion" in sachliche Dinglichkeiten zu verwandeln, und die Produkte der "isolierenden", der "fingierenden" Abstraktion zu "hypostasieren" [einer Vorstellung reale Existenz unterschieben - wp] und damit methodisch zweckmäßige und notwendige ideelle Abstraktionen in Verkennung dieses ihres rein methodischen Charakters dogmatisch als Realitäten zu behandeln (Seite 93, 117, 143, 184). Diese vortrefflichen methodologischen Grundsätze münden in dasjenige ein, was die Philosophie des Als Ob von einer freilich weniger modernen Basis aus zu sagen versuchte, und so darf es die Philosophie des Als Ob sich als besonderes Glück anrechnen, diese ungesuchte Betätigung seitens einer besonders wichtigen speziellen empirischen Wissenschaft, seitens der Psychologie, gefunden zu haben. Und vielleicht darf es in diesem Zusammenhang gesagt werden, daß die Philosophie des Als Ob gerade von Psychologen einer besonders freundlichen und verständnisvollen Aufnahme sich zu erfreuen hatte. Dankbar gedenke ich hier den Namen ADLER, BECHER, CONRAD, CORNELIUS, DWELSHAUVERS, ELSENHANS, ALOIS FISCHER, GALLINGER, STANLEY HALL, HERBERTZ, HÖFLER, JENTSCH, JERUSALEM, KLEINPETER, KOFFKA, KÜLPE, MACH, MARBE, MEINONG, MEUMANN, ÖSTERREICH, OHMANN, JULIUS SCHULTZ, SCHUMANN.

Was Herr CAMPBELL in seiner vorliegenden Schrift über fiktive Begriffe in der Psychologie, speziell in der Lehre von den Empfindungen gesagt hat, sei der Beurteilung dieser Psychologen unterbreitet. Es ist kein Zweifel, daß er, geschult durch KRUEGER, auf wichtige Punkte aufmerksam gemacht hat, welche der Beachtung und Nachprüfung wert sind.

Herr CAMPBELL hat bei dieser Gelegenheit auch meine eigene Empfindungslehre zum Gegenstand der Betrachtung und Beurteilung gemacht. Ich kann es nicht ablehnen, wenn er in meiner Lehre von den Empfindungen eine gewisse "Unbestimmtheit" findet. Ich gehe überall von den Empfindungen als dem Ersten aus und endige wieder überall bei den Empfindungen als dem Letzten. Ich war mir wohl bewußt, daß in der Lehre von den Empfindungen noch Probleme stecken, welche ich nicht lösen konnte und in diesem Sinne habe ich einmal in meinem Buch von einer "Metaphysik der Empfindungen" gesprochen, als der allerschwersten von allen Wissenschaften. Hätte ich aber diese Schwierigkeiten prinzipieller Natur erst prinzipiell aufzulösen versucht, dann wäre ich in der Empfindungslehre stecken geblieben, welche doch nur an den Grenzen meiner eigenen Betrachtung lag und liegt. Jene Schwierigkeiten, welche in den Empfindungen liegen, sind aber nicht bloß bei mir noch nicht gelöst, sondern sie sind in der Philosophie überhaupt ungelöst, weder LOCKE noch BERKELEY, weder HUME noch KANT, weder MACH noch AVENARIUS haben diese Schwierigkeiten lösen können und so befinde ich mich mit jener "Unbestimmtheit" in der allerbesten Gesellschaft.



Kapitel I
Kritik der "Philosophie des Als Ob".

Richtlinien der Kritik

Bei KANT sind die Ideen Gott, Freiheit und Unsterblichkeit keine konstituierenden Elemente, sondern regulative Prinzipien der Erfahrung, die so betrachtet werden müssen, als ob ihnen etwas in der menschlichen Erfahrung entspräche. Dies ist der bekannteste Fall eines wissenschaftlichen "Als Ob".

VAIHINGER, an KANT anknüpfend, hat in seiner "Philosophie des Als Ob" aus den Gebieten der verschiedenen Wissenschaften eine Fülle von Beispielen zusammengestellt, in denen man der Zweckmäßigkeit halber gewisse Gegenstände, Tätigkeiten, Zustände usw. behandelt, als ob sie auf eine bestimmte Weise beschaffen wären, trotzdem man genau weiß, daß sie in Wahrheit nicht so beschaffen sind oder sein können. Er betont die Unentbehrlichkeit dieser "Fiktionen" für das logische Denken und sucht seiner Methode der Fiktion eine gleichberechtigte Stelle neben den seit langem anerkannten Methoden der Induktion und Deduktion zu geben.

Es liegt nicht im Zweck dieser Arbeit, auf die Frage nach dem erkenntnistheoretischen Wert seiner Theorie näher einzugehen. Seine Arbeit aber legt es nahe, die Psychologie auf ihre fiktiven Elemente hin zu untersuchen, den Wert von Fiktionen für die wissenschaftlich psychologische Erkenntnis zu prüfen. Wir dürfen zunächst davon ausgehen, daß in der Psychologie wie in jeder echten Wissenschaft gefordert wird, nachweislich fiktive Annahmen einer besonders strengen logischen wie tatsachenmäßigen Kritik zu unterwerfen. Zu diesem Zweck wollen wir nicht alle Fiktionen der Psychologie betrachten, sondern nur einige besonders folgenreiche, nämlich die auf die "Empfindungen" bezüglichen, ja von diesen nur die wichtigeren. Die eigene Ansicht VAIHINGERs (1) über die Empfindungen scheint freilich nicht die "zweckmäßigste" Grundlage zu sein, auf der ein haltbares System weder der Erkenntnistheorie noch der Psychologie aufgebaut werden kann. Eine Betrachtung seiner Empfindungslehre soll uns jedoch als Ausgangspunkt für die weiteren Untersuchungen dienen.

Greifen wir also aus VAIHINGERs Buch nur so viel heraus, wie zur Klarstellung unserer eigentlichen Aufgabe nötig ist. Zu diesem Zweck wollen wir erstens die allgemeine Theorie des Als Ob darlegen; zweitens den Unterschied zwischen Tatsachen, Hypothesen und Fiktionen erörtern; und drittens eine Kritik der Empfindungstheorie, die seiner ganzen "Philosophie des Als Ob" zugrunde liegt, liefern. Aus dieser Kritik wird die Notwendigkeit einer Arbeit wie die vorliegende sich von selbst ergeben.


§ 1. Die allgemeine Theorie des Als Ob.

Soweit wie möglich soll die Ansicht des Verfassers mit seinen eigenen Worten wiedergegeben werden. Bei der heute weitverbreiteten und wissenschaftlich unentbehrlichen Annahme des Entwicklungsgedankens ist es eine der natürlichsten Ansichten, daß das Denken ein Produkt der Selbsterhaltungstätigkeit des Organismus ist, und daß es zumindest zuerst rein praktischen Zwecken diente. Von diesem Standpunkt gehen VAIHINGERs Betrachtungen aus. Seine Ansicht über den Prozeß des Denkens und die überwiegende Bedeutung des Empfindungsmaterials für das Denken stellen die folgenden Sätze unverkennbar dar: "Das Denken", heißt es in der Einleitung, "ist also als ein Mechanismus, eine Maschine, ein Instrument im Dienst des Lebens zu betrachten (Seite 7) (2).
    "Für uns hat die logische Funktion des Denkens den Zweck, uns jederzeit in den Stand zu setzen, vorauszuberechnen, daß wir unter diesen oder jenen Verhältnissen, Bedingungen und Umständen einen ganz genau bestimmbaren Empfindungseindruck (3) erhalten werden (denn darauf läuft schließlich alle Feststellung einer objektiven Begebenheit hinaus, und wissenschaftlich ist eine solche durchaus nicht anders zu bestimmen), und vorauszuberechnen, daß wir durch diese oder jene Willensimpulse unter bestimmten Bedingungen einen ganz genau bestimmbaren Effekt hervorbringen werden, der sich aber auch nur vermöge bestimmter Empfindungseindrücke von uns bemerken läßt. Durch diese Reduktion der Begriffe: Denken, Handeln, Beobachten usw. auf schließlich physiologische Elemente, auf Empfindungen, gewinnen wir allein den richtigen Maßstab für die Abschätzung der logischen Arbeit, welche die Empfindungselemente in logische Gebilde umsetzt, wobei letztere schließlich wieder dazu da sind, um in Empfindungen umgesetzt zu werden, bzw. zur Kontrolle von Empfindungseindrücken und zur Vermittlung von Willensimpulsen, Innervationen, d. h. Nervenimpulsen zu dienen." (Seite 7)
Wir dürfen hier nicht auf die Frage nach der Zurückführung des psychischen Lebens auf physiologische Elemente eingehen, doch scheint es möglich, das Denken in den Dienst des Physiologischen zu stellen, ohne es schließlich darin umzuwandeln. Wir wollen jetzt zunächst in der Wiedergabe von VAIHINGERs Theorie fortfahren.
    "Nichts existiert als die Empfindung", heißt es weiter. "Also Ich und Ding ansich sind Fiktionen, faktisch existiert nur das, was zwischen ihnen liegt, die Empfindungsmasse, an deren eines Ende wir das Subjekt, an das andere wir das Objekt setzen ... Die Scheidung in Inneres und Äußeres ist ein Hilfsmittel der Psyche. Cartesius betrachtet die krumme Linie, als ob sie aus der Gegeneinanderbewegung zweieer Geraden entstanden wäre; Kant betrachtet die Welt, als ob sie durch die Gegeneinanderbewegung zweier Dinge (Subjekt und Objekt) entstanden wäre." (Seite 84)
Die oben zitierten Sätze enthalten die radikalsten Behauptungen der in Frage stehenden Theorie; aber der Versuch, auf dieser Grundlage das ganze System aufzubauen, scheint nicht völlig geglückt zu sein.

Die Einführung anderer Elemente in diese ursprünglich gegebenen Empfindungen führt nach VAIHINGER zur Bildung der Fiktionen. Dieser Prozeß ist "eine höchst bedenkliche Veränderung und Verfälschung der reinen Erfahrung" (Seite 301) (4). Aber diese Veränderung und Verfälschung der Wirklichkeit ist nicht zu vermeiden, weil die psychischen Prozesse, durch welche die Verarbeitung des letzten gegebenen Materials der Empfindungen vor sich geht, sich unbewußt vollziehen. Man braucht aber - und hier berühren wir den wichtigsten Teil der Theorie - eine solche Verfälschung auch in der Wissenschaft nicht zu vermeiden, nur muß man sich dessen bewußt sein, daß diese Verfälschungen Verfälschungen sind; dann darf man aus ihrer Fülle diejenigen auswählen, welche im Dienst des praktischen Lebens die brauchbarsten zu sein scheinen.

Der Mathematiker z. B. betrachtet einen Kreis, als ob er aus einer unendlichen Anzahl von Geraden besteht, der Chemiker die chemischen Verbindungen, als ob sie aus Atomen zusammengesetzt wären, der Physiker den relativ leeren Raum, als ob er absolut leer ist; der Nationalökonom betrachtet zuweilen die wirtschaftlichen Handlungen der Gesellschaft so, als ob sie einzig und allein vom Egoismus diktiert wären; der Sprachwissenschaftler schafft die Fiktion eines sprachlosen Urmenschen; der Staatswissenschaftler bildet Utopien; der Theologe fingiert eine allgemeine Kriche, der Ethiker spricht von einem "Reich der Zwecke"; in der physiologischen Psychologie bedient man sich der Fiktion eines Menschen "mit mikroskopischen Augen"; der Psychologe fingiert die Statue CONDILLACs usw. usf.

Das Ziel bei der Bildung dieser Fiktioinen ist eine Erleichterung der Denkarbeit. Sie sind Hilfsbegriffe, deren Gebrauch sich nach dem Grad ihrer Zweckmäßigkeit zur Berechung der gegebenen und erwarteten Empfindungen rechtfertigt.

Es ist wichtig, den Unterschied zwischen dem Gegebenen und den Berechnungsmitteln und wieder zwischen den verschiedenen Zweckmäßigkeitsgraden der Berechnungsmittel festzuhalten. Die Darstellung dieses Unterschiedes ist Aufgabe des nächsten Abschnitts.


§ 2. Der Unterschied zwischen Tatsachen,
Hypothesen und Fiktionen
(5)

Wir haben oben gesehen, daß VAIHINGER die Meinung vertritt, es sei nicht möglich, die reale Wirklichkeit - im Sinne von Empfindungen ohne Zusatz oder Änderung - zu erfassen; und wir müssen zugeben, daß unsere Welt eine Welt der logischen Produkte und Funktionen ist. In dieser Welt der Wirklichkeit - jetzt heißt sie für den Wissenschaftler die Welt der größten Wahrscheinlichkeit - ist es nun wichtig, zwischen drei Graden oder Stufen von Wahrscheinlichkeit zu unterscheiden. Diese drei sind Tatsachen, Hypothesen und Fiktionen.

Die Notwendigkeit der Unterscheidung dieser drei Stufen kann nicht stark genug betont werden, obwohl man ihrer Charakterisierung durch VAIHINGER nicht völlig zustimmen kann.

Das Ziel jeder Wissenschaft ist eine möglichst genaue Feststellung der Tatsachen ihres Gebietes. Die erste und wichtigste Frage in der Wissenschaft ist also: welches sind die Tatsachen? - Für die Philosophie im Besonderen ist es die Frage nach den Tatsachen des Lebens (6). Aus ihnen besteht die erste Stufe der Wirklichkeit.

1. Tatsachen. Die Tatsachen sind die Empfindungen; "wirklich ist nur das Empfundene, das in der Wahrnehmung uns Entgegentretende, sei es innerer oder äußerer Natur" (Seite 186. "Faktisch haben wir schlechterdings nur Empfindungen und die unabänderliche Koexistenz und Sukzession von Phänomenen"; "real ist nur das beobachtete Unabänderliche" (Seite 192). Hier sind die Begriffe Empfindung, Wahrnehmung und Phänomen, wie in der gesamten Betrachtung VAIHINGERs überhaupt, nicht hinreichend unterschieden.

Nachdem der wissenschaftliche Forscher eine Gruppe von Tatsachen gesammelt hat, sucht er diese ihrem Verhalten oder Verhältnis nach zu erklären, und wo seine Kenntnis nicht ausreicht, spricht er seine Vermutungen darüber aus. Diese machen die zweite Stufe der Wirklichkeit aus.

2. Hypothesen. Die Hypothese ist die Äußerung einer Vermutung, die man da, wo man später die Tatsachen zu finden hofft, aufstellt, um die gegenwärtigen Lücken der Erkenntnis auszufüllen. Sie "geht stets auf die Wirklichkeit" (Seite 144). Nach KANT sind "die zwei erforderlichen Stücke zur Annehmungswürdigkeit einer Hypothese" erstens "daß nur solche Dinge und Gründe zur Erklärung gegebener Erscheinungen angeführt werden, welche mit dem Wirklichen in eine Verknüpfung gesetzt werden können und also selbst den allgemeinen Wirklichkeitsgesetzen entsprechen", und zweitens, "die Zulänglichkeit der Annahme zur Erklärung und empirischen Ableitung des gerade vorliegenden Erscheinungskreises" (KANT, Kritik der reinen Vernunft, Ausgabe KEHRBACH, Seite 586) (Seite 606).

3. Fiktionen. Zwischen Hypothesen und Fiktionen ist der Unterschied schwieriger festzustellen, als zwischen Tatsachen und Hypothesen. Darüber sagt der Verfasser: "Was heute Hypothese ist, kann morgen Fiktion sein; ja was dem Einen Fiktion ist, kann dem Anderen Hypothese sein" (Seite 153). Trotzdem liegt in vielen Fällen der Unterschied auf der hand; und die Wichtigkeit, diesen Unterschied auch da zu erkennen, wo er nicht so deutlich zutage tritt, ist die Veranlassung für eine "Philosophie des Als Ob". "Der methodologische Gegensatz der Fiktion zur Hypothese", sagt VAIHINGER, ist "der eigentliche Kern dieses ganzen Buches" (Seite 603).

Betrachten wir kurz das Wesentliche der Fiktionen und ihres Gegensatzes zur Hypothese, so finden wir folgendes:
    "Als eigentliche Fiktionen im strengsten Sinn des Wortes stellen sich solche Vorstellungsgebilde dar, welche nicht nur der Wirklichkeit widersprechen, sondern auch in sich selbst widerspruchsvoll sind (z. B. der Begriff des Atoms, des Dings-ansich)".
Andere Semifiktionen sind nicht in sich selbst widerspruchsvoll, sondern nur der gegebenen Wirklichkeit widersprechend, bzw. von ihr abweichend (Seite 24). Eine Klasse von diesen Semifiktionen, die wir vielfach treffen werden, sind die abstraktiven (neglektiven) Fiktionen, deren Abweichung von der Wirklichkeit sich spezifiziert als eine Vernachlässigung gewisser Elemente des Wirklichen. (Seite 28)

In demselben Zusammenhang wird das Hauptmerkmal der Fiktionen gegeben:
    "sie sind oder sollen zumindest von dem Bewußtsein begleitet sein, daß ihnen die Wirklichkeit nicht entspricht, und daß sie absichtlich nur einen Bruchteil der Wirklichkeit an die Stelle der ganzen Fälle der Ursachen und Tatsachen setzen." (Seite 30)
Ohne dieses begleitende Bewußtsein ihrer fiktiven Natur sind solche Gebilde nur zu verwerfen. HUME und seine skeptischen Genossen in jedem Zeitalter haben gezeigt, daß gewisse Vorstellungsformen nur subjektive Schöpfungen des menschlichen Denkens sind, immer aber haben sie diese Tatsache negativ verwertet. Sie sagten, da jenen Vorstellungen nichts in der Welt der Wirklichkeit entspricht, muß man sie ablehnen. VAIHINGER behauptet ebenfalls, daß diese Fiktionen nur gedachte Gebilde sind, betont aber, daß sie durch die Anerkennung ihrer wirklichen Natur als zweckmäßiger Hilfsvorstellungen sich eine hervorragende Stelle unter den wertvollsten Elementen des menschlichen Denkens erwerben.

Nun aber sind unter diesen der Wirklichkeit nicht entsprechenden Gebilden des Denkens einige den anderen vorzuziehen.
    "Bei mehreren gleichmöglichen Hypothesen", sagt er, "wählt man ... die wahrscheinlichste aus; dagegen bei mehreren gleichmöglichen Fiktionen wählt man die zweckmäßigste aus - darin zeigt sich der Unterschied beider Gebilde sehr deutlich." (Seite 144, Anm.)
Für Hypothesen ist der Maßstab die Wahrscheinlichkeit, für Fiktionen die Zweckmäßigkeit; das Ziel jener ist Verifikation - das Ziel dieser die Rechtfertigung; die eine eist ein Erklärungsmittel, die andere ein Berechnungsmittel (Seite 150) (7).

Da nun für unsere Untersuchung eine ausführliche Betrachtung der Tatsachen, wie VAIHINGER die Empfindungen nennt, unentbehrlich ist, weil sie einerseits durch Hypothesen ergänzt, andererseits durch Fiktionen verfälscht werden, so wollen wir jetzt noch eingehender VAIHINGERs Ansicht über die Empfindungen betrachten.


§ 3. Eine genauere Bestimmung von Vaihingers
"Gegebenem", d. h. der Empfindungen, ist erforderlich.

Wir haben die Notwendigkeit erkannt, mindestens drei völlig verschiedene Stufen des Materials der Wissenschaften, von denen nun eine einer genaueren Prüfung und Bestimmung unterworfen werden soll, zu unterscheiden. Der Hauptzweck VAIHINGERs ist, eine logische Theorie und Methodologie der Fiktionen zu schaffen; psychologische Fragestellungen jedoch sind bei ihm Nebensache.

VAIHINGER behauptet, daß die Empfindungen das unmittelbar Gegebene, das letzte Reale, die einzigen und allein wirklichen Tatsachen sind. Wir dagegen kommen in der folgenden Untersuchung zu dem Ergebnis, daß die von ihm beschriebenen Empfindungen nur den Charakter von Fiktionen besitzen. Daraus ergibt sich für uns die Frage, ob und in welchem Sinn es das "Zweckmäßigste" ist, die Empfindungen zu betrachten, als ob sie in Wirklichkeit existieren.

In der Tat ist der Begriff der Empfindungen in VAIHINGERs Werk kein eindeutiger. Wir wollen uns Klarheit über seine Empfindungslehre zu verschaffen suchen.

Nach ihm sind, wie wir gesehen haben, "das eigentlich Wirkliche" die Empfindungen (Seite 112); "die wirkliche Empfindung ... ist ... das Einzig-Reale" (Seite 267). Weiterhin lesen wir, daß, wenn die Psyche "das ihr dargebotene Material der Empfindungen, also die ihr einzig und allein gegebene Grundlage", verarbeitet hat, die unmittelbare Wirklichkeit alteriert [verändert - wp] wird" (Seite 287). Diese Äußerung scheint einfach genug - die Wirklichkeit ist durch die Empfindungen zu ersetzen. Wenn man aber nach den Merkmalen oder Eigenschaften der Empfindungen fragt, kommt man in Verlegenheit. Nach VAIHINGERs Stellungnahme zur biologischen Erkenntnistheorie müßte man die Antwort erwarten, wie sie in der Einleitung lautet, nämlich: "Reduktion der Begriffe ... führt schließlich auf physiologische Elemente, auf Empfindungen" (Seite 7). Diese Auffassung wird durch folgendes verstärkt:
    "Ist doch auch das ganze Gehirn mit seinen verschiedenen Ganglien ein ähnlicher Apparat (wie der Potenzenflaschenzug), durch den die einfachen Empfindungen in ihrer Kraft gesteigert, potenziert werden." (Seite 176)
Dasselbe besagt folgender Satz: "Anstelle der schweren Prozesse der Materie tritt die leichtgeflügelte Arbeit der Ideen." (Seite 291) Aus dieser, sowie aus vielen anderen Stellen, erfahren wir, daß die Empfindungen etwas objektives, dagegen das Denken etwas subjektives ist.

Es bedarf keiner Erwähnung, daß diese Unterscheidung der Empfindungen einerseits als "physiologisch" und "objektiv", des Denkens andererseits als "seelisch" und "subjektiv" eine in der Philosophie häufig versuchte Einteilung ist. Wir müssen aber auf die Tatsache aufmerksam machen, daß VAIHINGER auch anderes als nur Empfindungen für "objektiv" und sogar einige Empfindungen für "subjektiv" erklärt. In Bezug auf die subjektiven Empfindungen lesen wird: "sind sie Vorgänge in der Seele selbst" (Seite 301). Einige Seiten vorher finden wir: "sobald die Empfindung in den Kreis der Psyche eingetreten ist, wird sie in den Wirbel der logischen Prozesse hineingezogen." (Seite 290). Vielleicht dürfen wir daraus schließen, daß "physiologische" Empfindungen in die Seele eintreten, wo sie in "seelische" Empfindungen umgewandelt werden, ohne alle Spuren ihres objektiven Charakters zu verlieren. Also, objektive Empfindungen sind Bestandteile der subjektiven; physiologische Elemente sind Teile der seelischen. Weiter scheinen zwei verschiedene Prozesse zu gleicher Zeit vor sich zu gehen. Wie das Gehirn, so wird die Seele mit mechanischen Vorrichtungen verglichen. "Verfeinerung des Gehirns ist vollständig identisch mit Ausbildung der Psyche." (Seite 178)

Zuweilen scheinen die ungeordneten Empfindungen die Natur "in ihrer nackten Unverfälschtheit" zu zeigen (Seite 288). Daß aber diese Meinung nicht endgültig ist, sehen wir aus anderen Stellen z. B.: "Faktisch haben wir schlechterdings nur Empfindungen und die unabänderliche Koexistenz und Sukzession von Phänomenen." (Seite 192) "Gegeben sind der Seele also außer dem Material der Empfindungen als solcher noch die Zeitverhältnisse" (Seite 298); alle reale Erkenntnis stammt "nur aus Beobachtung der Empfindungssukzessionen". (Seite 267)

Zum Schluß zitieren wir noch ein von VAIHINGER genanntes "Faktum", welches sich schwerlich unter die Empfindungen als einzige Fakta einordnen läßt. Er sagt: Der wahre Kritizismus hält mit dem Optimismus "am Faktum der schließlichen, praktischen Übereinstimmung von Denken und Sein fest". (Seite 295)

Diese Sätze genügen für unsere Zwecke. Sie zeigen deutlich, daß die psychologischen Grundbegriffe eine eingehendere Untersuchung fordern. Sie weisen auf die Unbestimmtheit und Unstimmigkeit hin, die in Bezug auf den Empfindungsbegriff besteht. Man findet bei VAIHINGER ohne hinreichende Scheidung als das unmittelbar oder letztlich Gegebene 1a) ungeordnete Empfindungen und b) Empfindungen in Sukzession; 2a) objektive Empfindungen und b) subjektive Empfindungen; 3a) seelische Empfindungen und b) physiologische Empfindungen; 4) Übereinstimmung von Denken und Sein (d. h. in den Empfindungen).

Diese Betrachtungen führen zur eigentlichen Aufgabe der vorliegenden Arbeit. Wir wollen die wichtigsten Empfindungslehren der Psychologen selbst prüfen und die darin etwa mitgedachten Fiktionen aufsuchen. Auch wollen wir untersuchen, ob die Anwendung des Als Ob in der Psychologie auf einen ebenso allgemeinen Gebrauch wie in den anderen Naturwissenschaften Anspruch erheben kann.

Inwieweit es "zweckmäßig" ist, gewisse Abweichungen vom psychologisch Gegebenen so zu betrachten, als ob sie das Gegebene selbst sind, werden die Ergebnisse unserer Untersuchung zeigen.
LITERATUR - Gilbert Whitney Campbell, Fiktives in der Lehre von den Empfindungen, Berlin 1915
    Anmerkungen
    1) Seit der Abfassung seines Buches, welche ja schon weit in das vorige Jahrhundert zurückreicht, hält VAIHINGER gewisse Änderungen seiner darin niedergelegten Auffassung für zulässig.
    2) Die Philosophie des Als Ob. System der theoretischen, praktischen und religiösen Fiktionen der Menschheit aufgrund eines idealistischen Positivismus. Mit einem Anhang über Kant und Nietzsche, Berlin, zweite Auflage 1913. Alle Zitate dieses Kapitels sind daraus entnommen.
    3) Im Original nicht gesperrt.
    4) Hier sieht man deutlich die engen Beziehungen zu den Ansichten von MACH und AVENARIUS.
    5) VAIHINGER selbst betrachtet diesen Unterschied nicht genau in der Weise, wie es hier versucht wird.
    6) VAIHINGERs Fragestellung lautet: Wie kann der Organismus seine Bewegungen möglichst zweckmäßig, d. h. rasch, elegant und mit geringstem Kraftaufwand vollziehen? Weil er aber nicht auf rein körperliche Handlungen seine Behauptungen beschränkt, ist die obige Fragestellung doch wohl berechtigt.
    7) Meiner Meinung nach darf VAIHINGER sich in seinem System nur eines Berechnungsmittels bedienen, da die Aufgabe der Wissenschaften nach ihm nur eine Berechnung der Koexistenz und Sukzession der Phänomene ist; dadurch wird aber eine wirkliche Erklärung im strengen Sinn des Wortes eigentlich ausgeschlossen.