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WILLY FREYTAG
[mit NS-Vergangenheit]
Die Erkenntnis der Außenwelt
[5/11]

Einleitung
I. Die erkenntnistheoretischen Standpunkte
II. Allgemeine Fragen der Transzendenz
III. Allgemeine Gesetze der Naturwissenschaft
IV. Der Zusammenhang der Wahrnehmungen
V. Von der Beweisbarkeit des Realismus
VI. Von der Art des realistischen Denkens

"Neben den aus dem Substanzbegriff zu entwickelnden Sätzen steht als wichtigster allgemeiner Satz der Wissenschaft der vom Kausalzusammenhang, ein Satz, an dem sich die Menschheit seit Jahrhunderten, ja seit Jahrtausenden abgearbeitet hat, ohne daß man über seinen Inhalt oder seine Formulierung zu völliger Einigkeit gelangt wäre."

"Man hält die sittliche Freiheit und damit die Sittlichkeit des Menschen durch die Anerkennung der strengen Gesetzmäßigkeit überhaupt für gefährdet oder man findet schon in der engen Verbindung von Geist und Körper etwas anstößiges. Das irrige dieser Auffassungen nachzuweisen, ist nicht Sache der Logik, sondern der Ethik."

III. Hauptstück
Allgemeine Gesetze
der Naturwissenschaft

Von der Außenwelt wissen wir durch unsere Wahrnehmungen; die Wahrnehmungen aber und zwar gerade die der Außenwelt sind, wie wir eben sahen, vor Irrtümern nicht sicher, sie können falsch sein und mit ihnen demgemäß unsere ganze Kenntnis von der Außenwelt. Andererseits sind wir doch überzeugt, daß die Wahrnehmungen für gewöhnlich nicht täuschen und daß in den wenigen Fällen, wo sie sich als falsch erweisen, dieser Erweis ihrer Falschheit durch andere richtigere Wahrnehmungen erbracht wird und so sind wir zwar dem Gedanken, daß unsere Erkenntnis der Außenwelt nicht in allen Punkten wahr sein mag und berichtigt werden kann, leicht zugänglich, mit ungläubigem Lächeln aber oder mit Entrüstung wird die Behauptung zurückgewiesen, daß diese Erkenntnis von Grund auf falsch sei, daß es eine Außenwelt, eine Welt jenseits der unmittelbar erfahrbaren Bewußtseinsinhalte gar nicht gebe.

Es ist das Recht des nicht wissenschaftlichen Menschen, so zu denken und die Wissenschaft, die antirealistische so gut wie die realistische, gesteht ihm dieses Recht zu, beweist und erklärt die psychologische Notwendigkeit seiner Weltauffassung. Aber unmöglich kann sie sich damit zufrieden geben. Schon der Naturwissenschaftler, der hinsichtlich der sogenannten Sinnesqualitäten, etwa in der Frage des Atomismus, seine Gedanken scharf und genau auszudrücken wünscht, wird zu kritischen Überlegungen genötigt, der Philosoph aber, der die Natur des Denkens, das Wesen der Wahrheit überhaupt untersucht, muß diesen merkwürdigen Gedanken, den äußeren Wahrnehmungen, welche scheinbar so ohne jede logische Begründung, aber mit umso energischerem Anspruch auf Wahrheit auftreten, ein besonderes Interesse entgegenbringen. Sollte nicht doch eine wenn auch sehr verborgene oder schwierige logische Begründung vorhanden oder möglich sein? Oder, wenn nicht eine logische, dann vielleicht eine andere? Oder sollte der alte Satz, daß nicht alles bewiesen werden kann, dessen Wahrheit angenommen werden muß, hier eine ungeahnte Erweiterung finden?

Wir stoßen damit auf ein Problem, das nicht an der Tagesoberfläche liegt, dessen Bedeutung dem Menschen überhaupt erst spät, auf dem Standpunkt einer weit vorgeschrittenen Reflexion aufgeht und das wohl auch heute noch nicht seinen weitreichenden Beziehungen entsprechend gewürdigt wird. Und doch sind die entscheidenden Antworten längst gegeben oder doch angedeutet, nämlich, wenn wir von den Leistungen der Philosophen des Altertums absehen, in den Erörterungen, die durch die Namen BERKELEYs und HUMEs auf der einen Seite, die ihrer schottischen und deutschen Gegner auf der anderen Seite bezeichnet werden.

Das Verdienst dieser Erörterungen soll nicht im geringsten geschmälert werden, wenn wir bemerken, daß in ihnen zum Teil infolge andersartiger Interessen auch Irrwege eingeschlagen wurden, daß die Antwort, die wir heute zu geben vermögen oder versuchen, in vieler Hinsicht schärfer und auch richtiger ausfallen kann und soll.

Drei Dinge sind es, die hier streng auseinander gehalten werden müssen: erstlich die Frage nach dem, was der Mensch ganz allgemein in einem Urteil über die Außenwelt von den Gründen dieses Urteils weiß, worauf er sein Urteil stützt; zweitens die Frage nach den tatsächlichen Ursachen, die zu Urteilen über die Außenwelt, zur Annahme einer solchen überhaupt führen; und drittens die Frage nach den Gründen, die für die Wissenschaft maßgebend sind, an der Annahme einer Außenwelt festzuhalten.

Die erste Frage wird wesentlich übereinstimmen dahin beantwortet, daß in den Urteilen des naiven Menschen, welche eine Außenwelt setzen, nicht von Überlegungen über Gründe oder Ursachen einer solchen Setzung zu finden ist: diese Urteile erscheinen als gänzlich unvermittelte, mit dem Charakter unmittelbarer Gewißheit auftretende Gedanken. Hinsichtlich der zweiten Frage gehen die Antworten weiter auseinander, lassen aber doch eine gemeinsame Auffassung erkennen, nämlich, daß die Notwendigkeit einer Regel, um sich in der Welt zurechtzufinden, den Menschen zum Glauben an die Außenwelt getrieben hat. Um die Beantwortung der dritten Frage tobt noch der Kampf, unsere Meinung geht dahin, daß die Antwort auf die zweite Frage auch als Antwort auf die dritte Frage verwendet werden kann: die Erkenntnis der Ursache für die Annahme einer Außenwelt liefert uns auch den Beweis dieser Annahme.

KANT hat als Sätze, welche eine Wissenschaft und das heißt eine Ordnung der Erfahrungen, erst möglich machen, zwölf seinen Kategorien entsprechende Sätze aufgestellt. Schon für KANT selbst sind die wichtigsten derselben die von ihm so genannten Analogien der Erfahrung und unter diesen hat man wieder zwei, den Substanzansatz und den Kausalsatz, schließlich den Kausalsatz allein zum entscheidenden gemacht. Wir wollen uns nicht zum Verteidiger KANTs aufwerfen, der seinen Scharfsinn ja mehr auf eine oft etwas wunderliche Ableitung dieser Sätze als auf eine klare Darlegung ihrer Bedeutung für die Wissenschaft angewandt hat, aber wir werden zugestehen müssen, daß er im allgemeinen richtig gesehen hat, wenn er neben dem Kausalsatz noch andere Sätze als der Wissenschaft wesentliche aufführte.

Richten wir unsere Aufmerksamkeit einmal auf den Substanzbegriff! Zweierlei gänzlich verschiedenes ist in ihm enthalten: erstlich der Gedanke eines den Eigenschaften zugrunde liegenden Trägers, eines sie zusammenschließenden Bandes und zweitens der Gedanke einer beständigen im Wechsel der Zustände beharrenden Grundlage. Beide Gedanken haben nichts miteinander zu tun: das Verhältnis von Ding und Eigenschaft könnte auch dann vorhanden sein, wenn weder das Ding noch die Eigenschaft unzerstörbar wären oder längere Zeit unverändert bestehen blieben; und andererseits muß das Beharrliche nicht gerade das Ding, es könnte auch eine Eigenschaft desselben sein!

Wichtig ist für die Wissenschaft vor allem der zweite Gedanke, daß die Substanz beharrt. Man drückt ihn meistens so aus, daß bei allen Veränderungen die Menge der Masse auf der Welt unverändert bleibt. Manche ziehen hier auch den Energiesatz herbei; und in der Tat, wenn ich unter Substanz einfach das Beharrliche verstehe, wie es wohl geschieht, so ist auch die Energie Substanz. Man muß sich aber immer gegenwärtig halten, daß, wenn dann auch sowohl Masse wie Energie als zur selben Klasse gehörig erscheinen, ihre sonstigen Unterschiede durchaus bestehen bleiben, daß die Masse nicht zu einer Art der Energie gemacht werden darf. Im allgemeinen ist es auch üblicher, den Energiesatz mit dem Kausalsatz zusammen zu stellen - ROBERT MAYER bezeichnete ja das heute Energie genannte als Ursache und zwar als die eigentliche Ursache. Andere betrachten den Satz von der Erhaltung der Energie gewissermaßen als eine Verbindung des Substanzsatzes mit dem Kausalsatz.

Man darf nun den Wert solcher Klassifikationen nicht übertreiben; immerhin aber ist es wichtig, auf den Zusammenhang dieser Beharrungssätze zu achten, schon auch, um die Lücken in demselben deutlicher zutage treten zu lassen. Es sei daran erinnert, daß der Ausgangspunkt des ganzen Gedankens in dem alten bereits von den Griechen aufgestellten Grundsatz gegeben ist: "aus nichts wird nichts" und "nichts wird zu nichts". Dieser Satz ist in seiner Allgemeinheit tatsächlich falsch: die Form, in der eine Masse, eine Energie auftritt, ist auch etwas und doch erhält sie sich nicht. Ja, wir müssen sagen, daß die meisten Inhalte der Welt einfach zunichte werden, ohne eine Spur, am wenigsten eine äquivalente Folge ihres Daseins zu hinterlassen; nur einige wenige Dinge, wie eben die Masse und die Energie, erhalten sich in genau gleicher Menge. Vielleicht gibt es noch mehr solche Konstanten: auch wenn die sogenannten chemischen Elemente sich auf einige wenige Urstoffe zurückführen lassen sollten, womöglich auf einen einzigen, müßte wohl das Gesetz von der Erhaltung der Eigenart des Stoffes als strenges Erhaltungsgesetz betrachtet werden. Und so mögen mit der Zeit noch weitere derartige Erhaltungsgesetze ausfindig gemacht werden, aber freilich nicht so, daß man einfach alles auf der Welt als unzerstörbar ansieht, nicht, indem man den Satz "aus nichts wird nichts" als eine apriorische Wahrheit ansieht, sondern so, daß man sich von ihm leiten und anregen läßt, unter dem Gewirr der Veränderungen nach dem Bleibenden zu suchen.

Von weniger weitreichender aber durchaus gesicherter Bedeutung ist der erste Gedanke des Substanzbegriffes oder Substanzsatzes; nur muß man in ihm das Beiwerk naiver Auffassung vom wissenschaftlich faßbaren Kern streng absondern. Die Vorstellung von einem besonderen Träger der Eigenschaften, einem dunklen Etwas, das in gänzlich unerkennbarer Weise hinter den Eigenschaften stehend sie zusammenhält, muß natürlich beseitigt werden; es bleibt die allgemeine Erkenntnis, daß zwischen den Eigenschaften eines Dings ein gesetzmäßiger Zusammenhang besteht und die besondere, daß, was uns von den Dingen im strengen Sinn gegeben ist, nur psychische Inhalte sind, welche durch Einwirkung der Dinge auf uns in der Wahrnehmung ins Leben gerufen werden. Die letztere Erkenntnis würde uns auf die heiß umstrittene Frage nach der Möglichkeit einer Beeinflussung des Psychischen durch das Physische führen, aber davon später; sie betrifft auch nur einen besonderen Fall allgemeiner Gesetze. Dagegen läßt sich der Gedanke vom Zusammenhag der Eigenschaften eines Dings nicht gut als Einzelfall eines anderen Satzes, etwa des Kausalsatzes, auffassen, denn dieser bezieht sich wesentlich auf Vorgänge, jener auf Zustände. Die Eigenschaften eines Dinges und zwar gerade die dauernden, lassen sich in Gruppen abteilen, derart, daß aus dem Vorhandensein der einen stets auf das der anderen geschlossen werden kann. Wenn ich an einem Stoff die Eigenschaften finde, daß sein spezifisches Gewicht 19,37 beträgt und er nur in Königswasser aufgelöst werden kann, so kann ich mit Sicherheit annehmen, daß dieser Stoff ein Metall, goldgelb ist und im regulären System kristallisiert; und umgekehrt finden sich irgendwo die letzteren Eigenschaften an einem Stoff, so müssen auch die ersteren vorhanden sein. Wir wollen dieses Gesetz als das Eigenschaftsgesetz bezeichnen.

Neben den aus dem Substanzbegriff zu entwickelnden Sätzen steht als wichtigster allgemeiner Satz der Wissenschaft der vom Kausalzusammenhang, ein Satz, an dem sich die Menschheit seit Jahrhunderten, ja seit Jahrtausenden abgearbeitet hat, ohne daß man über seinen Inhalt oder seine Formulierung zu völliger Einigkeit gelangt wäre. Wir haben gelernt, das "logische" Verhältnis des Grundes und der Folge vom "realen" der Ursache und Wirkung zu trennen, wir haben weiter eingesehen, daß dem realen Verhältnis überhaupt keine logische Notwendigkeit zukommt, daß aus dem Inhalt des einen Gliedes nichts über den Inhalt des anderen geschlossen werden kann. Aber einerseits wird der alte Gedanke, daß die Ursache die Wirkung wirkt, irgendwie bei ihr beteiligt ist, in sie überfließt, doch noch weitergeschleppt und andererseits ist die "anti-metaphysische" Kritik des Satzes wieder zu negativ ausgefallen. Wenn der Kausalsatz auch empirischer Natur ist, so sind doch aus seiner Geltung ganz bestimmte Schlüsse auch über den Inhalt der in kausalem Zusammenhang stehenden Dinge zu ziehen, wie wir in R&T (1), Seite 149f, nachgewiesen haben; und zweitens ist es eben erfahrungsmäßig möglich, über diesen Zusammenhang noch etwas mehr auszusagen, als daß er einer bestimmten zeitlichen Regel gehorcht. Der Satz wird ja jetzt meist so ausgesprochen, daß jedes Ding oder jede Veränderung eine Ursache habe, d. h. wieder eine Ding oder eine Veränderung, auf die sie nach einer Regel folgen. Daß aber tatsächlich außer dem zeitlichen noch ein anderer, nämlich ein räumlicher Zusammenhang vorliegt, darauf sei im Vorübergehen wenigstens kurz hingewiesen. Wenn ein Geschoß auf der Erde explodiert, so hört man den Schall nicht auf dem Sirius, sondern ebenfalls auf der Erde und zwar in räumlicher Nähe der Explosion und wenn ein Mensch getötet wird, so nimmt man an, daß der Mörder auch räumlichen Zusammenhang mit seinem Opfer gehabt hat und sucht ihn dieser Annahme entsprechend. Und so überall bei kausalen Vorgängen: stets läßt sich der Weg angeben, den die Wirkung einschlägt und selbst wo eine Fernwirkung angenommen wird, handelt es sich nicht um beliebige Fernen, sondern um bestimmt angebbare räumliche Verhältnisse, deren Bestimmtheit es wohl vor allem mit bedingt hat, daß der Gedanke einer eigentlichen Fernwirkung immer nur schwer Eingang findet und gefunden hat - obgleich unseres Erachtens auch unter der Annahme einer Fernwirkung am räumlichen Zusammenhang des ursächlichen Geschehens festgehalten werden kann und muß.

Bei der allgemeinen Erörterung des kausalen Zusammenhangs kommt diese Erkenntnis vom räumlichen Zusammenhang kaum je zur rechten Geltung und doch ist in ihr der viel gesuchte wissenschaftliche Ausdruck wenigstens von einem Teil des oben angedeuteten naiven Gedankens vom Überfließen der Ursache in die Wirkung enthalten.

Ein anderer Teil desselben hat, wie bekannt, längst seine exakte Formulierung im Satz von der Erhaltung der Energie gefunden. Die Wendung zur Energetik aber gab, indem sie eine Menge begrifflicher Schwierigkeiten beseitigte, zugleich Anlaß zu neuen. Die kräftige Betonung der Energie als der eigentlichen Ursache, die sich vollständig verzehrt, indem sie die Wirkung schafft, aber eben darum ihrem vollen Betrag nach in der Wirkung weiter lebt, die ungeahnten Erfolge, welche die Anwendung des neuen Gesetzes rasch zeitigte, sind wohl schuld daran, daß in vielen Fällen, eine zeitlang sogar von seinem Entdecker ROBERT MAYER selbst, Energie und Ursache einfach identifiziert wurden. Das würden nun als Definitionssache nicht viel besagen, wenn sich nicht mitunter der Gedanke damit verbände, daß der Energiesatz, daß der Energiesatz überhaupt sämtliche kausalen, vielleicht sämtliche gesetzmäßigen Beziehungen, in ein einziges ganz allgemeines Gesetz zusammenfaßt. Ein klein wenig Überzeugung genügt zu zeigen, daß er dazu, selbst wenn der sogenannte zweite Hauptsatz der Energetik mit hinzugenommen wird, lange nicht ausreicht. Denn der Satz von der Erhaltung der Energie sagt nur aus, daß in einem abgeschlossenen System, also auch innerhalb der Welt, die Summe der Energie bei allen Veränderungen gleich bleibt. Darin besagt aber noch gar nichts darüber, unter welchen Bedingungen solche Veränderungen eintreten; es ist vielmehr nach dem Gesetz sicher, daß nicht die Energie selber Ursache dieser Veränderungen sein kann: sie bleibt ja ihrem vollen Wert nach unverändert, kann daher auch nicht Ursache einer Veränderung sein. Das Energiegesetz schließt also geradezu die Erkenntnis ein, daß es noch außerhalb der Energie Bedingungen und damit auch außerhalb des Energiegesetzes Gesetze des Geschehens geben muß. Man hat nun gemeint, daß der zweite Energiesatz diese Lücke ausfüllt, indem er die Bedingungen für die Energieumwandlungen angibt. Auch dieser Gedanke aber ist gänzlich haltlos; der zweite Satz redet von Energie-Übergängen bei gewissen Intensitätsunterschieden, gibt also die Gesetze wieder nur für eine beschränkte Zahl von Fällen an: welche Bedeutung hat dieser Satz dann z. B. für das Brechtungsgesetz der Optik oder für die Stoßgebete elastischer Körper? Die wirkliche Wissenschaft ist dann auch klar darüber, daß auf so einfache Weise die unzähligen einzelnen Naturgesetze des Geschehens nicht vereinheitlicht werden können. Insbesondere ist es notwendig, dem eigentlichen Energiegesetz, dem Satz von der Erhaltung der Energie, als einem Beharrungsgesetz den Gesetzen der Veränderung gegenüber eine bestondere Stelle anzuweise; denn als Gesetze der Veränderung müssen, wie wir zeigen zu können glauben, die meisten der übrigen sogenannten Naturgesetze, auch die das menschliche Verhalten betreffenden, betrachet werden, Gesetze, die dann unter dem von unserem Sprachgebrauch bis jetzt noch frei gehaltenen Namen des Kausalgesetzes zusammengefaßt werden können.

Zunächst freilich scheint es, als ob es sich in den gemeinten Fällen durchaus nicht immer um Veränderungen handelt. Als Ursache davon, daß der Golfstrom nicht die Küsten der Ostsee, sonder die Norwegens erwärmt, wird das Vorhandensein der jütischen Halbinsel bezeichnet: die Ursache ist also keine Veränderung, sondern ein Zustand. Ursache dafür, daß der Mensch  X  in geringer Achtung steht, ist seine Armut, daß der Mensch  Y  so und so handelt, sein Charakter: ein Zustand also Ursache einmal für einen Zustand, das andere Mal für eine Veränderung als WIrkung. Ursache der im Tal  A  herrschenden Armut ist ein im Jahre  B  erfolgter Dammbruch: eine Veränderung also Ursache für einen Zustand. Ursache für die plötzliche Entwertung gewisser Papiere ist der plötzliche Ausbruch des Krieges: Ursache und Wirkung ist hier eine Abänderung. Also scheint es, daß Veränderungen Ursachen sein können, für Zustände so gut wie für Veränderungen, Zustände Ursachen für Veränderungen, so gut wie für Zustäne, daß der Kausalsatz nicht bloße ein Satz der Veränderungen ist.

Aber es scheint nur so. Zwei allgemeinere Erkenntnisse kommen uns hier zu Hilfe. Erst der schon oben angewendete Gedanke, daß etwas, was sich nicht ändert, auch unmöglich Ursache sein kann für eine Änderung: da es sich nicht ändert, so wäre nicht abzusehen, in welchem Zeitpunkt eine von ihm abhängige Änderung eintreten sollte; sage ich, sie tritt in den Zeitpunkt  a  ein, so ist leicht zu erwidern, warum tritt sie nicht schon eine Minute früher ein, wenn doch die Bedingung für das Eintreten der Änderung zu dieser Zeit genau dieselbe war, wie zur Zeit  a?  Da die Änderung also, wie man sagt, nicht hinreichend bestimmt ist, so tritt sie überhaupt nicht ein.

Zweitens aber wird man ohne Bedenken einem Satz zustimmen, der alltäglich angewandt, am besten als eine Erweiterung des Trägheitsgesetzes aufgestellt wird. Sagt dieses aus, daß eine Masse den Zustand der Ruhe oder der Bewegung, in dem sie sich befindet, beibehält, bis sie durch eine äußere Ursache aus demselben gebracht wird, so kann man das allgemeinere Gesetz so aussprechen, daß jeder Zustand solange anhält, bis er durch etwas von außen kommendes abgeändert wird, daß sich aber dann eine neuer Zustand herstellt, insofern nicht etwa durch die Abänderung veranlaßte weitere Änderungen oder sonstige Vorgänge diesen Zustand wieder beseitigen. Dieser Satz kann auch als Folgerung aus dem ersten betrachtet werden; denn wenn ein sich wirklich gleichbleibender Zustand nicht Ursache für eine Veränderung werden kann, so kann er auch nicht Ursache für eine Veränderung seiner selbst werden; also kann ein Zustand nur durch etwas außer ihm und zwar wieder nach dem ersten Satz, nur infolge einer anderen Veränderung abgeändert werden. Das weitere liegt im Begriff der Abänderung.

Fast eine Tautologie scheint besonders dieser zweite Satz, eine umso sicherere Stütze aber liefert er für das Verständnis des Kausalzusammenhangs: er erklärt sofort, wie eine Veränderung scheinbar Ursache für einen Zustand sein kann. Im oben angeführten Beispiel ist die Ursache ein Dammbruch, durch denselben wird der bisherige Zustand des Tales abgeändert, fruchtbares Erdreich wird fortgeschwemmt, die Wiesen werden mit Geröll bedeckt, Brücken und Häuser zerstört. Diese Veränderung im Zustand des Tales bewirkt nun ihrerseits neue Veränderungen: der Wohlstand nimmt ab, Krankheiten brechen aus, viele Menschen wandern in die Fremde. Und damit sind wieder Ursachen zu weiteren Veränderungen gegeben: auch die Nachbartäler werden in Mitleidenschaft gezogen, die Menschenzahl steigt an den Orten, wohin die Auswanderung führt usw. Im Tal selbst aber stellt sich nach einigem Hin- und Herschwanken ein gewisses Gleichgewicht her, die Veränderungen haben gleichsam den Ort ihres Ursprungs verlassen - sie kommen, absolut genommen, nie und nirgends zur Ruhe, auch die zuletzt angedeuteten Schwankungen wirken weiter, aber vorläufig nicht im Unglückstal, in dem sich ein neuer Zustand ausbildet. Und so überall. Wenn in einer Meeresströmung plötzlich infolge vulkanischer Ausbrüche eine neue Insel entsteht, so wir die Strömung dauernd in einer andere Richtung gelenkt, ein neuer Zustand ist die Folge. Unmittelbar aber bewirkt die Entstehung der Insel eine Änderung in Richtung der Meeresströmung, diese eine Steigerung der Temperatur am Ort  X,  ein Sinken derselben am Ort  Y  und diese Veränderungen bewirkten weitere Änderungen in der Flora und Fauna, in der Dichte der Besiedlung, diese wieder Änderungen der Politik, der Kultur usw.; hinsichtlich all dieser Verhältnisse mußte aber sofort ein neuer Zustand eintreten, sowie die Veränderung in einem neuen Gebiet auftritt: erst bildet sich ein Gleichgewichtszustand in der Meeresbewegung aus, dann in der Temperatur der berührten Erdstriche, dann in der Welt der dort wohnenden Lebewesen, dann vielleicht in der Politik, in der Kultur - der Zustand schreitet hinter der Veränderung her. Eine Veränderung bewirkt also unmittelbar nur eine neue Veränderung, weil aber jede Veränderung nur Abänderung eines Zustandes ist, tritt nach dem Trägheitsgesetz sofort ein neuer Zustand ein, sobald die Abänderung aufgehört hat.

Haben wir den anderen Fall, daß als Ursache einer Veränderung ein Zustand angegeben wird, so finden wir bei genauerem Zusehen stets, daß eine Ungenauigkeit in der Angabe vorliegt: es werden nicht sämtliche Bedingungen der Veränderung, sondern nur die, welche als die wichtigste erscheint, genannt. Wir stoßen hier auf den Unterschied der Begriffe der notwendigen und der hinreichenden Ursache. Daß ein Mensch eine bestimmte Handlung ausführt, dazu mußte er notwendigerweise einen bestimmten Charakter besitzen, aber diesen Charakter hatte er doch schon vorher, ohne daß er damals schon die Handlung vornahm, also muß, unserem obigen ersten Satz entsprechend, noch eine andere Ursache, eine Abänderung des Zustandes, der das Nicht-Handeln bedingte, eintreten, damit die Handlung möglich wird. Eine Nachricht, eine Beleidigung, kurz irgendeine Veränderung mußte zu der im Charakter liegenden notwendigen Ursache hinzukommen, um sie zur hinreichenden Ursache der Handlung zu ergänzen.

Dasselben gilt nun aber auch für die eben besprochenen Fälle, wo eine Veränderung als Ursache auftritt, nur daß da diese Veränderung gegenüber allen anderen Bedingungen als die wichtigste und augenfälligste erscheint. Der Dammbruch würde gewiß nicht die Verwüstung des Tales zur Folge gehabt haben, wenn nicht einerseits eine hinreichende Menge Wasser durch ihn entfesselt wurde und wenn nicht andererseits die Wiesen, Äcker, Brücken und Häuser so gelegen und so beschaffen waren, daß sie von der Flut erreicht und beschädigt werden konnten. Diese Umstände aber waren immer vorhanden, an sie war man so gewöhnt, daß sie in der Kausalrechnung nicht erst noch besonders aufgeführt zu werden brauchten. Diese Umstände stellen sich nun zuerst als ein Energiezustand näher dar, nämlich als das Vorhandensein einer bestimmten Menge von Distanzenergie, die infolge des Dammbruchs in Fallenergie umgewandelt wird; zweitens aber, was die Beschaffenheit der Wiesen usw. betrifft, als Zustände schlechthin in dem hier verwendeten allgemeinen Sinn des Wortes. Dabei sehen wir wieder, daß von einer allseitigen Erklärung des Geschehens durch rein energetische Gesetze keine Rede sein kann; die Beschaffenheit der Wiesen, z. B. ihre horizontale Lage in Bezug auf die Bruchstelle des Dammes und damit der Grad ihrer Gefährdung, ist keine energetische Bedingung ihrer Zerstörung, da nur der senkrechte Lagenunterschie energetische Bedeutung hat.

Der dritte Fall endlich, daß ein Zustand Ursache für einen Zustand ist, läßt mehrere Erklärungen zu. Am einfachsten wird man auf ihn überhaupt nicht das Kausalgesetz, sondern das oben von uns so genannte Eigenschaftsgesetz anwenden. Der Zustand der Achtung oder Mißachtung, wie er im Beispiel angenommen wurde, kann allerdings nicht als eine ruhende Eigenschaft im gewöhnlichen Sinne bezeichnet werden. Über die Gehirnvorgänge, die ihm zugrunde liegen, sind wir ja nicht recht im klaren; aber wenn er auch auf einer dauernden Strukturbeschaffenheit der Nerven beruhen sollte, so zeigt sich doch das, was wir von ihm wirklich erfahren, als eine Reihe von Aussprüchen und Handlungen, also als eine Reihe von Vorgängen, von Veränderungen. Ebenso kann der Zustand der Armut als die gleichbleibende Erscheinung einer geringen täglichen Einnahme aufgefaßt werden, wieder also als Reihe von Vorgängen. Weil aber diese Vorgänge eine große Gleichmäßigkeit aufweisen, vielleicht auch auf etwas wirklich ohne Unterbrechungen existierendes zurückgeführt werden können, wird man kaum anstehen, den Begriff der Eigenschaft auf sie anzuwenden und sie damit dem Eigenschaftsgesetz zu unterstellen. Andererseits könnte aber gerade hier der Versuch gemacht werden, dieses Eigenschaftsgesetze als besonderen Fall des allgemeinen Kausalgesetzes darzutun. Wie jede Veränderung eine Abänderung eines Zustandes ist, so kann jeder Zustand als hervorgegangen aus der Abänderung eines anderen aufgefaßt werden. So könnte man sagen, nicht immer sei Mißachtung die Folge der Armut oder nicht immer sei es so gewesen; irgendeine Veränderung, etwa eine plötzlich auftauchende Annahme über die Ursache der Armut, habe den früheren Zustand dahin verändert, daß an Stelle etwaiger Gleichgültigkeit Mißachtung getreten ist und dann nach dem Trägheitsgesetz andauert. Oder man könnte sich daran halten, daß sich die Armut wie die Mißachtung in Vorgängen äußert, in Erscheinungen, die zwar unter sich gleich sind, aber von ihrer zeitlichen Umgebung abstechen, ihr gegenüber eine Veränderung darstellen. Dann würde das kausale Verhältnis der Zustände auf ein kausales Verhältnis von Veränderungen zurückgeführt sein. Und mit dieser Zurückführung könnte man noch weitergehen. Manche naturwissenschaftlichen Theorien legen es nahe, überhaupt alle sogenannten Eigenschaften der Dinge als Vorgänge aufzufassen; diese Vorgänge würden einander bedingen oder gleicherweise von hinter ihnen liegenden Vorgängen abhängen, so daß dann auch die Gleichzeitigkeit als dem Kausalgesetz vielleicht widersprechend vermieden wäre.

Wie wollten diese Möglichkeit hier absichtlich andeuten, denn wir meinen, daß ein völlig abschließendes Urteil über diese allgemeinen Fragen zur Zeit noch nicht gegeben werden kann: die Zahl der höchsten oder allgemeinsten Gesetze muß unbestimmt gelassen werden. Denn wenn auf dem angegebenen Weg eine Verminderung erzielt werden kann, so ist andererseits die Wahrscheinlichkeit einer Vermehrung noch viel größer. Es sei hier nur darauf hingewiesen, daß neben den bisher genannten Sätzen, die man etwa als positive bezeichnen könnte, auch negative stehen, die freilich so selbstverständlich erscheinen, daß man auf ihre Bedeutung erst in neuerer Zeit aufmerksam geworden ist. Dahin gehören die Gesetze, daß Raum und Zeit an sich, also abgesehen von ihrem Inhalt, keinen Einfluß auf diesen Inhalt ausüben. Diese Gesetze, etwa als Raum- und Zeitgesetz zu bezeichnen, stehen in sehr naher Beziehung zum oben genannten allgemeinen Trägheitsgesetz: in welche Weiten auch eine Bewegung dringt, durch diese Weite selbst wird sie nicht geändert; und wie lange auch ein Zustand andauern mag, durch diese Dauer wird er nicht beeinflußt.

Doch ist es für unsere Zweck nicht erforderlich, auf solche weiteren Gesetze näher einzugehen; wir werden uns neben den anderen vor allem an den Kausalsatz halten. So könen wir ihn als das Gesetz der Veränderungen bestimmen: unter den Bedingungen des Geschehens, von denen er redet, findet sich stets eine Veränderung, wie auch die unmittelbare Wirkung dieser eine Veränderung, erst die mittelbare ein Zustand ist.

Eines aber ist an diesem Satz noch zu berücksichtigen: Ursache und Wirkung stehen, wie bemerkt, in einem Folgeverhältnis, das, weil es kein logisches ist, einfach als zeitliches bezeichnet wurde. Darin liegt die Meinung, daß die Ursache der Wirkung vorangehen muß, eine Meinung, die schon nach dem gesagten nicht streng aufrecht erhalten werden kann. Denn zu den Ursachen gehören auch zuständliche Bedingungen, Ursachen also, die unmittelbar bis zum Eintreten der Wirkung, ja während dieses Eintretens als andauernd und wirkend betrachtet werden müssen. Nur hinsichtlich der im kausalen Verhältnis stehenden Änderungen darf wohl bis zu einem gewissen Grade am zeitlichen Unterschied festgehalten werden. Wir sagen bis zu einem gewissen Grad, nicht im Hinblick auf die LOTZEschen und andere skeptischen Bedenken gegen die Denkmöglichkeit eines Zeitunterschiedes zwischen Ursache und Wirkung; denn, was auch immer über den Zusammenhang der Mittelglieder gesagt werden kann, daß der Dammbruch und die Zerstörung der Brücke weiter unten im Tal nicht gleichzeitig erfolgen, ist eine Tatsache - es ist hier auch an die alte Erkenntnis zu erinnern, daß, wenn der Zeitunterschied zweier unmittelbar aufeinander folgenden Veränderungen auch unendlich klein gedacht werden kann, doch ihr räumlicher Unterschied ebenfalls unendlich klein ist und wenn aus der Summierung solcher unendlich kleinen Raumunterschiede der unmittelbar aufeinander folgenden Veränderungen etwa in einer Überflutung eines meßbare endliche Strecke entsteht, natürlich dasselbe von den unendlich kleinen Zeitunterschieden gilt - sondern im Hinblick darauf, daß für eine große Klasse gesetzmäßiger Veränderungen in der Natur, die sonst durchaus kausalen Charakter tragen, ein Zeitunterschied mit sehr großer Wahrscheinlichkeit geleugnet werden muß. Es sind dies die Beziehungen zwischen den Bewußtseinsinhalten auf der einen und den Gehirnvorgängen, die ihnen zugrunde liegen, auf der anderen Seite.

Durch die eben gegebene Formulierung wird die Stellung, welche wir in dem über die hier berührten Dinge entstandenen Streite einnehmen, schon hinlänglich gekennzeichnet. Wir müssen aber auf ihre Begründung etwas eingehen, weil sie von gewissem Einfluß auf unsere späteren Erörterungen sein wird. Wir meinen also, daß nervöse Vorgänge im Zentralnervensystem die Grundlage bilden für alle psychischen Vorgänge, die demgemäß einfach als Beleiterscheinungen jener physischen aufgefaßt werden müssen.

Daß psychische Vorgänge überhaupt und zwar in großer Menge in Abhängigkeit von physischen auftreten, ist im Grunde einfach eine Erfahrungstatsache, die weniger geleugnet, als vielmehr wie vieles hierhier gehörige umzudeuten versucht wird. So zeigen sich die Wahrnehmungen oder genauer die Wahrnehmungsvorstellungen als Folgen der von den wahrgenommenen Dingen auf uns ausgeübten Einwirkung, Lust- und Unlustgefühle werden hervorgerufen durch Veränderungen unseres Körpers, der allgemeine Bewußtseinszustand ist in hohem Grad abhängigk von den Verhältnissen der Blutzirkulation im Gehirn usw. Versucht man nun aber, aus diesen und weiteren Erfahrungen nach allgemeinen Gesetzen der Induktion oder der Analogie den Schluß zu ziehen, daß überhaupt alle Bewußtseinsinhalte von bestimmten körperlichen, nervösen Vorgängen abhängig sind, so begegnet man heftigem Widerspruch, der gewöhnlich umso heftiger ist, je schwächer die Gründe sind, auf die er sicht stützt. Maßgebend für die Entscheidung dieser Frage sind nämlich im allgemeinen überhaupt nicht Gründe, logische Überlegungen, sondern gefühlsmäßige Interessen, die meist aus angeblich religiösen oder ethischen Anschauungen herstammen. Man hält die sittliche Freiheit und damit die Sittlichkeit des Menschen durch die Anerkennung der strengen Gesetzmäßigkeit überhaupt für gefährdet oder man findet schon in der engen Verbindung von Geist und Körper etwas anstößiges. Das irrige dieser Auffassungen nachzuweisen, ist nicht Sache der Logik, sondern der Ethik; wir haben nur zu fragen: sind irgendwelche logischen Gründe vorhanden, welche gegen unsere Annahme der allgemeinen Abhängigkeit der Seele vom Körper, des Psychischen vom Physischen sprechen?

Daß Körper und Seele wegen ihrer großen Verschiedenheit nichts miteinander zu tun haben und darum auch nicht aufeinander einwirken können, galt früher, wie bekannt, als einer der festesten philosophischen Grundsätze, ist aber längst so gründlich widerlegt worden, daß man sich wundert, wie dieser Gedanke unter allerhand schüchterner Verkleidung immer wieder auftauchen kann. Der Inhalt der Ursache und der Inhalt der Wirkung können gänzlich voneinander verschieden sein; so darf weder, wenn  b  Wirkung von  a  ist, geschlossen werden, daß  b  ähnlich  a  ist, noch, wenn  b  dem  a  nicht ähnlich ist, daß  a  und  b  nicht im Verhältnis von Ursache und Wirkung zueinander stehen. Eine für uns wichtige Anwendung dieses Satzes bietet gleich der Fall der Wahrnehmung. Die Wahrnehmung, genauer die Wahrnehmungsvorstellung, hören wir wohl, kann dem Ding der Außenwelt, dem Ding an sich, durch dessen Einwirkung auf uns sie hervorgerufen wird, nicht gleich oder doch nur wenig ähnlich sein, weil die Wahrnehmung eben nicht bloß vom Ding draußen, sondern ebenso von unserem Körper, unserem Sinnes- und Nervensystem und unserem Geist abhängt, auf den das Ding einwirkt. Dieser Schluß setzt aber geradezu voraus, daß die Wirkung ihrer Ursache gleich, ähnlich sein muß, denn nur weil die Wahrnehmung noch andere Ursachen hat außer dem Außending, soll sie diesem nicht gleich sein können! In Wahrheit, muß man sagen, kann aus diesem Grunde nichts über Inhaltsgleichheit oder Ungleichheit geschlossen werden, die Wahrnehmungsvorstellung könnte dem Außending sehr wohl inhaltlich gleich oder sehr ähnlich sein, auch wenn sie nicht allein von ihm abhängt, womit natürlich nicht gesagt werden soll, daß diese Gleichheit tatsächlich besteht.

Die von den Okkasionalisten aufgerichtete Scheidewand zwischen Körper und Seele ist also als beseitigt zu betrachten. Dafür hat man in der modernen Wissenschaft selbst ein Mittel zu finden geglaubt, um eine neue zu bauen: das Energiegesetz, sagt man, schafft zwischen der physischen und der psychischen Welt eine unüberbrückbare Kluft. Man schließt folgendermaßen: Bei allen Veränderungen, zunächst der physischen Dinge, bleibt die Summe der Energie dieselbe, also kann weder Energie an die psychischen Vorgänge abgegeben noch von ihnen herübergenommen werden, da die abgegebne und die herübergenommene augenscheinlich nicht für jeden Augenblick gleich großt sein würden. Jede Einwirkung beruth nun auf einem Wirksamwerden der Energie, einer Abgabe von Energie an das Beeinflußte, an das Bewirkte, folglich kann weder das Physische auf das Psychische noch das Psychische auf das Physische wirken.

Der Fehler dieses Schlusses ist nach den obigen Auseinandersetzungen leicht aufzudecken: die erste Prämisse ist richtig, die zweite aber falsch. Der Energiesatz ist nur einer unter den vielen Sätzen der Naturwissenschaft, die etwas über Ursachen und Wirkungen aussagen, Einwirkung und Energieübertragung ist nicht dasselbe: wenn zwischen zwei Inhalten oder Vorgängen auch keine Energieübertragung stattfindet, so kann zwischen ihnen doch sehr wohl eine Einwirkung vorgehen. Wenn in einem System der Zustand  B  auf den Zustand  A,  auf  B  der Zustand  C,  dann  D  usw. folgt, wobei die Menge der Energie stets dieselbe Größe behält, so kann sehr wohl mit dem Zustand  B  ein Vorgang oder Inhalt  β,  mit  C  ein Vorgang  γ  usw. als von ihm abhängig aber ohne energetischen Zusammenhang gesetzt sein und doch bleibt für das ganze System das Energiegesetz unverändert bestehen.

Wenn also auch sonst Tatsachen und Gründe für die Annahme eines kausalen Verhältnisses zwischen Körper und Seele sprechen, so steht der Energiesatz dem durchaus nicht entgegen. Solche Tatsachen sind nun die oben genannten, die natürlich wie alle Tatsachen an dem Fehler kranken, daß sie als Tatsachen etwas einzelnes sind und einen allgemeinen Satz nicht apodiktisch [logisch zwingend, demonstrierbar - wp] beweisen können.

Wer daher dem Energiesatz selbst noch skeptisch gegenüber steht, oder seine Unzulänglichkeit für den in Frage stehenden Beweis anerkennt, macht sich wohl diesen Mangel zunutze und behauptet einfach, daß ein strenger Beweis für die Abhängigkeit aller psychischen Inhalte von physischen nicht geführt ist und somit an der natürlichen Auffassung, welche dem menschlichen Geist Freiheit und Einwirkung auf das physische bis zu einem gewissen Grad zuschreibt, festgehalten werden muß. Gewöhnlich wird von dieser Auffassung aus zugestanden, daß, wie zu einem Teil die Seele auf den Körper, so zum anderen auch der Körper auf die Seele wirkt: die dann sogenannten niederen Bewußtseinsinhalte wie Wahrnehmungen, sinnliche Lust- und Unlustgefühle seien durch physische Vorgänge bedingt, die höheren psychischen Vorgänge aber, wie Gedanken und sittliche Entschließungen, seien frei und durch sie auch eine Beeinflussung des Körpers möglich. Die Begriffe der "niederen" und der "höheren" seelischen Vorgänge entbehren dann freilich meist einer genaueren Fassung, ihre Bestimmung läuft im Grunde auf die Tautologie hinaus, daß die niederen Vorgänge eben die vom Körper abhängigen, die höheren die vom Körper unabhängigen sind.

Wir haben schon erklärt, daß ein apodiktischer Beweis für unsere Auffassung selbstverständlich nicht gegeben werden kann; ein induktiver Beweis von hoher Wahrscheinlichkeit aber ist schon nach dem heutigen Stand unserer Kenntnisse sehr wohl möglich. Da ein allgemeiner Grund gegen die Möglichkeit einer Beeinflussung der Seele durch den Körper nicht besteht, so muß zunächst die natürliche Erkenntnis, daß die sogenannten niederen Bewußtseinsinhalte, wie Wahrnehmungsvorstellungen, vielleicht Vorstellungen überhaupt, Lust- und Unlustgefühle und sonstige etwaige sinnliche Gefühle, durch körperliche Vorgänge bedingt sind, als gesichert angesehen werden. Daß aber auch die sogenannten höheren geistigen Vorgänge, wie Gedanken und sittliche Entschließungen von physischen Dingen abhängen, dafür liefert die Psychiatrie den Beweis.

Das, was man Wahnsinn nennt, ist selten bloße eine Erkrankung des Vermögens der sinnlichen Wahrnehmung und ähnlicher "niederer" Funktionen, sondern gerade jener "höheren" Betätigungen des Geistes, sei es, daß es sich um intellektuelle, sei es, daß es sich um ethische Anomalien handelt - auch ästhetische Erkrankungen kommen in Masse vor, obgleich man sie ihrer geringeren Schädlichkeit wegen kaum als Erkrankungen bezeichnet. Die wichtigste Erkenntnis nun, durch welche sich die moderne humane Psychiatrie von der früheren unterscheidet, ist die, daß jede Geisteskrankheit im Grunde eine Gehirnkrankheit ist und in einer Unzahl von Fällen ist es möglich gewesen, sogar die Stelle im Gehirn anzugeben, deren krankhafte Veränderung die geistige Störung hervorrief. Immer also, darf man sagen, wenn Anomalie eines geistigen Vorgangs vorliegt, ist auch die Erkrankung eines Gehirnteiles, die Störung eines Gehirnvorganges vorhanden, dann folgt aber nach einem bekannten Induktionsgesetz, daß auch der nicht gestörte geistige Vorgang mit einem nicht gestörten Gehirnvorgang, daß überhaupt jeder geistige mit einem Gehirnvorgang verbunden ist.

Wir haben also nicht nur ein Recht, sondern die wissenschaftliche Pflicht anzunehmen, daß das Bewußtseinsleben überhaupt immer mit physischen, nervösen Vorgängen verbunden oder an sie gebunden auftritt und wir könnten demgemäß das physische als die Ursache des psychischen bezeichnen, wenn nicht das schon erwähnte Bedenken vorläge, daß die Ursache meistens als der Wirkung vorausgehend bezeichnet wird, der nervöse Vorgang aber und seine psychische Begleiterscheinung höchst wahrscheinlich gleichzeitig verlaufen. Absolut genau ist diese Gleichzeitigkeit allerdings wohl noch nicht festgestellt worden; die Experimente zeigen im Gegenteil, daß die psychische Reaktion auf einen Reiz merklich später als dieser erfolgt und auch später als der infolge des Reizes in das Gehirn eintretende Anstoß. Aber die hier noch vorhandene Zwischenzeit ist einerseits so gering und die Annahme einer Latenzzeit für das Gehirn so naheliegend - von der für das Gehirn natürlich ebenfalls vorauszusetzenden Leitungszeit ganz zu schweigen - daß an der Gleichzeitigkeit des psychischen Vorganges mit dem ihm letztlich zugrunde liegenden nervösen, dem sogenannten psychophysischen, nicht gut gezweifelt werden kann.

Für die schematische Einordnung des Satzes von der Bedingtheit des psychischen durch das physische bieten sich demgemäß nunmehr zwei Wege. Halten wir ander Nichtgleichzeitigkeit von Ursache und Wirkung fest, so darf unser Satz nicht als kausaler bezeichnet werden und man könnte ihn dann etwa unter dem ziemlich eingebürgerten aber allerdings etwas mißverständlichen Titel des Satzes vom psychophysischen Parallelismus dem Kausalsatz zur Seite stellen. Will man aber dem handlichen Namen des Kausalsatzes seine ebenfalls eingebürgerte allgemeine Bedeutung belassen, so muß man aus ihm die zeitliche Bestimmung streichen; er würde dann einfach auszusagen haben, daß das Auftreten jedes Inhaltes in der Welt durch das Auftreten und Vorhandensein anderer Inhalte bedingt ist.

Das letztere Verfahren, den Kausalsatz in ganz allgemeinem Sinne zu nehmen, scheint sich uns nunmehr als das erstere zu empfehlen, denn wir brauchen eine Bezeichnung, durch welche den Erhaltungs- und Eigenschaftsgesetzen gegenüber auch die Sätze, die uns mit dem Eintreten und dem Verlauf der Vorgänge bekannt machen, zu einer Einheit zusammengefaßt werden.

Wir haben es im Verlaufe dieser Überlegungen schon ausgesprochen und wollen es jetzt am Schluß derselben wiederholen, daß mit ihnen die Frage der allgemeinsten Naturgesetze nicht erledigt sein soll; noch andere nicht genannte Sätze mögen hier in Betracht kommen, eine andere Anordnung derselben wird vielleicht ein einfachers, besseres System ergeben und mancher hierher gehörende Begriff, wie der der Auslösung, möchte mit Vorteil darin verwendet werden! So eine genauere Durcharbeitung ist schließlich doch nur von der Naturwissenschaft selbst zu leisten; für unsere Zwecke genügt es, einige handliche Formeln zu bekommen, durch die der allgemeine Gedanke der Gesetzmäßigkeit möglichst einfach und klar in solche Teilgedanken zerlegt wird, wie sie zur genaueren Behandlung unserer Frage nötig sind.

LITERATUR - Willy Freytag, Die Erkenntnis der Außenwelt, eine logisch-erkenntnistheoretische Untersuchung, Halle a. S. 1904