ra-2H. PeschA. WagnerH. AlbertE. HeimannH. MoellerG. Schmoller    
 
WILHELM HASBACH
Zur Geschichte des Methodenstreits
in der politischen Ökonomie

[3/3]

 "Keynes  trägt den Gegensatz von  Produktion  und  Distribution,  welchen  Senior  und  Mill  aufgestellt haben, daß nämlich letztere ausschließlich eine Sache der  menschlichen  Einrichtung ist, während die Gesetze und Bedingungen der Herstellung von Reichtum am Charakter der  physikalischen  Wahrheit teilhaben, mit der allergrößten Gläubigkeit vor."

II. Bagehot, Dietzel, Menger,
John, Keynes, Wagner, Cossa


2.

Das Werk von KEYNES gehört zu den bedeutendsten, welche über die Methodenlehre veröffentlicht worden sind, nicht etwa wegen der großen Zahl neuer Gesichtspunkte und origineller Forschungen, sondern wegen der erschöpfenden kritischen Behandlung aller bisher erörterten Seiten des Problems und der umsichtigen und ruhigen Abwägungen der Argumente, welche im Methodenstreit in den letzten Jahrzehnten hüben und drüben vorgebracht worden sind. Er stellt zuerst die Lehren der sogenannten englischen (lies  Ricardos) (11) und deutschen Schule über den Umfang, das Wesen und die Methode der politischen Ökonomie gegenüber. Jene haben sie als eine theoretische, abstrakte und deduktive Wissenschaft aufgefaßt, diese als eine ethische, realistische und induktive.

KEYNES vertritt beiden Richtungen gegenüber eine Stellung, die man als diejenige des rechten Zentrums bezeichnen darf mit folgenden Worten:
    "Der Doktrin entsprechend, die ich in den folgenden Seiten darlegen werde, wird es hier genügen zu sagen, daß, wenn auch der deduktiven Methode in ökonomischen Untersuchungen eine große Wichtigkeit zugesprochen werden muß, und auch wenn gegen den unhistorischen Geist derjenigen Anhänger der neuen Bewegungen, die eine komplette Neuorganisation der Wissenschaft fordern, protestiert werden muß, wird es dennoch keinen Versuch geben die Doktrinen der alten Schule in genau der Form zu rechtfertigen, in der sie von  Mill  und  Cairnes  vorgelegt wurden." (12)
Im Großen und Ganzen ist seine Haltung frei von der pädagogischen Selbstgerechtigkeit der Vertreter der nationalökonomischen Orthodoxie, obgleich auch er sich nicht des Urteils enthalten kann: "Die radikaleren Mitglieder dieser Schule (der ethisch-realistisch-induktiven) sind arrogant und ausschließend in ihrem Anspruch." (13) Nun müssen wir aber zur Entschuldigung des Verfassers bemerken, daß die seit vMENGER üblich gewordenen Fluchformeln mit der Länge der Zeit zwar einerseits in die Sitte und Gewohnheit übergegangen sind, aber doch andererseits mehr und mehr einem harmlosen Formalismus anheim fallen. Auch würden ohne jenen Ausdruck der Bekenntnistreue manche seiner Ausführungen von den Zweifeln seiner Glaubensgenossen benagt worden sein. Drittens kann man von einem in der Nationalökonomie RICARDOs und der Epigonen aufgewachsenen Nationalökonomen nicht erwarten, daß er die vollen Konsequenzen eines historischen und soziologischen Standpunktes zieht. Wenn die menschliche Wirtschaft einer Entwicklung unterworfen ist und die Theorie den Zusammenhang der auf einer bestimmten Entwicklungsstufe wiederkehrenden ökonomischen Erscheinungen zu erklären hat, dann können auch die volkswirtschaftlichen Theorien der klassischen Schule nur das ideale Entwicklungsprodukt einer vorübergehenden realen Wirtschaftsstufe sein und müssen daher als Teil der Wirtschaftsgeschichte betrachtet werden. Ich hoffe es noch zu erleben, daß sich die englische Wirtschaftsgeschichte die von der klassischen Schule behandelten Phänomene: das  Malthusische Bevölkerungsgesetz,  das eherne Lohngesetz, die Differentialrente usw. nicht als "ewige Gesetze" im Sinne der Naturwissenschaft, sondern als Entwicklungsgesetze der englischen Volkswirtschaft einverleiben wird.  Viertens.  Da die Nationalökonomie RICARDOs und seiner Schüler das Moment der  gesellschaftlichen Entwicklung - welches von ADAM SMITH  mit so besonderer Liebe,  insbesondere im 1., 3. und 5. Buch  herausgearbeitet ist - eliminierte und sich daher des soziologischen Verständnisses der wirtschaftlichen Erscheinungen völlig beraubte (was mit größter Deutlichkeit in der ohne alle gesellschaftlichen Fundamente in der Luft schwebenden Einkommenslehre hervortritt), so mußten ihre Epigonen in der Aufnahme der Nationalökonomie in eine allgemeine Soziologie geradezu ein wissenschaftliches Verbrechen sehen, obwohl die Erklärung der Wandlung der Gesellschaftsformen aus ökonomischen Ursachen und die Behandlung der Theorien der Nationalökonomie als idealer Reflex bestimmter Strukturveränderungen der menschlichen Gesellschaft Seiten aufhellen würde, die bisher im Dunkel geblieben sind. Ohne eine besondere Theorie der Nationalökonomie oder eine besondere Soziologie negieren zu wollen, glaube ich aus diesen Gründen, daß KEYNES' Beleidigungen der Gegner sehr wenig am Platz sind. Was speziell GUSTAV SCHMOLLER betrifft, so hat er sich im "Handwörterbuch der Staatswissenschaften" so klar über seinen Standpunkt ausgesprochen, daß KEYNES selbst sein Unrecht einsehen wird. (14)

Die vermittelnde Stellung unseres Autors zwischen der englischen und der deutschen Schule zeigt sich in der Annahme dreier Wissensgebiete: eines positiven (theoretische Nationalökonomie), eines normativen oder regulativen, welchem er die engste Beziehung zur Ethik anweist, und eines praktischen. Sein Fortschritt über die hergebrachte englische Unterscheidung zwischen "science" und "art" besteht also darin, daß er in der Volkswirtschaftspolitik zwei Elemente sondern: ein System von Erkenntnissen über das erstrebenswerte Ideal und ein System von Vorschlägen zur Verwirklichung des Ideals, das erstere bildet den Gegenstand einer "science, das letztere einer "art". Da KEYNES für eine theoretische Wissenschaft ohne Beimischung ethischer Werturteile und Postulate eintritt und ich seinen Ausführungen nur zustimmen kann (sie scheinen mir in die Volkswirtschafts- und Sozialpolitik zu gehören), so wende ich mich zu seinen Darlegungen über die angewandte Wirtschaftswissenschaft (applied economics), welche, wie ich hoffe, andere Leser mehr als mich befriedigen werden. In mir haben sie die allergrößte Enttäuschung hervorgerufen. Denn die begriffliche Scheidung zwischen einer normativen Wissenschaft und einer politischen Rezeptierkunst wird nicht nur nicht erschöpfend dargelegt, sondern geradezu aufgegeben. Ja, an einer Stelle sieht man, daß sich KEYNES über seine Normativwissenschaft selbst nicht klar ist. Zu den Fragen, welche von ihr gelöst werden müßten, gehören nach ihm beispielsweise folgende: Ist der Verkäufer verpflichtet, den Fehler einer von ihm angebotenen Ware zu offenbaren? Ist es gerecht, billig zu kaufen und teuer zu verkaufen? Das sind Angelegenheiten der Ethik und nicht der Volkswirtschaftspolitik.

Hier war für den Verfasser Gelegenheit gegeben, sich um die Wissenschaft verdient zu machen, aber er hat sie nicht genutzt. Die Schwierigkeiten, welche die heutige Volkswirtschaftspolitik erfährt, rühren offenbar daher, daß sie nicht mehr die Wege und Mittel anzugeben hat, auf denen und mit denen ein allgemein anerkanntes Ideal der Volkswirtschaftspolitik in das Leben übergeführt werden kann. Die Nationalökonomen im ersten und zweiten Drittel dieses Jahrhunderts waren in einer besseren Lage. Das Ideal der wirtschaftlichen Freiheit war mit Gründen der Gerechtigkeit und Zweckmäßigkeit aufgestellt worden. Dies war die Aufgabe der Nationalökonomie SMITHs und der Physiokraten gewesen, die sich noch nicht, wie die  political economy  RICARDOs und seiner Schüler, darauf beschränkte, darzulegen, was ist, sondern vornehmlich dasjenige behandelte, was sein soll. (15) Für die Anhänger SMITHs kam es nun darauf an, das Ideal in allen Einzelheiten, für alle Zweige der Volkswirtschaft zu entwickeln (16) mit einiger Rücksicht auf die besonderen Verhältnisse der Länder - worauf der Grundsatz der Relativität beschränkt war. Aber wir leben nicht mehr in einer so glücklichen Zeit, wir glauben nicht mehr an allgemeine Ideale, das Prinzip der Relativität schließt sie aus. Darum sind wir so gespannt, von KEYNES zu erfahren, welchen Inhalt die Normativwissenschaft haben soll. Über den Gegenstand der volkswirtschaftspolitischen Rezeptierkunst sind wir uns ja ganz klar: es sind die konkreten Maßregeln, welche von einem Politiker für ein bestimmtes Gebiet vorgeschlagen werden. Da die österreichische Schule ihren Schleier auch nur sehr unbedeutend gelüftet hat (17), so bleibt die historische Schule vorläufig ihre eigenen Überzeugungen überlassen.

Bekanntlich hat ADOLPH WAGNER vor KEYNES dieselben Lehren aufgestellt, welche jedoch viel besser begründet und ausgeführt sind. Er stellt den Nationalökonomen fünf Aufgaben, deren dritte, vierte und fünfte einen ausschließlich politischen Charakter haben: Aufstellung eines Maßstabes des richtigen volkswirtschaftlichen Produktions- und Verteilungsinteresses, des Ziels der Produktion und Verteilung, Aufzeigung der Mittel und Wege zur Erreichung des Ideals bezüglich einer Annäherung an dasselbe. Die dritte und vierte bilden die Aufgabe der Normativwissenschaft, die fünfte der Rezeptierkunst. Dabei hebt aber WAGNER auf das kräftigste hervor, daß es sich immer nur um relative Ideale handeln kann. Und doch wäre es von seinem Standpunkt aus noch am leichtesten, ein für die nächsten hundert Jahre ebenso gültiges Ideal aufzustellen, wie dasjenige SMITHs für die letzten hundert Jahre war: die Ausdehnung der Gemeinwirtschaft, soweit die ökonomischen und techischen Verhältnisse ihre Verwirklichung gestalten (18).

Im dritten Kapitel, welches überschrieben ist: "Über den Charakter und die Definition der politischen Ökonomie als positiver Wissenschaft", finden wir Betrachtungen, die uns aus MILL und CAIRNES bekannt sind. Die theoretische Nationalökonomie ist nach KEYNES weder eine Naturwissenschaft, noch eine ethisch-psychologische Wissenschaft, und auch keine Staatswissenschaft, sondern  eine  Gesellschaftswissenschaft, allerdings eine Wissenschaft, deren Erkenntnis naturwissenschaftliche und psychologische Daten voraussetzt. Ihre Gesetze sind daher "nicht einfach Gesetze der menschlichen Natur, sondern die Gesetze komplizierter sozialer Verhältnisse, die aus den einfachen Gesetzen der menschlichen Natur resultieren". Über die Beziehungen zwischen Volkswirtschaft und Staat geht KEYNES mit wenigen nicht gerade tiefgehenden Bemerkungen hinweg. In dem nun folgenden Kapitel erörtert er die Beziehungen der theoretischen Nationalökonomie zur Soziologie. Hier faßt er seine Aufgabe wiederum als eine vermittelnde auf: und zwar zwischen den Anhängern COMTEs einerseits und den Anhängern RICARDOs andererseits. Er spricht sich dagegen aus, daß die theoretische Nationalökonomie ihre Selbständigkeit einbüßen soll, obendrein zugunsten einer so unfertigen Wissenschaft wie die theoretische Soziologie es ist, aber er tritt doch nicht für eine ausschließlich exakte Behandlung unserer Wissenschaft ein. Konsequent verwirft er die Aufstellung einer Reihe von Theorien, von denen jede eine Seite des wirtschaftlichen Lebens erhellen soll. Er betrachtet die exakte Theorie, die Gesetze der Wirtschaftlichkeit, als die Grundlage der theoretischen Nationalökonomie. Für bestimmte Probleme bildet die exakte Theorie ein fast ausreichendes Fundament, für manche Gebiete, z. B. dasjenige der Verteilung, genüge diese Basis jedoch nicht, es müsse daher auf ihr ein Oberbau errichtet werden, dessen Materialien aus den psychologischen und sozialen Faktoren beständen, die tatsächlich die Erscheinungen des wirtschaftlichen Lebens hervorriefen.

Aus diesen Ausführungen geht hervor, daß KEYNES nicht den methodischen Standpunkt MENGERs teilt. Von der "Theory of Political Economy" des MENGER nahestehenden JEVONS meint er:
    "Sie sollte in der Tat vielmehr als wesentliches Datum oder Basis der wirtschaftswissenschaftlichen Argumentation betrachtet werden, und nicht etwa als integraler Teil einer Wissenschaft ansich. Sie gehört eher in eine  Abteilung der angewandten Psychologie,  deren Anhänger als Hedonisten bezeichnet werden sollten." (19)
Gewiß werden die induktiven Nationalökonomen nicht mit KEYNES einverstanden sein können, da die Zustimmung auch ein Urteil über die Zulässigkeit der exakten Methode einschließen würde. Davon abgesehen muß man es leider wiederum als einen Fortschritt anerkennen, daß KEYNES den Grundsatz aufstellt: die Wirklichkeit muß erschöpfend erklärt werden.

Im fünften Kapitel handelt der Verfasser "On Definition in Political Economy". Diejenigen, welche die Aufgabe einer  Theorie  bestimmt ins Auge faßten, haben den Begriffsbestimmungen einen untergeordneten Wert beigelegt. Wir wollen nur Theoretiker der abstrakten Schule sprechen lassen. CAIRNES sagt:
    "Es muß einem für immer in den Verstand geschrieben sein, daß in der politischen Ökonomie, wie in allen positiven Wissenschaften, eine Klassifikation, eine Definition und die Nomenklatur immer nur ein Gerüst darstellen und  kein  Fundament." Und er führt beistimmend HERSCHELs Worte an: "Die Nomenklatur ist, vom Standpunkt der Systematik aus betrachtet, viel mehr, vielleicht sogar sehr viel mehr eine  Konsequenz  und weniger der  Grund  eines umfangreichen Wissens." (20)
MENGER schreibt:
    "Die Erscheinungen ... und nicht ihr sprachliches Bild, die Begriffe sind das Objekt der theoretischen Forschung auf dem Gebiet der Volkswirtschaft. Die Analyse der Begriffe mag im einzelnen Fall eine gewisse Bedeutung für die  Darstellung ... haben, das Ziel der Forschung auf dem Gebiet der theoretischen Nationalökonomie kann jedoch immer nur die Feststellung des generellen Wesens und des generellen Zusammenhangs der volkswirtschaftlichen Erscheinungen sein." (21)
KEYNES' Worte sind:
    "Die vermehrte Definition trägt uns immer nur ein kleines Stück." (22)
In Deutschland wirkten die  Wolffische  Philosophie und die Bedürfnisse einer mit der Nationalökonomie häufig in Personalunion stehenden  dogmatischen  Wissenschaft, der Jurisprudenz, auf ein Überwuchern der Begriffsscholastik in unserer  theoretischen  Wissenschaft hin. Nur in Deutschland war es neuerdings möglich, Gläubige dafür zu gewinnen, daß die Scholastiker eine staunenswerte Höhe nationalökonomischer Einsicht besessen hätten, weil von ihnen nämlich eine Anzahl von Begriffen richtig definiert worden wäre. Gegen den Definitionenkultus haben sich historische Nationalökonomen nicht nur vom Standpunkt der theoretischen Wissenschaft, sondern auch dem der Didaktik ausgesprochen, da er erfahrungsmäßig das theoretische Interesse, nicht selten das Interesse überhaupt abstumpft. Sie haben gefordert, daß Begriffsbestimmungen in den Lehrbüchern und im Vortrag erst dort vorgenommen werden, wo der Fortschritt der Erkenntnis sie notwendig macht. Daß gleich im Beginn der Darstellung ein unglückseliger Anfänger einige Bogen Definitionen durchqueren muß, deren Notwendigkeit und Bedeutung er nicht einzusehen vermag, ist ihnen fehlerhaft erschienen. Auch haben sie es gerügt, daß dürre Geister, ohne irgendeinen Fortschritt der Erkenntnis herbeizuführen, es für eine wissenschaftliche Tat hielten, anstelle der alten, neue wunderlich gebildete Bezeichnungen anzuwenden (23). Wenn hierdurch die historische Schule bei abstrakten Nationalökonomen in den Verdacht einer Definitionenscheu geriet, so hat MENGER umgekehrt entdeckt, daß sie sich die Verwechslung von theoretischer Forschung und Begriffsanalyse hat zu Schulden kommen lassen, wie man auf Seite 7 nachlesen kann. Der Historismus ist offenbar der Prügelknabe für alle methodischen Sünden geworden. Andererseits halten einige Jünger der abstrakten Schule, an seinen Definitionsmangel anknüpfend, dem Historismus vor, daß er den wissenschaftlichen Sinn für die Erkenntnis der Grundbegriffe erstickt hat und verweisen auf Begriffe wie  Wert, Preis, Kapitalzins.  Sie werfen offenbar Begriffsbestimmung und theoretische Forschung durcheinander.

Ohne die Wichtigkeit der Definition für die Nationalökonomie zu überschätzen, hat ihr der Historismus die ihr gebührende Stellung gern eingeräumt. Diese ist von KEYNES mit großer Sachlichkeit und Klarheit bezeichnet worden, gleichfalls verdienen die von ihm aufgestellten Grundsätze des Definierens alle Beachtung.

Ebenso wird man dem 6. und 7. Kapitel, welche die Methodenlehre behandeln, gern das Lob spenden, daß ihr Verfasser sich der größten Objektivität befleißigt hat, mit peinlicher Gerechtigkeitsliebe hat er den Grundatz:  Suum cuique!  [Jedem das Seine! - wp] zu befolgen gesucht. Weit mehr als seine Vorgänger hat er eingesehen, daß die einzig feste Grundlage der Methodenlehre die Kenntnis der Verfahren ist, welche bisher zur Aufstellung allgemein anerkannter Lehren unserer Wissenschaft geführt habe, aber leider hat die Geschichte der Nationalökonomie noch lange nicht die Höhe derjenigen der Naturwissenschaften, der Sprachwissenschaft, der Philologie usw. erreicht. Und es gibt Geister, welche diesen Fortschritt im Interesse ihrer Orthodoxie und Politik aufhalten möchten. - Auch fehlt es bei KEYNES nicht an gelungenen Versuchen, die Schranken der Methodenlehre von MILL und CAIRNES zu durchbrechen. Dennoch haben uns seine Lehren nicht völlig befriedigt.

Im "On the Method of Specific Experience in Political Economy" überschriebenen 6. Kapitel behandelt KEYNES die reine Induktion. Die theoretische Nationalökonomie hat Gesetze der Kausalität zu entdecken. Kann die reine Induktion dies leisten? KEYNES führt uns zwei, bzw. drei der fünf von MILL aufgestellten Methoden experimenteller Forschung vor, welche wir der leichteren Übersichtlichkeit halber auf ein Schema zurückführen wollen:
    I. Umstände gleich, Ursache verschieden (Methode des Unterschieds, method of difference).

    II. Umstände gleich, Ursache gleich (Methode der Übereinstimmung und der begleitenden Veränderungen) (24).
Die gründliche Anwendung von  I.  erfordert die Einführung des Experiments. Kann es in der Nationalökonomie Experimente geben? Von MILL und CAIRNES abweichend, führt der Verfasser feinsinnig aus, daß in einem beschränkten Sinn auch in der Volkswirtscahft Experimente möglich sind (Beobachtung einer absichtlich vorgenommenen größeren Spezialisierung der Arbeit auf die Geschicklichkeit des Arbeiters; Erlaß von Gesetzen mit der Absicht, Erfahrungen zu sammeln) (A), aber im allgemeinen sei der Nationalökonom auf die gewöhnliche, nicht von Menschen hervorgerufene Erfahrung beschränkt. Es gebe nun zwei Arten von Zuständen, welche die Anwendung der Methode des Unterschiedes zulassen:
    1. Zustände vor und nach dem plötzlichen Eintritt einer neuen Ursache (Arbeitsmarkt vor und nach dem schwarzen Tod) (B),

    2. Zustände zweier von denselben Ursachen mit Ausnahme einer einzigen beeinflußten Länder (zwei in allen wesentlichen Lebensbedingungen gleiche, in der Handelspolitik voneinander verschiedene Länder) (C).
Der  Vergleich  dieser Zustände könnte im Fall  C  die Wirksamkeit einer Ursache nur wahrscheinlich machen, im Fall  B  führt sie zu sicheren Ergebnissen (25). Jedoch schreibt KEYNES  I.  nur einen geringen Wert für die theoretische Untersuchung zu:
    "Der Wirtschaftswissenschaftler kann in keinem vernünftigen Ausmaß etwas über die Einflüsse aussagen, die auf der Prüfung und dem Vergleich der einzelnen Beispielspaare basiert." (26)
Und wie verhält es sich mit  II.?  Er bezeichnet sie als "die Methode einer induktiven Verallgemeinerung miteinander multiplizierter Beispielsgrößen" (D). Um nun die Wirkungen einer Ursache in verschiedenen Umgebungen gründlich nachzuweisen, empfiehlt es sich, Fälle zu wählen, welche, abgesehen von der zu erforschenden Bedingung, voneinander verschieden sind,
    "ein Dutzend wohl ausgewählter Beispiele, die diese Bedingung erfüllen, sind mehr wert als hundert andere, die nur ähnlichen Charakters sind." (27)
Sie werden der Geschichte oder der methodischen Beobachtung entnommen, wobei letztere, da die Nationalökonomie es mit quantitativen Verhältnissen zu tun hat, immer mehr einen statistischen "Ton" annehmen.

KEYNES behauptet, ohne jedoch einen Beweis dafür anzutreten, daß diese Methode zu einer umso größeren Unfruchtbarkeit verurteilt sei, je komplizierter die Erscheinungen würden. Die Lehre von der Produktion und der Bevölkerung seien ihre eigentliche Domäne, wegen des verwickelten Charakters der Phänomene könne sie auf den Gebieten des Güteraustausches und der Einkommenslehre nicht verwendet werden. Zum Schluß greift er die sowohl von MENGER wie von CLIFFE LESLIE vertretene Meinung an, von der wir schon weiter oben gesprochen haben (28).

Das Endergebnis lautet also:  A  hat für den Nachweis des Kausalnexus nur eine sehr beschränkte Bedeutung,  C  nur dann, wenn davon unabhängige Argumente die Schlußfolgerung unterstützen und stärken (29),  B,  ansich wertvoller, ist an den Zufall gebunden,  D  ist nur für bestimmte Gebiete zu gebrauchen. Also erfordert die theoretische Untersuchung als Ergänzung die Methode der Deduktion, die selbst bei  D  nicht entbehrt werden kann. Es sei von der größten Wichtigkeit "daß unsere Schlußfolgerungen durch deduktiven Vernunftgebrauch bestätigt und interpretiert werden", wofür er jedoch keinen Beweis beibringt. Ja, das wenige, was er der reinen Induktion zugestanden hat, belastet sein deduktives Gewissen so schwer, daß er sich veranlaßt fühlt, hinzuzufügen:
    "damit ist nicht gemeint, daß die Notwendigkeit von mehr allgemeinen Prinzipien zu deduzieren dadurch überflüssig wird; sondern vielmehr daß die Induktion  sinnvollerweise  der Deduktion vorausgehen soll." (30)
Das Wesen der deduktiven Methode, welches KEYNES im 7. Kapitel behandelt, charakterisiert er als
    "die  geistige Isolierung  der methodisch am Werk befindlichen Kräfte und die  Deduktion  ihrer Konsequenzen unter unterschiedlichen Bedingungen." (31)
In ihrer vollkommenen Gestalt setzt sie sich aus drei Prozessen zusammen. Zuerst bestimmt man sowohl die wichtigsten Kräfte, welche in dem zu untersuchenden Fall in Tätigkeit sind, wie deren allgemeine Wirkungsweise; hierauf wird aus dieser Erkenntnis ein Schluß gezogen über die Wirkungen jener Kräfte unter den gegebenen Bedingungen; schließlich werden die Schlußfolgerungen mit den Tatsachen verglichen. So beginnt und endet diese Methode nach KEYNES mit der Beobachtung,
    "nur einer der drei Prozesse ist eigentlich deduktiv, die beiden anderen sind induktive Bestimmungen der Prämissen und eine induktive Verifikation von Schlußfolgerungen." (32)
So wendet sich KEYNES dann gegen die besonders in Deutschland herrschende Annahme, daß die deduktive Methode von frei gewählten, willkürlichen Prämissen ausgeht. Der Nationalökonomi müsse seine Prämissen der zu untersuchenden Erscheinung  anpassen.  Ebensowenig wird ein anderer, ebenfalls vorzugsweise in Deutschland herrschender Irrtum von ihm geteilt, daß der Nationalökonom  stets aus denselben Voraussetzungen deduziert,  "von ein und demselben Satz von Annahmen". Weiter schärft KEYNES dem Nationalökonomen ein, sich auf dem Weg der Beobachtung ein Urteil darüber zu bilden,
    "wie sehr sich seine Annahmen unter den gegebenen ökonomischen Bedingungen den aktuellen Fakten annähern. Er lernt dadurch, wie weit seine Prämissen modifiziert werden müssen; oder in welchem Ausmaß, wo es keine aktuelle Modifikation der Prämissen notwendig oder möglich ist, Wirkungen sogenannter störender Einflüsse erlaubt werden müssen." (33)
Von der letzten der drei Funktionen, welche er der Beobachtung im Verifizierungsprozeß zuschreibt, sprechen wir gleich. Aus diesen Ausführungen erklärt es sich, daß KEYNES die gerade in Deutschland so oft in den Himmel gehobene und schlecht verstandene Methode RICARDOs weniger günstig beurteilt:
    "Es ist sicher, daß die deduktive Methode in seinem Buch in keinster Weise dazu dient, eine ideale Form zu veranschaulichen." (34)
Überhaupt gehört das von ihm über die Methode RICARDOs Gesagte zum Besten, was darüber geschrieben worden ist. Beachtenswert, wenn auch der Beschränkung auf bestimmte Gebiete bedürftig, scheint mir folgender Satz zu sein:
    "Seine Prämissen hatte er von der zeitgenössischen ökonomischen Welt, in der er lebte und seine Beobachtung war fragmentarisch und auf einen engen Horizont beschränkt." (35)
KEYNES ist also frei von der Naivität, daß RICARDO aus  willkürlichen  Voraussetzungen deduziert habe. Diese Stellung von KEYNES bedingt seine ablehnende Haltung gegen die früher so vielfach geübte Aufstellung einer Anzahl von Prämissen, aus denen die Gesetze der theoretischen Nationalökonomie abgeleitet worden sind.
    "Die Gültigkeit ökonomischer Postulate", sagt er Seite 228, "variiert darüber hinaus nicht nur von Zeit zu Zeit, von Ort zu Ort, sondern auch in unterschiedlichen Zusammenhängen zur selben Zeit am selben Ort. Also sogar wenn eine vorläufige Anzahl von Prämissen, von denen angenommen wird, daß sie der gesamten Wirtschaftswissenschaft unterliegen, möglich wäre, könnte die Gültigkeit all dieser Prämissen für die Gültigkeit aller möglichen Prämissen nicht bestätigt werden."
Offenbar haben wir hier eine Darstellung der deduktiven Methode vor uns, die alle früheren weit hinter sich läßt. KEYNES ist frei von manchen Irrtümern seiner Vorgänger. Und darum sind wir über eines erstaunt. Der Verfasser hat unsere Aufmerksamkeit darauf gelenkt, daß die theoretische Nationalökonomie  Gesetze  der wirtschaftlichen Welt aufdecken, die  konstante Wirkungsweise von Ursachen  nachweisen soll. Und die deduktive Methode ist unzweifelhaft nach seiner Meinung hierzu ein weit besseres Instrument, als die induktive. Aber wie sie zur Erkenntnis von Ursachen führt, darüber erhalten wir nirgendwo eine ausreichende Auskunft. Wir nehmen eine erneute Lektüre des Kapitels vor und finden unsere Erwartung zu Beginn des 7. Kapitels auf das gründlichste - enttäuscht. Wir erfahren dort nämlich, daß die Methode auf einer  vorausgegangenen Kenntnis allgemeiner Prinzipien  beruth, "an antecedent knowledge of general principles". Diese seien psychologische Prinzipien oder ökonomische Elementargesetze. Damit entsteht die Frage: mit welcher Methode gelangen wir denn zur Kenntnis der ökonomischen Elementargesetze? Diese Frage beantwortet KEYNES nicht. Und wie verhält es sich mit den psychologischen Prinzipien? Weiter oben habe ich nachgewiesen, daß wir aus psychologischen Erkenntnissen nicht direkt soziale Gesetze ableiten können, die Psychologie hat keine andere Funktion, als uns einzelne Vorgänge und empirisch nachgewiesene Regelmäßigkeiten  verstehen  zu lehren (36).

Am selben Mangel leidet seine Lehre von der Induktion. Experiment und Vergleichung sollen nach ihm den Kausalnexus volkswirtschaftlicher Erscheinungen aufhellen. Wenn Experimente und Vergleichungen zu diesem Zweck vorgenommen werden, so geschieht es, entweder um die  Wirkungsweise  einer bekannten Kraft zu erkennen, oder um eine  Ursache,  deren Vorhandensein vermutet wird, nachzuweisen. Die Erkenntnis oder die Hypothese einer Ursache ist also vorausgegangen.  Dieser frühere geistige Prozeß  wird von KEYNES mit Stillschweigen  übergangen.  Überblickt man die von ihm angeführten Beispiele, so zeigt sich, daß es sich bei  A, B, C, D  um den Nachweis der Wirkungsweise einer bekannten Kraft handelt. Wie sie entdeckt werden konnte, sagt er nicht. Oder handelt es sich in der Nationalökonomie darum überhaupt nicht? Ich brauche nur darauf hinzuweisen, daß man im vorigen Jahrhundert lange die eigentümlichen Vorzüge des landwirtschaftlichen Großbetriebes, die in ihm wirkenden Kräfte nicht begriff, bis zwei praktische Landwirte, ARBUTHNOT und ARTHUR YOUNG, sie aufdeckten.

Die Bedeutung der methodischen Einzelbeobachtung, der Enquete, der Tatsache, daß wir die Menschen um ihre Motive, um die regelmäßige Wirkung bestimmter Ursachen befragen und ihre Gefühle nachempfindend verstehen können, der hieraus sich ergebende Schluß, daß die Methoden der Sozialforschung nicht schlechthin mit denjenigen der Naturforschung zusammenfallen: All das hat KEYNES nicht genügend gewürdigt. Jedoch ist hierüber schon so viel gesagt worden, daß wir uns zum Letzten wenden können.

KEYNES hat, wie erwähnt, keinen Beweis dafür geliefert, daß auf dem Gebiet des Güteraustauschs und der Einkommenslehre die induktive Methode nicht angewandt werden kann. Er hätte zeigen müssen, daß der Besitzstand an Erkenntnissen dieser Art durch die reine Deduktion erworben worden sei, was er jedoch unterlassen hat. Überblickt man die Entwicklung der Lehren von Wert und Preis, so wird offenbar, daß man auf dem Weg der Beobachtung das Problem von den verschiedensten Seiten angefaßt hat. So entstand eine Anzahl empirischer Gesetze, die kritisch und synthetisch zu allgemeinen Erfahrungsgesetzen verbunden wurden und die man kausal von einem Selbstinteresse ableitete. Was nun PETTY betrifft, so ist offenbar seine Theorie des natürlichen Preises der Güter eine geniale Hypothese, das Produkt einer schöpferischen Phantasie. Wie ist LOCKE verfahren, als er das Lohngesetz in seiner ersten rohen Form aufstellte? Es ist eine Verallgemeinerung seiner Beobachtungen über die Lage der englischen Arbeiter. Wie gelangte ANDERSON zum Gesetz der Grundrente? In einer wissenschaftlichen Fehde durch die Besinnung auf seine Erfahrungen als Pächter und der Vergleich des Kornpreises in zwei Gegenden von Schottland.

Nun aber erfordert, wie allgemein zugestanden wird, der Charakter der theoretischen Wissenschaft, erstens, daß die Einrichtungen Maßregeln dargestellt werden, welche als äußere Bedingungen des Austauschs den Umlauf erst möglich machen oder fördern, wie Markt, Maß- und Gewichtswesen, Geldwesen, Handel, Verkehrswesen (37), die Veranstaltungen des Kreditwesens, zweitens, daß die gesellschaftlichen Grundlagen der Verteilung dem Leser oder Hörer vorgeführt werden, wie sich schon SENIOR, wie ich weiter oben ausführte, nicht verhehlen konnte. All das muß aber aus der Erfahrung entnommen werden. Ist aber nun, wie KEYNES zugesteht, die Lehre von der Bevölkerung und Produktion das Werk der "Induktion", hat sie weiter ein so ergiebiges Feld der Betätigung im Umkreis des Austausches und der Verteilung der Güter, muß eine Theorie der Konsumtion ausschließlich induktiv sein, dann ist, wie ich glaube, die induktive Methode die herrschende. Wenn wir also die Ergebnisse der Methodenlehre von KEYNES angreifen müssen, so geschieht es nicht aus Abneigung gegen die Deduktion, der wir ihre gebührende Stellung im Erkenntnisprozeß nicht rauben wollen oder können. Mit dem gleichen Recht dürfte man behaupten, es geschehe aus Abneigung gegen die reine Induktion unseres Verfassers. Die selbständige Gegenüberstellung von Induktion und Deduktion scheint uns dem tatsächlichen Verlauf der Gewinnung von Erkenntnissen nicht zu entsprechen. So sehr wir davon überzeugt sind, daß jede Bereicherung unserer Erkenntnis von neuen Beobachtungen, der Aufstellung neuer empirischer Gesetze ausgegangen ist und ausgehen wird, so sehr sind wir überzeugt, daß die völlige Aufdeckung von Kausalzusammenhängen manchmal unmöglich ist ohne Hypothesenbildung und deduktive Prozesse. Und so sehr wir davon durchdrungen sind, daß unsere Wissenschaft  nicht  auf dem Weg der von KEYNES dargestellten "Deduktion" entstanden ist, ebenso tief ist unsere Zuversicht, daß die "Induktion", mit Ausnahme von  D,  im Großen und Ganzen ebenso unfruchtbar gewesen ist. Wir glauben, daß auf  allen  Gebieten Induktion und Deduktion zusammengegangen sind und zusammengehen müssen. Für uns gibt es nur eine induktive Methode.

Die Besprechung des 8. und 10. Kapitels, welche von der mathematischen Methode bezüglich des Verhältnisses von Nationalökonomie und Statistik handeln, übergehen wir als von geringerer Bedeutung und berühren noch mit wenigen Worten das 9. "On Political Economy and Economic History".

KEYNES legt der Wirtschaftsgeschichte zunächst die allgemeine Bedeutung bei, daß sie die Entwicklung der der Theorie unterliegenden Erscheinungen kennen lehrt. Ihre speziellen Funktionen bestehen darin, daß sie Schlußfolgerungen illustriert (mittelalterliche Getreidepreise), die Grenzen der Zulässigkeit nationalökonomischer Theorien aufzeigt (Lehre von Lohn), und wirtschaftliche Theorien begründet oder mitbegründet (Wirkungen der Maschinen auf die Löhne, der Entdeckungen von Edelmetallminen auf Gewerbe und Handel). Auch die Bedeutung der Wirtschaftsgeschichte für das Verständnis der nationalökonomischen Theorien übersieht er nicht. Man wird ihm auch gerne zugeben, daß ein gründliches Studium der theoretischen Nationalökonomie dem Wirtschaftshistoriker förderlich ist, weil sie ihm gestattet, sich ein Bild davon zu machen, wie verschiedenartig die Faktoren gewesen sein können, welche eine bestimmte Erscheinung hervorgerufen haben. Jedoch wird nur eine solche Theorie dem Historiker diesen Dienst zu leisten vermögen, welche sich wirklich bemüht, in die Tiefe und in die Breite zu gehen und das vielseitigste Zusammenwirken der Ursachen zu erklären. Die exakte Theorie genügt dazu nicht und die konkret-deduktive Wissenschaft bei weitem nicht völlig. Ein so vortrefflicher, kenntnisreicher und sorgfältiger Forscher, wie TOOKE, zeigt in seiner Geschichte der Preise an nicht wenigen Stellen, wie außerordentlich dürftig die Preislehre der Schule RICARDOs und wie ungenügend ihre Berücksichtigung des Produktionsprozesses war, weshalb er nicht selten an der Oberfläche haften bleibt.

Für die Erkenntnis früherer Wirtschaftsstufen wird die Theorie der heutigen Volkswirtschaft dem Wirtschaftshistoriker aber häufig genug gar keine Dienste leisten, wenn sie nicht geradezu als ein Irrlicht auf ihn wirkt. Auch hat KEYNES übersehen, daß die Geschichte uns sehr oft die tiefsten Einblicke in die Kausalzusammenhänge gestattet, ja Beziehungen dieser Art aufdeckt, welche in keiner Theorie aufgezeichnet sind.

Aus den Anhängen möchte ich noch das Verwunderliche mitteilen, daß unser Autor den Gegensatz von Produktion und Distribution, welchen SENIOR und MILL aufgestellt haben, daß nämlich letztere "ausschließlich eine Sache der menschlichen Einrichtung" sei, während "die Gesetze und Bedingungen der Herstellung von Reichtum am Charakter der physikalischen Wahrheit teilnehmen" mit der allergrößten Gläubigkeit vorträgt (Seite 282f).
LITERATUR Wilhelm Hasbach, Zur Geschichte des Methodenstreits in der politischen Ökonomie, Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft, Neunzehnter Jahrgang, Leipzig 1895
    Anmerkungen
    11) Die Nationalökonomie ADAM SMITHs war unzweifelhaft ebenso ethisch und realistisch wie die deutsche. KEYNES ist so objektiv - hierin verschieden von vielen Deutschen - dies zuzugeben.
    12) KEYNES, a. a. O., Seite 29
    13) KEYNES, a. a. O., Seite 26
    14) SCHMOLLER, Hwb. d. Staatswissenschaften, Bd. VI, Seite 545 und 551.
    15) vgl. diese Zeitschrift, Seite 467dieses Jahrgangs.
    16) KLEINWÄCHTER, "Wesen, Aufgabe und System der Nationalökonomie", Conrads Jahrbücher, Bd. 52, Seite 646.
    17) MENGER, Untersuchungen, Seite 7f und 245f; von PHILIPPOVICH, Grundriß, Seite 25. Nicht gefördert ist das Problem durch MENGERs Aufsatz "Die Klassifikation der Wirtschaftswissenschaften", Conrads Jahrbücher, Bd. 53, § 6f. Es ist verwunderlich, wie wenig er dort mit vielen Worten gesagt hat.
    18) ADOLPH WAGNER, Systematische Nationalökonomie, Conrads Jahrbücher Bd. 46, Seite 238f.
    19) KEYNES, a. a. O., Seite 88
    20) KEYNES, a. a. O., Seite 146, 144
    21) MENGER, a. a. O., Seite 6, Anm. 4
    22) KEYNES, a. a. O., Seite 147
    23) Dieses Unwesen hat ZELLER in seiner "Geschichte der deutschen Philosophie" an KRAUSE gerügt.
    24) Verallgemeinerungen ... fallen in den meisten Fällen unter MILLs  Methode der Vereinbarung  bzw. seine  Methode der einkalkulierten Schwankung.  (Seite 190)
    25) ... Beispiele der Stellvertretung, die plötzlich zum Einsatz kommen produzieren Wirkungen, die auf einmal fehlerfrei erscheinen. (Seite 179)
    26) KEYNES, a. a. O., Seite 190
    27) KEYNES, a. a. O., Seite 195
    28) KEYNES, Seite 201: "Es ist bemerkenswert, daß einige Autoren zur ökonomischen Methode annehmen, daß, dadurch, daß die deduktive Methode in einfachen und dauerhaften industriellen Zuständen anwendbar ist, sie im Angesicht einer zunehmenden Komplexität der modernen Wirtschaftswelt wertlos wird; und daß sie unter solchen Bedingungen in jedem Fall den Weg frei machen muß für eine Methode der spezifischen Erfahrung."
    29) KEYNES, Seite 190: "Die Aufgabe der Methode in der politischen Ökonomie ist es, vorzuschlagen und zu bestätigen und nicht so sehr 100 prozentige Beweise zu liefern." Siehe auch über MALTHUS' Gebrauch der Methode des Unterschieds, a. a. O., Seite 184 (Bevölkerungsverhältnisse in Schweden und Norwegen). "Er gibt sie als einen Gegenstand in einer Masse von übereinstimmenden Beweisen; und als solche ist ihre Beweiskraft unbezweifelbar.
    30) KEYNES, a. a. O., Seite 196
    31) KEYNES, a. a. O., Seite 214
    32) KEYNES, a. a. O., Seite 214
    33) KEYNES, a. a. O., Seite 217
    34) KEYNES, a. a. O., Seite 226
    35) KEYNES, a. a. O., Seite 225, siehe auch Seite 278f
    36) Noch etwas anderes befremdet. KEYNES will eine Erklärung der Wirklichkeit, eine Wissenschaft, welche ihre Prämissen der Wirklichkeit anpaßt. Neben ihr, der  concrete  deductive economy", gibt es noch eine andere, die "abstract deductive economy". Diese letztere scheidet er Seite 137f auf das säuberlichste von der ersteren, sie leitet ihre Gesetze aus einfachen unempirischen Annahmen ab (wirtschaftlicher Mensch, ökonomisches Prinzip usw.), es ist die  exakte  Nationalökonomie. Die konkrete deduktive Nationalökonomie verifiziert, die abstrakte gestattet, wie MENGER konsequent lehrt, keine Verifizierung, es ist ein Prozeß, den sie zurückweisen muß. Denn sie will ja die Welt der Wirklichkeit nicht kennen lernen, sondern die  wirtschaftliche Welt in ihrer Isolierung von anderen sozialen Gebieten, von der die Wirklichkeit keine Kunde geben kann. - - - Wie ist es nun zu erklären,  daß KEYNES, wie ich weiter oben ausführte,  die exakte Theorie zum Fundament der theoretischen Nationalökonomie überhaupt machen will? - - - Was aber noch mehr befremdet, KEYNES betrachtet Seite 219 die Verifikation nicht als einen Prozeß, der unbedingt notwendig wäre. Später hat KEYNES der abstrakten Theorie noch einmal einige Seiten gewidmet. Man sieht, daß es eine Sammlung von Gemeinplätzen ist, von der er behauptet: "Die abstrakte Theorie ist als eine vorläufige Studie unverzichtbar." (Seite 196). Mit der Elementarlehrerstellung werden aber die exakten Theoretiker schwerlich einverstanden sein.
    37) Über die geringe Berücksichtigung dieses Gebietes beklagte sich SAX, Verkehrsmittel, Bd. I, Seite 6. Die theoretischen Bestandteile, von denen die Nationalökonomie RICARDOs und der Epigonen nichts wußte, behandelt man auch jetzt noch mit Vorliebe in der praktischen Nationalökonomie. Die Berücksichtigung dieser Elemente in der Theorie bringt den Nationalökonomen dann in den Verdacht, daß er die Theorie in eine "deskriptive" Wissenschaft verwandeln will. Ja, wann wird man auch vom Nationalökonomen die Kenntnis der Logik fordern dürfen?