tb-2p-4p-4W. EnochG. W. CampbellM. D. VernonMFKM. Palágyi     
 
MELCHIOR PALÁGYI
Eindrucks- und Erinnerungsurteil
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"Es dauert eine ganz unmerklich kurze Zeit, bis wir vom Eindruck zur Erinnerung, von da zum Urteil und wieder zurück zum Eindruck gelangen. So wie man seinen eigenen Puls und sein Atemholen nicht mekrt, wenn man nicht besonders darauf achtet, so merkt man auch das Pulsieren des eigenen Empfindens zwischen Eindruck und Erinnerung nicht."

"Ein Eindruck kann nie zerlegt werden, weil man einem Eindruck nie beikommen kann. Er ist etwas dermaßen Flüchtiges, daß, wenn er konstatiert wird, er auch schon nicht mehr da ist, so daß man sich nur durch eine Erinnerung auf ihn beziehen kann. Was Eindrücken zukommt, ist keine Einfachheit, sondern Einzigkeit, womit ich sagen will, daß man denselben Eindruck nicht zweimal haben kann."

"Wenn zwei Personen denselben Gegenstand beobachten, so wird diejenige, die ein schärferes Auge hat, einen Eindruck mit mehr Einzelheiten erhalten können, als die andere, welche über ein schwächeres Sehvermögen verfügt. Im Eindruck der einen Person finden wir manches zerlegt, was im Eindruck der anderen von zusammenfließender Einförmigkeit ist; und dies genügt vollauf, um die Lehre von der Einfachheit unserer Eindrücke zu verwerfen."

"Die ganze Welt unserer sinnlichen Wahrnehmung würde ein anderes Aussehen bekommen, wenn wir 10mal, 100mal, 1000mal usw. schneller vom Eindruck zur Erinnerung und von da zu einem Urteil kommen könnten, als wir tatsächlich zu kommen vermögen."

6. Wir kamen in der vorigen Untersuchung zu einer Unterscheidung zwischen solchen Tatsachenurteilen, die angesichts der stattfindenden Tatsache und zwischen solchen, die bloß auf Grundlage der Erinnerung an jene Tatsache gefällt werden: ich nenne die ersteren Eindrucks-, die letzteren hingegen Erinnerungsurteile. Es entsteht nun die bedeutsame Frage, worin der Unterschied zwischen einem Eindrucks- und einem entsprechenden Erinnerungsurteil besteht, da doch beide ein und dieselbe Tatsachenwahrheit zum Ausdruck bringen sollen. Erst die Diskussion dieser Frage kann uns zu einer Vertiefung der Urteilslehre führen; und um eine Urteilslehre handelt es sich uns ja in allen folgenden Untersuchungen.

Die Antwort auf die obige Frage wird einen scheinbar paradoxen Charakter haben, der jedoch im Verlaufe der Betrachtungen beseitigt werden soll. Ich behaupte nämlich, daß auch schon das ursprüngliche Eindrucksurteil selbst, welches angesichts der Tatsache gefällt wird, ein Erinnerungsurteil ist und daß seine exzeptionelle Stellung darauf beruth, daß es das allererste zwischen allen möglichen Erinnerungsurteilen ist. Ich meine hiermit, daß auch das Eindrucksurteil selbst nur auf Grundlage der Erinnerung an den soeben erlebten Eindruck gefällt werden kann.

Um die Wahrheit dieses logischen Lehrsatzes einzusehen, brauchen wir uns nur darauf zu besinnen, was mit einem sogenannten Eindruck gemeint ist. Ein Eindruck findet nie in einem mathematischen Zeitpunkt, nie in einem mathematischen Jetzt statt. Unter einem mathematischen Jetzt verstehe ich aber die absolut scharfe, zeit- oder dauerlose Grenze zwischen Vergangenheit und Zukunft. Nun leuchtet es auch ein, daß es zeit- oder dauerlose Eindrücke nicht gibt. Ein jeder Eindruck hat eine gewisse, wenn auch noch so geringe Dauer: er findet in einem empirischen Jetzt statt, das ein kleines Zeitintervall mit zerfließenden Grenzen ist. Im gewöhnlichen Verkehr setzt man das empirische statt des mathematischen Jetzt, oder genauer ausgedrückt: man bleibt im Unklaren über diesen Unterschied, man verwechselt die beiden Begriffe miteinander, man läßt sich - um es mit einem scholastischen Kunstausdruck zu bezeichnen - eine Äquivokation [gleichlautend aber mehrdeutig - wp] zweier Begriffe zu schulden kommen, was freilich für das praktische Leben sehr oft keine weitere Bedeutung hat, für die Wissenschaft jedoch die allerverderblichsten Folgen nach sich ziehen muß. Für den Logiker (wie auch für den Physiker) ist jener Bruchteil einer Sekunde, den man das empirische Jetzt nennt, keine zu vernachlässigende Größe: im Gegenteil, dieses kleine Zeitintervall spielt in allen Betrachtungen des Logikers eine fundamentale Rolle. Da es nämlich kein mathematischer Punkt ist, sondern ein Intervall, so fällt es in der Logik nicht unter denselben Gesichtspunkt, wie ein beliebiges Intervall, also z. B. ein Tag, ein Jahr, oder auch 1000 Jahre usw.

Denn wie ein größeres Zeitintervall, so läßt sich auch das empirische Jetzt, obwohl es nur den Bruchteil einer Sekunde umfaßt; in beliebig viele Teile eingeteilt denken. Es schließt also eine ganze geheimnisvolle Welt des Geschehens in sich, die zu erforschen eine Hauptaufgabe nicht nur der Naturwissenschaften, sondern auch der Logik ausmacht. Wir werden einen Eindruck, so gering auch seine Dauer sein mag, aus zeitlichen Abschnitten bestehend denken, und zwar aus grenzenlos vielen zeitlichen Abschnitten. Hält man dies lebhaft vor Augen, so sieht man auch ein, daß diese verschiedenen zeitlichen Abschnitte nicht gleichzeitig sein können, daß also, wenn von einem "Eindruck" die Rede ist, jedenfalls auch von vergangenen Abschnitten des Eindrucks die Rede sein muß. Aus diesem Gedankengang könnte freilich der Sophist sofort Kapital schlagen: er könnte nämlich behaupten, daß alle zeitlichen Abschnitte des fraglichen Eindrucks schon als vergangene zu betrachten sind, ausgenommen den letzten Abschnitt desselben. Ja, er könnte weitergehen und behaupten, daß auch dieser letzte Abschnitt des Eindrucks schon als vergangen betrachtet werden muß und daß bloß der mathematische Endpunkt des Eindrucks als eigentlicher Eindruck gelten darf. Da aber Eindrücke in einem mathematischen Zeitpunkt nicht stattfinden können, so könnte das soeben dargestellte Sophisma in der Behauptung gipfeln, daß Eindrücke durch und durch nichts sind als bloße Erinnerungen.

Diese Sophistik beruth auf einer Verwechselung des stattfindenden Eindrucks selbst, mit dem Begriff, den wir uns von einem Eindruck überhaupt machen, und mit dem Phantasma, der unseren Begrifff von einem Eindruck begleitet. Um uns vor solchen Verwechslungen zu schützen, müssen wir zunächst die urteilende Besinnung wohl unterscheiden, von jener Besinnungsart, wo noch kein Urteil da ist, die also der urteilenden Besinnung zeitlich vorangeht und ihre Vorbedingung ist. Ich nenne jene Besinnungsweise, welche zwar noch urteilslos, jedoch die Vorbedingung des Urteilens ist, die unfreie oder determinierende Besinnung, im Unterschied zur freien und determinierenden Besinnung, in der wir über die Erlebnisse der ersteren Urteile fällen können. Wir dürfen, wie gesagt diese beiden Besinnungsweisen, von denen die eine die zeitliche Vorbedingung der anderen ist, nicht miteinander verwechseln.

Jenes oben dargelegte Sophisma macht uns aber auch darauf aufmerksam, daß unser Begriff von einem Eindruck ein sehr unzulänglicher ist, und daß er einer wesentlichen Korrektur bedarf. Wir müssen Eindruck und Erinnerung in eine weit engere Beziehung miteinander bringen, als wir dies gewöhnlich zu tun pflegen. Ich erlaube mir zu diesem Zweck den Terminus "Empfinden" zu benützen und zwar in einem solchen Sinn, daß das Empfinden sowohl den Eindruck, als auch die Erinnerung umfaßt. Wir müssen in unserem Empfinden zwei gegensätzliche oder antagonistische Tendenzen oder Strömungen unterscheiden, von denen die eine unserem Empfinden den Charakter des Eindrucks, die andere hingegen den Charakter der Erinnerung verleiht. In unserem Empfinden kann nämlich die Tendenz herrschen, jeden zeitlichen Abschnitt der Empfindung dem soeben kommenden Abschnitt zuliebe sofort fallen zu lassen, als ob er nicht dagewesen wäre: wir stürmen mit unserem Empfinden vorwärts in die Zukunft, wir sind gefesselt vom Eindruck, er reißt uns mit sich fort und läßt uns nicht zu einer urteilenden Besinnung kommen. Die antagonistische Tendenz in unserem Empfinden besteht darin, daß ein jeder neuer Abschnitt der Empfindung abgewehrt wird, um die vergangenen Abschnitte zu bewahren: es ist die Erinnerungstendenz in unserem Empfinden, durch welche wir uns von den Fesseln des Eindrucks befreien, um in die urteilende Besinnung herüberkommen zu können.

Wir können nicht mit mathematischer Gleichzeitigkeit sowohl dem Eindruck als auch der Erinnerung unterliegen: wir kommen vom Eindruck zur Erinnerung und von der Erinnerung zum Eindruck. Unsere empfindende Besinnung ist ein Schaukeln zwischen zwei antagonistischen Zuständen, ein Balancieren zwischen Eindruck und Erinnerung. Wir können dies auch so ausdrücken, daß unsere empfindende Besinnung einen Puls oder einen Atem hat, so daß sie durch eine Wellenlinie dargestellt werden kann, deren Wellenberge etwa die Zustände des Eindrucks, und deren Wellentäler die Zustände der Erinnerung repräsentieren. Die genauere Untersuchung dieser Wellenlinie ist eine Aufgabe der Biologie; hier kommt es uns nur darauf an, zu betonen, daß Empfindungen keine so einförmigen Zustände sind, für welche man sie gewöhnlich hält. In psychologischen Lehrbüchern spricht man gewöhnlich von der Intensität und Qualität unserer Empfindungen, weil man dabei die Empfindung theoretisch so auffaßt, als ob sie in einem mathematischen Zeitpunkt stattfindet. Das heißt aber so viel wie von einem ausdehnungslosen Würfel oder von einer zeitlosen Bewegung sprechen. Man tötet die Empfindung, wenn man sie in einen mathematischen Zeitpunkt verlegt, man macht sie zu einem Nichts. Und man gerät in diesen Irrtum, weil man der Äquivokation von mathematischem und empirischem Jetzt verfällt.

Hält man sich aber vor Augen, daß ein Eindruck notwendig zeitliche Dauer haben muß, so erkennt man sofort, wie innig der Eindruck und die Erinnerung zusammengehören. Man hält gemeinhin bloß jene Zustände für Erinnerungen, wo wir nach geraumer Zeit auf eine vergangene Tatsache zurückkommen. Bedenkt man aber, daß jene Fähigkeit, die man Gedächtnis nennt, immer da sein muß, wenn man einen Eindruck konstatieren will,, weil sonst der Eindruck im Nu auch vergessen wäre, so sieht man sofort ein, daß der Übergang vom Eindruck zum Urteil über denselben notwendig auch dann auf Grundlage der Erinnerung geschieht, wenn wir das Urteil angesichts einer Tatsache fällen. Es könnte hiergegen auf einen Körper, z. B. auf diese rote Kugel hinsehen und unterdessen auch das Urteil aussprechen können: "Ich sehe Rotes", es sei also so etwas wie eine Erinnerung gar nicht notwendig, da doch der Eindruck auch während des Urteilens fortwährend andauert. Hierauf ist nur zu erwidern, daß es eine ganz unmerklich kurze Zeit dauert, bis wir vom Eindruck zur Erinnerung, von da zum Urteil und wieder zurück zum Eindruck gelangen. So wie man seinen eigenen Puls und sein Atemholen nicht mekrt, wenn man nicht besonders darauf achtet, so merkt man auch das Pulsieren des eigenen Empfindens zwischen Eindruck und Erinnerung nicht. Dies des Näheren auszuführen, ist, wie gesagt, die Aufgabe der Biologie; hier handelt es sich uns bloß darum, zu zeigen, daß ein Eindrucksurteil nur das erste zwischen allen möglichen Erinnerungsurteilen ist. Der Eindruck muß untergehen, soll die Erinnerung aufgehen, und solen wir zu einer urteilenden Besinnung über den Eindruck gelangen können. Die Erinnerung ist die Brücke zwischen dem Eindruck und dem Ewigkeitserlebnis oder dem Urteil.

7. Es ist von weit größerer Wichtigkeit, den Eindruck in grenzenlos viele zeitliche Abschnitte zerlegt zu denken, als man dies auf den ersten Blick hin glauben möchte. Denn denkt man sich den Eindruck so, als ob er in einem mathematischen Zeitpunkt stattfinden würde, dann gerät man in die sensualistische Irrlehre von der Einfachheit unserer Eindrücke. Der erste Hauptvertreter dieser Lehre in der neueren Philosophie ist LOCKE, der bekanntlich die berühmte Unterscheidung von einfachen und zusammengesetzten Ideen (oder Vorstellungen) formulierte. Zu den einfachen Vorstellungen zählt er in erster Linie die Eindrücke von Härte, Weichheit, Kälte, Wärme, Weiße, Röte, Süßigkeit usw. Er spricht auch von einfachen Vorstellungen, die uns nicht nur durch ein Sinnesorgan, sondern durch mehrere Sinneskanäle zugeleitet werden können, wie etwa Ausdehnung, Gestalt, Bewegung und Ruhe. Auch durch den sogenannten inneren Sinn sollen wir einfache Vorstellungen erhalten, wie Vorstellen, Erinnern, Unterscheiden, Urteilen, Wissen, Wollen usw. Manche andere einfache Vorstellungen, wie Lust, Schmerz, Kraft, Dasein, Einheit usw. sollen uns sowohl durch alle Sinneskanäle, als auch durch den inneren Sinn zugeführt werden können. Ich will davon schweigen, wie hier alle Momente des geistigen Lebens bunt durcheinandergemischt sind, und frage nur, ob wir sinnliche Eindrücke als etwas Einfaches gelten lassen dürfen? Da unserer Auffassung nach jedem Eindrück notwendig eine Zeitdauer [kehr] zukommt, und da ein Zeitintervall in beliebig viele Abschnitte zerlegbar gedacht werden muß, so erleidet es für uns auch keinen Zweifel, daß wir einen Eindruck aus grenzenlos vielen Abschnitten bestehend denken müssen.

Freilich darf diese Auffassung nicht mißverstanden werden. Ein Eindruck kann nie zerlegt werden, weil man einem Eindruck nie beikommen kann. Er ist etwas dermaßen Flüchtiges, daß, wenn er konstatiert wird, er auch schon nicht mehr da ist, so daß man sich nur durch eine Erinnerung auf ihn beziehen kann. Dürfen wir ihn deshalb einfach nennen? Ich glaube kaum. Denn ein ganzer Komplex von verschiedenartigen Eindrücken entflieht ebenso unwiederbringlich wie ein jeder Bestandteil desselben. Überhaupt kann an den Eindrücken selbst nie irgendeine Operation vorgenommen werden, denn soll etwas an ihnen operiert werden, so müssen sie stattfinden; finden sie aber statt, dann ist es mit ihnen auch vorbei. Aber einfach dürfen sie aus diesem Grund nicht genannt werden; was ihnen zukommt, ist keine Einfachheit, sondern Einzigkeit, womit ich sagen will, daß man denselben Eindruck nicht zweimal haben kann.

Trotzdem sind Eindrücke, wie gesagt, etwas Zusammengesetztes. Wir finden dies zunächst in unserer urteilenden Besinnung über die zeitliche Beschaffenheit der Eindrücke. Ja, wir können in einem gewissen Sinn sagen, daß wir die Eindrücke nicht nur im Gedanken, sondern auch in Wirklichkeit zerlegen können. Zwei Eindrücke können nämlich unter Umständen für unsere theoretische Einsicht füreinander stehen oder homolog sein, wie wenn wir etwa den Staubfaden einer Blüte mit freiem Auge und dann unter der Lupe betrachten. Wir erhalten dann homologe Eindrücke, von denen der eine viel reicher an Details ist als der andere. Was in dem mit freiem Auge erhaltenen Bild zusammenfließt und einförmig erscheint, das zerlegt sich in einem vergrößerten Bild zu einer vielgestaltigen Mannigfaltigkeit. Für eine derartige Zerlegung unserer Eindrücke wird uns die Naturwissenschaft unzählige Beispiele liefern können; ja wir dürfen sagen, die Naturwissenschaft leistet überhaupt kaum etwas anderes, als daß sie an die Steller unserer rohen Eindrücke mit staunenswerter Künstlichkeit ausgearbeitete homologe Bilder setzt, oder auch homologe Phantasmen (wie in den Hypothesen über das Licht, über die atomistische Zusammensetzung der Körper usw.), welche uns einen überraschenden Einblick in die Naturzusammenhänge gewähren. Was ist die Naturwissenschaft anderes, als ein ewiger Kampf gegen die Beschränktheit und Unzulänglichkeit unserer Sinnesorgane, und was will sie anderes - um es bildlich zu sagen -, als uns mit tausend neuen Sinnen beschenken. Sie ist also in allen ihren Lehren eine lebendiger Protest gegen die Lehre von der Einfachheit unserer Eindrücke. Aber es ist auch gar nicht notwendig, sich auf die Naturwissenschaften zu berufen. Wenn zwei Personen denselben Gegenstand beobachten, so wird diejenige, die ein schärferes Auge hat, einen Eindruck mit mehr Einzelheiten erhalten können, als die andere, welche über ein schwächeres Sehvermögen verfügt. Im Eindruck der einen Person finden wir manches zerlegt, was im Eindruck der anderen von zusammenfließender Einförmigkeit ist; und dies genügt vollauf, um die Lehre von der Einfachheit unserer Eindrücke zu verwerfen.

Eigentümlicherweise verkünden heutzutage manche philosophierende Physiker den Grundsatz von der Einfachheit der Empfindungen, trotzdem diese Lehre in einem direkten Widerspruch mit dem Geist der Naturwissenschaft steht. Empfindungen, heißt es da, sind die Elemente [macherk] des Weltbaus. Und das hört man von Physikern sagen! Es wäre dies unbegreiflich, würde es nicht offen zutage liegen, daß LOCKE und ganz besonders BERKELEY in der modernen Naturwissenschaft Schule machen. Der Phänomenalismus BERKELEYs hat in dem Satz SCHOPENHAUERs: "Die Welt ist meine Vorstellung" eine paradoxe Ausprägung erhalten und beherrscht förmlich das gebildete Denken. Nun kann man sich aber leicht sagen, daß, wer keine Urteilsfähigkeit hat, unter anderem auch nicht das Urteil fällen kann, die Welt sei seine Vorstellung. Man findet eine Welt nur im Urteil, und wer jedes Urteils bar ist, der hat auch keine Welt. es kommt also darauf an, wahre Urteile zu fällen, um an der wahren Welt teil haben zu können, denn mit bloßen Vorstellungen hat man noch keine Welt, und am allerwenigsten die wahre Welt. Dasselbe gilt auch von dem Satz: die Welt ist Empfindung oder ihre Elemente seien Empfindung. Dieser sensualistischen Verirrung gegenüber muß die Logik den Satz von der Zusammengesetztheit der Eindrücke aufstellen; er lautet: Ein jeder Eindruck ist grenzenlos zusammengesetzt; oder richtiger: wir müssen jeden Eindrück aus grenzenlos vielen Teilen bestehend denken.

Mit diesem Satz ist jedoch noch wenig gewonnen, denn wir müssen uns fragen, warum wir es bloß denken, daß der Eindruck aus Teilen besteht, und warum wir ihn nicht auch wirklich teilen? Die Antwort ist: weil es uns nicht gegeben ist, uns in einer Sekunde so oft zu besinnen, wie es uns beliebt; wir können z. B. in einer Sekunde nicht tausend Urteile bilden. Wäre es möglich, sich in der Sekunde tausendmal urteilend zu besinnen, dann wäre die Sekunde wirklich in tausend Abschnitte zerlegt, und wir würden dann all das wahrnehmen können, was in je einer tausendstel Sekunde stattfindet. Könnten wir uns in einer Sekunde billionenmal urteilend besinnen, dann würde uns auch eine jede billionstel Sekunde ihr Geheimnis verraten. Da es nun eine Wahrheit ist, daß wir uns in einer Sekunde nicht so oft zu einem Urteil aufraffen können, als es uns beliebt, so kommt es nur noch darauf an, diese Wahrheit ihrer verneinenden Form zu entkleiden, und dadurch faßlicher zu gestalten. Wir müssen uns nämlich sagen, daß innerhalb unseres Empfindens eine Tendenz besteht, uns nicht zur Besinnung kommen zu lassen, und daß es diese Tendenz ist, die unserer Empfindung den Charakter eines Eindrücks verleiht. Würde aber in unserem Empfinden bloß diese Tendenz bestehen, dann kämen wir überhaupt nie zu einem Urteil, wir wären fortwährend in die Sklavenfessel des Eindrucks geschlagen. Da wir uns aber schließlich doch zu Urteilen über unsere Eindrücke aufzuraffen vermögen, so müssen wir notgedrungen in unserem Empfinden auch eine der vorigen gegenläufige Tendenz annehmen, und dies ist die Erinnerung, welche uns zu urteilenden Besinnung über das Erlebte verhilft. Die Lehre von der Zusammengesetztheit des Eindrucks führt uns also zu der Auffassung, daß innerhalb der empfindenden Besinnung zwei gegenläufige Richtungen zu unterscheiden sind, von denen die eine die bindende ist, und das Aufkommen des Urteils hemmt, die andere hingegen die lösende ist und zu einem Urteil zu führen vermag.

8. Indem wir so erkennen, daß unsere empfindende Besinnung einen intermittierenden [unterbrechenden - wp] Charakter hat, d. h. ein Wellenspiel zwischen Eindruck und Erinnerung ist, und eine Art von geistigem Atemholen darstellt: sehen wir auch ein, welche große Bedeutung die Schnelligkeit dieses Atemholens für den Charakter der menschlichen Intelligenz haben muß. Die ganze Welt unserer sinnlichen Wahrnehmung würde ein anderes Aussehen bekommen, wenn wir 10mal, 100mal, 1000mal usw. schneller vom Eindruck zur Erinnerung und von da zu einem Urteil kommen könnten, als wir tatsächlich zu kommen vermögen. Eindrücke, die uns jetzt einfach oder richtiger "einförmig" zu sein scheinen, würde dann durch homologe Eindrücke ersetzt sein, welche das vorhin Einförmige in eine Mannigfaltigkeit zerlegt zeigen könnten. Einer immer größer werdenden Schnelligkeit der Urteilsbesinnung gegenüber könnte sich keine einzige unserer sogenannten einfachen Sinnesqualitäten behaupten, und sie müßte schließlich in verschiedenartige Qualitten auseinandertreten. Jener Bruchteil einer Sekunde, der zur Besinnung über einen Eindruck nötig ist, ist also von entscheidender Bedeutung für das ganze sinnliche Weltbild, welches sich vor uns entrollt; und man kann ihn füglich die sinnliche Charakteristik unserer Urteilskraft nennen. Denkt man sich den Eindruck und die auf ihn folgende Erinnerung durch eine Wellenlinie dargestellt, so dürfte die Zeitdauer einer Welle als das Maß jener Charakteristik betrachtet werden.

Diese Betrachtungen könnten einen phantastisch veranlagten Denker zu der Frage hinführen, ob es nicht auch wirklich solche Wesen gibt, deren Urteilskraft eine höhere (oder niedrigere) sinnliche Charakteristik besitzt wie die unsrige: ob es also keine Wesen gibt, die 10mal, 100mal, 1000mal schneller (oder langsamer) zu einem Urteil über den Eindruck gelangen als wir? Solche Phantastereien sind aber nur dazu gut, das Positive unserer Einsicht zu verdunkeln. Wir haben vollauf genug damit zu tun, uns über die Natur unserer eigenen Urteilskraft Rechenschaft abzulegen, und wir halten so sehr an das ABC dieser Rechenschaft, daß wir uns nicht den Luxus gestatten können, über das Dasein oder Nichtdasein von fabelhaften Wesen nachzudenken. Mögen sie da sein oder nicht da sein, soviel steht fest, daß es Besseres, als an der Wahrheit teil zu haben, auch für diese Wesen nicht geben kann. An der Wahrheit aber können wir auch Teil haben, und der ganze Unterschied, den eine höhere sinnliche Charakteristik mit sich bringen könnte, wäre ein rascheres Tempo im Genießen der Tatsachenwahrheiten und ein müheloseres Eindringen in den Zusammenhang der Wahrheiten. Übrigens geht ja so ziemlich alle unsere Forschung darauf aus, jene Beschränktheit, die durch die sinnliche Charakteristik angezeigt ist, nach Kräften künstlich zu überwinden. Ist es doch die höchste Ambition des Naturforschers, wie auch des Logikers, Blicke zu werfen in die Geheimnisse jenes Geschehens, das im millionsten und billionsten Teil einer Sekundet stattfindet.

Da wir nun den Eindruck als etwas grenzenlos Zusammengesetztes auffassen, so müssen wir uns auch sagen, daß er für unsere Erkenntnis unerschöpflich ist. Was wir aus einem Eindruck schöpfen, ist immer nur eine Erinnerung an den Eindruck, und es braucht nunmehr kaum gesagt zu werden, daß wir bei einer größeren Geschwindigkeit unserer Besinnung mehr Erinnerungen aus unseren Eindrücken schöpfen könnten. Aber so groß auch die Geschwindigkeit unserer Besinnung wäre, eine Erschöpfung des Eindrucks wäre nie und nimmer erreichbar. Wir können dies auch so ausdrücken, daß unser konstatierendes Urteil nie den Eindruck selbst zu ersetzen vermag, denn wir müßten unendlich viele Urteile fällen, um einem Eindruck gerecht zu werden; freilich hätte auch ein Wesen von unendlich schneller, d. h. überzeitlicher Besinnung auch gar keine Eindrücke mehr und wäre jeder Mühe irgendeiner Urteilskraft enthoben. Wir aber müssen Eindrücke haben, um zur Erinnerung und zum Urteil kommen zu können, und dürfen uns nicht einbilden, durch ein Urteil den Eindruck ersetzt zu haben. Wir können über unsere Erlebnisse in Sätzen Bericht erstattten, und solche Sätze gelten im Verkehr von Mensch zu Mensch als Surrogat für unmittelbare Erlebnisse; aber das unmittelbare Erlebnis selbst ist und bleibt ein Unersetzliches, weil der Eindruck etwas Unerschöpfliches ist. Dies ist das Credo des echten Empirismus und dieses Credo beruth auf Wahrheit. Nur sollte man das Urteil nicht als eine solche Tat auffassen, deren Aufgabe es ist, den Eindruck zu erschöpfen; auch sollte man die Urteilskraft deshalb nicht geringschätzen und mit einer törichten Skepsis anfeinden, weil sie sich keine unmöglichen, d. h. vom menschlichen Standpunkt aus absurde Aufgaben setzt. Das Urteil erfaßt vom Eindruck so viel, als ihm die dem Eindruck unmittelbar auf dem Fuß folgenden Erinnerung darbietet; und sobald nur das Urteil diese Aufgabe erfüllt, ist es dem Eindruck auch gerecht geworden, d. h. es ist wahr. Ein Wesen, das absolute Wahrheit besäße, hätte weder Eindrücke, noch Erinnerung, noch brauchte es sich mit einzelnen Urteilen abzugeben. Wir aber sind Wesen, welche die Wahrheit nur stückweise in Einzelurteilen erfassen, womit auch gesagt ist, daß wir unsere Erlebnisse in Urteilen nie zu erschöpfen vermögen.

Ein jeder sinnlicher Eindruck ist einem grenzenlosen Ozean vergleichbar, an dessen Ufer wir stehen, um aus ihm eine Handvoll Erinnerung zu schöpfen, die wir im Urteil aufbewahren. Wir haben vom Eindruck immer nur so viel, wie wir aus ihm vermittels der Erinnerung schöpfen. Selbst wenn der Eindruck als "gegenwärtig" bezeichnet wird, haben wir in unserem Urteil über denselben doch nur so viel, als uns die Erinnerung darbietet. Wir sind dann nur gewöhnlich in der vorteilhaften Lage, daß wir sofort zu gleichen sich wiederholenden Eindrücken fortschreiten können. Wenn ich z. B. eine rote Kugel betrachte, und sage, daß sie rot ist, dann bin ich vom Eindruck zur Erinnerung und zum Urteil gekommen, befinde mich aber in der vorteilhaften Lage gleich wieder zu ähnlichen Eindrücken zurückkehren zu können; während, wenn die Kugel nicht mehr da wäre, und ich bloß aus der Erinnerung ein Urteil über ihre Farbe fällen müßte, mir dann auch die Möglichkeit genommen wäre, aus der Erinnerung und dem Urteil zu einem Eindruck von der Kugel zurückzukommen. Der Unterschied zwischen dem Eindrucks- und dem Erinnerungsurteil läßt sich also durch das folgende Gleichnis veranschaulichen. Wer bloß aus der Erinnerung urteilt, ist einem Menschen vergleichbar, der mit seinem Krug aus einer Quelle Wasser geschöpft hat, und sich dann von der Quelle entfernt, also aus ihr nicht erneut zu schöpfen vermag. Wer aber auf Grundlage des "gegenwärtigen Eindrucks" urteilt, bleibt mit seinem Krug an der Quelle stehen und kann eventuell immer wieder den Krug füllen. Aber der Mühe des Schöpfens ist er auch nicht enthoben, und er hat aus der Quelle immer nur soviel zur Verfügung, als er jeweilig mit seinem Krug aus ihr geschöpft hat. Nicht die Quelle ist sein, sondern was er ihr jeweilig entnimmt. So besitzen wir auch von unseren Eindrücken nur soviel, wie wir ihnen vermittels der Erinnerung zu entziehen vermögen; und dies gilt auch dann, wenn die Eindrücke "gegenwärtig" sind.

9. Diese Betrachtungen liefern uns auch eine Auffassungsweise der geistigen Entwicklung des Kindes in seinen ersten Lebensjahren. Dem Säugling mangelt es nicht an Eindrücken, es fehlt ihm jedoch das, was wir oben als eine Art von geistigem Atemholen kennzeichneten. Es fehlt ihm das Wellenspiel zwischen Eindruck und Erinnerung; oder genauer gesprochen: dieses Wellenspiel ist so schwach, daß die Wellenlinie, durch welche wir das Empfinden darstellen, sich bei ihm ganz der Geraden annähert. So wie dem Fötus im Mutterleib der physische Atem fehlt, so gebricht es dem Säugling an geistigem Atem. Nur langsam und allmählich meldet sich ein Rhythmus zwischen Eindruck und Erinnerung an, und es dauert ein Jahr und noch mehr, bis dieser Rhythmus so weit erstarkt ist, daß das Kind auch zur Bildung von Wörtern zu kommen vermag, als Zeichen dessen, daß sich bei ihm Erinnerung und Eindruck schon voneinander abheben. Es ist hier nicht unsere Aufgabe, den geistigen Entwicklungsgang des Kindes zu schildern, und ich erwähne diesen Gegenstand nur deshalb, weil ich andeuten möchte, daß die Untersuchung unserer eigenen Urteilstätigkeit uns Mittel liefert, Stufen der geistigen Entwicklung, die unter der unsrigen stehen, irgendwie begreiflich zu machen. Nur in dem Maß, wie wir die eigene Urteilstätigkeit logisch zu beurteilen lernen, haben wir Aussicht darauf, die Evolution niedriger geistiger Stufen deuten zu können. So finden wir z. B., daß, was beim Erwachsenen nur den Bruchteil einer Sekunde dauert (nämlich das Herüberkommen aus dem Eindruck zur Erinnerung und zum Urteil), beim Kind einige Jahre in Anspruch nimmt; so daß wir sozusagen in eine Sekunde zusammengedrängt erleben, was das Kind in Jahren zu erleben vermag. Wir machen in einer Sekunde die analoge Evolution durch, welche das Kind im Verlauf von Jahren durchmacht. Und nur aus der eigenen Urteilsevolution heraus vermögen wir irgendein Licht auch auf die geistige Entwicklung des Kindes zu werfen.

Kurz: eine Evolutionslehre des menschlichen Geistes läßt sich nur schaffen, wenn man zuerst eine Logik, d. h. eine Lehre vom Urteil geschaffen hat. Hat sich jemand noch keine Auffassung zurechtgelegt über das, was er ein Urteil nennt, wie will er uns jenen Prozeß verständlich machen, dessen ganze Bedeutung darin gipfelt, daß er am Schluß zur Urteilsfähigkeit führt? Vermag er sich nicht über seine eigene Urteilsfähigkeit zu besinnen, woher will er die Kraft nehmen, jene Vorbedingungen aufzuzeigen, welche schließlich zum Urteil führen? Vermag er nicht unser Führer zu sein in jenem Reich des Geistes, der vom Sonnenlicht des Urteils beschienen ist, wie will er uns jene Finsternis, die noch der Urteilskraft ermangelt, irgendwie verständlich zu machen? Erst indem wir unsere eigene Urteilsfähigkeit prüfen, verschaffen wir uns die logischen Mittel, um eine Evolutionslehre des Geistes zu begründen. Womit nicht gesagt sein soll, daß mit diesen bloß logischen Mitteln den niedrigeren Entwicklungsstadien beizukommen ist; denn ohne eine eingehende Beobachtung der niedrigeren Stufen kann freilich eine Wissenschaft von denselben nicht zustande kommen.

Sensualistische Denker gehen aber gemeinhin den umgekehrten Weg; d. h. sie bilden sich ein, eine umgekehrte Methode befolgen zu können. Eine Lehre vom Urteil, eine ausgebildete Wissenschaft der Logik wäre nicht notwendig, um die Evolution des Geistes zu erfassen! Sie sagen, daß sie die Wissenschaft des Geistes von unten aufbauen, daß sie also von den einfachsten Elementen: Empfindungen, Vorstellungen usw. ausgehen wollen, um zu immer zusammengesetzteren Gebilden emporzusteigen, bis sie am Gipfel ihrer Untersuchung zur Urteilstat und zum Syllogismus kommen. Sie wollen Eindrücke zu Eindrücken, also Vergängliches zu Vergänglichem addieren, um aus einer solchen Summe die ewige Geltung einer Urteilstat hervorgehen zu lassen. Und das nennen sie: von unten bauen. Sie merken nicht, daß sie nicht unten stehen, sondern einen gewissen geistigen Gipfelpunkt ersteigen mußten, ehe sie dazu kamen, sich mit der Wissenschaft vom Geist zu beschäftigen. Sie merken nicht, daß sich ihnen erst auf jenem Gipfel der Sinn für Wahrheit aufgetan hat, und daß sie mit der Fackel der Wahrheit nunmehr auch in die Dämmerungen und Finsternisse der Tiefe hinabsteigen können. Sie merken nicht, daß sie die Wissenschaft des Geistes von oben nach unten kommend ausbauen, daß sie von der freien urteilenden Besinnung ausgehend zu einer gebundenen empfindenden Besinnung hinabsteigen. Sie bilden sich ein, man könne seine eigene Urteilsfackel auslöschen, um sich dann in der Finsternis des bloßen Empfindens umzusehen, wie es da eigentlich zugeht. Es ist dies ein ähnlicher Irrtum, wie wenn jemand glauben würde, er könne mit der Taucherglocke auf den Grund des Meeres steigen, ohne Luft mitzunehmen. Wir nehmen das Licht unseres Urteils überall mit hin, worüber wir nachdenken, und sehen auch die tieferen Regionen der geistigen Entwicklung nur in dem Licht, das wir aus der Höhe unserer Urteilsregion mit uns brachten. Es gibt also kein "Isolieren" der Sinnlichkeit wie es KANT meint, sondern es gibt nur ein Betrachten dieser Sinnlichkeit im Licht der Urteilslehre oder Logik. Je höher nun diese Urteilslehre entwickelt ist, umso mehr Aussicht haben wir, auch die Finsternisse der empfindenden Besinnungsweise zu erhellen. Wenn sich aber jemand mit CONDILLAC in seiner Einbildung eine Statue vorstellt, die er Schritt für Schritt mit neuen Sinnen ausrüstet, um zu zeigen, wie aus der Nacht der Bewußtlosigkeit der Tag der freien Besinnung hervorgeht, der äfft nur sich selbst, denn er trägt ohne es zu merken, sein eigenes Urteil in die Statue hinein, und während er sich glauben macht, er belebe die Statue nur Stück für Stück, hat er sie insgeheim und hinterrücks - freilich ohne es zu wissen, - von allem Anbeginn an ganz mit seinem eigenen Geist erfüllt. Statt uns auf diese Weise selbst hinters Licht zu führen, ist es besser, wenn wir es uns von vornherein sagen, daß wir nichts in der Welt anders als im Licht unseres eigenen Urteils erblicken können und daß es also vorzüglich darauf ankommt, dieses durch die logische Untersuchung zu immer hellerem Leuchten anzufachen, damit es immer brauchbarer wird für die Erforschung der Dunkelheiten unseres sinnlichen Lebens.

Was ich soeben auseinanderzusetzen bemüht war, ist nichts anderes, als die methodologische Fundamentalregel des philosophischen Denkens: der Grundsatz vom Primat der Logik innerhalb der Geisteswissenschaften und der Philosophie überhaupt. Denn obwohl die Logik das letzte ist, zu dem wir gelangen, ist sie das erste, was wir in der Philosophie darlegen müssen. Und obwohl der sinnliche Eindruck und die Erinnerung das erste ist, was unseren Geist überwältigt, sind sie in der Philosophie das letzte, was wir zu ergründen haben. Hierin liegt keineswegs eine Geringschätzung unserer Sinnlichkeit: im Gegenteil dürfte bei dieser Auffassung eher von einer Geringschätzung der Logik die Rede sein. Denn indem wir mit der Logik beginnen und die Sinnlichkeit als das letzte unserer Untersuchung hinstellen, bleibt unser Denken fortwährend auf sie gerichtet und so wird uns der ganze Aufbau einer Logik zu einem Mittel die Sinnlichkeit zu erforschen.

So haben wir z. B. in den obigen Betrachtungen versucht, irgendein Licht auf das Verhältnis von Eindruck und Erinnerung zu werfen. Wir konnten dies auf keine andere Weise bewerkstelligen, als daß wir von unseren Urteilen ausgingen und Eindrucksurteil mit Erinnerungsurteilen verglichen. Ihr Inhalt soll derselbe sein. Worin unterscheiden sie sich also? Wir dachten uns den Zeitraum zwischen einem Eindrucksurteil und einem Erinnerungsurteil immer kürzer werdend; bis endlich ihre zeitliche Entfernung Null wurde; und erkannten so, daß die Erinnerung schon im Eindrucksurteil dieselbe Bedeutung hat, wie in den Erinnerungsurteilen. Der logische Lehrsatz, daß ein Eindrucksurteil nichts ist, als das erste zwischen allen möglichen Erinnerungsurteilen, wirft auch ein Licht auf das Verhältnis von Eindruck und Erinnerung.

LITERATUR - Melchior Palágyi, Die Logik auf dem Scheidewege, Berlin 1903